umwelt-online: Radiologische Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei unfallbedingten Freisetzungen von Radionukliden (2)

zurück

4.5 Abgeleitete Richtwerte

Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Frage, ob in einer gegebenen Situation bestimmte Körperdosen vorkommen können, resultieren aus dem äußerst komplexen Geschehen, das den Aktivitätstransport bei einer unfallbedingten Freisetzung in der Ökosphäre zum Menschen hin bestimmt. je nach Unfallart, Freisetzungsbedingungen, örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten und letztlich auch individuellem Verhalten von Betroffenen ergeben sich sehr viele unterschiedliche Expositionsmöglichkeiten und damit Körperdosen für einzelne Personen.

Hinzu kommt, dass es sich bei den Körperdosen in aller Regel um durch Rechnung und nicht unmittelbar durch Messung zu ermittelnde Größen handelt. Daher müssen die festgelegten Dosisrichtwerte auf messbare Größen zurückgeführt werden, anhand derer über die Einleitung von Maßnahmen entschieden werden kann. Solche Werte werden als "abgeleitete Richtwerte" bezeichnet.

Geeignete Messgrößen sind:

Um Messergebnisse der o. a. Messgrößen in Körperdosen umrechnen zu können, müssen in der Regel zusätzliche Annahmen getroffen werden, beispielsweise bei der Ortdosisleistung über deren Verlauf in Vergangenheit und Zukunft sowie die Expositionszeit. Allgemein beruht die Bestimmung der abgeleiteten Richtwerte auf folgenden Voraussetzungen:

Wie Dosisrichtwerte sind auch abgeleitete Richtwerte immer auf bestimmte Maßnahmen bezogen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Zusammenhang zwischen Messgröße und Dosis ggf. maßnahmenspezifisch ist.

Abgeleitete Richtwerte können für eine Vielzahl von kontaminierten Umweltmaterialien, Expositionspfaden und Radionukliden ermittelt werden. Im allgemeinen wird man sich auf abgeleitete Richtwerte beschränken, die für die Strahlenexposition größerer Bevölkerungsgruppen wesentlich sind und hinreichend einfach messtechnisch bestimmt werden können. Diese sind daher vorab als Entscheidungsgrundlagen bereit zu stellen. Eine umfassende Sammlung von abgeleiteten Richtwerten ist im Maßnahmenkatalog /MNK 98/ 10 enthalten.

5 Entscheidungsfindung im Ereignisfall

Zur Beurteilung der Notwendigkeit von Schutz- und Gegenmaßnahmen werden grundsätzlich die in Abschnitt 4.4 beschriebenen Eingreifrichtwerte angewandt: durch die aufgrund der Eingreifrichtwerte definierten Isodosislinien werden Gebiete festgelegt, in denen hinsichtlich der zugehörigen Schutz- und Gegenmaßnahmen Handlungsbedarf besteht.

Allerdings ist in der Vorfreisetzungsphase und in der Freisetzungsphase nicht auszuschließen, dass aufgrund des mangelhaften Kenntnisstandes keine ausreichend genauen Dosisabschätzungen möglich sind. Dann ist von der Einsatzleitung - evtl. unter Einbeziehung von Informationen aus der Anlage oder von sachkundigen Institutionen - die Frage der Anordnung vorsorglicher Maßnahmen zu erörtern. Als Ausgangspunkt dieser Überlegungen sind ebenfalls Gebiete zu bestimmen, in denen derartige Maßnahmen zu erwägen sind.

Bei der Entscheidung über die Durchführung von Schutz- und Gegenmaßnahmen sollten die Stellungnahmen der Fachberater aller beteiligten Fachbehörden und Institutionen gehört und gegenseitig abgewogen werden, soweit das zeitlich möglich ist. Als Ergebnis dieses Entscheidungsfindungsprozesses erfolgt die zeitlich und räumlich spezifizierte Anordnung von Katastrophenschutz- bzw. Strahlenschutzvorsorgemaßnahmen. Wurden bereits Maßnahmen ergriffen, ist in der Folge zu entscheiden, inwieweit zusätzliche Maßnahmen notwendig sind oder ob Maßnahmen aufgehoben werden können.

5.1 Einflussfaktoren

Die Bewertung und das gegenseitige Abwägen aller relevanten Einflussfaktoren hat zum Ziel, diejenige Maßnahmenstrategie zu identifizieren, die unter den gegebenen Randbedingungen den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung erzielen kann. Hierbei kommt den Fachberatern eine wesentliche Bedeutung zu, da sie aufgrund ihrer Sachkenntnisse qualitative und quantitative Angaben zu den relevanten Einflussfaktoren machen können. Die Bedeutung der Einflussfaktoren hängt wiederum von der Zeit nach der Freisetzung und vom betrachteten Ort ab; im Folgenden sind die wichtigsten Einflussfaktoren ohne Berücksichtigung ihrer Rangfolge zusammengestellt:

5.2 Entscheidungsfindung

Die Notwendigkeit zur Entscheidung liegt nur dann vor, wenn verschiedene Möglichkeiten von Maßnahmenstrategien denkbar sind. Durch räumliche und zeitliche Variation des Ablaufs von Maßnahmen lässt sich allerdings sehr schnell eine Vielzahl von Handlungsalternativen erzeugen. Die eigentliche Entscheidungsfindung besteht dann darin, aus diesen Handlungsalternativen in einem i. a. iterativen Prozess den am besten geeigneten räumlichen und zeitlichen Vorgang des Ergreifens von Maßnahmen als Einzelaktionen oder in Kombination zu identifizieren (siehe Abbildung 5.1).

Abb. 5.1: Einflussfaktoren und Entscheidungsfindung als iterativer Prozess

Der Vorgang des Bewertens und Abwägens erfolgt in der Regel intuitiv ohne festgelegte Strukturierung und Regeln.

Er ist darum empfindlich gegenüber der Verfügbarkeit an verlässlichen Informationen zu den einzelnen Einflussfaktoren und dem Bewusstsein der Entscheidungsträger über ihre Relevanz. Inwieweit sie berücksichtigt werden, hängt auch davon ab, wie viel Zeit für die Entscheidungsfindung zur Verfügung steht und in welchem Umfang die entsprechende fachliche Unterstützung gegeben ist. So werden möglicherweise objektive Einflussfaktoren bei der Entscheidung über Katastrophenschutzmaßnahmen weniger beachtet werden, wenn eine sehr schnelle Entscheidung gefordert wird, wenn entsprechende fachliche Argumente nicht vorgetragen werden, oder wenn diese Aspekte bisher in Übungen nicht angesprochen worden sind.

5.3 Methodische Hilfsmittel

Aus wissenschaftlich-technischer Sicht steht eine Reihe von Hilfsmitteln zur Verfügung, die die Einsatzleitungen unter den geschilderten Randbedingungen unterstützen können. Hierzu gehören:

Entscheidungshilfesysteme für den Katastrophenschutz decken den Entfernungsbereich bis zu einigen (zehn) Kilometern ab, in dem (schnelle) Katastrophenschutzmaßnahmen erforderlich sein können. Diese Systeme haben i. a. Zugriff zu anlagenspezifischen Emissions- und Immissionsdaten eines lokalen Überwachungsnetzes. Zusätzlich können Messdaten von speziellen Messeinrichtungen oder mobilen Einsatztrupps verarbeitet werden. (KFU-Systeme der Bundesländer /Ebe 93/, CAIRE /CAI 92/, RODOS/RESY /ROD 97a/).

Entscheidungshilfesysteme für die Strahlenschutzvorsorge decken ein ganzes Land bis an seine Grenzen ab; in ihnen werden automatisch die gesamten Daten eines flächendeckenden Netzes von ODL-Messstationen ausgewertet und beurteilt. Zusätzlich gehen in die Systeme im Fall einer radioaktiven Kontamination weitere Daten über nuklidspezifische Kontaminationen von Wasser, Boden und Nahrungsmitteln ein, die von speziellen Messeinrichtungen oder mobilen Einsatztrupps stammen (IMIS /IMI 93/ 12, PARK /PAR 91/, RODOS /ROD 97b/).

6 Strahlenschutz der Einsatzkräfte

Einsatzkräfte im Sinne der folgenden Ausführungen sind Personen, die bei einem kerntechnischen Unfall zur Bewältigung der Unfallfolgen eingesetzt werden. Neben dem Anlagenpersonal gehören hierzu Personen, die aufgrund ihrer allgemeinen beruflichen Qualifikation für bestimmte Aufgaben (z.B. Messungen, Transporte, Reparaturen, Bauarbeiten) eingesetzt werden sowie Sicherheits- und Rettungspersonal (z.B. Polizei, Feuerwehr, Sanitäter, Ärzte). Die Gruppen unterscheiden sich beträchtlich hinsichtlich ihrer Strahlenschutzkenntnisse und damit der Möglichkeiten, ihre eigene Gefährdung einzuschätzen und eigenständig wirkungsvoll zu mindern.

Von der allgemeinen Bevölkerung unterscheiden sich Einsatzkräfte dadurch, dass ihre zusätzliche Strahlenexposition aus der Entscheidung resultiert, sie zur Unfallfolgenbewältigung einzusetzen. Die Strahlenexposition der Bevölkerung kann durch Maßnahmen des Einsatzpersonals vermieden oder vermindert werden. Daher müssen sich die Strahlenschutzgrundsätze für die Bevölkerung und für die Einsatzkräfte unterscheiden.

Die von den Einsatzkräften durchzuführenden Aufgaben unterscheiden sich je nach Unfallphase und damit zusammenhängend nach den Möglichkeiten, die Strahlenexposition planvoll zu steuern. Die Rechtfertigung der zusätzlichen Strahlenexposition von Einsatzkräften wird durch die Wichtigkeit der Aufgaben bestimmt.

Die Einsatzaufgaben können eingeteilt werden in:

Ehe die sich daraus ergebenden Folgerungen diskutiert werden, sollen die in der Bundesrepublik bereits vorhandenen Bestimmungen kurz dargestellt werden. In § 59 StrlSchV "Strahlenexposition bei Personengefährdung und Hilfeleistung" ist festgelegt /STR 01/:

(1) Bei Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Personen ist anzustreben, dass eine effektive Dosis von mehr als 100 Millisievert nur einmal im Kalenderjahr und eine effektive Dosis von mehr als 250 Millisievert nur einmal im Leben auftritt.

(2) Die Rettungsmaßnahmen dürfen nur von Freiwilligen über 18 Jahren ausgeführt werden, die zuvor über die Gefahren dieser Maßnahmen unterrichtet worden sind.

Für Einsätze von Feuerwehr und Polizei wurden von den Innenministern die Feuerwehr-Dienstvorschrift 500 "Einheiten im ABC-Einsatz" (FwDv 500) /FEU 04/ sowie der Polizei-Leitfaden 450 "Gefahren durch chemische, radioaktive und biologische Stoffe" erlassen. Darin werden zusätzlich zu den Festlegungen in § 59 StrlSchV Dosisrichtwerte für Einsätze zum Schutz von Sachwerten von 15 mSv pro Person und Jahr (Feuerwehr) bzw. 6 mSv pro Person und Jahr (Polizei) festgelegt. Zu diesen Vorschriften und den darin festgelegten Grenzwerten ist zu bemerken, dass ihre

Anwendung für qualitativ andere Ereignisse (z.B. Unfälle in Radionuklidlabors, Transportunfälle u. ä.) vorgesehen ist, bei denen eine höhere Strahlenexposition der Einsatzkräfte, die keine beruflich strahlenexponierten Personen sind, i. allg. nicht gerechtfertigt ist. Die Anwendung bei einem nuklearen Unfall sollte, ggf. unter Bezug auf die gegebene Möglichkeit der Überschreitung, so gehandhabt werden, dass ein Konflikt mit den für die Bevölkerung angewendeten Eingreifrichtwerten im aktuellen Fall vermieden wird. Dabei kann auch in Betracht gezogen werden, dass es sich bei Polizei und Feuerwehr um Erwachsene und in der Regel gesunde Personen handelt.

Lebensrettende Maßnahmen

Die genannten Vorschriften sehen höhere Dosisrichtwerte nur im Einzelfall beim Einsatz zur Rettung von Menschenleben vor und liegen unterhalb der Schwelle deterministischer Wirkungen. Das mit jeder Strahlenexposition verbundene Risiko einer Spätschädigung (stochastische Wirkungen) in diesem Dosisbereich ist bei der Rettung von Menschenleben zumutbar und übersteigt nicht das sonst übliche Ausmaß gesundheitlicher Risiken bei Unfall- und Katastropheneinsätzen.

Die Strahlenschutzkommission empfiehlt in Band 4 ihrer Veröffentlichungen "Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen" von 1995 /SSK 95b/ 13, dass auch bei lebensrettenden Einsätzen die Dosis 1 Sv nicht überschritten werden sollte. Bei einem kerntechnischen Unfall muss allerdings sichergestellt werden, dass Dosisrichtwerte für das Einsatzpersonal die Rettung von Menschenleben nicht unmöglich machen.

Beim Einsatz sind persönliche Schutzmittel zu benutzen. Die Strahlenexposition ist zu überwachen und aufzuzeichnen, sofern dies unter den gegebenen Umständen möglich ist.

Maßnahmen zur Verhinderung einer Schadensausweitung

Die durchzuführenden Aufgaben können charakterisiert werden durch

Erheblich sind beispielsweise Freisetzungen, die zu deterministischen Wirkungen in der Bevölkerung führen können oder solche, die die Evakuierung einer sehr großen Anzahl von Personen notwendig machen. Die Aufgaben können beispielsweise Schalthandlungen und dringende Reparaturarbeiten zur Wiedergewinnung der Kühlbarkeit sowie Abdichtungs- und Löscharbeiten umfassen.

Man kann davon ausgehen, dass solche Aufgaben in der Regel vom Anlagenpersonal mit Training im Strahlenschutz und Wissen in der Anwendung von Strahlenschutzmaßnahmen wie zeitliche Beschränkung der Exposition, Abschirmung, Kontaminations- und Inkorporationsschutz wahrgenommen werden. Zu dem damit betrauten Personenkreis zählen auch Mitglieder der zur Anlage gehörenden Werksfeuerwehr.

Es kann jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Angehörige der öffentlichen Feuerwehren, der Polizei und der medizinischen Rettungsdienste an einem solchen Einsatz mitwirken. Angehörige dieser Gruppen besitzen im Allgemeinen wenig Strahlenschutzkenntnisse und müssen deshalb von Personal, das Orts- und Strahlenschutzkenntnisse hat, beraten werden.

Typisch für solche Aufgaben ist, dass sie unverzüglich und schnell durchgeführt werden müssen. In solchen Situationen ist es eher unwahrscheinlich, dass für eine Optimierung genügend Zeit zur Verfügung steht.

Maßnahmen zur Verhinderung einer erheblichen Freisetzung sind in der Regel gerechtfertigt. Trotzdem sollen die Einsatzkräfte keine Dosen oberhalb der Schwellenwerte für deterministische Wirkungen (ca. 1 Sv effektive Dosis bzw. 5 Sv Hautdosis) erhalten.

Im Rahmen der Notfallschutzplanung muss dafür Sorge getragen werden, dass die bei solchen Einsätzen erforderlichen Schutzmittel (Atemschutz, Kontaminationsschutz, Iodtabletten) vorhanden sind.

Die Strahlenexposition ist zu überwachen und aufzuzeichnen. Die Exposition und die sich daraus ergebenden möglichen Gesundheitsfolgen sind den Einsatzkräften mitzuteilen und zu erläutern.

Frühe Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung

Typischerweise handelt es sich um den Einsatz bei verkehrslenkenden Maßnahmen oder beim Personentransport z.B. bei einer Evakuierung. Die Durchführung solcher Aufgaben obliegt Angehörigen der Polizei, der Feuerwehr, der Rettungsdienste und zusätzlich herangezogenen Hilfskräften (z.B. Fahrern von Transportmitteln).

Solche Einsätze sind im Allgemeinen gerechtfertigt, wenn bestimmte Körperdosen nicht überschritten werden. Möglicherweise ist eine grobe Optimierung durchführbar. Alle vernünftigen Anstrengungen sollten unternommen werden, um die Körperdosen der oben genannten Einsatzkräfte unter 100 mSv pro Jahr zu halten.

In der Regel werden die Einsatzkräfte aus der näheren Umgebung stammen. Im Rahmen der Notfallschutzplanung für die Anlage ist für den abzusehenden Personenkreis eine Grundeinweisung in die von ionisierender Strahlung ausgehenden Risiken, in S.trahlenschutzpraktiken (zeitliche Limitierung der Exposition, Kontaminationsschutz u. ä.) und im Gebrauch von einfachen Messgeräten (Dosimeter, Dosisleistungsmessgeräte, Dosiswarner) vorzunehmen. Der Einsatzführer soll von Strahlenschutzsachverständigen beraten werden. Die Einsatzleitung trägt dafür Sorge, dass Hilfspersonal keiner Strahlenexposition ausgesetzt ist, die nicht gerechtfertigt ist.

Die Strahlenexposition der Einsatzkräfte ist zu überwachen und aufzuzeichnen, wobei vereinfachte Verfahren zulässig sind (z.B. Messung der Körperdosis mit Dosimeter nur bei einem Mitglied einer zusammengehörigen Gruppe, Abschätzung auf der Basis der gemessenen Ortsdosisleistungen und der zugehörigen Expositionszeiten). Nach dem Einsatz sind die abgeschätzten Körperdosen und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken den Betroffenen bekannt zu geben und zu erläutern.

Längerfristige Abhilfemaßnahmen

Sobald die betroffene Anlage wieder unter Kontrolle gebracht ist, steht für Aufgaben wie

in der Regel Zeit zur Verfügung. In einer solchen Situation ist die Strahlenexposition der mit solchen Arbeiten betrauten Einsatzkräfte steuerbar. Die Beschäftigten sind als beruflich strahlenexponierte Personen unter Anwendung der dafür gültigen Vorschriften der Strahlenschutzverordnung einzustufen.

Messaufgaben

Bei einem kerntechnischen Unfall ist es zur Ermittlung der radiologischen Lage erforderlich, sowohl in der betroffenen Anlage als auch in der Umgebung Messungen vorzunehmen. Das kann zu einer Strahlenexposition des Personals der Messdienste führen.

Die Rechtfertigung dieser Strahlenexposition muss sich daran orientieren, in welchem Zusammenhang die Ergebnisse der Messung benötigt werden. So kann beispielsweise die Strahlenexposition von Einzelpersonen bei den zur Vorbereitung lebensrettender Maßnahmen notwendigen Messungen höher ausfallen als die entsprechende Strahlenexposition bei Messungen, die zur Entscheidung über längerfristige Abhilfemaßnahmen durchgeführt werden. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass die Strahlenexposition aufgrund der Durchführung einer Messaufgabe deutlich geringer sein muss als die Strahlenexposition, die aufgrund einer Unterlassung der Messung bei anderen Personen absehbar wäre. Die für die verschiedenen oben genannten Einsatzzwecke genannten oberen Grenzen gelten daher in jedem Fall auch für die Messaufgaben, die zur Entscheidung darüber notwendig sind.

Bereits bei der Planung sind Überlegungen zur Optimierung anzustellen. Dabei ist zu prüfen, ob die zur Ermittlung der radiologischen Lage erforderlichen Messungen ohne oder mit geringer Strahlenexposition der Messdienste gewonnen werden können. Hierzu kommen beispielsweise ortsfeste Messstationen sowie im Bedarfsfall absetzbare Sonden mit Datenfernübertragung, ferngesteuerte Messfahrzeuge, Aerometrie (= Messungen vom Hubschrauber/Flugzeug) in Betracht. Für Fälle, bei denen auf den Einsatz von Messpersonal nicht verzichtet werden kann, sind Einsatzstrategien vorzubereiten, die helfen, die radiologische Lage mit möglichst geringer Strahlenexposition zu erfassen (Einsatz in besonders (durch Luftfilterung und Abschirmung) geschützten Messfahrzeugen, Ausrüstung mit Dosimetern und Dosiswarngeräten zur Selbstüberwachung, zeitliche Begrenzung des Einsatzes, lageabhängige Planung von Messfahrten, Festlegung von Umkehrdosen).

7 Strahlenschutz besonderer Berufsgruppen

Falls ein Unfall zu einer Kontamination der Umgebung geführt hat, werden alle dort lebenden Personen einer erhöhten Strahlung ausgesetzt sein. Über den Verbleib der Menschen in einer solchen Umgebung wird entsprechend den Strahlenschutzgrundsätzen für die Bevölkerung entschieden. Die Erhöhung der Umgebungsstrahlung wird allerdings nicht gleichmäßig sein, vielmehr werden sich örtlich, aber auch tätigkeitsspezifisch Anreicherungen ergeben. Dies könnte beispielsweise bei folgenden Tätigkeiten der Fall sein:

Das Messprogramm zur Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt wird Hinweise darauf liefern, ob es bei solchen Tätigkeiten zu erhöhten Strahlenexpositionen kommen kann, die ggf. spezielle Überwachungsprogramme erfordern und die vielleicht auch Strahlenschutzmaßnahmen bei den dort Beschäftigten notwendig machen können.

Angesichts der Vielzahl der möglichen Situationen können hierzu vorab keine Festlegungen getroffen werden, vielmehr sind in Kenntnis der tatsächlichen Umstände über die Rechtfertigung und die Optimierung der Strahlenexposition bei solchen Tätigkeiten zu entscheiden.

Literatur

/CAI 92/ Brenk, H. D.:

Das Störfall-Leitsystem CAIRE für Echtzeit-Anwendungen. Brenk Systemplanung Aachen, Bericht BS-8705/2 (fertiggestellt 31.12.1989), erschienen in der Schriftenreihe Reaktorsicherheit und Strahlenschutz des BMU, BMU-1992 - 361, 1992

/Ebe 93/ Eberbach, F.:

Possible Contributions of the KFÜ Systems to Decisions for Off-site Emergency Management. Radiation Protection Dosimetry 50, 107-112, 1993

/EG 82/ Commission of the European Communities:
Radiological Protection Criteria for Controlling Doses to the Public in the Event of Accidental Releases of Radioactive Material, Luxemburg 1982
/EUR 87/ Verordnung (EURATOM) Nr. 3954/87 des Rates vom 22.12.1987 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 371/11-13, 30.12.1987
/EUR 89a/ Verordnung (EURATOM) Nr. 2218/89 des Rates vom 18.07.1989 zur Änderung der Verordnung (EURATOM) Nr. 3954/87 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln von geringerer Bedeutung im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 211/1-3, 22.7.1989
/EUR 89b/ Verordnung (EURATOM) Nr. 944/89 der Kommission vom 12.04.1989 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln von geringerer Bedeutung im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 101/17-18, 12.4.1989
/EUR 90/ Verordnung (EURATOM) Nr. 770/90 der Kommission vom 29.03.1990 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 83/78-79, 30.3.1990
/FEU 04/ Feuerwehr Dienstvorschrift 500, Einheiten im ABC, Stand August 2004
/Fli 92/ Fliedner, T.M.:

Strahlenwirkungen bei externer Ganz- und Teilkörperbestrahlung. In: Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 27, herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1994

/IAE 96/ International Atomic Energy Agency:

International Basic Safety Standards for Protection against lonizing Radiation and for the Safety of Radiation Sources, Safety Series No. 115, Vienna 1996

/ICR 84/ International Commission an Radiological Protection:

Protection of the Public in the Event of Major Radiation Accidents: Principles for Planning, Publication No. 40, Pergamon Press, Oxford and New York 1984

/ICR 93/ Internationale Strahlenschutzkommission:

ICRP Veröffentlichung 60, Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission 1990, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1993

/ICR 96/ Internationale Strahlenschutzkommission:

ICRP Veröffentlichung 63, Grundsätze für die Intervention zum Schutz der Bevölkerung im Strahlennotfall, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1996

/IMI 93/ Weiss, M., Leeb, H.:

IMIS - the German Integrated Radioactivity Information and Decision Support System. Radiation Protection Dosimetry 50, 113-116, 1993

/Jac 89/ Jacobi, W., Paretzke, H., Jacob, P., Meckbach, R.:

Externe Strahlenexposition. GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg, GSF-Bericht 13/89,

/Jac 98/ Jacob, P.:

GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg, persönliche Mitteilung 1.7.1998

/Mec 88/ Meckbach, R., Jacob, P.:

Gamma exposures due to radionuclides deposited in urban environments, Part II: Location factors for different deposition patterns. Radiation Protection Dosimetry 25, 181-190, 1988

/MNK 98/ Übersicht über Maßnahmen zur Verringerung der Strahlenexposition bei Ereignissen mit nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen, Bonn, BMU 1999
/PAR 91/ Gregor, J., Jacob, P.:

Programmsystem zur Abschätzung und Begrenzung radiologischer Konsequenzen (PARK). Jubiläumstagung 30. 9.-3. 10. 91, Fachverband Strahlenschutz FS-91-55-T, Band 1, S. 200-205, Verlag TÜV Rheinland, Köln 1991

/PLU 97/ Eberbach, F., Schnadt, H.:

PLUTO - Rechenprogramm für den Fachberater Strahlenschutz bei der Katastrophenschutzleitung. Version 5.27 (Vertrieb durch den TÜV Rheinland, Köln) 1997

/RAD 88/ Radiologische Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei unfallbedingten Freisetzungen von Radionukliden. Verabschiedet im Länderausschuss für Atomkernenergie - Hauptausschuss - am 11. Mai 1988, GMBl 1989, Nr. 5, S. 94
/RAH 99/ Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen, GMBl. Nr. 28/29, S. 570 ff. vom 12.11.1999
/ROD 97a/ Ehrhardt, J., Benz, G., Faude, D., Fischer, F., Haller, Ch., Lorenz, A., Päsler-Sauer, J., Rafat, M., Raskob, W., Sauder, T., Schichtel, T., Schüle, 0., Steinhauer, C.:

Die Entwicklung des Entscheidungshilfesystems RODOS/RESY für den Katastrophenschutz nach kerntechnischen Unfällen. Bundesamt für Strahlenschutz, Strahlenschutzforschung Programmreport 1996, Salzgitter, Bericht BfS/ISH-179/97, S. 33-57, 1997

/ROD 97b/ Ehrhardt, J., Brown, J., French, S., Kelly, G.N., Mikkelsen, T., Müller, H.:

RODOS: Decision-making support for off-site emergency management after nuclear accidents, Kerntechnik 62, 122-128, 1997

/SAF 97/ Köhncke, C., Schumacher, P.:

Programmdokumentation SAFER, Strahlenexposition als Folge eines Reaktorunfalls, Version SAFER97, Technischer Überwachungs-Verein Nord e.V. Hamburg 1997

/SSK 89/ Strahlenschutzkommission:

Wirkungen nach pränataler Bestrahlung. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 2, 2. Auflage, herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1989

/SSK 95a/ Strahlenschutzkommission:

Leitfaden für den Fachberater Strahlenschutz der Katastrophenschutzleitung bei kerntechnischen Notfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 13, 2., überarbeitete Auflage, herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1995

/SSK 95b/ Strahlenschutzkommission:

Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 4, 2., überarbeitete Auflage, herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1995

/SSK 96/ Strahlenschutzkommission:

Der Strahlenunfall. Ein Leitfaden für Erstmaßnahmen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 32, herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1996

/SSK 97/ Strahlenschutzkommission:

Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen. Empfehlung der Strahlenschutzkommission. BAnz. Nr. 53 vom 18. März 1997

/STR 01/ Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen ( Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juli 2001 (BGBl. I, 2001, S. 1714, (2002, 1459)), zuletzt geändert durch Art. 2, § 3 Abs. 31 Gv. 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618)

Anhang zum Literaturverzeichnis

AMI 06/ Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Integrierten Mess- und Informationssystem zur Überwachung der Radioaktivität in der Umwelt (IMIS) nach dem Strahlenschutzvorsorgegesetz (AVV-IMIS), veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 244a vom 29.12.2006
/MNK 08/ Strahlenschutzkommission:

Übersicht über Maßnahmen zur Verringerung der Strahlenexposition nach Ereignissen mit nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen (Maßnahmenkatalog Band 1 und 2), Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet auf der 220. Sitzung der SSK am 5./6.12.2007

/PLU 07/ Schnadt, H.:

Umsetzung des Leitfadens für den Fachberater Strahlenschutz der Katastrophenschutzleitung in das Rechenprogramm PLUTO, in: Vorkehrungen und Maßnahmen bei radiologischen Ereignissen, FS-07-142-AKN, TÜV Media GmbH, Köln 2007

/RAH 08/ Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Abschließende Fassung mit positiven Voten durch die SSK (213. Sitzung am 6.12.2006 und 220. Sitzung am 6.12.2007), des Arbeitskreises V der Innenministerkonferenz (18./19.10.2007) und des Länderausschusses für Atomkernenergie (im Umlaufverfahren am 29.2.2008).
/SAF 06/ Köhncke, C., Schumacher, P.:

SAFER2 (Version 2.3.2) Strahlenexposition als Folge eines Reaktorunfalls, TÜV Nord Systec GmbH, Hamburg 2006

/SSK 04a/ Strahlenschutzkommission:

Verwendung von Jodtabletten zur Jodblockade der Schilddrüse bei einem kerntechnischen Unfall. In: Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 58, H. Hoffmann Verlag, Berlin 2007

/SSK 04b/ Strahlenschutzkommission:

Leitfaden für den Fachberater Strahlenschutz der Katastrophenschutzleitung bei kerntechnischen Notfällen. Berichte der Strahlenschutzkommission, Heft 37, Urban & Fischer, München, Jena 2004

/SSK 07a/ Strahlenschutzkommission:

Der Strahlenunfall - Ein Leitfaden für Erstmaßnahmen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 32 (2., überarbeitete Auflage), H. Hoffmann Verlag, Berlin 2007

/SSK 07b/ Strahlenschutzkommission:

Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Band 4 (3., überarbeitete Auflage), H. Hoffmann Verlag, Berlin 2007

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

CAIRE Computer Aided Response to Emergencies
EU Europäische Union
FAO Food and Agriculture Organization of the United Nations
IAEA International Atomic Energy Agency
ICRP International Commission an Radiological Protection
ILO International Labour Office
IMIS Integriertes Meß- und Informationssystem
OECD/NEA Organisation for Economic Co-Operation and Development/Nuclear Energy Agency
PAHO Pan American Health Organization
PARK Programmsystem zur Abschätzung und Begrenzung radiologischer Konsequenzen
PLUTO Programmsystem nach dem Leitfaden für den Fachberater Katastrophenschutz bei kerntechnischen Unfällen für den Fachberater Strahlenschutz und Technik vor Ort
RODOS/RESY real-time on-line decision Support/rechnergestütztes Entscheidungshilfe-System
SAFER Strahlenexposition als Folge eines Reaktorunfalls
WHO World Health Organization

.

Verwendung von Jodtabletten zur Jodblockade der Schilddrüse bei einem kerntechnischen Unfall Anlage

1 Merkblatt für Ärzte

1.1 Vorbemerkungen

Die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden bevorraten Kaliumiodidtabletten (im folgenden Iodtabletten genannt), um diese bei Bedarf an die Bevölkerung auszugeben, sofern sie nicht schon unter bestimmten Voraussetzungen vorher an die Haushalte verteilt wurden. Eine tablette enthält 65 mg Kaliumiodid (KI) entsprechend 50 mg Iodid. Das vorliegende Merkblatt soll den Arzt über die wesentlichen, mit einer Iodblockade der Schilddrüse zusammenhängenden Fragen informieren. Auf das Merkblatt für die Bevölkerung wird in diesem Zusammenhang verwiesen.

1.2 Warum eine Blockade der Schilddrüse?

Zu den Spaltprodukten, die beim Betrieb von Kernreaktoren entstehen, gehören die verschiedenen radioaktiven Isotope des Iods. Sie nehmen wegen der biologischen Besonderheit des Iods, nämlich seinem Einbau in die Schilddrüsenhormone, eine Sonderstellung ein. Da bei den in Kernreaktoren vorhandenen Temperaturen das Iod in gasförmigem Zustand vorliegt, muss bei Unfällen unter ungünstigen Umständen mit der Abgabe von radioaktivem Iod in die Luft gerechnet werden. Dieses radioaktive Iod wird sich zum größten Teil auf dem Boden und auf Pflanzen niederschlagen. Von dort kann es mit den Nahrungsmitteln, insbesondere mit der Milch, in den Menschen gelangen. Bei einem kerntechnischen Unfall kann radioaktives Iod auch mit der Atemluft aufgenommen und in den Lungen resorbiert werden.

Nach der Resorption verhält sich das radioaktive Iod genauso wie stabiles Iod. Es kommt zu einer Verteilung im Extravasalraum, von dort zu einer vorübergehenden Anreicherung in den Speicheldrüsen und in der Magenschleimhaut und insbesondere zu einer langanhaltenden Speicherung in der Schilddrüse. Das Ausmaß der Speicherung in der Schilddrüse hängt von ihrem Funktionszustand ab, beim Euthyreoten insbesondere vom Iodangebot in der Nahrung. Je geringer das Iodangebot in der Nahrung ist, desto höher ist die prozentuale Speicherung in der Schilddrüse. Im Iodmangelgebiet Deutschland liegt die alimentäre Iodaufnahme oft unter 100 µg/Tag, daher wird bei einem Euthyreoten mehr als 50 Prozent des resorbierten radioaktiven Iods in der Schilddrüse gespeichert. In Ländern mit ausreichender Iodversorgung ist die Aufnahme radioaktiven Iods um den Faktor 2 bis 3 geringer.

Ziel der Iodblockade ist die Verhinderung von strahlen-induzierten Schilddrüsenkarzinomen. Kinder sind besonders gefährdet.

1.3 Wann ist die Iodblockade angezeigt?

Eine Iodblockade der Schilddrüse ist nur dann zu erwägen, wenn nach der Lagebeurteilung tatsächlich eine erhebliche Freisetzung radioaktiven Iods befürchtet werden muss. Hohe Schilddrüsendosen durch die Iodinkorporation können insbesondere bei Kindern, die jünger als vier Jahre alt sind, auftreten. Deshalb sollte der Schutz von Kindern und Schwangeren bei der Durchführung der Iodblockade im Vordergrund stehen.

Eine Freisetzung von radioaktivem Iod eines Ausmaßes, das eine Iodblockade für die Bevölkerung als zweckmäßig erscheinen lässt, wird in der Regel rechtzeitig erkannt. Daher kann mit einer Vorwarnzeit von Stunden bis Tagen gerechnet werden, in der die Behörde auf Grund ihrer Informationen und der Beurteilung der Lage die erforderlichen Anweisungen geben kann.

Es ist erforderlich, die Bevölkerung darauf hinzuweisen, dass es nutzlos und sogar schädlich wäre, wenn sie eine Iodblockade aus eigener Initiative, d. h. ohne Aufforderung durch die zuständigen Behörden, durchführen würde. Sie würde sich nur unnötig dem Risiko von Nebenwirkungen aussetzen.

1.4 Ist eine Blockade der Schilddrüse bei Schwangeren und Stillenden zulässig?

Auch in der Schwangerschaft soll, unabhängig vom Alter der Schwangeren, die empfohlene Iodblockade durchgeführt werden.

Feten nehmen etwa ab der zwölften Schwangerschaftswoche Iod in die Schilddrüse auf. Ab dem sechsten bis neunten Monat ist die Iodspeicherung in der fetalen Schilddrüse erheblich. Damit ist auch die Notwendigkeit einer Blockade der Schilddrüse des älteren Feten gegeben, die über die Iodgabe an die Schwangere ohne Erfordernis einer besonderen Dosisanpassung erfolgt.

Die empfindliche fetale Schilddrüse kann gelegentlich einen Iodkropf mit Hypothyreose bilden. Die Hypothyreose wird mit Hilfe des am fünften Lebenstag routinemäßig erfolgenden TSH-Screenings erkannt und entsprechend behandelt.

Iod wird während der Stillzeit in individuell unterschiedlicher Menge in die Muttermilch abgegeben. Da hierdurch eine ausreichende Iodblockade beim gestillten Kind nicht gewährleistet ist, sollen auch Neugeborene bzw. Säuglinge Iodtabletten (s. Dosierungsschema) erhalten.

Frauen, die während der Schwangerschaft und Stillzeit mit hohen Dosen Iod behandelt worden sind, sollten darauf hingewiesen werden, dies dem Geburtshelfer und dem Kinderarzt mitzuteilen, damit diese beim Neugeborenen besonders auf mögliche Schilddrüsenfunktionsstörungen achten.

1.5 Wie wird eine Blockade der Schilddrüse gegenüber radioaktivem Iod durchgeführt?

Die Speicherung von radioaktivem Iod in der Schilddrüse kann dadurch verhindert werden, dass vor Aufnahme des radioaktiven Iods eine größere Menge von stabilem (nicht radioaktivem) Iodid in hohen Einzeldosen (altersabhängig zwischen 12,5 und 100 mg) verabreicht wird. Durch dieses erhöhte Angebot an stabilem Iod wird wegen der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Schilddrüse nur ein kleiner Bruchteil des resorbierten radioaktiven Iods gespeichert. Das nicht gespeicherte Iod wird mit einer biologischen Halbwertszeit von etwa sechs Stunden ausgeschieden.

Da die Speicherkurve der Schilddrüse am Anfang sehr steil verläuft, ist die Iodblockade dann am wirksamsten, wenn das stabile Iod kurz vor der Resorption des radioaktiven Iods im Organismus vorhanden ist. Aber auch in den ersten Stunden nach Aufnahme des radioaktiven Iods wird noch eine Reduktion der Speicherung erreicht (Iodgabe nach zwei Stunden - Reduktion um ca. 80 Prozent; Iodgabe nach acht Stunden - Reduktion um ca. 40 Prozent). Im Gegensatz dazu hat die Verabreichung von stabilem Iodid später als 24 Stunden nach abgeschlossener Inhalation oder Ingestion keinen erheblichen Einfluss mehr auf die Speicherung und damit auf die Strahlenbelastung der Schilddrüse durch das radioaktive Iod. Werden hohe Dosen von stabilem Iod wesentlich später als 24 Stunden nach Inkorporation eingenommen, verlängert sich sogar die Verweildauer des radioaktiven Iods. Deshalb sollte die Einnahme von Iodtabletten nach diesem Zeitpunkt nicht mehr durchgeführt werden.

1.6 Wie ist Kaliumiodid zu dosieren?

Neben dem Zeitpunkt der Verabreichung ist die Menge des stabilen Iods entscheidend für die Reduktion der Speicherung radioaktiven Iods. Da es wichtig ist, dass die Blockade möglichst vollständig ist, muss anfänglich eine hohe Plasmakonzentration an stabilem Iodid erreicht werden. Dies wird bei Erwachsenen durch eine Dosis von 130 mg Kaliumiodid erreicht, ohne dass im Allgemeinen Unverträglichkeiten von Seiten des Magens zu befürchten sind, wenn die Einnahme nicht auf nüchternen Magen erfolgt.

Eine Verringerung der Dosis reduziert eventuelle Nebenwirkungen nicht, eine Erhöhung wäre nicht schädlich, erbringt aber keine weitere nennenswerte Verringerung der Strahlenbelastung.

1.7 Das folgende Dosierungsschema wird empfohlen

Diese Dosierung gilt nur für die 65 mg-Kaliumiodidtabletten aus der Notfallbevorratung

Personengruppe Tagesgabe in mg Iodid Tagesgabe in mg Kaliumiodid tabletten à 65 mg Kaliumiodid
< 1 Monat 12,5 16,25 1/4
1-36 Monate 25 32,5 1/2
3-12 Jahre 50 65 1
13-45 Jahre 100 130 2
> 45 Jahre 0 0 0

(Bei tabletten mit anderen Kaliumiodidgehalten bitte die jeweiligen Dosisangaben beachten.)

Iodtabletten sind nur nach Aufforderung durch die zuständige Behörde einzunehmen. Schwangere und Stillende erhalten die gleiche Ioddosis wie die Gruppe der 13- bis 45-Jährigen. Im Regelfall ist eine einmalige Einnahme der Iodtabletten ausreichend. Im Ausnahmefall kann die zuständige Behörde eine weitere tabletteneinnahme empfehlen. Die tabletteneinnahme ist jedoch bei Neugeborenen stets auf einen Tag, bei Schwangeren und Stillenden auf zwei Tage zu beschränken.

Die Einnahme von Kaliumiodid sollte möglichst nicht auf nüchternen Magen erfolgen. Die tabletten können geschluckt oder in Flüssigkeit gelöst eingenommen werden. Die Einnahme kann - vor allem für Säuglinge und Kinder - durch Auflösen der tablette in einem Getränk, z.B. Wasser oder Tee, erleichtert werden. Die Lösung ist jedoch nicht haltbar und muss sofort getrunken werden.

1.8 Welche gesundheitlichen Risiken birgt die Iodblockade der Schilddrüse?

Personen mit einer bekannten Überempfindlichkeit gegen Iod (sehr seltene Erkrankungen, wie echte Iodallergie, Dermatitis herpetiformis Duhring, Iododerma tuberosum, hypokomplementämische Vaskulitis, Myotonia congenita) dürfen keine Iodtabletten einnehmen. Iodtabletten können selten auch zu Hautausschlägen, Gewebswassereinlagerungen, Halsschmerzen, Augentränen, Schnupfen, Speicheldrüsenschwellungen und Fieber führen.

In sehr seltenen Fällen können sich Zeichen einer Überempfindlichkeit gegen Iod (echte Iodallergie), z.B. Iodschnupfen oder Iodexanthem, bemerkbar machen. Die Möglichkeit einer Iodintoleranz sollte nicht überbewertet werden. Die Iodresorption kann durch Magenspülung mit Stärkelösung (30 g auf 1 Liter solange, bis Blaufärbung verschwindet) oder mit 1-3 % Natriumthiosulfatlösung gehemmt werden. Zur beschleunigten Ausscheidung sind die Gabe von Glaubersalz und eine forcierte Diurese zu empfehlen. Ein möglicher Schock sowie Wasser- und Elektrolytstörungen sind in üblicher Weise zu behandeln.

Bei Vorerkrankungen der Schilddrüse, auch wenn sie bis dahin asymptomatisch verliefen (insbesondere bei Knotenkröpfen mit funktioneller Autonomie), kann eine Hyperthyreose innerhalb von Wochen bis Monaten nach Iodgabe ausgelöst werden.

Umgekehrt neigen besonders Neugeborene und Säuglinge bei länger dauernder Iodverabreichung zur Hypothyreose.

Aufgrund des geringen Risikos der Karzinominduktion durch radioaktives Iod bei älteren Menschen und einer zunehmenden Häufigkeit funktioneller Autonomien mit Krankheitswert bei fortschreitendem Lebensalter, soll die Iodblockade bei über 45-Jährigen nicht durchgeführt werden.

1.9 Auslösung einer Hyperthyreose

Eine gesunde Schilddrüse verfügt über mehrere Regulationsmechanismen, um ein Überangebot von Iod ohne eine schädliche Steigerung der Produktion von Schilddrüsenhormonen zu tolerieren. Die Pathophysiologie einer klinisch manifesten Hyperthyreose infolge eines erhöhten Todangebots ist noch nicht restlos geklärt. Es ist jedoch bekannt, dass dieser Übergang in eine Hyperthyreose vorwiegend in Struma-Endemiegebieten mit einer hohen Prävalenz det funktionellen Autonomie auftritt.

Mit dieser Möglichkeit der Auslösung einer Hyperthyreost muss deshalb in der Bundesrepublik Deutschland bei hoher Iodzufuhr gerechnet werden.

Grundlage für die Entstehung einer Hyperthyreose könner sein:

  1. Autoimmunhyperthyreose (M. basedow),
  2. funktionelle Autonomie

Alle drei Schilddrüsenerkrankungen können auch latent ohne klinische Hyperthyreosezeichen bestehen.

1.10 Kontraindikationen gegen die Iodblockade der Schilddrüse

In der Literatur gelegentlich genannte, jedoch unbegründete Kontraindikationen sind Herzinsuffizienz und die verschiedenen Formen der Tuberkulose. Auch Schwangerschaft und Stillzeit sowie Hypothyreosen und Thyreoiditiden werden genannt, stellen jedoch keine Kontraindikationen dar.

Die Iodgabe muss bei bekannter Iodallergie unterbleiben. Diese ist nicht zu verwechseln mit einer Unverträglichkeitsreaktion bzw. Allergie gegen Röntgenkontrastmittel, die meist nicht durch das darin enthaltene Iod verursacht wird.

Patienten mit den sehr seltenen Erkrankungen echte Iodallergie, Dermatitis herpetiformis Duhring, Iododerma tuberosum, hypokomplementämische Vaskulitis, Myotonia congenita dürfen auf keinen Fall Iod einnehmen.

Unter Behandlung stehende Patienten mit Hyperthyreose müssen neben der Einnahme von Iod ihre Behandlung meist unverändert weiterführen. Alle hyperthyreoten Patienten - ob unter Behandlung oder unbehandelt - sind nach Beendigung der Notfallsituation mit Iodgabe in kurzfristigen Ab-ständen mittels Hormonanalysen ärztlich zu überwachen.

1.11 Möglichkeiten der Schilddrüsenblockade durch andere Medikation

Da durch die Blockade die Speicherung von radioaktivem Iod in der Schilddrüse möglichst weitgehend verhindert werden soll, eignet sich neben Iod am besten Perchlorat, das die Aufnahme von Iod kompetitiv hemmt, z.B. Natriumperchlorat als Irenat ®.

Es empfiehlt sich für Erwachsene folgende Dosierung:

Natriumperchlorat als Irenat ®
  • am ersten Tag 60 Tropfen, anschließend über sieben Tage alle sechs Stunden15 Tropfen.

Kontraindikationen, wie Überempfindlichkeitsreaktionen (Agranulozytose) und schwere Leberschäden, sind zu beachten.

Da die Iodblockade durch Iodid effektiver ist als durch Perchlorat, sollte Letzteres nur dann benutzt werden, wenn hohe Iodgaben kontraindiziert sind.

2 Merkblatt für die Bevölkerung

2.1 Der Strahlenunfall mit Freisetzung von radioaktivem Jod 14

Bei Unfällen in kerntechnischen Anlagen, insbesondere in Kernkraftwerken, kann es unter ungünstigen Umständen zur Freisetzung von radioaktiven Stoffen - darunter auch radioaktivem Jod - kommen. Radioaktives Jod hat die gleichen chemischen und biologischen Eigenschaften wie das in der Nahrung vorkommende natürliche Jod und wird deshalb wie normales, nicht radioaktives Jod in der Schilddrüse gespeichert. Diese konzentrierte Speicherung in der Schilddrüse unterscheidet Jod von anderen Stoffen. Durch die Einnahme von Jodtabletten als Gegenmaßnahme (Jodblockade der Schilddrüse) kann diese Speicherung verhindert werden.

2.2 Wie kommt radioaktives Jod in den Körper?

Wie andere Stoffe aus der Umwelt des Menschen kann radioaktives Jod auf drei Wegen in den Körper (Inkorporation) gelangen:

Die Aufnahme über die Haut ist üblicherweise so geringfügig, dass sie außer Betracht bleiben kann. Die Aufnahme mit Wasser oder Nahrung kann erheblich sein, wenn z.B. Milch getrunken wird, die von Kühen stammt, die auf der Weide mit radioaktivem Jod verunreinigtes Gras gefressen haben. Diese Aufnahme ist jedoch beim Strahlenunfall sehr einfach zu verhindern: solche Milch oder auch Gemüse von Flächen, auf denen sich radioaktives Jod niedergeschlagen haben kann, werden dem unmittelbaren Verzehr entzogen.

Die Aufnahme von radioaktivem Jod durch die Atemluft lässt sich durch Verbleiben im Haus nur geringfügig herabsetzen. Durch die Einnahme von Jodtabletten wird die Wirkung des radioaktiven Jods im Körper durch möglichst schnelle Ausscheidung verringert.

2.3 Wie wirken Jodtabletten?

Die Schilddrüse benötigt für ihre normale Funktion geringe Mengen Jod, die in der Regel mit der Nahrung aufgenommen werden. Da Deutschland ein Jodmangelgebiet ist, kann eine ausreichende Zufuhr durch die normale Nahrungsaufnahme nicht erreicht werden. Deshalb wird zur Vorbeugung von Jodmangelkrankheiten generell die Verwendung von jodiertem Speisesalz oder die Einnahme von tabletten mit niedrigem Jodgehalt (0,1 bis 0,2 mg) empfohlen; diese tabletten sind jedoch nicht zur Blockade der Schilddrüse geeignet.

Zur Blockade sind nur die wesentlich höher dosierten Jodtabletten geeignet, da sie die Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse verhindern. Das überschüssige Jod wird schnell aus dem Körper ausgeschieden.

2.4 Warum die vorbeugende Einnahme von Jodtabletten?

Die Einnahme von Jodtabletten schützt - das muss betont werden - ausschließlich gegen die Aufnahme von radioaktivem Jod in der Schilddrüse, nicht gegen die Wirkung anderer radioaktiver Stoffe. Der Schutz ist dann am wirksamsten, wenn die Jodtabletten kurz vor oder praktisch gleichzeitig mit dem Einatmen von radioaktivem Jod eingenommen werden. Aber auch wenige Stunden nach dem Einatmen von radioaktivem Jod wird noch ein gewisser Schutz erzielt. Später als ein Tag nach der Aufnahme des radioaktiven Jods schützt die Einnahme von Jodtabletten nicht mehr; sie ist dann eher schädlich. Für zu früh eingenommene Jodtabletten gilt das Gleiche.

2.5 Wo und wann sind Jodtabletten bei Bedarf erhältlich?

Die zuständigen Behörden haben Jodtabletten in ausreichender Menge bevorratet und so gelagert, dass sie im Bedarfsfall unverzüglich an die betroffene Bevölkerung ausgegeben werden können, sofern sie nicht schon unter bestimmten Voraussetzungen vorher an die Haushalte ausgegeben wurden. "Bedarfsfall" bedeutet hierbei, dass - je nach Entwicklung eines Unfalles - die Einnahme von Jodtabletten empfehlenswert werden könnte. Die Ausgabe der Jodtabletten ist eine Vorsorgemaßnahme und bedeutet nicht, dass die tabletten sofort eingenommen werden sollen. Wenn die Einnahme tatsächlich erforderlich sein sollte, so wird die betroffene Bevölkerung durch die Katastrophenschutzbehörde dazu ausdrücklich durch Rundfunk- oder Lautsprecherdurchsage aufgefordert.

Da nur die Behörden aufgrund der Bewertung der Unfalllage die Entscheidung treffen können, ob die Einnahme von Jodtabletten erforderlich ist, sollten die tabletten nie aus eigener Veranlassung oder Befürchtung eingenommen werden.

2.6 Zusammensetzung der tabletten zur Jodblockade

Eine tablette aus der Notfallbevorratung in Deutschland enthält 65 mg Kaliumjodid entsprechend 50 mg Jodid.

Über die Apotheken sind auch Jodtabletten mit 130 mg Kaliumjodid, entsprechend 100 mg Jodid, erhältlich.

2.7 Wirkungen und Anwendungszweck

Die Jodtabletten sättigen in der angegebenen Dosierung und bei Einnahme zum empfohlenen Zeitpunkt die Schilddrüse mit Jod und verhindern damit die Speicherung radioaktiven Jods (sogenannte Jodblockade). Diese Art von Jodtabletten ist nicht zum Ausgleich des in Deutschland herrschenden Jodmangels geeignet.

2.8 Dosierung

Diese Dosierung gilt nur für die 65 mg-Kaliumjodidtabletten aus der Notfallbevorratung

Personen im Alter von 13 bis 45 Jahren nehmen einmalig zwei tabletten ein. Kinder von drei bis zwölf Jahren nehmen einmalig eine tablette ein. Kleinkinder vom ersten bis zum 36. Lebensmonat nehmen einmalig eine halbe tablette ein. Säuglinge bis zum ersten Lebensmonat nehmen einmalig ein Viertel der tablette ein.

(Bei tabletten mit anderen Kaliumjodidgehalten bitte die Dosisangaben in der Gebrauchsinformation beachten.)

Die Jodtabletten sollen möglichst nicht auf nüchternen Magen eingenommen werden. Die tabletten können geschluckt oder in Flüssigkeit gelöst eingenommen werden. Die Einnahme kann - vor allem für Säuglinge und Kinder - durch Auflösen der tablette in einem Getränk, z.B. Wasser oder Tee, erleichtert werden. Die Lösung ist jedoch nicht haltbar und sollte sofort getrunken werden.

Jodtabletten sind nur nach Aufforderung durch die zuständige Behörde einzunehmen. Schwangere und Stillende erhalten die gleiche Joddosis wie die Gruppe der 13- bis 45-Jährigen. Erwachsene über 45 Jahren sollen keine Jodtabletten einnehmen, da bei ihnen das Gesundheitsrisiko für schwerwiegende Schilddrüsenerkrankungen (z.B. durch Jod ausgelöste Schilddrüsenüberfunktion) infolge der tabletteneinnahme höher ist als das Strahlenrisiko durch Einatmen von radioaktivem Jod.

Im Regelfall ist eine einmalige Einnahme der Jodtabletten ausreichend. Im Ausnahmefall kann die zuständige Behörde eine weitere tabletteneinnahme empfehlen. Die Anzahl der verteilten tabletten ist hierfür ausreichend. Die tabletteneinnahme ist jedoch bei Neugeborenen stets auf einen Tag, bei Schwangeren und Stillenden auf zwei Tage zu beschränken.

2.9 Jodtabletten in der Schwangerschaft

Auch in der Schwangerschaft soll, unabhängig vom Alter der Schwangeren, die empfohlene Jodblockade durchgeführt werden, da durch die Jodeinnahme Mutter und Ungeborenes geschützt werden. Die Schwangere sollte jedoch den Arzt über eine Jodeinnahme informieren, da dieser dann die ohnehin erfolgende Schilddrüsenvorsorgeuntersuchung des Neugeborenen besonders beachten wird.

2.10 Unverträglichkeit und Risiken

Jodtabletten dürfen nicht eingenommen werden bei:

Die Einnahme von Jodtabletten kann selten auch zu allergischen Reaktionen wie Hautausschlägen, Gewebswassereinlagerungen, Halsschmerzen, Augentränen, Schnupfen, Speicheldrüsenschwellungen, Fieber u. ä. Symptomen führen.

Personen, die an einer Überfunktion der Schilddrüse leiden oder litten, sollen Jodtabletten unter Beibehalten ihrer Behandlung einnehmen, jedoch nach Beendigung der Notfallsituation ihren Arzt aufsuchen.

Bei Patienten, die an einer Überfunktion oder an einer knotig veränderten Schilddrüse leiden, ist das Risiko einer Verschlechterung des Zustandes bzw. der Auslösung einer Schilddrüsenüberfunktion erhöht. Deshalb ist nach Einnahme ein baldiger Besuch beim Arzt erforderlich.

Personen, bei denen im Zeitraum von einer Woche bis zu drei Monaten nach Einnahme der tabletten Beschwerden auftreten, die auf eine Schilddrüsenüberfunktion hinweisen, wie Unruhezustände, Herzklopfen, Gewichtsabnahme oder Durchfall, sollten ebenfalls ihren Arzt aufsuchen.

2.11 Personen über 45 Jahre

Die Durchführung der Jodblockade bei Personen, die über 45 Jahre alt sind, wird aus zwei Gründen nicht empfohlen:

  1. Deutschland zählt zu den Jodmangelgebieten, wodurch mit steigendem Lebensalter häufiger Stoffwechselstörungen in der Schilddrüse auftreten. Eine solche sogenannte funktionelle Autonomie erhöht das Risiko der Nebenwirkungen einer Jodblockade.
  2. Mit steigendem Lebensalter nimmt das Risiko einer bösartigen Schilddrüsengeschwulst, die durch Strahlung verursacht wird, stark ab.

2.12 Begleiterscheinungen

Ein Reizung der Magenschleimhaut kann insbesondere bei Einnahme von Jodtabletten auf nüchternen Magen auftreten. Bei längerer Dauer der Erscheinungen sollte ein Arzt befragt werden.

2.13 Wogegen schützen Jodtabletten nicht?

Jodtabletten schützen nicht gegen Strahlung, die von außerhalb den Körper trifft, oder gegen andere radioaktive Stoffe außer Jod, die in den Körper aufgenommen worden sind.

2.14 Dringende Bitte

Folgen Sie deshalb in Ihrem eigenen Interesse den Anweisungen der Behörde, die die Lage beurteilen kann und geeignete weitere Schutzmaßnahmen anordnet.

2.15 Hinweis

Die tabletten sind - wie andere Arzneimittel - vor Licht und Feuchtigkeit geschützt und für Kinder unzugänglich aufzubewahren.

Wegen der möglichen Nebenwirkungen sollten Jodtabletten nur von Personen unter 45 Jahren (mit Ausnahme von Schwangeren) und nach ausdrücklicher Aufforderung durch die zuständigen Behörden eingenommen werden.

1) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /RAH 08/
2) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /SSK 07a/
3) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /SSK 07a/
4) Zur Beurteilung der Wirkungen von Strahlendosen sind im strengen Sinn die Energiedosis in Gray (Gy) in Bezug auf deterministische Schäden und die Äquivalentdosis in Sievert (Sv) in Bezug auf stochastische Schäden zu betrachten. Da es sich hier aber praktisch ausschließlich um locker ionisierende Strahlen handelt, bei denen der Zahlenwert von Energiedosis und Äquivalentdosis gleich ist, wird im folgenden zur Vereinfachung der Darstellung entsprechend der Strahlenschutzverordnung die Äquivalentdosis verwendet. /SSK 95b/2
5) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /SSK 07b/
6) Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass es, z.B. in unmittelbarer Umgebung einer betroffenen kerntechnischen Anlage, zu höheren Dosen kommen kann. Für diese wäre das Modell der effektiven Dosis, das sich auf stochastische Schäden bezieht, nicht mehr anwendbar.
7) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /MNK 08/
8) 50 mSv Organ-Folgedosis (Schilddrüse) entsprechen 2,5 mSv effektive Dosis.
9) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /MNK 08/
10) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /MNK 08/
11) Aktualisierte Referenzen, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /SSK 04b/, /MNK 08/, /PLU 07/, /SAF 06/
12) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /IMI 06/
13) Aktualisierte Referenz, siehe Anhang zum Literaturverzeichnis: /SSK 07b/
14) wissenschaftliche Schreibweise: Iod

ENDE

umwelt-online - Demo-Version


(Stand: 27.11.2019)

Alle vollständigen Texte in der aktuellen Fassung im Jahresabonnement
Nutzungsgebühr: 90.- € netto (Grundlizenz)

(derzeit ca. 7200 Titel s.Übersicht - keine Unterteilung in Fachbereiche)

Preise & Bestellung

Die Zugangskennung wird kurzfristig übermittelt

? Fragen ?
Abonnentenzugang/Volltextversion