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UVollzG M-V -
Untersuchungshaftvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern
Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Mecklenburg-Vorpommern

- Mecklenburg-Vorpommern-

Vom 17. Dezember 2009
(GVOBl. M-V 2009 S. 763; 27.05.2016 S. 302 16; 21.11.2020 S. 1254 20)
Gl.-Nr.: 312-4



Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Abschnitt 1
Allgemeine Bestimmungen

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Untersuchungshaft.

(2) Es gilt entsprechend für den Vollzug der Haft nach § 127b Absatz 2, § 230 Absatz 2, §§ 236, 329 Absatz 4 Satz 1, § 412 Satz 1 und § 453c der Strafprozessordnung sowie den Vollzug des Unterbringungsbefehls nach § 275a Absatz 5 der Strafprozessordnung.

(3) Für den Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach § 126a der Strafprozessordnung gelten, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung (§ 3 Absatz 2) nicht entgegensteht, die Vorschriften über den Vollzug der Unterbringung gemäß den §§ 63 und 64 des Strafgesetzbuchs entsprechend.

§ 2 Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs

Der Vollzug der Untersuchungshaft hat die Aufgabe, durch sichere Unterbringung der Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen.

§ 3 Zuständigkeit und Zusammenarbeit

(1) Entscheidungen nach diesem Gesetz trifft die Justizvollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird (Anstalt). Sie arbeitet eng mit Gericht und Staatsanwaltschaft zusammen, um die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs zu erfüllen und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu gewährleisten. Die Anstalt unterrichtet das Gericht und die Staatsanwaltschaft über alle Erkenntnisse, die

  1. Anlass für die Änderung, Aussetzung oder Aufhebung des Haftbefehls geben können,
  2. Anlass für den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von verfahrenssichernden Anordnungen geben können,
  3. sie bei einer von ihr durchgeführten Überwachung erlangt und die von Bedeutung für ein Strafverfahren sind.

(2) Die Anstalt hat Anordnungen, die das Gericht oder die an dessen statt zum Handeln ermächtigte Behörde trifft, um einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr zu begegnen (verfahrenssichernde Anordnungen), zu beachten und umzusetzen.

§ 4 Stellung der Untersuchungsgefangenen

(1) Die Untersuchungsgefangenen gelten als unschuldig. Sie sind so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten.

(2) Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen den Untersuchungsgefangenen nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, zur Abwehr einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung unerlässlich sind. Sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Anordnung stehen und dürfen die Untersuchungsgefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.

§ 5 Vollzugsgestaltung

(1) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen, soweit die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs und die Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens in der Anstalt dies zulassen. Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.

(2) Die unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse von weiblichen und männlichen Untersuchungsgefangenen werden bei der Vollzugsgestaltung und bei Einzelmaßnahmen berücksichtigt.

§ 6 Soziale Hilfe

(1) Die Untersuchungsgefangenen werden darin unterstützt, ihre persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu beheben. Sie sollen dazu angeregt und in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.

(2) Die Anstalt arbeitet mit außervollzuglichen Einrichtungen und Organisationen sowie mit Personen, Vereinen und Verbänden, die soziale Hilfestellung leisten können, eng zusammen.

(3) Die Untersuchungsgefangenen sind, soweit erforderlich, über die notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche zu beraten.

(4) Die Beratung soll die Benennung von Stellen und Einrichtungen außerhalb der Anstalt umfassen, die sich um eine Vermeidung der weiteren Untersuchungshaft bemühen. Auf Wunsch sind den Untersuchungsgefangenen Stellen und Einrichtungen zu benennen, die sie in ihrem Bestreben unterstützen können, einen Ausgleich mit dem Tatopfer zu erreichen.

Abschnitt 2
Vollzugsverlauf

§ 7 Aufnahme

(1) Mit den Untersuchungsgefangenen wird unverzüglich ein Zugangsgespräch geführt, in dem ihre gegenwärtige Lebenssituation erörtert wird und sie über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Ihnen ist die Hausordnung auszuhändigen. Dieses Gesetz, die von ihm in Bezug genommenen Gesetze sowie die zu seiner Ausführung erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sind den Untersuchungsgefangenen auf Verlangen zugänglich zu machen.

(2) Beim Zugangsgespräch dürfen andere Gefangene nur zugegen sein, wenn anders eine sprachliche Verständigung nicht möglich ist.

(3) Die Untersuchungsgefangenen werden alsbald ärztlich untersucht.

(4) Den Untersuchungsgefangenen ist Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Vertrauensperson von der Aufnahme in die Anstalt zu benachrichtigen, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung nicht entgegensteht.

(5) Die Untersuchungsgefangenen sollen dabei unterstützt werden, etwa notwendige Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige, zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und der Wohnung und zur Sicherung ihrer Habe außerhalb der Anstalt zu veranlassen.

§ 8 Verlegung und Überstellung

(1) Untersuchungsgefangene können in eine andere Anstalt verlegt oder überstellt werden, wenn es

  1. zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung,
  2. aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder
  3. aus Gründen der Vollzugsorganisation oder aus anderen wichtigen Gründen

erforderlich ist. Zuvor ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(2) § 7 Absatz 4 gilt entsprechend.

§ 9 Vorführung, Ausführung und Ausantwortung

(1) Auf Ersuchen eines Gerichts oder einer Staatsanwaltschaft werden Untersuchungsgefangene vorgeführt. Über Vorführungsersuchen in anderen als dem der Inhaftierung zu Grunde liegenden Verfahren sind das Gericht und die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten.

(2) Aus besonderen Gründen können Untersuchungsgefangene ausgeführt werden. Ausführungen zur Befolgung einer gerichtlichen Ladung sind zu ermöglichen, soweit darin das persönliche Erscheinen angeordnet ist und eine verfahrenssichernde Anordnung nicht entgegensteht. Vor der Entscheidung ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Liegt die Ausführung ausschließlich im Interesse der Untersuchungsgefangenen, können ihnen die Kosten auferlegt werden.

(3) Untersuchungsgefangene dürfen befristet dem Gewahrsam eines Gerichts, einer Staatsanwaltschaft oder einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde auf Antrag überlassen werden (Ausantwortung). Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

§ 10 Entlassung

(1) Auf Anordnung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft entlässt die Anstalt die Untersuchungsgefangenen unverzüglich aus der Haft, es sei denn, es ist in anderer Sache eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung zu vollziehen.

(2) Aus fürsorgerischen Gründen kann Untersuchungsgefangenen der freiwillige Verbleib in der Anstalt bis zum Vormittag des zweiten auf den Eingang der Entlassungsanordnung folgenden Werktags gestattet werden. Der freiwillige Verbleib setzt das schriftliche Einverständnis der Untersuchungsgefangenen voraus, dass die bisher bestehenden Beschränkungen aufrechterhalten bleiben.

(3) Bedürftigen Untersuchungsgefangenen kann eine Entlassungsbeihilfe in Form eines Reisekostenzuschusses, angemessener Kleidung oder einer sonstigen notwendigen Unterstützung gewährt werden.

Abschnitt 3
Unterbringung und Versorgung der Untersuchungsgefangenen

§ 11 Trennungsgrundsätze

(1) Untersuchungsgefangene werden von Gefangenen anderer Haftarten, namentlich von Strafgefangenen, getrennt untergebracht. Ausnahmen sind zulässig

  1. mit Zustimmung der einzelnen Untersuchungsgefangenen,
  2. zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder
  3. aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt.

Darüber hinaus können Untersuchungsgefangene ausnahmsweise mit Gefangenen anderer Haftarten untergebracht werden, wenn die geringe Anzahl der Untersuchungsgefangenen eine getrennte Unterbringung nicht zulässt.

(2) Junge Untersuchungsgefangene (§ 66 Absatz 1) werden von den übrigen Untersuchungsgefangenen und von Gefangenen anderer Haftarten getrennt untergebracht. Hiervon kann aus den in Absatz 1 Satz 2 und 3 genannten Gründen abgewichen werden, wenn eine Vollzugsgestaltung nach § 67 gewährleistet bleibt und schädliche Einflüsse auf die jungen Untersuchungsgefangenen nicht zu befürchten sind.

(3) Männliche und weibliche Untersuchungsgefangene werden getrennt untergebracht.

(4) Gemeinsame Maßnahmen, insbesondere gemeinsame Arbeit und eine gemeinsame Berufs- und Schulausbildung, sind zulässig.

§ 12 Unterbringung während der Arbeit, Bildung und Freizeit

(1) Arbeit und Bildung finden grundsätzlich in Gemeinschaft statt.

(2) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, sich während der Freizeit in Gemeinschaft mit anderen Gefangenen aufzuhalten. Für die Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen kann die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter (§ 99) mit Rücksicht auf die räumlichen, personellen oder organisatorischen Verhältnisse der Anstalt besondere Regelungen treffen.

(3) Die gemeinschaftliche Unterbringung kann eingeschränkt werden, soweit es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder zur Gewährleistung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.

§ 13 Unterbringung während der Ruhezeit

(1) Während der Ruhezeit werden die Untersuchungsgefangenen in ihren Hafträumen einzeln untergebracht. Mit ihrer Zustimmung können sie gemeinsam untergebracht werden. Bei einer Gefahr für Leben oder Gesundheit oder bei Hilfsbedürftigkeit ist die Zustimmung der gefährdeten oder hilfsbedürftigen Untersuchungsgefangenen zur gemeinsamen Unterbringung entbehrlich.

(2) Darüber hinaus ist eine gemeinsame Unterbringung nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig.

§ 14 Unterbringung von Müttern mit Kindern

(1) Ist das Kind einer Untersuchungsgefangenen noch nicht drei Jahre alt, kann es mit Zustimmung der Aufenthaltsbestimmungsberechtigten in der Anstalt untergebracht werden, wenn die baulichen Gegebenheiten dies zulassen und Sicherheitsgründe nicht entgegenstehen, und es dem Kindeswohl dienlich ist. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören.

(2) Die Unterbringung erfolgt auf Kosten der für das Kind Unterhaltspflichtigen. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind gefährdet würde.

§ 15 Persönlicher Gewahrsam, Kostenbeteiligung

(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihnen von der Anstalt oder mit deren Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung dürfen sie Sachen von geringem Wert von anderen Gefangenen annehmen; die Annahme dieser Sachen und der Gewahrsam daran können von der Zustimmung der Anstalt abhängig gemacht werden.

(2) Eingebrachte Sachen, die die Untersuchungsgefangenen nicht in Gewahrsam haben dürfen, sind für sie aufzubewahren, sofern dies nach Art und Umfang möglich ist. Den Untersuchungsgefangenen wird Gelegenheit gegeben, ihre Sachen, die sie während des Vollzugs und für ihre Entlassung nicht benötigen, zu verschicken. Geld wird ihnen gutgeschrieben.

(3) Werden eingebrachte Sachen, deren Aufbewahrung nach Art oder Umfang nicht möglich ist, von den Untersuchungsgefangenen trotz Aufforderung nicht aus der Anstalt verbracht, so ist die Anstalt berechtigt, diese Sachen auf Kosten der Untersuchungsgefangenen aus der Anstalt entfernen zu lassen.

(4) Aufzeichnungen und andere Sachen, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen der Anstalt vermitteln oder Schlussfolgerungen auf diese zulassen, dürfen vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden.

(5) Die Zustimmung nach Absatz 1 kann widerrufen werden, wenn es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer erheblichen Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich ist.

(6) Die Untersuchungsgefangenen können an den Betriebskosten der in ihrem Gewahrsam befindlichen Geräte beteiligt werden.

§ 16 Ausstattung des Haftraums

Die Untersuchungsgefangenen dürfen ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. Sachen, deren Überlassung eine verfahrenssichernde Anordnung entgegensteht oder die geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden, sind ausgeschlossen.

§ 17 Kleidung

(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen eigene Kleidung tragen, soweit sie für Reinigung, Instandhaltung und regelmäßigen Wechsel sorgen. Der Anstaltsleiter kann anordnen, dass Reinigung und Instandhaltung nur durch Vermittlung der Anstalt erfolgen dürfen.

(2) Soweit es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder zur Gewährleistung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist, kann das in Absatz 1 genannte Recht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

§ 18 Verpflegung und Einkauf

(1) Zusammensetzung und Nährwert der Anstaltsverpflegung entsprechen den Anforderungen an eine gesunde Ernährung und werden ärztlich überwacht. Auf ärztliche Anordnung wird besondere Verpflegung gewährt. Den Untersuchungsgefangenen ist zu ermöglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu befolgen.

(2) Die Untersuchungsgefangenen können aus einem von der Anstalt vermittelten Angebot einkaufen. Die Anstalt soll für ein Angebot sorgen, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen Rücksicht nimmt.

(3) Den Untersuchungsgefangenen soll die Möglichkeit eröffnet werden, unmittelbar oder über Dritte Gegenstände über den Versandhandel zu beziehen. Zulassung und Verfahren des Einkaufs über den Versandhandel regelt der Anstaltsleiter.

(4) Gegenstände, deren Überlassung eine verfahrenssichernde Anordnung entgegensteht oder die geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden, sind vom Einkauf ausgeschlossen.

§ 19 Annehmlichkeiten

Von den § § 16 bis 18 nicht umfasste Annehmlichkeiten dürfen sich die Untersuchungsgefangenen auf ihre Kosten verschaffen, soweit und solange weder eine verfahrenssichernde Anordnung entgegensteht noch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet wird.

§ 20 Gesundheitsfürsorge

(1) Die Anstalt unterstützt die Untersuchungsgefangenen bei der Wiederherstellung und Erhaltung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit. Die Untersuchungsgefangenen haben die notwendigen Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu befolgen.

(2) Den Untersuchungsgefangenen wird ermöglicht, sich täglich mindestens eine Stunde im Freien aufzuhalten.

(3) Erkranken Untersuchungsgefangene schwer oder versterben sie, werden die Angehörigen und der Verteidiger benachrichtigt. Dem Wunsch, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll nach Möglichkeit entsprochen werden.

§ 21 Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge 20

(1) Medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung sind zwangsweise gegen den natürlichen Willen der Untersuchungsgefangenen nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 zulässig, soweit die Untersuchungsgefangenen krankheitsbedingt die Notwendigkeit dieser Maßnahmen nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können und die Maßnahmen erforderlich sind,

  1. um eine gegenwärtige Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Untersuchungsgefangenen oder
  2. um eine von ihnen infolge ihrer Krankheit ausgehende gegenwärtige Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen abzuwenden.

(2) Zwangsmaßnahmen nach Absatz 1 dürfen nur durchgeführt werden, wenn

  1. die Maßnahmen zur Abwendung der Gefahren geeignet und erforderlich sind,
  2. mildere Mittel keinen Erfolg versprechen,
  3. der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt,
  4. Art und Dauer der Maßnahmen auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt werden,
  5. in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, deren Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen und gegen die Durchführung der Maßnahmen gerichtet sind, nicht vorliegt,
  6. vor Beginn der beabsichtigen Maßnahme durch eine Ärztin oder einen Arzt ernsthaft versucht wurde, eine auf Vertrauen gegründete, freiwillige Zustimmung der Untersuchungsgefangenen zu der Untersuchung, Behandlung oder Ernährung zu erhalten,
  7. die Untersuchungsgefangenen durch eine Ärztin oder einen Arzt über Notwendigkeit, Art, Umfang, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der beabsichtigten Maßnahme in einer ihrer Auffassungsgabe und ihrem Gesundheitszustand angemessenen Weise aufgeklärt wurden und
  8. den Untersuchungsgefangenen nach Scheitern der Gespräche nach Nummer 6 die Beantragung der gerichtlichen Zustimmung zur Anordnung einer Zwangsmaßnahme nach Absatz 1 nebst der Möglichkeit der Durchführung dieser Maßnahme angekündigt worden ist.

(3) Zwangsmaßnahmen nach Absatz 1 dürfen mit Zustimmung der Anstaltsleitung nur auf Anordnung und unter der Leitung einer Ärztin oder eines Arztes durchgeführt werden. Die Anordnung bedarf zudem der vorherigen Zustimmung des gemäß § 126 Absatz 5 der Strafprozessordnung zuständigen Amtsgerichts. Das Recht zur Leistung erster Hilfe für den Fall, dass eine Ärztin oder ein Arzt nicht rechtzeitig erreichbar und mit dem Aufschub Lebensgefahr verbunden ist, bleibt unberührt. Die Maßnahmen sind zu dokumentieren; dabei werden festgehalten:

  1. die Gründe für die Anordnung,
  2. ihr Zwangscharakter,
  3. die Art und Weise ihrer Durchführung,
  4. die ärztliche Überwachung der Wirksamkeit,
  5. der Versuch, nach Absatz 2 Nummer 6 die Zustimmung der Untersuchungsgefangenen zu erhalten, und die Aufklärung nach Absatz 2 Nummer 7 und 8 sowie
  6. sonstige Erklärungen der Untersuchungsgefangenen, die im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen von Bedeutung sind, insbesondere auch mit freiem Willen erklärte, freiwillige Zustimmungen gemäß Absatz 2 Nummer 6.

(4) Bei Gefahr im Verzug findet Absatz 2 Nummer 6 bis 8 keine Anwendung; die Zwangsmaßnahmen nach Absatz 1 dürfen ohne vorherige Zustimmung der Anstaltsleitung und des zuständigen Gerichts umgesetzt werden. Die Zustimmungen der Anstaltsleitung und des Gerichts sind unverzüglich nachträglich einzuholen.

(5) Eine zwangsweise körperliche Untersuchung der Untersuchungsgefangenen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene ist über Absatz 1 hinaus zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Sie bedarf einer ärztlichen Anordnung und ist unter ärztlicher Leitung durchzuführen.

§ 22 Medizinische Leistungen, Kostenbeteiligung

(1) Die Untersuchungsgefangenen haben einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Leistungen unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit. Der allgemeine Standard der gesetzlichen Krankenkassen ist grundsätzlich entsprechend anzuwenden.

(2) Der Anspruch umfasst auch Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Vorsorgeleistungen entsprechend dem allgemeinen Standard der gesetzlichen Krankenkassen.

(3) Der Anspruch umfasst entsprechend dem allgemeinen Standard der gesetzlichen Krankenkassen auch die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, eine Behinderung auszugleichen oder einer drohenden Behinderung vorzubeugen, sofern dies mit Rücksicht auf die voraussichtliche Dauer des Untersuchungshaftvollzugs zwingend geboten ist und soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.

(4) An den Kosten für Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 können die Untersuchungsgefangenen in angemessenem Umfang beteiligt werden.

(5) Für Leistungen, die über die in Absatz 1 Satz 1 sowie in den Absätzen 2 und 3 genannten Leistungen hinausgehen, können den Untersuchungsgefangenen die gesamten Kosten auferlegt werden.

(6) Der Anstaltsleiter soll nach Anhörung des ärztlichen Dienstes der Anstalt den Untersuchungsgefangenen auf ihren Antrag hin gestatten, auf ihre Kosten externen ärztlichen Rat einzuholen. Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn die Untersuchungsgefangenen die gewählte ärztliche Vertrauensperson und den ärztlichen Dienst der Anstalt nicht wechselseitig von der Schweigepflicht entbinden oder wenn es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. Die Konsultation soll in der Anstalt stattfinden.

§ 23 Verlegung, Überstellung und Ausführung zur medizinischen Behandlung

(1) Kranke oder hilfsbedürftige Untersuchungsgefangene können in eine zur Behandlung ihrer Krankheit oder zu ihrer Versorgung besser geeignete Anstalt oder in ein Vollzugskrankenhaus verlegt oder überstellt werden.

(2) Erforderlichenfalls können Untersuchungsgefangene zur medizinischen Behandlung ausgeführt oder in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs gebracht werden.

(3) Zuvor ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nach Möglichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bei Verlegungen und Überstellungen gilt § 7 Absatz 4 entsprechend.

(4) Werden Untersuchungsgefangene während einer Behandlung aus der Haft entlassen, hat das Land nur diejenigen Kosten zu tragen, die bis zur Entlassung angefallen sind.

Abschnitt 4
Arbeit, Bildung, Freizeit

§ 24 Arbeit und Bildung

(1) Die Untersuchungsgefangenen sind nicht zur Arbeit verpflichtet.

(2) Ihnen soll nach Möglichkeit Arbeit oder sonstige Beschäftigung angeboten werden, die ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigt. Nehmen sie eine Arbeit auf, gelten die von der Anstalt festgelegten Arbeitsbedingungen. Die Arbeit darf nicht zur Unzeit niedergelegt werden.

(3) Geeigneten Untersuchungsgefangenen soll nach Möglichkeit Gelegenheit zum Erwerb oder zur Verbesserung schulischer und beruflicher Kenntnisse gegeben werden, soweit es die besonderen Bedingungen der Untersuchungshaft zulassen.

(4) Das Zeugnis oder der Nachweis über eine Bildungsmaßnahme darf keinen Hinweis auf die Inhaftierung enthalten.

§ 25 Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe, Taschengeld

(1) Wer eine Arbeit oder sonstige Beschäftigung ausübt, erhält Arbeitsentgelt.

(2) Der Bemessung des Arbeitsentgelts sind 9 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen (Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der 250. Teil der Eckvergütung; das Arbeitsentgelt kann nach einem Stundensatz bemessen werden.

(3) Das Arbeitsentgelt kann je nach Leistung der Untersuchungsgefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 Prozent der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen der Untersuchungsgefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen. Das Justizministerium wird ermächtigt, eine Rechtsverordnung über die Vergütungsstufen zu erlassen.

(4) Die Höhe des Arbeitsentgelts ist den Untersuchungsgefangenen schriftlich bekannt zu geben.

(5) Soweit Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit zu entrichten sind, kann vom Arbeitsentgelt ein Betrag einbehalten werden, der dem Anteil der Untersuchungsgefangenen am Beitrag entsprechen würde, wenn sie diese Bezüge als Arbeitnehmer erhielten.

(6) Nehmen Untersuchungsgefangene während der Arbeitszeit an einer Bildungsmaßnahme teil, erhalten sie eine Ausbildungsbeihilfe. Die Absätze 2 bis 5 gelten entsprechend.

(7) Untersuchungsgefangenen, denen weder Arbeit noch die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme angeboten werden kann, kann auf Antrag zur Vermeidung einer unbilligen Härte ein Taschengeld gewährt werden. Das Taschengeld beträgt 14 Prozent der Eckvergütung. Eine unbillige Härte ist gegeben, wenn und solange Untersuchungsgefangenen im laufenden Monat ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes nicht aus eigenen Mitteln zur Verfügung steht und sie diesen Betrag ohne ihr Verschulden auch von einer dritten Stelle nicht rechtzeitig erlangen können.

§ 26 Freizeit und Sport

Zur Freizeitgestaltung sind geeignete Angebote vorzuhalten. Insbesondere sollen Sportmöglichkeiten und Gemeinschaftsveranstaltungen angeboten werden.

§ 27 Zeitungen und Zeitschriften

(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen auf eigene Kosten Zeitungen und Zeitschriften in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt beziehen. Ausgeschlossen sind Zeitungen und Zeitschriften, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist.

(2) Zeitungen oder Zeitschriften können den Untersuchungsgefangenen vorenthalten werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung erforderlich ist. Für einzelne Ausgaben gilt dies auch dann, wenn deren Inhalte die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden.

§ 28 Rundfunk

Die Untersuchungsgefangenen können am Hörfunk- und Fernsehempfang (Rundfunkempfang) teilnehmen. Der Rundfunkempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen Untersuchungsgefangenen untersagt werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerlässlich ist.

Abschnitt 5
Religionsausübung

§ 29 Seelsorge

(1) Den Untersuchungsgefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf Wunsch ist ihnen zu helfen, mit einem Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft in Verbindung zu treten.

(2) Die Untersuchungsgefangenen dürfen grundlegende religiöse Schriften besitzen. Sie dürfen ihnen nur bei grobem Missbrauch entzogen werden.

(3) Den Untersuchungsgefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen.

§ 30 Religiöse Veranstaltungen

(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres Bekenntnisses teilzunehmen.

(2) Die Zulassung zu den Gottesdiensten oder zu religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft bedarf der Zustimmung des Seelsorgers der Religionsgemeinschaft.

(3) Untersuchungsgefangene können von der Teilnahme am Gottesdienst oder an anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung oder aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt geboten ist; der Seelsorger soll vorher gehört werden.

§ 31 Weltanschauungsgemeinschaften

Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten die §§ 29 und 30 entsprechend.

Abschnitt 6
Besuche, Schriftwechsel, Telefongespräche und Pakete

§ 32 Grundsatz

Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes zu verkehren, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung nicht entgegensteht.

§ 33 Recht auf Besuch

(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens zwei Stunden im Monat. Kindern der Untersuchungsgefangenen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, werden darüber hinaus bis zu zwei Stunden Besuch im Monat gewährt. Im Rahmen der durch die Anstalt geregelten Besuchszeiten kann ein einzelner Besuch bis zur Dauer von vier Stunden gewährt werden.

(2) Kontakte der Untersuchungsgefangenen zu ihren Angehörigen im Sinne von § 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuchs werden besonders gefördert.

(3) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht von den Untersuchungsgefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur voraussichtlichen Entlassung aufgeschoben werden können.

(4) Aus Gründen der Sicherheit der Anstalt können Besuche davon abhängig gemacht werden, dass sich die Besucher mit technischen Mitteln absuchen oder durchsuchen lassen.

(5) Besuche können untersagt werden, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde.

§ 34 Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren

Besuche von Verteidigern sowie von Rechtsanwälten und Notaren in einer die Untersuchungsgefangenen betreffenden Rechtssache sind zu gestatten. § 33 Absatz 4 gilt entsprechend. Eine inhaltliche Überprüfung der von Verteidigern mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen ist nicht zulässig.

§ 35 Überwachung der Besuche

(1) Besuche dürfen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt optisch überwacht werden. Die optische Überwachung kann mit technischen Hilfsmitteln durchgeführt werden; die betroffenen Personen sind vorher darauf hinzuweisen.

(2) Der Anstaltsleiter kann die akustische Überwachung im Einzelfall anordnen, wenn sie aus Gründen der Sicherheit der Anstalt oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich ist.

(3) Besuche dürfen abgebrochen werden, wenn Besucher oder Untersuchungsgefangene gegen dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes getroffene Anordnungen verstoßen. Dies gilt auch bei einem Verstoß gegen verfahrenssichernde Anordnungen.

(4) Besuche von Verteidigern werden nicht überwacht.

(5) Gegenstände dürfen beim Besuch nicht übergeben werden. Dies gilt nicht für die bei dem Besuch der Verteidiger übergebenen Schriftstücke und sonstigen Unterlagen sowie für die bei dem Besuch von Rechtsanwälten oder Notaren zur Erledigung einer die Untersuchungsgefangenen betreffenden Rechtssache übergebenen Schriftstücke und sonstigen Unterlagen. Bei dem Besuch von Rechtsanwälten oder Notaren kann die Übergabe aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt von der Erlaubnis des Anstaltsleiters abhängig gemacht werden.

§ 36 Recht auf Schriftwechsel

(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, auf eigene Kosten Schreiben abzusenden und zu empfangen.

(2) Der Anstaltsleiter kann den Schriftwechsel mit bestimmten Personen untersagen, soweit die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde.

§ 37 Überwachung des Schriftwechsels

(1) Ein- und ausgehende Schreiben werden auf verbotene Gegenstände überwacht. Der Anstaltsleiter kann die Textkontrolle anordnen, soweit sie aus Gründen der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich ist.

(2) Der Schriftwechsel der Untersuchungsgefangenen mit ihren Verteidigern wird nicht überwacht.

(3) Nicht überwacht werden Schreiben der Untersuchungsgefangenen an Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder, soweit die Schreiben an die Anschriften dieser Volksvertretungen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben. Entsprechendes gilt für Schreiben an das Europäische Parlament und dessen Mitglieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und weitere Einrichtungen, mit denen der Schriftverkehr aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland geschützt ist. Satz 1 gilt auch für Schreiben an die Bürgerbeauftragten der Länder und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Schreiben der in den Sätzen 1 bis 3 genannten Stellen, die an die Untersuchungsgefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht.

§ 38 Weiterleitung von Schreiben, Aufbewahrung

(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Absenden und den Empfang ihrer Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen, soweit nichts Anderes gestattet ist.

(2) Eingehende und ausgehende Schreiben sind unverzüglich weiterzuleiten.

(3) Die Untersuchungsgefangenen haben eingehende Schreiben unverschlossen zu verwahren, sofern nichts Anderes gestattet wird. Sie können sie verschlossen zu ihrer Habe geben.

§ 39 Anhalten von Schreiben

(1) Der Anstaltsleiter kann Schreiben anhalten, wenn

  1. es die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert,
  2. die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde,
  3. sie grob unrichtige oder erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen oder grobe Beleidigungen enthalten oder
  4. sie in Geheim- oder Kurzschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind.

(2) Ausgehenden Schreiben, die unrichtige Darstellungen enthalten, kann ein Begleitschreiben beigefügt werden, wenn die Untersuchungsgefangenen auf das Absenden bestehen.

(3) Sind Schreiben angehalten worden, wird das den Untersuchungsgefangenen mitgeteilt. Hiervon kann abgesehen werden, wenn und solange es die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs erfordert. Soweit angehaltene Schreiben nicht beschlagnahmt werden, werden sie an die Absender zurückgegeben oder, sofern dies unmöglich oder aus besonderen Gründen untunlich ist, verwahrt.

(4) Schreiben, deren Überwachung nach § 37 Absatz 2 und 3 ausgeschlossen ist, dürfen nicht angehalten werden.

§ 40 Telefongespräche

(1) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, auf eigene Kosten Telefongespräche zu führen. Die Bestimmungen über den Besuch gelten entsprechend. Ist die Überwachung des Telefongesprächs erforderlich, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern der Untersuchungsgefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung durch die Anstalt oder die Untersuchungsgefangenen mitzuteilen. Die Untersuchungsgefangenen sind rechtzeitig vor Beginn des Telefongesprächs über die beabsichtigte Überwachung und die Mitteilungspflicht nach Satz 3 zu unterrichten.

(2) Auf dem Gelände der Anstalt sind der Besitz und die Benutzung von Mobilfunkendgeräten verboten. Über Ausnahmen entscheidet die Aufsichtsbehörde.

(3) Die Anstalt darf technische Geräte

  1. zur Auffindung von Mobilfunkendgeräten,
  2. zur Aktivierung von Mobilfunkendgeräten zum Zwecke der Auffindung und
  3. zur Störung von Frequenzen, die der Herstellung unerlaubter Mobilfunkverbindungen auf dem Anstaltsgelände dienen,

betreiben. Sie hat hierbei die von der Bundesnetzagentur gemäß § 55 Absatz 1 Satz 5 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083) geändert worden ist, festgelegten Rahmenbedingungen zu beachten. Der Mobilfunkverkehr außerhalb des Geländes der Anstalt darf nicht beeinträchtigt werden.

§ 41 Pakete

(1) Der Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln ist den Untersuchungsgefangenen nicht gestattet. Der Empfang von Paketen mit anderem Inhalt bedarf der Erlaubnis der Anstalt, welche Zeitpunkt und Höchstmenge für die Sendung und für einzelne Gegenstände festsetzen kann. Für den Ausschluss von Gegenständen gilt § 18 Absatz 4 entsprechend.

(2) Pakete sind in Gegenwart der Untersuchungsgefangenen zu öffnen, an die sie adressiert sind. Ausgeschlossene Gegenstände können zu ihrer Habe genommen oder den Absendern zurückgesandt werden. Nicht ausgehändigte Gegenstände, durch die bei der Versendung oder Aufbewahrung Personen verletzt oder Sachschäden verursacht werden können, dürfen vernichtet werden. Die hiernach getroffenen Maßnahmen werden den Untersuchungsgefangenen eröffnet.

(3) Der Empfang von Paketen kann vorübergehend versagt werden, wenn dies wegen der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerlässlich ist.

(4) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, Pakete zu versenden. Die Anstalt kann ihren Inhalt aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überprüfen.

Abschnitt 7
Sicherheit und Ordnung

§ 42 Grundsatz

Die Pflichten und Beschränkungen, die den Untersuchungsgefangenen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden, sind so zu wählen, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und die Untersuchungsgefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.

§ 43 Verhaltensvorschriften

(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen durch ihr Verhalten gegenüber Bediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben in der Anstalt nicht stören. Sie haben sich nach der Tageseinteilung der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten.

(2) Die Untersuchungsgefangenen haben die Anordnungen der Bediensteten zu befolgen, auch wenn sie sich durch diese beschwert fühlen. Einen ihnen zugewiesenen Bereich dürfen sie nicht ohne Erlaubnis verlassen.

(3) Die Untersuchungsgefangenen haben ihren Haftraum und die ihnen von der Anstalt überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.

(4) Die Untersuchungsgefangenen haben Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.

§ 44 Absuchung, Durchsuchung

(1) Die Untersuchungsgefangenen, ihre Sachen und die Hafträume dürfen mit technischen Mitteln abgesucht und durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Untersuchungsgefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Untersuchungsgefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen.

(2) Nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall ist es zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Sie darf bei männlichen Untersuchungsgefangenen nur in Gegenwart von Männern, bei weiblichen Untersuchungsgefangenen nur in Gegenwart von Frauen erfolgen. Sie ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein.

(3) Der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, dass Untersuchungsgefangene bei der Aufnahme, vor und nach Kontakten mit Besuchern sowie vor und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt nach Absatz 2 zu durchsuchen sind.

§ 45 (aufgehoben) 20

§ 46 (aufgehoben) 20

§ 47 Maßnahmen zur Feststellung von Suchtmittelkonsum

(1) Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt kann der Anstaltsleiter allgemein oder im Einzelfall Maßnahmen anordnen, die geeignet sind, den Missbrauch von Suchtmitteln festzustellen. Diese Maßnahmen dürfen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein.

(2) Wird Suchtmittelmissbrauch festgestellt, können die Kosten der Maßnahmen den Untersuchungsgefangenen auferlegt werden.

§ 48 Festnahmerecht 20

Untersuchungsgefangene, die entwichen sind oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhalten, können durch die Anstalt oder auf deren Veranlassung festgenommen und zurückgebracht werden.

§ 49 Besondere Sicherungsmaßnahmen 20

(1) Soweit in den nachfolgenden Absätzen und in § 51 Absatz 2 nicht abweichend geregelt, können gegen Untersuchungsgefangene besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder aufgrund ihres seelischen Zustands in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht.

(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:

  1. der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,
  2. die Beobachtung der Untersuchungsgefangenen, auch mit technischen Hilfsmitteln,
  3. die Trennung von allen anderen Gefangenen (Absonderung),
  4. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
  5. die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und
  6. die Fesselung und die Fixierung.

(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nummer 1, 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Ordnung der Anstalt anders nicht vermieden oder behoben werden kann.

(4) Eine Absonderung von mehr als 24 Stunden Dauer ist nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer in der Person der Gefangenen liegenden Gefahr unerlässlich ist.

(5) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn die Gefahr einer Entweichung besteht.

§ 50 Einzelhaft 20

Die unausgesetzte Absonderung der Untersuchungsgefangenen (Einzelhaft) ist nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in deren Person liegen, unerlässlich ist. Einzelhaft von mehr als einem Monat Gesamtdauer im Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde und wird dem Gericht und der Staatsanwaltschaft von der Anstalt mitgeteilt. Während des Vollzugs der Einzelhaft sind die Untersuchungsgefangenen in besonderem Maße zu betreuen.

§ 51 Fesselung und Fixierung 20

(1) In der Regel dürfen Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Im Interesse der Untersuchungsgefangenen kann die Anstaltsleitung eine andere Art der Fesselung anordnen. Die Fesselung wird zeitweise gelockert, soweit dies notwendig ist.

(2) Eine Fesselung der Untersuchungsgefangenen, durch welche die Bewegungsfreiheit vollständig aufgehoben wird (Fixierung), ist nur zulässig, soweit und solange eine gegenwärtige erhebliche Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht und die Fixierung zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich ist.

§ 52 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen, Verfahren 20

(1) Vorbehaltlich des Absatzes 3 Satz 1 ordnet die Anstaltsleitung besondere Sicherungsmaßnahmen an; dies gilt auch für kurzfristige Fixierungen, die absehbar die Dauer von einer halben Stunde unterschreiten. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete diese Maßnahmen vorläufig anordnen; die Entscheidung der Anstaltsleitung ist unverzüglich einzuholen.

(2) Werden die Untersuchungsgefangenen ärztlich behandelt oder beobachtet oder bildet ihr seelischer Zustand den Anlass der besonderen Sicherungsmaßnahme, ist vor der Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme nach Absatz 1 eine ärztliche Stellungnahme einzuholen. Ist dies wegen Gefahr im Verzug nicht möglich, wird die Stellungnahme unverzüglich nachträglich eingeholt.

(3) Eine nicht nur kurzfristige Fixierung, die absehbar die Dauer von einer halben Stunde überschreitet, bedarf grundsätzlich der vorherigen Anordnung durch das gemäß § 126 Absatz 5 der Strafprozessordnung zuständige Amtsgericht. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung der Fixierung durch die Anstaltsleitung oder einen anderen zuständigen Bediensteten der Anstalt getroffen werden. Sofern nicht die in Satz 4 benannten Ausnahmen vorliegen, ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachträglich einzuholen. Eine richterliche Entscheidung ist nicht erforderlich, wenn bereits zu Beginn der Fixierung abzusehen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes für die Fixierung ergehen wird, oder die Fixierung vor Herbeiführung der Entscheidung tat sächlich beendet und auch keine zeitnahe Wiederholung zu erwarten ist. Ist eine richterliche Entscheidung beantragt und die Fixierung vor deren Erlangung beendet worden, ist dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.

(4) Die Entscheidung über die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen nach Absatz 1 oder Absatz 3 Satz 2 wird den Untersuchungsgefangenen mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst. Bei einer Fixierung nach Absatz 1 oder Absatz 3 Satz 2 haben die Anstalten darüber hinaus die Anordnung und die dafür maßgeblichen Gründe zu dokumentieren.

(5) Im Übrigen haben die Anstalten bei allen Fixierungen den Verlauf, die Dauer, die Art der Überwachung und die Beendigung zu dokumentieren. Nach Beendigung einer Fixierung, die nicht gerichtlich angeordnet wurde, sind die Untersuchungsgefangenen auf ihr Recht hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Maßnahme bei dem für die Überprüfung vollzuglicher Maßnahmen zuständigen Gericht überprüfen zu lassen; auch dieser Hinweis ist aktenkundig zu machen.

(6) Die Anstalten haben besondere Sicherungsmaßnahmen in angemessenen Abständen daraufhin zu überprüfen, ob und in welchem Umfang sie aufrechterhalten werden müssen; dies gilt insbesondere bei Fixierungen.

(7) Besondere Sicherungsmaßnahmen nach § 49 Absatz 2 Nummer 3, 5 und 6 sind der Aufsichtsbehörde unverzüglich mitzuteilen, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten werden. Absonderung und Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum an mehr als 30 Tagen innerhalb von zwölf Monaten bedürfen der Zustimmung der Aufsichtsbehörde.

(8) Während der Absonderung oder der Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum sowie während einer Fixierung sind die Untersuchungsgefangenen in besonderem Maße zu betreuen. Sind die Untersuchungsgefangenen fixiert oder sind sie während der Absonderung oder der Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum in einer anderen Art gefesselt, sind sie durch Bedienstete ständig und in unmittelbarem Sicht- und Sprechkontakt zu beobachten. Für diese Aufgaben dürfen bei einer Fixierung nur Bedienstete eingesetzt werden, die in diese Aufgaben eingewiesen worden sind.

§ 53 Ärztliche Überwachung 20

(1) Sind die Untersuchungsgefangenen in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht oder gefesselt, sucht sie eine Ärztin oder ein Arzt alsbald und in der Folge möglichst täglich auf. Während einer Fixierung ist unverzüglich eine Ärztin oder ein Arzt herbeizuziehen. Satz 1 gilt nicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transportes sowie bei Bewegungen innerhalb der Anstalt.

(2) Eine Ärztin oder ein Arzt ist regelmäßig zu hören, solange die Untersuchungsgefangenen länger als 24 Stunden abgesondert sind.

Abschnitt 8
Unmittelbarer Zwang

§ 54 Begriffsbestimmungen

(1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen.

(2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.

(3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln und Reizstoffe.

(4) Waffen sind die dienstlich zugelassenen Hieb- und Schusswaffen.

§ 55 Allgemeine Voraussetzungen

(1) Die Bediensteten dürfen unmittelbaren Zwang anwenden, wenn sie Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen rechtmäßig durchführen und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann.

(2) Gegen andere Personen als Untersuchungsgefangene darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene zu befreien oder widerrechtlich in die Anstalt einzudringen, oder wenn sie sich unbefugt darin aufhalten.

(3) Das Recht zu unmittelbarem Zwang aufgrund anderer Regelungen bleibt unberührt.

§ 56 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

(1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs sind diejenigen zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.

(2) Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.

§ 57 Handeln auf Anordnung

(1) Wird unmittelbarer Zwang von Vorgesetzten oder sonst befugten Personen angeordnet, sind die Bediensteten verpflichtet, ihn anzuwenden, es sei denn, die Anordnung verletzt die Menschenwürde oder ist nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden.

(2) Die Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgen die Bediensteten sie trotzdem, trifft sie eine Schuld nur, wenn sie erkennen oder wenn es nach den ihnen bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird.

(3) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung haben Bedienstete dem Anordnenden gegenüber vorzubringen, soweit das nach den Umständen möglich ist. Abweichende Bestimmungen des allgemeinen Beamtenrechts über die Mitteilung solcher Bedenken an Vorgesetzte (§ 36 Absatz 2 und 3 des Beamtenstatusgesetzes vom 17. Juni 2008, BGBl. I S. 1010) sind nicht anzuwenden.

§ 58 Androhung

Unmittelbarer Zwang ist vorher anzudrohen. Die Androhung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder unmittelbarer Zwang sofort angewendet werden muss, um eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, zu verhindern oder eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden.

§ 59 Schusswaffengebrauch

(1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs bereits erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.

(2) Schusswaffen dürfen nur die dazu bestimmten Bediensteten gebrauchen und nur, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Ihr Gebrauch unterbleibt, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden.

(3) Der Gebrauch von Schusswaffen ist vorher anzudrohen. Als Androhung gilt auch ein Warnschuss. Ohne Androhung dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.

(4) Gegen Untersuchungsgefangene dürfen Schusswaffen gebraucht werden,

  1. wenn sie eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug trotz wiederholter Aufforderung nicht ablegen,
  2. wenn sie eine Meuterei (§ 121 des Strafgesetzbuchs) unternehmen oder
  3. um ihre Entweichung zu vereiteln oder um sie wieder zu ergreifen.

Satz 1 Nummer 2 und 3 findet auf minderjährige Untersuchungsgefangene keine Anwendung.

(5) Gegen andere Personen dürfen Schusswaffen gebraucht werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Anstalt einzudringen.

(6) Der Gebrauch von Schusswaffen durch Bedienstete innerhalb der Anstalt im Sinne des § 98 Absatz 1 des Jugendstrafvollzugsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Dezember 2007 (GVOBl. M-V S. 427) ist verboten. Das Recht zum Schusswaffengebrauch aufgrund anderer Vorschriften durch Polizeivollzugsbedienstete bleibt hiervon unberührt.

Abschnitt 9
Disziplinarmaßnahmen

§ 60 Voraussetzungen

(1) Disziplinarmaßnahmen können angeordnet werden, wenn Untersuchungsgefangene rechtswidrig und schuldhaft

  1. gegen Strafgesetze verstoßen oder eine Ordnungswidrigkeit begehen,
  2. gegen eine verfahrenssichernde Anordnung verstoßen,
  3. andere Personen verbal oder tätlich angreifen,
  4. Lebensmittel oder fremdes Eigentum zerstören oder beschädigen,
  5. verbotene Gegenstände in die Anstalt bringen,
  6. sich am Einschmuggeln verbotener Gegenstände beteiligen oder sie besitzen,
  7. entweichen oder zu entweichen versuchen oder
  8. in sonstiger Weise wiederholt oder schwerwiegend gegen die Hausordnung verstoßen oder das Zusammenleben in der Anstalt stören.

(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, die Untersuchungsgefangenen zu verwarnen.

(3) Disziplinarmaßnahmen sind auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

§ 61 Arten der Disziplinarmaßnahmen

(1) Zulässige Disziplinarmaßnahmen sind

  1. Verweis,
  2. die Beschränkung oder der Entzug des Einkaufs bis zu drei Monaten,
  3. die Beschränkung oder der Entzug von Annehmlichkeiten nach § 19 bis zu drei Monaten,
  4. die Beschränkung des Rundfunkempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug des Hörfunk- und Fernsehempfangs jedoch nur bis zu zwei Wochen,
  5. die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung oder der Ausschluss von gemeinsamer Freizeit oder von einzelnen Freizeitveranstaltungen bis zu drei Monaten,
  6. der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge und
  7. Arrest bis zu vier Wochen.

(2) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.

(3) Arrest darf nur wegen schwerer oder wiederholter Verfehlungen verhängt werden.

(4) Bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahmen sind Grund und Zweck der Haft sowie die psychischen Auswirkungen der Untersuchungshaft und des Strafverfahrens auf die Untersuchungsgefangenen zu berücksichtigen. Durch die Anordnung und den Vollzug einer Disziplinarmaßnahme dürfen die Verteidigung, die Verhandlungsfähigkeit und die Verfügbarkeit der Untersuchungsgefangenen für die Verhandlung nicht beeinträchtigt werden.

§ 62 Vollzug der Disziplinarmaßnahmen, Aussetzung zur Bewährung

(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt.

(2) Disziplinarmaßnahmen können ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden.

(3) Arrest wird in Einzelhaft vollzogen. Die Untersuchungsgefangenen können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts Anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse der Untersuchungsgefangenen aus den §§ 16, 17 Absatz 1, § 18 Absatz 2 und 3, §§ 19, 24 Absatz 2 und 3, §§ 26, 27 Absatz 1 und § 28.

§ 63 Disziplinarbefugnis

(1) Disziplinarmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Anstalt zum Zweck der Verlegung ist die aufnehmende Anstalt zuständig.

(2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung gegen den Anstaltsleiter richtet.

(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen die Untersuchungsgefangenen in einer anderen Anstalt oder während einer anderen Haft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 62 Absatz 2 gilt entsprechend.

§ 64 Verfahren

(1) Der Sachverhalt ist zu klären. Die betroffenen Untersuchungsgefangenen werden gehört. Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht, sich zu äußern. Die Erhebungen werden in einer Niederschrift festgehalten; die Einlassung der Untersuchungsgefangenen wird vermerkt.

(2) Bei schweren Verfehlungen soll sich der Anstaltsleiter vor der Entscheidung mit Personen besprechen, die an der Betreuung der Untersuchungsgefangenen mitwirken.

(3) Vor der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen gegen Untersuchungsgefangene, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, oder gegen Schwangere oder stillende Mütter ist ein Arzt zu hören.

(4) Die Entscheidung wird den Untersuchungsgefangenen von dem Anstaltsleiter mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.

(5) Bevor Arrest vollzogen wird, ist ein Arzt zu hören. Während des Arrests stehen die Untersuchungsgefangenen unter ärztlicher Aufsicht. Der Vollzug unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn die Gesundheit der Untersuchungsgefangenen oder der Fortgang des Strafverfahrens gefährdet würde.

Abschnitt 10
Beschwerde

§ 65 Beschwerderecht

(1) Die Untersuchungsgefangenen erhalten Gelegenheit, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in vollzuglichen Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an den Anstaltsleiter zu wenden.

(2) Besichtigen Vertreter der Aufsichtsbehörde die Anstalt, so ist zu gewährleisten, dass die Untersuchungsgefangenen sich in vollzuglichen Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an diese wenden können.

(3) Die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt unberührt.

Abschnitt 11
Ergänzende Bestimmungen für junge Untersuchungsgefangene

§ 66 Anwendungsbereich

(1) Auf Untersuchungsgefangene, die zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (junge Untersuchungsgefangene), findet dieses Gesetz nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts Anwendung.

(2) Von einer Anwendung der Bestimmungen dieses Abschnitts sowie des § 11 Absatz 2 auf volljährige junge Untersuchungsgefangene kann abgesehen werden, wenn die erzieherische Ausgestaltung des Vollzugs für diese nicht oder nicht mehr angezeigt ist. Die Bestimmungen dieses Abschnitts können ausnahmsweise auch über die Vollendung des 24. Lebensjahres hinaus angewendet werden, wenn dies im Hinblick auf die voraussichtlich nur noch geringe Dauer der Untersuchungshaft zweckmäßig erscheint.

§ 67 Vollzugsgestaltung

(1) Der Vollzug ist erzieherisch zu gestalten. Die Fähigkeiten der jungen Untersuchungsgefangenen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebensführung in Achtung der Rechte Anderer sind zu fördern.

(2) Den jungen Untersuchungsgefangenen sollen neben altersgemäßen Bildungs-, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten auch sonstige entwicklungsfördernde Hilfestellungen angeboten werden. Die Bereitschaft zur Annahme der Angebote ist zu wecken und zu fördern.

(3) In diesem Gesetz vorgesehene Beschränkungen können minderjährigen Untersuchungsgefangenen auch auferlegt werden, soweit es dringend geboten ist, um sie vor einer Gefährdung ihrer Entwicklung zu bewahren.

§ 68 Zusammenarbeit und Einbeziehung Dritter

(1) Die Zusammenarbeit der Anstalt mit staatlichen und privaten Institutionen erstreckt sich insbesondere auch auf Jugendgerichtshilfe, Jugendamt, Schulen und berufliche Bildungsträger.

(2) Die Personensorgeberechtigten sind, soweit dies möglich ist und eine verfahrenssichernde Anordnung nicht entgegensteht, in die Gestaltung des Vollzugs einzubeziehen.

(3) Die Personensorgeberechtigten und das Jugendamt werden von der Aufnahme, von einer Verlegung und der Entlassung unverzüglich unterrichtet, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung nicht entgegensteht.

§ 69 Ermittlung des Förder- und Erziehungsbedarfs, Maßnahmen 20

(1) Nach der Aufnahme wird der Förder- und Erziehungsbedarf der jungen Untersuchungsgefangenen unter Berücksichtigung ihrer Persönlichkeit und ihrer Lebensverhältnisse ermittelt.

(2) In einer Konferenz mit an der Erziehung maßgeblich beteiligten Bediensteten werden der Förder- und Erziehungsbedarf erörtert und die sich daraus ergebenden Maßnahmen festgelegt. Diese werden mit den jungen Untersuchungsgefangenen besprochen und den Personensorgeberechtigten auf Verlangen mitgeteilt.

§ 70 Unterbringung

(1) Die jungen Untersuchungsgefangenen können in Wohngruppen untergebracht werden, zu denen neben den Hafträumen weitere Räume zur gemeinsamen Nutzung gehören.

(2) Die gemeinschaftliche Unterbringung während der Bildung, Arbeit und Freizeit kann über § 12 Absatz 3 hinaus auch eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen angezeigt ist, schädliche Einflüsse auf die jungen Untersuchungsgefangenen zu befürchten sind oder während der ersten zwei Wochen nach der Aufnahme.

(3) Eine gemeinsame Unterbringung nach § 13 Absatz 1 Satz 2 ist nur zulässig, wenn schädliche Einflüsse auf die jungen Untersuchungsgefangenen nicht zu befürchten sind.

§ 71 Schulische und berufliche Aus- und Weiterbildung, Arbeit

(1) Schulpflichtige Untersuchungsgefangene nehmen in der Anstalt am allgemein- oder berufsbildenden Unterricht in Anlehnung an die für öffentliche Schulen geltenden Bestimmungen teil.

(2) Minderjährige Untersuchungsgefangene können zur Teilnahme an schulischen und beruflichen Orientierungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen oder speziellen Maßnahmen zur Förderung ihrer schulischen, beruflichen oder persönlichen Entwicklung verpflichtet werden.

(3) Den übrigen jungen Untersuchungsgefangenen soll nach Möglichkeit die Teilnahme an den in Absatz 2 genannten Maßnahmen angeboten werden.

(4) Im Übrigen bleibt § 24 Absatz 2 unberührt.

§ 72 Besuche, Schriftwechsel, Telefongespräche

(1) Abweichend von § 33 Absatz 1 Satz 2 beträgt die Gesamtdauer des Besuchs für junge Untersuchungsgefangene mindestens vier Stunden im Monat. Über § 33 Absatz 3 hinaus sollen Besuche auch dann zugelassen werden, wenn sie die Erziehung fördern.

(2) Besuche von Kindern junger Untersuchungsgefangener werden nicht auf die Regelbesuchszeiten angerechnet.

(3) Bei minderjährigen Untersuchungsgefangenen können Besuche, Schriftwechsel und Telefongespräche auch untersagt werden, wenn Personensorgeberechtigte nicht einverstanden sind.

(4) Besuche dürfen über § 35 Absatz 3 hinaus auch abgebrochen werden, wenn von Besuchern ein schädlicher Einfluss ausgeht.

(5) Der Schriftwechsel kann über § 36 Absatz 2 hinaus bei Personen, die nicht Angehörige (§ 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuchs) der jungen Untersuchungsgefangenen sind, auch untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass der Schriftwechsel einen schädlichen Einfluss auf die jungen Untersuchungsgefangenen hat.

(6) Für Besuche, Schriftwechsel und Telefongespräche mit Beiständen nach § 69 des Jugendgerichtsgesetzes gelten die §§ 34, 35 Absatz 4 und § 37 Absatz 2 entsprechend.

§ 73 Freizeit und Sport

(1) Zur Ausgestaltung der Freizeit sind geeignete Angebote vorzuhalten. Die jungen Untersuchungsgefangenen sind zur Teilnahme und Mitwirkung an Freizeitangeboten zu motivieren.

(2) Über § 16 Satz 2 hinaus ist der Besitz eigener Fernsehgeräte und elektronischer Medien ausgeschlossen, wenn erzieherische Gründe entgegenstehen.

(3) Dem Sport kommt bei der Gestaltung des Vollzugs an jungen Untersuchungsgefangenen besondere Bedeutung zu. Es sind ausreichende und geeignete Angebote vorzuhalten, um den jungen Untersuchungsgefangenen eine sportliche Betätigung von mindestens zwei Stunden wöchentlich zu ermöglichen.

§ 74 Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, besondere Sicherungsmaßnahmen 20

§ 21 gilt mit der Maßgabe, dass die zwangsweise medizinische Untersuchung und Behandlung sowie Ernährung unter den dort genannten Voraussetzungen unbeschadet der Rechte der Personensorgeberechtigten zulässig sind. § 49 Absatz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Beschränkung des Aufenthalts im Freien nicht zulässig ist.

§ 75 Erzieherische Maßnahmen, Disziplinarmaßnahmen

(1) Verstöße der jungen Untersuchungsgefangenen gegen Pflichten, die ihnen durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, sind unverzüglich im erzieherischen Gespräch aufzuarbeiten. Daneben können Maßnahmen angeordnet werden, die geeignet sind, den jungen Untersuchungsgefangenen ihr Fehlverhalten bewusst zu machen (erzieherische Maßnahmen). Als erzieherische Maßnahmen kommen namentlich in Betracht die Erteilung von Weisungen und Auflagen, die Beschränkung oder der Entzug einzelner Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung und der Ausschluss von gemeinsamer Freizeit oder von einzelnen Freizeitveranstaltungen bis zur Dauer einer Woche.

(2) Der Anstaltsleiter legt fest, welche Bediensteten befugt sind, erzieherische Maßnahmen anzuordnen.

(3) Es sollen solche erzieherischen Maßnahmen angeordnet werden, die mit der Verfehlung in Zusammenhang stehen.

(4) Disziplinarmaßnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn erzieherische Maßnahmen nach Absatz 1 nicht ausreichen, um den jungen Untersuchungsgefangenen das Unrecht ihrer Handlung zu verdeutlichen. Zu berücksichtigen ist ferner eine aus demselben Anlass angeordnete besondere Sicherungsmaßnahme.

(5) Gegen junge Untersuchungsgefangene dürfen Disziplinarmaßnahmen nach § 61 Absatz 1 Nummer 1 und 6 nicht verhängt werden. Maßnahmen nach § 61 Absatz 1 Nummer 2 und 3, Nummer 4 Halbsatz 1 sowie Nummer 5 sind nur bis zu zwei Monaten, Arrest ist nur bis zu zwei Wochen zulässig und erzieherisch auszugestalten.

Abschnitt 12
Aufbau der Anstalt

§ 76 Gliederung, Räume

(1) Soweit es nach § 11 zur Umsetzung der Trennungsgrundsätze erforderlich ist, werden in der Anstalt gesonderte Abteilungen für den Vollzug der Untersuchungshaft eingerichtet.

(2) Räume für den Aufenthalt während der Ruhe- und Freizeit sowie Gemeinschafts- und Besuchsräume sind zweckentsprechend auszugestalten.

§ 77 Festsetzung der Belegungsfähigkeit, Verbot der Überbelegung

(1) Die Aufsichtsbehörde setzt die Belegungsfähigkeit der Anstalt so fest, dass eine angemessene Unterbringung während der Ruhezeit gewährleistet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine ausreichende Anzahl von Plätzen für Arbeit und Bildung sowie von Räumen für Seelsorge, Freizeit, Sport und Besuche zur Verfügung steht.

(2) Hafträume dürfen nicht mit mehr Gefangenen als zugelassen belegt werden.

(3) Ausnahmen von Absatz 2 sind nur vorübergehend und nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig.

§ 78 Arbeitsbetriebe, Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung

(1) Arbeitsbetriebe und Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung sollen vorgehalten werden.

(2) Beschäftigung und Bildung können auch in geeigneten privaten Einrichtungen und Betrieben erfolgen. Die technische und fachliche Leitung kann Angehörigen dieser Einrichtungen und Betriebe übertragen werden.

§ 79 Anstaltsleitung

(1) Der Anstaltsleiter trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug und vertritt die Anstalt nach außen. Er kann einzelne Aufgabenbereiche auf andere Bedienstete übertragen. Die Aufsichtsbehörde kann sich die Zustimmung zur Übertragung vorbehalten.

(2) Für jede Anstalt ist ein Beamter des höheren Dienstes zum hauptamtlichen Leiter zu bestellen. Aus besonderen Gründen kann eine Anstalt auch von einem Beamten des gehobenen Dienstes geleitet werden.

§ 80 Bedienstete

Die Anstalt wird mit dem für den Vollzug der Untersuchungshaft erforderlichen Personal ausgestattet. Fortbildung sowie Praxisberatung und -begleitung für die Bediensteten sind zu gewährleisten.

§ 81 Seelsorger

(1) Die Seelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet.

(2) Wenn die geringe Anzahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Absatz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen.

(3) Mit Zustimmung des Anstaltsleiters darf der Anstaltsseelsorger sich freier Seelsorgehelfer bedienen und diese für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen von außen zuziehen.

§ 82 Medizinische Versorgung

(1) Die ärztliche Versorgung ist sicherzustellen.

(2) Die Pflege der Kranken soll von Bediensteten ausgeübt werden, die eine Erlaubnis nach dem Krankenpflegegesetz besitzen. Solange diese nicht zur Verfügung stehen, können auch Bedienstete eingesetzt werden, die eine sonstige Ausbildung in der Krankenpflege erfahren haben.

§ 83 Mitverantwortung der Untersuchungsgefangenen

Den Untersuchungsgefangenen soll ermöglicht werden, an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzunehmen, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Anstalt nach für ihre Mitwirkung eignen.

§ 84 Hausordnung

(1) Der Anstaltsleiter erlässt eine Hausordnung. Die Aufsichtsbehörde kann sich die Genehmigung vorbehalten.

(2) In die Hausordnung sind namentlich Anordnungen aufzunehmen über die

  1. Besuchszeiten, Häufigkeit und Dauer der Besuche,
  2. Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit sowie
  3. Gelegenheit, Anträge und Beschwerden anzubringen oder sich an einen Vertreter der Aufsichtsbehörde zu wenden.

Abschnitt 13
Aufsicht, Beirat

§ 85 Aufsichtsbehörde

Das Justizministerium führt die Aufsicht über die Anstalt.

§ 86 Vollstreckungsplan 16

Die Aufsichtsbehörde regelt die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Anstalten in einem Vollstreckungsplan.

§ 87 Beirat

(1) Bei der Anstalt ist ein Beirat zu bilden. Bedienstete dürfen nicht Mitglieder des Beirats sein. Das Justizministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Verfahren der Bestellung des Beirats, seine Amtsdauer und die wesentlichen Punkte seiner Tätigkeit sowie die Anzahl und Entschädigung seiner Mitglieder zu regeln.

(2) Die Mitglieder des Beirats wirken bei der Gestaltung des Vollzugs und bei der Betreuung der Untersuchungsgefangenen mit. Sie unterstützen den Anstaltsleiter durch Anregungen und Verbesserungsvorschläge.

(3) Die Mitglieder des Beirats können namentlich Wünsche, Anregungen und Beanstandungen entgegennehmen. Sie können sich über die Unterbringung, Verpflegung, ärztliche Versorgung, Beschäftigung, Bildung und Betreuung unterrichten sowie die Anstalt besichtigen. Sie können die Untersuchungsgefangenen in ihren Räumen aufsuchen. Unterhaltung und Schriftwechsel werden vorbehaltlich einer verfahrenssichernden Anordnung nicht überwacht.

(4) Die Mitglieder des Beirats sind verpflichtet, außerhalb ihres Amtes über alle Angelegenheiten, die ihrer Natur nach vertraulich sind, besonders über Namen und Persönlichkeit der Untersuchungsgefangenen, Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch nach Beendigung ihres Amtes.

(aufgehoben) 20

Abschnitt 14 20
(aufgehoben)

§ 88 (aufgehoben) 20

§ 89 (aufgehoben) 20

§ 90 (aufgehoben) 20

§ 91 (aufgehoben) 20

§ 92 (aufgehoben) 20

§ 93 (aufgehoben) 20

§ 94 (aufgehoben) 20

§ 95 (aufgehoben) 20

§ 96 (aufgehoben) 20

§ 97 (aufgehoben) 20

Abschnitt 15
Schlussbestimmungen

§ 98 Einschränkung von Grundrechten

Durch dieses Gesetz werden die Rechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes) und auf Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.

§ 99 Sprachliche Gleichstellung

Soweit in diesem Gesetz Bezeichnungen, die für Frauen und Männer gelten, in der männlichen Sprachform verwendet werden, gelten diese Bezeichnungen für Frauen in der weiblichen Sprachform.

§ 100 Inkrafttreten

§ 25 Absatz 3 Satz 3 sowie die §§ 86 und 87 Absatz 1 Satz 3 treten am Tag nach der Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am 1. Januar 2010 in Kraft.

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