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Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" - Kehlkopfkrebs durch PAK
Berufskrankheiten-Verordnung
Vom 1. Juli 2016
(GMBl Nr. 33/34 vom 26.08.2016 S. 653)
- Bek. d. BMAS v. 1.7.2016 - IVa 4-45222-4113 - Kehlkopfkrebs durch PAK
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seiner Sitzung am 12. Februar 2016 empfohlen, die Legaldefinition der Berufskrankheit Nr. 4113 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung um folgende neue Krankheit zu ergänzen:
"Kehlkopfkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung
einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren [(µg/m3) x Jahre]"
Die hierzu vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat erarbeitete wissenschaftliche Begründung lautet wie folgt:
1. Gefahrenquellen
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sind eine Gruppe von Substanzen mit drei bis sieben aromatischen Ringsystemen.
Als Leitkomponente für die toxikologische Bewertung und die messtechnische Überwachung dient Benzo(a)pyren (BaP) (Bolm-Audorff 1998, DGUV 2013). Tabelle 1 sind Arbeitsplätze zu entnehmen, u. a. an denen in der Vergangenheit eine PAK-Einwirkung bestand.
2. Kenntnisse über die Wirkung
2.1 Aufnahme, Metabolisierung und Ausscheidung
Für diese Berufskrankheit maßgebend ist die inhalative Aufnahme von PAK und deren Deponierung auf der Schleimhaut des Kehlkopfs. PAK werden durch Cytochrom-P-450 Monooxygenasen oxidiert und durch mikrosomale Epoxidhydrolasen hydrolysiert. Die entstehenden Diole können nach Glucuronidierung mit dem Stuhlgang oder dem Urin ausgeschieden werden. Eine andere Metabolisierungsmöglichkeit ist die weitere Oxydierung durch Cytochrom-P-450 Monooxygenasen zu Diolepoxiden. Bestimmte Diolepoxide, z.B. 9,10-Epoxy-7,8-dihydroxy-benzo(a)pyren, können eine kovalente Bindung mit der DNA eingehen und gelten als ultimales Kanzerogen der PAK. Andererseits können die Diolepoxide durch verschiedene Enzyme aus der Familie der Glutathion-S-Transferasen, insbesondere die Glutathion-S-Transferasen M1 (GSTM1), P1 (GSTP1) und T1 (GSTT1) mit Glutathion konjugiert und ausgeschieden werden. Die Giftung und Entgiftung von PAK ist somit von der interindividuell unterschiedlichen Enzymausstattung der exponierten Individuen abhängig. Eine wesentliche Bedeutung spielen hier insbesondere die verschiedenen Enzyme aus der Familie der Glutathion-S-Transferasen und Cytochrom-P-450 1A1 (IARC 2010). PAK werden hauptsächlich als GSH-, Glucuronsäure- und Schwefelsäure-Konjugate im Stuhlgang, in der Gallenflüssigkeit sowie über den Harn ausgeschieden (IARC 2010).
Der Kehlkopf besteht anatomisch aus drei Teilen, dem supraglottischen (oberhalb der Stimmlippe), glottischen und infraglottischen (unterhalb der Stimmlippe) Teil. Der infraglottische Anteil ist mit respiratorischem Epithel bedeckt wie auch die Luftröhre (Trachea) und die Bronchien. Der supraglottische Teil ist hingegen mit nicht verhornendem Plattenepithel bedeckt wie auch der Rachen und die Mundhöhle. Untersuchungen zur Enzymausstattung des Larynx haben ergeben, dass diese beim Menschen weitgehend derjenigen der Lunge entspricht mit der Ausnahme einer fehlenden Expression von CYP1A2 (Sarikaya et al. 2006). Insbesondere werden die Cytochrom P450-abhängigen Monooxygenasen 1A1, 1A2, 2A6, SB6, 2C, 2D6, 2E1, 3A3/4, 3A7 und 4B1 im Larynxgewebe exprimiert (Badawi et al. 1996, Sarikaya et al. 2006). Die Bildung genotoxischer und kanzerogener Diolepoxide aus PAK wird durch die Cytochrom P450-abhängigen Monooxygenasen katalysiert, während Epoxidhydrolasen eine überwiegend entgiftende Wirkung haben (DFG 2008). Eine Bildung DNA-reaktiver und somit potentiell krebserzeugender Stoffwechselprodukte aus PAK kann jedoch auch ohne enzymatische Katalyse erfolgen. So können PAK-Radikal-Kationen in einer Ein-Elektron-Oxidation direkt aus den PAK gebildet werden und in vivo zur Bildung von PAK-Purin-Addukten in der DNA führen (DFG 2008).
Tabelle 1: Branchen und Tätigkeiten mit PAK-Einwirkung (nach Bolm-Audorff 1998, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1998 und Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2013)
Branche 1 | Tätigkeiten mit PAK-Einwirkung |
Abbruchbetriebe | Abbruch und Schneidbrennen von Metallteilen, die mit SKTP 2 beschichtet sind. |
Aluminiumindustrie | Verarbeitung von SKTP 2 in der Elektrographit-Herstellung und in der Söderbergelektrolyse |
Bauindustrie | Abdichten von Fundamenten mit SKTP 2 |
Bootsbauer | Abdichten mit SKTP 2 |
Bötchereibetriebe | Abdichten mit SKTP 2 |
Braunkohlenteer-Raffinerien | Destillation von Braunkohlenschwelteer |
Braunkohlenschwelereien | Herstellung von Braunkohlenschwelteer |
Brikettherstellung | Steinkohlenteerpech als Binder |
Chemieindustrie | Herstellung von PAK-haltigen Beschichtungsstoffen |
Dachpappenherstellung | Verarbeitung von SKTP 2 |
Dachdeckerbetriebe | Verlegung und Abriss von SKTP 2-haltigen Dachbahnen |
Druckindustrie | Verarbeitung von PAK-haltigen Druckfarben |
Elektrographitindustrie | Verarbeitung von SKTP 2 zur Elektrographitherstellung |
Feuerfestindustrie | Herstellung von SKTP 2-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen |
Fischnetzherstellung | Herstellung von Netzen, die mit SKTP 2 imprägniert wurden. |
Gaserzeugung | Steinkohlenteer- und Teeröl als Beiprodukt, Einwirkung von Kokereirohgasen |
Gießereiindustrie | Verarbeitung von SKTP 2-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen, Pyrolyse von Kohlenstoffhaltigen Glanzbildnern |
Gummiindustrie | Verarbeitung von Kokerölen; Überführung von Altreifen zu aromatischen Rohstoffen (Recycling) |
Hafenbetriebe | Hafenumschlag von SKTP 2 |
Holzimprägnierung | Imprägnierung mit Steinkohlenteeröl |
Hüttenindustrie | Verarbeitung von SKTP 2-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen |
Isolierbetriebe | Verarbeitung von SKTP 2 |
Korksteinherstellung | Verarbeitung von SKTP 2 |
Lackierereien | Verarbeitung SKTP 2-haltiger Beschichtungen 3 |
Metallindustrie | Verarbeitung von PAK-haltigen Kühlschmierstoffen |
Mineralölraffinerien | Gewinnung von Kokerölen, Gewinnung von aromatischen Gemischen in Crackanlagen |
Optische Industrie | Verarbeitung von Holzteer zum Einkitten von Linsenrohlingen |
Parkett- und Holzpflasterverlegung | Verarbeitung von SKTP 2 -haltigen Klebern |
Räuchereien | Einwirkung von PAK-haltigem Räucherrauch |
Schornsteinfeger | Umgang von PAK-haltigem Kaminruß |
Schuhmacher | Verarbeitung von Schusterpech |
Siliciumcarbidherstellung | Verarbeitung von SKTP 2 |
Steinkohlenkokereien | Einwirkung von Kokereirohgasen auf der Ofendecke und der Ofenseite |
Steinkohlenteer-Raffinerien | Umgang mit Steinkohlenteer und SKTP 2 |
Straßenbau | Verarbeitung von SKTP 2 als Bindemittel |
Textilindustrie | Verwendung von PAK-haltigen Spindelölen |
1) alphabetisch geordnet
2) Steinkohlenteerpech 3) Z. B. im Wasserbau bei der Beschichtung von Schleusentoren u. Kaianlagen sowie in der Werftindustrie |
2.2 Experimentelle Evidenz
BaP und andere PAK können nach metabolischer Aktivierung eine kovalente Bindung mit der DNA eingehen und wirken mutagen im Ames-Test. In Zellkulturen wurde nach Applikation von BaP und anderen PAK Schwesterchromatidaustausch, Chromosomenaberrationen und Punktmutationen nachgewiesen (IARC 2010).
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (2008) stufte BaP und zehn andere PAK in die Gruppe 2 der Stoffe ein, die als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweisen aus Tierversuchen und epidemiologischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten.
Ferner hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft Pyrolyseprodukte aus organischem Material wie Braunkohlenteer, Steinkohlenteer, Steinkohlenteerpech und Steinkohlenteeröl, die regelmäßig einen hohen PAK-Gehalt aufweisen, in die Kategorie 1 der Stoffe eingestuft, die beim Menschen Krebs erzeugen.
Die internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO kam zu dem Ergebnis, dass ausreichende Evidenz für eine krebserzeugende Wirkung von BaP und zwölf anderen PAK in tierexperimentellen Studien bestehe. BaP sei in allen untersuchten Tierspezies krebserzeugend und zwar unabhängig von der Applikation (oral, dermal, inhalativ oder durch intratracheale, intrabronchiale, subkutane, peritoneale oder intravenöse Applikation). BaP habe sowohl lokale als auch systemische krebserzeugende Wirkungen. BaP wirke nach inhalativer und intratrachealer Aufnahme beim Hamster dosisabhängig krebserzeugend u. a. im Bereich des Kehlkopfs (IARC 2010).
2.3 Epidemiologische Studien
2.3.1 Systematische Reviews
Paget-Bailly et al. (2012) veröffentlichten einen systematischen Review über 29 epidemiologische Studien und beschrieben ein signifikant um den Faktor 1,29 (95 % KI 1,10- 1,52) erhöhtes Kehlkopfkrebsrisiko bei PAK-exponierten Beschäftigten.
In Tabelle 2 ist das Kehlkopfkrebsrisiko in verschiedenen Branchen mit PAK-Einwirkung dargestellt.
Bei Beschäftigten in der Aluminiumherstellung, der Gießereiindustrie sowie sonstigen Branchen mit PAK-Einwirkung (Kokereien, Schornsteinfegerbetrieb sowie der Ruß- und Gummiherstellung) fand sich ein signifikant erhöhtes Kehlkopfkrebsrisiko mit einem relativen Risiko in der Metaanalyse zwischen 1,22-2,42.
Tabelle 2: Kehlkopfkrebs in verschiedenen Branchen (nach Paget-Bailly et al. 2012)
Branche | Anzahl Studien | RR Meta 1 | 95 % KI 2 |
Aluminiumherstellung | 5 | 1,22 | 1,00-1,49 |
Elektrographitherstellung | 3 | 1,33 | 0,52-3,38 |
Branchen mit Exposition gegenüber Steinkohlenteer und verwandten Produkten 3 | 5 | 1,51 | 0,84-2,73 |
Gießereien | 4 | 1,41 | 1,05-1,90 |
Andere Branchen mit PAK-Einwirkung 4 | 5 | 2,42 | 1,29-4,52 |
1) Relatives Risiko für Kehlkopfkrebs nach der Metaanalyse
2) 95 %-Konfidenzintervall 3) Steinkohlenteerraffinerien, Bitumenverarbeitung im Hoch- und Tiefbau, Dachdecker, Imprägnierung von Holz mit Steinkohlenteeröl 4) Kokereien, Herstellung von technischem Ruß, Gummiherstellung, Schornsteinfegerbetriebe |
Wagner et al. (2015) kamen in einem systematischen Review von 89 epidemiologischen Studien zu dem Ergebnis, dass das relative Risiko für die Entwicklung eines Kehlkopfkarzinoms bei PAK-exponierten Beschäftigten bei 1,45 (95 % KI 1,30-1,62) lag. Tabelle 3 zeigt das Kehlkopfkrebsrisiko nach der Metaanalyse in verschiedenen Branchen mit PAK-Exposition. Das relative Risiko für Kehlkopfkrebs nach der Metaanalyse schwankt zwischen 1,24-2,41. Im Bereich der Aluminiumherstellung, der Verarbeitung von Kühlschmierstoffen in der Metallindustrie, in Gießereien, in der Elektrographitherstellung, bei Schornsteinfegern, in der Druckindustrie, in der Gummiindustrie sowie in Kokereien fand sich ein signifikant erhöhtes relatives Risiko für Kehlkopfkrebs nach der Metaanalyse.
Tabelle 3: Kehlkopfkrebsrisiko in verschiedenen Branchen (nach Wagner et al. 2015)
Branche | Anzahl Studien | RR Meta 1 | 95 % KI 2 |
Asphaltverarbeitung im Straßenbau | 12 | 1,30 | 0,95-1,78 |
Aluminiumherstellung | 10 | 1,32 | 1,04-1,67 |
Verarbeitung von Kühlschmierstoffen in der Metallindustrie | 12 | 1,55 | 1,10-2,20 |
Gießereien | 19 | 1,27 | 1,17-1,39 |
Elektrographitherstellung | 3 | 1,33 | 0,52-3,38 |
Schornsteinfeger | 6 | 1,47 | 1,08-1,99 |
Druckindustrie | 8 | 1,24 | 1,10-1,39 |
Gummiindustrie | 8 | 2,41 | 1,54-3,79 |
Kokereien | 2 | 2,21 | 1,60-3,04 |
1) Relatives Risiko für Kehlkopfkrebs nach der Metaanalyse
2) 95 %-Konfidenzintervall |
2.3.2 Dosis-Wirkungs-Beziehung
Nach dem systematischen Review von Wagner et al. (2015) finden sich in folgenden Studien Hinweise für die Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der beruflichen BaP-Einwirkung und dem Risiko für die Entwicklung eines Kehlkopfkarzinoms:
Tolbert et al. (1992) fanden in einer Kohorte von 33.619 Beschäftigten in der amerikanischen Automobilindustrie bei weißen Fabrikarbeitern mit einer Exposition durch mineralölhaltige Kühlschmierstoffe (straight fluids) eine signifikant um den Faktor 1,98 (95 % KI 1,26-2,98) erhöhte standardisierte Mortalitätsratio (SMR) durch Kehlkopfkarzinom, basierend auf 23 Todesfällen.
Mineralölhaltige Kühlschmierstoffe waren früher PAK-haltig, insbesondere wenn der PAK-Anteil der Mineralöle unzureichend entfernt wurde. Dies war der Fall, wenn die Reinigung lediglich mit Säuren und Lösungsmitteln durchgeführt wurde (IARC 1984). Die internationale Agentur für Krebsforschung der WHO (IARC) hat Mineralöle, die in der textil- und metallverarbeitenden Industrie eingesetzt wurden, wegen der krebserzeugenden Wirkung auf die Haut als gesichert beim Menschen krebserzeugend wirkenden Stoff eingestuft (IARC 1984). 2012 wurde diese Einstufung auf Mineralöle beschränkt, die unbehandelt sind oder in denen die PAK-Verunreinigung nur unzureichend entfernt wurde (Untreated and mildly-treated oils, IARC 2012 b).
Für lösliche Kühlschmierstoffe (soluble fluids) lag die SMR bei 1,41 (95 % KI 0,95-2,01, n = 30) und für synthetische Kühlschmierstoffe (synthetic fluids) bei 1,57 (95 % KI 0,68-3,09, n = 8). Zum Kehlkopfkrebsrisiko von schwarzen Arbeitern in dieser Kohorte konnten die Autoren wegen der geringen Fallzahl keine zuverlässigen Aussagen machen. Die Studie leidet unter einer fehlenden Adjustierung für den Tabak- und Alkoholkonsum. Folgende Überlegungen sprechen dagegen, dass der Tabak- und Alkoholkonsum dieser Kohorte wesentlich von der Vergleichsgruppe der übrigen Bevölkerung abweicht:
In der Gesamtkohorte fanden sich Hinweise für eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Dauer der Exposition mit mineralölhaltigen Kühlschmierstoffen (straight oil) und der Kehlkopfkrebsmortalität mit einer nicht signifikant um den Faktor 2,02 (95 % KI 0,86-4,75) erhöhten Kehlkopfkrebsmortalität in der höchsten Expositionsklasse von mindestens 7,5 Jahren. In einem Update kamen Eisen et al. (2001) zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte mit einer kumulativen Exposition mit mineralölhaltigen Kühlschmierstoffen (straight metal fluids) von > 3 mg/m3 x Jahre ein Kehlkopfkrebsrisiko mit einem relativen Risiko von 1,85 (95 % KI 0,86-3,98) aufwiesen. Es fanden sich Hinweise für eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Die von Gustavsson et al. (1998) durchgeführte Fall-Kontroll-Studie basiert auf allen Männern zwischen 40 und 79 Jahren zweier schwedischer Regionen. Innerhalb dieser Population wurden zwischen 1988 und 1990 alle inzidenten Fälle an Kehlkopfkarzinomen dokumentiert (n = 157). Die Kontrollpersonen wurden als Zufallsstichprobe ebenfalls aus der genannten Population gezogen. An der Befragung zur Berufsanamnese und zu weiteren Lifestyle-Faktoren nahmen 90 % der Fälle und 85 % der Kontrollpersonen teil. Durch Experten erfolgte eine anschließende Einschätzung der Exposition gegenüber 17 Stoffgruppen, darunter auch PAK. Für Personen, die einer geringen PAK-Exposition ausgesetzt waren, betrug das relative Risiko 0,77 (95 % KI 0,46-1,28), während bei einer hohen PAK-Belastung das relative Risiko grenzwertig signifikant auf 1,47 (95 % KI 0,96-2,24) anstieg.
Die Fall-Kontroll-Studie von Becher et al. (2005) untersuchte 257 Personen mit Kehlkopfkarzinom und 769 Kontrollpersonen in Deutschland (Studienregion: Rhein-Neckar-Odenwald). Dabei wurden inzidente Fälle mit histologisch gesichertem Kehlkopfkrebs rekrutiert (Responserate von 89,2 %). Die Kontrollpersonen wurden aus dem Einwohnermelderegister der Studienregion gezogen und 1:3 nach Geschlecht und Alter gematcht (Responserate 62,4 %). Die Probanden wurden mittels eines standardisierten Fragebogens zu Rauchverhalten, Alkoholkonsum, Ernährung und familiären Vorbelastungen befragt. Die Einschätzung zur beruflichen Exposition mit PAK erfolgte einerseits durch eine detaillierte Berufsanamnese mit Einbezug aller Tätigkeiten, die länger als sechs Monate ausgeübt wurden. Basierend auf Checklisten von bestimmten Berufsgruppen oder Industriezweigen, bei denen eine PAK-Exposition bekannt oder vermutet wurde, wurden zusätzlich ergänzende Fragebögen verwendet, um die Lebenszeit-Exposition in Stunden abschätzen zu können. Weiterhin erfolgte die Einschätzung zur beruflichen Exposition mit PAK über direkte Fragen zur Benutzung von PAK-haltigen Substanzen. Sofern die PAK-Exposition mit berufsspezifischen Zusatzfragebögen ermittelt wurde, fand sich bei jemals PAK-Exponierten eine signifikant um den Faktor 2,3 erhöhte Odds Ratio (OR) [95 % KI 1,05-5,2], die u. a. für den Zigaretten- und Alkoholkonsum adjustiert war. Sofern die PAK-Exposition mit einer Substanzliste erfasst wurde, war die OR nicht signifikant erhöht (OR 1,6, 95 % KI 0,85-3,1). Beschäftigte, die nach beiden Erfassungsmethoden PAK-exponiert waren, wiesen eine stark erhöhte OR von 5,2 (95 % KI 1,6-17,1) auf. Zwischen der kumulativen Expositionsdauer und der OR fand sich ein signifikanter linearer Trend (p < 0,01). Sofern die mit Zusatzfragebögen ermittelte PAK-Expositionsdauer klassifiziert wurde, bestand folgende Beziehung: 0 Stunden: OR = 1,0 (Referenzkategorie); > 0-1.300 Stunden: OR = 1,06 (95 % KI 0,28-4,0) und > 1.300 Stunden: OR = 3,8 (95 % KI 1,3- 11,1). Die Berufsgruppe mit dem höchsten Risiko für die Entwicklung eines Kehlkopfkarzinoms waren Straßenbauarbeiter (OR = 5,5, 95 % KI 1,3-22,4).
Gibbs et al. (2014) beschrieben in einer Kohorte von ca. 17.000 Beschäftigten in der Aluminiumherstellung in Kanada eine signifikant um den Faktor 1,35 erhöhte Kehlkopfkrebsinzidenz. Tabelle 4 zeigt den Zusammenhang zwischen der kumulativen BaP-Dosis und der Kehlkopfkrebsinzidenz in dieser Kohorte.
Tabelle 4: Zusammenhang zwischen der kumulativen BaP-Dosis und der Kehlkopfkrebsinzidenz in der kanadischen Aluminiumindustrie (nach Gibbs et al. 2014)
Kehlkopfkrebs | Kumulative BaP-Dosis [(Mikrogramm BaP/m3) x Jahre] | |||||
0 | > 0-20 | > 20-40 | > 40-80 | > 80-160 | > 160 | |
Beobachtet | 6 | 34 | 5 | 6 | 12 | 12 |
SIR | 0,94 | 1,23 | 1,15 | 1,28 | 2,05* | 1,82 |
SIR = Standardisierte Inzidenzratio, * p < 0,05 |
Es deutet sich ein positiver Trend zwischen der kumulativen BaP-Dosis und der Kehlkopfkrebsinzidenz an (p = 0,084). In der Subgruppe der Beschäftigten mit einer kumulativen BaP-Dosis von > 80-160 [(µg BaP/m3) x Jahre] fand sich eine signifikant um den Faktor 2,05 erhöhte Kehlkopfkrebsinzidenz. Bei Beschäftigten mit einer BaP-Dosis von > 160 [(µg BaP/m3) x Jahre] war das Kehlkopfkrebsrisiko nicht signifikant um den Faktor 1,82 erhöht. Die Daten in Tabelle 2 sind nicht für den Zigaretten- und Alkoholkonsum adjustiert. Allerdings sprechen folgende Überlegungen dagegen, dass die Kohorte von Gibbs et al. (2014) einen Zigaretten- und Alkoholkonsum aufweist, der wesentlich von der Wohnbevölkerung abweicht:
3. Krankheitsbild und Diagnose
Die Erkrankung beginnt mit Heiserkeit, Schluckbeschwerden und Fremdkörpergefühl. Später treten Luftnot bzw. Schwellungen der Halslymphknoten hinzu. Die Diagnosesicherung erfolgt mittels Kehlkopfspiegelung und bioptischer Verfahren zur histologischen Differenzierung. Das Kehlkopfkarzinom durch PAK weist klinisch und diagnostisch keine verwertbaren Unterscheidungsmerkmale gegenüber Kehlkopfkarzinomen anderer Ätiologie auf.
4. Besondere Personengruppe
Als besondere Personengruppe im Sinne des § 9 Absatz 1 SGB VII werden Beschäftigte mit einer Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 BaP-Jahren [(µg/ m3) x Jahre] angesehen. Für diese Dosis, die identisch mit der bisherigen Berufskrankheit-Nr. 4113 ist, sprechen folgende Überlegungen:
5. Berufskrankheitenanzeige
Bei der Erfüllung folgender Kriterien ist eine Berufskrankheitenanzeige zu erstatten:
6. Literatur
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Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (1998): Bekanntmachung einer Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats, Sektion Berufskrankheiten: "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren [(µg/m3)xJahre]", Bekanntmachung des BMAS vom 05.02.1998, Bundesarbeitsblatt Nr. 4, 54-61.
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