Für einen individuellen Ausdruck passen Sie bitte die
Einstellungen in der Druckvorschau Ihres Browsers an.
Regelwerk; BGI / DGUV-I

BGI 609 / DGUV Information 206-001 - Stress am Arbeitsplatz
Berufsgenossenschaftliche Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BGI)

(Ausgabe 01/2008)




zurückgezogen -Redakt. Hinweis:

Die Schrift war das Ergebnis einer Kongressveranstaltung, deren Inhalte in der Zwischenzeit in aktualisierter Form Eingang in die weiteren durch das Sachgebiet "Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt" herausgebrachten Veröffentlichungen gefunden haben.


Vorwort

Arbeitsbedingter Stress entwickelt sich zu einem der größten Risikofaktoren unseres Industriezeitalters.

Wenn man bedenkt, dass vor ca. 50 Jahren dieser Begriff kaum jemandem bekannt war, allenfalls Physiker beschrieben ihn als "mechanische Spannung", so ist er heute gar nicht mehr aus unserem Sprachgebrauch wegzudenken.

Als der kanadische Mediziner Hans Selye erstmals "Stress" als Anpassungsreaktion des Körpers auf alles, was die Balance lebenswichtiger Funktionen, wie Temperatur und Blutdruck, stört, definierte, schien es, als hätte die Gesellschaft auf ein Wort für ihre körperlichen und seelischen Schieflagen gewartet.

Mittlerweile sehen nicht nur Wissenschaftler im "Stress" ein zentrales Phänomen unserer Leistungsgesellschaft. Einmütig attestieren Gewerkschaften, Arbeitgeber, die Unfallversicherungsträger und nicht zuletzt die Politik diesem Phänomen Wachstumsraten, die bedenklich sind. Die Weltgesundheitsorganisation hat Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt.

In der Europäischen Union ist arbeitsbedingter Stress nach Rückenschmerzen das zweithäufigste Gesundheitsproblem geworden.

Man geht davon aus, dass arbeitsbedingte Stressursachen zu den aktuellen Krankheiten in der EU beitragen: 13 % der Arbeitnehmer klagen über Kopfschmerzen, 17 % über Muskelschmerzen, 30 % über Rückenschmerzen, 20 % über Müdigkeit und 28 % über Stress. Die EU schätzt, dass Stresserkrankungen jährlich Kosten in Höhe von ca. 20 Mrd. Euro verursachen. Es wird angenommen, dass 50 bis 60 % aller Ausfalltage mit Stressproblemen im Zusammenhang stehen.

Stress am Arbeitsplatz ist nicht nur mit großem menschlichen Leid verbunden, sondern verursacht hohe Kosten und beeinträchtigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in erheblichem Maße. Neben den gesundheitlichen Auswirkungen manifestiert sich Stress u.a. in hohen Fehlzeiten, Personalfluktuation, mangelnder Arbeitssicherheit, schlechter Arbeitsmoral der Beschäftigten, mangelnder Innovation und geringerer Produktivität.

Infolgedessen weckt der arbeitsbedingte Stress in allen Industrieländern zunehmend das Interesse der Medien sowie der Öffentlichkeit.

Eine Frage stellt sich dabei immer wieder: Bestimmt der Charakter des Menschen, was ihn in Stress versetzt und ist der Einzelne vielleicht selbst Schuld an seinem Stress?

Natürlich geht jeder Mensch anders mit Stress um, zeigt andere Symptome und andere Stressreaktionen.

Aber es gibt in unserer modernen Industriegesellschaft ganz bestimmte äußere Faktoren, die mit großer Wahrscheinlichkeit Stress auslösen und damit dieses Thema zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema machen. Aus diesem Grund sind für eine gezielte Stressprävention primär "gesunde Organisationen" und sekundär die individuelle Stresssymptombekämpfung von Bedeutung, denn Unkenntnis über effiziente und stressfreie Organisationsformen der Arbeit ist die häufigste Ursache für ernste Stressprobleme.

Unsere Arbeitswelt ist von einem rasanten tief greifendem und kontinuierlichen Wandel geprägt: Globalisierung, Technisierung, Flexibilisierung, Outsourcing, Lean Management, Just-in-Time-Produktion ...

Die Arbeitsproduktivität steigt. Viele Arbeitnehmer arbeiten immer oder häufig unter enormen Zeitdruck.

Die Zukunft gehört Menschen mit "flexiblen Lebensläufen", d.h. mit häufiger wechselnden Aufgaben und Wohnsitzen und mit neuen Familienmodellen.

Während für die eine Gruppe von Berufs-tätigen Verantwortung und Entscheidungsspielraum größer werden, steigt gleichzeitig die Zahl jener, die in Unsicherheit, Arbeitslosigkeit oder im unfreiwilligen Vorruhestand leben werden.

Aber auch die Arbeit selbst verändert sich radikal. Die Kopfarbeit löst weitgehend die Muskelarbeit ab. Rund um die Uhr überfluten Informationen über Computer, Fax oder Telefon die Beschäftigten.

Die veränderten Aufgaben beanspruchen zwar weniger den Körper, verlangen aber oft bessere Nerven.

Zu diesem Wandel kommen einschneidende demografische Veränderungen in der Arbeitswelt, die zur Folge haben, dass es immer weniger jüngere Erwerbstätige und einen steigenden Anteil älterer Beschäftigter geben wird.

Der wirtschaftliche und soziale Umbruch, den wir zurzeit erleben, führt zwangsläufig zu Anpassungsproblemen sowohl in der Gesellschaft wie im einzelnen Organismus.

Diese Veränderungen unterstreichen die Notwendigkeit, sich der Bewältigung von arbeitsbedingtem Stress zunehmend widmen zu müssen.

Grundsätzlich gilt: Ohne Stress kann der Mensch nicht leben. So wie ohne körperliche Anstrengung weder Muskeln noch Ausdauer entwickelt werden können, so braucht jeder Mensch auch psychische Belastungen, um sich der ständig wandelnden Umwelt anzupassen und Neues lernen zu können.

"Angemessener" Stress ist förderlich für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Produktivität , d. h. gesundheitsförderlicher Stress kann dazu führen, dass Menschen in richtigem Maße gefordert und gefördert werden. Und zwar immer dann, wenn sie, gemessen an ihren individuellen Möglichkeiten, die an sie gestellten Forderungen hinreichend gut erfüllen können. Das setzt aber die notwendigen Fähigkeiten und Informationen zur Bewältigung der an sie gestellten Aufgaben voraus.

Die "Stressantwort" auf Herausforderung oder Bedrohung ist schnelle Handlungsbereitschaft. Ist die Situation bewältigt, sind Zufriedenheit und Entspannung der Lohn - nicht aber, wenn das Problem überfordert. Es geht also nicht darum, Stress völlig zu vermeiden, dies wäre unrealistisch, sondern lange Stressperioden und chronischen Stress möglichst zu verhindern.

Mit In-Kraft-Treten des Arbeitsschutzgesetzes und des Sozialgesetzbuches VII (SGB VII) rückt zunehmend die Stressprävention ins Bewusstsein einer ganzheitlichen Gesundheitsorientierung.

Seitdem bemühen sich verantwortungsbewusste betriebliche und außerbetriebliche Akteure auf allen Ebenen zunehmend darum, Stress als eine wesentliche arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr zu erkennen, zu definieren, zu beschreiben, zu bewerten und präventiv wirkungsvoll zu bekämpfen.

Mit dieser Broschüre soll sowohl aus berufsgenossenschaftlicher Sicht als auch aus Sicht eines Betriebes sowie der IG Metall das Thema "Stress" betrachtet und beleuchtet werden.

Bewusst ist hier auf eine wissenschaftliche Abhandlung dieses sehr komplexen Themas verzichtet worden.

Diese Veröffentlichung soll vielmehr eine praxisnahe und hilfreiche Ergänzung der bereits vorhandenen Literatur sein, die dem psychologischen Laien den Zugang zu diesem Thema erleichtert.

Die Verfasser

1 Stress - Motor und Risikofaktor der modernen Welt

1.1 Gesundheitsschutz als Bestandteil moderner Unternehmenskultur

Globalisierung, Wissensgesellschaft, Multimedia - die Arbeitswelt wandelt sich in einem noch nie da gewesenen rasanten Tempo. Durch diese Veränderungen haben psychische Belastungen innerhalb der Gesamtarbeitsbelastung in den vergangenen Jahren einen wesentlich höheren Stellenwert erhalten.

Eine Grundforderung in dieser sich rapide verändernden Arbeitswelt bleibt aber grundsätzlich weiterhin bestehen: Arbeitsplätze dürfen nicht gesundheitsschädlich sein.

Dafür setzen sich auch die Berufsgenossenschaften im Rahmen der Umsetzung des erweiterten Präventionsauftrages gemäß § 14 SGB VII mit allen ihr zur Verfügung stehenden geeigneten Mitteln ein. Wenn aber sichergestellt werden soll, dass neue Arbeitsformen und Unternehmensstrukturen keine neuen Belastungen für die Arbeitnehmer bedeuten, müssen diese Entwicklungen verstanden, erkannt und bewertet werden, um wirksame Maßnahmen ableiten zu können.

Gesundheitsschutz muss daher als hochrangiges Unternehmensziel und als Führungsaufgabe erkannt und durch entsprechendes Handeln in die betriebliche Praxis umgesetzt werden.

Die Optimierung psychischer Belastungen im Arbeitsleben ist eine unabdingbare Arbeitsschutzaufgabe der Führungskräfte, um langfristig eine qualitativ hochwertige Produktion von Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen.

Thesen zum Thema "Stress und Arbeitsschutz"

These 1 Bei den Arbeitsbelastungen spielen immer mehr psychische Faktoren eine Rolle.
These 2 Mehr als jeder zweite Beschäftigte steht unter Termin- und Leistungsdruck.
These 3 Stress ist eine Folge psychischer Belastungen und kann auf Dauer den Organismus schädigen.
These 4 Zum Arbeits- und Gesundheitsschutz gehört es auch, gesundheitsschädlichen Stress zu vermeiden.
These 5 Stress ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern hat auch objektive äußere Auslösefaktoren.
These 6 Neben einer verbesserten Arbeitsorganisation lassen sich auch die individuellen Ressourcen stärken.


1.2 Was ist Stress?

Der Begriff "Stress" wird umgangssprachlich am Arbeitsplatz mit Hektik, Zeit- und Termindruck, Angst um Arbeitsplatzverlust, wachsender Arbeitsverdichtung, eingeschränkten Entscheidungsspielräumen, schlechtem Betriebsklima bis hin zum Mobbing in Verbindung gebracht (Bild 1-1).

Gemeinsam ist dem Gebrauch dieses ; Begriffes, dass immer von einer schädigenden Wirkung von Stress ausgegangen wird.

Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht ist Stress grundsätzlich eine zum Leben gehörende Reaktion des Körpers auf Umweltreize, die durchaus eine positive Wirkung auf den Organismus hat.

Die Stressreaktion war ursprünglich eine sinnvolle Anpassung des Menschen an seine Umwelt mit dem Ziel, einen bedrohlichen Stressor (z.B. "wildes Tier") anzugreifen, zu vernichten oder vor ihm zu fliehen. Diese aus grauen Vorzeiten vererbte Reaktion bereitet vielen Menschen aber heute die häufigsten Stressprobleme.

Bild 1-1: Bildliche Darstellungen von Stress

1.3 Begriffsbestimmung

Aus arbeitsmedizinischer und biologischer Sicht ist Stress eine natürliche Reaktion des Organismus auf äußere Belastungen aller Art. Diese Reaktion äußert sich körperlich, im Erleben und im Verhalten. Belastungen, die beim Menschen Stress auslösen, werden als Stressoren bezeichnet.

Arbeitsbedingter Stress wird verstanden als "emotionale und psychophysiologische Reaktion auf ungünstige und schädliche Aspekte der Arbeit, des Arbeitsumfeldes und der Arbeitsorganisation. Stress ist ein Zustand, der durch hohe Aktivierungs- und Belastungsniveaus gekennzeichnet ist und oft mit dem Gefühl verbunden ist, man könne die Situation nicht bewältigen".

(Europäische Kommission, Generaldirektion V, 1997)

1.4 Herausforderungen an die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert und die damit verbundenen Belastungen

Die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert ist u.a. gekennzeichnet durch:

Durch diesen technisch-organisatorischen Wandel in der modernen Arbeitswelt, verbunden mit einem Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft, nehmen die arbeitsbedingten Gefährdungen durch psychische Belastungen immer mehr zu.

Dadurch kommt es zu einer charakteristischen Verschiebung des Belastungsprofils, was aber nicht heißt, dass die klassischen Belastungsfaktoren verschwunden oder unwichtig geworden wären.

So verlieren z.B. klassische Belastungsarten, wie schwere körperliche Arbeit und physikalische, chemische und biologische Belastungen, relativ an Bedeutung, während demgegenüber psychische Belastungsfaktoren aufgrund hoher Arbeitsintensität und ständigem Leistungsdruck immer mehr an Bedeutung gewinnen (Bild 1-2).

Bild 1-2: Psychische Belastungen durch Informations- und Papierflut

© dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH

1.5 Krankheitsarten-/ Fehlzeitenanalysen

Bei einer Erhebung, welche die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen 1996 in den EU-Ländern durchführte, gaben 28 % der Beschäftigten gesundheitliche Beschwerden durch Stress am Arbeitsplatz an.

Die Folgen der "modernen arbeitsbedingten Erkrankungen" kosten die deutsche Wirtschaft jährlich mehr als 40 Mrd. Euro.

Krankheiten, deren Entstehen durch Stress begünstigt wird, wie Herzinfarkt, Magengeschwüre, Bluthochdruck und Schlaflosigkeit, nehmen alarmierend zu. 7 % der Vorruhestandsfälle in Deutschland gehen auf frühzeitige Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Stresserkrankungen zurück.

Die Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen dauert im Schnitt zweieinhalbmal länger als bei anderen Erkrankungen. Dies spiegelt sich auch in den Krankheitsartenstatistiken der Krankenkassen wieder. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass erstmals 1999 "psychiatrische Erkrankungen" in der Liste der häufigsten Erkrankungen nach den Arbeitsunfähigkeitstagen auftauchen und man davon ausgehen muss, dass diese Erkrankungen u.a. auch Folge von psychischen Belastungen sind.

Der wirtschaftliche Wandel ist u.a. mit folgenden psychischen Belastungsfaktoren verbunden:

1.6 Einbeziehung psychischer Belastungen im nationalen und europäischen Arbeitsschutzrecht

Die Umsetzung europäischer Richtlinien schafft neue und bessere Voraussetzungen für den Abbau bestehender Regelungslücken und Defizite im Hinblick auf die psychischen Belastungen.

Dies war notwendig, wenn man bedenkt, dass im Unterschied zu der vielfach hohen Regelungsdichte insbesondere bei Fragen des technischen Arbeitsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland für den - Bereich der psychischen Belastungen eine Regelungslücke bestand.

Arbeitsschutzrahmenrichtlinie

Arbeitsschutzgesetz

Sozialgesetzbuch VII

Maschinenrichtlinie

Bildschirmarbeitsverordnung

1.7 Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung
DIN EN ISO 10 075

1.7.1 Psychische Belastung

ist eine Benennung für alle Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Psychische Belastung bewirkt Vorgänge des Anstiegs oder der Verminderung psychischer Beanspruchung im Menschen. Unmittelbare Folgen der psychischen Beanspruchung können einerseits Anregungseffekte und andererseits psychische Ermüdung und/oder ermüdungsähnliche Zustände sein.

1.7.2 Psychische Beanspruchung

ist definiert als die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.

1.8 Individuelles Stresserleben

In Abhängigkeit von ganz individuellen Eigenschaften des Menschen (z.B. Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Erfahrung, Anlagen) wirken sich Stressoren in Form von körperlichen, geistigen und emotionalen Beanspruchungen unterschiedlich aus. Wann eine Person in Stress gerät oder davon ermüdet, hängt von deren persönlichen Leistungsfähigkeit und den Erholungsmöglichkeiten ab. Was eine Person am Arbeitsplatz hohen Belastungen entgegensetzen kann, ist, wie in dem von Lazarus beschriebenen Stressmodell, von den zur Verfügung stehenden persönlichen und betrieblichen Ressourcen abhängig. Nach Lazarus spielen demnach Bewertungsprozesse eine entscheidende Rolle. Dabei stehen Bewältigungsmöglichkeiten und Bewältigungsfähigkeiten im Vordergrund.

1.9 Stressoren am Arbeitsplatz

Stress ist grundsätzlich kein individuelles, quasi privates Problem, sondern Stress hat neben den individuellen Erwartungen und Bewältigungsstrategien der Person objektive äußere Auslösefaktoren, die erfassbar sind und gestaltet werden können.

Stressoren

aus der Arbeitsaufgabe, wie

aus der Arbeitsrolle, wie

aus der materiellen Umgebung, wie

aus der sozialen Umgebung, wie

aus der Arbeitsplatzeinbindung, wie

aus dem Person-System, wie

Die Ergebnisse einer "FORSA-Umfrage 2001" verdeutlichen die Häufigkeit von Stress auslösenden Faktoren:

Zeit-/Termindruck 45 %
zu viel Arbeit 35 %
Doppelbelastung Haushalt und Beruf 23 %
private/familiäre Probleme 28 %
schwierige Aufgaben 19 %
Angst vor Arbeitsplatzverlust 17 %
Probleme mit Vorgesetzten 17 %
Probleme mit Kollegen 17 %
neue Arbeitsmethoden/-techniken 14 %
Probleme mit Freunden/Bekannten 14 %
Schichtarbeit 12 %
Unterforderung am Arbeitsplatz 12 %
Überforderung an Schule/ Universität 9 %


1.10 Möglichkeiten zur Stressprävention

Um Stress am Arbeitsplatz erfolgreich bekämpfen zu können, empfiehlt sich ein zielgerichtetes und kontinuierliches Vorgehen. Entscheidend für das betriebliche Vorgehen ist eine Enttabuisierung dieses Themas, da es sich erfahrungsgemäß bei "Stress" nur vordergründig um ein persönliches, von den Arbeitsbedingungen losgelöstes Problem handelt.

Stress resultiert vielmehr aus der Verknüpfung von technisch-organisatorischen Gestaltungsdefiziten, überfordernden Arbeitssituationen und dem Verhalten der Beteiligten.

Bild 1-3: Arbeitsorganisatorische Maßnahmen - Kommunikationskultur

1.11 Wege zum Stressabbau

1. Verhältnisprävention

Reduzierung von Stressoren durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen und Arbeitstätigkeitsgestaltung (Bild 1-3):

2. Verhaltensprävention

Steigerung der individuellen Ressourcen zur Stressbewältigung:

Bild 1-4: Soziale Netze zum Stressabbau

2 Stress als Unfallursache

Nachdem die klassische Unfallprävention erfolgreich zu einer Abnahme von insbesondere technisch bedingten Unfällen geführt hat, ist in der Folge davon eine umso größere Bedeutung den organisatorischen und verhaltensbedingten Unfallursachen zuzuschreiben. Schätzungen gehen davon aus, dass sicherheitswidriges Verhalten, das häufig als eine Folge organisatorischer Mängel angesehen werden kann, mittlerweile den Löwenanteil der Unfallursachen ausmacht.

Fragt man nach den Ursachen sicherheitswidrigen Verhaltens, ist die Nennung der Ursachenkategorien Nichtwissen, Nicht-wollen und Nichtkönnen nahe liegend. In Bezug auf Überforderung und Stresserleben scheinen diese Kategorien auf unterschiedliche Weise einen Beitrag zu leisten. Stress kann die Folge mangelnder Qualifikation, unzureichender Information und vielleicht auch nicht vorhandener Motivation sein.

Stress kann arbeitsbedingt sein oder in der privaten Lebenssphäre verursacht werden. Beide Stressquellen können sich in ihren Auswirkungen ergänzen oder sogar wechselseitig verstärken.

Dass Stress als Folge von arbeitsbedingten Belastungen zugenommen hat, lässt sich durch empirische Erhebungen, z.B. die bereits erwähnte FORSA-Umfrage von 2001, belegen. Das Sozialministerium in Nordrhein-Westfalen führte eine ähnliche Befragung bereits 1996 durch und kam zu dem Ergebnis, dass sich über 30 % der Befragten von hohem Zeitdruck stark oder ziemlich stark belastet fühlen.

Stress als Folge hoher Belastungen kann als unfallförderliche Bedingung angesehen werden, was in statistischen Erhebungen mehrfach bestätigt wurde (Bild 2-1). Die beiden nachfolgend angeführten Studien belegen diese Aussage.

Stress im Auto

Ergebnisse einer Befragung an über 1000 Autofahrern:

Quelle: Direct-Versicherung, Psychonomics Institut, Köln

Bild 2-1: Verkehrsstress

Einfluss von Stress auf Arbeitsunfälle bei Pflegekräften

Studie BGW und DAK, 1998

Um den Zusammenhang von Stress als Unfallursache plausibel zu machen, ist eine nähere Betrachtung des Stressphänomens notwendig.

Stress stellt eine Beanspruchungsreaktion des Organismus auf Belastungen bzw. Stressoren dar. Wie in Bild 2-2 dargestellt, führen Stressoren in Abhängigkeit ihrer Art, Intensität und Kombination vor dem Hintergrund der individuellen Leistungsvoraussetzungen zu Stressfolgen, die auf mehreren Dimensionen differenziert werden können. So können sie in ihrer kurz-, mittel- und langfristigen Wirkung unterschieden werden.

Kurzfristige Stressfolgen sind dabei als Reaktionen auf kurzfristig wirkende und sich nicht häufig wiederholende Stressexpositionen zu verstehen. Arbeitsbedingte Erkrankungen sind kaum zu erwarten, jedoch kann es aufgrund der Fehlbeanspruchungen zu einer erhöhten Unfallgefährdung kommen (Beispiele 1 und 3).

Mittel- bis langfristige Stressfolgen können sich als Reaktionen auf langfristige Stressexpositionen zeigen und zu Gesundheitsschäden, wie etwa stressbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen, führen.

Dennoch dürfen Stressfolgen nicht zwangsläufig als gesundheitsschädigend und negativ eingeschätzt werden.

Bild 2-2: Stress - Ursachen und Auswirkungen - Rahmenbedingungen

Stressoren können unter bestimmten Bedingungen auch als Herausforderung und Ansporn verstanden werden. Das ist dann der Fall, wenn sie vom Mitarbeiter gehandhabt und überwunden werden können. Es können sich positive Stressfolgen im Sinne von Erfolgserlebnissen, von Lern- und Trainingseffekten ergeben.

Langfristig kann daraus auch eine höhere Identifikation mit der Tätigkeit entstehen. Auf den Dimensionen des psychischen, des somatischen, also körperlichen, und des verhaltensbedingten Erlebens ist mit deutlichen und vielfältigen Reaktionen zu rechnen. Bild 2-3 beinhaltet einige dieser Reaktionen.

Stressbedingte Veränderungen können zu bewusstem oder unbewusstem sicherheitswidrigen Verhalten führen. In Bezug auf Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit lassen sich diese Veränderungen im Wesentlichen auf die vorübergehend eingeschränkten kognitiven, pezeptiven und vegetativen Fähigkeiten zurückführen. In Verbindung mit einer erhöhten Risikoneigung kann es zu inadäquatem, insbesondere sicherheitswidrigem Verhalten kommen.

Bild 2-3: Reaktionen bei Stress

An drei Beispielen wird nachfolgend der Zusammenhang zwischen Stress und Unfällen veranschaulicht. Dabei wurde ganz bewusst von unterschiedlichen Stressvorstellungen ausgegangen, die jedoch alle einen gemeinsamen Nenner haben. Es handelt sich um Situationen, in denen die Fähigkeit zu adäquater Handlungsregulation vorübergehend eingeschränkt ist.

Die folgenden Beispiele haben einmal

zum Inhalt.

So verschieden diese Belastungsarten in Bezug auf ihre Entstehung und Verursachung auch sein mögen, in ihren Auswirkungen unterscheiden sie sich nicht mehr so deutlich. Vielleicht werden deswegen im allgemeinen Sprachgebrauch unterschiedlichste Belastungssituationen unter dem Begriff "Stress" zusammengefasst.

Beispiel 1Unfall als Folge quantitativer Überforderung (Zeitdruck)

Stress als Folge von Zeitdruck ist ein Zustand, der von jedem Menschen unseres Kulturkreises mehr oder weniger häufig erlebt wird.

In diesen Situationen entsteht die Tendenz zu sicherheitswidrigem Verhalten, das als kompensatorisches Verhalten dem Zeitdruck entgegenwirken soll. Dadurch steigt die Unfallgefährdung.

Der folgende Fall belegt diesen Zusammenhang.

Ein Baustellenleiter ist verantwortlich für die fristgerechte Bauausführung. Daher sind für Teilabschnitte bis zur Endabnahme feste Zeitvorgaben gegeben. Allerdings setzen diese Vorgaben einen störungsfreien Baubetrieb voraus, der in Wirklichkeit nicht zu erwarten ist. Störungen sind Unterbrechungen, die sich zu einem erheblichen Zeitverlust aufaddieren können. Je stärker der Zeitdruck (Übergabetermin), desto stärker wird das Stresserleben.

Die Gefahr von hektischem und sicherheitswidrigem Verhalten ist dann sowohl beim Baustellenleiter als auch bei den Bauarbeitern als erhöht anzusehen. Den Zusammenhang verdeutlicht Bild 2-4.

Bild 2-4: Wie sicherheitswidriges Verhalten entstehen kann

Das eigentliche Problem ist weniger im sicherheitswidrigen Verhalten des oder der Mitarbeiter zu sehen; das eigentliche Problem liegt in der organisatorischen Arbeitsgestaltung.

Der Zusammenhang zwischen Unterlassungen bzw. Mängel in der Organisation und daraus resultierendem sicherheitswidrigen (kompensatorischen) Verhalten tritt hier deutlich zu Tage.

Präventionsmöglichkeiten

Wie aus Bild 2-4 zu entnehmen, können folgende Präventionsansätze abgeleitet werden:

Planung muss Störungen, die aus Erfahrung bekannt sind und die sich wiederholen können, ausdrücklich berücksichtigen. So sind Störungen auf Baustellen z.B. durch andere Gewerke oder Probleme mit der eigenen Terminhaltung infolge schlechten Wetters eher realistisch als unwahrscheinlich. Für unvorhergesehene Störungen, die zu einem größeren Zeitverlust führen können, ist ein entsprechendes Reglement festzulegen, das jedem Mitarbeiter bekannt ist und von jedem akzeptiert wird. Dazu gehören ansprechbare und entscheidungsbefugte Führungskräfte vor Ort, auf der Baustelle oder im Betrieb.

Muss dennoch unter Zeitdruck gearbeitet werden, ist umso eindringlicher auf die Einhaltung der entsprechenden berufsgenossenschaftlichen Vorschriften zu achten.

Beispiel 2 - Tödliche Verkehrsunfälle als Folge emotionaler Belastungen

Wenn Stresserleben zu einer höheren Unfallgefahr führt, müsste sich dies in erhöhten Unfallzahlen manifestieren. Werden reale Unfälle zugrunde gelegt, kann diese Aussage über eine retrospektive Betrachtung überprüft werden. Einem solchen Ansatz wurde in einer amerikanischen Erhebung (Selzer, 1969) nachgegangen.

Dabei wurden 96 Autofahrer, die für tödliche Unfälle mit insgesamt 117 Toten verantwortlich waren, zu ihrer Vorgeschichte befragt. Es ging darum festzustellen, inwieweit berufliche oder private Belastungen zu langfristigen Stressfolgen und dieser wiederum zu einer Einschränkung der Fahrfähigkeit geführt hatten. Es wurden dazu die überlebenden Autofahrer, Freunde, Ärzte, Kollegen, Arbeitgeber usw. befragt.

Auf der Grundlage dieser Datenbasis konnte auch das Stressniveau der nicht überlebenden Autofahrer berücksichtigt werden. Es wurde der Zeitraum von 12 Monaten vor dem Verkehrsunfall bezüglich Stress auslösender und kritischer Ereignisse untersucht. Persönliche Krisen, tragische Ereignisse, Konflikte, Krankheit, Überforderung, Tod von nahen Angehörigen, finanzielle Belastungen standen dabei im Mittelpunkt der Befragung.

Um einen Vergleich und eine Beurteilung zu ermöglichen, wurde eine ebenso große Kontrollgruppe von 96 Autofahrern, die unfallfrei waren, gebildet. Wie der folgenden Tabelle zu entnehmen ist, scheint dabei ein deutlicher Zusammenhang zwischen Stressbelastung und Unfallhäufigkeit zu bestehen.

Stress und emotionale Belastungen als Unfallursache

Gruppen Anzahl der Fahrer
%
Personalkonflikte
%
Persönliche Tragödien
%
Berufl. Stress, Geldsorgen
%
Ein oder mehr Stressoren
%
Unfallgruppe 96 32 9 36 52
Kontrollgruppe 96 7 5 8 18
Auszug


Präventionsmöglichkeiten

Liegen bei einem Mitarbeiter akute Belastungssituationen, z.B. emotionale Belastungen infolge kritischer Lebensereignisse wie etwa Todesfall in der Familie, vor, stellt sich die Frage nach der momentanen Arbeitsfähigkeit. Je nach Einschätzung des Vorgesetzten und je nach Wunsch des Mitarbeiters sollte die Möglichkeit einer persönlichen Freistellung für einige Tage, auch abweichend vom Urlaubsplan gegeben sein.

Alleinarbeit und Nachtschichten sind zu vermeiden. Als eine Folge kritischer Lebensereignisse können sich insbesondere nach Unfällen Traumatisierungen einstellen, die sich, sofern keine Behandlung stattfindet, zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) aus-weiten können. Berufsgenossenschaften bieten zur Vermeidung von unfallbedingten Traumatisierungen zunehmend Betreuungskonzepte an. Somit können nicht nur die bereits erwähnten Belastungsstörungen mit langen Ausfallzeiten vermieden werden, auch die durch Traumatisierungen bedingten Unfallgefährdungen lassen sich so reduzieren.

Beispiel 3 - Unfallgefahr aufgrund situativer Überforderung
(Informationsverdichtung)

Sowohl im Arbeitsleben als auch im Straßenverkehr kann es, wie bereits oben angedeutet, zu Situationen kommen, in denen die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit überfordert ist, was wiederum zu einer höheren Unfallgefährdung führt.

Situationen dieser Art ergeben sich häufig unvorhergesehen, womit eine adäquate Handlungsregulation zusätzlich erschwert wird. Das folgende Beispiel beschreibt eine Situation aus dem Straßenverkehr, die jeder erfahrene Autofahrer in ähnlicher Weise sicherlich schon erlebt hat. Wie in der folgenden Abbildung ersichtlich, handelt es sich um die hinweisende Beschilderung unmittelbar vor einem Verkehrskreisel.

Durch die dargestellte Verkehrssituation ist zumindest der ortsfremde Autofahrer überfordert, da er in ca. 10 Sekunden oder innerhalb 100 m die Information des Verkehrsschildes wahrnehmen und verarbeiten muss, um eine Entscheidung bezüglich des Einordnens treffen zu können. Dabei muss er den Verkehr beachten.

Wie die Erfahrung der Verkehrsbehörde zeigt, ereignen sich an dieser Stelle in der Tat gehäuft kritische Situationen mit Unfällen, die nur deswegen nicht zu größeren Schäden führen, da die Geschwindigkeit in und vor dem Kreisel reduziert ist.

Die in diesem Beispiel dargestellte Fehlbeanspruchung als Folge einer Informationsverdichtung kann auch auf Arbeitstätigkeiten übertragen werden, etwa wenn unerfahrene Mitarbeiter Überwachungs-, Kontroll- und Steuertätigkeiten verrichten und es dabei zu unvorhergesehenem Zeitdruck kommt.

Präventionsmöglichkeiten

Verhältnisprävention vor Verhaltensprävention ist ein Grundsatz, der insbesondere bei Gefährdungen dieser Art zu beachten ist. Verhaltensorientierte Maßnahmen würden allein ohne nachhaltige Wirkung bleiben. Notwendig wäre hier eine rechtzeitige Beschilderung, welche die relevanten Informationen in eindeutiger und nicht verwirrender Form beinhaltet. Voraussetzung dazu ist die Kenntnis der notwendigen perzeptiven, kognitiven und motorischen Anforderungen, die sich an den Autofahrer stellen und die jeweils dazu notwendige Zeit. Dabei müssten die Verkehrsplaner, und das ist entscheidend, von ortsunkundigen Autofahrern ausgehen.

Überträgt man dieses Beispiel auf den betrieblichen Alltag stellt sich die Frage, wann und wo von situativer Überforderung ausgegangen werden kann. Diese Frage allerdings darf nicht dem erfahrenen Praktiker, sondern muss dem unerfahrenen und nicht routinierten Mitarbeiter gestellt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Berufsgenossenschaften das Thema "Stress als Unfallursache" aufgenommen haben und in wirksamer Form Unterstützung durch Beratung, Schulung und Information anbieten.

3 Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren

Der Zusammenhang zwischen Stress und Arbeitswelt ist vielfältig. So finden sich in der Arbeitswelt diverse physische Stressoren, die aus ergonomischen Fragestellungen im Zusammenhang mit Umgebungsbelastungen als auch mit tätigkeitsspezifischen Belastungen bekannt sind. Hinzu kommen psychomentale und psycho-soziale Stressoren aus der Arbeitsorganisation und dem zwischenmenschlichen Bereich (Bild 3-1).

Dabei ist zu beachten, dass die diversen Stressoren selten einzeln auftreten und meist erst in Summe zu Erkrankungen führen. Dies macht die Erkenntnisgewinnung auf Basis von Daten bereits Erkrankter so schwierig. Gesundheitsberichte der Krankenkassen handeln ausschließlich von eingetretenen Erkrankungsfällen, die wiederum in der Form keine Schlüsse auf spezielle arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zulassen. Trotz der Vielfältigkeit der Stressoren ist die Reaktion des menschlichen Organismus jedoch immer die gleiche.

Die Ausprägung der körperlichen Folgen hängt insbesondere von der Einwirkungszeit des Stressors und der Stressempfindlichkeit des Individuums ab. Daher sind absolute Grenzwerte auch nicht zu ermitteln.

Die Möglichkeiten der Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren - also Vorsorgemaßnahmen, die getroffen werden, wenn auch die Gefahr einer Berufskrankheit noch nicht nachgewiesen ist - liegen im Bereich der Schaffung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen. Hierbei ist es zweckdienlich Probleme mehr-dimensional, sowohl von der individuellen und der institutionellen Seite als auch von der Seite der Belastungen, Beanspruchungen und, und dies ist ein häufig vernachlässigter Ansatz, der Ressourcen anzugehen (siehe Bild 3-2).

Bild 3-1: Stress-Ursachen

physische Stressoren mentale und soziale Stressoren
  • körperliche Schwerarbeit
  • Hitze
  • Nachtarbeit
  • körperliche Zwangshaltungen
  • Schwingungen
  • Kälte
  • Lärm
  • ungünstige Lichtverhältnisse
  • räumliche Enge
  • Gase, Stäube, Dämpfe
  • Konflikte mit Vorgesetzten und Mitarbeitern
  • Zeitdruck
  • Angst
  • widersprüchliche Arbeitsanweisungen
  • fehlende Fürsorge
  • Konkurrenzdruck
  • soziale Isolierung
  • Überforderung
  • Unterforderung
  • fehlende Entscheidungs- und Handlungsspielräume


Bild 3-2: Der Einfluss von Ressourcen und Belastungen auf die Beanspruchung des Menschen und deren mögliche Auswirkungen.

Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren können das Individuum beanpruchen. Daher sollte der Einzelne die möglichen Belastungen kennen und wie man möglichen, aus der Belastung resultierenden, Überforderungen begegnet (Bild 3-3).

Haben einwirkende Belastungen aufgrund der individuellen Konstitution oder auch durch permanente Einwirkung zu einer Beanspruchung geführt, kann das Individuum lernen mit der Beanspruchung umzugehen, z.B. durch mentales Training oder eine Optimierung des eigenen Zeitmanagements. Eine weitere Möglichkeit besteht für den Einzelnen darin, seine Ressourcen zu erhöhen, z.B. durch eine ausgleichende Freizeitgestaltung oder, bezogen auf die Arbeitswelt, durch weitergehende Qualifizierung.

Gleichzeitig kann institutionell auf der Belastungsseite durch den Abbau von Belastungen aus der Arbeitswelt entgegengewirkt werden. Da nicht alle Belastungen, die aus dem Fertigungsprozess entstehen, beseitigt werden können, gilt es in diesem Fall einseitige Beanspruchungen abzufangen, z.B. durch die Erweiterung der Arbeitsinhalte.

Bild 3-3: Dieser Stress war zu viel

© dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH

Aus gleichem Grund ist es vorteilhaft, den Mitarbeitern größere Handlungsspielräume zu geben, in denen sie auch ihre fortlaufende Qualifizierung einbringen können und somit einseitigen Belastungen und Beanspruchungen physischer als auch psychischer Art entgegenwirken.

Die Berufsgenossenschaften sehen vor allem aus zeitlichen und personellen Gründen und auch aus der Historie heraus die größten Einflussmöglichkeiten im Bereich des Abbaus von zu hohen Arbeitsbelastungen. Auch die Verhinderung potenzieller Berufskrankheiten spielt hier eine Rolle.

Um der Vielzahl an Arbeitsbelastungen, die zu arbeitsbedingten Erkrankungen führen können, wirksam zu begegnen, ist eine gefährdungsorientierte Steuerung der Präventionsarbeit notwendig.

Hierfür benötigen die Berufsgenossenschaften aber auch die Betriebe ein Werkzeug, welches ihnen zum einen Informationen liefert, um den gesetzlichen Auftrag gemäß Sozialgesetzbuch SGB VII und Arbeitsschutzgesetz bezüglich der "Arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren" umzusetzen, als auch ein Werkzeug, welches hilft, Beratungs- und Präventionsschwerpunkte zu setzen und außerdem die betriebliche Gefährdungsbeurteilung um die arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren effektiv ergänzt.

Unter diesen Voraussetzungen ist bei den Metall-Berufsgenossenschaften ein Fachinformationssystem zur Identifikation und Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren (FIPAG) entstanden (Arning, 1999). Das Fachinformationssystem FIPAG ermittelt, ausgehend von Branchen und Berufen und deren spezifischen Tätigkeiten, die Häufigkeit des Auftretens von diversen Belastungen und Gefährdungen und schlägt schließlich zu dieser Verbindung aus Branche, Tätigkeit und Gefährdung geeignete Präventionsmaßnahmen vor. Die Vorkommenswahrscheinlichkeit wurde durch Befragung der Betroffenen und der Verantwortlichen ermittelt und mögliche Präventionsmaßnahmen wurden und werden von den betrieblichen und überbetrieblichen Experten zugeordnet.

In FIPAG sind über 130 Tätigkeiten aus 12 Branchen der Metallverarbeitung, -bearbeitung und -erzeugung mit 30 Gefährdungen und Belastungen, die im Zusammenhang mit arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren stehen, betrachtet worden. Die von FIPAG untersuchten Belastungen können darüber hinaus in Abhängigkeit von der Berufsangabe, der Betriebsgröße, dem Alter der Mitarbeiter und in der Sichtweise der Betroffenen und Verantwortlichen betrachtet werden.

Das Bild 3-4 zeigt exemplarisch eine Auswahl an Belastungen bei der Bedienung ortsfester Maschinen und ihre Abhängigkeit von der Betriebsgröße.

Zum Beispiel wird bei der Bedienung ortsfester Maschinen das lange Stehen von 64 % der Befragten am häufigsten als Belastung genannt. Die Trendlinie zeigt eine mit zunehmender Betriebsgröße abnehmende Belastung.

An vierter Stelle folgt das Tragen der persönlichen Schutzausrüstungen. Insgesamt empfinden dies 46 % der Befragten als belastend. Hier zeigt die Trendlinie eine starke Zunahme mit der Betriebsgröße. Eine Ursache könnte hier der oft vorkommende größere Handlungsspielraum der Betroffenen in der Wahl ihrer persönlichen Schutzausrüstungen in Klein- und Mittelbetrieben sein. Eine andere Vermutung ist, dass in Klein- und Mittelbetrieben die Tragequote geringer ist, sodass mögliche Belastungen aus dem Tragen der persönlichen Schutzausrüstungen nicht wahrgenommen werden.

Abschließend hierzu wird an sechster Stelle die Belastung Heben und Tragen von 39 % der Befragten angegeben.

Diese Belastung nimmt im Trend mit zunehmender Betriebsgröße ab. Insbesondere in Großbetrieben fällt hier die Nennungshäufigheit auf unter 30 %, was z.B. auf den höheren Einsatz von Hebe- und Tragehilfen zurückzuführen sein kann.

Bild 3-4: Die Belastungen "langes Stehen", "persönliche Schutzausrüstungen (PSA)" und "Heben und Tragen" bei der Bedienung ortsfester Maschinen in Abhängigkeit von der Betriebsgröße. Die Linien zeigen den Betriebsgrößen abhängigen Trend an

Bild 3-5: Differenzen und Ausprägungen der Belastungseinschätzung zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten

Auf diese und ähnliche Weise liefert das Informationssystem FIPAG Auswertungen zu physischen arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren, die oft psychische Beanspruchungen zur Folge haben.

Weiterhin gibt FIPAG Hinweise auf unzureichende Kommunikations- und Organisationsstrukturen.

Das Bild 3-5 betrachtet wiederum Belastungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit "Bedienen ortsfester Maschinen", eingeschränkt auf die Branche Maschinenbau, in Abhängigkeit der Angaben aus Sicht der Mitarbeiter und aus Sicht der Vorgesetzten, die in der Befragung die Belastungssituation ihrer Mitarbeiter aus ihrer Sicht angegeben haben.

Hier zeigt sich aus der Differenz zwischen den Angaben der Mitarbeiter und der Vorgesetzten, dass die Vorgesetzten die auch im klassischen Arbeitsschutz relevanten Themen höher gewichten als die Mitarbeiter, während diese wiederum die im Bereich der arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren angesiedelten Belastungen häufiger nennen. Dies lässt darauf schließen, dass ein Teil der Vorgesetzten ein Informationsdefizit vom Belastungsempfinden ihrer Mitarbeiter haben, welches wiederum auf Kommunikationsprobleme hindeutet.

Um Stressoren aus der betrieblichen Organisation und dem menschlichen Miteinander zu minimieren, treten für die Präventionsarbeit auf institutioneller Seite neben beanspruchungsorientierten auch ressourcenorientierte Maßnahmen in den Vordergrund. Da FIPAG auf Daten einer überbetrieblichen Erhebung beruht, ist eine vertiefende Erfassung und Auswertung zu psycho-sozialen Belastungen nicht möglich.

Trotzdem kann das Ausmaß an potenziellen Belastungen aufgrund der Arbeitsorganisation und des zwischenmenschlichen Miteinanders auch mit FIPAG abgeschätzt werden (Bild 3-6).

So geben ca.2/3der Befragten häufige Unterbrechungen und Störungen des Arbeitsablaufs an, fast ebenso viele stehen unter Zeit- und Leistungsdruck und leisten Überstunden, ca. 13 arbeitet am Wochenende, jeder vierte gibt an, keine Anerkennung über geleistete Arbeit zu erhalten und ebenso viele klagen über Spannungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern.

Letztlich weisen diese Belastungen auf erhebliche organisatorische und kommunikative Probleme hin.

Bild 3-6: Psycho-soziale Belastungen in Metal verarbeitenden Unternehmen

Auf der Grundlage des in Bild 3-4 aufgezeigten Belastungs-Beanspruchungskonzeptes lassen sich fünf Präventionsstrategien ableiten:

Strategie 1 - Arbeitsbedingte Belastungen erkennen, beurteilen und ggf. entschärfen

Arbeitsbedingte Belastungen (und Gefährdungen) können durch die Realisierung von Gefährdungsanalysen identifiziert werden. Hilfreich hierzu ist die Gefährdungsbeurteilung der Vereinigung der Metall-Berufsgenossenschaften und/oder die Befragung von Mitarbeitern, z.B. mit Hilfe eines erweiterten FIPAG-Fragebogens.

Strategie 2 - Persönliche Ressourcen stärken

Handlungsmöglichkeiten ergeben, sich durch Auswahl und Platzierung sowie durch Qualifikationsmaßnahmen. Eine sinnvolle Hilfe stellt dabei die MELBA-Methode (www.melba.de) dar.

Betriebliche Gesundheitsförderung, unterstützt durch medizinische Vorsorgeuntersuchungen, kann hier einen weiteren Beitrag leisten.

Strategie 3 - Schädliche Beanspruchungsfolgen frühzeitig erkennen

Folgen dieser Art sollten möglichst frühzeitig erkannt werden, um rückwirkende primär- und sekundärpräventive Maßnahmen einleiten zu können. Dazu bieten sich vielfältige Möglichkeiten: AU-Datenanalyse, Mitarbeitergespräche, Mitarbeiterbeurteilung usw.

Strategie 4 - Externe Ressourcen schaffen

Externe Ressourcen stehen für die Möglichkeit der betrieblichen Einflussnahme, wie z.B. soziale Unterstützung durch Vorgesetzte oder die Erweiterung des Tätigkeits-, Handlungs- und Entscheidungsspielraumes.

In diesem Zusammenhang ist auch das Konzept der vollständigen Tätigkeit (Richter und Hacker, 1991), das Demand-Control-Modell von Karasek (1978) sowie das Salutogenesekonzept von Antonovsky zu nennen.

Partizipationsmöglichkeiten der Mitarbeiter spielen dabei eine große Rolle (Schubert, H.-J. & Zink, K.J., 1990).

Strategie 5 - Gesunden Lebensstil unterstützen

Da sich Belastungen aus der Privatsphäre auch auf die Arbeitsfähigkeit auswirken können, dürfen diese nicht unbeachtet bleiben. Das Unternehmen hat hier aber nur bedingt Einflussmöglichkeiten.

Positive Effekte können allerdings durch die Krankenkassen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung erzielt werden.

Um diese Strategien im Unternehmen einzuführen, haben einige Berufsgenossenschaften Beraterteams für eine ganzheitliche, systemische Unternehmensberatung eingerichtet. Anfang der 90er Jahre fokussierte sich der Beratungsumfang auf die Arbeitssicherheit.

Hierbei wurde insbesondere auf die Unternehmenskultur hinsichtlich der Implementierung von Arbeitssicherheit in die Unternehmensleitlinien, auf die Integration der Arbeitssicherheit in die Ablauforganisation und auf die Motivation der Führungskräfte zum Umgang mit dem Thema Arbeitssicherheit und kontinuierliche Erfolgskontrollen hingewirkt.

Das Bild 3-7 zeigt anhand der Messgröße "Arbeitsunfälle je 1 Mio. geleisteter Arbeitsstunden" den Erfolg dieses Konzepts in Bezug auf das Unfallgeschehen. Hier sind die Arbeitsunfalldaten von 25 Unternehmen der Norddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft, die seit 1992 beraten wurden, in Bezug zum Unfallgeschehen vor Beratungsbeginn ausgewertet worden.

Bild 3-7: Prozentuale Veränderung der Arbeitsunfälle je 1 Million geleisteter Arbeitsstunden nach erfolgter Unternehmensberatung durch die Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft

Die Zahlen zeigen, dass die konsequente und kontinuierliche Umsetzung der aufgezeigten Arbeitssicherheitsstrategie zu einer nachhaltigen Reduzierung des - Unfallgeschehens führt. Die Berufsgenossenschaften stimmen bezüglich des erweiterten Präventionsauftrags überein, dass auf die Gesundheit der Versicherten nur über den Weg der Beratung hingewirkt werden kann.

Das Ziel einer systemischen Unternehmensberatung (Ducki, 1998) ist es, sowohl arbeitsbedingte Erkrankungen als auch Arbeitsunfälle zu verhüten. Diese Ziele werden auch von Betrieben vor dem Hintergrund steigender Kosten aufgrund von hohen Fehlzeiten genannt.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss insgesamt der Gesundheitszustand der Belegschaft verbessert werden, d.h. Belastungen und Beanspruchungen bereits im Vorfeld von Erkrankungen zu reduzieren bzw. abzustellen oder zu kompensieren.

Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist der Aufbau unternehmensinterner, funktionierender Strukturen im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dieses setzt wiederum eine Ablauforganisation mit klaren Verantwortlichkeiten, einhergehend mit funktionierenden Kommunikationsstrukturen und einer motivierenden Führungskräftekultur voraus (s.a. Kotter, 1996).

Ist dieses vorhanden, sind eine erhöhte Arbeitszufriedenheit, Produktivität und Effizienz sowie Produktqualität und Liefertreue die Folge und damit wiederum die Eingangsvoraussetzung für die oben genannten Ziele erfüllt.

Erkennt der Betrieb diese Eingangsvoraussetzungen als Motor für die Gesundheitserhaltung seiner Mitarbeiter, ergeben sich nicht nur direkte Kostenvorteile aus reduzierten Fehlzeiten, sondern auch indirekte Kostensenkungen durch einen Abbau von Betriebsstörungen.

4 Stress aus Sicht der Arbeitnehmer

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in den vergangenen Jahren eine stetige Veränderung in ihren Arbeits- und Lebensbedingungen erfahren. Diese Veränderungen erwachsen sowohl aus Veränderungen in den Tätigkeiten, der Aufgaben und dem Arbeitsplatz als auch aus den arbeitsvertraglichen Bedingungen. Während die Tätigkeiten und die Arbeitsaufgaben in den letzten Jahren immer stärker durch einen rasanten Anstieg der geforderten Arbeitsleistungen geprägt waren, sind es bei den arbeitsvertraglichen Veränderungen insbesondere die Auflösung der arbeitsvertraglichen Beziehungen, die massive Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben.

Immer mehr Menschen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen, d.h. sie haben nur einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag oder sind scheinbar selbstständig oder werden als Leiharbeitnehmer in andere Betriebe geschickt. Für viele Beschäftigte besteht heute die Situation, dass sie ihre Arbeitsaufgaben nicht mehr an einem festen Arbeitsplatz zu einer bestimmten Arbeitszeit erledigen, sondern als Arbeitsmittel nur noch einen PC und ein Telefon benötigen, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Entsprechend löst sich damit auch die Trennung zwischen Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit zunehmend auf. Die persönliche Verfügbarkeit für die Erledigung bestimmter Arbeitsaufgaben wird immer weiter in die Freizeit hinein ausgedehnt. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist die rapide Zunahme der psychischen Belastungen, also des Stresses.

4.1 Welche Bedeutung hat Stress?

Psychische Belastungen, die die geistige, die emotionale sowie die soziale Bewältigung der Arbeitsaufgabe beeinflussen, ergeben sich aus bestimmten Bedingungen:

Die Folgen dieser Belastungen erleben wir als körperliche, geistige und emotionale Beanspruchungen (Bild 4-1). Ob man die psychischen Belastungen unbeschadet ertragen kann oder ob sie zu Stress und gesundheitlichen Schäden führen ist sehr unterschiedlich. So können beispielsweise Belastungen durch die ; Arbeitszeit und die Arbeitsumgebung nur in einem sehr beschränkten Maß durch individuelle Gegenmaßnahmen verringert werden. Sie führen über kurz oder lang zu psychischen Beanspruchungen mit Folgen für die Gesundheit. Bei anderen Belastungen besteht wiederum die Möglichkeit, durch Veränderungen im Verhalten psychische Beanspruchungen und insbesondere Stress zu vermindern. Wesentlich hierbei ist, welche Möglichkeiten der Betrieb oder das Unternehmen dem einzelnen Beschäftigten bietet, um sich auf die Bewältigung der geforderten Leistungen vorzubereiten. Wesentlich wichtiger ist aber, ob die betrieblichen Verhältnisse so gestaltet sind, dass psychische Belastungen und Stress überhaupt vermieden werden. Hierbei spielt vor allem eine Rolle, wie die betriebliche Kommunikation und Kooperation gestaltet ist, welche Arbeitsleistungen verlangt werden usw. Leistungsanforderungen führen dann nicht zu psychischen Belastungen und Stress, wenn die persönliche Leistungsfähigkeit, die fachlichen Qualifikationen, die beruflichen Erfahrungen, die Kompetenz mit anderen Menschen umzugehen sowie - und dies ist von ganz zentraler Bedeutung - die Möglichkeit, sich von den täglichen beruflichen Belastungen zu erholen, hinreichend berücksichtigt werden.

Bild 4-1: Wechselwirkungen zwischen Arbeitnehmer und Umwelt

Einzelne vergleichbare Belastungssituationen führen nicht nur bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Beanspruchungen, sie führen bei ein und derselben Person situationsabhängig zu unterschiedlichen Beanspruchungen und Gesundheitsgefährdungen. Die persönliche Beanspruchung hängt nicht nur von der Art und der Höhe der Belastungen, sondern auch von der augenblicklichen Befindlichkeit der einzelnen Person ab. Jeder erlebt es bei sich selbst, dass ihn gleiche Arbeitsbedingungen unterschiedlich stark beanspruchen. Besonders deutlich wird dies immer dann, wenn man, gut erholt aus dem Urlaub kommend, die gleichen belastenden Arbeitsbedingungen wesentlich gelassener bewältigt als noch vor dem Urlaub. Ein ähnlicher Effekt zeigt sich auch, wenn psychische Belastungen von jüngeren wesentlich leichter bewältigt werden als von älteren Beschäftigten. Während jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beruflichen Stress vielfach als Indiz dafür sehen, dass sie in ihrem Beruf voll gefordert werden, dass sie erfolgreich und wichtig sind, wandelt sich dieses Verständnis im Laufe des Arbeitslebens. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich die körperliche Leistungsfähigkeit mit steigendem Lebensalter verringert und ältere Beschäftigte früher und längere Erholphasen brauchen. Die Fähigkeit der Bewältigung von beruflichem Stress sinkt mit höherem Lebensalter. Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Lebensalter der Arbeitsplatz eine andere Bedeutung erhält. Für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet der Verlust ihres Arbeitsplatzes häufig nicht nur das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben, sondern gleichzeitig auch finanzielle Unsicherheit und die Gefahr des sozialen Abstiegs der ganzen Familie. Psychische Belastungen und beruflicher Stress - werden von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dann nicht mehr als beruflicher Erfolg und berufliche Anerkennung empfunden, wenn sie keine Möglichkeit haben, diese Belastungen durch Veränderungen in den Arbeitsbedingungen oder durch individuelle Maßnahmen abzubauen bzw. zu verringern.

Aber auch für jüngere, gesunde und voll leistungsfähige Menschen gilt: Wer täglich lange und intensiv arbeitet, braucht grundsätzlich auch mehr Zeit, sich wieder zu erholen. Wird der notwendige Erholungsrhythmus vernachlässigt, führt dies zu einer Erholungsunfähigkeit, das heißt, es gelingt nicht mehr, in der Freizeit abzuschalten und sich tatsächlich physisch wie psychisch zu regenerieren. Dies ist eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis.

Psychische Belastungen und Stress haben neben beruflichen auch individuelle Komponenten und es ist nicht einfach, diese beiden voneinander zu trennen. Wichtig ist, dass beruflich bedingte psychische Belastungen eine immer wichtigere Rolle spielen und von den Beschäftigten auch ganz ausdrücklich als Belastungen empfunden und benannt werden.

Bild 4-2: Stress im Büro

Die psychischen Belastungen aus der Arbeitswelt und damit auch der berufliche Stress haben in den vergangenen Jahren ganz erheblich zugenommen. Grund hierfür sind die technischen, organisatorischen und personellen Rationalisierungsmaßnahmen der vergangenen Jahre. Arbeitsabläufe wurden weiter verdichtet, Informations- und Kommunikationsprozesse weiter technisiert, die Arbeitszeiten trotz tariflicher Arbeitszeitverkürzung weiter ausgedehnt. Viele Beschäftigte sind auch in ihrer eigentlich arbeitsfreien Zeit noch beruflichen Anforderungen ausgesetzt und können sich nicht erholen (Bild 4-2). Gerade durch die neuen Informations- und Kommunikationsmittel, durch Mobiltelefone, durch privaten Zugriff auf dienstliche E-Mails, aber auch durch organisatorische Öffnungen der arbeitsfreien Zeit für betriebliche Belange, wie etwa durch Rufbereitschaften, Arbeiten auf Abruf usw., sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vielfach auch in ihrer Freizeit für betriebliche Belange mehr oder weniger ständig erreichbar.

Ein weiteres Moment für den Anstieg von psychischen Belastungen und von Stress ergibt sich schließlich für viele Beschäftigte durch die Übertragung der Verantwortung für die Erbringung einer gleich-bleibend hohen und qualitativ einwandfreien Arbeitsleistung, allerdings ohne ihnen die Möglichkeiten zu geben, den Arbeitsprozess nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen gestalten zu können. Dieser Mangel an Einflussmöglichkeiten betrifft in der Regel vor allem die Leistungsvoraussetzungen, also die personellen, organisatorischen und technischen Arbeitsvoraussetzungen.

Die Quellen von psychischen Belastungen und von beruflichem Stress sind also außerordentlich vielschichtig und in der Regel eine Kombination aus Umwelteinflüssen (Lärm, Klima usw.), existenziellen Schwierigkeiten und Bedrohungen (Angst um den Arbeitsplatz, finanzielle Schwierigkeiten usw.). Quelle kann aber auch das aktuelle körperliche Befinden (Unwohlsein, Krankheiten oder Schlafstörungen) sein. Nicht zuletzt können psychische Belastungen und Stress aber auch durch eigene Gedanken und Erwartungen, die Art und Weise, wie man auf seine Umgebung oder auf Ereignisse reagiert, wie viele Sorgen man sich macht, welche negativen Erfahrungen und Erwartungen man hat, Auslöser für Stress sein.

Seit einigen Jahren spielen aber zwei Faktoren eine ganz besondere Rolle bei der Entstehung von psychischen Belastungen und beruflichem Stress. Dies ist zum einen der enorm gestiegene Termin- und Leistungsdruck und zum anderen, und hieraus resultierend, die schwieriger zu bewältigenden kommunikativen und sonstigen Arbeitsbeziehungen zu anderen Beschäftigten, zu Vorgesetzen und zu Untergebenen. Wer kennt diese Situation nicht: Es bedarf eigentlich eines Abstimmungsgesprächs, doch hierzu ist nicht ausreichend Zeit. Die verbesserten technischen Voraussetzungen für eine engere kommunikative Verbindung sind zwar gegeben, der gestiegene Zeit- und Leistungsdruck macht eine ausreichende Abstimmung aber häufig unmöglich.

Diese enorm gestiegenen Belastungen lassen sich auch in Zahlen darstellen: Bei einer Umfrage des nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialministeriums 1996 sagten von den befragten Beschäftigten

immer oder häufig überfordert zu sein (siehe Bild 4-3). In einer anderen Untersuchung, einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt und . , Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, gab 1998/1999 jede zweite beschäftigte Person an, unter Termin- und Leistungsdruck zu arbeiten.

Bild 4-3: Umfrage des nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialministeriums 1996

4.2 Stress als Ursache von Erkrankungen?

Die dargestellten Veränderungen in den Arbeitsbedingungen haben bei den betroffenen Beschäftigten nicht nur zu höheren Belastungen und zu Stress, sondern auch zu gesundheitlichen Schädigungen geführt. Die Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherungen weisen zwar nicht die Zahlen über psychische oder psychosomatische Erkrankungen aus. Es sind aber die Zahlen der schweren psychischen Erkrankungen, die als psychiatrische Erkrankungen erfasst sind.

Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen hat in der Statistik der Krankheitsarten für 1999/2000 eine Übersicht über die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage pro 100 Versicherten veröffentlicht. Aus ihr wird deutlich ersichtlich, dass die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage durch psychiatrische Erkrankungen seit Jahren steigt (Bild 4-4).

1999 standen die psychiatrischen Erkrankungen innerhalb der Diagnosehauptgruppen an sechster Stelle (Bild 4-5). Dieser Anstieg der psychiatrischen Erkrankungen dürfte auch seine Ursachen in den veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen haben.

Bemerkenswert ist, dass die Arbeitsunfähigkeitstage der Frauen wegen psychiatrischer Erkrankungen um 40 % höher lagen als die der Männer. Dies verwundert insofern nicht, als sich die Arbeitsplätze, an denen Frauen häufig beschäftigt sind, dadurch auszeichnen, dass

sind.

Bild 4-4: Arbeitsunfähigkeitstage durch psychiatrische Erkrankungen

Bild 4-5: AU-Tage je 100 Mitglieder

Krankheitsart Pflichtversicherte
Arbeiter Angestellte
1. Muskel- und Skeletterkrankungen 647 194
2. Krankheiten der Atemwege 374 240
3. Verletzungen und Vergiftungen 329 114
4. Krankheiten der Verdauungsorgane 156 86
5. Herz-/Kreislauferkrankungen 130 53
6. Psychiatrische Erkrankungen 99 72
Quelle: Krankheitsartenstatistik 1999, Hrsg. BKK Bundesverband, Essen 2001


Zwischen 1996 und 1998 hat es einen Rückgang der psychiatrischen Erkrankungen in der Statistik der Betriebskrankenkassen gegeben. Dieser Rückgang war nicht nachhaltig und wohl kaum das Resultat einer Verbesserung der gesundheitlichen Vorsorge. Es muss vielmehr vermutet werden, dass dieser Rückgang in einem Zusammenhang mit dem Rückgang der Krankheitstage insgesamt in dieser Zeit steht.

Es muss daran erinnert werden, dass von Arbeitgeberseite in diesem Zeitraum eine massive Kampagne zur Reduzierung der Krankheitstage durchgeführt und Kranke pauschal als "Blaumacher" tituliert wurden. Der Rückgang bei den psychiatrischen Erkrankungen war dabei geringer als bei den anderen Erkrankungen und wie die Kurve zeigt, nicht nachhaltig.

Psychische Belastungen bei der Arbeit und betrieblicher Stress verursachen aber auch andere Erkrankungen. Eine arbeitsmedizinische Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kam 1997 zu folgender Schlussfolgerung: "Wer pro Woche mindestens fünf Überstunden arbeitet, verdoppelt fast sein Infarktrisiko." 1)

In einer anderen Studie kommt der hessische Landesgewerbearzt zu folgendem Ergebnis: Bei lang andauernden, häufigen Überstunden erhöht sich das Herzinfarktrisiko sogar um den Faktor 7,3.

Dieser Zusammenhang von überlangen Arbeitszeiten und Stress mit Herz-Kreislauferkrankungen gilt als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis.

In Deutschland sterben jährlich fast 100000 Menschen an Herzinfarkt. 20 % davon gelten als arbeitsbedingt verursacht.

Mit anderen Worten: Durch Belastungen im Arbeitsleben sterben jährlich fast 20000 Menschen an einem Herzinfarkt. Ein großer Teil dieser Belastungen geht auf das Konto von Stress und psychischen Belastungen.

Es ist eigentlich verwunderlich, wie wenig solche Fakten in der öffentlichen Diskussion wahrgenommen werden. Dass durch Stress die gesamte körperliche Verfassung beeinflusst wird und Gesundheitsschädigungen entstehen können, hat eine Erhebung der Europäischen Stiftung in Dublin gezeigt. 2)

Durch hohes Arbeitstempo und ständigen Leistungsdruck verdoppelt sich etwa die Zahl der Beschäftigten, die über Rückenschmerzen, Muskelschmerzen in Nacken und Schultern und allgemeinen Stress klagen.

Die Erhebung zeigt auch, dass derartige Arbeitsbedingungen zu einer Erhöhung der Unfallrisiken führen (Bilder 4-6 und 4-7). Die Prognose für die weitere Entwicklung ist eher düster. Der Anstieg der psychischen Belastungen in den Betrieben trifft auf eine Arbeitnehmerschaft, deren Durchschnittsalter in den nächsten Jahren stetig steigen wird.

Die zunehmenden physischen Belastungen treffen also Beschäftigte, die aufgrund ihrer physischen und psychischen Konstitution immer weniger in der Lage sind, diese Belastungen ohne gesundheitliche Schädigungen zu ertragen.

Bild 4-6: Gesundheitsprobleme und ständiges Arbeiten mit hoher Geschwindigkeit Arbeitsbedingungen in Europa - 3. Erhebung im Frühjahr 2000

  Rücken-
schmerzen
Stress Muskelschmerzen in Nacken und Schultern Verletzungen
% % % %
Ständiges Arbeiten mit hoher Geschwindigkeit 46 40 35 11
Kein ständiges Arbeiten mit hoher Geschwindigkeit 25 21 15 5
Quelle: EUROPEAN FOUNDATION for the Improvement of Living and Working Conditions,

Ten Years of Working Conditions in the European Union, von Damien Merllie und Pascal Paoli, Dublin 2001


Bild 4-7: Gesundheitsprobleme und ständiges Arbeiten mit engen Zeitvorgaben Arbeitsbedingungen in Europa - 3. Erhebung im Frühjahr 2000

  Rückenschmerzen Stress Muskelschmerzen in Nacken und Schultern Verletzungen
% % % %
Ständiges Arbeiten mit engen Zeitvorgaben 42 40 31 10
Kein ständiges Arbeiten mit engen Zeitvorgaben 27 20 17 5
Quelle: EUROPEAN FOUNDATION for the Improvement of Living and Working Conditions,

Ten Years of Working Conditions in the European Union, von Damien Merllie und Pascal Paoli, Dublin 2001


4.3 Was kann und muss getan werden?

Es steht mittlerweile außer Zweifel: Wir haben dringenden Handlungsbedarf für eine Verminderung der psychischen Belastungen. Die psychischen Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen zügig abgebaut werden.

Dazu ist zunächst erforderlich, bei allen Beteiligten ein verschärftes Bewusstsein für das Problem der psychischen Belastungen zu schaffen.

Das heißt, allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wie auch allen Verantwortlichen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene muss bekannt sein, dass psychische Belastungen und Stress gesundheitsschädigend wirken können. Psychische Belastungen und Stress sind keine "weichen" Belastungen, wie a häufig behauptet wird.

Es muss bewusst gemacht werden, dass psychische Belastungen und Stress ebenso wie Lärm, Gefahrstoffe, Heben und Tragen von Lasten und andere Belastungen die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachhaltig schädigen und erhebliche Kosten verursachen können. Es muss deshalb vermittelt werden, wodurch psychische Belastungen und Stress entstehen und welche Folgen sie nach sich ziehen.

Es muss vor allem auch vermittelt werden, mit welchen Mitteln und Maßnahmen die psychischen Belastungen und Stress vermieden bzw. abgebaut werden können.

4.3.1 Wie kann die Wahrnehmung von Stressbelastungen erhöht werden?

Natürlich ist der Arbeitgeber bei der Gefährdungsermittlung und -beurteilung sowie der Entwicklung von Maßnahmen zur Beseitigung der ermittelten Gefährdungen auch verpflichtet, psychische Belastungen zu verringern. Leider mussten wir in der Vergangenheit feststellen, dass die Arbeitgeber ihren Verpflichtungen aus dem Arbeitsschutzgesetz völlig unzureichend nachkommen. Nur in etwa 20 % der Betriebe wurde bisher die vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Entsprechend fehlt in vier von fünf Betrieben die Mindestvoraussetzung, um systematisch Maßnahmen zur Vermeidung psychischer Belastungen durchführen zu können.

An Hilfestellungen in Form von Checklisten, Informationsmaterial usw. würde es nicht mangeln. Die Gewerkschaften, gewerkschaftsnahe Einrichtungen, wie beispielsweise die Technologieberatungsstellen, aber auch viele Berufsgenossenschaften bieten derartige Materialien und Hilfestellungen sowie Qualifizierungsmaßnahmen an, in denen adressatenspezifisch die erforderlichen Kenntnisse vermittelt werden. Bei einer Mehrheit der Arbeitgeber mangelt es schlicht an der Bereitschaft, dem Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Arbeitnehmer den ihm zukommenden Stellenwert zu geben und dies, obwohl mittlerweile vielfach belegt wurde, dass unterlassener Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schädigt, sondern auch zu wirtschaftlichen Nachteilen für die Betriebe führt. 3)

Bei der Beratung der Arbeitgeber spielen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit und die Betriebsärzte eine zentrale Rolle. Die Bereitschaft der Arbeitgeber, sich bestimmter sicherheitstechnischer und gesundheitlicher Fragen im Betrieb anzunehmen, hängt vom Nachdruck ab, mit denen Fachkräfte und Betriebsärzte ihre Beratungsfunktion wahrnehmen.

Bislang muss festgestellt werden, dass weder die Fachkräfte noch die Betriebsärzte sich in besonderer Weise mit psychischen Belastungen befasst oder ' gar beim Vorliegen solcher Belastungen interveniert hätten - von einigen wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Dies ist auch nicht verwunderlich, da das Problem der psychischen Belastungen bei beiden Gruppen weder in ihrer Qualifizierungsphase noch im Rahmen der Fortbildung eine Rolle gespielt hat. Für die Zukunft muss deshalb gefordert werden, dass in Fortbildungsmaßnahmen für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und für Betriebsärzte auf die Rolle und Bedeutung von psychischen Belastungen eingegangen wird und in den Betrieben auf die Teilnahme der Fachkräfte sowie der Betriebsärzte an solchen Veranstaltungen stärker geachtet wird.

Gefordert sind auch die staatlichen Institutionen, die ja Garant für die Einhaltung von Gesetzen und staatlichen Verordnungen sind. Gerade weil die Länder nicht nur für die Umsetzung und Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes, sondern auch für die Umsetzung und Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes verantwortlich sind, kommt ihnen eine herausragende Rolle bei der Verhütung von arbeitszeitbedingtem Stress zu. Tatsache ist aber, dass die staatlichen Stellen den betrieblichen Verstößen gegen Arbeitsschutzgesetze ausgesprochen lasch begegnen. Dabei verfügen sie über die rechtlichen Mittel, die Arbeitgeber zur Einhaltung der bestehenden Rechtsvorschriften zu zwingen. In einigen Bundesländern sind in den vergangenen Jahren zwar Projekte zur Überwachung der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes durchgeführt worden, diese Projekte waren aber nicht nur unzureichend personell und finanziell ausgestattet, sie standen vor allem unter dem Vorzeichen, die Betriebe möglichst nicht finanziell zu belasten. Staatliche Arbeitsschutzbehörden haben ihre Tätigkeit ganz überwegend auf die Beratung der Betriebe beschränkt. Anordnungen werden nur in Ausnahmefällen erlassen. Und obwohl mittlerweile bereits in den Medien der massenhafte Verstoß gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes diskutiert wird, hat dies nicht zu Reaktionen bei den Landesregierungen geführt.

Es muss leider festgestellt werden, dass Arbeits- und Gesundheitsschutz bei keiner Landesregierung ein wichtiges Thema ist. Als Beispiel mag Nordrhein-Westfalen dienen. Die Leiterin der Landesanstalt für Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen (LAFA) Frau Dr. Lehmann hat 1999 festgestellt, dass die Berücksichtigung psychischer Belastungen bei der aufsichtsdienstlichen Tätigkeit der staatlichen Arbeitsschutzbehörden Mängel aufweist. "Insbesondere wurde deutlich", so Frau Lehmann, "dass die personelle Ausstattung der Überwachungsbehörden mit ausgebildeten Fachleuten ... der Aufgabe nicht gerecht wird." 4)

Schlicht: Es fehlt Aufsichtspersonal und dies nicht nur in NRW. Die personelle Ausstattung der Aufsichtsdienste wurde nicht verbessert. Das zuständige Ministerium und die Landesregierung von NRW sind nicht in der Lage und willens, die Einhaltung der Gesetze zu überwachen. Zweites Beispiel Sachsen: Dort wird das Landesinstitut für Arbeitsmedizin aufgelöst. Die bisherigen Aufgaben dieses Instituts sollten nach dem Willen der Landesregierung auf die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie auf den Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften übertragen werden. Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einschließlich ihrer Interessensvertretungen sind unter diesen Verhältnissen ganz erheblich geschwächt.

Wenn es keine Instanz gibt, die bei Gesetzesverstößen durch die Arbeitgeber von den Betriebsräten angerufen werden kann, dann haben Betriebsräte es schwer, ihre Aufgaben zu erfüllen, nämlich die Einhaltung geltender Gesetze in den Betrieben zu überwachen, mitzugestalten und mitzubestimmen. Dieser Rückzug der Länderregierungen aus der Kontrolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes kann von den Gewerkschaften und den Betriebsräten nicht hingenommen werden.

Von den Landesregierungen wird eine qualifizierte Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ihrer betrieblichen Interessenvertreter bei der Ahndung von Verstößen gegen Arbeitsschutzgesetze gefordert. Die Einhaltung der geltenden Arbeitsschutzgesetze ist eine Mindestanforderung aus den EU-Richtlinien.

Betriebsräte und Beschäftigte sollten trotz der mangelnden personellen Ausstattung der staatlichen Aufsichtsdienste diese regelmäßig schriftlich auffordern, sie bei der Lösung von Problemen im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu beraten und zu unterstützen. Sie sollten auch nicht davor zurückscheuen, sich immer dann, wenn diese Beratung und Unterstützung nicht oder nicht ausreichend erfolgt, sich beim Landesarbeitsminister zu beschweren.

Gefordert sind auch die Berufsgenossenschaften, deren umfassender Präventionsauftrag 5) auch die Vermeidung stressbedingter Gefährdungen umfasst.

Wie bereits erwähnt, wurden von den Berufsgenossenschaften Hilfen für die Gefährdungsermittlung einschließlich der psychischen Gefährdungen erarbeitet.

Sie bieten auch Unterstützung bei der betrieblichen Umsetzung von Maßnahmen sowie Seminare zur Ermittlung und Vermeidung von psychischen Gefährdungen an. Trotz dieser positiven Ansätze bedarf es aber auch bei den BGen noch weiterer erheblicher Anstrengungen.

Eine zentrale Forderung an die Berufsgenossenschaften ist die Ergänzung der Aufsichtsdienste sowohl personeller wie auch fachlicher Art.

Betriebliche Überwachung und Beratung ist nur mit hinreichend fachlich qualifizierten Aufsichtspersonen möglich. Insbesondere bedarf es der Einbeziehung von Arbeitspsychologen, um das Problem der psychischen Belastungen und des Stresses qualifiziert lösen zu können.

Zwar muss die Rolle und Bedeutung der psychischen Belastungen im Bewusstsein der technisch qualifizierten Aufsichtspersonen, also der traditionellen Ingenieure, stärker verankert werden. Es ist allerdings ein Trugschluss anzunehmen, die alten "Technischen Aufsichtsbeamten" wären in der Lage, diesen Themenbereich problemadäquat zu bearbeiten.

Am wichtigsten ist es aber, bei den Betriebsräten sowie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Bewusstsein zu schärfen. Nur wenn die Betroffenen sich der Gefährdungen bewusst sind, wird sich längerfristig und vor allem nachhaltig etwas in den Betrieben ändern.

Die IG Metall hat deshalb im März 2002 in Baden-Württemberg eine neue Aktion "Tatort Betrieb" gestartet, in der es darum geht, die psychischen Belastungen ; zu thematisieren und Wege zu ihrer Vermeidung zu finden. In einem ersten Schritt soll das Problem Stress zu einem breiteren Diskussionsthema gemacht werden.

Durch die Aktion sollen möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeregt werden, anhand einfacher Fragen sich damit auseinander zu setzen, ob sie auch von Stress betroffen sind. Diese Aktion wird schrittweise auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt werden.

Im Internet finden sich mittlerweile eine ganze Reihe derartiger Fragenkataloge, mittels derer man die eigene Stresssituation überprüfen kann. Die hier vorgestellten Fragen stammen von der HBV in Hessen (Bild 4-8).

Bild 4-8: Checkliste zur individuelen Stressempfindlichkeit


weiter .

umwelt-online - Demo-Version


(Stand: 16.06.2018)

Alle vollständigen Texte in der aktuellen Fassung im Jahresabonnement
Nutzungsgebühr: 90.- € netto (Grundlizenz)

(derzeit ca. 7200 Titel s.Übersicht - keine Unterteilung in Fachbereiche)

Preise & Bestellung

Die Zugangskennung wird kurzfristig übermittelt

? Fragen ?
Abonnentenzugang/Volltextversion