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BKV Nr. 4106 - Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium und seine Verbindungen
- Merkblatt zur Berufskrankheiten-Verordnung -
Vom 30. Dezember 2009
(GMBl. Nr. 5/6 vom 04.02.2010 S. 103)
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Archiv: 1963
I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Aluminium (Al) ist mit ca. 8,3 Prozent gewichtsbezogen das häufigste Metall und das dritthäufigste Element der Erdkruste. Wegen seiner starken Affinität zu Nichtmetallen kommt Al in der Natur nie gediegen, sondern nur in Verbindungen, wie Feldspat, Glimmer, Hornblende, deren Verwitterungsprodukte, wie Bauxit, Kaolin, Ton und als Oxyde, wie Korund oder Schmirgel, vor.
Al findet in der Industrie aufgrund seiner mannigfaltigen Eigenschaften vielfältige Verwendung. Im Fahrzeugbau, vor allem im Zug- und Flugzeugbau sowie in der PKW-Herstellung wird Al zunehmend wegen seines geringen Gewichts und seines guten Recyclingverhaltens eingesetzt. Andere Einsatzgebiete sind der Maschinenbau, die Verpackungsindustrie (Folienverpackungen, Dosen) sowie das Bauwesen (Fensterprofile, Türrahmen, Fassadenverkleidungen). Außerdem findet Aluminiumpulver u. a. als Treibmittel bei der Herstellung von Gasbeton in der Baustoffindustrie, als Bestandteil von Sintermetallen in der Pulvermetallurgie, als Pigment für Metalliclacke und Spezialfarben in der Lack- und Farbenindustrie sowie als Druckfarbe, Lebensmittelfarbstoff und Treibladung für Feuerwerkskörper, Raketen und Sprengstoffe in der Pyrotechnik Verwendung. In der Pharmaindustrie wird Al in einer Vielzahl von Medikamenten als Wirk- und/oder Hilfsstoff eingesetzt.
Eine Alspezifische Gesundheitsgefährdung ist nach derzeitigem Kenntnisstand primär überall an Arbeitsplätzen gegeben, an denen eine inhalative Belastung gegenüber alveolengängigen Aluminiumstäuben und Aluminiumrauchen besteht. Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lungen werden bei Personen beobachtet, die insbesondere bei der Aluminiumpulverherstellung und an Aluminiumschweißarbeitsplätzen beschäftigt sind. Im Bereich der Aluminiumpulverherstellung besteht eine besondere Gesundheitsgefährdung für das Feinstampfen, Sieben und Mischen von ungefettetem Aluminiumfeinstaub (sog. Pyroschliff). Beim Aluminiumschweißen unter beengten Verhältnissen kommt es zu einer besonderen Anreicherung von Schweißrauchen. Derartige ungünstige Schweißbedingungen treten insbesondere bei mehrstündigen Schweißarbeiten in Behältern, Tanks, Waggons, Containern, Schiffsräumen oder unter vergleichbar räumlich beengten Verhältnissen bei arbeitshygienisch unzureichenden sicherheitstechnischen Vorkehrungen auf (d. h. fehlenden oder unzureichenden Absaugungen und/oder fehlendem persönlichen Körperschutz).
Auch die Herstellung von Aluminiumlegierungen kann u. a. eine Gefahrenquelle sein.
II. Pathophysiologie
Al kann oral, inhalativ sowie bei der Verabreichung aluminiumhaltiger Medikamente bzw. Infusionslösungen auch percutan bzw. paraenteral aufgenommen werden. Eine arbeitsmedizinisch relevante dermale Aufnahme durch die intakte Haut ist nicht bekannt. Für Erkrankungen der tieferen Luftwege und der Lungen ist abhängig von den jeweiligen arbeitshygienischen Verhältnissen, der Teilchengröße sowie der Expositionszeit ausschließlich die inhalative Aufnahme von Al oder seinen Verbindungen als Staub, Rauch oder Dampf pathophysiologisch relevant.
Die chronische inhalative Aufnahme von Aluminiumhaltigen Stäuben, Rauchen und Dämpfen führt beim Menschen zu Pneumokoniosen und Lungenfunktionsstörungen. Durch wiederholte Exposition und aufgrund der geringen Löslichkeit kann eine Akkumulation von Staubpartikeln in der Lunge hervorgerufen werden. Dies kann sowohl zur Beeinträchtigung der Selbstreinigungsfunktion als auch zu entzündlichen Veränderungen der Lunge führen. Die Fremdkörper können entzündliche Prozesse des umliegenden Gewebes hervorrufen und somit eine Fibrosierung induzieren. Es bildet sich ein dichtes, zellarmes, kollagenfaseriges Bindegewebe, das frühzeitig hyalin degeneriert und eine hochgradige Schrumpfungstendenz zeigt. Lungenschrumpfung mit hyaliner Verdichtung der Alveolarsepten, teilweiser Verödung der Alveolarlichtungen und Atrophie des respiratorischen Epithels können die Folge sein. Hiluslymphknoten sind im Gegensatz zur Silikose an dieser diffusen Fibrose nicht beteiligt; spezifische Granulombildungen fehlen.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Im Bereich der Lunge kann nach hinreichender inhalativer Exposition gegenüber alveolengängigen Aluminiumstäuben und Aluminiumrauchen die sogenannte Aluminose bzw. Aluminiumstaublunge entstehen. Diese ist durch eine diffuse interstitielle Lungenfibrose gekennzeichnet, die vor allem in den Lungenober- und Mittelfeldern auftritt. In weiter fortgeschrittenen Stadien treten emphysematöse Veränderungen mit z. T. subpleural gelegenen Emphysemblasen auf. Diese führen häufig zu Spontanpneumothoraces. Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es häufig zu einer kardiorespiratorischen Insuffizienz mit chronischem Cor pulmonale. Lungenfunktionsanalytisch handelt es sich um eine restriktive Ventilationsstörung mit Emphysemzeichen. Auch nach Expositionsende wird z. T. ein Fortschreiten der Aluminiumstaublunge mit zum Teil schwerem klinischen Verlauf beobachtet.
Klinisch imponieren bei der Aluminose relativ unspezifische Beschwerden, wie z.B. trockener Husten, Auswurf und zunächst Belastungs-, später Ruhedyspnoe. Außerdem werden rezidivierende Bronchitiden und eine gesteigerte Infektanfälligkeit beobachtet. Die Latenzzeit zwischen der Erstexposition und dem Auftreten des Krankheitsbildes beträgt zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren.
Für die Diagnose der Aluminiumstaublunge ist neben der Anamnese insbesondere die radiologische Diagnostik von ausschlaggebender Bedeutung. Das Biomonitoring kann unter differentialdiagnostischen Gesichtspunkten zusätzlich als Indikator der internen Al-Belastung hilfreich sein. Bei der Interpretation der Ergebnisse des Biologischen Monitorings ist die biologische Halbwertszeit zu berücksichtigen, die in Abhängigkeit der Höhe und Dauer der inhalativen Aluminiumaufnahme Monate bis Jahre betragen kann.
Radiologisch hat sich gezeigt, dass mittels konventioneller Röntgentechnik erst relativ fortgeschrittene Stadien einer Aluminiumstaublunge mit meist bereits bestehender, häufig irreversibler Lungenfunktionseinschränkung, diagnostiziert werden können. Zur Frühdiagnose der Aluminiumstaublunge hat sich insbesondere die hochauflösende Computertomographie (HRCT) bewährt. Im Frühstadium finden sich hier milchglasartige Trübungen, unscharf begrenzte Fleckschatten mit einem Durchmesser von bis zu ca. 3 mm. Diese Veränderungen stellen sich bevorzugt in den Lungenoberfeldern dar. In fortgeschrittenen Stadien der Aluminiumstaublunge zeigen sich in der HRCT zusätzlich retikuläre lineare Verschattungen, subpleural gelegene Bullae sowie ausgeprägte Fibrosierungen, die im Bereich aller Lungenfelder auftreten können. Im konventionellen Röntgenbild zeigen sich in der Regel im fortgeschrittenen Stadium der Aluminiumstaublunge kleine, unregelmäßige, lineare Schatten unterschiedlicher Streuungskategorien, bevorzugt in den Ober- und Mittelfeldern lokalisiert.
IV. Weitere Hinweise
Atemwegserkrankungen, wie sie z. T. in der Al-Primärindustrie beobachtet werden, wie z.B. das sogenannte Potroomasthma oder Malignome der Atemwege, sind primär nicht durch Al bzw. Al-Verbindungen selbst bedingt, sondern durch weitere, bei den speziellen Produktionsverfahren auftretende Gefahrstoffe. Neben der allgemeinen Staubbelastung spielen hier pathogenetisch Fluoride (Potroomasthma) und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (Malignome der Atemwege) eine entscheidende Rolle. Diese Erkrankungen fallen nicht unter die BK-Nr. 4106. Das Potroomasthma wäre unter der BK-Nr. 4302 zu diskutieren. Bei einzelnen Untersuchungen haben sich auch zentralnervöse Veränderungen bei beruflich Alexponierten Personen gezeigt. Diese Ergebnisse werden kontrovers diskutiert, der ursächliche Zusammenhang ist derzeit nicht eindeutig belegt. Diese zentralnervösen Veränderungen fallen ebenfalls nicht unter die BK-Nr. 4106.
V. Literatur
DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft): Aluminium-, Aluminiumoxid- und Aluminiumhydroxidhaltige Stäube. In: Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe, Toxikologischarbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten (Hrsg.: H. Greim) 43. Lieferung, Wiley-VCH Verlag Weinheim, 2007.
Kiesswetter E., Schäper M., Buchta M., Schaller KH., Rossbach B., Scherhag H., Zschiesche W., Letzel S.: Longitudinal study an potential neurotoxic effects of aluminium: I. Assessment of exposure and neurobehavioural performance of Al welders in the train and truck construction industry over 4 years. Int Arch Occup Environ Health. 2007 Oct;81(1): 41-67.
Kongerud J, Boe J, Soyseth V, Naals- und A, Magnus P.: Aluminium potroom asthma: the Norwegian experience. Eur Respir J. 1994 Jan;7(1):165-72.
Kraus T., Schaller K.H., Angerer J., Letzel S.: Aluminium dust induced lung disease in the pyropowderproducing industry--Detection by highresolution computed tomography. Int Arch Occup Environ Health 2000, 73:61-64.
Letzel S., Buchta M., Kraus T.: Aluminium; Handbuch der Arbeitsmedizin, Eco-Med Verlag, 2003.
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