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74. MAK für Getreidemehlstaub
(BArbBl. 11/96 S. 66)
4,0 mg/m3 (Einatembare Fraktion)
Kurzzeitwertkategorie: keine
Einleitung
Getreidemehle im Sinne dieser TRGS sind Roggen- und Weizenmehl. Die einatembare Staubfraktion (früher: Gesamtstaub) an diesen Arbeitsplätzen besteht zu einem wesentlichen Teil aus Weizen- und Roggenmehl. Weitere aus allergologischer Sicht wichtige Bestandteile der einatembaren Staubfraktion in Backbetrieben sind verschiedene Enzyme, beispielsweise Alpha-Amylase sowie Stoffwechselprodukte von Vorratsschädlingen. Da eine Trennung der verschiedenen Bestandteile der einatembaren Staubfraktion in Backbetrieben in die unterschiedlichen allergologisch relevanten Bestandteile mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist, orientieren sich die Schutzmaßnahmenan diesen Arbeitsplätzen an der Konzentration der einatembaren Staubfraktion.
Sofern die Arbeitsbereichsanalyse ergibt, daß im einatembaren Staubbestandteile vorhanden sind, die nicht unter den Geltungsbereich dieses Grenzwertes fallen, müssen zu deren Beurteilung vorhandene Grenzwerte herangezogen werden. Beim Einsatz von Substituten mit geringem allergenen Risiko wie beispielsweise Kartoffel- und Maisstärke als Ersatzstoffe für Roggen- und Weizenmehl sind diese in der einatembaren Staubfraktion gemäß ihrem Anteil zu berücksichtigen. Näheres hierzu ist berufsgenossenschaftlichen Regeln bzw. der Länder-Handlungsanleitung zu entnehmen [1, 2].
Arbeitsmedizinische Erfahrungen
Als Ursachen von allergisch bedingten obstruktiven Atemwegserkrankungen bei Bäckern und Konditoren kommen verschiedene Berufsstoffe in Frage.Wesentliche Inhalationsallergene sind bestimmte Mehlproteine, deren Relevanzin Seren sensibilisierter Beschäftigter in mehlverarbeitenden Betrieben nachgewiesen wurde. Im Weizenmehl handelt es sich dabei um Proteine mit einem Molekulargewicht von 15, 17 und 46 kD sowie im Roggenmehl um Proteine mit 14 bzw. 35 kD [10, 15]. Weitere wichtige Atemwegsallergene beiBäckern, Konditoren und Müllereibeschäftigten stellen Backenzyme wie Alpha-Amylase, Schimmelpilze sowie Allergene von Vorratsschädlingen wie Kornkäfern, Reismehlkäfern, Vorratsmilben oder Küchenschaben dar [3, 4, 8, 13, 18, 19].
Allergisch bedingte obstruktive Atemwegserkrankungen werden durch IgE-Antikörper vermittelt und führen bei Allergenkontakt zu einer Antigen-Antikörper-Reaktion mit einer Aktivierung von Mastzellen und der1 Ausschüttung von Histamin und anderen Mediatoren. Nach inhalativem Allergenkontakt kommt es zu einer Sofortreaktion innerhalb von ca. 15 Minuten mit der Ausbildung einer Konjunktivitis, Rhinitis oder obstruktiven Atemwegserkrankung. Neben dieser Sofortreaktion kann es nach mehreren Stunden zu einer ebenfalls IgE-vermittelten verzögerten Reaktion mit einer Ansammlung von verschiedenen Entzündungszellen an der Eintrittsstelle des Allergens sowie der Ausbildung einer obstruktiven Atemwegserkrankung kommen. Sowohl die Früh- als auch die Spätreaktion sind im arbeitsplatzbezogenen Inhalationstest mit Berufsstoffen nachweisbar [12, 13, 18, 19, 20, 21].
Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe hat Roggen- und Weizenmehlstäube sowie Alpha-Amylase als inhalative Allergene eingestuft [9].
Epidemiologische Studien in England sprechen für eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Höhe der Mehlstaubexposition am Arbeitsplatz und der Häutigkeit von allergisch bedingten obstruktiven Atemwegserkrankungen (BK 4301). Allerdings muß hier angemerkt werden, daß in England die Zugabe von Zusatzstoffen zum Mehl die Regel ist, deren Verwendung in Deutschland aus lebensmittelrechtlichen Gründen nicht gestattet ist. Bei der Bewertung dieser Ergebnisse ist deshalb zu berücksichtigen, daß in England die Verwendung von Bleichmitteln wie Kaliumbromat sowie Farbstoffen in Getreidemehl im Gegensatz zur Bundesrepublik zulässig ist. In einer Untersuchung bei 279 englischen Bäckern fanden sich bei Beschäftigten mit erhöhter Mehlstaubexposition häufiger Hinweise für eine bronchiale Überempfindlichkeit, Beschwerden im Sinne einer chronischen Bronchitis, ein positiver Hauttest mit Roggen- und Weizenmehlextrakt sowie Vorratsmilbena ls bei Beschäftigten mit niedrigerer Staubexpesition [14]. In einer weiteren Untersuchung bei 344 englischen Bäckereibeschäftigten fanden sich signifikante Beziehungen zwischen Mehlstaubexposition (insbesondere Aeroallergenkonzentrationen) und der Häufigkeit arbeitsabhängiger Beschwerden von Augen, Nase und der Haut, nicht dagegen von Luftnotbeschwerden.Weiterhin stieg mit zunehmender Mehlstaubexposition die Häufigkeit einer Sensibilisierung gegenüber Berufsstoffen im Hauttest an [8].
Für eine Dosisabhängigkeit des Erkrankungsrisikos für die Entwicklung einer allergisch bedingten obstruktiven Atemwegserkrankung sprichtauch eine umfangreiche Untersuchung in der Bundesrepublik in ca. 2 400Bäckereibetrieben, in der sich eine höhere Staubexposition in Betriebenmit Berufskrankheitenfällen an allergisch bedingter obstruktiver Aternwegserkrankung im Vergleich zu Betrieben ohne Berufskrankheitenfallenfand. Im Rahmen eines multifaktorellen Ursachengefüges waren neben der Disposition, dem Haupteinflußfaktor Mehistaub, ubiquitären Allergenenvon Gräsern, Backmittel, Pilze, Bakterien, Milben, Schadstoffe aus dem Backprozeß, klimatische Einflüsse, Streß durch ungünstige Arbeitsorganisation sowie unterschiedlich hohe Schadstoffbelastungen der Umwelt maßgeblich [11].
Meßverfahren
Es wird ein definiertes Luftvolumen mit einem Probenahmegerät zur Erfassung der einatembaren Fraktion angesaugt und der Staub auf einem Glasfaserfilter abgeschieden. Die Masse des Staubes wird durch Differenzwägung vor und nach der Probenahme ermittelt [5].
Die Bestimmungsgrenze liegt bei personengetragener Probenahme, einem Probeluftvolumen von 1,7 m3 und achtstündiger Probenahme bei 0,2 mg/m3.Bei ortsfester Probenahme und einem Probeluftvolumen von 45 m3 (zweistündige Probenahme) beträgt die Bestimmungsgrenze 0,07 mg/m3.
Bei wechselnden Tätigkeiten mit unterschiedlicher Expositionshöhe in Backbetrieben ist in der Regel eine personengetragene Probenahme erforderlich.
Verwendung
Bei der Verwendung von Getreidemehlen in Back- und Konditoreibetrieben tritt in der Regel eine Mehlstaubexposition insbesondere bei der Teigherstellung und -verarbeitung sowie bei Reinigungsarbeiten auf.
Die Zahl der Beschäftigten in Backbetrieben lag 1994 bei 214 000 und im Konditoreigewerbe bei 58 000 Beschäftigten. 1994 wurden in der Bundesrepublik 0,9 Mio. t Roggen- und 4,3 Mio. t Weizenmehl verarbeitet.
Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen
Die Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Tabelle 1: Ergebnisse von Arbeitsbereichmessungen zur personenbezogenen einatembaren Staubfraktion in Backbetrieben in mg/m3 (Schichtmittelwerte)
Autor | n | Median | 25-Perzentil | 75-Perzentil |
[6] | 75 | 2,4 | 1,1 | 4,0 |
[7] | 132 | 3,8 | 2,0 | 7,7 |
[17] | 38 | 7,4 | 4,4 | 12,8 |
Der Medianwert der personenbezogen erhobenen Konzentration der einatembaren Staubfraktion in Backbetrieben lag in den alten Bundesländern unter4,0 mg/m3 [6, 7], während die Staubexposition in den neuen Bundesländern deutlich höher lag [17]. Allerdings ist die Zahl der vorliegenden Messungen aus den neuen Bundesländern relativ gering.Bei acht personenbezogenen Messungen in zwei Bäckereibetrieben mitinstallierter Absauganlage fand sich eine signifikant niedrigere Konzentration der einatembaren Staubfraktion als bei 124 personenbezogenen Messungen in30 Bäckereibetrieben ohne Absauganlage (2,3 versus 3,9 mg/m3, p < 0,05) [7].
Bei 38 stationären Messungen der einatembaren Fraktion über eine Arbeitsschicht in Backbetrieben fand sich ein Mittelwert von 1,96+ 1,70 mg/m3 [7].
Hinweise
Der Stand der Staubminderungstechnik in mehlverarbeitenden Betrieben gestattet die Einhaltung des oben beschriebenen technisch definierten Luftgrenzwertes für die einatembare Fraktion in Backbetrieben. Zu den notwendigen Maßnahmen gehören ein staubvermeidender Umgang mit Getreidemehlen sowie 1technisch und organisatorische Maßnahmen zur Staubreduktion.Diese werden in den Arbeitssicherheitsinformationen der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten sowie in einer Handlungsanleitung "Mehlstäube" der Länderarbeitsschutzbehörden beschrieben, die in Kürze erscheinen. Bzgl. einer Übersicht der erforderlichen Schutzmaßnahmen siehe [16]. Diese umfassen beispielsweise Explosionsschutz,mikrobiologische Fragestellungen, Hygienebedingungen, verfahrenstechnische Hinweise, persönliche Schutzausrüstungen, etc.
Für die Anwendung des Grenzwertes in Getreidemühlen ist durch eine Arbeitsbereichsanalyse festzustellen, ob der Luftgrenzwert eingehalten ist.Sollte dies nicht der Fall sein, so sind Meßergebnisse mit Hinweisen zu den getroffenen Schutzmaßnahmen dem Ua V "Grenzwerte" (Sekretariat:Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit, Alte Heerstr. 111, 53757 Sankt Augustin) bis zum 30.04.1998 mitzuteilen.
Literatur
[1] Berufsgenossenschaftliche Regel, "Maßnahmen zur Vermeidung von obstruktiven Atemwegserkrankungen in Backbetrieben"
[2] Handlungsanleitung der Länder zu Mehlstaub
[3] Armentia, A. et al. (1992): Sensitization 10 the storage mite lepidoglyphus destructor in wheat flour respiratoty allergy. Annals of Allergy 68: 398-403
[4] Baur, X., Weiss, W., Sauer, W., Fruhmann;G., Kimm, K.-W., Ulmer, W.-.T.,Mezger, V.-A., Woitowitz, H.- J. und Steurich, F.-K. (1988): Backmittel als Mitursache des Bäckerasthmas. Deutsche Medizinische Wochenschrift 13: 1275-1278
[5] Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit (BIA)(1989): Messung von Gefahrstoffen, Kapitel 7552 Einatembarer Staubfraktion, Berlin, Erich-Schmidt-Verlag, Loseblattsammlung, 2. Lieferung
[6] Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten (BGN): Mitteilung vom 06.11.1995
[7] Bolm-Audorff, U. Bienfait, H.G. und Albracht, G. (1996);Untersuchungen zur Staubexposition in Bäckereibetrieben. Zbl. Arbeitsmed. 45 im Druck
[8] Cullinan, P. eI al (1994): Work related symtoms, sensitation, and estimatedexposure in workers not previously exposed to flour. Qccupational and Environmental Medicine 51: 579-583
[9] Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) (1995): MAK- und BAT-Werte-Liste 1995, Weinheim, Verlag Chemie, S.131-132
[10] Fränken, 3. eI al (1991): Characterization of aliergenic componentsof rye and wheat flour (Secale, Triticum vulgaris) by western-blot with seraof bakers: their effects on CD 23 expression. International Archives of Allergy and Applied Immunology 96: 76-83
[11] Grieshaber, R. (1994): Risikozustandsanalyse in gewerblichen Bäckereien. In: Radandt S. und Grieshaber, R. (Hg): Obstruktive Atemwegserkrankungen bei Bäckern, Bericht vom 2. Heidelberger Symposium 1993, Heidelberg, Asanger-Verlag, S. 38-96
[12] König, W. et al (1994): Grundlagen und Mechanismen der allergischen Reaktion, In: Radandt, 5. und Grieshaber, R. (Hg): Obstruktive Atemwegserkrankungen bei Bäckern, Bericht vom 2. Heidelberger Symposium 1993, Heidelberg, Asanger-Verlag, S. 323-345
[13] Marek, W. et al (1994): Lungenfunktionsprüfungen undarbeitsplatzbezogene Provokationsuntersuchungen bei Bäckern mit respiratorischen Beschwerden, In: Radandt, S. und Grieshaber, R. (Hg): Obstruktive Atemwegserkrankungen bei Bäckern, Bericht vom 2. Heidelberger Symposium 1993, Heidelberg, Asanger-Verlag, S. l20-l48
[14] Musk, A.-W. et al (1989): Respiratory symtoms, lung function, andsensitisation to flour in a British bakery. British Journal of Industrial Medicine 46: 636-642
[15] Pfeil, T. et al (1990): Western blot analysis of watersoluble flour (Triticurn vulgaris) allergens. International Archives of Allergy and Applied Immuiology 91: 224-231
[16] Radandt, Sund Grieshaber, R. (Hg), (1994): Obstruktive Atemwegserkrankungenbei Bäckern, Bericht vom 2. Heidelberger Symposium 1993, Heidelberg, Asanger-Verlag, S.465-489
[17] Riehm, G. Landesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Suhl; Mitteilung vom 03.11.1995 und 28.11.1995
[18] Thiel H, Ulmer, W. T. (1982): Respirationsallergien bei Bäckern-Epidemiologische, klinische und arbeitsmedizinische Aspekte. Stuttgart, Thieme-Verlag
[19] Wittemann, B., Sohmen, R. und Rosenau, C. (1994): Bewertung immunologischer Parameter zur Beurteilung von Bakkerasthma. In: Radandt 5, Grieshaber R (Hg):Obstruktive Atemwegserkrankungen bei Bäckern, Bericht vom 2. Heidelberger Symposium 1993, Heidelberg, Asanger-Verlag, S. 377-391
[20] Woitowitz, H.-J. (1985): Obstruktive Atemwegserkrankungen. In: Valentin, H., Lehnert, G., Petry, H., Weber, G., Wittgens, H., Woitowik, H.-J. (Hg): Arbeitsmedizin, Band 2, Stuttgart, Thieme-Verlag, S.285 - 297
[21] Woitowitz, H.-J. (1970): Berufsbedingtes allergisches Asthma bronchiale. Fortschritte der inhalativen Testmethodik. Münch. med. Wschr. 112, S.874-879
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(Stand: 20.08.2018)
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