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BGI 585 / DGUV Information 250-001 - Empfehlungen zur Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie
Berufsgenossenschaftliche Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BGI)
(bisherige ZH 1/191)

(Ausgabe 12/1999; 01/2007 aufgehoben)



neu: DGUV-I 250-001 (01/2015)

Vorbemerkung

Mit dem Ziel, die Eingliederungschancen von Personen mit Epilepsie zu verbessern, hatte ab 1984 der Arbeitskreis Empfehlungen erarbeitet, die es Ärzten, Beratern und anderen Fachkräften erleichtern sollten, Personen mit Epilepsie Hinweise zu ihrer beruflichen Eingliederung zu geben [1]. Ähnliche Bestrebungen gab es etwa zur gleichen Zeit in der damaligen DDR-Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie [6, 13].

In den Empfehlungen von 1984 wurden Epilepsien unter arbeitsmedizinischer Perspektive charakterisiert. Als wesentliche Merkmale wurden genannt:

Hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung in einzelnen Berufen wurde darauf hingewiesen, dass es innerhalb eines Berufes zumeist unterschiedliche Tätigkeitsfelder gibt, die sich in Hinblick auf Unfallgefährdungen stark voneinander unterscheiden können. Aus diesen Überlegungen ergab sich, dass die Beurteilung hinsichtlich des beruflichen Einsatzes immer einer differenzierten Betrachtung der Epilepsie aber auch des angestrebten Berufes bedarf- Die xemplarische Beurteilung von maschinenbau- und elektrotechnischen trufen durch den Arbeitskreis ergab, dass keiner dieser Berufe für alle Epilepsieformen auszuschließen war, aber auch dass es keinen Beruf gab, der für alle Epilepsieformen uneingeschränkt als empfehlenswert beurteilt werden konnte. Die daraus abgeleiteten Empfehlungen sollten dazu beitragen, fü r Personen mit Epilepsie mit weniger schwerwiegenden Behinderungsauswirkungen Berufe zu erschließen, die bisher diesem Personenkreis nicht offen standen.

In der ersten Überarbeitung von 1994 [2] wurde die Methodik zur arbeitsmedizinischen Charakterisierung von Epilepsien für die Praxis vereinfacht: Es wurden fünf Gefährdungskategorien definiert, die aus arbeitsmedizinischer Sicht einem zunehmenden Schweregrad entsprechen. Zu gleich wurden analog zu den damals gültigen Empfehlungen zur Beurteilung der Kraftfahrereignung (Gutachten des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin 1992) arbeitsmedizinisch nicht relevante Anfallssymptome z.B. ausschließlich schlafgebundene Anfälle mit "anfallsfrei" gleichgesetzt.

In der zweiten Überarbeitung 1999 [3] erfolgte eine Erweiterung der vom Arbeitskreis beurteilten Berufe, da die Erfahrung gezeigt hatte, dass die Empfehlungen am ehesten dann in der Praxis zur Anwendung kommen, wenn Beurteilungskriterien zur Ausübung konkreter Berufe bei unterschiedlichen Epilepsieformen vorgelegt werden. Zu den bis dahin exemplarisch beurteilten maschinenbau- und elektrotechnischen Berufen kamen nun Berufe des Gesundheitswesens und sozialpflegerische bzw. sozialtherapeutische Berufe hinzu.

Die jetzt vorgelegte dritte Überarbeitung ergänzt die Empfehlungen in Hinblick auf die Beurteilung konkreter Arbeitsplätze. So ist in einigen Berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen bei der arbeitsmedizinischen Beurteilung auch das eventuelle Vorliegen einer Epilepsie zu berücksichti gen Daher wurden in Bezug auf Epilepsien besonders relevante gefährdende Tätigkeiten wie solche mit Absturzgefahr bzw. Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten exemplarisch ausgewählt und Empfehlungen für die arbeitsmedizinische Beurteilung detailliert ausgearbeitet. Dabei wurde wiederum auf die aktuellen Empfehlungen zur Beurteilung der Kraftfahrereignung von Personen mit Anfällen Bezug genommen, die seit 1996 auch Regelungen zum Fahren von Lastkraftwagen, z.B. zur Personenbeförderung, enthalten [4], die naturgemäß strenger als die für Personenkraftwagen, Motorräder oder Ähnliches sind.

Darüber hinaus sind Empfehlungen zur Bildschirmarbeit bei Epilepsien aufgenommen worden.

Ziel der Empfehlungen ist es, Hinweise zur Beantwortung der Frage zu geben, welche beruflichen Möglichkeiten für einen Anfallskranken - vorausgesetzt, der Krankheitsverlauf bleibt stabil, ohne Selbstgefährdung oder Gefährdung anderer - bestehen.

Die Empfehlungen zielen auf zwei unterschiedliche Situationen ab:

  1. Berufswahlentscheidungen zu denen Arbeits-, Rehabilitations-Fachberater und Sozialarbeiter sowie . in spezialisierten Behandlungseinrichtungen, im Bereich der Arbeitsverwaltung und der Sozialversicherungsträger tätige Ärzte einbezogen werden,
  2. Beurteilungskriterien für konkrete Tätigkeiten/Arbeitsplätze:
    Soweit es um die arbeitsmedizinische Beurteilung eines Anfallskranken in Bezug auf einen konkreten Arbeitsplatz geht, kann nicht allein nach diesen Empfehlungen verfahren werden. In diesem Fall sollte zunächst die Schwere der Epilepsie entsprechend den in dieser Schrift gegebenen Hinweisen zur Beurteilung des Schweregrades ermittelt werden [Tafel 1] und dann in Kenntnis des in Aussicht genommenen Arbeitsplatzes geprüft werden, ob und gegebenenfalls welche gesundheitlichen Bedenken bestehen. Zur sachgerechten Beurteilung sind gegebenenfalls der Betriebsarzt, gegebenenfalls auch die Aufsichtsperson des Unfallversicherungsträgers, die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Sicherheitsbeauftragte hinzu zu ziehen. Diese unterstützen den Unternehmer bei der erforderlichen Erstellung der Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes, der Tätigkeit und des Arbeitsumfeldes.

1 Hinweise für die Beurteilung

1.1 Allgemeines

Bei der Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie (Epilepsie im Sinne von wiederholt aufgetretenen epileptischen Anfällen) muss davon ausgegangen werden, dass es verschiedene Formen von Epilepsie mit individuell unterschiedlichen Auswirkungen gibt und dass Epilepsien wirksam behandelt werden können [12]. Fortschritte in Diagnostik und Therapie der verschiedenen Formen von Epilepsie [12] und eine zunehmende Vielfalt von Berufen und Tätigkeiten innerhalb einzelner Berufsfelder machen heute in jedem Einzelfall eine differenzierte Abstimmung zwischen individuellen krankheitsbedingten Einschränkungen und beruflichen Gegebenheiten notwendig [8]. Dabei müssen berücksichtigt werden:

  1. Schwere der Epilepsie
    (Art, Häufigkeit, Prognose und Behandlungsstand der Anfälle),
  2. Art des Berufes und Unfallgefährdung in verschiedenen Tätigkeitsfeldern innerhalb dieses Berufes,
  3. Berufssituation des Behinderten ohne oder mit Berufserfahrung.

1.2 Beurteilung der Schwere der Epilepsie

1.2.1 Art der Anfälle

Anfälle sollen in ihrem Ablif genau beschrieben werden, so dass eine individuelle Beurteilu g der arbeitsmedizinischen Risiken möglich wird. Besonders zu beachten sind:

All diese Anfallsmerkmale sollten berücksichtigt werden, wenn es um die Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten für den einzelnen Arbeitsplatz geht.

Für die Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten (Berufsprognose) sollen fünf arbeitsmedizinisch relevante Gefährdungskategorien berücksichtigt werden [Tafel 1].

Tafel 1: Gefährdungskategorien
(zum praktischen Vorgehen siehe Abschnitt 1.2.5)

"O": erhaltenes Bewusstsein, erhaltene Haltungskontrolle und Handlungsfähigkeit
Kommentar:Anfälle ausschließlich mit Befindlichkeitsstörungen ohne arbeitsmedizinisch relevante Symptome; möglicherweise wird eine Handlung bewusst unterbrochen bis zum Ende der subjektiven Symptome
"A"Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein mit Haltungskontrolle
Kommentar:Anfälle mit Zucken, Versteifen oder Erschlaffen einzelner Muskelgruppen
"B"Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung mit Haltungskontrolle
Kommentar:plötzliches Innehalten, allenfalls Minimalbewegungen ohne Handlungscharakter
"C"Handlungsunfähigkeit mit/ohne Bewusstseinsstörung bei Verlust der Haltungskontrolle
Kommentar:plötzlicher Sturz ohne Schutzreflex, langsames Insich-Zusammensinken, Taumeln und Sturz mit Abstürzen
"D"unangemessene Handlungen bei Bewusstseinsstörungen mit/ ohne Haltungskontrolle
Kommentar:unkontrollierte komplexe Handlungen oder Bewegungen, meist ohne Situationsbezug

Sollten mehrere Anfallstypen gleichzeitig vorliegen, so ist derjenige mit der höheren Gefährdung maßgebend.

Die 0-Kategorie mit arbeitsmedizinisch nicht relevanten Anfallssymptomen beinhaltet einfach fokale Anfälle mit die Fahrtauglichkeit nicht einschränkenden Anfallssymptomen [4].

Zahlreiche Studien [6, 9] und praktische Erfahrungen zeigen, dass in bestimmten Berufsbereichen Anfälle mit Verlust der Haltungskontrolle (Kategorie C) und Anfälle mit unangemessenen Handlungen bei Bewusstseinsstörungen (Kategorie D) aus arbeitsmedizinischer Sicht "schwerer" anzusehen sind als Anfälle mit Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein oder Anfälle mit Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung (Kategorie A und B). Die Unterteilung der Anfallssymptome in die Kategorien A bis D drückt deshalb den Schweregrad unter arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten zunehmend von A nach D aus.

Die Beschreibung der Anfälle und die Einstufung in die zutreffende Gefährdungskategorie soll immer durch den behandelnden bzw. einen Facharzt für Neurologie/für Neurologie und Psychiatrie/ Nervenarzt erfolgen [Tafel 2].

Tafel 2: Einordnung in Gefährdungskategorien

Tafel 2: Einordnung in Gefährdungskategorien

1.2.2 Häufigkeit der Anfälle

Neben den Anfallssymptomen ist ihre Häufigkeit ein wesentliches Merkmal der Schwere einer Epilepsie. Die Anfallshäufigkeit wurde in fünf Stufen unterteilt:

Langfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > fünf Jahre ohne antiepileptische Therapie
Mittelfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > ein Jahr nach operativer Therapie
  • Anfallsfrei > zwei Jahre unter Pharmakotherapie
  • Anfälle nur aus dem Nachtschlaf > drei Jahre
  • Kategorie "0"
Anfälle < 2/Jahr
Anfälle 3 bis 11/Jahr
Anfälle > 1/Monat


Die Häufigkeit der Anfälle wird aus den Eintragungen im Anfallskalender bestimmt und muss immer vom behandelnden Arzt bestätigt sein.

1.2.3 Prognose und Behandlungsstand

Die Prognose einer Epilepsie hängt ab von der Art der Anfälle, dem Ausschöpfen aller therapeutischen Möglichkeiten und . der Mitarbeit des Patienten, insbesondere der verlässlichen Medikamenteneinnahme. Die langfristige Prognose kann erst gestellt werden, wenn die pharmakologische Therapie entsprechend den Standards der modernen Epilepsiebehandlung durchgeführt bzw. die Möglichkeiten einer operativen Therapie geprüft worden sind. Die Prognose sollte immer von einem in Epilepsiebehandlung erfahrenen Neurologen oder Pädiater gestellt werden. Ist dieser nicht der behandelnde Arzt, sollte letzterer einbezogen werden. Im Einzelfall kann es angezeigt sein, einen epileptologisch erfahrenen Arzt oder eine Anfallsambulanz beratend hinzuzuziehen (Stiftung Michael (Hrsg.): Verzeichnis der Anfallsambulanzen, 2003;
Adressen von in Epilepsiebehandlung erfahrenen Ärzten können beim Informationszentrum Epilepsie erfragt werden, siehe Anschriften in Anhang 2 und [10].

Für die langfristige arbeitsmedizinische Risikobeurteilung muss geprüft werden, ob der erreichte Behandlungsstand stabil ist und keine relevanten Auswirkungen der Antiepileptika auf die Reaktionsfähigkeit vorliegen.

1.2.4 Anfallsauslöser und anfallsbegünstigende Umstände

Nacht - und Schichtarbeit

Bestimmte Berufe, z.B. ärztliche, pflegerische, sozialpädagogische, beinhalten auch Nachtbereitschaft, Nachtdienst und Schichtarbeit.

Es wird vielfach unterstellt, dass Schichtarbeit, insbesondere Nachtschichtarbeit bei Epilepsiepatienten zu einer Erhöhung der Anfallsfrequenz führt und aus diesem Grunde auszuschließen sei. Diese Vermutung wird unter anderem damit begründet, dass bei EEG-Untersuchungen durch Schlafentzug so genannte epileptische Potentiale ausgelöst werden können.

Festzustellen ist, dass es keine systematischen Untersuchungen zur Auswirkung von Schichtarbeit auf die Anfallsfrequenz gibt *):

  1. Bei der Bewertung sollten nur solche Schichtsysteme beachtet werden, die tatsächlich einen Schlafentzug bzw. eine wesentliche Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus bedingen, z.B. Bereitschaftsdienste.
  2. Es sollte immer der Einzelfall - mit Wertung der anamnestischen Angaben zur Anfallsfrequenz in Verbindung mit Schlafentzug - beurteilt werden.

Zur Auslösung von Anfällen durch rhythmische Lichtreize siehe Abschnitt 2.2.1.

*) Diese Bewertungen basieren auf einer Stellungnahme des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (vormals: Deutsche Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie) zu diesen Empfehlungen.

1.2.5 Praktisches Vorgehen

Für die Einordnung in die Gefährdungskategorien O, A, B, C oder D ist eine Beschreibung der Anfälle erforderlich, nach der folgende Fragen beantwortet werden können:

  1. Ist das Bewusstsein erhalten?
  2. Kommt es zu Haltungsverlust?
  3. Ist die Willkürmotorik gestört?
  4. Kommt es zu unangemessenen Handlungen?

Die alleinige Klassifizierung der Anfälle mit medizinischen Kategorien, wie Absence, psychomotorischer Anfall und ähnliches ist nicht ausreichend zur Beantwortung dieser Fragen [Tafel 3].

Tafel 3: Medizinische Bezeichnung und Gefährdungskategorie, Anfallsbeschreibung

BezeichnungBewusstseinHaltungs-
kontrolle
MotorikKat.Weitergehende Beschreibung
Myoklonische-
impulsive Anfälle
(Impulsiv-Petitmal)
nicht gestörtmeist erhalten,gestörtAplötzliche ein- oder mehrmalige heftige Zuckung, meist im Schulter-Arm-Bereich, selten auch der Beine, dann Sturz, gebunden an die Zeit kurz nach dem Erwachen
""selten Sturz""C
Einfache fokale Anfälle    plötzliche Verkrampfung, Wendebewegung oder Zuckungen einzelner Muskelgruppen oder Körperteile, wenn die Beine betroffen sind: Sturz äußerlich nicht sichtbare Empfindung, wie Kribbeln, Wahrnehmungsänderungen, Gefühlsänderungen
- mit motorischer Symptomatiknicht gestörtz.T. erhaltengestörtA,
""z.T. Sturz""C
- mit sensibler, sensorischer oder psychischer Symptomatiknicht gestörterhaltennicht gestörtO
Absencengestörtmeist erhalten,gestört, meist Bewegungslosigkeit,Bplötzliche sekundenlange Bewusstseinspause, z.T. mit Innehalten,
"" selten unange-

messene Bewe-

gungen

Dz.T. mit automatischer Fortführung der Tätigkeit,
""selten Umsinken""Cbei längerer Dauer sind leichte Zuckungen des Gesichts und der Arme, automatische Bewegungen und Gleichgewichtsstörungen möglich
Grand mal
(primär oder sekundär generalisierte tonischklonische Anfälle)
gestörtSturzgestörtCMit oder ohne Vorgefühl (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung, Bewusstlosigkeit, Sturz, Verkrampfung (tonische Phase), Zuckungen (klonische Phase), zum Teil Zungenbiss, Blauwerden, Einnässen, Speichelfluss, unterschiedlich lange Erholungszeit, Verwirrtheitszustand oder Nachschlaf möglich Selten postiktale Verwirrtheitszustände mit unangemessenen Handlungen
 """"""D
Komplex fokale Anfälle
(psychomotorische Anfälle)
gestörtmeist erhalten,meist gestört, z.T. BewegungslosigkeitBMit oder ohne Vorgefühl (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung, eingeschränktes bis aufgehobenes Bewusstsein, Unterbrechung der Tätigkeit, zum Teil ohne weitere Symptome;
""""meist unangemessene BewegungenDhäufiger aber automatische Bewegungen, unangemessene Handlungen, Umherlaufen, seltener Zu-Boden-Gehen, selten Sturz, zum Teil Lautäußerungen
""z.T. Zu-Bodengehen, selten Sturz C


Das Vorgehen bei der Einordnung in Gefährdungskategorien ist den Tafeln 2 und 3 zu entnehmen. Tafel 2 zeigt, welche Fragen dem Kranken und den Zeugen seiner Anfälle gestellt werden müssen, um zu einer raschen und eindeutigen Einordnung in die zutreffende Gefährdungskategorie zu gelangen. Tafel 3 hilft beim Vorliegen von Anfallsbeschreibungen, die zutreffende Gefährdungskategorie zu bestimmen. Besondere Sorgfalt ist bei der Zuordnung von komplex fokalen Anfällen zu den einzelnen Gefährdungskategorien erforderlich, da sie Kategorie D, aber auch B oder C entsprechen können. Bei Grand mal Anfällen kann es in seltenen Fällen zu postiktalen Verwirrtheitszuständen mit unangemessenen Handlungen kommen, die dann der Kategorie D zuzuordnen sind.

Die anhand von Tafel 2 oder 3 gefundene Gefährdungskategorie muss mit der aktuellen Anfallshäufigkeit (Angaben des Betroffenen, nach Möglichkeit durch Anfallskalender oder Fremdbeobachtung belegt) kombiniert werden. Hieraus ergibt sich die Schwere der E-pilepsie unter arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten (siehe Hinweistafeln zur Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten bzw. ausgewählter Berufe).

1.3 Art des Berufes und Unfallgefährdung in verschiedenen Tätigkeitsfeldern innerhalb dieses Berufes

Kriterien für die Abstufung der Gefährdung sind vor allem Eigengefährdung, Fremdgefährdung und ökonomisches Risiko. Bei der Beurteilung einer beruflichen Tätigkeit ist zu berücksichtigen, dass innerhalb eines Berufes die Risiken bei den einzelnen Tätigkeiten unterschiedlich sein können. Diese Tatsache verlangt neben der ärztlichen Beurteilung die Mitwirkung einer für das spezielle Berufsbild sachkundigen Person, z.B. Fachkraft für Arbeitssicherheit.

Beispiele für Eigengefährdung sind: Die Gefahr mit drehenden ungeschützten Teilen (Backenfutter, Bohrspindeln), mit gesundheitsschädlichen elektrischen Spannungen, mit infektiösen oder toxischen Stoffen in Berührung zu kommen. Von Fall zu Fall wäre auch zu prüfen, ob durch geeignete technische Vorrichtungen und Hilfen die Unfallgefährdung an einem bestimmten Arbeitsplatz so reduziert werden kann, dass er für eine Person mit Epilepsie geeignet ist.

Fremdgefährdung ist gegeben bei mangelnder Aufsicht von Minderjährigen bzw. geistig oder körperlich behinderten Menschen im Bereich sozialpflegerischer oder pädagogischer Berufe. Inwieweit eine Aufsicht bei behinderten Menschen erforderlich ist, hängt von deren Grad der körperlichen oder geistigen Einschränkungen sowie vom Grad der Gefährdung ab, woraus sich die Anforderungen an die beaufsichtigende Person ergeben. Die Aufsichtsperson muss erforderlichenfalls in der Lage sein, die , ihr anvertrauten Personen auch ununterbrochen zu beobachten, um rechtzeitig eingreifen zu können.

In den meisten ,Fällen werden sich organisatorische Maßnahmen finden lassen, um das Risiko der Eigen- bzw. Fremdgefährdung zu minimieren, z.B. Arbeiten zu zweit, Möglichkeiten, Hilfe in der Nähe abzurufen.

Ein Beispiel für ökonomische Risiken sind Fehlprogrammierungen oder falsche Eingaben bei computergestützten Arbeiten.

1.4 Berufssituation des Behinderten als Berufsanfänger oder mit Berufserfahrung

Unterschiedlich zu beurteiln ist die Situation, wenn es sich um eine Erstausbildung handel- oder aber die Behinderung erst nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung zu einem Wechsel der Tätigkeit zwingt.

Bei einer Erstausbildung, insbesondere bei jüngeren Behinderten, ist darauf zu achten, dass im angestrebten Beruf möglichst viele Tätigkeitsfelder offen stehen.

Es sollte daher zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Berufsberater der Agentur für Arbeit eingeschaltet werden, der gegebenenfalls eine berufsvorbereitende Maßnahme (Arbeitserprobung, Berufsfindung, Förderlehrgang) veranlassen kann.

Eine Ausbildung sollte nicht an Arbeiten mit erhöhter Unfallgefährdung scheitern, die aufgrund der Ausbildungsordnung für das Berufsbild nur während der Ausbildung ausgeführt werden müssen, für das Ausbildungsziel aber nicht wesentlich sind und bei der späteren Berufstätigkeit nicht mehr zwingend gefordert werden, beispielsweise Arbeiten an einer Drehmaschine in der Ausbildung zum Technischen Zeichner oder Nachtdienst in der Ausbildung zum pflegerischen Beruf. Die gesetzlichen Bestimmungen erlauben in vielen Fällen, mit der für die Prüfung zuständigen Stelle zu vereinbaren, dass sie auch dann als erfolgreich abgeschlossen gilt, wenn der Behinderte diese Ausbildungsabschnitte nicht als Ausführender durchlaufen hat.

Bei Behinderten, die nach einer Berufsausbildung - eventuell auch erst im fortgeschrittenen Lebensalter - zu einem Tätigkeitswechsel gezwungen sind, sollte in erster Linie geprüft werden, ob - z.B. im Rahmen einer betrieblichen Umsetzung - die Möglichkeit besteht, weiterhin eine Tätigkeit auszuüben, bei der vorbestehende berufliche Kenntnisse und Erfahrungen verwertet werden können und die den behinderungsbedingten Einschränkungen Rechnung trägt. Die sich dabei ergebenden Fragen sollten zwischen BetroffenenBe-, triebsarzt, Fachkraft für ArbeitssicherheitAritgeber, Betrielsrat bzw. Personalrat und gegebenenfalls Schwerbehinderten-Vertrauensmann geklärt werden. Erst wenn sich herausstellt, dass dieser Weg nicht möglich ist, sollte eine Umschulung erwogen werden. Eine fundierte Empfehlung für einen bestimmten Beruf wird dann oft nur möglich sein, wenn sie sich auf eine differenzierte, individuelle sozialmedizinische Beurteilung stützen kann, verbunden mit einer eingehenden psychologischen Untersuchung und einer praktischen Arbeitserprobung oder einem Praktikum, durch die verlässliche Anhaltspunkte für die späteren beruflichen Einsatzmöglichkeiten gewonnen werden können.

1.5 Haftungsfragen

Ein epileptischer Anfall während der Arbeitszeit stellt im Allgemeinen keinen Arbeitsunfall dar und auch seine Folgen sind nicht zu entschädigen, da es sich hierbei um einen so genannten Unfall aus innerer Ursache handelt. Nur wenn betriebliche Umstände wesentlich zur Entstehung oder zur Schwere des Unfalles beigetragen haben, liegt ein Arbeitsunfall vor, z.B. Sturz infolge epileptischen Anfalls in eine besonders gefährdende Maschine.

Ist in einem solchen Ausnahmefall ein Arbeitsunfall anzunehmen, so ist die Haftung des Unternehmers oder von Arbeitskollegen gegenüber dem Verletzten regelmäßig beschränkt. Sie sind gegenüber dem Verletzten nur dann zum Ersatz des Personenschadens verpflichtet, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt haben oder wenn der Arbeitsunfall bei der "gewöhnlichen" Teilnahme am Verkehr (siehe § 104 Abs. 1 SGB VII) eingetreten ist. Ein Regress des Unfallversicherungsträgers gegen Unternehmer oder Arbeitskollegen ist nur dann möglich, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben (siehe § 110 SGB VII).

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten besteht kein Anlass für eine restriktive Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie. Bei sachgerechter Prüfung der Einsatzmöglichkeiten entsprechend den vorliegenden Empfehlungen wird ein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln des Unternehmers oder von Vorgesetzten selbst dann nicht angenommen werden können, wenn sich wider Erwarten im Einzelfall doch einmal ein Arbeitsunfall infolge eines epileptischen Anfalls ereignen sollte.

2 Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten

2.1 Allgemeines

Es wurden sowohl einzelne Tätigkeiten als auch ausgewählte Berufe beurteilt. Bei den Tätigkeiten mit Absturzgefahr bzw. Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten wurden die Auswahlkriterien für die arbeitsmedizinische Vorsorge der zugehörigen Grundsätze beachtet.

Bei der Beurteilung von Tätigkeiten wird jeweils unterschieden zwischen

(+) Grundsätzlich keine Bedenken

(-) Nicht möglich

Bei der Beurteilung von Berufen wurde berücksichtigt, dass Berufe immer eine Vielzahl von Tätigkeiten umfassen und dass diese in der Berufspraxis unterschiedlich verteilt sein können, so dass es im gleichen Beruf mehr oder weniger risikoreiche Arbeitsplätze geben kann. Für die Beurteilung folgt daraus die Abstufung:

(O) grundsätzlich keine Bedenken

(Δ) möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze

(❏) möglich in besonderen Fällen

Die Hinweistafeln bei der Beurteilung von Tätigkeiten und Berufen berücksichtigen nur die Einschränkungen, die sich bei Personen mit Epilepsie durch ihre Anfälle ergeben. Darüber hinausgehende Funktionsstörungen, z.B. Lähmungen, psychische Beeinträchtigungen, vermindertes Arbeitstempo, eingeschränkte Umstellfähigkeit, bedürfen gesonderter Beurteilung.

2.2 Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten

2.2.1 Bildschirmarbeit

Bildschirmarbeitsplätze

An diesen Arbeitsplätzen werden Bildschirme zur Darstellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdarstellung ungeachtet des Darstellungsverfahrens eingesetzt. Die Arbeitsplätze können ausgestattet sein mit Einrichtungen zur Erfassung von Daten, Software, die den Beschäftigten bei der Ausführung ihrer Arbeitsaufgaben zur Verfügung steht, Zusatzgeräten und sonstigen Arbeitsmitteln.


Personen mit Epilepsie sind an solchen Arbeitsplätzen einsetzbar, da im Allgemeinen keine Selbst- oder Fremdgefährdung durch An-fälle - besteht. Eine Eingliederung ist grundsätzlich ohne besondere Einschränkungen - möglich.

Dem gegenüber wird häufig die Befürchtung geäußert, dass an Bildschirmarbeitsplätzen ein erhöhtes Risiko für die Auslösung von Anfällen bei Personen mit Epilepsie aufgrund einer bestehenden Fotosensibilität, d.h. das Auftreten epilepsietypischer Veränderungen bei intermittierenden Lichtreizen, vorliegt und hierdurch epileptische Anfälle ausgelöst werden können. Solche Reaktionen zeigen sich in der Regel nur in sehr niedrigen Frequenzbereichen, am häufigsten zwischen 15 und 20 Hertz. Bei einer Frequenz von 65 Hertz und mehr sind nach Literaturangaben nur noch bei 4% der fotosensiblen Personen mit Epilepsie EEG-Veränderungen zu beobachten. Auch weisen Bildschirmgeräte in der Regel Bildwechselfrequenzen zwischen 75 und 85 Hertz auf. In diesem Bereich wurden keine fotosensiblen Reaktionen bei Personen mit Epilepsie beobachtet.

Denkbar ist eine Anfallsauslösung bei Personen mit Epilepsie durch bewegte Bilder. Eine Abschätzung des Risikos ist derzeit noch nicht abschließend möglich, unter den üblichen Arbeitsbedingungen dürfte es aber sehr gering und damit in der Praxis vernachlässigbar klein sein.

Monitore und Fernsehgeräte bei beruflicher Tätigkeit

Monitore oder Fernsehgeräte werden z.B. bei Überwachungstätigkeiten (siehe auch Abschnitt 2.1.3 "Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten") eingesetzt. Bei Personen mit fotosensibler Epilepsie kann es zu einer Anfallsauslösung kommen, da die verwendeten Monitore überwiegend in 50 Hertz-Technik im noninterlaced Verfahren arbeiten und damit in der Sekunde etwa 25 Bilder aufbauen. Wie oben erwähnt weisen lediglich 5% aller Personen mit Epilepsie eine Fotosensibilität auf, von denen etwa 90% durch gezielte pharmakologische Behandlung oder Versorgung mit Hilfsmitteln, z.B. einer depolarisierenden Sehhilfe, die fotosensible Reaktion verlieren.

Bei Personen mit Epilepsie, die an Monitoren und Fernsehgeräten beruflich tätig sind, sollte bei Hinweisen auf eine Fotosensibilität eine Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie durchgeführt und bei Bestätigung einer Fotosensibilität die Personen hinsichtlich einer Auslösung von Anfällen durch Muster oder schnell laufende Bilder in enger Kooperation mit dem Betriebsarzt beraten werden.

2.2.2 Tätigkeiten mit Absturzgefahr

Das berufsgenossenschaftliche Regelwerk macht unter anderem in der Unfallverhütungsvorschriften "Grundsätze der Prävention" (BGV A1) in Verbindung mit der Unfallverhütungsvorschrift "Bauarbeiten" (BGV C22) Vorgaben zum Schutz gegen Absturz und gibt Hinweise zur Absturzsicherung. Danach sind in der Regel Absturzsicherungen bei Absturzhöhen von mehr als 1 m erforderlich. Wegen der Vielfalt der Arbeitsplätze vor allem im Handwerk werden dort auch Ausnahmeregelungen beschrieben. Arbeiten ganz ohne Absturzsicherung sind praktisch nicht zulässig.

In dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen G 41 "Arbeiten mit Absturzgefahr" sowie in den zugehörigen "Auswahlkriterien für die spezielle arbeitsmedizinische Vorsorge nach den Berufsgenossenschaftlichen iGrundsätzen für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen; Arbeiten mit Absturzgefahr" (BGI 504-41) werden die gesundheitlichen Voraussetzungen für Tätigkeiten unter erhöhter Absturzgefahr, d.h. bei Absturzhöhe von mehr als 3 m ohne Absturzsicherung, beschrieben. Die Einteilung in der Hinweistafel 1 mit Absturzhöhen von 1 m, über 1 m und über 3 m folgt dem berufsgenossenschaftlichen Regelwerk.

Bei Tätigkeiten bis zu feiner Absturzhöhe von 1 m bestehen grundsätzlich keine Bedenken, da diese Gefährdung in der Regel denen des täglichen Lebenivergleichbar ist. Sehr schwere Epilepsien mit bis zu täglich auftretenden Anfällen der Gefährdungskategorien C und D bedürfen einer gesonderten Beurteilung. In der Praxis dürfte dies nur sehr selten vorkommen.

Abstürze bei Tätigkeiten über 3 m ohne Absturzsicherung (technische Maßnahmen oder persönliche Schutzausrüstungen) entsprechend dem vorstehend genannten BG-Grundsatz G 41 bzw. den Auswahlkriterien BGI 504-41 gehen mit einem sehr hohen Verletzungsrisiko einher. Diese Tätigkeiten dürfen nur von Personen ausgeführt werden, die langfristig anfallsfrei sind.

Bei der Beurteilung von beruflichen Möglichkeiten ist darauf zu achten, in wieweit Tätigkeiten mit Absturzgefahr berufsbestimmend sind oder nur gelegentlich vorkommen. Bei gelegentlichem Vorkommen kann Eignung bestehen, wenn die gefährdenden Tätigkeiten nicht ausgeführt werden müssen, z.B. weil ein Kollege sie übernimmt (siehe Hinweistafel 2).

Hinweistafel 1: Tätigkeiten mit Absturzgefahr

 

Arbeiten mit AbsturzgefahrGefährdungskategorieArbeiten über 3 m oder Arbeiten mit erhöhter Absturzgefahr (nach G 41/ BGI 504-41)Arbeiten bis 3 m über festem Boden ohne Absturzsicherung (nach BGV A1, BGV C22)Arbeiten bis 1,00 m über festem Boden ohne Absturzsicherung (z.B. Bockgerüste)
Langfristige Anfallsfreiheit:

Anfallsfrei
> 5 Jahre ohne antiepileptische Therapie

 (+)(+)(+)
Mittelfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei
    > 1 Jahr nach operativer Therapie
  • Anfallsfrei
    > 2 Jahre unter Pharmakotherapie
  • Anfälle nur aus dem Nachtschlaf > 3 Jahre
  • Kategorie "0"
 (-)(+)(+)
Anfälle < 2/JahrA(-)(+)(+)
B(-)(+)(+)
C(-)(-)(+)
D(-)(-)(+)
Anfälle
3 bis 11/Jahr
A(-)(+)(+)
B(-)(-)(+)
C(-)(-)(+)
D(-)(-)(+)
Anfälle > 1/MonatA(-)(-)(+)
B(-)(-)(+)
C(-)(-)(+)
D(-)(-)(+)

(+) = grundsätzlich keine Bedenken

(-) = nicht möglich


Hinweistafel 2: Beispiele für Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefahr in unterschiedlichen Berufen

 Arbeiten über 3 m oder Arbeiten mit erhöhter Absturzgefahr (nach G 41/BGI 504-41)Arbeiten bis 3 m über festem Boden ohne Absturzsicherung (nach BGV A1, BGV C22)Arbeiten bis 1,00 m über festem Boden ohne Absturzsicherung (z.B. Bockgerüste)
 berufsbestimmendgelegentlich vorkommendberufsbestimmendgelegentlich vorkommendberufsbestimmendgelegentlich vorkommend
Gerüstbauer,
Antennenbauer,
Freileitungsmonteur,
Dachdecker,
Zimmermann
Schornsteinfeger
X     
Elektroinstallateur,
Betonbauer,
Stahlbauschlosser,
Fernsehmonteur
Maurer
 XX   
Gärtner,
Dekorateur,
Gebäudereiniger,
Tiefbauarbeiter
   XX 


2.2.3 Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten

Das Gefährdungspotential der verschiedenen Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten ist ausgesprochen unterschiedlich - auch innerhalb der Untergruppen der einzelnen Tätigkeiten.

So existieren beispielsweise für den Arbeitsbereich Flurförderzeuge Tätigkeiten, die als relativ ungefährlich eingestuft werden können, wenn Gefährdungen weder durch das Transportgut noch durch die örtlichen Gegebenheiten vorliegen, z.B. beim Befördern von Torfsäcken oder ähnlichem mit einem einzelnen Gabelstapler in einer Gärtnerei. Dem gegenüber können von Staplerfahrern auch mit einem hohen Gefährdungspotential verbundene Tätigkeiten verlangt werden, beispielsweise Be- und . Entladen von Hochregallagern, Laden und Entladen von Gefahrstoffen, insbesondere wenn das Umfeld durch Unübersichtlichkeit oder hohes Verkehrsaufkommen zusätzliche Gefahren birgt. Hier können die gesundheitlichen Anforderungen - sogar höher zu bewerten sein, als die für das Lenken eines solchen Gerätes im öffentlichen Straßenverkehr gestellt würden (siehe hierzu Hinweistafel Fahrerlaubnisklassen und Notwendigkeit gesonderter Beurteilung der Tätigkeit bei Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten).

Daher ist zur Abschätzung der Einsetzbarkeit eines epilepsiekranken Mitarbeiters die Berücksichtigung der speziellen Arbeitsplatzsituation, die gegebenenfalls vor Ort beurteilt werden muss, unerlässlich.

Vergleichbar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, muss bei der Beurteilung der gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz das Risiko eines Anfalls minimal sein, wenn die möglicherweise aus einem Anfall resultierenden Schäden hoch sind, insbesondere wenn eine erhebliche Fremdgefährdung zu befürchten ist. Dabei kann die Differenzierung der gesundheitlichen Voraussetzungen für LKW- und PKW-Fahrer, wie in den Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahrereignung, als Maßstab genommen werden.

Ein weiterer Anhaltspunkt bei der Beurteilung, des hinzunehmenden Risikos sollte die Regel sein, dass die Eigengefährdung nicht diejenige bei Teilhabe am üblichen sozialen Leben überschreitet.

Die Hinweistafeln 3 und 5 tragen der hohen Variabilität bzw. den individuell zu beurteilenden Umständen Rechnung.

Es ist nicht möglich, alle Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten in solchen Tabellen zu erfassen, insbesondere auch deshalb, weil sich in dieser Domäne ein sehr rascher technischer Wandel vollzieht. Um die Eignung des Geräteführers für Arbeitsgeräte und -verfahren beurteilen zu können, die nicht aufgeführt sind, z.B. Manipulatoren und Geräte zum zerstörungsfreien Prüfen ist eine exakte tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilung unerlässlich. Die in der Tabelle genannten Tätigkeiten können dabei in Analogie als Anhaltspunkte dienen.

Hinweistafel 3: Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten I: Fahrzeuge, Hubarbeitsbühnen


Fahr- Steuer- und Überwachungs-
tätigkeiten
GefährdungskategorieFlurförderfahrzeuge (Staplerfahrer)
Regalbediengeräte
Mitgänger-
Flurförderfahrzeuge

Mit/ohne
Hubeinrichtung***

Hubarbeitsbühnen

Arbeit in der Hubarbeitsbühne****

risikoarme Umgebung*risikoreiche Umgebung**
Langfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > 5 Jahre ohne antiepileptische Therapie
 (+)(+)(+)(+)
Mittelfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > 1 Jahr nach operativer Therapie
  • Anfallsfrei > 2 Jahre unter Pharmakotherapie
  • Anfälle nur aus dem Nachtschlaf > 3 Jahre
  • Kategorie "0"
A(+)(+)(+)(+)
B(+)(-)(+)
C(+)(-)(+)
D(+)(-)(+)
Anfälle < 2/JahrA(-)(-)(+)(+)
B(-)(-)(-)(+)
C(-)(-)(+)(+)
D(-)(-)(-)(-)
Anfälle 3 bis 11/JahrA(-)(-)(+)(+)
B(-)(-)(-)(+)
C(-)(-)(+)(+)
D(-)(-)(-)(-)
Anfälle > 1/MonatA(-)(-)(+)(+)
B(-)(-)(-)(+)
C(-)(-)(-)(+)
D(-)(-)(-)(-)

* Als risikoarm gilt der Einsatz beim Transport ungefährlicher Materialien, wie Lebensmittel, Textilien, Erdaushub und in Bereichen, in denen übersichtliche Betriebsverhältnisse bestehen.

** Als risikoreich gelten z.B. der Transport von Gefahrstoffen mit explosiven, stark ätzenden oder toxischen Eigenschaften, das Arbeiten in Lägern solcher Stoffe, im Hochregallager und bei unübersichtlichen Betriebsverhältnissen.

*** Vorausgesetzt Sicherung, die beim Loslassen des Bedienungsschalters/der Deichsel das Gerät zum Stillstand bringt

**** Ausgeschlossen, wenn Absenkung vom Boden aus nicht möglich/oder das Absenken > 10 min dauert

***** gegebenenfalls Einzelfallentscheidung entsprechend dem Gefährdungspotential durch die Anfälle für die konkrete Tätigkeit

Steuer- und Überwachungs-
tätigkeiten
GefährdungskategorieErdbaumaschinen*Hebezeuge z.B. Hebebühnen, Grubenheber, Krane**
Risikoarme UmgebungRisikoreiche Umgebung

Hohe Fremdgefährdung

als Mitgänger bedientMit Fahrersitz
Langfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > 5 Jahre ohne antiepileptische Therapie
 (+)(+)(+)(+)
Mittelfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > 1 Jahr nach operativer Therapie
  • Anfallsfrei > 2 Jahre unter Pharmakotherapie
  • Anfälle nur aus dem Nachtschlaf > 3 Jahre
  • Kategorie "0"
A(+)(-)(+)(+)
B(+)(-)(+)(+)
C(+)(-)(-)(-)
D(+)(-)(+)(-)
Anfälle <2/ JahrA***(-)***(+)
B(-)(-)
C(-)(-)
D(-)(-)
Anfälle 3 bis 11/JahrA(-)(-)
B(-)(+)
C(-)(-)
D(-)(-)
Anfälle > 1/ MonatA(-)(+)
B(-)(-)
C(-)(-)
D(-)(-)


* Sofern Fahrerlaubnis Voraussetzung gelten die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (siehe Hinweistafel 4)

** Das Absturzrisiko ist gesondert zu beurteilen

*** gegebenenfalls Einzelfallentscheidung entsprechend dem Gefährdungspotential durch die Maschine bei der konkreten Tätigkeit


Hinweistafel 4: Fahrerlaubnisklassen und Notwendigkeit gesonderter Beurteilung der Tätigkeit bei Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten

Fahrzeugtyp

Begutachtungsleitlinien

FahrerlaubnisklasseZuordnung

Fahrerlaubnisklasse zu den Gruppen 1 oder 2

Fahrzeugtyp

G 25

Gesonderte Beurteilung der Tätigkeit erforderlich
Leistungsbeschränkte KrafträderAGruppe 1MotorräderNein
Krafträder bis 125 ccmA1""MotorräderNein
KleinkrafträderM""MotorräderNein
Kraftfahrzeuge bis 3,5 t (einschließlich Anhänger)B""Pkw
  • Pkw mit Hebebühne
  • Pistenpflegegeräte mit Fahrersitz
Ja
Zugfahrzeug u. Anhänger nicht zur Klasse B gehörigBE""  
Selbstfahrende Arbeitsmaschinen bis 25 km Land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen bis 32 km, mit Anhängern bis 25 kmL""* Z.B. Erdbaumaschinen und selbstfahrende Arbeitsmaschinen nach G 25 Flurförderfahrzeuge mit Fahrersitzja
Land- u. forstwirtschaftliche Zugmaschinen bis 60 km Selbstfahrende land- und forstwirtschaftliche Arbeitsmaschinen bis 40 km/h (auch mit AnhängernT"" nein
Kfz über 3,5 t mit Anhänger bis 750 kgCGruppe 2* Hebezeuge, Krane, Hebebühnen auf LKW Luftfahrtbodengeräte, Pistenpflegegeräte Erdbaumaschinen u. andere fahrbare Arbeitsmaschinen, sofern nicht die Führerscheinklassen L bzw. T in Frage kommenja
Kfz zwischen 3,5 und 7,5 t mit Anhänger bis 750 kgC1""
Kraftfahrzeuge über 3,5 t mit Anhänger über 750 kgCE""
Kfz der Klasse C1 mit Anhänger über 750 kg, sofern die zulässige Gesamtmasse des Anhängers die Leermasse des Zugfahrzeugs und die zulässige Gesamtmasse der Kombination 12.000 kg nicht überschreiten.C1E""
Kraftomnibusse mit mehr als 8 PlätzenD""Omnibusse, sonstige Fahrzeuge für den Personentransportnein
Kraftomnibusse mit mehr als 8, aber nicht mehr als 16 SitzplätzenD1""
Kraftfahrzeuge der Klasse D mit Anhänger über 750 kgDE""
Kfz der Klasse D1 mit Anhänger über 750 kg, sofern die zulässige Gesamtmasse des Anhängers die Leermasse des Zugfahrzeugs und die zulässige Gesamtmasse der Kombination 12.000 kg nicht überschreiten. Der Anhänger darf nicht zur Personenbeförderung benutzt werden.D1E""  
Fahrzeuge, in denen Fahrgäste befördert werden nach § 48 FeVFührerschein zur Fahrgastbeförderung""  

* Beurteilung durch die Straßenverkehrsämter:

a) Zunächst wird geprüft, ob das Fahrzeug der Führerscheinklasse L und U auch der Klasse T zuzurechnen ist. Entscheidendes Kriterium ist dabei die Geschwindigkeit bzw. ob es sich um ein ausschließlich in der Land- oder Forstwirtschaft eingesetztes Fahrzeug handelt.

b) Falls Klasse L oder T nicht zutreffen, ist das Gewicht das entscheidende Kriterium. Ab 3500 kg Fahrzeuggewicht gelten dann für die einzelnen Führerscheinklassen die gesundheitlichen Voraussetzungen für Gruppe 2.


Hinweistafel 5: Prozessleitsysteme

Fahr-, Steuer- und ÜberwachungstätigkeitenGefährdungs-
kategorie
Prozessleitsysteme *

Leitstände, Messwarten, Überwachungszentralen, Stellwerke

Langfristige Anfallsfreiheit:
  • Anfallsfrei > 5 Jahre ohne antiepileptische Therapie
 (+) 
Mittelfristige Anfallsfreiheit*:
  • Anfallsfrei > 1 Jahr nach operativer Therapie
  • Anfallsfrei > 2 Jahre unter Pharmakotherapie
  • Anfälle nur aus dem Nachtschlaf > 3 Jahre
  • Kategorie "0"
A(+)wenn Anfälle nur wenige Sekunden
(-)wenn Anfälle länger und keine Person, die eingreifen kann, anwesend
B(+)wenn Bewusstseinsstörung nur wenige Sekunden und verzögerte Reaktion keine Gefahr
(-)wenn Bewusstseinsstörung länger
C(+)wenn Person, die eingreifen kann, anwesend und verzögerte Reaktion keine Gefahr
(-)wenn keine Person, die eingreifen kann, anwesend und rasche Reaktion erforderlich
D(-) 
Anfälle < 2/Jahr*A(+)wenn Anfälle nur wenige Sekunden
(-)wenn Anfälle länger und keine Person, die eingreifen kann, anwesend
B(+)wenn Bewusstseinsstörung nur wenige Sekunden und verzögerte Reaktion keine Gefahr
(-)wenn Bewusstseinsstörung länger
C(+)wenn Person, die eingreifen kann, anwesend und verzögerte Reaktion keine Gefahr
(-)wenn keine Person, die eingreifen kann, anwesend und rasche Reaktion erforderlich
D(-) 
Anfälle 3 bis 11/JahrA(-) 
B(-) 
C(-) 
D(-) 
Anfälle > 1/MonatA(-) 
B(-) 
C(-) 
D(-) 

* Bei Tätigkeiten, die einer ununterbrochenen Aufmerksamkeit bedürfen und die mit einer sehr hohen Fremdgefährdung einhergehen dauernde gesundheitliche Bedenken

 

2.3 Beurteilung ausgewählter Berufe

2.3.1 Industriell maschinenbautechnische und industrielle elektrotechnische Berufe

Hinweistafel 6: Industrielle maschinenbautechnische Berufe

Industrielle maschinenbau-
technische Berufe
*

Bohrer, Bohrwerksdreher,
Dreher, Revolverdreher,
Automateneinrichter,
Fräser, Universalfräser,
Hobler, Universalhobler,
Universalschleifer

**

Zerspanungsmechaniker/in Fachrichtung:

Automatendrehtechnik,
Frästechnik,
Drehtechnik,
Schleiftechnik

***

Facharbeiter für Werkzeugmaschinen, Drehen,
Fräsen, Schleifen, Hobeln,
Bohren
Facharbeiter für Schleifwerkzeuge
Automateneinrichter

*

Mechaniker, Feinwerk-, Chirurgie-, Büromaschinenmechaniker, Elektroma-
schinenbauer, Werkzeugmacher,
Fluggeräte-, Landmaschinenmechaniker, Maschinen-, Betriebs-, Kunststoff-
schlosser, Schmelzschweißer, NC-Anwendungsfachmann

**

Industriemechaniker/in
Fachrichtung: Geräte- und Feinwerktechnik, Produktionstechnik, Maschinen- und Systemtechnik, Betriebstechnik

Werkzeugmechaniker/in
Fachrichtung: Instrumententechnik, Stanz- und Umformtechnik Konstruktionsmechaniker/in Fachrichtung: Ausrüstungstechnik

Anlagenmechaniker/in
Fachrichtung: Versorgungstechnik

***

Instandhaltungs-, Flugzeugmechaniker, Landmaschinen- und Traktorenschlosser, Maschinenbauer, Mechaniker, Elektromaschinenbauer, Feinmechaniker, Facharbeiter für Schweißtechnik, Werkzeugmacher

*

Güteprüfer, Technischer Zeichner, Teilekonstrukteur

Maschinenbautechniker

Fachrichtung:

  • Konstruktion
  • Qualitätswesen
  • Arbeitsvorbereitung und NC-Technik
  • Produktionsorganisation

Dipl.-Ing. Maschinenbau

**

...

***

Werkstoffprüfer Metall, Maschinenbauzeichner

Hinweise

zur Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten für Personen mit Epilepsie

O grundsätzlich keine Bedenken

Δ möglich in der Mehrzahl > der Arbeitsplätze

❏ möglich in besonderen Fällen

Risiken

insbesondere drehende, ungeschützte Teile (Backenfutter, Bohrspindeln)

Fehlprogrammierung

Langfristige Anfallsfreiheit
  • Anfallsfrei > 5 Jahre ohne antiepileptische Therapie
123
OOO
Mittelfristige Anfallsfreiheit
  • Anfallsfrei > 1 Jahr nach operativer Therapie
  • Anfallsfrei > 2 Jahre unter Pharmakotherapie
  • Anfälle nur aus dem Nachtschlaf >3 Jahre
  • Kategorie "0"
OOO
Anfälle < 2/JahrAOOO
BOOO
CΔΔΔ
DΔΔ
Anfälle 3 bis 1 l/ JahrAOOO
BΔΔO
CΔΔΔ
DΔ
Anfälle > 1/ MonatAOOO
BΔΔΔ
CΔ
DΔ

* Berufe, die zum Teil nach § 25 BBiG aufgehoben oder geändert wurden, sowie Ausbildungsregelungen, die nach § 25 HwO geändert wurden.

** Neugeregelte Berufe

*** Facharbeiterberufe, die in der DDR galten.

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