Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts KOM (2007) 724 endg., Ratsdok. 15651/07

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Begleitdokument zu der Mitteilung "Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts" Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement KOM (2007) 725 endg., Ratsdok. 15650/07

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 30. November 2007 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 23. November 2007 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 23. November 2007dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 466/04 (PDF) = AE-Nr. 041892 und AE-Nr. 070222

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss UND den Ausschuss der Regionen
Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts KOM (2007) 724 endg.; Ratsdok. 15651/07

1. Einführung

Der Binnenmarkt ist einer der Stützpfeiler der Europäischen Union. Durch ihn ist die Vorstellung vom freien Verkehr für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital zu einer für alle EU-Bürger erfahrbaren Realität geworden1. Der Binnenmarkt hat nicht nur Arbeitsplätze geschaffen und das Wachstum stimuliert, sondern den europäischen Bürgern auch die Möglichkeit verschafft, in einem anderen Land zu leben, zu arbeiten, zu studieren oder ihren Lebensabend zu verbringen. Eineinhalb Millionen Erasmus-Studenten haben die Möglichkeit der EU-weiten Mobilität beispielsweise bereits genutzt. Die Verbraucher haben dem Binnenmarkt ein breiteres Spektrum an Waren und Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen sowie höhere Qualitäts- und Sicherheitsstandards zu verdanken. Für die Unternehmen bedeutet der Binnenmarkt ein einheitliches Regelwerk, das ihnen den Zugang zu einem Markt mit 500 Millionen Verbrauchern eröffnet. Der Binnenmarkt ist von wesentlicher Bedeutung für das reibungslose Funktionieren der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik und vermittelte eine stabile Basis für die Einführung des Euro. Der erweiterte Binnenmarkt hat Europa offener, vielfältiger und wettbewerbsfähiger gemacht und dabei unter Wahrung der sozialen Rechte und im Verein mit der Förderung hoher Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards neue Chancen eröffnet.

Trotz dieser Erfolge verfügt der Binnenmarkt noch über ungenutztes Potenzial und muss den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Im Februar 2007 hat die Kommission ihre Vorstellung vom Binnenmarkt des 21. Jahrhunderts formuliert: ein starker, innovativer und wettbewerbsfähiger Markt mit maximalem Dienstleistungspotenzial, der Verbrauchern und Unternehmern unmittelbar zugute kommt und Europa in die Lage versetzt, besser auf die Globalisierung zu reagieren und sie zu prägen2.

Dieser Bericht zeigt nun auf, wie diese Vision zu realisieren ist. Der Binnenmarkt wird, aufbauend auf seinen vorhandenen starken Fundamenten, neu ausgerichtet, um neuen Herausforderungen - Globalisierung, hohes Innovationstempo, rascher Wandel, Änderungen der gesellschaftlichen und natürlichen Rahmenbedingungen - zu begegnen. Auch weil die EU größer und vielfältiger geworden ist, bedeutet dies:

All dies verlangt nach neuen Arbeitsmethoden und einem vielfältigen Instrumentarium.

Bisher stand die Beseitigung von Hindernissen für grenzübergreifende Tätigkeiten insbesondere im Wege der Rechtsetzung im Mittelpunkt der Bemühungen. Jetzt sollten ein breiteres Spektrum an Instrumenten und ein mehr wirkungsorientierter Ansatz entwickelt werden damit die Märkte dort, wo Verbraucher, Wachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen am meisten profitieren, mehr Wirkung entfalten. Entsprechend den Zielen der "besseren Rechtsetzung" wird der Durchführung und Durchsetzung von Rechtsvorschriften mehr Aufmerksamkeit gewidmet, die Folgenabschätzung wird intensiviert, die jeweils Betroffenen werden eingehender konsultiert, bestehende Rechtsvorschriften werden soweit möglich vereinfacht und unnötiger bürokratischer Aufwand wird reduziert und politische Strategien und Rechtsvorschriften werden systematisch evaluiert. Dies kann jedoch nicht von "Brüssel" allein geleistet werden, denn um erfolgreich zu sein, ist eine größere, stärker diversifizierte EU auf die Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten und die Einbeziehung eines breiteren Spektrums an Akteuren angewiesen.

Der Binnenmarkt ist das Kernelement einer Reihe von EU-Politiken. Durch die Schaffung des Euro um die Jahrhundertwende und seine Einführung in immer mehr Mitgliedstaaten verstärken sich die Wechselwirkungen zwischen dem Binnenmarkt und der Wirtschafts- und Währungsunion. Der Euro hat sich als Stabilitätsanker und treibende Kraft für den Binnenmarktprozess erwiesen, was der EU-Wirtschaft insgesamt und nicht nur dem Euro-Raum zugute gekommen ist. Der Binnenmarkt stimuliert das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in erheblichem Maße und ist somit der Schlüssel für das Erreichen der Ziele der Lissabon-Strategie. Dementsprechend sollten in der nächsten Phase der Strategie, zu der die Kommission im Dezember 2007 Vorschläge unterbreiten wird, Folgemaßnahmen zu dem vorliegenden Bericht erfolgen. Schließlich ist der Binnenmarkt auch ein wichtiger Faktor für die Sozial- und Umweltpolitik und die dabei angestrebten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung.

Der vorliegende Bericht beschreibt einen neuen Ansatz für die Binnenmarktpolitik, enthält aber kein Legislativprogramm im herkömmlichen Sinne. Vielmehr sollen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit unterstützt und zugleich die für die Erhaltung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes erforderliche Rechtssicherheit gewahrt werden. Wie dies geschehen soll, wird im Folgenden zusammenfassend erläutert. Die jeweiligen Einzelheiten finden sich in den zu diesem Bericht gehörigen Dokumenten zu den Themen Marktaufsicht, Binnenmarktinstrumente und Handelsinstrumente. In einem Begleitdokument zum Thema Finanzdienstleistungen für Privatkunden wird eingehend beschrieben, wie der neue Ansatz in diesem wichtigen Bereich angewandt wird. Ergänzend zu diesem Bericht werden zwei Dokumente vorgelegt, die sich zum einen mit der Förderung von Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts und um anderen mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse befassen. Diese drei Dokumente bilden zusammen mit einer Zusammenfassung der Erfolge des Binnenmarktes ein "Paket". Sie sind ein wichtiges Element der Reaktion der Kommission auf die Herausforderungen der Globalisierung in der Mitteilung "Das europäische Interesse: Erfolg im Zeitalter der Globalisierung"3, die die Kommission zum informellen Europäischen Rat vom Oktober 2007 vorgelegt hat.

2. Chancen für die Bürger nutzen

2.1. Verbraucher und KMU stärken

Der Binnenmarkt muss Verbrauchern und KMU mehr greifbare Vorteile bieten - ihren Erwartungen und Befürchtungen ist Rechnung zu tragen. Den Verbrauchern muss Vertrauen vermittelt werden und sie müssen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte in vollem Umfang wahrzunehmen. Marktöffnung und Verbraucherpolitik gehen Hand in Hand. Die Verbraucher können heute in anderen EU-Staaten oder im Internet einkaufen, ohne sich über Zollabgaben oder etwaige zusätzliche MwSt Gedanken machen müssten. Für Lebensmittel und Konsumgüter gelten hohe Standards. Vergleiche werden durch Waren- und Lebensmittelkennzeichnung sowie durch Vorschriften zur Preistransparenz erleichtert. Dem Kaufvertrag nicht entsprechende Waren können zurückgesandt und müssen ersetzt oder repariert werden. Es gibt Rechtsvorschriften gegen unlautere Handelspraktiken und irreführende Werbung. Die Verbraucher können über das Netz der Europäischen Verbraucherzentren (ECC-Net) Beratung und Unterstützung bei grenzübergreifenden Auseinandersetzungen erhalten. Kürzlich hat die Kommission die Erarbeitung einer Charta für Energieverbraucher vorgeschlagen, in der die grundlegenden Verbraucherrechte bei Strom- und Gaslieferungen niedergelegt sind. Auch die rigorose Durchsetzung der EU-Wettbewerbsvorschriften trägt zum Verbraucherschutz bei: So wurden u.a. Kartelle von Rolltreppenherstellern und Bierbrauern zerschlagen, wettbewerbsfeindliche Zusammenschlüsse von Luftverkehrsgesellschaften wurden untersagt, Unternehmen wie Microsoft, Telefonica, Deutsche Telekom und Wanadoo wurden verpflichtet, den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellungen zu beenden und es wird durch Kontrollen dafür gesorgt dass staatliche Beihilfen korrekt eingesetzt werden. All dies hat zu reibungsloser funktionierenden und innovativeren Märkten mit besseren Waren und Dienstleistungen zu günstigeren Preisen beigetragen,

Es muss aber noch mehr geschehen. Im Mittelpunkt des Binnenmarktes müssen auch künftig diejenigen Bereiche stehen, die den Alltag der Verbraucher betreffen - u.a. Energie,

Telekommunikation, Finanzdienstleistungen für Privatkunden sowie Groß- und Einzelhandel.

Der Mangel an wirksamem Wettbewerb und die Zersplitterung der Märkte - zum Teil durch die Unterschiede des nationalen Verbrauchervertragsrechts bedingt - müssen angegangen werden um dafür zu sorgen, dass die Verbraucher die Vorteile der Marktöffnung tatsächlich nutzen und besser begreifen können, was der Binnenmarkt für sie bedeuten kann. Maßnahmen auf EU-Ebene zur Schulung der Verbraucher und zur Stärkung ihrer Stellung, beispielsweise im Bereich der Finanzdienstleistungen für Privatkunden, können Produktivität und Effizienz stimulieren. Zwar gibt es inzwischen Rechtsvorschriften für den elektronischen Handel, aber auch auf diesem Gebiet kann noch mehr getan werden, damit die Verbraucher die durch das Internet gebotenen Möglichkeiten wirklich nutzen können.

Der Binnenmarkt muss insbesondere in Bereichen wie der Produkt- und Lebensmittelsicherheit hohe Standards wahren. Es wird daran gearbeitet, das Management der Produktmärkte zu verbessern, beispielsweise durch strengere Marktüberwachung und bessere Koordination der Zulassungs-, Zertifizierungs- und Überwachungseinrichtungen. Dies dürfte auch zur Sensibilisierung für die CE-Kennzeichnung

von Produkten und somit zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher vor unsicheren Produkten beitragen. Nicht nur Waren sollten sicher und von guter Qualität sein, sondern auch Dienstleistungen. Es muss noch weiter darüber nachgedacht werden, wie Sicherheit und Qualität im Dienstleistungssektor am besten gewährleistet und kommuniziert werden können.

Darüber hinaus bedürfen die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Unternehmen im Binnenmarkt der ständigen Verbesserung. Anders als Großunternehmen, die die Chancen des Binnenmarktes sehr gut genutzt haben, stellt sich der Binnenmarkt für kleine und mittlere Unternehmen häufig als zersplittert und schwer zugänglich dar. Zusätzlich tragen die Sprachenvielfalt in Europa sowie die unterschiedlichen Kulturen und Verbraucherpräferenzen - eigentlich ein unschätzbarer Wert und eine Quelle von Innovation - dazu bei, dass der Binnenmarkt für KMU unübersichtlich ist. Unterschiedliche Ansätze im Steuerrecht und die einer einstimmigen Unterstützung gemeinsamer Ansätze in Steuerfragen entgegenstehenden Schwierigkeiten können sich ebenfalls hemmend auf die Tätigkeit von KMU im Binnenmarkt auswirken. Auch wenn in den letzten Jahren in allen Teilen der EU die Gründung von Unternehmen einfacher geworden ist und dafür weniger Zeit als früher aufzuwenden ist, muss mehr dafür getan werden, dass KMU leichter Zugang zum Binnenmarkt erhalten, dass sie leichter wachsen können und dass sie ihr Unternehmenspotenzial besser ausschöpfen können.

Die Kommission wird alle Akteure im Hinblick auf weitere Initiativen konsultieren, mit denen der Binnenmarkt mehr auf die Erfordernisse der heutigen KMU zugeschnitten werden soll.

2.2. Die Globalisierung für Europa nutzbar machen

Die Globalisierung löst in hervorragender Weise Dynamik und Veränderung aus. Der Binnenmarkt ist Europas Trumpf, wenn es darum geht, die Früchte der Globalisierung zu ernten: Er ermöglicht es den EU-Bürgern, in Form niedrigerer Preise und größerer Auswahl von der Öffnung des Weltmarkts zu profitieren. Er veranlasst Firmen zu Effizienzsteigerung und Innovation und hilft ihnen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, damit sie sich den globalen Märkten widmen können. Er macht die EU für Investoren und Unternehmen aus aller Welt attraktiver. Er verschafft der EU weltweit eine Führungsrolle beim Setzen von Maßstäben und beim Zusammenführen von Regelungen, was den EU-Ausfuhren zugute kommt und dafür sorgt, dass die Einfuhren nicht nur einschlägige Standards erfüllen, sondern auch die EU-Bürger wirksam schützen.

EU und Mitgliedstaaten haben bei der Entwicklung des EU-Rechts gemeinsam daran gearbeitet ihre unterschiedlichen Ansätze miteinander zu vereinbaren und eine richtige Mischung zu finden, die den Handel zum Erblühen bringt, zugleich aber auch Rechts-, Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards Rechnung trägt. Die EU verfügt daher über moderne innovative Regelungen und Aufsichtsinstrumentarien, mit denen sie in vielen Bereichen - etwa Produktsicherheit, Nahrungsmittelsicherheit, Umweltschutz, öffentliches Auftragswesen, Finanzvorschriften und Rechnungswesen - weltweit Maßstäbe setzt. Der GSM-Standard wird inzwischen weltweit von fast zweieinhalb Milliarden Mobiltelefonkunden genutzt. Die EU hat neue Regelungen für den Handel mit CO₂-Emissionen sowie im Bereich der Luftverkehrssicherheit und von Chemikalien erlassen, die allmählich in der ganzen Welt übernommen werden. Weltweite Wirkung hat auch das EU-Wettbewerbsrecht, das es der Kommission unabhängig von der Nationalität der betroffenen Unternehmen ermöglicht, gegen Kartelle, wettbewerbswidrige Unternehmenszusammenschlüsse und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen zulasten der europäischen Verbraucher und Unternehmen vorzugehen. Die internationalen Rahmenbedingungen sind in einem raschen Wandel begriffen. Bei vielen Herausforderungen ist in zunehmendem Maße weltweit koordiniertes Handeln gefragt - ob es nun um die Bekämpfung des Klimawandels geht oder den Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie.

Derzeit ist ein neuer internationaler Ansatz zur Zusammenarbeit bei der Regelsetzung sowie in Bezug auf Normenkonvergenz und Gleichwertigkeit von Regeln im Entstehen. Dieser Ansatz sollte im beiderseitigen Interesse der EU und ihrer Partner weiterentwickelt werden, was anstelle einer Nivellierung nach unten der Einigung auf möglichst hohem Niveau dienlich ist.

Um dies zu bewerkstelligen, ist von drei grundlegenden Forderungen der Agenda für ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt4 auszugehen.

Diesem Bericht wird ein Dokument zur externen Dimension des Binnenmarktes beigegeben, in dem detaillierter dargelegt wird, in welcher Weise das Binnenmarktinstrumentarium angepasst werden sollte, um den sich wandelnden internationalen Rahmenbedingungen zu entsprechen.

2.3. Neue Grenzen: Wissen und Innovation

Der ursprünglich für eine auf Erzeugnisse der Landwirtschaft und des verarbeitenden Gewerbes konzipierte Binnenmarkt muss den Erfordernissen einer offenen, integrierten, wissensbasierten und dienstleistungsorientierten Wirtschaft angepasst werden.

Dienstleistungen sind heutzutage der dominierende Faktor in der Wirtschaft: 70 % des BIP, 68 % der Beschäftigten und 96 % der neugeschaffenen Arbeitsplätze in der EU entfallen auf den Dienstleistungssektor, aber nur 20 % des innergemeinschaftlichen Handels. Daran zeigt sich dass Dienstleistungen häufig einen lokalen Bezug aufweisen und dass der Kunde eine gewisse räumliche Nähe zum Dienstleistungserbringer sucht. Daran zeigt sich aber auch die Notwendigkeit, im Dienstleistungssektor ein größeres Potenzial auszuschöpfen, Hindernisse zu beseitigen und den Wettbewerb zu intensivieren. Dass noch ungenutztes Potenzial vorhanden ist, zeigt sich auch daran, dass nur 6 % der EU-Bürger im Ausland elektronische Einkäufe tätigen.

In diesem Bereich wird viel getan. Die Erbringung von Dienstleistungen über die innergemeinschaftlichen Grenzen hinweg dürfte mit der Durchführung der bis Ende 2009 in innerstaatliches Recht umzusetzenden Dienstleistungsrichtlinie einen Schub bekommen. Auch die Initiativen in Bezug auf netzgebundene Wirtschaftszweige - Energie, Telekommunikation, Postdienstleistungen, Verkehr - werden Wirkung zeigen, wenn die betreffenden Regelungen erst einmal in vollem Umfang durchgeführt sind. So kamen beispielsweise Bürger und Unternehmen dank der vereinheitlichten europäischen Regelungen im Bereich der Telekommunikation in den Genuss niedrigerer Preise, größerer Auswahl und innovativer Dienste. Die Umlenkung von staatlichen Beihilfen hin zu Querschnittszielen wie Innovation und Wissen dürfte ebenfalls zur Nutzung von Binnenmarktpotenzial beitragen.

Allerdings kann noch mehr getan werden: Beispielsweise sollten Bürger, Unternehmen und Behörden in die Lage versetzt werden, durch Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien neue Möglichkeiten in der ganzen EU zu nutzen. Diese Technologien sind für ein reibungsloses Funktionieren des "E-Binnenmarkts", in dem interoperable Dienstleistungen wie elektronische Rechnungstellung, elektronische Beschaffung und elektronischer Zoll möglich sind, von wesentlicher Bedeutung. Die rasche Entwicklung dieser Technologien birgt das Risiko in sich, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche bzw. inkompatible Regelungen erlassen, sodass die Endnutzer auf neue elektronische Hindernisse stoßen. Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssen zusammenarbeiten und ihre Anstrengungen verdoppeln, um ein Zersplitterung des Marktes zu verhindern und gemeinsame Lösungen in Bezug auf die Informations- und Kommunikationstechnologie zu unterstützen.

Es bedarf weiterer Anstrengungen zur Förderung des freien Verkehrs von Wissen und Innovationen als einer "fünften Freiheit" im Binnenmarkt. Der Binnenmarkt kann eine Plattform zur Stimulierung von Innovationen in Europa sein. Er ist der Verbreitung neuer Technologien in der EU förderlich und bietet sich zur Schaffung virtueller und realer Netze geradezu an. Damit wird die Entwicklung eines hochentwickelten Logistiksektors gefördert, der ein integriertes Management von Waren-, Energie-, Informations- und Dienstleistungsströmen sowie der Personenbeförderung ermöglicht. Die Mobilität von Arbeitnehmern, Forschern und Studenten im Binnenmarkt erleichtert zudem den Austausch von Wissen. Nachstehend ist eine Reihe von Initiativen zur Stimulierung des Binnenmarktes für Wissen und Innovation aufgeführt.

2.4. Soziale, ökologische und Kohäsions-Dimension

Die Öffnung der Märkte und die wirtschaftliche Integration haben soziale und ökologische Auswirkungen, denen sowohl in Europa als auch in der übrigen Welt Rechnung getragen werden muss. Dafür bedarf es einer besseren Abschätzung der Auswirkungen von Entscheidungen und einer besseren kollektiven Fähigkeit, mit der stärkeren Öffnung und mit technologischen Entwicklungen verbundene Änderungen zu antizipieren, zu fördern und zu bewältigen. Dafür ist es auch erforderlich, dass die Marktpreise die realen Kosten für die Gesellschaft und die Umwelt widerspiegeln und dass die Bürger mehr für die Auswirkungen ihrer Entscheidungen als Verbraucher auf Gesellschaft und Umwelt sensibilisiert werden.

Diese Prioritäten sind von wesentlicher Bedeutung für die langfristige Lebensfähigkeit des Binnenmarktes und bilden daher den Kern der Strategie für nachhaltige Entwicklung, damit die Vorteile einer offeneren Welt den Menschen in ausgewogenerer Weise zugute kommen und an künftige Generationen weitergegeben werden.

Die Entwicklung des Binnenmarktes ging mit der Europäischen Sozialagenda Hand in Hand.

Die in Artikel 2 des Reformvertrags ausdrücklich genannten gemeinsamen Rechte und Werte sowie der sozialpolitische Besitzstand der Gemeinschaft zeugen von der Verpflichtung, in einer Reihe von sozialpolitischen Bereichen auf europäischer Ebene tätig zu werden.

Mit Unterstützung durch die Strukturfonds bringt die EU-Kohäsionspolitik Bürger und Unternehmen in wirtschaftlicher, sozialer und räumlicher Hinsicht einander näher und trägt damit dazu bei, das volle Potenzial des Binnenmarktes freizusetzen. Diese Politik hat dazu beigetragen dass der Binnenmarkt allen Regionen der Union zugute kommt, sodass die Vorteile der Öffnung vielen zugute kommen und mögliche nachteilige Wirkungen der Anpassung abgefedert werden.

Die Gesellschaften in Europa sind in einem raschen Wandel begriffen. Der technische Fortschritt und die Globalisierung wirken sich auf die Lebens- und Arbeitsweise der Europäer aus - ihnen eröffnen sich neue Möglichkeiten in Bezug auf Arbeitsplätze, berufliche Entwicklung und Dienstleistungen, gleichzeitig werden aber neue Fähigkeiten verlangt und der Wandel schreitet immer rascher voran. Die Mobilitätsmuster innerhalb der EU haben durch den Binnenmarkt einen Wandel erfahren. Einigen Arbeitnehmern bereitet die Anpassung Schwierigkeiten und sie sehen in der ganzen Entwicklung eine Bedrohung, insbesondere dann, wenn ihre engere Umgebung betroffen ist. Diese Sorgen sind legitim und müssen ernst genommen werden. Die Rechte der Arbeitnehmer müssen garantiert bleiben und gleiche Bedingungen sind insbesondere durch eine korrekte Anwendung des EU-Arbeitsrechts zu wahren.

Eine stärkere Berücksichtigung der Umweltdimension ist nicht nur um ihrer selbst willen wichtig sondern kann auch zahlreiche neue Chancen hervorbringen. In der Umweltindustrie sind bereits mehr Menschen beschäftigt als in der Kraftfahrzeug- oder der Pharmaindustrie.

Die Entschlossenheit der EU, zu handeln und ihre Standards weltweit voranzubringen, wird ihr bei der Einführung neuer Technologien und der Schaffung neuer Arbeitsplätze einen Vorsprung verschaffen. Die Erfahrungen der EU bei der Bekämpfung des Klimawandels, beispielsweise durch die Förderung der Erzeugung von Waren und Dienstleistungen mit geringem Kohlenstoffeinsatz, haben weltweit Vorbildcharakter - damit werden Maßstäbe gesetzt und neue Exportmärkte geschaffen.

3. Den Binnenmarkt zum Erfolg führen

Der Binnenmarkt kann nur erfolgreich sein, wenn er den sich wandelnden Bedingungen angepasst wird und neue Ansätze zum Tragen kommen. Dies ist in der größeren und vielfältigeren EU umso wichtiger. Alle Verwaltungs- und Aufsichtsebenen sind gemeinsam für das Funktionieren des Binnenmarktes verantwortlich. Der Binnenmarkt ist auf Vertrauen gegründet und dieses Vertrauen kann durch enge Verwaltungszusammenarbeit und verbesserte Information gefördert und gestärkt werden. Es bedarf einer erneuerten Partnerschaft, damit der Binnenmarkt sein Potenzial entfalten kann.

3.1. Stärker faktengestützte und wirkungsorientierte Steuerung des Binnenmarktes

Die EU sollte sich auf die wichtigsten Bereiche konzentrieren und dort tätig werden, wo die Märkte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen und EU-Maßnahmen die größte Wirkung haben. Dazu müssen alle Akteure ihren Beitrag leisten, um Marktentwicklungen zu erfassen Probleme festzustellen, Handlungsbedarf einzuschätzen und Rückmeldungen von der Basis einzuholen. Ein gutes Beispiel sind hier die Bemühungen um eine Verbesserung des Funktionierens der Gas- und Strommärkte.

Die Kommission und die Behörden der Mitgliedstaaten verfügen über umfassende Erfahrungen bei der Marktaufsicht und der Überwachung von Wirtschaftszweigen. Die einschlägigen Fähigkeiten müssen weiterentwickelt werden. Sektorspezifische Untersuchungen zum Wettbewerb, Ermittlung von Leitmärkten und Entwicklung von gemeinsamen Technologieinitiativen tragen in erheblichem Maße dazu bei. Allerdings muss in vielen Bereichen durch wirksames Feedback über das Funktionieren des Binnenmarktes in der Praxis noch für eine bessere Kenntnis der Fakten gesorgt werden. Auch den Verbrauchern, den KMU und der globalen Dimension sowie den Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt ist mehr Rechnung zu tragen.

3.2. Besser abgestimmtes Instrumentarium und bessere Rechtsdurchsetzung

Um den Binnenmarkt voranzubringen, muss die Kommission einen "intelligenteren Mix" von Instrumenten einsetzen, die sowohl einfach zu handhaben sind als auch den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie den einzelnen nationalen Traditionen in vollem Umfang Rechnung tragen.

Bürger und Unternehmen benötigen Rechtssicherheit, um vertrauensvoll grenzübergreifende Aktivitäten tätigen zu können. In manchen Bereichen sind daher auch künftig Rechtsvorschriften notwendig, aber nicht in jedem Falle - manchmal wären sie vielleicht auch nicht angemessen, etwa dann, wenn die Hemmnisse für das Funktionieren des Binnenmarktes nicht in erster Linie rechtlich, sondern eher verhaltens- oder institutionell bedingt sind.

Gerade auch wegen der Vielfalt in der EU bedarf es einfacher Rechtsvorschriften. In der Praxis werden daher die besten Ergebnisse häufig mit einer Mischung von Instrumenten aus verschiedenen Bereichen (z.B. Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften) erzielt, wobei rechtsverbindliche Instrumente und weniger verbindliche Instrumente wie Leitlinien, Selbstregulierung, Schulung oder Förderung einander ergänzen. Auch die von den Binnenmarkt-Maßnahmen Betroffenen müssen stärker einbezogen und konsultiert werden.

Wichtige Vorschläge werden auch künftig einer strengen Folgenabschätzung unterzogen. Die Kommission ist entschlossen, EU-Regelungen zurückzunehmen, wenn sie offensichtlich überflüssig sind oder wenn die angestrebten Wirkungen nicht mehr erzielt werden, unabhängig davon, ob dies auf Entwicklungen des Marktes oder auf Maßnahmen auf lokaler, regionaler nationaler oder globaler Ebene zurückzuführen ist.

Die Durchführung und Durchsetzung der Binnenmarktregeln in der gesamten EU ist von fundamentaler Bedeutung. Der Binnenmarkt wird keinen konkreten Nutzen haben, wenn das Gemeinschaftsrecht nicht korrekt angewandt wird oder wenn die geschaffenen Rechte nicht in zufriedenstellender Weise gewahrt und Rechtsmittel nicht gewährleistet werden. Es wird weiter an einer besseren Anwendung des Gemeinschaftsrechts gearbeitet, damit Bürger, Verbraucher und Unternehmen die Binnenmarktregeln verstehen und wirksam nutzen können.

3.3. Stärkere Dezentralisierung und Nutzung von Netzen

Um den Binnenmarkt müssen sich Behörden und Akteure auf allen Ebenen der EU kümmern.

Sie müssen zusammen darauf hinwirken, dass die Binnenmarktregeln nicht nur bekannt sind, sondern auch verstanden, angewandt und durchgesetzt werden. Der Schlüssel für einen wirksamen Binnenmarkt liegt in der Stärkung der Eigenverantwortung und des gegenseitigen Vertrauens, wozu es neuer Arbeitsbeziehungen und Ansätze bedarf.

Die Erfahrungen in einigen Mitgliedstaaten haben gezeigt, dass die Einrichtung von "Binnenmarktzentren" zur Koordinierung der jeweiligen nationalen Bemühungen um ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes viel bewirken kann. Auf EU-Ebene zeigt das Beispiel des Europäischen Wettbewerbsnetzes, wie eine Vernetzung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission für eine wirksame und kohärente Anwendung des Gemeinschaftsrechts sorgen kann. Die EU kann auch in der Weise zum Austausch von Informationen und Personal zwischen den nationalen Verwaltungen beitragen wie dies im Bereich des Zolls und im Rahmen des "Consumer Enforcement

Network" geschieht. In vielen Bereichen können Zusammenarbeit, Vernetzung und Erfahrungsaustausch zwischen den Verwaltungs-, Justiz- und Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten sowie dem Gemeinschaftsgesetzgeber noch verstärkt werden.

3.4. Leichter zugängliche und bessere Informationen

Es kann wesentlich mehr getan werden, um die Kommunikation zu verbessern und die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten des Binnenmarktes zu informieren. Bürger,

Unternehmen sowie lokale und regionale Behörden müssen Zugang zu entsprechenden Informationen haben und die Regeln verstehen, um die durch den Binnenmarkt eröffneten Chancen nutzen zu können. Auch für die Partner außerhalb der EU sind Vorschriftentransparenz und einfacher Zugang zu Informationen von besonderer Bedeutung.

Die Mitgliedstaaten werden ermutigt, ihre Binnenmarkt-Kommunikation zu intensivieren und Informationsquellen in stärkerem Umfang öffentlich bekanntzumachen. Die Kommission wird diese Bemühungen unterstützen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden die Kommunikationsaktivitäten verstärkt: ein Pilotprojekt mit "Binnenmarkt-Botschaftern" ist angelaufen und es wird daran gearbeitet, die verschiedenen Binnenmarkt-Unterstützungsdienste der EU über ein einziges Webportal zugänglich zu machen. Dies ergänzt die laufenden umfassenden Arbeiten der Kommission und der Mitgliedstaaten zur Informationsvermittlung und Problemlösung für Bürger und Unternehmen.

4. Fazit

Der Binnenmarkt ist einer der größten konkreten Erfolge der EU und kann ihr helfen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Ein offener, integrierter und wettbewerbsfähiger Binnenmarkt stimuliert Wirtschaftswachstum und gesunde Handelsbeziehungen, eröffnet Chancen und schafft Arbeitsplätze. Er befördert die europäischen Interessen und Werte im Zeitalter der Globalisierung und geht mit einem effektiven universellen Zugang zu Schlüsseldienstleistungen, mit hohen sozial- und umweltpolitischen Standards sowie mit hohen Investitionen in Forschung und Bildung einher.

Als gemeinsames Unternehmen aller Akteure und sämtlicher staatlicher Ebenen wird der Binnenmarkt zeigen, was Europa für seine Bürger konkret bedeuten kann.

Die Kommission ersucht daher das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen um

Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss UND den Ausschuss der Regionen

Begleitdokument zu der Mitteilung "Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts"

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen:


Europas neues Engagement
KOM (2007) 725 endg.; Ratsdok. 15650/07

1. Einführung

Die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf ein Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse, das dem Vertrag von Lissabon beigefügt werden soll, ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem transparenten, soliden EU-Rahmen auf diesem Gebiet. Der neue Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird auch einen neuen Artikel 141 beinhalten, in dem die gemeinsame Verantwortung der Union und der Mitgliedstaaten herausgestellt wird und der der EU eine Rechtsgrundlage liefert, um tätig werden zu können.

Vorausgegangen war eine nahezu zehnjährige Debatte über die Zuständigkeiten der EU und darüber ob die EU einen übergeordneten Rahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erlassen soll oder nicht. Diese Debatte führte letztlich - insbesondere nach Erscheinen des Weißbuchs der Kommission im Jahr 20042 und der Stellungnahme des Parlaments aus dem Jahr 20063 - zu einem weitgehenden Konsens über die Rolle und das prinzipielle Vorgehen der EU bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Es besteht allgemein Einigkeit darin, dass quer durch alle Politikfelder der EU hindurch für Rechtssicherheit und Kohärenz gesorgt werden muss, ohne dabei die sektorspezifischen Besonderheiten und unterschiedlichen Gegebenheiten aus den Augen zu verlieren. Ebenso unumstritten ist, dass Wahrnehmung und Verständnis der EU-Vorschriften in der Öffentlichkeit noch verbessert werden müssen. Das Protokoll bringt Klarheit und Sicherheit in das EU-Regelwerk, indem es die Rolle der Union definiert.

Die vorliegende Mitteilung beschreibt die Debatte aus der Sicht der Kommission unter besonderer Berücksichtigung der Entschließung des Parlaments und des Vertrags von Lissabon. Sie nimmt überdies Bezug auf die 2006 eingeleitete öffentliche Anhörung zu Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse.

2. Die Rolle der Eu: Gemeinsame Regeln schaffen und dabei die Vielfalt wahren

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse decken ein breites Spektrum von Tätigkeiten ab, das von den Leistungen großer netzgebundener Branchen wie Energiewirtschaft, Telekommunikation, Verkehr, Hörfunk und Fernsehen und Postdiensten bis hin zu den Leistungen des Bildungssektors, der Wasser- und Abfallwirtschaft und des Gesundheits- und Sozialwesens reicht. Diese Dienstleistungen sind für den Alltag der Bürger und die tägliche Arbeit der Unternehmen unverzichtbar und sind Ausdruck des europäischen Sozialmodells.

Sie tragen wesentlich zur Sicherung des sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalts in der Union bei und sind ein wichtiger Faktor in dem Bestreben, das Beschäftigungsniveau, die soziale Eingliederung, das Wirtschaftswachstum und den Umweltschutz in der EU nachhaltig zu verbessern.

Auch wenn Umfang und Organisation der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse entsprechend den unterschiedlichen Traditionen und Gepflogenheiten in Bezug auf staatliche Eingriffe stark variieren, sind damit in der Regel alle wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen gemeint, die von staatlichen Stellen im Interesse der Allgemeinheit erbracht und von ihnen daher mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden. Dies bedeutet, dass in erster Linie der Staat auf der jeweils zuständigen Ebene über Wesen und Umfang einer Dienstleistung von allgemeinen Interesse zu entscheiden hat. Der Staat kann beschließen, die Dienstleistungen selbst zu erbringen, oder er kann diese Aufgabe anderen Einrichtungen, gleich, ob öffentlicher oder privater Natur oder mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht, übertragen.

Die Dienstleister müssen sich ihrerseits an die Vorschriften des EG-Vertrags und, sofern vorhanden des abgeleiteten EU-Rechts halten. Einige netzgebundene Branchen, die gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen, unterliegen wegen ihrer EU-weiten Bedeutung außerdem sektorspezifischen EU-Richtlinien. Gemeinsam mit den nationalen, regionalen und lokalen Behörden hat die EU daher Aufgabe, die Grundsätze und Bedingungen für die Erbringung eines breit gefächerten Spektrums von Dienstleistungen mitzugestalten. Diese gemeinsame Verantwortung geht aus dem EG-Vertrag hervor und wird in dem Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse, das dem Vertrag von Lissabon beigefügt werden soll, noch einmal besonders hervorgehoben.

2.1. Handlungsspektrum der EU

Die EU wird im Rahmen der ihr vom Vertrag zugewiesenen Befugnisse in dem Maße tätig, wie dies erforderlich ist. Dies gebieten das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie respektiert die Situationsvielfalt in den Mitgliedstaaten und die jeweilige Rolle der Zentralregierungen, Regionen und Kommunen, die für das Wohlergehen ihrer Bürger sorgen und den sozialen Zusammenhalt fördern und zugleich demokratische Entscheidungen über beispielsweise die Qualität der Dienstleistungen garantieren müssen.

Mit dem Protokoll wird erstmals der Begriff der Dienste von allgemeinen Interesse in das primäre EU-Recht eingeführt; gegenwärtig ist im EG-Vertrag lediglich von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse die Rede. Um die derzeitige EU-Regelung zu veranschaulichen lassen sich zwei Kategorien von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unterscheiden:

Eine häufig gestellte Frage lautet, wie sich wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Dienstleistungen voneinander abgrenzen lassen. Eine Pauschalantwort hierauf gibt es nicht; vielmehr muss auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt werden. Oft haben die Dienstleistungen ihre ganz besonderen Merkmale, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat, ja selbst von Gemeinde zu Gemeinde variieren können, und auch die Art ihrer Erbringung ist als Folge neuer wirtschaftlicher, sozialer und institutioneller Entwicklungen wie etwa Veränderungen im Verbraucherverhalten und in der Technik, Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen oder Übertragung von Zuständigkeiten auf die lokale Ebene einem steten Wandel unterworfen.

Der Gerichtshof kam in Bezug auf die wettbewerbsrechtlichen Aspekte der Erbringung einer Dienstleistung zu dem Schluss, dass weder der Sektor noch die rechtliche Stellung eines Dienstleisters (öffentliches oder privatwirtschaftliches Unternehmen,

Unternehmensvereinigung oder Teil der öffentlichen Verwaltung) noch der Finanzierungsmodus darüber entscheiden, ob dessen Tätigkeiten wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur sind. Maßgebend ist vielmehr die Art der eigentlichen Tätigkeit.

Zum Zwecke ihrer Abgrenzung bedient sich der Gerichthof einer Reihe von Kriterien, die sich auf die Bedingungen beziehen, unter denen die fragliche Dienstleistung erbracht wird, etwa Bestehen eines Marktes oder staatlicher Privilegien oder Verpflichtung zur Erbringung von Solidarleistungen. In der Praxis heißt dies, dass ein und dasselbe Gebilde sowohl wirtschaftliche als auch nichtwirtschaftliche Tätigkeiten ausüben und somit für einen Teil seiner Tätigkeiten - und nur für diesen - den Wettbewerbsregeln unterliegen kann. So hat der Gerichtshof beispielsweise entschieden, dass eine Einrichtung einerseits Verwaltungsaufgaben ohne wirtschaftlichen Hintergrund, darunter die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben, erfüllen und andererseits rein kommerzielle Tätigkeiten verfolgen kann5. Eine Einrichtung kann auch gemeinnützige Zwecke verfolgen und zugleich mit seinen Finanzdienstleistungen oder Immobiliengeschäften, selbst wenn diese ohne Gewinnerzielungsabsicht getätigt werden, mit anderen Anbietern konkurrieren6. Dieser praxisbezogene Ansatz setzt somit voraus, dass jede Tätigkeit einer gesonderten Prüfung unterzogen wird7.

Damit eine bestimmte Dienstleistung als wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft wird, auf die die Binnenmarktvorschriften Anwendung finden (freier Dienstleistungsverkehr und Niederlassungsfreiheit), muss sie gegen Entgelt erbracht werden. Das Entgelt muss jedoch nicht unbedingt von den Nutznießern der Tätigkeit entrichtet werden. Der wirtschaftliche Charakter einer Dienstleistung hängt nicht von der Rechtsstellung des Dienstleisters (der beispielsweise eine Einrichtung ohne Erwerbszweck sein kann) und auch nicht von der Art der Dienstleistung ab, sondern vielmehr davon, wie eine ganz bestimmte Tätigkeit ausgeführt, organisiert und finanziert wird. In der Praxis heißt dies, dass abgesehen von den Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung öffentlicher Gewalt, auf die gemäß Artikel 45 EGV die Binnenmarktvorschriften keine Anwendung finden, die überwiegende Mehrheit der Dienstleistungen als "wirtschaftliche Tätigkeiten" im Sinne der Binnenmarktvorschriften des EG-Vertrags (Artikel 43 und 49) zu betrachten sind.

Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren auch die Situation der Sozialdienstleistungen erörtert. Sozialdienstleistungen können je nach Art der betreffenden Tätigkeit wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur sein. Der Begriff der Sozialdienstleistung ist zwar nicht definiert, doch wurden in der Kommissionsmitteilung von 2006 zwei große Kategorien von Sozialdienstleistungen ausgemacht: erstens gesetzliche und ergänzende Systeme der sozialen Sicherung, die unterschiedlich organisiert sind (betriebliche oder auf Gegenseitigkeit beruhende Systeme) und elementare Lebensrisiken, etwa in Bezug auf Gesundheit, Alter, Arbeitsunfälle, Arbeitslosigkeit, Ruhestand und Behinderungen, absichern und zweitens sonstige unmittelbar zugunsten des Einzelnen erbrachte Dienstleistungen wie Maßnahmen im Rahmen der soziale Fürsorge, Arbeitsvermittlungs- und

Fortbildungsmaßnahmen, Bereitstellung von Sozialwohnungen oder langfristige Pflegeleistungen. Diese Dienstleistungen werden normalerweise auf lokaler Ebene erbracht und sind massiv auf öffentliche Gelder angewiesen.

2.2. Das Prinzip: Sicherung der Interessen der Allgemeinheit vor dem Hintergrund des Binnenmarktes

Besitzt eine Dienstleistung von allgemeinem Interesse wirtschaftlichen Charakter, unterliegt sie den Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften. Daher ist die Frage zulässig, ob die uneingeschränkte Anwendung dieser Regeln mit der Erfüllung der ihr übertragenen besonderen Aufgabe von allgemeinem Interesse vereinbar ist. Im EG-Vertrag ist dieser Sachverhalt in Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag und der dazugehörigen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof geregelt8. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unterliegen dem zufolge grundsätzlich den Bestimmungen des EG-Vertrages. Sofern allerdings die Anwendung dieser Bestimmungen die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert, können unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmeregeln greifen. Zu diesen Voraussetzungen zählt insbesondere, dass der Ausgleich, der den mit der Erbringung derartiger Leistungen betrauten Unternehmen gewährt wird, verhältnismäßig sein muss.

Die Kommission ist, wie sie in ihrem Weißbuch von 2004 ausgeführt hat, der Auffassung, dass die Schaffung eines offenen, wettbewerbsfähigen Binnenmarktes und die Entwicklung von für jedermann zugänglichen, hochwertigen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu erschwinglichen Preisen Ziele sind, die durchaus miteinander vereinbar sind und einander zuträglich sein sollten. Erfahrungen, beispielsweise im Telekommunikations- und im Verkehrssektor oder auf lokaler Ebene (z.B. bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge), zeigen, dass Märkte, die für den Wettbewerb geöffnet sind, mit dazu beitragen die Dienstleistungen effizienter und billiger machen und das Angebot zu verbreitern. Damit die Entwicklung nicht aus dem Lot gerät, können parallel dazu Sonderregelungen bestehen bleiben. So hat der Gerichtshof beispielsweise nichts gegen die Gewährung ausschließlicher oder besonderer Rechte oder Marktregulierungsmaßnahmen wie die Festlegung von Zulassungsbedingungen einzuwenden, wenn sie durch Gemeinwohlziele gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen9.

Im abgeleiteten Recht wurde der Verfolgung von Gemeinwohlzielen auch in der Dienstleistungsrichtlinie Rechnung getragen10.

Dass die Bereitstellung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und die Entwicklung eines europäischen Binnenmarktes einander nicht ausschließen, beweist vor allem eine Reihe von sektorspezifischen Regelungen, die seit den früheren neunziger Jahren für netzgebundene Wirtschaftszweige wie Telekommunikation, Energie, Verkehr und Postdienste entwickelt wurden auf diese Sektoren entfallen heute allein 7% des BIP und 5% der Gesamtzahl aller Beschäftigen in der EU. Die allmähliche Öffnung dieser Bereiche für den Wettbewerb ging Hand in Hand mit der Definition einer Reihe von einschlägigen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen für jeden Sektor, zu denen Universaldienstleistungen ebenso gehören wie Fragen des Verbraucher- oder Gesundheitsschutzes oder Sicherheitsbelange. Diese sektorbezogenen Rahmen regeln auch den Umfang der staatlichen Regulierungsbefugnisse; eine besondere Rolle spielen dabei die nationalen Regulierungsbehörden. Derzeit werden die sektoralen Regelungen überarbeitet, um sie an die technologische Entwicklung oder globale Herausforderungen wie den Klimawandel anzupassen und den letzten Erweiterungen Rechnung zu tragen, durch die sich das Spektrum möglicher Herangehensweisen an den Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse weiter vergrößert hat.

2.3. Blickpunkt Sozialdienstleistungen

Im April 2006 leitete die Kommission eine umfangreiche Anhörung zum Thema Sozialdienstleistungen ein. Konsultiert wurden Mitgliedstaaten, Dienstleister und Nutzer. Die Anhörung sollte Aufschluss darüber geben, wie diese Dienstleistungen in den EUMitgliedstaaten ausgestaltet sind und welche Erfahrungen die Beteiligten mit der Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften gemacht haben11.

Obwohl es in Bezug auf die Funktion und die Organisation von Sozialdienstleistungen große Unterschiede gibt, wurde bei der Anhörung deutlich, wie wichtig diese Leistungen für die Verwirklichung grundlegender EU-Ziele wie sozialer, wirtschaftlicher und territorialer Zusammenhalt, eine hohe Beschäftigungsrate, soziale Eingliederung und Wirtschaftswachstum sind und wie sehr sie von den Gegebenheiten vor Ort abhängen.

Ziele und Grundsätze der Sozialdienstleistungen Sozialdienstleistungen sollen häufig besondere Ziele erfüllen:

Diese Ziele schlagen sich in der Art und Weise nieder, wie die Dienstleistungen organisiert, konkret erbracht und finanziert werden:

Die Anhörung zeigte auch, dass die Sozialdienstleistungen ausnahmslos einen tiefgreifenden Reformprozess durchlaufen, um besser auf die neuen Herausforderungen wie veränderte Bedürfnisse der europäischen Bürger und Auswirkungen der Überalterung in Zeiten knapper werdender Mittel reagieren zu können. Am Ende dieses Prozesses stehen häufig einschneidende Veränderungen bei der Organisation, der Erbringung und der Finanzierung dieser Dienstleistungen: neue Betätigungsfelder tun sich auf, bislang direkt vom Staat erbrachte Dienstleistungen werden ausgelagert und es werden mehr Zuständigkeiten auf die lokale Ebene verlagert.

Dies führt insgesamt dazu, dass auf eine zunehmende Zahl der tagtäglich von sozialen Einrichtungen erbrachten Leistungen, soweit sie wirtschaftlicher Natur sind, das Gemeinschaftsrecht anwendbar ist. Diese neue Situation hat eine Reihe praktischer Probleme aufgeworfen die Anhörung hat gezeigt, dass das Verständnis und die Anwendung der Vorschriften, vor allem des Beihilferechts und der öffentlichen Vergabevorschriften, bisweilen Schwierigkeiten bereiten. Vor allem den Kommunen und kleineren Dienstleistungserbringern mag es gelegentlich an Kenntnissen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht fehlen, was zu Fehleinschätzungen und fehlerhafter Anwendung von Vorschriften an der Basis führen kann. Gerade im sozialen Bereich sind staatliche und private Dienstleister nicht selten ungenügend über die besonderen Bestimmungen des Artikels 86 Absatz 2 informiert. Bei Berufung auf Artikel 86 Absatz 2 müssen die Mitgliedstaaten nämlich bestimmte Grundvoraussetzungen beachten, die der Gerichtshof im Verlauf seiner Rechtsprechung entwickelt hat und die von der Kommission näher ausgeführt wurden, vor allem in ihren im Anschluss an das Altmark-Urteil verfassten Texten zur Anwendung des Beihilferechts, durch die de facto die Mehrheit aller auf lokaler Ebene erbrachten Dienstleistungen von der Notifizierungspflicht ausgenommen werden. Zu diesen Grundvoraussetzungen zählt unter anderem, dass die zuständige staatliche Stelle dem Dienstleister unter anderem einen klaren Auftrag für die Erfüllung der betreffenden Aufgabe erteilen muss. Die Mitgliedstaaten müssen daher darauf achten, dass bei allen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse inklusive Sozialdienstleistungen die Betrauung mit einer solchen Aufgabe durch einen förmlichen Verwaltungs- oder Rechtsakt erfolgt.

Wie nachstehend ausgeführt, ist die Kommission unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der Zuständigkeiten auf den verschiedenen staatlichen Ebenen gehalten, die geltenden Vorschriften zu erläutern und den Reformprozess, den die Dienstleistungen im sozialen Bereich gerade durchlaufen, zu unterstützen.

2.4. Blickpunkt Gesundheitsversorgung

Leistungen der Gesundheitsfürsorge fallen ebenfalls unter den Oberbegriff der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Artikel 152 des Vertrags stellt klar, dass bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Gesundheitsbereich die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung unangetastet bleiben muss. Parallel zu ihrem Vorstoß bei den Sozialdienstleistungen hat die Kommission vor kurzem eine allgemeine Anhörung über Maßnahmen der Gemeinschaft und etwaige Probleme mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts durchgeführt12. Geplant ist nun - unter gebührender Berücksichtigung der vom Rat im Juni 2006 angenommenen Erklärung zu den "gemeinsamen Werten und Prinzipien" der EU-Gesundheitssysteme - die Vorlage von Vorschlägen, die einen Rahmen für eine sichere, hochwertige und effiziente grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung liefern sollen.

3. Das Protokoll: Kohärenter Rahmen für Eu-Massnahmen

Das Protokoll zu dem von den Staats- und Regierungschefs verabschiedeten Vertrag von Lissabon liefert einen kohärenten übergeordneten Rahmen für Maßnahmen auf EU-Ebene und dient als Bezugspunkt für alle Ebenen staatlichen Handelns. Es bestimmt die Grundsätze und gemeinsamen Werte, die der EU-Politik zugrunde liegen sollen, und verleiht dem Vorgehen der Union bei den Diensten von allgemeinem Interesse die nötige Publizität, Transparenz und Klarheit.

Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse Die Regierungskonferenz vom Oktober 2007 in Lissabon einigte sich auf folgendes Protokoll, das dem Vertrag von Lissabon beigefügt werden soll13:

"Die Hohen Vertragsparteien - in dem Wunsch, die Bedeutung der Dienste von allgemeinem Interesse hervorzuheben, sind über folgende auslegende Bestimmungen übereingekommen, die dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügt sind:

Artikel 1

Zu den gemeinsamen Werten der Union in Bezug auf Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Artikel 14 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zählen insbesondere:

Artikel 2

Die Bestimmungen der Verträge berühren in keiner Weise die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, nichtwirtschaftliche Dienste von allgemeinem Interesse zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren."

Das Protokoll greift auf eine Reihe von überwiegend funktionalen Grundsätzen zurück, nach denen sich die Tätigkeit der EU-Organe und insbesondere der Kommission ausrichten soll:

Bis zum Inkrafttreten des Reformvertrags, durch den die neuen Bestimmungen Rechtskraft erlangen werden Protokoll und Grundsätze der Kommission als Orientierungshilfe dienen, um die Kohärenz und Verhältnismäßigkeit der EU-Politik und -Initiativen zu überprüfen.

4. Blick in die Zukunft

Auf der Grundlage des Protokolls und im Einklang mit der vom Parlament verfolgten Strategie wird die Kommission weiterhin an der Konsolidierung des EU-Rahmens für Dienste von allgemeinem Interesse einschließlich Leistungen im sozialen Bereich und in der Gesundheitsfürsorge arbeiten und gegebenenfalls konkrete Lösungen für konkrete Probleme anbieten. Mit fortschreitender Entwicklung sollte der Schwerpunkt stärker auf die korrekte Umsetzung und Anwendung der EU-Vorschriften verlagert werden, d.h. Beobachtung der konkreten Auswirkungen für Nutzer und Verbraucher, Informationsverbreitung und Austausch über die jeweiligen Verfahrensweisen, Kontrolle der Durchsetzung der Vorschriften und Leistungsbewertung. Die Kommission plant eine Mischung aus sektorspezifischen und problembezogenen Maßnahmen, die sich unter den folgenden drei Oberbegriffen zusammenfassen lassen:

4.1. Klärung allgemeiner Rechtsfragen

Die Kommission ist sich darüber im Klaren, dass die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Fragen aufwerfen kann. In verschiedenen Bereichen wird immer wieder um Klärung oder Erläuterung der EU-Vorschriften nachgesucht. Die Kommission ist Nutzern und Anwendern eine rasche Antwort auf praktische und Auslegungsfragen schuldig. Die Antworten auf die Fragen werden auf einer eigens hierfür eingerichteten Webseite veröffentlicht, auf der die Kommission ihren Standpunkt in regelmäßigen Abständen neu darlegt. Parallel zu dieser Mitteilung werden zur Veranschaulichung eine Reihe von Antworten ins Netz gestellt, die Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen und des Beihilferechts, insbesondere bei den Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse, behandeln14.

Ein interaktiver Informationsdienst Demnächst wird ein eigens zu diesem Zweck eingerichteter interaktiver Online-Dienst für Bürger, Dienstleister, Behörden und sonstige Beteiligte eingerichtet, der sie zum einen informieren und ihnen zum anderen die Möglichkeit bieten soll, direkt Fragen zur Anwendung des EU-Rechts zu stellen. Auf der Webseite der Kommission werden die Antworten auf häufig gestellte Fragen veröffentlicht. Den Anfang werden die im Rahmen der Anhörung zu den Sozialdienstleistungen gestellten Fragen machen.

Die Kommission erhofft sich von diesem Instrument, dass es den Akteuren auf regionaler und lokaler Ebene speziell im Bereich der Sozialdienstleistungen die Sichtweise der Kommission zu den einschlägigen EU-Bestimmungen verständlich macht und dass auf diese Weise mit der Zeit alle in der Praxis auftauchenden relevanten Fragen auf direktem Weg beantwortet werden können.

Entsprechend den Grundsätzen für eine bessere Rechtsetzung sind durch die Entscheidung und den Gemeinschaftsrahmen aus dem Jahr 2005 über staatliche Beihilfen, die in Form von Ausgleichzahlungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden (oft auch als "Altmark-Paket" bezeichnet15), die beihilferechtlichen Vorschriften bereits erheblich vereinfacht worden. Der weitreichende Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Definition der Aufgaben der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse blieb dabei unangetastet.

Die Bestimmungen ermöglichen es den Mitgliedstaaten, durch die Erteilung eines Versorgungsauftrags die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und sämtliche Nettokosten, die den mit der Erfüllung der besonderen Aufgabe betrauten Unternehmen entstehen, auszugleichen. Eine getrennte Buchführung sorgt dabei für Transparenz und verhindert eine Überkompensierung. Ausgleichsbeträge für Dienstleistungen, die diese Voraussetzungen erfüllen müssen der Kommission nicht gemeldet werden, solange die Grenze von 30 Millionen Euro jährlich nicht überschritten wird. Beim sozialen Wohnungsbau und bei Krankenhäusern wird sogar völlig auf eine Obergrenze verzichtet. De facto sind damit die meisten auf kommunaler Ebene erbrachten Leistungen von der Notifizierungspflicht befreit.

Die Kommission wird das Paket evaluieren und Ende 2009 Bericht erstatten und prüfen, ob eine Aktualisierung notwendig ist.

Im Bereich der öffentlichprivaten Partnerschaften und Konzessionen bestehen bzw. ergeben sich nach wie vor eine Reihe von Problemen. Die Kommission wird demnächst eine Mitteilung zu Auslegungsfragen im Bereich institutionalisierter öffentlichprivater Partnerschaften herausgeben, um mehr Klarheit in Bezug auf die anwendbaren Vorschriften zu schaffen. Sie erwägt ferner, auch im Bereich der Konzessionen auf der Grundlage der Ergebnisse einer Folgenabschätzung weitere Schritte zur Klärung der Rechtslage zu unternehmen. Die Kommission wurde ferner aufgefordert, nach dem Inkrafttreten der neuen Richtlinien im Januar 2006 die für das öffentliche Auftragswesen geltenden Vorschriften ausführlicher zu erläutern. Das oben beschriebene Instrumentarium soll seinen Teil dazu beitragen.

All diese Bemühungen reihen sich ein in die als Folge der Binnenmarktuntersuchung eingeleiteten zahlreichen Initiativen zur Erleichterung des Zugangs zur Information und zur Entwicklung von Kommunikationsinstrumenten wie etwa einer EU-Anlaufstelle für Fragen zum Binnenmarkt.

4.2. Reformierung bzw. Entwicklung von sektorspezifischen Maßnahmen

Die Kommission muss ihren sektoralen Ansatz fortsetzen und weiterentwickeln und gegebenenfalls sektorspezifische Maßnahmen vorschlagen, die den besonderen Erfordernissen und Gegebenheiten eines jeden Sektors gerecht werden und in denen die Grundsätze des geplanten Protokolls zum Ausdruck kommen. Für die netzgebundenen Wirtschaftszweige gibt es bereits sektorspezifische Rahmenbestimmungen der Gemeinschaft, die jedoch in einem dynamischen, in stetigem Wandel befindlichen Binnenmarkt in den kommenden Jahren eventuell einer Aktualisierung bedürfen.

Die Kommission wird insbesondere

Strategie zur EU-weiten Sicherung der Qualität von Sozialdienstleistungen

Die Anhörung zum Thema Sozialdienstleistungen hat gezeigt, dass Maßnahmen zur Förderung der Qualität von Dienstleistungen im sozialen Bereich systematischer unterstützt werden müssen. Einige Maßnahmen werden bereits unmittelbar mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds und dem EFRE gefördert. Die offene Koordinierungsmethode im Bereich von Sozialschutz und sozialer Eingliederung liefert einen Handlungsrahmen für die Fortsetzung der Reformen und den Austausch bewährter Verfahrensweisen. Hierauf aufbauend wird die Kommission im Rahmen des Ausschusses für Sozialschutz die Entwicklung eines freiwilligen EU-Qualitätsrahmens mit methodischen Leitlinien für die Festlegung, Überwachung und Bewertung von Qualitätsstandards unterstützen. Über das Programm PROGRESS sollen darüber hinaus von der Basis ausgehende europaweite Initiativen zur Entwicklung von Qualitätsstandards und zur Intensivierung des Erfahrungsaustauschs gefördert werden.

4.3. Überwachung und Evaluierung

Die Kommission hält es im Interesse der Qualität und Transparenz des Entscheidungsprozesses für wichtig, regelmäßig eine ausführliche Evaluierung durchzuführen und deren Methodik und Ergebnisse offenzulegen und sie damit der allgemeinen Kritik auszusetzen. Dies geschieht in der Regel für jeden Sektor einzeln.

Durch die im abschließenden Bericht zur Binnenmarktentwicklung vorgestellten neuen Instrumente der Marktbeobachtung wie etwa das Verbraucherbarometer wird die Evaluierung der Leistungen wieder ein Stück weit verbessert. Seit der Veröffentlichung des Weißbuchs 2004 sind bei der Entwicklung einer sektorübergreifenden Evaluierungsmethode für netzgebundene Wirtschaftszweige auf EU-Ebene Fortschritte gemacht worden. Die Methodik wird derzeit überprüft; die Kommission wird 2008 dazu Verbesserungsvorschläge vorlegen.

Zudem wurde die Kommission aufgefordert, eine umfassende Analyse der bisherigen Auswirkungen der Liberalisierung vorzunehmen und dem Parlament vorzulegen. Die Kommission wird dieses Anliegen mit in ihre methodischen Überlegungen einbeziehen und die verlangte Analyse im Rahmen ihres regelmäßigen Evaluierungsberichts zu den netzgebundenen Dienstleistungen vornehmen.

Sobald der neue Vertrag in Kraft getreten ist, wird die Kommission auch prüfen, welche Fortschritte bei der Anwendung des Protokolls zu verzeichnen sind. Schließlich soll alle zwei Jahre ein Bericht zu sozialen Dienstleistungen herausgegeben werden, der dem Austausch mit den Beteiligten dienen soll.

5. Schlussfolgerung

Die EU befindet sich jetzt, da der Vertrag von Lissabon in Kraft treten soll, in einer entscheidenden Phase, in der hinsichtlich der Maßnahmen, die zu messbaren Ergebnissen für die Europäer führen sollen, Einigkeit bestehen muss. Hierauf wurde bereits in dem Kommissionspapier "Bürgernahe Agenda" abgehoben16.

Die EU verfolgt bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einschließlich Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung einen überwiegend pragmatischen Ansatz, der der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen staatlichen Handelns in der EU und der Verschiedenartigkeit und den Besonderheiten dieser Dienste Rechnung trägt. Wenn sektorspezifische Rahmenbestimmungen erlassen werden, dann deshalb, weil sie für Europa eindeutig einen zusätzlichen Nutzen darstellen. Die Rahmenbestimmungen werden regelmäßig vor dem Hintergrund neuer wirtschaftlicher, sozialer und technologischer Entwicklungen überprüft. Die Anwendung des EU-Rechts wird in Übereinstimmung mit dem Vorschriften des EG-Vertrags überwacht und regelmäßig einer Prüfung unterzogen, um gegebenenfalls neuen Gegebenheiten Rechnung tragen zu können. In als problematisch geltenden Bereichen fand bzw. findet derzeit ein aktiver Konsultationsprozess statt, um herauszufinden wo es Probleme gibt bzw. geben könnte, und um Lösungen zu finden.

Die 2004 durch das Weißbuch ausgelöste Diskussion hat weitreichende Erkenntnisse in Bezug die Rolle der EU bei Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und den Ansatz, den sie dabei verfolgen soll, gebracht. Die anschließende Debatte und die Stellungnahmen der übrigen EU-Organe und Institutionen haben gezeigt, dass trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten ein breiter Konsens in einigen grundsätzlichen Fragen, die das Vorgehen der Union betreffen, besteht. Praktische Erkenntnisse für die Herausarbeitung von Grundprinzipien, die sich auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in ganz Europa anwenden lassen, liefern darüber hinaus die sektorspezifischen Rahmenbestimmungen.

Das Protokoll und die geänderten Bestimmungen im Reformvertrag machen sich die Debatte über dieses Thema und die bisher gewonnenen Erfahrungen zunutze und markieren den Beginn eines neuen europäischen Engagements. Zehn Jahre nach der ersten Mitteilung auf EU-Ebene und drei Jahre nach dem Weißbuch sind sie Ausdruck des in der EU bestehenden breiten Konsenses über Rolle und Zuständigkeiten der EU. Auf die Konsolidierung des EU-Rahmens muss jetzt die praktische Umsetzung folgen. Die Kommission ist fest entschlossen, auf dieser Grundlage im Verbund mit den verschiedenen Ebenen staatlichen Handelns das Ihrige zu tun, um die Verständlichkeit, Kohärenz und Publizität der EU-Vorschriften sicherzustellen damit die Dienste von allgemeinem Interesse ihre Aufgabe erfüllen und mit zur Verbesserung der Lebensqualität der europäischen Bürger beitragen können.