Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Baden-Württemberg Stuttgart, den 2. August 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Baden-Württembergs hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur wirksamen Minderung und Kontrolle gesundheitlicher Lärmbelastung durch Motorradlärm zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 23 Absatz 3 in Verbindung mit § 15 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Murawski
Entschließung des Bundesrates zur wirksamen Minderung und Kontrolle gesundheitlicher Lärmbelastung durch Motorradlärm
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass Krafträder häufig Verursacher unnötigen gesundheitsschädlichen Verkehrslärms sind. Ursache sind ihre Bauart, lärmsteigernde Bauartveränderungen oder unsachgemäße Fahrweise. Lärmminderung an der Quelle - dem Motorrad - ist die beste Möglichkeit zur Minderung von Umweltbelastungen. Die derzeit geltenden Genehmigungsvorschriften zur Lärmminderung neuer Krafträder umfassen jedoch nur ein geringes Spektrum des möglichen und üblichen Fahrbetriebs insbesondere moderner leistungsstarker Krafträder. Die Reduzierung gesundheitsschädlicher Lärmbelastungen erfordert daher effektive Vorschriften zur Lärmbegrenzung neuer Krafträder entsprechend ihrer möglichen Nutzungspraxis.
- 2. Der Bundesrat hat bereits in seinem Beschluss vom 26.11.2010 (BR-Drs. 614/10(B) ) zum Vorschlag für eine "Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Genehmigung von zweirädrigen, dreirädrigen und vierrädrigen Fahrzeugen sowie über die entsprechende Marktüberwachung" ( KOM (2010) 542 endg.) festgestellt, dass die darin festgelegten Geräuschgrenzwerte insbesondere für Motorräder zu hoch sind und weiter abzusenken wären.
- 3. Der Bundesrat stellt nun fest, dass die von der United Nations Economic Commission of Europe (UN/ECE) für die Geräuschentwicklung von Krafträdern überarbeitete Regelung ECE-R 41, die voraussichtlich von der Europäischen Kommission in europäisches Recht umgesetzt werden soll, die damaligen Ziele sehr moderat angeht. Er befürchtet daher, dass bei einer unveränderten Übernahme dieser neuen UN/ECE-Geräuschvorschriften auf Jahre hinaus keine Verbesserung bei gesundheitlichen Belastungen durch Motorradlärm in der EU möglich sein wird. Ferner werden hierdurch falsche Signale an die weltweiten Hersteller gesandt, die Bemühungen um "lärmarme" Motorräder entwerten.
- 4. Der Bundesrat bittet daher den Bund, sich bei der EU-Kommission baldmöglichst dafür einzusetzen, die ECE-R 41 nicht ohne Verbesserungen zu übernehmen, sondern für Krafträder EU-Lärmbegrenzungsvorschriften mit folgenden ergänzenden Regelungen festzulegen:
- - Aufnahme von Messungen, mit denen eine Bewertung des Kraftrad-Geräusches ermöglicht wird, die der gesamten Nutzungspraxis entspricht.
- - Entwicklung wirksamer Mechanismen zur Überprüfung der Übereinstimmung der Serienproduktion von Krafträdern sowie von sicherheits-, umwelt- und geräuschrelevanten Umrüstteilen mit der Serien-Genehmigung.
- - Gewährleistung der Wirksamkeit von Kontroll- und Abhilfemaßnahmen innerhalb der gesamten EU.
- - Die Kontrollmöglichkeit für im Verkehr befindliche Fahrzeuge bedarf verbindlicher EU-Rechtsgrundlagen und praxistauglicher Prüfverfahren, die mit dem Fahrgeräusch korrelieren.
Begründung:
Ein nicht repräsentativer Messzyklus, Krafträder mit "Lärmoptimierung" außerhalb des Messzyklus, unangepasste Fahrweise mit vorschriftsmäßigen Krafträdern, vorsätzliche Bauartveränderungen zur Lärmsteigerung und unzulässige Serien-Abweichungen neuer Krafträder oder Umrüstteile von ihrer Genehmigung führen zu gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigungen und Beschwerden vieler Bürgerinnen. Im Rahmen der Freizeitgestaltung sind Motorräder oft auch an Ruhetagen (Wochenende, Feiertage) unterwegs, wo sie bei absichtlich erzeugtem Lärm auch als Einzelfahrzeuge extrem belästigen können.
Abhilfe ist primär möglich und notwendig durch Maßnahmen an den Krafträdern selbst, das heißt durch effektive Vorschriften zur Lärmminderung neuer Krafträder und Umrüstteile, deren Einhaltung im Rahmen der (Typ-)Genehmigung überwacht wird. Die Neukonzeption EU-einheitlicher Vorschriften über Lärm-Messverfahren und Grenzwerte muss sicherstellen, dass bei Krafträdern aller Arten eine Bewertung des Geräusches ermöglicht wird, die der möglichen Nutzungspraxis entspricht, um die bisher bestehende Diskrepanz zwischen Lärmemissionen bei der Typ- oder Einzelprüfung und dem Alltagsbetrieb zu minimieren. Ergänzend dazu sind Regelungen erforderlich, die praxistaugliche Überprüfung und gegebenenfalls Ahndung unerlaubter lärmsteigender Bauartveränderungen bei Verkehrskontrollen sowie die Ahndung lärmintensiver Fahrweise ermöglichen.
Der gemeinsame EU-Markt mit harmonisierten Vorschriften verbietet nationale Alleingänge. Im gemeinsamen EU-Markt gelten verbindliche Vorschriften, die oft von der UN/ECE (United Nations Economic Commission of Europe) erstellt und nachfolgend von der EU übernommen werden. Zur Lärmbegrenzung von Krafträdern (und vergleichbaren Fahrzeugen der Klasse L) bestehen derzeit die Vorschriften ECE-R 41, ferner ECE-R 9 und R 63 sowie die EG-Richtlinie 097/24/EG. Die EU-Kommission beabsichtigt, die Vorschriften für Krafträder zu reformieren. Grundlage dafür ist die von der UN/ECE erarbeitete Regelung für die Geräuschentwicklung von Krafträdern ECE-R 41.
Die Aktuelle Rechtslage in der EU und die überarbeitete Regel ECE-R 41 reichen nicht aus, um dem Problem des Kraftradlärms wirksam begegnen zu können:
- - Krafträder weisen bauart- und nutzungsbedingt das größte Lärmpotential bei missbräuchlicher Bedienung auf und werden mehrheitlich in der Freizeit genutzt. Die aktuellen Geräuschmessverfahren für Krafträder mit beschleunigter Vorbeifahrt ab 50 km/h auf 20 m Messstrecke und mittiger Messung bilden das Spektrum des möglichen und üblichen Fahrbetriebs nicht ausreichend ab. Für moderne Krafträder mit hoher spezifischer Leistung und entsprechendem Beschleunigungsvermögen ist z.B. die Gangwahl zu hoch, die Messstrecke zu kurz und nur eine Messposition unzureichend.
- - Die derzeit mögliche EU-Standgeräuschmessung ermöglicht keine effektive Kontrolle der Einhaltung der Lärmbegrenzungsvorschriften, da das reale Fahrgeräusch des Kraftrads nur unzureichend korreliert und für das Standgeräusch kein verbindlicher Grenzwert existiert.
- - Geltendes EU-Recht sieht bisher nicht vor, bei überhöhter Lärmemission aufgrund unzulässiger Abweichungen neuer Krafträder oder Umrüstteile von der Serien-Genehmigung praxiswirksame Maßnahmen zu treffen.
Die beabsichtigte Übernahme der überarbeiteten ECE R 41 zur Geräuschentwicklung von Krafträdern durch die EU führt daher nicht zu einer Lösung der durch Krafträder verursachten Lärmprobleme oder auch nur einer Verbesserung der aktuell unbefriedigenden Situation.
Neue Generationen von Krafträdern sind wieder sehr lange im Verkehr und bestimmen so auch das Lärmszenario auf Deutschlands Straßen. Nur durch zügiges Handeln lässt sich jahrelanger Zeitverlust mit Bürgerbeschwerden, Lärm-Immissionen und Gesundheitskosten vermeiden. Deshalb erscheint Eile geboten, um gemäß Bundesratsbeschluss vom 26.11.2010 (BR-Drs. 614/10(B) ) die Meinungsbildung in den EU-Gremien noch zielführend beeinflussen zu können. Mangels rechtlicher Vorgaben stagniert die Entwicklung leiserer Krafträder seit Jahren, Hersteller "lärmarmer" Motorräder werden für ihre Mühen nicht belohnt. FahrerInnen und Hersteller von Motorrädern geraten lärmbedingt in der öffentlichen Meinung zunehmend in Misskredit. Gerichtsfeste Ahndungen sind nur auf Basis der jeweiligen Genehmigungsvorschriften für Neufahrzeuge möglich. Derzeit gibt es für Verkehrskontrollen keine effektiven Vorschriften, Ahndungsmöglichkeiten sind unzureichend.
In Übereinstimmung mit den Beschlüssen der 62. UMK vom 6. Mai 2004 (TOP 10), der 76. UMK vom 27. Mai 2011 (TOP 26) und der VMK vom 5. Oktober 2011 (TOP 6.8) zur Minderung des Kfz-Lärms müssen deshalb bereits im Vorfeld des erwarteten Rechtssetzungsverfahrens der EU kurzfristig zielführende Forderungen gestellt werden.