umwelt-online: Vergleichende Bewertung der biologischen Wirksamkeit verschiedener ionisierender Strahlungen (3)
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2.2.3.3 Beschränktes und unbeschränktes lineares Energieübertragungsvermögen

Von biophysikalischer Seite wurden neben dem Wertepaar ip und Rmax verschiedene andere Kenngrößen der Bahnstruktur eingeführt, die den Versuch repräsentieren, das komplizierte geometrische Muster näherungsweise durch eine einzige Maßzahl zu charakterisieren. Am bekanntesten ist die Größe "lineares Energieübertragungsvermögen" (engl. "linear energy transfer", abgekürzt LET [ZIR 521). Sie ist der Quotient aus der im statistischen Mittel auf einem Wegstück der Länge Δx in Wasser von dem ionisierenden Teilchen durch "Kollisionen", d. h. Ionisationen und Anregungen, auf die Materie übertragene Energie ΔE und der Weglänge Δx. Mit Rücksicht auf das "Borstenmuster" der Teilchenbahnen, d. h. die Verteilung der Startenergien der Sekundärelektronen, spricht man zum einen von dem "beschränkten linearen Energieübertragungsvermögen" (engl. "restricted linear energy transfer" [HAR 84, HAR 88, BAR 90, HAR 00] oder "restricted linear collision stopping power" [ICRU 70, ICRU 98])

LΔ = ΔEΔ/Δx,          ( 2.19)

in das nur diejenigen Energieübertragungen pro Stoßprozess in Wasser einbezogen sind, die einen Wert Δ nicht überschreiten, z.B. Δ = 100 eV oder 500 eV. Zum anderen ist seit langem der Begriff "unbeschränktes lineares Energieübertragungsvermögen" (engl. "unrestricted linear energy transfer" [ICRU 70, ICRP 91, ICRU 98])

L = ΔE/Δx           ( 2.20)  

in Gebrauch, der alle nach den Stoßgesetzen mögliche Energieübertragungen pro Stoßprozess in Wasser ohne Obergrenze umfasst, also mit dem Stoßbremsvermögen des betreffenden geladenen Teilchens für Wasser identisch ist. In den DIN-Normen [DIN 001 sind diese Begriffe im Sinne von Gl. ( 2.19) und ( 2.20) festgelegt. Im Strahlenschutz wird für die Größe L zur Abkürzung auch die nicht näher spezifizierte Bezeichnung "linear energy transfer" (LET) und das Formelsymbol L verwendet [ICRP 91, ICRU 93b, ICRU 98, DIN 99, STR 01].

Bei einem Strahlungsfeld, das ionisierende Teilchen verschiedener Art und Energie enthält, spricht man von einem "LET-Spektrum", womit die Verteilung der Teilchenfluenz oder der Energiedosis in Abhängigkeit von LΔ oder L als Verteilungsvariable gemeint ist [HAR 641. Kenngrößen solcher Spektren, mit denen man gemessene RBW-Werte korrelieren kann, sind deren Mittelwerte oder höhere Momente. Zum Beispiel ist die mit Hilfe der Verteilungsfunktion D(LΔ) definierte Größe

'LΔ,D = (1/D) ∫ LΔ D(LΔ) dLΔ         ( 2.21)

das "Dosismittel des beschränkten linearen Energieübertragungsvermögens" (engl. "dose mean restricted linear energy transfer"). Dabei bezeichnet D(LΔ) dLΔ die von ionisierenden Teilchen mit Werten des beschränkten linearen Energieübertragungsvermögens im Intervall LΔ, bis LΔ + dLΔ erzeugte Energiedosis in Wasser. Solche Mittelwerte sind für viele Strahlungsqualitäten berechnet worden [ICRU 70, HAR 64, BLO 83, HAR 84, BAR 95], s. Tab. 2.2.

Durch die Beschränkung auf Energieabgaben des Primärteilchens pro Stoß, welche die "Abschneideenergie" Δ nicht überschreiten, erlaubt die Größe LΔ eine Beschreibung des inneren Teils der Bahnstruktur, da die Reichweite der zugehörigen Sekundärelektronen den Startenergien<; Δ entspricht. Das beschränkte lineare Energieübertragungsvermögen wird daher auch als "Bahnkern-LET" bezeichnet [HAR 64]. Beispielsweise gehören zu den Werten Δ = 100 eV bzw. 500 eV die Sekundärelektronenreichweiten 4,9 und 23,4 nm in Wasser [WAT 96], so dass die bei einem Teilchendurchgang durch ein molekulares target mit vergleichbarem Durchmesser (z.B. DNA-Doppelhelix oder Chromatinfaser) im Mittel deponierte Energie durch das Produkt aus LΔ und targetdicke in guter Näherung wiedergegeben wird. Sekundärelektronen mit größerer Reichweite (s. Gleichung 2.18) werden bei der Kennzeichnung von Teilchenbahnen durch die Größe LΔ näherungsweise als selbstständige, mit der Primärteilchenbahn nicht korrelierte Komponenten des Strahlungsfeldes behandelt, die mit eigenen LΔ -Werten in das LET-Spektrum eingehen [HOW 58, ICRP 64, ICRU 70, BLO 83, BAR 95, HAR 00]. Demgegenüber lässt die Angabe eines Wertes von L nicht erkennen, auf welchen radialen Bereich sich die Energiedeposition durch das ionisierende Teilchen erstreckt.

Zwischen den Teilchenbahn-Kenngrößen LΔ und L besteht ein wesentlicher Unterschied auch im Hinblick auf die Fähigkeit, die statistischen Schwankungen der Anzahl und der Beträge der Energiedepositionen längs einer Teilchenbahn zu beschreiben. Statistische Schwankungen können aus reaktionskinetischen Gründen für die Ausbeute von Reaktionen zwischen den Folgeprodukten der atomaren Energiedepositionen von Bedeutung sein, da sie die Variationsbreite der Abstände zwischen den Entstehungsorten bestimmen. Kellerer und Chmelevsky [KEL 75a] haben klargestellt, dass die Größe L allein - solange die Teilchenart nicht bekannt ist - diese statistischen Schwankungen nicht wiedergeben kann, weil die Aufteilung des Musters der Energiedepositionen in Bahnkern und Sekundärelektronen durch L,. allein nicht eindeutig festgelegt ist. Bei der Kenngröße LΔ bestehen diese Einschränkungen nicht [BLO 83, HAR 84, BLO 85, HAR 88, BAR 90, BAR 95].

Abb. 2.5:

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