Der Bundesrat hat in seiner 830. Sitzung am 16. Februar 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Wie bereits in der Stellungnahme vom 10. Februar 2006 zum Grünbuch über ein europäisches Programm für den Schutz kritischer Infrastrukturen (BR-Drucksache 851/05(B) ) zum Ausdruck gebracht, begrüßt der Bundesrat grundsätzlich, dass sich die Kommission des Themas kritischer Infrastrukturen annimmt und hierfür einen gemeinsamen Rahmen festlegen will. Das europäische Programm soll einheitliche Sicherheitsstufen gewährleisten, Schwachstellen minimieren und erprobte Verfahren zur Wiederherstellung normaler Verhältnisse bereitstellen. Dabei kann es nicht auf die Ursache eines Schadensereignisses ankommen. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass ein solches Programm sowohl vorsätzliche Angriffe als auch Naturkatastrophen und andere Störfälle umfassen muss, und begrüßt den alle Risiken umfassenden Ansatz.
- 2. Jedoch ist der Bundesrat der Auffassung, dass der Vorschlag für die Richtlinie des Rates in der vorliegenden Fassung nicht akzeptiert werden kann und abzulehnen ist. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung im weiteren Verfahren gegenüber der EU darauf hinzuwirken, den Richtlinienvorschlag abzulehnen.
- 4. Wie bereits mit Beschluss vom 10. Februar 2006 - BR-Drucksache 851/05(B) - zum Ausdruck gebracht, werden über eine Rahmenempfehlung hinausgehende Regelungstatbestände abgelehnt.
- 5. Das Vorgehen zur Einstufung von kritischen EU-Infrastrukturen (EUKI) belastet in Deutschland ebenso wie in den anderen Mitgliedstaaten durch zusätzliche Pflichten und Mehrkosten nicht unerheblich die Wirtschaft. Eine solche, bisher nicht überschaubare Kostenrelevanz einer Richtlinie durch rechtsverbindliche Festlegungen, wie sie vorgesehen sind, lehnt der Bundesrat ab.
- 6. Der Schutz kritischer Infrastrukturen ist auch nach den Grundsätzen des europäischen Programms für den Schutz kritischer Infrastrukturen (EPSKI) zuallererst eine nationale Aufgabe. Die Identifizierung von Verwundbarkeiten und die Einbindung der jeweiligen Betreiber der kritischen Infrastrukturen sowie gegebenenfalls deren Warnung müssen deshalb jeweils auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen. Es besteht kein Bedarf, für diese Zusammenarbeit mit den Betreibern der Infrastrukturen europäische Vorgaben und Verpflichtungen für die Erstellung von Sicherheitsplänen durch die Eigentümer und Betreiber kritischer europäischer Infrastrukturen zu entwickeln. Dies gilt auch insbesondere für die Schaffung zusätzlicher Koordinierungs- bzw. Aufsichtsfunktionen auf der Ebene der Mitgliedstaaten.
- 7. Der Bundesrat befürwortet vielmehr einen europäischen Ansatz, der sich in erster Linie auf einen Erfahrungsaustausch über best practice beim Schutz kritischer Infrastrukturen abstützt. Das Warn- und Informationsnetz für kritische Infrastrukturen (WINKI/CIWIN) sollte vorrangig diesen Informations- und Erfahrungsaustausch der Mitgliedstaaten leisten. Zur Steuerung von Warnmeldungen zu den Infrastrukturen sollten die bereits bestehenden Meldesysteme der EU genutzt werden. Es besteht kein Bedarf, hierfür eine weitere eigenständige Meldestruktur aufzubauen.
- 8. Der Bundesrat teilt die mit dem Richtlinien-Vorschlag zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass der Schutz kritischer Infrastrukturen auf europäischer Ebene der Konzentration auf grenzüberschreitende Aspekte bedarf, die zwei oder mehr Mitgliedstaaten gemeinsam betreffen. Damit wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich bilateraler Zusammenarbeit der Vorrang zu geben ist und flächendeckende EU-weite Ansätze angesichts der unterschiedlichen Betroffenheit der Mitgliedstaaten nicht sachgerecht sind.
- 9. Im Rahmen der europäischen Sicherheitsforschung kommt der Entwicklung innovativer Schutztechnologien für kritische Infrastrukturen wichtige Bedeutung zu.
- 10. Nach Artikel 37 EURATOM-Vertrag befasst sich die Kommission in der hierfür zuständigen Generaldirektion ohnehin bereits mit kerntechnischen Anlagen, deren Betrieb einschließlich möglicher Störfälle Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten haben kann. Es ist daher auch zu bezweifeln, ob Artikel 203 EURATOM-Vertrag für diesen Bereich als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zur Vermeidung von Doppelregelungen und Doppelstrukturen darauf zu dringen, dass in Anhang I der Richtlinie die Atomindustrie ("Sektor II") gestrichen wird, auch soweit sie unter "Sektor I Energie" fällt. Dies entspricht der bisherigen Haltung der Bundesregierung zum Nuklearpaket (Sicherheit kerntechnischer Anlagen, Entsorgung nuklearer Abfälle), wonach rechtsverbindliche Regelungen abgelehnt wurden.
- 11. Die Bundesregierung wird gebeten, diese Position des Bundesrates in den Verhandlungen in der Ratsarbeitsgruppe zu vertreten. Ein ergänzender Beschluss insbesondere auch zu Fragen der Komitologie bleibt vorbehalten.