Der Bundesrat hat in seiner 981. Sitzung am 11. Oktober 2019 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates "Deutschkurse für Migrantinnen und Migranten erneuern"
- 1. Der Bundesrat betont, dass deutsche Sprachkenntnisse für ein erfolgreiches Zusammenleben in Deutschland und damit für die Integration aller in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten - auch bei temporärem Aufenthalt - von elementarer Bedeutung sind. Er stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass Grundbedingung zum Erlernen der deutschen Sprache ein übersichtliches und effektives Angebot für alle Zuwandernden ist. Er stellt zudem fest, dass die im Jahr 2005 eingeführten Integrationskurse ein unverzichtbares Instrument für gelingende Integration sind.
- 2. Deutschkenntnisse werden derzeit in getrennten Angeboten in Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Bundesagentur für Arbeit (BA) vermittelt. Länder und Kommunen ergänzen die Programme durch eigene Angebote. Aus dieser Praxis resultiert eine schwer überschaubare und oftmals wenig wirksame Zusammenstellung an Angeboten des Basis- und berufsbezogenen Spracherwerbs, die eine gelungene Integration erschwert.
- 3. Der Bundesrat hält vor diesem Hintergrund eine grundsätzliche Neugestaltung der Struktur der Deutschkursangebote des Bundes für Migrantinnen und Migranten für erforderlich. Anzustreben ist dabei die übersichtliche und bedarfsgerechte Gestaltung eines qualitativ verbesserten umfassenden Sprachprogramms, bei dem die verschiedenen Angebote an Erstorientierungs- und Integrationskursen sowie zur berufsbezogenen Sprachförderung vereinheitlicht, schlüssig aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt sind. Dies bedeutet insbesondere
- a) einen schnelleren und unbürokratischen Zugang zu gewährleisten, der dem Ziel folgt, dass alle Zuwandernden, einschließlich der Geduldeten, möglichst frühzeitig eine bedarfsgerechte Förderung erhalten können. Auch für Unionsbürgerinnen und -bürger ist ein Anspruch auf Teilnahme gesetzlich abzubilden. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang auch an die mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Öffnung der Integrationskurse zum Ausdruck gebrachte Haltung der Länder, BR-Drucksache 756/13(B) . Er fordert die Bundesregierung auf, die Integrationskurse für alle geflüchteten Menschen zu öffnen, hierfür genügend Kapazitäten zu schaffen und ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen;
- b) zur Berücksichtigung der Heterogenität der Kursteilnehmenden auch hinsichtlich ihrer Vorqualifikationen die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebotes mit mehr Zielgruppenorientierung und Hilfestellungen für lernungewohnte und bildungsferne Personen. Für Teilnehmende ohne Schulabschluss oder Berufsausbildung sollte eine grundsätzliche Anhebung der Stundenzahl der Integrationskurse auf 900 Unterrichtsstunden erfolgen;
- c) eine stärkere Flexibilisierung und weitere Modularisierung der Kurse, bei der etwa auch ein niedrigschwelliges Einstiegsmodul sichergestellt wird oder Erstorientierungskurse als vorbereitende Maßnahme genutzt werden. Hierbei sollen je nach regionaler Situation auch kleinere Gruppengrößen im Sinne eines raschen Zugangs und der Erhöhung der Kursqualität ermöglicht werden. Die Mindestteilnehmerzahl in den allgemeinen Integrationskursen sollte auf zehn und die Höchstteilnehmerzahl auf 22 reduziert werden;
- d) die Schaffung erweiterter Möglichkeiten, Sprachkurse auch neben einer Einstiegsqualifizierung (zur Vorbereitung einer Ausbildung), einer Ausbildung oder einer Beschäftigung durchzuführen;
- e) die Einführung verbindlicher Zwischentests, die Durchführung obligatorischer Feedback-Gespräche und die Einführung flexibel einsetzbarer Auffangmodule innerhalb der Integrationskurse. Erforderlich ist aus Sicht des Bundesrats ebenso die Ausweitung der Angebote zur Alphabetisierung der Menschen, die keine ausreichenden Kenntnisse der lateinischen Schrift besitzen;
- f) die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Teilnehmende hinsichtlich der Fahrtkostenübernahme und die Gewährung von Kinderbetreuung;
- g) zur Qualitätsverbesserung der Kurse und zur Steigerung der Zahl erfolgreicher Absolventinnen und Absolventen entsprechende geeignete Maßnahmen bzw. Instrumente zu prüfen und umzusetzen. Möglichkeiten hierfür könnten in der Einführung von Prüfungen zur Feststellung des Sprachstands bei Erstorientierungskursen oder Zwischenprüfungen sowie in der zusätzlichen Erbringung eines Bonus bei erfolgreichem Kursabschluss über die bisherige Kursvergütung hinaus bestehen;
- h) zur Qualitätssicherung die Einhaltung der Mindeststandards, zum Beispiel durch die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle, die für die Qualität der Abnahme von Einstufungs- und Zwischentests als auch für Abschlussprüfungen zuständig ist;
- i) eine nachvollziehbare statistikbasierte Erfolgskontrolle der Kurse vorzusehen;
- j) zur Stärkung der Vermittlung der Werte der freiheitlichdemokratischen Grundordnung und des Grundgesetzes insgesamt die Stundenzahl des Orientierungskurses im Rahmen des Integrationskurses von 100 auf 150 Stunden zu erhöhen und die Kursinhalte des Orientierungskurses entsprechend zu überarbeiten und zu erweitern;
- k) die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten bei unentschuldigter Nicht-Teilnahme am Integrationskurs sachgerecht einzusetzen und die Träger der Integrationskurse stärker in die Pflicht zu nehmen, unentschuldigte Nicht-Teilnahmen am Integrationskurs korrekt zu dokumentieren;
- l) die Chancen der Digitalisierung bei der Durchführung der Integrationskurse konsequent auszuschöpfen.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, seine Verantwortung für die Vermittlung von Deutschkenntnissen wahrzunehmen und die Angebote der Länder entbehrlich zu machen. Hierzu gehört es auch, seiner Finanzierungsverantwortung für die Sprach- und Orientierungsangebote umfassend nachzukommen.
- 5. Der Bundesrat appelliert an die Bundesregierung, den Haushaltsansatz für die Integrationskurse nicht analog zu den zurückgehenden Teilnehmerzahlen zurückzufahren, sondern einen Teil der Bundesmittel zur Finanzierung der oben genannten Maßnahmen zur Steigerung der Qualität und Effizienz des Integrationskurssystems zur Verfügung zu stellen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesministerien des Innern, für Bau und Heimat sowie für Arbeit und Soziales, die Veränderungen der in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich fallenden Angebote zum Erwerb der deutschen Sprache mit den Ländern abzustimmen und dem Bundesrat über seine Maßnahmen zu berichten.
Begründung:
Zu Ziffer 1
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Unabhängig von ihrem Einwanderungsgrund ist für alle Migrantinnen und Migranten das frühzeitige Erlernen der deutschen Sprache von erheblicher Bedeutung. Die deutsche Sprache unterstützt unabhängig von der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer bei der gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe und verhindert Ausgrenzung. Damit sprachliche Integration funktioniert, bedarf es für alle neu Ankommenden eines angemessenen Angebotes, das einfach zu finden ist, zugänglich ist und zum Erfolg führt.
Zu Ziffer 2
Auf Bundesebene gibt es keine zentrale Federführung für die Angebotsstruktur zur Vermittlung von Deutschkenntnissen für Migrantinnen und Migranten. Für die Vermittlung von allgemeinen Sprachkenntnissen sind das BMI und das BAMF mit dem Angebot der Integrationskurse und der Erstorientierungskurse zuständig. Berufsbezogene Deutschkenntnisse werden wiederum in Zuständigkeit des BMAS angeboten. Weitere Angebote mit Sprachförderelementen werden in Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit umgesetzt.
Aufgrund der unterschiedlichen Zugangsbestimmungen und der bestehenden Lücken für einzelne Personengruppen müssen derzeit auf Landes- und Kommunalebene Ersatzangebote angeboten werden. Dieses System ist unübersichtlich und ineffektiv für die Zielgruppe. Darüber hinaus entstehen dadurch erhebliche Synergieverluste mit hohem Kosten- und Koordinierungsaufwand für Bund und Länder.
Zu Ziffer 3
Die aus den unterschiedlichen Mittelgebern resultierenden getrennten Systeme der basis- und berufsbezogenen Angebote sollen vereinheitlicht und eng aufeinander abgestimmt und im Hinblick auf Konzeption, Organisation und Durchführung aus einem Guss gestaltet werden. Denn ein Großteil der Neueinreisenden bleibt unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus für viele Jahre in Deutschland. Dies gilt gleichermaßen für Unionsbürgerinnen und -bürger sowie Personen aus Drittstatten einschließlich Schutzsuchende. Wenn Kenntnisse der deutschen Sprache vorhanden sind, erhöhen sich die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen dieser Menschen enorm, sodass eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt und in die deutsche Gesellschaft erfolgen kann. Die Gefahr eines dauerhaften Verbleibs in den sozialen Sicherungssystemen wird verringert, zudem werden Ressourcen zur Abmilderung des Einflusses des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt besser genutzt.
Derzeit erreichen zu viele Zugewanderte nicht das für ihre optimale Teilhabe erforderliche Sprachniveau. Gründe dafür sind vor allem die fehlende Berechtigung zur Teilnahme, das Fehlen von passgenauen Angeboten und lange Wartezeiten zwischen Sprachkursen. Dazu behindern strukturelle Hürden den Zugang zu Sprachangeboten. Zielführender sind kleinteilige Strukturen, aufgrund derer flexibel individuelle Bedarfe berücksichtigt und zeitliche Lücken zum Zugang sowie zwischen den einzelnen Sprachfördermaßnahmen vermieden werden können. Dies ermöglicht, flexibel auf die Bedürfnisse der heterogenen Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer eingehen zu können. Für diejenigen mit wenig Lernerfahrung und einem daraus folgenden langsamen Lerntempo bedarf es der Möglichkeit, gleichwohl durch zusätzliche Unterrichtsstunden das Abschlussniveau B1 zu erreichen.
Um die Qualität der Sprachförderung zu sichern bzw. zu verbessern und somit die Zahl an erfolgreichen Absolventinnen und Absolventen zu erhöhen, sollten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Verbindliche Zwischentests, obligatorische Feedback-Gespräche und eine Flexibilisierung des Kursverlaufes, die ein Wiederholen einzelner Module auch während des Kurses ermöglichen, sind dringend erforderlich. Als weitere Maßnahme zur Verbesserung der individuellen Förderung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die Lehrkräfte ist die Reduzierung der Höchstteilnehmerzahl geboten. Die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle zur Sicherung der Qualität von Tests und Prüfungen sowie eine statistikbasierte Erfolgskontrolle sind weitere mögliche Schritte in diese Richtung. Auch kann geprüft werden, inwieweit bei erfolgreichen Kursabschlüssen eine Art Bonus an den Träger vergeben wird.
Die Rahmenbedingungen hinsichtlich der Fahrtkostenübernahme und der Gewährleistung von kursbegleitender Kinderbetreuung sollen verbessert werden.
Eine korrekte Dokumentation der Kursteilnahme ist zwingend erforderlich, um den ordnungsgemäßen Besuch des Integrationskurses nachzuweisen und gegebenenfalls Sanktionsmechanismen in Kraft setzen zu können.
Ein gemeinsames Wertefundament ist für eine offene, plurale und demokratische Gesellschaft unverzichtbar. Aus diesem Grund sollte die Demokratieförderung im Rahmen der Integrationskurse durch zusätzliche Informationen zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung und zum Grundgesetz insgesamt gestärkt und die Stundenzahl der Orientierungskurse um 50 Stunden erhöht werden.
Die Chancen der Digitalisierung sollten auch im Rahmen der Integrationskurse stärker genutzt werden, beispielsweise um den Lernerfolg durch Wiederholung zu intensivieren, bestimmte Module digital belegen zu können oder bei fehlender Mobilität Lernmöglichkeiten zu eröffnen. Blended learning bietet auch nach Auffassung des Deutschen Volkshochschulverbandes Möglichkeiten, die es stärker zu nutzen gilt.
Zu den Ziffern 4 und 5
Die Bundesregierung ist aufgefordert, ihre übergeordnete politische Zuständigkeit zur Gestaltung und Finanzierung eines soliden und transparenten Angebots wahrzunehmen. Zur Regelaufgabe gehört gemäß § 43 des Aufenthaltsgesetzes, durch Vermittlung ausreichender Deutschkenntnisse die Integration in das wirtschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben zu unterstützen. Hierzu bedarf es der Übernahme einer aktiven Federführung.
Zu Ziffer 6
Durch eine Abstimmung mit den Ländern sowie die Berichterstattung im Bundesrat soll sichergestellt werden, dass die Umsetzungsbemühungen abgestimmt werden und damit bestmöglich zum Erfolg führen.