Der Bundesrat hat in seiner 895. Sitzung am 30. März 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt im Grundsatz die Überprüfung der Liste der prioritären Stoffe im Bereich der Wasserpolitik. Er begrüßt insbesondere den ganzheitlichen Ansatz der Wasserrahmenrichtlinie als wichtigen Schritt einer ambitionierten Wasserpolitik auf hohem Schutzniveau. Der Bundesrat begrüßt dabei auch die ganzheitliche wissenschaftliche Betrachtung der aquatischen Umwelt und der Auswirkung von Stoffen in der Vorlage.
Die so ermittelten Erkenntnisse sind allerdings im Kontext der ökologischen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und bestehender Regelungen zu bewerten.
Es ist ein unbestrittenes und kontinuierlich zu verfolgendes Ziel, die Wasserqualität zu verbessern. Dieses Ziel verfolgen die Länder, Kommunen und die Wirtschaft seit Jahren mit großem Engagement.
- 2. Der nun vorgelegte Vorschlag greift erstmals die Stoffgruppen der Arzneimittel und der Hormone auf. Es ist eine grundsätzliche Frage, ob diese Stoffgruppen im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und der Umweltqualitätsnormen (UQN) aufgenommen werden sollen, obwohl für diese Stoffgruppen teilweise noch keine analytische Nachweisbarkeit im Sinne der vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen besteht oder aber die Nachweisbarkeit nur mit großem Aufwand möglich sein dürfte.
- 3. Es ist eine grundsätzliche Fragestellung, ob Arzneimittel und natürliche Stoffe als prioritäre Stoffe eingestuft und damit die gleichen Bewertungen und Anforderungen gestellt werden dürfen wie für Industriechemikalien.
- 4. Es ist derzeit nicht abzuschätzen, welche hohen Folgekosten die Verwirklichung des vorgelegten Vorschlags nach sich ziehen würde.
- 5. Der Bundesrat rechnet auf Grund der Vorgaben des Richtlinienvorschlags im Rahmen der Überwachung zusätzlicher prioritärer Stoffe bei den Ländern mit höheren Kosten als bisher. Eventuell notwendig werdende Maßnahmen zur Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie, wie z.B. eine eventuell erforderliche "4. Reinigungsstufe" bei kommunalen Kläranlagen, dürften hierbei zu erheblichen zusätzlichen Kosten für Kommunen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher führen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der Beratung im Rat dafür Sorge zu tragen, dass eine mögliche Erweiterung der Liste der prioritären Stoffe oder der Umweltqualitätsnormen nicht dazu führt, dass die Wirtschaft, die Länder oder die Kommunen kostenintensive Maßnahmen ergreifen müssen, beispielsweise im Bereich der Infrastruktur (zum Beispiel im Bereich von Kläranlagen).
- 7. Die Ergänzung der Liste der prioritären Stoffe und die vorgeschlagenen Grenzwerte sind in verschiedener Hinsicht problematisch. So bewegen sich die Grenzwerte teilweise weit unterhalb der analytischen Nachweisgrenze. Im Hinblick auf einen Teil der Stoffe, etwa auf die sogenannten ubiquitären Stoffe (zum Beispiel PAK), besteht praktisch keine Chance auf flächendeckende Erreichung der vorgeschlagenen Umweltziele.
- 8. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, bei der weiteren Behandlung des Vorschlags der Kommission zur Änderung der Richtlinien 2000/60/EG und 2008/105/EG in Bezug auf prioritäre Stoffe im Bereich der Wasserpolitik darauf hinzuwirken, dass nur solche Stoffe mit einer rechtsverbindlichen Umweltqualitätsnorm aufgenommen werden, die analytisch unter Berücksichtigung der Qualitätssicherung überprüfbar und im wasserrechtlichen Vollzug anwendbar sind. Stoffe mit extrem niedrigen Umweltqualitätsnormvorschlägen, die in diesen niedrigen Bestimmungsgrenzen derzeit EU-weit nicht analytisch nachweisbar sind, sollten vorerst in ein Beobachtungsmonitoring mit Trendbetrachtung aufgenommen werden.
Der Bundesrat kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Kommission auch weiterhin keine europaeinheitliche Reglementierung der Emissionen bzw. für die Herstellung und das Inverkehrbringen dieser Stoffe oder von Produkten, die diese Stoffe enthalten, vorsieht, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, die Einhaltung der Anforderungen des Richtlinienvorschlags sicherzustellen. Der Bundesrat sieht national für eine Reduktion der Einleitung und Emission von prioritären Stoffen, insbesondere für die Beendigung der Einleitung und Emission von prioritären gefährlichen Stoffen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Den Mitgliedstaaten sind hierfür auf Grund der Binnenmarktregelungen enge Grenzen für nationale Regelungen gesetzt. Damit verbleibenden Mitgliedstaaten häufig nur teure "endofthepipe-Lösungen" zur Einhaltung der Anforderungen. Vielmehr ist es geboten, auf EU-Ebene wirksame Emissionsbegrenzungen festzulegen.
- 9. Insbesondere ist es aus Sicht des Bundesrates erforderlich, dass die vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen nicht dazu führen, dass Gewässer, die bisher als Referenzzustand einer einwandfreien Wasserqualität gelten und für die keinerlei ökologische Defizite erkennbar sind, künftig mit unzureichender Wasserqualität zu bewerten beziehungsweise in Kartenform darzustellen sind.
- 10. Es bestehen Zweifel im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit und Vollziehbarkeit, da die auf theoretischen Modellrechnungen beruhenden extrem niedrigen Grenzwerte auch bei hohem Aufwand in der Realität auf lange Sicht nicht erreicht werden können.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der Beratung im Rat auf die hohen finanziellen Auswirkungen beim Gewässermonitoring hinzuweisen, die bei der Umsetzung der Richtlinie anfallen würden. Mittelfristig müssten mit sehr hohen Auswirkungen - im Milliardenbereich - gerechnet werden, falls die Forderung nach Nachrüstung von Kläranlagen mit der vierten Reinigungsstufe flächendeckend erhoben wird.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Beratungen im Rat sich für eine schlanke Umsetzung einzusetzen, denn die Umsetzung der Richtlinie würde einen höheren Aufwand beim Gewässermonitoring mit sich bringen und ggf. komplexere Anlagengenehmigungsverfahren nach sich ziehen. Maßnahmenplanungen wären erforderlich, die auch dann erarbeitet und vorgehalten werden müssen, wenn keine ökologischen Defizite erkennbar sind.
- 13. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich in den weiteren Beratungen dafür einzusetzen, dass die Anwendung des Bioligandenmodells bis zur fachlichen Klärung der strittigen Fragen zur plausiblen Anwendung zunächst ausgesetzt bzw. lediglich im Rahmen einer Erprobung angewendet wird.
- 14. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich in den weiteren Beratungen dafür einzusetzen, dass die Umweltqualitätsnormen für die Stoffe Blei und Nickel der Richtlinie 2008/105/EG so lange beibehalten werden, bis es eine Einigung auf EU-Ebene hinsichtlich der Anwendung des Bioligandenmodells gegeben hat.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich in den weiteren Beratungen dafür einzusetzen, dass auch die Umweltqualitätsnorm für die bromierten Diphenylether und die Polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffe der Richtlinie 2008/105/EG so lange beibehalten wird, bis die Analytik zur Überwachung der vorgeschlagenen Umweltqualitätsnorm entwickelt ist.
- 15. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Stoffe polybromierte Diphenylether, Cypermethrin, Heptachlor, Heptachlorepoxid, Dichlorvos, Perfluoroktansulfonsäure, 17-alpha-Ethinylestradiol und 17-betaEstradiol aus den Stofflisten in Anhang I und II des Richtlinienvorschlags herausgenommen und in die Beobachtungsliste überführt werden. Die Umweltqualitätsnormen für diese Stoffe sind so niedrig, dass sie zurzeit noch nicht analysiert und somit nicht überwacht werden können.
- 16. Der Bundesrat hält die Beobachtung des Arzneimittelwirkstoffes Diclofenac in den Gewässern für notwendig. Er spricht sich aber wegen der zurzeit noch nicht abschätzbaren erheblichen Folgekosten für Art und Umfang weiterer Maßnahmen, die geeignet sind, den Eintrag von Diclofenac in die Umwelt zu reduzieren (z.B. "4. Reinigungsstufe"), zum Beispiel dafür aus, Diclofenac aus den Stofflisten in Anhang I und II des Richtlinienvorschlags herauszunehmen und in die Beobachtungsliste zu überführen.
- 17. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Kommission für Diclofenac europaeinheitliche Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung erarbeitet. Der Bundesrat sieht insbesondere bei der Zulassung von Arzneimittelwirkstoffen Handlungsbedarf auf EU-Ebene.
- 18. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass eine differenziertere Darstellung des chemischen Zustands in einer breiter gefächerten Farbskala beispielsweise in Anlehnung an die Regelung in Nr. 1.4.2 des Anhangs V der Richtlinie 2000/60/EG ermöglicht wird.
- 19. Mit der bisher vorgesehenen lediglich 2-stufigen Darstellung des chemischen Zustands ("rotblau"-Regelung) wird der Eindruck vermittelt, dass mit der Überschreitung von UQN ein Gefahrenbereich erreicht sei, was nicht zutrifft und daher Schwierigkeiten in der öffentlichen Darstellung nach sich zieht. Eine Darstellung zum Beispiel in einer 5-stufigen Skala wie in Nr. 1.4.2 des Anhangs V der Richtlinie 2000/60/EG würde eine differenziertere Darstellung des chemischen Zustands ermöglichen und wäre der Komplexität der Materie angemessener.
- 20. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Umweltqualitätsnorm in der Wasserphase für Hexachlorbenzol und Hexachlorbutadien der Richtlinie 2008/105/EG bestehen bleibt. Die Streichung der Umweltqualitätsnorm für die beiden Stoffe in der Wasserphase ist seitens der Kommission nicht eindeutig begründet und verursacht zusätzliche Monitoringkosten.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass Stoffe, die sich als ubiquitäre, persistente, bioakkumulierbare und toxische Stoffe verhalten, aus der Bewertung des chemischen Zustands herausgenommen werden, sofern für einen Stoff die Hintergrundkonzentration im zu beurteilenden Oberflächenwasserkörper über der Umweltqualitätsnorm liegt und es keine signifikanten lokalen Einleitungen oder Einträge im Einzugsgebiet der für den Oberflächenwasserkörper repräsentativen Messstelle gibt.
Das im Richtlinienvorschlag vorgesehene Verfahren führt dazu, dass sich in Deutschland die Oberflächengewässer in der Bewertung des chemischen Zustands massiv verschlechtern, da flächenhaft die Umweltqualitätsnormen selbst in ökologisch einwandfreien Gewässern überschritten werden. Erfolge bei der Minimierung von lokalen Schadstoffeinträgen in die Gewässer würden dadurch verdeckt. Maßnahmen wären schwerer durchsetzbar, da damit keine Verbesserung des chemischen Zustands erreicht werden kann. Eine separate Darstellung der ubiquitären Stoffe ist zur Lösung der Problematik nicht ausreichend.
- 22. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Einführung einer zukünftigen Beobachtungsliste, bittet die Bundesregierung aber darauf hinzuwirken, dass die bisher in Artikel 8b des Richtlinienvorschlags formulierten Anforderungen an die Beobachtung insbesondere im Rahmen der Möglichkeit delegierter Rechtsakte nicht verschärft werden.