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Vorgehensweise bei der gesundheitlichen Bewertung der Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) aus Bauprodukten
Vom Oktober 2000
(DIBt Mitteilung 1/2001 S. 3)
Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten
Die Länderarbeitsgruppe "Umweltbezogener Gesundheitsschutz" (LAUG)1 der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) hat 1997 nach Vorgesprächen auf verschiedenen Ebenen den "Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten" (AgBB) ins Leben gerufen. Im AgBB sind neben den Ländern auch Umweltbundesamt (UBA), Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), Koordinierungsausschuss 03 für Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz des Normenausschusses Bauwesen im DIN (DIN-KOA 03) und die Konferenz der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (ARGEBAU) vertreten. Die Geschäftsstelle des AgBB ist im Umweltbundesamt angesiedelt. Eine wichtige Aufgabe des Ausschusses betrifft die Erarbeitung gesundheitsbezogener Bewertungskriterien für innenraumrelevante Bauprodukte.
Der AgBB legt hier den Stand der Arbeit an diesem Thema nach Abstimmung mit der [AUG und dem beim DIBt angesiedelten Sachverständigenausschuss "Gesundheits- und Umweltschutz" vor. Wichtiger Bestandteil der Ausarbeitung ist ein Ablaufschema zur Bewertung von VOC-Emissionen aus Bauprodukten. Es wird darauf hingewiesen, dass das Schema zur Anwendung auf einzelne Bauprodukte gedacht ist, die in Aufenthaltsräumen verwendet werden sollen. Es dient jedoch nicht der nachträglichen Bewertung bereits eingebauter
Bauprodukte oder gar der Begründung von Sanierungsmaßnahmen bei bestehenden Gebäuden. Die im Schema enthaltenen Konzentrationsangaben beziehen sich nicht etwa auf reale Raumluftverhältnisse in Aufenthaltsräumen, sondern betreffen die Stoffkonzentrationen in der Luft der Prüfkammer, die für die Emissionsmessung verwendet wird.
Der folgende Text und das Ablaufschema werden hier mit dem Ziel veröffentlicht, insbesondere den Herstellern von Bauprodukten die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen damit zu sammeln. Der AgBB beabsichtigt, im Frühjahr 2001 einen Workshop mit Fachleuten der betreffenden Hersteller und Verbände durchzuführen, bei dem die bis dahin gewonnenen Erfahrungen diskutiert werden sollen. Zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse sollten der Geschäftsstelle des AgBB im Umweltbundesamt (Frau Chr. Däumling, Tel. 030/8903-1451; e-mail-Adresse: christine.daeumling@uba.de ), Corrensplatz 1, 14195 Berlin möglichst schriftlich bis 15. März 2001 mitgeteilt werden.
1. Einleitung
Die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen beim Aufenthalt in Innenräumen wird einerseits durch die herrschenden raumklima-tischen Bedingungen (vor allem Temperatur und relative Luftfeuchte), andererseits aber auch durch mögliche Verunreinigungen der Innenraumluft beeinflusst. Solche Verunreinigungen können aus einer Vielzahl von Quellen stammen. Unter ihnen spielen Bauprodukte vor allem deshalb eine wesentliche Rolle, weil ihre Auswahl häufig nicht im Ermessen der Raumnutzer liegt und weil viele von ihnen großflächig in den Raum eingebracht werden.
Für die Verwendung von Bauprodukten gelten in Deutschland die Bestimmungen der Landesbauordnungen. Danach sind bauliche Anlagen so zu errichten und instandzuhalten, dass Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden (§ 3 Musterbauordnung, MBO). Bauprodukte, mit denen Gebäude errichtet oder die in solche eingebaut werden, haben diese Anforderungen insbesondere in der Weise zu erfüllen, dass durch chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen (§ 16 MBO).
Auch in der Europäischen Union wurde der Bedeutung der Bauprodukte durch die europäische Bauproduktenrichtlinie Rechnung getragen, die 1989 in Kraft trat (Rat der Europäischen Gemeinschaften, 1989). Obwohl ihr hauptsächliches Anliegen die Harmonisierung mit dem Ziel der Beseitigung von Handelshemmnissen ist, enthält sie doch - zumindest in allgemeiner Form - Vorschriften, die gesundheitliche Belange berücksichtigen. Die europäische Bauproduktenrichtlinie wurde 1992 durch das Bauproduktengesetz 2 und die Novellen der Landesbauordnungen im nationalen Recht umgesetzt.
Ein erklärtes Ziel der Landesbauordnungen und der EG-Bauproduktenrichtlinie ist es, die Gesundheit von Gebäudenutzern zu schützen. Eine Konkretisierung des pauschal angesprochenen Zieles findet sich in dem von der Europäischen Kommission erarbeiteten Grundlagendokument 3, in dem die Vermeidung und Begrenzung von Schadstoffen in Innenräumen, z.B. von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC), explizit genannt werden (EC, 1994). Auch der vom Koordinierungsausschuss 03 des Normenausschusses Bauwesen erarbeitete "Leitfaden zur Beurteilung von Bauprodukten unter Gesundheitsaspekten" dient dem Ziel einer solchen Konkretisierung. Trotz dieser Aktivitäten fehlen noch verbindliche und differenzierte Bewertungsvorschriften für eine praktische Umsetzung der gesundheitsbezogenen Forderungen der Bauproduktenrichtlinie.
Selbst wenn diese Richtlinien- und Gesetzestexte den Rahmen für die gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten setzen, so ist im Detail doch noch eine große Zahl von Fragen bislang unbeantwortet geblieben. Unbestritten ist, dass die Gesundheit von Gebäudenutzern geschützt werden muss, unklar ist aber noch, wie dieser Schutz im Einzelnen erreicht werden kann. Zwar gibt es in einer Reihe von europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, von Seiten verschiedener Hersteller und Verbände den Versuch, dem Anwender und Verbraucher mit Hilfe von Gütesiegeln Informationen über die Qualität der auf den Markt gebrachten Bauprodukte zukommen zu lassen, eine offiziell anerkannte Vorgehensweise zur Bewertung von Bauprodukten aus gesundheitlicher Sicht fehlt jedoch bislang noch in vielen Fällen.
Auch nationale und internationale Gremien, insbesondere die European Collaborative Action (ECA) "Indoor Air Quality and its Impact on Man", haben sich mit den Fragen der Bewertung von VOC-Emissionen aus Bauprodukten beschäftigt. In der ECA sind Experten aus den Ländern der Europäischen Union sowie der Schweiz und Norwegen tätig, die das in Europa verfügbare Fachwissen zu den verschiedensten innenraumrelevanten Themen aufarbeiten und in Berichten zusammenfassen, die so konkrete Angaben enthalten, dass sie als "pränormativ" bezeichnet werden können. Vor kurzem veröffentlichte die ECA den Bericht Nr. 18 "Evaluation of VOC Emissions from Building Products", in dem als Beispiel ein Bewertungsschema für Emissionen aus Fußbodenbelägen angegeben ist (ECA, 1997a).
Der Ausschuss für die gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten (AgBB) sieht es als eine seiner wichtigsten Aufgaben an, die Grundlagen für eine einheitliche Bewertung von Bauprodukten in Deutschland bereitzustellen, damit einerseits die Forderungen erfüllt werden, die sich aus den Landesbauordnungen und der Bauproduktenrichtlinie ergeben, und andererseits eine weitgehend nachvollziehbare und von Partikularinteressen freie Produktbewertung möglich ist. Er legt den folgenden Text in Kenntnis darüber vor, dass aus fachlicher Sicht besonders im Hinblick auf das auch in anderen Bereichen schwierig zu handhabende Thema der Bewertung noch nicht auf alle Fragen eine abschließende Antwort gegeben werden kann. Er ist aber der Meinung, dass alle derzeit verfügbaren Kenntnisse ohne weiteren Verzug im Interesse der Gesundheit der Raumnutzer eingesetzt werden sollten.
Der Ausschuss legt im Folgenden eine Bewertung der VOC-Emissionen aus Bauprodukten für Aufenthaltsräume vor, die zwischen den Kategorien "brauchbar" und "empfehlenswert" differenziert. Die Kategorie "brauchbar" genügt dabei den baurechtlichen (Mindest)Anforderungen, d. h. nach den Landesbauordnungen und der Bauproduktenrichtlinie kann für ein Bauprodukt nur die Kategorie "brauchbar" verlangt werden. Demgegenüber beinhaltet die Kategorie "empfehlenswert" einen über die baurechtlichen (Mindest)Anforderungen hinausgehenden höheren Qualitätsstandard, der auf freiwilliger Basis vereinbart werden kann.
2. Gesundheitliche Bewertung von VOC-Emissionen aus Bauprodukten
Die Literatur über die Wirkung von Innenraumluftverunreinigungen ist umfangreich (vgl. z.B. ECA, 1991b; Maroni et al., 1995). Bezüglich der von Bauprodukten ausgehenden Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen kommen neben den Geruchsempfindungen als direkt wahrnehmbare Wirkungen vor allem Reizwirkungen auf die Schleimhäute von Augen, Nase und Rachen sowie Wirkungen unterschiedlicher Stärke auf das Nervensystem in Frage. Von Bedeutung können in manchen Fällen auch allergisierende oder allergieverstärkende Wirkungen sein. Einige der emittierten Verbindungen haben auch Langzeitwirkungen.
Hierzu zählen besonders Verbindungen mit cancerogenen, mutagenen oder reproduktionstoxischen Eigenschaften.
Bei der hygienischen Bewertung von Bauprodukten steht praktisch ausschließlich die Abgabe von chemischen Verbindungen im Vordergrund, auf der auch in dieser Ausarbeitung das Augenmerk ruht. Nicht behandelt wird die Möglichkeit, dass ein Bauprodukt als Substrat für mikrobielles Wachstum dienen kann, zumal dies im Wesentlichen nur bei Vorliegen besonderer Bedingungen zum Tragen kommt (z.B. nach Feuchteschäden oder bei Verarbeitungsmängeln) und dass die dann vorhandenen Mikroorganismen und Pilze selbst so genannte MVOC emittieren.
Zur toxikologischen Bewertung von Stoffen aus Bauprodukten können die bereits verfügbaren Informationen herangezogen werden, die im günstigsten Fall Kenntnisse über Dosis-Wirkungs-Beziehungen enthalten. Aus solchen Informationen lassen sich die Konzentrationsniveaus ermitteln, unterhalb derer keine nachteiligen Wirkungen zu befürchten sind, z.B. ein NOAEL-Wert (No-observed-adverse-effect level).
Seit 1996 werden von einer Adhoc-Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Innenraumlufthygiene-Kommission (IRK) des Umweltbundesamtes und der Länderarbeitsgruppe "Umweltbezogener Gesundheitsschutz" (LAUG) der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG)3 kontinuierlich Richtwerte für die Innenraumluft erarbeitet und veröffentlicht (Ad-hoc-AG, 1996; Sagunski, H., 1996; Ad-hoc-AG, 1997; Witten et al., 1997; Englert, 1997; Englert, 1998; Sagunski, 1998; Link, 1999; Seifert, 1999).
Neben diesen Richtwerten für die Innenraumluft stehen zur Bewertung von flüchtigen chemischen Verbindungen auch Informationen aus dem Arbeitsplatzbereich in Form der Maximalen Arbeitsplatz-Konzentrationen (MAK-Werte) zur Verfügung. An Arbeitsplätzen mit betriebsbedingtem Umgang mit Gefahrstoffen liegen allerdings im Allgemeinen sehr viel höhere Stoffkonzentrationen vor, so dass die Erkenntnisse in geeigneter Weise den in normalen Innenräumen anzutreffenden Verhältnissen angepasst werden müssen. Hierzu wird im Allgemeinen mit Unsicherheitsfaktoren gearbeitet (Ad-hoc-AG, 1996). Allerdings stehen auch MAK-Werte längst nicht für alle Organika zur Verfügung, die von Bauprodukten abgegeben werden können.
Zur Ergänzung sei darauf verwiesen, dass die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1989) erarbeiteten Luftgüteleitlinien auch in ihrer revidierten Fassung (WHO, 2000) prinzipiell für die Innenraumluft anwendbar sind und dass in der Literatur eine Reihe weiterer Vorschläge publiziert wurden (Nielsen et al., 1998a,b,c).
Die bisher genannten Beurteilungsmaßstäbe basieren auf Einzelstoffbetrachtungen, obwohl immer wieder darauf verwiesen wird, dass es wichtig ist, Interaktionen von Stoffen zu bedenken. Die Berücksichtigung solcher Interaktionen ist mit Hilfe der Summenkonzentration der flüchtigen organischen Verbindungen (TVOC) möglich (Seifert, 1999). Es sei auch an dieser Stelle betont, dass ein TVOC-Richtwert aufgrund der schwankenden Zusammensetzung des in der Innenraumluft auftretenden Substanzgemisches keine konkrete toxikologische Basis hat. Die hygienische Bewertung zeigt aber, dass mit steigender TVOC-Konzentration die Wahrscheinlichkeit für Beschwerdereaktionen und nachteilige gesundheitliche Auswirkungen zunimmt (ECA, 1997b). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dass die durch VOC-Emissionen bedingte TVOC-Konzentration auch im Rahmen der gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten herangezogen wird.
Unabhängig von der Höhe der VOC-Konzentration, die zur Vermeidung von nachteiligen Wirkungen akzeptabel ist, wird eine Bewertung von Bauprodukten die Aussage einschließen müssen, dass (möglichst) keine CMR-Stoffe (cancerogene, mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe) in dem Bauprodukt enthalten sind bzw. in die Luft abgegeben werden.
Für die meisten VOC sind Richtwerte für die Innenraumluft nicht verfügbar. Im ECA-Bericht Nr. 1 8 (ECA, 1997a) wird daher empfohlen, zur Bewertung der entsprechenden Verbindungen arbeitsplatzbezogene Konzentrationen zugrunde zu legen, aus denen dann so genannte "Niedrigst interessierende Konzentrationen" (NIK) (engl. "lowest concentration of interest") abgeleitet werden, d. h. Konzentrationen, die aus toxikolo-gischer Sicht gerade noch von Interesse sind.
Grundlage für die Festsetzung von NIK ist der arbeitsplatzbezogene Wert, aus dem NIK für übliche VOC durch Division durch 100 erhalten wird (ECA, 1997a). Die Verwendung eines solchen Unsicherheits"faktors" steht in Analogie zu der Vorgehensweise bei Anwendung des Basisschemas für die Ableitung von Innenraumluft-Richtwerten (Ad-hoc-AG, 1996). Bei allen in der EU-Klassifikation als carcinogen der Klasse 3 sowie bei allen als teratogen oder reproduktionstoxisch eingestuften Stoffen wird mit dem Faktor 1000 gearbeitet.
Wenn kein arbeitsplatzbezogener Wert vorliegt, ist die Ableitung von NIK auf diese Weise nicht möglich. In solchen Fällen wird folgendes Vorgehen empfohlen:
Wenn es sich um einen Stoff aus einer homologen Reihe handelt, wird ersatzweise die niedrigste, für einen Stoff dieser homologen Reihe ermittelte NIK gewählt.
In allen anderen Fällen wird die NIK eines Stoffes gewählt, der als chemisch und wirkungsmäßig ähnlich eingeschätzt wird.
Eine Liste der NIK für eine große Zahl der in der Praxis für Bauprodukte relevanten VOC ist im Anhang aufgeführt. Es sei darauf verwiesen, dass die Zahlenwerte für NIK generell auf die nächst niedrige Zehner-, Hunderter- oder Tausenderstelle gerundet wurden. Es ist mit Bedacht nur eine signifikante Stelle angegeben, um den Eindruck einer zu großen Genauigkeit zu vermeiden. Es wird auch ausdrücklich betont, dass die so ermittelten NIK nur Hilfsgrößen für die Bewertung von Bauprodukten sind und keineswegs als Richtwerte für die Innenraumluft betrachtet werden dürfen.
3. Sensorische Aspekte
Ein wichtiges Element bei der Bewertung von Bauprodukten ist die sensorische Prüfung. Leider muss eingestanden werden, dass hierfür noch eine Reihe von Fragen offen sind, so dass dieser Aspekt hier bislang noch nicht in die tatsächliche Bewertung eingebracht werden kann. Anders als bei der chemischen Analyse bestehen noch verschiedene Auffassungen hinsichtlich einer optimalen Erfassung vor allem der geruchlichen Wahrnehmungen. Der derzeitige Stand der Erkenntnisse über Geruchsmessungen in der Innenraumluft wurde in umfassenden Berichten zusammengestellt (Fischer et al., 1998; ECA, 1999).
4. Erfassung und Bewertung von VOC-Emissionen aus Bauprodukten
4.1 Prüfkammertests zur Ermittlung von VOC-Emissionen
Zur Feststellung der Emissionen von Bauprodukten sind Untersuchungen in Prüfkammern geeignet. Es ist selbstverständlich, dass die bei solchen Untersuchungen gewählten Bedingungen das Messergebnis beeinflussen. Einige Einflussgrößen sind an den Betrieb der Prüfkammer, andere an das Probenmaterial gekoppelt. Wichtige Einflussgrößen sind einerseits Temperatur, Luftwechsel, relative Feuchte und Luftgeschwindigkeit in der Prüfkammer und andererseits Menge oder Fläche des Materials in der Kammer und Art der Vorbereitung des Prüfgutes. Der Einfluss dieser und weiterer Parameter wurde in internationalen Ringversuchen deutlich (ECA, 1993; ECA, 1995). Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Ringversuche und einer zuvor veröffentlichten Vorgehensweise (ECA, 1991a) wurde eine europäische Vornorm prENV 13419 Teile 1-3 zur Ermittlung der Emissionen von Bauprodukten veröffentlicht (DIN, 1999). Die Teile 1 und 2 beschreiben die Arbeitsweise bei Verwendung einer Prüfkammer bzw. einer Prüfzelle. In Teil 3 werden die Probenahme, Lagerung der Proben und die Vorbereitung der Prüfstücke beschrieben.
4.2 Expositionsszenarien
Für die Ableitung und sinnvolle Anwendung eines Bewertungsschemas müssen eine Reihe von Randbedingungen angenommen werden, um die aus Prüfkammermessungen erhaltenen Ergebnisse mit realen Raumluftsituationen verknüpfen zu können. Am wichtigsten sind dabei Überlegungen zu einem Szenario bezüglich der unter Praxisbedingungen zu erwartenden Exposition.
Nach der Gleichung 1 hängt für einen Flächenemittenten die Raumluftkonzentration C von der flächenspezifischen Emissionsrate Efl [µg/m2 ⋅ h] des Produktes, dem Luftwechsel n [h-1] im betrachteten Raum und dem Verhältnis von eingesetzter Produktfläche F [m2] und Raumvolumen V [m3] ab. Die Größen n, F und V können zu einer neuen Größe q [m3/h pro m2] zusammengefasst werden, die als flächenspezifische Lüftungsrate bezeichnet wird.
Efl ⋅ F | Efl | |||
C = |
| = |
| [µg/m3] (1) |
n ⋅ V | q |
Nach DIN 1946-6 (1994) liegt für Wohnräume der Außenluftstrom pro Quadratmeter, d. h. die flächenspezifische Lüftungsrate, je nach gegebener Wohnfläche etwa zwischen 1 und 1,5 m3/h m2. Stützt man sich zur Sicherheit auf das obere Ende dieses Bereiches, so ergibt dies unter Verwendung von Gleichung 1 für einen Raum mit einer Höhe von 2,7 m und einer Grundfläche von 3 m ⋅ 4 m eine Luftwechselzahl von rund 0,5 h-1. Dieser Wert entspricht etwa demjenigen, der im Mittel in der Praxis angetroffen wird. Wählt man also für den Prüfkammertest, z.B. von bodenbedeckenden Materialien, diese Bedingungen, so entspricht die in der Prüfkammer gemessene Stoffkonzentration weitgehend der in einem solchen Raum zu erwartenden. Dabei sind allerdings etwaige Unterschiede nicht berücksichtigt, die durch mögliche Sorptionseffekte auftreten können.
4.3 Bewertungsschema
Als Ergebnis der Bewertung eines Produktes wird festgestellt, ob das Produkt "brauchbar" ist. Darüber hinaus wird eine Klasse von Produkten mit deutlich besseren Eigenschaften definiert, der die Klassifizierung "empfehlenswert" zugesprochen wird. Produkte, die in keine dieser beiden Klassen fallen, sind "nicht geeignet" für Aufenthaltsräume.
Zum Zwecke der Klassifizierung durchläuft das zu bewertende Produkt eine Reihe von Tests, die in dem in Abb. 1 dargestellten Ablaufschema festgelegt sind. Die Vorgehensweise bezieht sich derzeit nur auf Produkte, die flächenförmig eingesetzt werden, und auf die Beurteilung der Emission von organisch-chemischen Stoffen.
Für eine Prüfung der ebenfalls bedeutsamen sensorischen Eigenschaften müssen genauere Details noch abgestimmt werden. Gleichwohl wird die sensorische Prüfung schon jetzt mitbehandelt. Bis zur Festlegung des Testverfahrens wird im Ablaufschema auf die Notwendigkeit einer sensorischen Prüfung nur mittels Platzhalter hingewiesen.
Das Ablaufschema geht von einem Produkt aus, das luftdicht verpackt vorliegt. Als Versuchsbeginn wird der Zeitpunkt des Entfernens der Verpackung definiert. Zu dem Ablaufschema werden die folgenden Erläuterungen gegeben.
4.3.1 Erste Prüfung der Abgabe von cancerogenen Stoffen
Die generelle Anforderung an jedes Bauprodukt ist, dass es keine cancerogenen, mutagenen oder reproduktionstoxischen Stoffe enthalten soll, d. h. es dürfen bei der Herstellung oder Formulierung des Produkts solche Stoffe nicht aktiv eingesetzt werden.
Zu einer Aussage darüber, ob nicht doch von dem zu bewertenden Produkt cancerogene Stoffe abgegeben werden, wird zum Schutz derjenigen Personen, die die sensorischen Eigenschaften beurteilen sollen, vorher eine eventuelle Abgabe solcher Stoffe geprüft. Hierzu wird das Produkt nach Entfernen der Verpackung in die Prüfkammer eingebracht. Nach 3 Tagen wird eine Analyse der Kammerluft vorgenommen. Wenn die Konzentration von als cancerogen erkannten Stoffen über 10 µg/m3 (0,01 mg/m3) beträgt, wird das Produkt abgelehnt.
Diese Festlegung einer Summenkonzentration ist naturgemäß eine Vereinfachung, da sie nicht das Wirkungspotential einzelner cancerogener Stoffe, also z.B. die Höhe des "unit risk", berücksichtigt. Aus der Kenntnis der Wirkpotentiale bekannter cancerogener VOC ist diese Festlegung als Konvention -auch unter dem Gesichtspunkt einer praxisfreundlichen Handhabung des Ablaufschemas- vertretbar.
4.3.2 TVOC-Wert nach 3 Tagen
Die Untersuchung der Kammerluft nach Abschnitt 4.3.1 kann bei entsprechender Planung gleichzeitig der Ermittlung des TVOC-Wertes nach dem bei Seifert (1999) angegebenen Verfahren dienen. Die Voraussetzung dafür, dass ein Produkt am Schluss in die Kategorie "empfehlenswert" eingeordnet werden kann, ist, dass hier ein TVOC-Wert von ≤ 1 mg/m3 festgestellt wird. Ein Wert zwischen 1 und 1 0 mg/m3 würde nur zu der Kategorie "brauchbar" führen. Bei einem höheren TVOC-Wert wird das Produkt bereits an dieser Stelle abgelehnt.
4.3.3 Erste sensorische Prüfung
Nach drei Tagen sollte ebenfalls eine erste sensorische Prüfung durchgeführt werden. Für diese Prüfung steht allerdings derzeit noch keine abgestimmte und allgemein anerkannte Vorgehensweise zur Verfügung. Als Kriterium dafür, ob ein Produkt die weiteren Testschritte durchlaufen kann, könnte gelten, dass nicht mehr als 10 % der Versuchspersonen auffällige, unangenehme oder als belastend empfundene sensorische Wahrnehmungen haben dürfen.
4.3.4 TVOC-Wert nach 28 Tagen
Mit dem Ziel einer Aussage über das Langfristverhalten der VOC Emissionen eines Bauproduktes wird auch der TVOC-Wert nach 28 Tagen bestimmt. Diese Bestimmung wird in Analogie zur Ermittlung des TVOC-Wertes nach 3 Tagen (Abschnitt 4.3.2) durchgeführt. Eine Voraussetzung dafür, dass ein Produkt am Schluss in die Kategorie "empfehlenswert" eingeordnet werden kann, ist, dass hier ein TVOC-Wert von ≤ 0,2 mg/m3 festgestellt wird. Ein Wert zwischen 0,2 und 1 mg/m3 würde nur zu der Kategorie "brauchbar" führen. Bei einem höheren TVOC-Wert wird das Produkt bereits an dieser Stelle abgelehnt.
4.3.5 Abgabe von schwerflüchtigen organischen Verbindungen (SVOC)
Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1989) angegebene siedepunktsbezogene Definition der VOC legt als obere Grenze einen Siedepunkt von 240-260°C fest. Organische Verbindungen, deren Siedepunkt im Bereich 240-260 bis 380-400 0C liegen, werden nach der WHO-Definition als SVOC bezeichnet (vgl. Seifert, 1999). Damit verhindert wird, dass Produkte positiv bewertet werden, die zwar die vorgegebenen Kriterien hinsichtlich der Emissionen von VOC einhalten, dafür aber verstärkt Emissionen von SVOC aufweisen, muss auch die SVOC-Konzentration in der Kammerluft berücksichtigt werden.
Damit ein Produkt in die Kategorie "empfehlenswert" fallen kann, darf die Summe der SVOC in der Kammerluft eine Konzentration von 0,02 mg/m3 (10% der entsprechenden VOC-Konzentration) nicht überschreiten. Für die Kategorie "brauchbar" darf die SVOC-Konzentration höchstens 0,1 mg/m3 erreichen; höhere Konzentrationen führen zur Ablehnung.
4.3.6 Zweite Prüfung der Abgabe von cancerogenen Stoffen
Es findet eine erneute Überprüfung der Abgabe von cancerogenen Stoffen statt, jetzt aber unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung für den Raumnutzer. Die Konzentration von als cancerogen erkannten Stoffen soll einen Wert von 1 mg/m3 (entsprechend 0,00 1 mg/m3) nicht übersteigen.
4.3.7 Einzelstoffbewertung
Neben der Bewertung eines Produktes über den TVOC-Wert ist die Bewertung von einzelnen VOC erforderlich, zumal der TVOC-Wert nicht toxikologisch begründet ist. Leider stehen bei einer solchen Einzelstoffbewertung nicht für alle VOC geeignete Bewertungsmöglichkeiten zur Verfügung, so dass mit pragmatischen Lösungsansätzen gearbeitet werden muss.
4.3.7.1 VOC mit Bewertungsmaßstäben
Zur Bewertung der Emissionen von einzelnen VOC werden in der Analyse der Kammerluft (vgl. Abschnitt 4.3.4) zuerst alle Verbindungen identifiziert und quantifiziert, deren Konzentration 5 µg/m3 (entsprechend 0,005 mg/m3) erreicht oder übersteigt. Diese Grenze wird gesetzt, da sie meist weit (mindestens aber um den Faktor 2) unterhalb des NIK-Werts liegt (zum NIK-Wert vgl. Kapitel 2 und Tabelle 1). Das Niveau von 5 µg/m3 ist analytisch ohne Probleme zu erreichen.
Zur Bewertung wird für jede Verbindung i das in Gleichung 2 definierte Verhältnis R, gebildet.
Ri = Ci / NIKi (2)
Hierin ist Ci die Stoffkonzentration in der Kammerluft. Es wird angenommen, dass keine Wirkung auftritt, wenn Ri den Wert 1 unterschreitet. Werden mehrere Verbindungen mit Konzentrationen > 5 µg/m3 festgestellt, so wird Additivität der Wirkungen angenommen und festgelegt, dass Ri also die Summe aller Ri, den Wert 1 nicht überschreiten darf (vgl. Gleichung 3).
R Summe aller Ri = Summe aller Quotienten (Ci /NIKi ≤ 1 (3)
Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, wird das Produkt abgelehnt.
4.3.7.2 VOC ohne Bewertungsmaßstäbe
Um der Gefahr zu entgehen, dass ein Produkt positiv bewertet wird, obwohl es größere Mengen an nicht bewertbaren VOC emittiert, wird für VOC, die nicht nach Abschnitt 4.3.7.1 beurteilt werden können, eine Mengenbegrenzung festgelegt, die für die Summe solcher Stoffe 10 % des TVOC-Wertes ausmacht. Für ein Produkt der Kategorie "empfehlenswert" darf danach die Summe solcher VOC nicht 0,02 mg/m3 übersteigen, für ein solches der Kategorie "brauchbar" darf sie höchstens 0,1 mg/m3 betragen.
4.3.8 Zweite sensorische Prüfung
Nach 28 Tagen sollte eine zweite sensorische Prüfung stattfinden, mit der sichergestellt wird, dass es nach Alterung des Produktes und den damit manchmal verbundenen chemischen Reaktionen innerhalb des Produktes zu keinen Geruchs oder anderen sensorischen Wahrnehmungen kommt. Für die Durchführung gelten analog die bereits in Abschnitt 4.3.3 gemachten Ausführungen.
4.4 Schlussaussage
Ein Bauprodukt, welches die im linken Teil des Ablaufschemas (vgl. Abb. 1) geforderten Bedingungen erfüllt, gilt als "empfehlenswert". Als "brauchbar" wird ein Bauprodukt bezeichnet, das die Bedingungen erfüllt, die aus dem rechten Teil des Schemas ersichtlich sind.
Bauprodukte, die keinen der beiden Ablaufstränge erfolgreich durchlaufen haben, sind für die Verwendung in Aufenthaltsräumen nicht geeignet.
1) Zur Zeit der Beschlussfassung 1997 hieß dieses Gremium noch "Ausschuss für Umwelthygiene" (AUH) der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamtinnen und -beamten der Länder (AGLMB)
2) BauPG 1992: Gesetz über das Inverkehrbringen von und den freien Warenverkehr mit Bauprodukten zur Umsetzung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte Bauproduktengesetz - Bau-PG). Bundesgesetzblatt 1, Nr. 39 vom 14.8.92, 1495-1501; Novellierung 1998: Bekanntmachung der Neufassung des Bauproduktengesetzes vom 28. April 1998. Bundesgesetzblatt 1, Nr. 25 vom 08.05.1998, 812-819.
3) Vor dem Ausschuss für Umwelthygiene der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamtinnen und -beamten der Länder (AGLMB)
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