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TRGS 910-72: 2,2'-Dichlordiethylsulfid

(BArbBl. 12/89 S. 72)


Krebserzeugender
Stoff

Gruppen

I
(sehr stark gefährdend)
II
(stark gefährdend)
III
(gefährdend)

Massengehalte im Gefahrstoff in v. H.

2,2'-Dichlordiethylsulfid   > 0,1   < 0,1-0,01

Erläuterungen:

2,2'-Dichlordiethylsulfid (Schwefellost) ist eine ölige Flüssigkeit welche durch Verunreinigungen mit Schwefelverbindungen knoblauch- bzw. senfartig riecht. Die Substanz wirkt chemisch-irritativ und toxisch im Bereich der äußeren Haut, der Bindehäute sowie der Schleimhäute im Bereich der oberen und tiefen Atemwege. Weiterhin wurden hämatotoxische, nephrotoxische und neurotoxische Effekte beschrieben.

In verschiedenen Mutagenitäts-Kurzzeittests hat sich eine deutliche mutagene Wirkung von 2,2'-Dichlordiethylsulfid erwiesen. Die Substanz wirkt bei Mäusen nach intravenöser Injektion eindeutig tumorerzeugend im Bereich der Lungen (68% Lungentumoren nach 4 Injektionen von je 0,25 ml einer 0,006-0,007 %igen Lösung. 13 % bei der Kontrolle). Nach einmaliger

15-minütiger inhalativer Exposition gegenüber einer Konzentration von etwa 1,25 ppm ließ sich bei den exponierten Strain-AMäusen nicht nur eine reversible gut 20 %ige Gewichtsreduktion nachweisen, sondern bei 49 % der exponierten Tiere auch Lungentumoren im Vergleich zu 27 % bei den Kontrollmäusen. Längerfristige Tierexperimente mit unterschiedlichen Dosierungen wurden mit 2,2'-Dichlordiethylsulfid nicht durchgeführt. Untersuchungen bei anderen Tierarten fehlen.

In einer epidemiologischen Untersuchung bei britischen Soldaten, welche wegen chronischer Bronchitis nach 2,2'-Dichlordiethylsulfid-Exposition eine Rente bezogen, konnten Gase und Lea (1955) keine erhöhte Tumorsterblichkeit im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit chronischer Bronchitis jedoch ohne 2,2'-Dichlordiethylsulfid-Exposition feststellen. In einer ähnlichen Untersuchung an amerikanischen Soldaten mit Zustand nach 2,2'-Dichlordiethylsulfid-Intoxikation fand sich eine um den Faktor 1,3 erhöhte Sterblichkeit an Tumoren der Atemwege im Vergleich zu einer internen Kontrollgruppe von Soldaten ohne 2,2'-Dichlordiethylsulfid-Exposition (Beebe 1960).

Dagegen konnte eine epidemiologische Untersuchung bei Beschäftigten welche zwischen 1929 und 1945 in einem japanischen Betrieb einer Exposition mit 2,2'-Dichlordiethylsulfid bei der Herstellung von Giftgasgranaten ausgesetzt waren, eine um den Faktor 36,7 erhöhte standardisierte Mortalitätsrate in Bezug auf Atemwegskarzinome feststellen. 33 beobachteten Fällen standen ().9 erwartete gegenüber. Insgesamt fanden sich unter den Atemwegskarzinomen 21 Fälle an Lungenkrebs. 5 Kehlkopfkarzinome. 4 Mundboden- und Pharynxkarzinome und 3 Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlenkarzinome. Die mittlere Expositionszeit betrug 7,4 Jahre, die mittlere Latenzzeit zwischen Beginn der Exposition und dem Tod an einem Atemwegskarzinom 24.4 Jahre. Messungen über die Expositionshöhe an 2,2'-Dichlordiethylsulfid wurden in dem Betrieb nicht durchgeführt. Die Exposition wird jedoch als so erheblich beschrieben, daß ein Großteil der Beschäftigten an chronischer Bronchitis litt (Wada et al. 1968). In einer weiteren Kohortenstudie bei 402 deutschen Arbeitern, welche zwischen 1935 und 1945 bei der Herstellung von Giftgasmunition gegenüber Schwefel-Lost, Stickstoff-Lost und Lostgemischen exponiert waren, wurde eine um den Faktor 2,2 erhöhte Lungenkrebssterblichkeit gefunden. Elf beobachteten Fällen standen 4,95 erwartete gegenüber. Informationen über die Expositionshöhe, -dauer und die Latenzzeit sind der Untersuchung nicht zu entnehmen. Die Arbeit ist nicht spezifisch für die Exposition mit 2,2'-Dichlordiethylsulfid (Weiß und Weiß 1975). Easton et al. (1988) untersuchten in einer weiteren Kohortenstudie die Tumorsterblichkeit von 3530 Personen, die zwischen 1938 und 1944 zeitweilig in einer englischen Giftgasfabrik gearbeitet hatten in der Schwefellost hergestellt wurde. Auch in dieser Untersuchung fand sich im Vergleich zur Wohnbevölkerung eine statistisch signifikant erhöhte Mortalität in Bezug auf das Larynx- und Bronchialkarzinom (SMR 273 und 145) weiterhin in Bezug auf Pharynx-, Ösophagus- und Magenkarzinome (SMR 549.187 und 141). Auch die Sterblichkeit in Bezug auf gutartige Atemwegserkrankungen wie Bronchitis. Asthma und Pneumonie war in der Kohorte signifikant erhöht. Angaben zur Expositionshöhe konnten auch in dieser Untersuchung nicht gemacht werden.

Trotz der lückenhaften Erkenntnisse sprechen die durchgeführten Tierversuche sowie die epidemiologischen Studien für eine starke kanzerogene Potenz der Verbindung. Eine sehr starke krebserzeugende Wirkung ist nicht mit ausreichender Sicherheit nachzuweisen, da die krebserzeugende Potenz von 2,2'-Dichlordiethylsulfid nach einmaliger Exposition von Soldaten in Konzentrationen die bereits zu toxischen Wirkungen im Bereich der Atemwege der exponierten Personen führten. lediglich fraglich oder gering tumorerzeugend wirkt. Der durchgeführte lnhalationsversuch an Strain-A-Mäusen entspricht dieser einmaligen Exposition beim Menschen. Auch aus diesem tierexperimentellen Ergebnis läßt sich nicht mehr als eine starke kanzerogene Wirkung des 2,2'-Dichlordiethylsulfid ableiten, dies insbesondere auch deshalb, weil der Strain-a eine besondere Neigung zur Entwicklung von Lungentumoren aufweist.

2,2'-Dichlordiethylsulfid wird deshalb in die Gruppe der stark gefährdenden krebserzeugenden Arbeitsstoffe eingestuft, und zwar mit der Konzentration von 0,1 %, da im Vergleich zu anderen Stoffen der Gruppe II Hinweise auf ein höheres krebserzeugendes Potential bestehen.

Literatur

1. Beebe, G. W.: Lung cancer in world war I veterans: possible relation to mustard-gas injury and 1918 influenza epidemic, J. Nat. Cancer Inst.25 (1960) 1231-1252

2. Gase, R. A. M., Lea, A. J.: Mustard gas poisoning, chronic bronchitis and lung cancer, Brit. j. prev. soc. med. 9 (1955)

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