umwelt-online: Vergleichende Bewertung der biologischen Wirksamkeit verschiedener ionisierender Strahlungen (5)
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3.5 Rolle der locker ionisierenden Strahlungen als Referenzstrahlungen für Strahlungs-Wichtungsfaktoren und Anwendungsgrenzen von wR = 1

Die locker ionisierenden Strahlungen spielen bei einer kritischen Diskussion der Festlegung der wR -Werte eine doppelte Rolle: Einerseits wurden in ICRP 60 [ICRP 91] die wR -Werte beliebiger Strahlungen, z.B. der Neutronen, an experimentellen RBW-Werten orientiert, bei denen über die Referenzstrahlungen harte Röntgenstrahlung und Gammastrahlung gemittelt worden war, ferner wurde allen locker ionisierenden Strahlungen der einheitliche Wert wR = 1 zugewiesen. Die zu diesen Festlegungen in ICRP 60 [ICRP 91] gegebenen Begründungen werden im Folgenden wiedergegeben, und es wird diskutiert, ob in diesen Punkten Änderungen notwendig erscheinen. Als besonders wichtig erweisen sich im Rahmen dieser Bewertung die Anwendungsgrenzen des Wichtungsfakors wR = 1.

3.5.1 Mittelung von experimentellen RBW-Werten über die Referenzstrahlungen

Bei der Festlegung der wR -Werte beliebiger Strahlungen in ICRP 60 [ICRP 91] suchte sich die ICRP an relevanten RBW-Werten für typische stochastische Effekte bei kleinen Dosen zu orientieren, die aus den Ergebnissen von Tierversuchen und Experimenten auf zellulärer Ebene abgeleitet waren (ICRP 60, § 85). Es war aber bereits bekannt, dass auch zwischen den locker ionisierenden Strahlungen Unterschiede der biologischen Wirksamkeit bestanden, so dass die RBW-Werte der dicht ionisierenden Strahlungen von der Wahl der Referenzstrahlung abhingen. (Typische Beispiele hierfür - nach der heutigen Datenlage enthalten die Tabellen 4.1 bis 4.6 für das Beispiel Neutronenstrahlung.) Hierdurch entstand die Frage der angemessenen Auswahl der Referenzstrahlung für die zur Orientierung zu verwendenden RBW-Werte. Die ICRP entschied sich für den Weg der Vereinfachung ("α substantial degree of simplification is needed"). Dementsprechend zog man bei der Festlegung der wR -Werte dicht ionisierender Strahlungen nicht deren experimentell gewonnene RBW-Werte in Bezug auf eine bestimmte locker ionisierende Referenzstrahlung, z.B.60Co-Gammastrahlung, zur Orientierung heran, sondern die Festlegung dieser wR -Werte erfolgte in Anlehnung an geeignete Durchschnittswerte ("appropriate average values") der RBW, die aus Experimenten mit verschiedenen locker ionisierenden Referenzstrahlungen (Röntgen- und Gammastrahlungen) hervorgegangen waren: "The commission has therefore not distinguished between x and gamma radiation and has selected values of the radiation factor (wR) for other radiations broadly representative of the observed values of RBE relative to either x or gamma radiation" ( § 85) und "The choice for other radiations is based an observed values of the relative biological effectiveness (RBE) regardless of whether the reference radiation is x or gamma radiation" ( § 24). Da über Röntgen- und Gammastrahlungen als Referenzstrahlungen gemittelt wurde, spiegeln die wR -Werte nicht die speziell durch Bezug auf60Co-Gammastrahlung gewonnenen RBWWerte wider, was für die Beurteilung der Zahlenwerte von wR, besonders bei Neutronen, wichtig ist, denn aufgrund dieser Mittelung werden keine höheren RBW- und damit wR -Werte als etwa 20 erreicht.

Aus heutiger Sicht wird gegen diese Mittelung über die Referenzstrahlungen eingewandt, dass die Orientierung der wR -Werte an tierexperimentellen RBW-Werten, die speziell auf60Co-Gammastrahlung als Referenzstrahlung bezogen sind, vorzuziehen sei, weil auf Gammastrahlung bezogene RBW-Werte auch für die Umrechnung der Risikokoeffizienten der Atombombenüberlebenden von der in Hiroshima und Nagasaki vorherrschenden energiereichen Photonenstrahlung auf andere Strahlungen Verwendung fänden.

Geht man bei der Risiko-Umrechnung von tierexperimentellen, speziell auf Gammastrahlung als Referenzstrahlung bezogenen RBW-Werten aus, wird allerdings der Unterschied in den Streustrahlungsverhältnissen im menschlichen Körper und im Körper eines kleinen Versuchstiers nicht berücksichtigt: Eine einfallende hochenergetische Photonenstrahlung, wie sie in Hiroshima und Nagasaki vorlag, erzeugt im menschlichen Körper bei Ganzkörperexposition ein starkes Streustrahlungsfeld, dessen relativer Dosisbeitrag mit der Tiefe zunimmt und bei Bestrahlung nahe der Körpermitte dem Dosisbeitrag der Primärstrahlung annähernd gleichkommt oder ihn sogar überschreitet [MIL 97, HAR 03a]. Bei der Strahlentherapie mit hochenergetischer Photonenstrahlung ist dies ein allgemein bekannter, unter Berücksichtigung der Feldgröße in die Bestrahlungsplanung eingehender Effekt [NCS 98]. Die durch einfachen und mehrfachen Comptoneffekt [RAJ 26] und durch photoelektrische Absorption der niederenergetisch gewordenen Photonen geprägte spektrale Dosisverteilung des im Körper erzeugten Streustrahlungsfeldes hat bei hochenergetischer Primärstrahlung ein Maximum im Energiebereich unterhalb 250 keV [NIL 75, POP 02]. Bei den in Hiroshima und Nagasaki Exponierten kommt noch der Dosisbeitrag der von außen in den Körper einfallenden Compton-Streustrahlung der Gebäudeteile und des Erdbodens hinzu [HAR 01a].

Bei einem spektralen Gemisch wird die resultierende RBW durch die relativen Dosisanteile aller spektralen Komponenten im Körper bestimmt (Abschnitt 2.2.5). Beispielsweise wurde in einem Experiment mit Chromosomenaberrationen als Endpunkt ein auf die Streustrahlung in einem großen, mit60Co-Gammastrahlung bestrahlten Phantom zurückzuführender Anstieg des Ausbeutekoeffizienten α bemerkt [SCH 02, SCH 03]. Die in ICRP 60 [ICRP 91] vollzogene Mittelung der experimentellen RBW-Werte über harte Röntgenstrahlung und60Co-Gammastrahlung als Referenzstrahlungen kommt daher den RBW-Werten am nächsten, die man bei der Umrechnung von Risikokoeffizienten der Atombombenüberlebenden auf andere Strahlungen anwenden sollte [HAR 01b]. Im Gegensatz dazu sind RBW-Werte aus Tierversuchen oder In-vitro-Experimenten mit60

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