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Änderungstext

Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten

Vom 17. Juli 2017
(BGBl. I Nr. 48 vom 21.07.2017 S. 2426)



Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2424) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 1901a wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 3 wird folgender Absatz 4 eingefügt:

"(4) Der Betreuer soll den Betreuten in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinweisen und ihn auf dessen Wunsch bei der Errichtung einer Patientenverfügung unterstützen."

b) Die bisherigen Absätze 4 und 5 werden die Absätze 5 und 6.

2. § 1906 wird wie folgt geändert:

a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:

altneu
§ 1906 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung" § 1906 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei freiheitsentziehender Unterbringung und bei freiheitsentziehenden Maßnahmen".

b) In Absatz 1 Nummer 2 werden nach den Wörtern "notwendig ist," die Wörter "die Maßnahme" eingefügt.

c) Absatz 2 Satz 3 und 4

Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

wird aufgehoben.

d) Die Absätze 3 und 3a werden durch folgenden Absatz 3 ersetzt:

altneu
(3) Widerspricht eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Nummer 2 dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in sie nur einwilligen, wenn
  1. der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann,
  2. zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,
  3. die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung nach Absatz 1 zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,
  4. der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und
  5. der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

§ 1846 ist nur anwendbar, wenn der Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert ist.

(3a) Die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Der Betreuer hat die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat den Widerruf dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

"(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht unverzüglich anzuzeigen."

e) Absatz 4 wird wie folgt gefasst:

altneu
(4) Die Absätze 1 bis 2 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll."(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll."

f) In Absatz 5 Satz 1 werden nach dem Wort "nach" die Wörter "den Absätzen 3 und 4" durch die Angabe "Absatz 4" und nach den Wörtern "in den Absätzen" die Angabe "1, 3 und 4" durch die Angabe "1 und 4" ersetzt.

3. Nach § 1906 wird folgender § 1906a eingefügt:

" § 1906a Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen

(1) Widerspricht eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in die ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn

  1. die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,
  2. der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann,
  3. die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901a zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht,
  4. zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,
  5. der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betreuten weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann,
  6. der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt und
  7. die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird.

§ 1846 ist nur anwendbar, wenn der Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert ist.

(2) Die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts.

(3) Der Betreuer hat die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Er hat den Widerruf dem Betreuungsgericht unverzüglich anzuzeigen.

(4) Kommt eine ärztliche Zwangsmaßnahme in Betracht, so gilt für die Verbringung des Betreuten gegen seinen natürlichen Willen zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus § 1906 Absatz 1 Nummer 2, Absatz 2 und 3 Satz 1 entsprechend.

(5) Die Einwilligung eines Bevollmächtigten in eine ärztliche Zwangsmaßnahme und die Einwilligung in eine Maßnahme nach Absatz 4 setzen voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die Einwilligung in diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend."

Artikel 2
Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2424) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 326 wie folgt gefasst:

altneu
§ 326 Zuführung zur Unterbringung" § 326 Zuführung zur Unterbringung; Verbringung zu einem stationären Aufenthalt".

2. Dem § 62 wird folgender Absatz 3 angefügt:

"(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend."

3. In § 104 Absatz 3 wird die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

4. In § 167 Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

5. In § 293 Absatz 2 Satz 2 wird die Angabe "1906" durch die Angabe "1906a" ersetzt.

6. § 312 wird wie folgt gefasst:

altneu
§ 312 Unterbringungssachen 13

Unterbringungssachen sind Verfahren, die

  1. die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung und die Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme (§ 1906 Absatz 1 bis 3a des Bürgerlichen Gesetzbuchs) eines Betreuten oder einer Person, die einen Dritten dazu bevollmächtigt hat (§ 1906 Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs),
  2. die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
  3. eine freiheitsentziehende Unterbringung und eine ärztliche Zwangsmaßnahme eines Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker

betreffen.

Auf die ärztliche Zwangsmaßnahme finden die für die Unterbringung in diesem Abschnitt geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers stets erforderlich.

" § 312 Unterbringungssachen

Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer

  1. freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
  2. freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Absatz 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
  3. ärztlichen Zwangsmaßnahme, auch einschließlich einer Verbringung zu einem stationären Aufenthalt, nach § 1906a Absatz 1, 2 und 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
  4. freiheitsentziehenden Unterbringung und einer ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker

betreffen."

7. § 313 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 wird in dem Satzteil vor Nummer 1 die Angabe " § 312 Nr. 1 und 2" durch die Wörter " § 312 Nummer 1 bis 3" ersetzt.

b) In Absatz 3 Satz 1 wird die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

8. Dem § 317 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

"Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers stets erforderlich."

9. § 326 wird wie folgt geändert:

a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:

altneu
§ 326 Zuführung zur Unterbringung" § 326 Zuführung zur Unterbringung; Verbringung zu einem stationären Aufenthalt".

b) In Absatz 1 werden nach der Angabe " § 312 Nr. 1 " die Wörter "oder bei der Verbringung nach § 312 Nummer 3" eingefügt.

c) In Absatz 3 Satz 1 werden nach dem Wort "Unterbringung" die Wörter "oder zu dessen Verbringung nach § 312 Nummer 3" eingefügt.

10. In § 327 Absatz 1 Satz 1, § 328 Absatz 1 Satz 1 und § 330 Satz 2 wird jeweils die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

11. In § 331 Satz 1 Nummer 2 werden die Wörter " § 312 Nummer 1 und 3" durch die Wörter " § 312 Nummer 1, 3 und 4" ersetzt.

12. § 337 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 wird die Angabe " § 312 Nr. 1 und 2" durch die Wörter " § 312 Nummer 1 bis 3" ersetzt.

b) In Absatz 2 wird die Angabe " § 312 Nr. 3" durch die Angabe " § 312 Nummer 4" ersetzt.

Artikel 3
Änderung der Vorsorgeregister-Verordnung

§ 1 Absatz 1 Nummer 5 der Vorsorgeregister-Verordnung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 318), die zuletzt durch Artikel 137 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In Buchstabe b werden nach der Angabe " § 1904 Abs. 1 Satz 1" die Wörter "und § 1906a Absatz 1 und 4" eingefügt.

2. In Buchstabe c werden nach der Angabe "Absatz 1" das Komma und die Angabe "3" gestrichen.

Artikel 4
Änderung des Erwachsenenschutzübereinkommens-Ausführungsgesetzes

In § 12 Absatz 2 des Erwachsenenschutzübereinkommens-Ausführungsgesetzes vom 17. März 2007 (BGBl. I S. 314; 2009 II S. 39), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266) geändert worden ist, werden in dem Satzteil vor Nummer 1 die Wörter " § 1906 Absatz 3 oder 4" durch die Wörter " § 1906 Absatz 4 oder § 1906a Absatz 1 oder Absatz 4" ersetzt.

Artikel 5
Änderung des Betreuungsbehördengesetzes

In § 1 Satz 2 des Betreuungsbehördengesetzes vom 12. September 1990 (BGBl. I S. 2002, 2025), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3393) geändert worden ist, wird die Angabe " § 312 Nr. 1 und 2" durch die Wörter " § 312 Nummer 1 bis 3" ersetzt.

Artikel 6
Einschränkung von Grundrechten

Durch Artikel 1 Nummer 3 dieses Gesetzes werden die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes) eingeschränkt.

Artikel 7
Evaluierung

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz untersucht nach Ablauf von drei Jahren nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gemäß Artikel 8 die Auswirkungen der durch dieses Gesetz vorgenommenen Änderungen auf die Anwendungspraxis, insbesondere die Art und Häufigkeit von betreuungsgerichtlich genehmigten oder angeordneten ärztlichen Zwangsmaßnahmen sowie die Wirksamkeit der Schutzmechanismen in § 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuchs und die Auswirkungen der Änderungen in den §§ 62 und 326 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Artikel 8
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

ID 171227

ENDE