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Regelwerk, Strahlenschutz
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Grundlagen zur Begründung von Grenzwerten für beruflich strahlenexponierte Personen
Empfehlung der Strahlenschutzkommission mit wissenschaftlicher Begründung

Vom 13. August 2019
(BAnz AT vom 14.11.2019 B5)



Verabschiedet im Umlaufverfahren am 7. September 2018

Die Strahlenschutzkommission (SSK) widmet die vorliegende Empfehlung mit wissenschaftlicher Begründung Herrn Dr. rer. nat. Günter Dietze, der seine letzten Beiträge für diese Publikation der SSK leider nicht mehr fertigstellen konnte. Herr Dr. Dietze verstarb am 25. Januar 2015. Über 25 Jahre engagierte sich Herr Dr. Dietze in verschiedenen Funktionen für die SSK. Er war 14 Jahre lang Mitglied der Kommission, davon vier Jahr lang stellvertretender Vorsitzender und von 2001 bis 2003 Vorsitzender des Gremiums. In den Jahren 1994 bis 2009 war er wiederholt Mitglied im Ausschuss "Strahlenschutztechnik" der SSK, den er auch viele Jahre leitete. Darüber hinaus war Dr. Dietze Mitglied zahlreicher Arbeitsgruppen der SSK, zuletzt auch der, die die vorliegende Empfehlung vorbereitet hat.

Vorwort

Generell basiert das Strahlenschutzsystem auf den drei Grundsätzen Rechtfertigung, Optimierung und Anwendung von Dosisgrenzwerten. In geplanten Expositionssituationen darf die gesamte Dosis einer Einzelperson die für berufliche Expositionen oder für die Exposition der Bevölkerung festgelegten Dosisgrenzwerte nicht überschreiten.

Vor diesem Hintergrund beauftragte das Bundesumweltministerium am 19. März 2014 die Strahlenschutzkommission, sich mit den fachlichen Grundlagen für die Begründung der Grenz- und Richtwerte zu befassen. Dabei sollen in einem ersten Schritt die Werte für beruflich strahlenexponierte Personen betrachtet werden, in einem zweiten Schritt die Werte für die Allgemeinbevölkerung. Die Beratungen fokussierten sich auf die Grenzwerte der effektiven Dosis durch die berufliche Strahlenexposition. Grenzwerte der Äquivalentdosis in einzelnen Organen und Geweben werden im Rahmen eines weiteren Beratungsauftrags in einer noch folgenden Empfehlung der SSK behandelt werden.

Zur Erarbeitung des Entwurfs der vorliegenden Empfehlung richtete die SSK eine Arbeitsgruppe ein, der folgende Mitglieder angehörten:

Die Arbeitsgruppe der SSK nahm im Jahr 2014 ihre Beratungstätigkeit auf.

Der besonderen Bedeutung des Themas wurde insbesondere dadurch Rechnung getragen, dass abweichend vom üblichen Verfahren der erste Entwurf der Empfehlung mit wissenschaftlicher Begründung am 22. März 2017 im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung der Arbeitsgruppe mit der gesamten SSK und allen ihren Ausschüssen einschließlich des SSK-Krisenstabs zur Diskussion gestellt wurde. Die Ergebnisse dieser Veranstaltung wurden in das vorliegende Dokument übernommen.

Der Stichtag zur Berücksichtigung einschlägiger Empfehlungen und Literatur ist der 1. April 2017.

Bonn, im September 2018

Dr. Peter JacobProf. Dr. Joachim Breckow
Vorsitzender der Arbeitsgruppe
"Grundlagen der Grenzwerte
für die berufliche Strahlenexposition"
der Strahlenschutzkommission
Vorsitzender
der Strahlenschutzkommission

1 Einleitung

Mit Datum vom 19. März 2014 hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) die Strahlenschutzkommission (SSK) beauftragt, "sich mit den fachlichen Grundlagen für die Begründung der Grenz- und Richtwerte zu befassen. Dabei sollten in einem ersten Schritt die Werte für beruflich strahlenexponierte Personen betrachtet werden,...". In der folgenden Empfehlung der SSK wird diesem Auftrag nachgekommen. Den allgemeinen Begründungen der Grenzwerte für Expositionen durch ionisierende Strahlen in Kapitel 2 folgt die Erläuterung des "Detriments" als ein Schadensmaß für die Verursachung stochastischer Gesundheitsschäden in Kapitel 3. Im Bereich niedriger effektiver Dosen (< 100 mSv) ist die Verursachung von stochastischen Effekten, nämlich die Verursachung von Krebs und von genetisch vererbbaren Defekten, für die Grenzwertsetzung entscheidend. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte haben ergeben, dass der Verursachung von Krebs bei der Gewichtung der Gesundheitsschäden in diesem Dosisbereich die größte Bedeutung zukommt. Nach dem Kapitel 4 über strahlenbedingte Krebsrisiken folgt ein Bericht über Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexpositionen, die in neuerer Zeit stärker beachtet werden. In einem weiteren Kapitel wird über die Grenzwerte für berufliche Expositionen mit genotoxischen Kanzerogenen und die Grundlagen für deren Festsetzung berichtet. Es folgt eine Übersicht über die beruflichen Strahlenexpositionen in Deutschland. Schließlich wird als Resümee eine zusammenfassende Empfehlung zu den Schutzkonzepten und -standards für Arbeitsplätze unter Betrachtung der Situation für ionisierende Strahlen und andere kanzerogene Agenzien, zur Begrenzung der Berufslebensdosis, zur Begrenzung der jährlichen effektiven Dosis und zu Maßnahmen zur Verbreiterung der Evidenzbasis im Bereich des jährlichen Grenzwerts sowie zur Notwendigkeit eines spezifischen Kommunikationskonzeptes gegeben.

Ionisierende Strahlen können gesundheitliche Schäden hervorrufen. Am Arbeitsplatz ist daher eine Begrenzung der Strahlenexposition notwendig. Im Bereich niedriger effektiver Dosen (< 100 mSv) sind die stochastischen Effekte entscheidend. Die durch Strahlung verursachten DNA-Schäden und Prozesse ihrer Reparatur haben für den Beginn der Entwicklung von stochastischen Gesundheitsschäden eine große Bedeutung. Die ersten Nachweise einer DNA-Reparatur erfolgten zwar nach Exposition durch UV-Strahlung, dennoch sind die Bemühungen um Grenzwerte für die UV-Strahlung nicht in dieses Dokument aufgenommen worden, da bisher keine gesicherten Dosis-Wirkungsbeziehungen für den Zusammenhang zwischen UV-Strahlen und der Hautkrebsinzidenz vorliegen.

Die Internationale Strahlenschutzkommission (International Commission on Radiological Protection, ICRP) hat in Hinsicht auf den Strahlenschutz für die stochastischen Effekte die Anwendung einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellendosis (LNT-Modell; Linear nothreshold model) und weitere Prinzipien des Strahlenschutzes empfohlen. Um auch bei einer heterogenen Verteilung der Expositionen im menschlichen Körper den Gesamteffekt beurteilen zu können, ist das Konzept der effektiven Dosis unter Gewichtung der unterschiedlichen Strahlenempfindlichkeit für die Verursachung stochastischer Effekte in einzelnen Organen und Geweben entwickelt worden.

Der Strahlenschutz basiert auf drei Grundsätzen:

  1. der Rechtfertigung von Tätigkeiten, die zu Strahlenexpositionen führen,
  2. der Optimierung von Strahlenschutzmaßnahmen unter Einbeziehung von Dosisrichtwerten (dose constraints) und
  3. den Grenzwerten zur Begrenzung des Strahlenrisikos.

Die Dosisrichtwerte sind ein wichtiges Instrument in Verbindung mit der Optimierung, um die Strahlenexposition der Beschäftigten soweit wie sinnvollerweise möglich unterhalb der Dosisgrenzwerte zu halten. Diese Grundsätze sind insbesondere für die Planung, aber auch für den Betrieb der Einrichtungen anzuwenden. Während die stochastischen Effekte durch die Grenzwerte, angegeben als effektive Dosis, begrenzt werden, werden deterministische Effekte, für deren Verursachung Schwellendosen bestehen, durch Grenzwerte für einzelne Organe bzw. Gewebe vermieden. Diese Teilkörperdosisgrenzwerte werden in Dosisbereichen unterhalb der Schwellendosen festgelegt. In den folgenden Kapiteln werden überwiegend die Grenz- und Richtwerte für stochastische Effekte beschrieben und diskutiert und nicht die Teilkörperdosisgrenzwerte, durch die deterministische Strahleneffekte mit Schwellendosen in der Dosis-Wirkungsbeziehung vermieden werden. Dies wird bereits im Rahmen einer Begründung von Organdosisgrenzwerten von der SSK bearbeitet.

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates am 27. Juni 2017 das "Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung" (Strahlenschutzgesetz - StrlSchG) beschlossen. Details zu den Dosisgrenzwerten (definiert als effektive Dosis), die sich im Vergleich zu den bisherigen Regelungen nicht verändert haben, werden durch zukünftige Rechtsverordnungen geregelt.

Die Dosisgrenzwerte für die effektive Dosis dürfen nicht unmittelbar für die Beurteilung von Berufskrankheiten herangezogen werden. Für diese Bewertung ist es stets notwendig, die Strahlendosen in den kritischen, betroffenen Organen/Geweben zu ermitteln. Ferner sind Regeln und Gesetze des Sozialrechtes zu berücksichtigen.

2 Bisherige Begründungen der Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen

Die Grenzwerte wurden mit dem Ziel abgeleitet, schädliche deterministische Effekte (wie Hautschäden oder Fertilitätsstörungen) zu verhindern und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von stochastischen Effekten (bösartige Tumoren, Leukämie und Erbkrankheiten) auf ein Maß zu beschränken, das als tolerabel 1 angesehen wird. Bei Unfällen und Katastrophen werden andere Maßstäbe zugrunde gelegt.

Als akzeptabel gilt ein Risiko, das nach Optimierung von Strahlenschutzmaßnahmen unterhalb des tolerablen Risikos vernünftigerweise erreicht werden kann. Für tolerabel wurde von der ICRP in Publikation 60 (ICRP 1991) ein Risiko von einem Todesfall pro Jahr pro tausend Personen gehalten, was letztlich zu dem Grenzwert von 20 mSv effektive Dosis pro Jahr geführt hat.

Alles, was über dieses Risiko hinausgeht, ist grundsätzlich nicht tolerabel. Deutschland hat zusätzlich eine Begrenzung der Berufslebensdosis von 400 mSv effektive Dosis festgelegt.

Mit der Begrenzung der Uterusdosis auf 2 mSv im Monat für gebärfähige Frauen, um höhere Strahlenexpositionen des Embryos/Fetus bei unerkannter Schwangerschaft zu vermeiden, hat Deutschland eine Sonderregelung eingeführt. Ab mitgeteilter Schwangerschaft bis zu deren Ende soll zum Schutz des ungeborenen Kindes die Uterusdosis der Schwangeren maximal 1 mSv betragen.

3 Das Detriment im Strahlenschutz

Verschiedenen Krebsarten kann selbst bei gleicher Erkrankungswahrscheinlichkeit eine unterschiedliche Bedeutung oder Relevanz zugeordnet werden. Eine solche Unterschiedlichkeit kann sich beispielsweise aus verschiedener Letalität, Verkürzung der Lebenserwartung für eine an der Krebsart gestorbene Person oder aus dem Verlust an Lebensqualität ergeben.

Ein Schadensmaß, das die Relevanz eines strahleninduzierten stochastischen Effekts (Krebserkrankungen und Erbschäden) einbezieht, ist das sogenannte "Detriment" (ICRP 2007). Hierbei handelt es sich um das Produkt aus der Eintrittswahrscheinlichkeit pro Dosis für den Effekt (z.B. für eine bestimmte Krebsart) und der Schadensqualität bzw. um ein mit der Schadensqualität gewichtetes Risiko. Während die Eintrittswahrscheinlichkeit von den Bedingungen der Strahlenexposition (z.B. von der Dosis) abhängt, ist die Schadensqualität, d. h. die Schwere der Erkrankung, davon unabhängig.

Die Angabe eines auf diese Weise zusammengesetzten Detriments (Schadensmaß) ermöglicht demnach den quantitativen Vergleich verschiedener (strahleninduzierter) Krebsarten hinsichtlich ihres zugeordneten Schadensausmaßes. Beispielsweise wird ein Schilddrüsenkrebs mit guter Prognose bei gleicher Eintrittswahrscheinlichkeit geringer bewertet und gewichtet als ein Lungenkrebs mit schlechter Prognose bzw. hoher Letalität. Auch für strahleninduzierte Erbschäden wird ein Detriment festgelegt (das sich allerdings nicht auf epidemiologische Daten stützt).

Für die erwachsene Bevölkerung und für die Gesamtheit aller stochastischen Wirkungen hat die ICRP in ihrer Empfehlung ICRP 103 für das "totale" Detriment (totaler nomineller Risikokoeffizient) den Wert 4,2 % pro Sv angegeben (ICRP 2007). Hierin enthalten ist das Detriment für Erbschäden mit 0,1 % pro Sv, das demnach gegenüber dem für Krebserkrankungen eine untergeordnete Rolle spielt.

Prinzipiell eignet sich das Konzept einer organspezifischen Schadensgewichtung auch, um Krebserkrankungen durch verschiedene Ursachen bzw. verursachende Agenzien einem gemeinsamen Vergleichsmaßstab zu unterwerfen.

4 Krebsrisiken nach Strahlenexpositionen mit einer effektiven Dosis in der Größenordnung von 100 mSv

Das strahleninduzierte Inzidenz- und Mortalitätsrisiko für maligne Tumoren und Leukämie beim Menschen hängt von der Strahlendosis ab, wobei unter anderem auch das Alter der Exponierten bei Exposition sowie das erreichte Alter und das Geschlecht eine Rolle spielen. Mittelt man über beide Geschlechter und das Alter, so kommen verschiedene internationale Gremien zu dem Schluss, dass für das Auftreten einer Krebserkrankung bei einer Exposition im Erwachsenenalter mit einer effektiven Dosis von 100 mSv im Mittel ein zusätzliches Lebenszeitrisiko von etwa 1 % zu erwarten ist. Für das Mortalitätsrisiko werden etwa halb so große absolute Risiken angegeben. Für eine Berufslebensdosis von 400 mSv kann von einem ca. viermal so hohen Risiko ausgegangen werden. Das strahleninduzierte absolute Risiko für Leukämie ist bei Erwachsenen etwa zehnmal geringer als das für maligne Tumoren.

Diese Angaben basieren auf Analysen von Ergebnissen, die in epidemiologischen Studien an mit ionisierender Strahlung exponierten Populationen gewonnen wurden. Eine zentrale Rolle spielen dabei Studien an den Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Zusätzliche Informationen zur Wirkung ionisierender Strahlung wurden auch an aus medizinischen Gründen exponierten Personengruppen und an Kohorten, wie zum Beispiel Beschäftigten in kerntechnischen Anlagen verschiedener Länder und Bewohnern in radioaktiv kontaminierten Gebieten, gewonnen. Viele dieser Personengruppen werden kontinuierlich untersucht und entsprechend wird in regelmäßigen zeitlichen Abständen eine Aktualisierung der beobachteten Gesundheitsrisiken nach Exposition mit ionisierender Strahlung, häufig auf der Basis verbesserter Dosisabschätzungen, veröffentlicht.

Gegenwärtig ist die epidemiologische Beweislage für einen Zusammenhang von Krebserkrankungen und Strahlenexpositionen von Erwachsenen mit einer effektiven Dosis deutlich unterhalb von 100 mSv unklar.

5 Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexposition

Es gibt eine große Anzahl epidemiologischer Studien von Herz-Kreislauferkrankungen in strahlenexponierten Populationen. Allerdings werden wesentliche Risikofaktoren wie Rauchen, Hyperlipidämie, Hypertonie, Diabetes mellitus, Übergewicht und körperliche Inaktivität in den meisten Studien nicht oder nur teilweise erfasst. Es ist zwar davon auszugehen, dass Subtypen von Herz-Kreislauferkrankungen unterschiedliche Dosis-Wirkungsbeziehungen aufweisen, es liegen jedoch im Wesentlichen nur stabile Studienergebnisse für größere Gruppen von Herz-Kreislauferkrankungen, wie zerebrovaskuläre Erkrankungen oder ischämische Herzerkrankungen, vor.

Neuere strahlenbiologische Untersuchungen zeigen zunehmend, dass sich Strahlenwirkungen nach Expositionen mit einer Dosis von einigen hundert Millisievert nicht nur in der Höhe, sondern insbesondere auch in der Art von Strahlenwirkungen nach hohen Expositionen unterscheiden. Strahlenbiologische Messungen weisen daher eher auf eine Nichtlinearität der Dosis-Wirkungsbeziehung hin. In einigen epidemiologischen Studien wurden die Ergebnisse am besten durch eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung beschrieben, in anderen mindestens genauso gut durch Funktionen mit deutlich kleineren Risikowerten bei niedrigen Dosen (insbesondere rein quadratische Funktionen und lineare Funktionen mit einem Schwellenwert höher als einige hundert Milligray).

Die ICRP hat im Jahr 2012 abgeschätzt, dass eine Dosis von 500 mSv durch eine Ganzkörperexposition mit Niedrig-LET-Strahlung zu einem Lebenszeitrisiko für zerebrosvaskuläre Erkrankungen und ischämische Herzerkrankungen in der Größenordnung von jeweils 1 % führt. Neuere Studien haben die Abschätzung der ICRP bestätigt.

Es kann davon ausgegangen werden, dass Herz-Kreislauferkrankungen für die Grenzwertsetzung beruflicher Strahlenexpositionen eine geringere Bedeutung haben als Krebserkrankungen.

6 Grenzwertsetzung bei der beruflichen Exposition mit genotoxischen kanzerogenen Stoffen

Die Grenzwertsetzung bei der beruflichen Exposition mit Kanzerogenen ist in Europa nicht einheitlich geregelt. Im deutschen Regelwerk wird der Schutz des Menschen bei der beruflichen Exposition mit Kanzerogenen und anderen Gefahrstoffen in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV 2016) geregelt und in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) konkretisiert. In den TRGS 910 wird ein risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen formuliert, bei dem ein Toleranzrisiko in Höhe von 4:1.000 und ein Akzeptanzrisiko in Höhe von 4:10.000 (ab dem Jahr 2018 von 4:100.000) durch die Exposition während des gesamten Berufslebens festgelegt werden. Unter Risiko wird die (statistische) Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer berufsbedingten Krebserkrankung während des gesamten Lebens verstanden. Unterhalb des Akzeptanzrisikos werden von staatlicher Seite außer organisatorischen Maßnahmen keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen gefordert. Das Toleranzrisiko beschreibt die Schwelle, oberhalb der Beschäftigte nicht exponiert werden sollen. Die Höhe der Risikowerte wird durch einen Vergleich mit anderen beruflichen Krebs- und Lebensrisiken, Gesundheitsrisiken für die allgemeine Bevölkerung und Regelungen in einigen anderen europäischen Ländern begründet.

Gegenwärtig wird jedes Kanzerogen separat bewertet. Es ist in der Diskussion, bei Mehrfachexposition eine Summenformel einzuführen. Hierzu fordert die TRGS 910 die Mitteilung von Tätigkeiten mit gleichzeitiger Exposition gegenüber mehreren Kanzerogenen an den Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS).

7 Berufliche Strahlenexposition in Deutschland

Seit den 1960er Jahren wird die berufliche Strahlenexposition in der Bunderepublik Deutschland und der damaligen DDR überwacht. Seit ca. dem Jahr 1990 werden die Daten der beruflichen Exposition im Strahlenschutzregister des Bundes zusammengeführt. Die berufliche Strahlenexposition entsteht durch externe oder interne Exposition beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder in Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung bei zugelassenen Tätigkeiten, durch die kosmische Strahlung beim Betrieb von Luftfahrzeugen und durch natürlich vorkommende Radioaktivität an Arbeitsplätzen.

Mit Ausnahme der beruflichen Exposition des fliegenden Personals können die effektiven Jahresdosen durch logarithmische Normalverteilungen mit hoher Häufigkeit sehr niedriger Dosen und einer geringen Anzahl höherer Dosen beschrieben werden. Beim fliegenden Personal können die Jahresdosen durch eine Normalverteilung beschrieben werden.

Seit 1990 hat sich die berufliche Strahlenexposition als Folge des Optimierungsgrundsatzes deutlich verringert. Die Mittelwerte der effektiven Dosis durch die berufliche Strahlenexposition lagen für die tatsächlich Exponierten (ca. 50.000) unter den 351.901 strahlenschutzüberwachten Personen im Jahr 2012 in der Medizin bei 0,4 mSv, in der Industrie bei 0,9 mSv, in der Kerntechnik bei 1,0 mSv, beim fliegenden Personal bei 2,0 mSv und beim Personal von Wasserwerken, Schauhöhlen und der Wismut GmbH bei 3,0 mSv.

Von 1.445 813 im Strahlenschutzregister erfassten Personen lagen für 535.293 Personen Werte der effektiven Dosis > 0 mSv vor, die zur Abschätzung der Berufslebensdosen herangezogen wurden. Danach lagen 95 % der Berufslebensdosen unter 10 mSv, 100 mSv wurden nur in 0,4 % der Fälle überschritten. Strahlenexpositionen von mehr als 200 mSv traten in 0,1 % der Fälle auf. Für 268 Personen (0,02 % der registrierten Fälle) weist das Strahlenschutzregister für die Zeit von 1960 bis 2012 eine Berufslebensdosis über 400 mSv aus. Etwa 90 % der rein rechnerischen 400-mSv-Überschreitungen entstanden vor dem Jahr 2000, etwa 70 % zwischen 1970 und 1990 (BfS 2014, persönliche Mitteilung Frasch/BfS vom 28. Februar 2012).

Die effektive Dosis für fliegendes Personal wird erst seit dem Jahr 2004 erfasst. Der Median der Berufslebensdosis der langjährig (13 Jahre) Beschäftigten liegt bei 30 mSv, das 95. Perzentil bei etwa 45 mSv. Bei einer Extrapolation auf das gesamte Berufsleben des fliegenden Personals sind Berufslebensdosen von mehr als 100 mSv möglich und könnten für einen Teil der Beschäftigten 150 mSv übersteigen. Berufslebensdosen von mehr als 200 mSv sind in Einzelfällen nicht auszuschließen.

Die effektive Dosis durch erhöhte Exposition aus natürlicher Radioaktivität wird ebenfalls erst seit Januar 2004 für ca. 400 Beschäftigte erfasst. Der Median der Berufslebensdosis der langjährig (13 Jahre) Beschäftigten liegt bei 100 mSv. Damit werden in dieser Berufsgruppe die höchsten Jahresdosen beobachtet. Da diese Expositionen überwiegend durch Radon an Arbeitsplätzen verursacht werden, sind die Dosisangaben angesichts der derzeitigen Ungewissheit bezüglich der Dosiskoeffizienten für Radon möglicherweise um einen Faktor 2 zu niedrig. Es ist derzeit auch nicht abzusehen, wie groß die Anzahl der Beschäftigten sein wird, die an Arbeitsplätzen mit einer Radonkonzentration von mehr als 300 Bq pro m 3 arbeiten und deren Expositionen zukünftig im Strahlenschutzregister zu berücksichtigen sind. Generell erlaubt die Datenlage derzeit keine sinnvolle Extrapolation auf längere Beschäftigungszeiten. Allerdings sind die Wirkungen von Maßnahmen im Rahmen der Optimierung des Schutzes der betroffenen Beschäftigten noch nicht abschätzbar.

8 Zusammenfassende Empfehlung

Zusammenfassend wird in diesem Kapitel zu den folgenden übergeordneten Themen Stellung genommen:

  1. Schutzkonzepte und -standards für Arbeitsplätze mit ionisierender Strahlung sowie mit kanzerogenen und genotoxischen Stoffen,
  2. Begrenzung der Berufslebensdosis,
  3. Begrenzung der jährlichen Dosis und
  4. Handlungsbedarf.

Zu diesen Themen werden Empfehlungen ausgesprochen.

8.1 Schutzkonzepte und -standards für Arbeitsplätze mit ionisierender Strahlung sowie mit kanzerogenen Stoffen

Es ist festzustellen, dass sich die Konzepte des Strahlenschutzes an Arbeitsplätzen und die Konzepte für den Schutz an Arbeitsplätzen mit anderen kanzerogenen Risiken in den letzten Jahren weiter angenähert haben. Wesentlicher Grund dafür ist die Etablierung von Dosis-Wirkungsbeziehungen als Grundlage für die Akzeptanz und Toleranz von gesundheitlichen Risiken durch krebserzeugende Stoffe im Rahmen der Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS 910).

Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV 2016) bezieht sich auf das Risiko durch die Lebensarbeitszeit-Exposition: Unterhalb eines zusätzlichen tolerablen Krebsinzidenzrisikos von vier pro 1.000 Personen besteht die "Verpflichtung, den Stand der Technik weiterzuentwickeln, um die Exposition gegenüber dem jeweiligen Stoff in Richtung Akzeptanzschwelle zu verschieben". Dies lässt sich als eine Regelung entsprechend des Optimierungsgrundsatzes im Strahlenschutz interpretieren. Unterhalb des Akzeptanzrisikos werden zwar außer organisatorischen keine zusätzlichen Reduktionsmaßnahmen mehr gefordert, das Akzeptanzrisiko ist aber mit einem Wert von vier Fällen pro 10.000 Personen (ab dem Jahr 2018 von vier Fällen pro 100.000 Personen) sehr gering. Die Festlegungen des tolerablen und des akzeptablen Risikos erfolgten im Rahmen eines gesellschaftlichen Abstimmungsprozesses.

Empfehlung 1

Die SSK empfiehlt in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Risikokommission (RK 2003), dass vor dem Hintergrund des bisher Erreichten weitergehende Anstrengungen zur Harmonisierung der Begrifflichkeiten und Konzepte zur Ableitung von Grenzwerten sowie zur Festlegung von Verfahren zur Abschätzung und Bewertung von gesundheitlichen Risiken an unterschiedlichen Arbeitsplätzen unternommen werden.

8.2 Begrenzung der Berufslebensdosis

Im Jahr 1989 wurde durch die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) die Berufslebensdosis auf eine effektive Dosis von 400 mSv begrenzt. Dieser Grenzwert entspricht einem Lebenszeitrisiko von etwa 4 % für eine zusätzliche Krebserkrankung.

Die in ICRP 60 genannten praktischen Gründe, die aus damaliger Sicht gegen die Empfehlung einer Begrenzung der Lebenszeitdosis sprachen (stark unterschiedliche Expositionen während der Arbeitsdauer, Probleme bei der kontinuierlichen Überwachung über lange Zeiträume), haben sich bisher in der Praxis in Deutschland als nicht maßgeblich erwiesen. Die ICRP geht in ihrer Publikation 103 auf die oben genannten Argumente nicht mehr explizit ein.

Seit Beginn der Registrierung der beruflichen Strahlenexpositionen vor ca. 60 Jahren wurden für ca. 0,02 % der registrierten Personen rechnerische Überschreitungen des Grenzwerts der Berufslebensdosis von 400 mSv ermittelt.

Berufsgruppen, die tendenziell die höchsten Berufslebensdosen haben, sind das fliegende Personal und Beschäftigte an Arbeitsplätzen mit erhöhten Expositionen durch natürliche Radioaktivität (Radon). Die vorliegenden Daten reichen allerdings nur bis zum Jahr 2004 zurück. Für das fliegende Personal sind derzeit Berufslebensdosen von mehr als 200 mSv in Einzelfällen nicht auszuschließen. Der Median der Berufslebensdosis der langjährig (13 Jahre) an Arbeitsplätzen mit erhöhter natürlicher Radioaktivität exponierten Personen liegt derzeit zwar bei 100 mSv, die Dosisangaben sind allerdings angesichts der bestehenden Ungewissheit bezüglich der Dosiskoeffizienten für Radon mit Unsicherheiten verbunden. Erschwerend kommt hinzu, dass die vorliegenden Fallzahlen gering sind, sodass eine sinnvolle Extrapolation auf längere Beschäftigungszeiten derzeit kaum möglich erscheint.

Aus grundsätzlichen Erwägungen hält die SSK eine Begrenzung der Berufslebensdosis aus folgenden Gründen für sinnvoll: Die Begrenzung der Berufslebensdosis dient der Objektivierung und Nachprüfbarkeit der gesundheitlichen Risiken an den einschlägigen Arbeitsplätzen. Zur Quantifizierung der Risiken ist ein Wert der Berufslebensdosis oberhalb von 100 mSv beim gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über gesundheitliche Risiken ionisierender Strahlung wesentlich besser geeignet als ein Wert der jährlichen Dosis, der deutlich unterhalb von 100 mSv liegt.

Die bestehende Regelung ermöglicht es der Vollzugsbehörde, bei Grenzwertüberschreitung angemessen vorzugehen. Dies bedeutet u. a., dass in jedem Einzelfall die medizinischen Befunde sowie fachliche und sonstige Gründe in die Entscheidungsfindung bezüglich der Weiterbeschäftigung am Arbeitsplatz einfließen sollten.

Das mit dem Wert von 400 mSv verbundene Risiko für eine zusätzliche Krebserkrankung liegt um eine Größenordnung höher als das an Arbeitsplätzen mit einem genotoxischen Karzinogen tolerierte Risiko. Trotz der um etwa einen Faktor 10 unterschiedlichen numerischen Werte der Risikokoeffizienten für Arbeitsplätze mit ionisierender Strahlung bzw. mit genotoxischen chemischen Stoffen ist nicht zwangsläufig das Schutzniveau für die genotoxischen Stoffe höher einzustufen als für ionisierende Strahlung. Dafür gibt es folgende Gründe:

Für die Risikoabschätzung nach Exposition durch ionisierende Strahlung im Bereich der Berufslebensdosis liegen umfangreiche Daten zur Inzidenz und Mortalität von Krebserkrankungen beim Menschen sowie detaillierte Dosisabschätzungen für die betroffenen Personen vor. Risikoabschätzungen beim Umgang mit genotoxischen kanzerogenen Stoffen beruhen dagegen auf Toleranzwerten, die überwiegend aus Tierexperimenten abgeleitet wurden und deshalb größere Unsicherheiten bei der Übertragung auf den Menschen haben.

Darüber hinaus besteht ein grundlegender Unterschied bei der Berücksichtigung unterschiedlicher Expositionen. Bei Expositionen durch ionisierende Strahlung werden die Beiträge aus allen Quellen zusammengefasst und als ein Agens betrachtet. Bei den genotoxischen kanzerogenen Stoffen werden dagegen jeweils nur Einzelexpositionen betrachtet. Für die Risikoabschätzung im Bereich kanzerogener Stoffe ist es auch möglich, dass gegebenenfalls mehrere Substanzen bei der Risikoabschätzung berücksichtigt werden müssen. Zurzeit findet eine solche Summenbetrachtung nicht statt. Allerdings sollen Tätigkeiten mit gleichzeitiger Exposition gegenüber mehreren Kanzerogenen dem Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) zur Kenntnis gegeben werden.

Eine Quantifizierung der mit diesen unterschiedlichen Vorgehensweisen verbundenen Unsicherheitsbereiche in den numerischen Werten liegt derzeit nicht vor.

Empfehlung 2

Die SSK empfiehlt, das Konzept der Begrenzung der Berufslebensdosis in Deutschland zu erhalten. Insbesondere soll das Konzept der Berufslebensdosis in die internationale Diskussion eingebracht werden (z.B. in der Expertengruppe gemäß Artikel 31 Euratom-Vertrag und der ICRP). Auch für den Fall, dass eine im Grunde wichtige internationale Vereinheitlichung nicht erreicht werden kann, soll das Konzept der Begrenzung der Berufslebensdosis in Deutschland erhalten bleiben.

Empfehlung 3

Die SSK empfiehlt dem BMU, die Diskussion über die Höhe des Grenzwerts der Berufslebensdosis weiterzuführen und die Höhe des tolerablen Krebsrisikos durch Expositionen an unterschiedlichen Arbeitsplätzen mit den anderen zuständigen Ministerien mit dem Ziel einer Harmonisierung zu diskutieren.

Darüber hinaus empfiehlt sie, die Diskussion über die Höhe des Werts der Berufslebensdosis durch regelsetzende Institutionen sowohl im Hinblick auf die Begrenzung der strahlenbedingten Risiken als auch im Hinblick auf eine weitere Harmonisierung der Bemühungen zur Begrenzung gesundheitlicher Risiken an unterschiedlichen Arbeitsplätzen weiterzuführen. Die SSK empfiehlt, darauf hinzuwirken, dass dabei - wie bisher üblich - die gesellschaftlichen Bewertungen der Risiken in der Diskussion mit berücksichtigt werden.

Es sollten insbesondere folgende Punkte betrachtet werden:

(1) Im praktischen Strahlenschutz wird der gegenwärtige Grenzwert der Berufslebensdosis nur in sehr seltenen Fällen erreicht. Allerdings sind bei dieser Feststellung die Besonderheiten und die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten bezüglich der Expositionsbestimmung an Arbeitsplätzen mit erhöhter natürlicher Radioaktivität zu berücksichtigen.

(2) Änderungen des bestehenden Systems des Strahlenschutzes sollten nur dann angestrebt werden, wenn sie hinreichend wissenschaftlich und gesamtgesellschaftlich begründbar sind und wenn damit tatsächlich eine deutliche Verbesserung des Strahlenschutzes beispielsweise im Sinne eines größeren Nutzen-Risiko-Verhältnisses erzielt werden kann (vgl. hierzu auch die Empfehlung der SSK "Dosis- und Dosisleistungs-Effektivitätsfaktor (DDREF)" (SSK 2014a)).

(3) Im deutschen Arbeitsschutz wird derzeit für genotoxische Kanzerogene schrittweise das unter 8.1 beschriebene Konzept eingeführt. Dies sollte im Sinne der weiteren Bemühungen um Harmonisierung der Schutzkonzepte berücksichtigt werden.

8.3 Begrenzung der jährlichen Dosis

Der Grenzwert der jährlichen effektiven Dosis durch berufliche Strahlenexposition liegt seit mehr als 20 Jahren unverändert bei 20 mSv. Aus Sicht der SSK ist diese Begrenzung fachlich sinnvoll.

Trotz vielfältiger Verbesserungen der Evidenzbasis für die Risikoermittlung innerhalb des letzten Jahrzehnts lassen es die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten bei der Quantifizierung der gesundheitlichen Risiken bei Expositionen im Bereich von 20 mSv nicht zu, eine Änderung des bestehenden Werts fachlich zu begründen. Unter diesen Umständen kommt der Stabilität des gegenwärtigen beruflichen Strahlenschutzsystems ein hoher Wert zu.

Nach den Empfehlungen der ICRP dienen Dosisrichtwerte (dose constraints) unterhalb des Grenzwerts der Optimierung von arbeitsplatzspezifischen Maßnahmen. Sie stellen auf der einen Seite Planungsgrundlagen für die Begrenzung von Expositionen bei speziellen Arbeitsvorgängen dar, auf der anderen Seite dienen sie der Überprüfung der erforderlichen Maßnahmen zur Dosisbegrenzung und Optimierung im laufenden Betrieb.

Die Mittelwerte der jährlichen Expositionen für die etwa 350.000 überwachten Personen haben sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund der konsequenten Anwendung des Optimierungsgrundsatzes deutlich verringert. In Deutschland stellen Überschreitungen des Grenzwerts von 20 mSv pro Jahr die Ausnahme dar; laut Parlamentsbericht wurden im Zeitraum 2002 bis 2012 pro Jahr zwischen drei und 23 Personen mit Überschreitungen des Grenzwerts von 20 mSv festgestellt (BMUB 2014a).

Bei Überschreitung des Grenzwerts einer jährlichen beruflichen Strahlenexposition begrenzt das Strahlenschutzgesetz (StrlSchG 2017) die kumulative Dosis in fünf Jahren auf 100 mSv. Damit ist durch die Exposition während eines relativ kleinen Teils der Lebensarbeitszeit ein strahlungsbedingtes Risiko von 1 % für eine zusätzliche Krebserkrankung nicht ausgeschlossen. Insofern gelten die in Empfehlung 2 formulierten Überlegungen auch in diesem Fall.

Empfehlung 4

Die SSK empfiehlt, eine internationale Diskussion des 5-Jahres-Grenzwerts von 100 mSv effektiver Dosis anzustoßen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich zwar die wissenschaftliche Evidenz zur Bewertung strahlenbedingter gesundheitlicher Risiken in diesem Dosisbereich nicht verändert hat, die gesellschaftliche Bewertung der Risiken aber durchaus Veränderungen unterworfen ist.

Unabhängig von dieser Empfehlung betont die SSK erneut die Zweckmäßigkeit der Einführung von geeigneten Dosisrichtwerten (dose constraints) durch den Strahlenschutzverantwortlichen als zentrales Optimierungsinstrument, das bei der Planung und beim Betrieb von speziellen Anlagen berücksichtigt werden sollte (SSK 2014b).

8.4 Handlungsbedarf

Der im Folgenden beschriebene Handlungsbedarf ist aus fachlicher Sicht begründet durch die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten bei der Quantifizierung der gesundheitlichen Risiken im Bereich um und unterhalb des jährlichen Grenzwerts. Ein wichtiger Aspekt der Bemühungen um eine weitere Harmonisierung bei der Bewertung unterschiedlicher Risiken besteht darin, den Diskurs zur Risikobegrenzung unter Beteiligung der Stakeholder (z.B. Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Wissenschaftler, Gesetzgeber) fortzuführen.

Empfehlung 5

Die SSK empfiehlt, Anstrengungen zu unternehmen, um die bestehenden Unsicherheiten bei der Quantifizierung der Risiken ionisierender Strahlung weiter zu verringern. Wesentliche Voraussetzung ist die Kontinuität der Forschung (einschließlich der Forschungsförderung) über Jahrzehnte hinweg, die Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Konzepte in die empirische (epidemiologische) Forschung (z.B. Etablierung von Biobanken) und die konsequente Fortführung von Grundlagenforschung (z.B. Verständnis des Mechanismus der Karzinogenese und der individuellen Strahlenempfindlichkeit, Identifizierung/Validierung von Biomarkern und ihre Integration in die Risikoquantifizierung). Aufgrund der Dimension der wissenschaftlichen Herausforderung ist eine internationale Bündelung der vorhandenen Fachkompetenz geboten, z.B. im Rahmen der Forschungsplattformen, die im EURATOM-Programm etabliert wurden.

In offener Diskussion muss unter Berücksichtigung sowohl wissenschaftlicher als auch gesellschaftlicher Aspekte ein Konsens darüber hergestellt werden, welche Risiken durch berufliche Expositionen für die Gesellschaft tolerabel sind (RK 2003).

Die Kommunikation der wissenschaftlichen Evidenz als Grundlage der Grenzwertsetzung stellt die zentrale Herausforderung dar, da sie weit über die Vermittlung von wissenschaftlichen Fakten hinausgeht.

Empfehlung 6

Die SSK empfiehlt, in Übereinstimmung mit der früheren Empfehlung der Risikokommission (RK 2003) die "Transparenz der Abschätzungs- und Entscheidungsverfahren durch effektive Formen der Dokumentation und Risikokommunikation zu ergänzen, um die vorgenommenen Abschätzungen und die getroffenen Maßnahmen des Risikomanagements für alle einsichtig und nachvollziehbar zu machen". In diesen Entwicklungsprozess sollten Kommunikationsexperten eingebunden werden, und es sollten insbesondere beruflich strahlenexponierte Personen eine Zielgruppe der Kommunikation sein.

9 Literatur

BfS 2014Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Hrsg. Autoren: Frasch G, Kammerer L, Karofsky R, Mordek E, Schlosser A, Spiesl J. Die berufliche Strahlenexposition in Deutschland 2012: Bericht des Strahlenschutzregisters. Bundesamt für Strahlenschutz, Fachbereich Strahlenschutz und Gesundheit. 1. April 2014, BfS-SG-22/14. urn:nbn:de:0221-2014032711370
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Wissenschaftliche Begründung der Empfehlung der Strahlenschutzkommission

1 Einleitung

Eine Exposition von Personen mit ionisierender Strahlung kann gesundheitliche Schäden hervorrufen. Dies hatte sich bereits kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlung durch W. C. Röntgen im Jahr 1895 bei der Herstellung und Prüfung von Röntgenröhren sowie den diagnostischen Anwendungen im Bereich der Medizin gezeigt. Ebenso wurden gesundheitliche Schäden durch ionisierende Strahlen beobachtet, die bei dem von Becquerel 1896 entdeckten radioaktiven Zerfall entstehen. Dabei handelte es sich um Gewebeschäden vorwiegend der Haut, Hautkrebs und auch Leukämien bei höheren Dosen (Molineus et al. 1992). Auf eine detaillierte Beschreibung der historischen Entwicklung der Messung von ionisierender Strahlung und des Strahlenschutzes einschließlich der Grenzwerte im 20. Jahrhundert wird hier verzichtet. Man findet sie ausführlich dargestellt z.B. bei Mould (1993), Lindell (1996), Streffer (2010) und Busch (2013). Die historische Entwicklung ist hier nur insofern von Interesse, soweit sich die Grundlage für die Wahl von Grenzwerten erheblich geändert hat.

Zunächst wurde von der Internationalen Strahlenschutzkommission (International Commission on Radiological Protection, ICRP) eine "Toleranzdosis" für die Gonaden (genetische Effekte), die blutbildenden Organe und die Augenlinsen bei Beschäftigten im Alter von > 18 Jahren vorgeschlagen (ICRP 1959, ICRP 1960). Als weitere "kritische" Organe kamen die Haut und die Schilddrüse hinzu. Seit längerer Zeit wird angenommen bzw. ist bekannt, dass bei Expositionen im Bereich niedriger (< 100 mSv) Dosen im Wesentlichen nur stochastisch auftretende Schäden, die Verursachung von Krebs und Erbschäden (vererbbare Defekte) beobachtet bzw. angenommen werden, für die eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellendosis (LNT-Modell) für die Zwecke des Strahlenschutzes angenommen wird, während andere akute Gesundheitseffekte und spätere Gewebeschäden erst bei höheren Dosen (oberhalb spezifischer Dosisschwellen) beobachtet werden (ICRP 1977, ICRP 2007, ICRP 2012). Das LNT-Modell hat sich für den Strahlenschutz als sehr sinnvoll und praktikabel erwiesen. Es wird jedoch immer wieder kritisch mit der Annahme von Schwellendosen diskutiert (z.B. Tubiana et al. 2005). Auf der Basis dieser Erkenntnisse im niedrigen und mittleren Dosisbereich sind es die genannten stochastischen Effekte, die für die Setzung der Grenzwerte entscheidend sind (ICRP 2007). Aufgrund neuerer epidemiologischer Befunde und auch einiger experimenteller Daten wird für die Verursachung vor allem von Katarakten der Augenlinse und auch von Herz-Kreislauferkrankungen diskutiert, dass keine Schwellendosis und eine höhere Strahlenempfindlichkeit vorliegt, als früher angenommen worden ist.

Ferner wurde zunehmend beobachtet, dass häufig eine heterogene Dosisverteilung in den menschlichen Geweben und Organen, insbesondere nach Inkorporation radioaktiver Stoffe, auftritt. Um die unterschiedliche Strahlenempfindlichkeit einzelner Organe bzw. Gewebe hinsichtlich der Verursachung stochastischer Effekte sowie die heterogene Dosisverteilung zur Abschätzung des gesundheitlichen Gesamtrisikos zu erfassen, schlug Jacobi 1975 das Konzept der "effektiven Dosis" vor. Dieses Konzept basiert auf der Annahme, dass bei kleinen Strahlendosen das Gesamtrisiko (Detriment) für eine durch ionisierende Strahlen exponierte Person durch die Summe der Schäden in den einzelnen Organen und Geweben repräsentiert wird. Im Jahr 1977 wurde daher zur Begrenzung stochastischer Effekte an Stelle der "Toleranzdosen" die Ganzkörperdosis mit 50 mSv pro Jahr als Grenzwert eingeführt (ICRP 1977). Es wurde das Prinzip zugrunde gelegt, dass das Risiko für eine homogene wie für eine inhomogene Dosisverteilung im Körper identisch sein sollte. Es wurden Strahlenwichtungsfaktoren für einzelne Strahlenqualitäten und Gewebewichtungsfaktoren für einzelne Gewebe bzw. Organe festgelegt, die den Anteil des stochastischen Risikos wiedergeben, mit dem die betreffenden Gewebe bzw. Organe an dem Gesamtrisiko bei einer homogenen Ganzkörperbestrahlung beteiligt sind (ICRP 1977). Diese Dosisgröße wurde zunächst als "effective dose equivalent" bezeichnet (ICRP 1985) und in den ICRP-Empfehlungen 1990 als "effective dose" 2 umbenannt (ICRP 1991).

Der vorliegende Bericht ist auf die Wirkung und Begrenzung ionisierender Strahlen im niedrigen bis mittleren Dosisbereich (bis zu 1.000 mSv) und Berücksichtigung des Gesamtrisikos der Strahlenexposition fokussiert. Diesen Zwecken dient im Strahlenschutz die effektive Dosis. Damit werden die stochastischen Effekte der Strahlenexposition auf ein tolerables Maß begrenzt (ICRP 2007). Die Begrenzung der Organ- und Gewebedosen und damit die Vermeidung deterministischer Gesundheitsschäden werden nicht tiefergehend diskutiert.

Die wissenschaftlichen experimentellen Daten ergeben starke Hinweise, dass durch die Strahlung verursachte DNA-Schäden am Beginn der Entwicklung von stochastischen Gesundheitsschäden stehen und dass Reparaturprozesse dieser DNA-Schäden eine große Bedeutung haben. Dieses gilt sowohl für die Entwicklung vererbbarer Defekte als auch von Krebs. Die DNA-Schäden (Strangbrüche der DNA-Polynukleotid-Ketten u. a.) können auch nach kleinen Strahlendosen (10 mSv) gemessen werden (Streffer et al. 2004). Unklar ist jedoch, welche DNA-Schäden und in welcher Weise diese Schäden zu Krebs führen. Die ersten Nachweise einer DNA-Reparatur erfolgten nach Exposition durch UV-Strahlung. Dennoch sind die Bemühungen um Grenzwerte für die UV-Strahlung nicht in dieses Dokument aufgenommen worden, da bisher keine gesicherten Dosis-Wirkungsbeziehungen für die Verursachung von Krebs durch UV-Strahlen vorliegen. Damit können keine Risikofaktoren nach Exposition durch UV-Strahlen angegeben werden.

Stochastischer Schaden bedeutet, dass ein gesundheitlicher Schaden immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftritt, die dann mit zunehmender Dosis ansteigt. Der Begriff des Schadens ist komplex und hat sich in den letzten 50 Jahren erheblich geändert. Während man früher als Schaden neben den Erbschäden im Wesentlichen nur das Mortalitätsrisiko durch Krebs betrachtete (ICRP 1977, ICRP 1991), werden heute aufgrund besserer epidemiologischer Daten zum Auftreten von Krebserkrankungen bei strahlenexponierten Personen neben der Krebsmortalität vor allem das Risiko, an Krebs zu erkranken, und andere Beeinträchtigungen (Lebenszeitverkürzung, Verringerung der Lebensqualität) berücksichtigt (ICRP 2007). Ferner haben die wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte ergeben, dass dem Krebsrisiko eine wesentlich größere Bedeutung zukommt als den vererbbaren genetischen Effekten. Eine ausführliche Erläuterung des Begriffes des gesundheitlichen Schadens (Detriment) bei stochastisch auftretenden Schäden wird in Kapitel 3 gegeben. In den letzten Jahren hat sich darüber hinaus gezeigt, dass durch ionisierende Strahlung in niedrigen bis mittleren Dosisbereichen auch Schäden an der Augenlinse und am Herz-/Kreislaufsystem hervorgerufen werden können. Die Daten zum letzteren Gebiet werden in Kapitel 5 ausführlich behandelt.

Krebs ist eine häufige Todesursache. Er wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher genetischer und molekularer Mechanismen ausgelöst. Der manifesten, klinisch auftretenden Erkrankung ist ihr Entstehungsmechanismus oder gar die Rolle einzelner Risikofaktoren bei der Entstehung des Krebses nicht "anzusehen". Das Strahlenrisiko (d. h. die Wahrscheinlichkeit für einen gesundheitlichen Schaden infolge einer Exposition) ist nach geringen Strahlendosen wegen der Häufigkeit und den großen Schwankungen von "spontanen" Krebserkrankungen und Mutationen in Abhängigkeit von der Zeit, der Region und vielfältigen anderen Faktoren derzeit nicht messbar. Der Schwankungsbereich der Hintergrundkrebsinzidenz ist größer als ein möglicher Strahleneffekt bei niedrigen Dosen. Da generell angenommen wird, dass zwischen einer applizierten Dosis und dem Strahlenrisiko eine eindeutige Beziehung existiert, ist im gesamten Strahlenschutz die Dosis (Körperdosen: Organdosis, effektive Dosis) die wichtigste Bezugsgröße (ICRP 2007). Zwar können auch die Körperdosen, die als mittlere Dosis in den Organen und Geweben des menschlichen Körpers definiert sind, nicht direkt gemessen werden. Doch kann man sie mit Hilfe von messbaren Größen (z.B. Teilchenfluenz, Luftkerma, Personendosis, Konzentration radioaktiver Stoffe in der Luft und der Nahrung) und berechneten Konversionskoeffizienten zwischen den gemessenen Größen und den Körperdosisgrößen näherungsweise ermitteln. Da die Konversionskoeffizienten mit Hilfe zweier anthropomorpher Referenzphantome, einem weiblichen und einem männlichen Erwachsenen, berechnet werden (ICRP 2007), sind die ermittelten Daten allerdings nur Körperdosen, die zwar die Expositionssituation einer Referenzperson berücksichtigen, aber nicht den spezifischen Körper eines einzelnen, individuellen Menschen. Schon aus diesem Grund kann auch eine quantitative Beziehung (Konversionskoeffizient) zwischen dem Strahlenrisiko und der Körperdosis nur als Mittelwert über eine große Personenzahl angesehen werden. Es kommt hinzu, dass auch das Strahlenrisiko selbst die Aussage einer Wahrscheinlichkeit beinhaltet. Da das Strahlenrisiko einer einzelnen Person u. a. von dem Geschlecht, dem Alter und der individuellen Strahlenempfindlichkeit abhängt, kann eine quantitativ eindeutige Beziehung zwischen dem Strahlenrisiko und einer applizierten Körperdosis nur als Mittelwert über eine große Anzahl von Personen (für eine Referenzperson) angegeben werden. Die ermittelte effektive Dosis ist also risikobezogen, sie gibt nicht das Risiko eines spezifischen Individuums an.

Auf die Frage, wie im praktischen Strahlenschutz im Einzelnen die Strahlenexposition von Personen unter den verschiedenen Expositionssituationen ermittelt wird, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die SSK hat dazu im Jahr 2013 einen umfangreichen Bericht publiziert (SSK 2013).

Unter der Annahme des LNT-Modells ist das Strahlenrisiko für einen gesundheitlichen Schaden dividiert durch die applizierte Körperdosis eine Konstante. Die Risikoerhöhung pro Dosisinkrement (d. h. die Steigung der Risikofunktion) wird bei stochastischen Effekten unter Annahme des LNT-Modells im niedrigen Dosisbereich als Risikokoeffizient bezeichnet. Die Abhängigkeit von der Dosis kann aus epidemiologischen Studien für erwachsene "Normalpersonen" allerdings nur bei mittleren bis höheren Dosen (100 mSv und höher) ermittelt werden (siehe Kapitel 4). Deshalb hat man seit langer Zeit versucht, Informationen über die Dosis-Wirkungsbeziehungen bei niedrigeren Dosen mit Hilfe strahlenbiologischer Modelle aus strahlenbiologischen Untersuchungen an Einzelzellen oder Zellkulturen und auch Tierversuchen zu gewinnen. Diese Untersuchungen an Zellen beziehen sich allerdings auf sehr unterschiedliche biologische Endpunkte und auch die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus diesen Experimenten auf die Situation beim Menschen ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Eine ausführliche Darstellung der aktuellen Situation ist kürzlich von der SSK publiziert worden (SSK 2014).

Ein Risikokoeffizient kann wie oben dargelegt nur mit epidemiologischen Studien, d. h. mit Hilfe statistischer Methoden aus der Betrachtung einer großen Anzahl von Personen, ermittelt werden, wobei allerdings in der Regel die applizierten Dosen der Einzelpersonen eine wichtige Grundlage bilden. Diese Strahlendosen werden entweder durch Messungen, mit Hilfe simulierter Expositionssituationen oder auch durch theoretische Berechnung von Expositionen ermittelt.

Nach wie vor bilden die Ergebnisse der sogenannten Life Span Study (LSS), die Daten der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki, die wichtigste Quelle für Risikoschätzungen. Diese Daten werden in regelmäßigen Abständen von der Radiation Effects Research Foundation (RERF) in Japan publiziert.

Es ist bis heute nicht geklärt, ob auch Expositionen mit geringen effektiven Dosisleistungen von einigen mSv pro Jahr, wie sie z.B. ständig durch die überall auf der Erde vorhandene Strahlung aus natürlichen Quellen erfolgen, beim Menschen gesundheitliche Schäden hervorrufen. In diesem niedrigen Dosisleistungsbereich kann ein Risikokoeffizient aus epidemiologischen Untersuchungen wegen der großen statistischen Unsicherheit nicht wirklich ermittelt werden. Dennoch beschreibt man (siehe oben) seit vielen Jahren für Zwecke des Strahlenschutzes im Bereich niedriger Dosen und Dosisleistungen die Relation zwischen der empfangenen Dosis und ihrer Wirkung auf den Menschen näherungsweise durch eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Dosisschwelle (LNT-Modell) (ICRP 1959, ICRP 1960, ICRP 1977, ICRP 1991, ICRP 2007). Damit ergibt sich ein konstanter Risikokoeffizient im niedrigen Dosisbereich (< 100 mSv). Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass bei niedrigen Dosen und Dosisleistungen das Risiko (d. h. die Wahrscheinlichkeit für einen gesundheitlichen Schaden infolge der Exposition) unabhängig von der zeitlichen Abfolge und Dauer der Strahlenexposition ist. Mit dieser Annahme ist es deshalb für das betrachtete Strahlenrisiko im niedrigen Dosisbereich ohne Belang, ob die Dosis an einem einzigen Tag oder gleichmäßig über ein Jahr verteilt appliziert wird. Diese Betrachtung ist eine wesentliche Bedingung für die Rechtfertigung von Jahres- und vor allem von Lebenszeit-Dosisgrenzwerten.

Generell baut das gesamte Strahlenschutzsystem auf drei Grundsätzen auf, die von der ICRP formuliert (ICRP 1977, ICRP 1991, ICRP 2007) und darauf aufbauend von der EU in ihren Euratom-Richtlinien (Euratom 1996, Euratom 2014) und auch im Strahlenschutzgesetz vom 3. Juli 2017 (StrlSchG 2017) festgelegt sind. Es sind dieses:

  1. Der Grundsatz der Rechtfertigung: Bei Entscheidungen, mit denen eine Tätigkeit eingeführt wird, die die Strahlenexpositionssituation verändert, soll der mit der Tätigkeit verbundene Nutzen für den Einzelnen und für die Gesellschaft die durch sie möglicherweise verursachte gesundheitliche Schädigung überwiegen.
  2. Der Grundsatz der Optimierung des Schutzes: Für die Bevölkerung und für beruflich exponierte Personen soll angestrebt werden, die Wahrscheinlichkeit einer Exposition, die Anzahl der exponierten Personen und die Höhe der Individualdosen unter Berücksichtigung des vorhandenen technischen Erkenntnisstandes sowie wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar zu halten (wird oft auch als ALARA 3-Prinzip bezeichnet).
  3. Der Grundsatz der Anwendung von Dosisgrenzwerten: In geplanten Expositionssituationen darf die gesamte Dosis einer Einzelperson die für berufliche Expositionen oder für die Exposition der Bevölkerung festgelegten Dosisgrenzwerte nicht überschreiten. Dosisgrenzwerte gelten nicht bei medizinischen Expositionen.

Im praktischen Strahlenschutz spielen die beiden ersten Grundsätze in der Regel eine größere Rolle als die Dosisgrenzwerte, da bei der weitaus größten Anzahl der strahlenschutzüberwachten Personen die ermittelten Jahreswerte der effektiven Dosis weit unterhalb des gesetzlichen vorgegebenen Dosisgrenzwerts liegen. Damit wird eine Annahme der ICRP (ICRP 1977) bei der Festlegung des Dosisgrenzwerts für das stochastische Gesamtrisiko, nämlich dass der Medianwert der Dosisverteilung aller beruflich Strahlenexponierten am Arbeitsplatz weit unterhalb des Dosisgrenzwerts liegt, bestätigt. Weitere Annahmen waren, dass nur wenige Beschäftigte am Arbeitsplatz eine effektive Dosis nahe des Grenzwerts erhalten und dass diese Beschäftigten nur sehr selten mehrere Jahre hintereinander derartige Strahlendosen erhalten.

Bei der Planung von Anlagen sowie der Planung des Einsatzes von Personen in Kontroll- bzw. Überwachungsbereichen spielen Grenzwerte eine erhebliche Rolle. In der ICRP-Publikation 60 (1991) sind in diesem Zusammenhang die "Dose Constraints" (Dosisrichtwerte) eingeführt worden, deren Bedeutung in Verbindung mit der Optimierung in der ICRP-Publikation 103 (2007) verstärkt worden ist. Die "Dose Constraints" müssen im Kontext sowohl mit der Optimierung als auch mit den Dosisgrenzwerten gesehen werden. Während die Dosisgrenzwerte mit ihrem Dosiswert die Exposition aus allen zivilisatorisch bedingten Quellen limitieren, beschränken die "Dose Constraints" sich stets auf die Exposition aus einer Quelle, die sowohl bei der Planung als auch während des Betriebs optimiert wird.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen nicht auf Expositionen, die generell als unvermeidlich angesehen werden, wie z.B. Expositionen aus natürlichen Quellen, der alle Menschen ausgesetzt sind, sondern auf zusätzliche, von Menschen geplante und kontrollierbare Expositionen an Arbeitsplätzen. Damit ist die Personengruppe charakterisiert, die durch berufliche Tätigkeiten möglichen Expositionen ausgesetzt ist (beruflich strahlenexponierte Personen). Die im Folgenden diskutierten Grundlagen zur Festlegung von Grenzwerten beziehen sich überwiegend auf die Grenzwerte für diese Gruppe der beruflich strahlenexponierten Personen und nicht auf Grenzwerte für die allgemeine Bevölkerung, die im Schwankungsbereich der natürlichen Exposition liegen. Es werden ferner keine Expositionssituationen mit kombinierten Expositionen (ionisierende Strahlen plus andere toxische Agenzien) behandelt. Über die Möglichkeiten solcher Effekte nach kombinierten Expositionen ist eingehend berichtet worden (UNSCEAR 2000, Streffer et al. 2000). Ebenso werden nichtionisierende Strahlen nicht betrachtet.

Im deutschen Berufskrankheitenrecht werden in der Liste der Berufskrankheiten unter der Nummer 2402 "Erkrankungen durch ionisierende Strahlen" aufgeführt. In der Dokumentation zu Berufskrankheiten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) finden sich bis im Jahr 1990, d. h. ohne die Thematik Uranerzbergbau Wismut, jährlich im Mittel weniger als 10 Fälle mit gesicherter beruflicher Verursachung einer Erkrankung durch ionisierende Strahlen. Mit der Übernahme der Zuständigkeit für berufliche Einwirkungen im Uranerzbergbau der früheren DDR stieg diese Zahl auf 408 Fälle einer Krebserkrankung im Jahr 1995 an und nimmt seither kontinuierlich ab. Im Jahr 2015 wurden weniger als 50 Krebserkrankungen als Berufskrankheit anerkannt. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Dosisgrenzwerte für die effektive Dosis nicht unmittelbar für die Beurteilung von Berufskrankheiten herangezogen werden dürfen. Für diese Bewertung ist es stets notwendig, die Strahlendosen in den kritischen, betroffenen Organen/Geweben zu ermitteln. So handelt es sich bei den Krebserkrankungen der Uranbergarbeiter ganz überwiegend um Krebserkrankungen des Atemtraktes. Damit ist die Dosis in den betroffenen Bereichen des Atemtraktes und nicht die effektive Dosis entscheidend. Auch sind das Alter und eventuelle weitere gesundheitliche Phänomene für die Beurteilung einer Berufskrankheit zu beachten. Ferner sind Regeln und Gesetze des Sozialrechts zu berücksichtigen.

Die berufliche Strahlenexposition, für die die effektive Dosis ermittelt wird, ist definiert als die Exposition von Beschäftigten, Auszubildenden und Studierenden während ihrer Arbeit. Sie entsteht durch externe oder interne Exposition beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung bei zugelassenen Tätigkeiten, durch die kosmische Strahlung in Flughöhen für das fliegende und raumfahrende Personal, durch erhöht vorkommende, natürliche radioaktive Stoffe und Radon an Arbeitsplätzen und bei der Sanierung von radioaktiven Altlasten. Für alle Personen in dieser Gruppe, mit Ausnahme der unter 18-Jährigen und von schwangeren Frauen, gelten die gleichen Grenzwerte, unabhängig von Alter, Geschlecht und individueller Strahlenempfindlichkeit der betrachteten Person. Eine Ausnahme bildet der Grenzwert der Organ-Äquivalentdosis der Gebärmutter zum besonderen Schutz des ungeborenen Lebens. Auch die Exposition von Einsatzkräften in einer Notfall-Expositionssituation gilt als berufliche Exposition. Hierbei gibt es an Stelle von Grenzwerten jedoch Referenzwerte.

Die Festlegung von Grenzwerten zum Schutz von Personen vor gesundheitlichen Risiken in Folge einer Strahlenexposition ist generell ein sehr komplexes Problem. Es ist relativ einfach, sofern es sich um Effekte handelt, die erst oberhalb einer gewissen Dosisschwelle auftreten. Dies ist in der Regel der Fall bei den Gewebereaktionen außer Krebs (deterministische Schäden, z.B. akute Haut- oder Schleimhautreaktionen sowie chronisch auftretende fibrotische Veränderungen der Haut oder anderer Organe). Setzt man in diesen Fällen einen Grenzwert unterhalb der Dosisschwelle, dann lassen sich bei Einhaltung dieser Grenzwerte derartige Schäden vermeiden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Variation der individuellen Strahlenempfindlichkeit bedingt, dass für eine größere Anzahl von Personen der Schwellenwert kein einzelner Wert ist, sondern nur durch eine Verteilungsfunktion beschrieben werden kann (Streffer et al. 2000). Das muss man bei der Grenzwertfestlegung berücksichtigen.

Während die stochastischen Effekte also durch die Grenzwerte, angegeben als effektive Dosis, begrenzt werden, werden deterministische Effekte, für deren Verursachung Schwellendosen bestehen, durch Grenzwerte für einzelne Organe bzw. Gewebe vermieden. Diese Teilkörperdosisgrenzwerte werden auf Dosiswerte unterhalb der Schwellendosen festgelegt. In den folgenden Kapiteln werden, wie bereits betont, nahezu ausschließlich die Grenz- und Richtwerte für stochastische Effekte und nicht die Teilkörperdosisgrenzwerte beschrieben und diskutiert.

Im Falle von stochastischen Schäden, deren Eintrittswahrscheinlichkeit bei niedrigen Dosen für Strahlenschutzzwecke durch eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwelle (LNT-Modell) beschrieben wird, kann ein Dosisgrenzwert nur auf der Basis wissenschaftlicher Daten zum Gesundheitsrisiko und weiterer gesellschaftlicher Überlegungen

festgelegt werden. Dazu gehören auch einerseits die Fragen, welches zusätzliche gesundheitliche Risiko im Vergleich mit anderen Risiken, denen eine Person allgemein im normalen Leben ausgesetzt ist, als tolerierbar angesehen wird und in welchem Umfang man den Vorsorgeaspekt berücksichtigen sollte. Andererseits muss die Dosis-Wirkungsbeziehung bekannt sein, da nur auf der Basis dieser Beziehung das gesundheitliche Risiko, das einer bestimmten Dosis zugeordnet werden kann, anzugeben ist und damit ein Dosisgrenzwert sinnvoll gesetzt werden kann. Bei der Grenzwertsetzung für genotoxische Substanzen wird zwischen einem "tolerierbaren Risiko", das für eine Übergangszeit hingenommen werden muss, und einem "akzeptablen Risiko", das keine weiteren Maßnahmen erfordert, unterschieden (Kapitel 7).

Dabei ist die Beantwortung der wichtigen Fragestellung, bei der es um den Vergleich und die Bewertung von sehr unterschiedlichen Risiken und die daraus zu ziehenden Konsequenzen geht, ein gesellschaftliches Problem. So gibt es beispielsweise viele toxische Stoffe, die einen Krebs auslösen können, der nach einigen Jahrzehnten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftritt, oder es bestehen Unfallrisiken im beruflichen Umfeld, die unmittelbar nach dem Unfall direkt sichtbar sind. Der direkte Vergleich und die gemeinsame Bewertung dieser unterschiedlichen Folgen sind sicher problematisch. Dabei sind vielfältige Situationen zu berücksichtigen. Im Gegensatz zum Unfallrisiko während des unmittelbaren Zeitraumes einer beruflichen Tätigkeit ist für das Risiko eines gesundheitlichen Schadens infolge einer Strahlenexposition und anderer Karzinogene als Bezugszeit die gesamte restliche Lebenszeit zu betrachten. Die Frage der Vergleichbarkeit von Risiken und des Festlegens von Grenzwerten kann letztlich nicht alleine von der Wissenschaft, sondern muss ausgehend von den wissenschaftlichen Grundlagen von der Gesellschaft bzw. von der Politik und Verwaltung beantwortet werden (Huthmacher 2011). Dabei kann sich diese Frage im Laufe der Zeit infolge des sich ändernden Risikobewusstseins der Gesellschaft immer wieder neu stellen. Auf jeden Fall muss die Wissenschaft die Grundlagen mit wissenschaftlich erhobenen Daten liefern, die für eine Entscheidungsfindung benötigt werden. Da die Risikowahrnehmung sich ändert und neue wissenschaftliche Kenntnisse gewonnen werden, müssen die Regelungen periodisch überprüft werden. Die vorliegende Empfehlung soll hierfür die wissenschaftliche Basis liefern. In den letzten 80 Jahren hat im Bereich des Strahlenschutzes auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und ethischer Wertungen die ICRP Grenzwerte empfohlen, die dann anschließend weltweit auch von den weitaus meisten Staaten in die Gesetzgebung übernommen wurden. Aufgabe der SSK im Rahmen dieses Prozesses ist es, die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der strahlenbedingten Risiken einschließlich deren wissenschaftlichen Unsicherheiten sowie die Grenzen der Nachweisbarkeit für das Bundesumweltministerium als eine Entscheidungsgrundlage aufzubereiten und zu erläutern. In der vorliegenden Empfehlung hat die SSK die bisherigen Standards im beruflichen Strahlenschutz einschließlich der Erfahrungen bei deren Anwendung sowie die aktuellen Erkenntnisse kritisch geprüft und bewertet. Es wurden auch die neueren Entwicklungen im internationalen Bereich (UNSCEAR, ICRP, IAEA, EU) berücksichtigt. Außerdem wurden Konzepte und Regelungen für den Arbeitsschutz an unterschiedlichen Arbeitsplätzen (z.B. in Bereichen der Chemie) berücksichtigt mit dem Ziel, langfristig eine Harmonisierung der unterschiedlichen Konzepte und eine Vergleichbarkeit der Standards im Arbeitsschutz zu erreichen.

Die Festlegung von Schutzstandards für Arbeitsplätze ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf der einen Seite den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die arbeitsplatzbezogenen gesundheitlichen Risiken und auf der anderen Seite gesellschaftliche Aspekte, insbesondere die Frage der Akzeptanz des Risikos am Arbeitsplatz, sowie praktische Erfahrungen bei der Anwendung der Schutzstandards mit einbeziehen muss. Die Stabilität und Kontinuität des Schutzsystems hat sich bei den Entscheidungsprozessen der letzten Jahrzehnte als weiteres wesentliches Element herausgestellt. Die Frage nach der Dosis-Wirkungsbeziehung ist dagegen eine Frage, die immer wieder an die Wissenschaft gestellt wird, solange es für den im Strahlenschutz wichtigen Dosisbereich unterhalb von etwa 100 mSv keine zweifelsfreie Antwort gibt.

Betrachtet man die historische Entwicklung der Grenzwertsetzung für die Personengruppe der beruflich Strahlenexponierten, die erstmals 1958 als spezifische Gruppe definiert wurde (ICRP 1959), dann zeigt sich innerhalb der nachfolgenden Jahrzehnte ein erheblicher Wandel. Das betrifft u. a. die Definition und Einheiten der relevanten Dosisgrößen (Röntgen, Rem, Sievert), die Definition des Schadens (Detriment) (s. Kapitel 3), die zu betrachtenden relevanten Risiken und nicht zuletzt die zunehmenden Kenntnisse über die Qualität und die Höhe der Risikokoeffizienten (siehe Kapitel 4).

Die SSK hat in den letzten Jahren Berichte publiziert, die sich mit der Bewertung des Dosis- und Dosisleistungseffektivitätsfaktors (DDREF) (SSK 2014) und der Dosis-Wirkungsbeziehung für Herz-Kreislauferkrankungen infolge einer Exposition mit ionisierender Strahlung (SSK 2012) befassen. Das Ergebnis hat das Bundesumweltministerium veranlasst, die SSK zu beauftragen, sich mit den fachlichen Grundlagen für die Begründung der Grenz- und Richtwerte im Bereich ionisierender Strahlung zu befassen. In der vorliegenden Empfehlung wird nun als erstes die Situation für den Bereich der beruflich strahlenexponierten Personen betrachtet.

Diese Empfehlung der SSK bezieht sich auf den Strahlenschutz bei geplanten Expositionssituationen am Arbeitsplatz sowie auf den Strahlenschutz während des normalen Betriebs der geplanten Einrichtungen und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken. Die im Strahlenschutzgesetz enthaltenen besonderen Regelungen für außergewöhnliche, im Einzelfall zu beurteilende Umstände (§ 78 Absatz 5 StrlSchG) und insbesondere die Ausnahmeregelungen im Falle von Notfalleinsätzen (§ 114 Absatz 2 und 3 StrlSchG) werden nicht behandelt. Auf die Regelungen zu den Begrenzungen der Organ-Äquivalentdosis wird ebenfalls nicht eingegangen. Diese sind Gegenstand weiterer Beratungsaufträge des Bundesumweltministeriums an die SSK.

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2 Bisherige Begründungen der Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen

2.1 Grundlagen

Die ICRP empfiehlt seit dem Jahr 1934 in unregelmäßigen Abständen Dosisgrenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen. Zuvor gab es 1925 einen Vorschlag von Mutscheller und Sievert, die Dosis pro Jahr auf 10 % der Erythemdosis zu begrenzen (entspricht etwa 30 R pro Jahr 4 für 100 kV-Röntgenstrahlen bzw. etwa 70 R pro Jahr für 200 kV-Röntgenstrahlen). Bis 1977 schlug die ICRP Äquivalentdosis-Grenzwerte vor, ohne allerdings ein umfassendes Strahlenschutzkonzept zu entwickeln - 1934: 0,2 R pro Tag bzw. 1 R pro Arbeitswoche; 1950: 150 mSv pro Jahr bzw. etwa 3 mSv pro Arbeitswoche; 1956: 50 mSv pro Jahr bzw. etwa 1 mSv pro Arbeitswoche.

Mit der Publikation ICRP 26 im Jahr 1977 formulierte die ICRP ein komplettes Strahlenschutzkonzept, in dem die Dosisgrenzwerte zwar eine wichtige, aber nicht die Hauptrolle spielten (ICRP 1977). Zunächst muss die Exposition durch ionisierende Strahlung gerechtfertigt sein (justification; der Nutzen soll höher als der Schaden sein). Die Exposition unterliegt dem ALARA-Prinzip (as low as reasonably achievable) unter Berücksichtigung ökonomischer und gesellschaftlicher Faktoren. Es muss unter Beachtung dieser Prinzipien für Optimierung gesorgt werden und erst dann werden die Dosisgrenzwerte aufgeführt. Viele der im Folgenden erläuterten Begründungen gehen letztlich auf ICRP 26 zurück, einige weitere kamen hinzu in den Empfehlungen ICRP 60 von 1990 (ICRP 1991) und ICRP 103 aus dem Jahr 2007 (ICRP 2007), die damit das soeben beschriebene Konzept auf den jeweils neuesten Stand der Wissenschaft und gesellschaftlichen Entwicklungen brachten sowie verfeinerten.

Die ICRP entwickelt Empfehlungen zum Strahlenschutz. Diese haben rechtlich gesehen jedoch keinerlei Bindungscharakter. Dennoch werden sie weltweit weitgehend übernommen. Allerdings bleiben für die einzelnen Staaten gewisse Freiheiten, um andere bzw. zusätzliche Dosisgrenzwerte zu verwenden, was auch in Deutschland geschehen ist.

2.2 Generelle Begründung

ICRP 26 formulierte eine generelle Begründung für die Dosisgrenzwerte (§ 9): "The aim of radiation protection should be to prevent detrimental nonstochastic effects and to limit the probability of stochastic effects to levels deemed to be acceptable."

Da "nonstochastic effects" (in ICRP 60 als "deterministic effects" und in ICRP 103 auch als "tissue reactions" bezeichnet 5) sich dadurch auszeichnen, dass zunächst eine Schwellendosis überschritten werden muss, bevor dann mit zunehmender Dosis die Schwere und wegen der Unterschiede in der individuellen Strahlenempfindlichkeit die Häufigkeit der Erkrankung zunimmt, ist es relativ einfach, für diese Strahleneffekte Dosisgrenzwerte zu formulieren. Die Grenzwerte müssen lediglich mit einem gewissen Sicherheitsabstand unterhalb der Schwellendosen liegen. Das Auftreten von deterministischen Effekten ist damit ausgeschlossen. Daher schlug die ICRP in der Publikation 26 als Grenzwert für alle Organe 500 mSv pro Jahr 6 vor, mit Ausnahme der Augenlinse, für die ein Dosisgrenzwert von 300 mSv pro Jahr empfohlen wurde. Diese Dosisgrenzwerte gelten unabhängig davon, ob die Organe/Gewebe einzeln oder mit anderen Organen/Geweben gemeinsam exponiert werden.

Wesentlich schwieriger stellt sich die Situation bei den stochastischen Effekten (wie bösartige Tumoren, Leukämien, Erbkrankheiten) dar. Im Strahlenschutz geht man davon aus, dass stochastische Risiken keine Schwellendosen aufweisen. Die Schwere der Erkrankung ist nicht von der Strahlendosis abhängig und die Häufigkeit betroffener Personen steigt mit zunehmender Strahlendosis an. Damit stellt sich sofort die Frage, was unter "acceptable" zu verstehen ist. In ICRP 26 wurde das Konzept verfolgt, das strahleninduzierte stochastische Strahlenrisiko mit Risiken in anderen als "sicher" geltenden Berufszweigen zu vergleichen ("comparing this risk with that for other occupations recognized as having high standards of safety"). Über diesen Weg kam die ICRP in der Publikation 26 unter zusätzlicher Berücksichtigung einiger weiterer Annahmen zu dem Schluss, dass das mit 50 mSv pro Jahr "effective doseequivalent" 7 (entspricht der effektiven Dosis) verbundene Risiko "akzeptabel" 8 ist.

Zu beachten ist, dass die ICRP bei der Festlegung der Dosisgrenzwerte im Jahr 1977 zusätzlich die Erfahrung berücksichtigte, dass bei einer großen Gruppe beruflich strahlenexponierter Beschäftigter die jährliche effektive Dosis lognormalverteilt war mit einem arithmetischen Mittelwert von etwa einem Zehntel des damaligen Grenzwerts von 50 mSv und laut der ICRP nur bei wenigen Personen die jährliche effektive Dosis in die Nähe des Dosisgrenzwerts kam (ICRP 1977). In Deutschland liegt der Wert für die weitaus meisten der Beschäftigten heute deutlich unter 5 mSv/Jahr (siehe Nummer 7.4).

Für die stochastischen Effekte basieren die Dosisgrenzwerte auf der Annahme, dass bei gleicher effektiver Dosis das Risiko nach einer Teilkörperexposition einer Referenzperson dem Risiko für eine homogene Ganzkörperbestrahlung entspricht. Um diese Bedingung zu erreichen, werden Gewebewichtungsfaktoren (wT) für die wichtigsten Organe/Gewebe hinsichtlich des Krebsrisikos und für die Gonaden wegen des genetischen Risikos eingeführt ("doseequivalent"-Konzept, ICRP 1977). Da diese Wichtungsfaktoren gemittelt werden über beide Geschlechter und alle Altersgruppen, beziehen sich mögliche Risikoabschätzungen stets auf Referenzpersonen und nicht auf einzelne Individuen. Damit soll das stochastische Risiko stets in Gänze für die Referenzperson oder für eine Personengruppe abgeschätzt werden. Auf dieser Basis wurde schließlich die effektive Dosis entwickelt, und es wurden die Gewebewichtungsfaktoren an die aktuellen Erkenntnisse angepasst (ICRP 1991, ICRP 2007). Die Dosisgrenzwerte werden vor allem für die Planung von technischen Einrichtungen mit Strahlenexpositionen und für die Überwachung von Personen eingesetzt. Zur weiteren Optimierung des Strahlenschutzes ist der Begriff "Dose Constraint" eingeführt worden (ICRP 1991, IRCP 2007). Mit diesem Instrument, dessen Wert unterhalb des Dosisgrenzwerts liegt, kann durch Optimierung unter Einbeziehung der spezifischen Gegebenheiten einer Anlage bei der Planung sowie durch Kommunikation zwischen dem Betreiber der Anlage und der Aufsichtsbehörde eine Verbesserung des Strahlenschutzes erreicht werden.

In ICRP 60 wird der oben genannten Ansatz (Vergleich mit anderen Berufszweigen, ein Konzept, das vor allem in den ICRP-Publikationen 27 und 45 ausführlich erläutert wurde) nicht weiter verfolgt. Vielmehr bemühte man sich jetzt um eine Definition von "unacceptable", "tolerable" und "acceptable"."Unacceptable" bedeutet, dass unter üblichen Arbeitsbedingungen ein Risiko nicht hinnehmbar ist (das kann anders aussehen nach Unfällen oder Katastrophen)."Tolerable" sind Situationen, die nicht willkommen sind, aber hingenommen werden können, während "acceptable" meint, dass diese Risiken nach Optimierung akzeptiert werden können. In ICRP 60 wird die Grenze zwischen "tolerable" und "unacceptable" bei einem strahleninduzierten Todesfall 9 pro Jahr pro 1.000 Personen gezogen. Die Begründung lautete (ICRP 1991, Annex C, C14): "A report of a Study Group of the British Royal Society (1983) concluded that imposing a continuing annual occupational probability of death of 1 in 100 would be unacceptable, while they found the situation less clear with regard to an annual probability of death of 1 in 1.000. They felt that the latter probability level could "hardly be called totally unacceptable provided the individual at risk knew of the situation, judged he had some commensurable benefit as a result, and understood that everything reasonable had already been done to reduce the risk". However, the annual probability of death is only one of the attributes, which are appropriate to take into account. In the following, a number of other aspects will be considered."

Aus dieser Überlegung und neueren epidemiologischen Daten zum Krebsrisiko der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki sowie einer Erweiterung des Modells zur Risikoabschätzung resultierte für beruflich strahlenexponierte Personen der Grenzwert für die effektive Dosis von 20 mSv pro Jahr bzw. 100 mSv pro fünf Jahre, wobei in keinem Jahr mehr als 50 mSv auftreten dürfen.

Es muss betont werden, dass die Wahl der ICRP von einem Todesfall pro 1.000 Personen pro Jahr als Grenze zwischen tolerabel und inakzeptabel kein rein wissenschaftlicher Wert ist, sondern als Empfehlung ausgesprochen wurde. Sobald man diesen Wert in Frage stellt (entweder nach oben oder nach unten), würden andere Grenzwerte für das stochastische Strahlenrisiko resultieren.

2.3 Die aktuellen Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen in Deutschland

Das Strahlenschutzgesetz aus dem Jahr 2017 führt die Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen in den § § 77 und 78 auf. Mit Ausnahme der Organ-Äquivalentdosen (siehe Nummer 2.3.2) handelt es sich um effektive Dosen.

2.3.1 Begrenzungen über die effektive Dosis im Kalenderjahr (§ 78 Absatz 1 StrlSchG)

Die effektive Dosis von 20 mSv im Kalenderjahr ist der zentrale Grenzwert für Strahlenexpositionen am Arbeitsplatz. Damit liegt dieser Grenzwert aus Sicht der ICRP noch im tolerablen Bereich. Alles, was darüber hinausgeht, wäre unter üblichen Arbeitsbedingungen (also ohne dass Notfalleinsätze oder andere Gefahrenlagen vorliegen) "unacceptable". Durch die in Deutschland geltende Berufslebensdosis (siehe Nummer 2.3.3.3) wird der damit verbundene Risikowert jedoch nicht erreicht, da in maximal 20 Jahren jeweils die 20 mSv ausgeschöpft werden können und dann nur unter bestimmten Bedingungen (siehe Nummer 2.3.3.3) weitere berufliche Strahlenexpositionen erfolgen dürfen.

2.3.2 Begrenzungen über die Organ-Äquivalentdosis im Kalenderjahr (§ 78 Absatz 2 StrlSchG)

In ICRP 26 waren vor dem Hintergrund, dass nichtstochastische Effekte vermieden werden sollen, 500 mSv Äquivalentdosis pro Jahr für alle Organe mit Ausnahme der Augenlinse (300 mSv) empfohlen worden. (Damals war man der Überzeugung, dass bei protrahierter Exposition die Schwellendosis für die Sehkraft beeinträchtigende Linsentrübungen bei 15 Sv liegt, sodass man unter Einhaltung der 300 mSv pro Jahr bei knapp 50 Berufsjahren unterhalb dieses Werts blieb.) In ICRP 60 wurde dieser Ansatz der Vermeidung nichtstochastischer Effekte über die Begrenzung der Äquivalentdosis geändert, da inzwischen durch die Herabsetzung der Dosis pro Jahr die Begrenzung der stochastischen Effekte (20 mSv effektive Dosis) gewährleistet war und die meisten Organe die 500 mSv pro Jahr Äquivalentdosis nicht erreichen konnten. Lediglich für die Haut wurden weiterhin 500 mSv pro Jahr empfohlen und für die Augenlinse 150 mSv pro Jahr.

2.3.2.1 20 mSv pro Jahr für die Augenlinse

Die Augenlinse hat keinen eigenen Gewebewichtungsfaktor, da keine strahleninduzierten Tumoren erwartet werden. Sie ist jedoch hinsichtlich der Verursachung einer Linsentrübung strahlenempfindlich, daher ist für sie ein eigener Grenzwert festgelegt worden. Der ehemalige Grenzwert von 150 mSv orientierte sich in ICRP 60 an der damals vermuteten Schwellendosis (siehe Nummer 2.3.2). Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Schwellendosis (sollte überhaupt eine existieren) deutlich niedriger liegt als ursprünglich angenommen. Die ICRP empfiehlt, für den praktischen Strahlenschutz von einer nominellen Schwellendosis 10 von 500 mSv auszugehen und hat auf dieser Basis eine Reduzierung des Grenzwerts für die Augenlinse auf 20 mSv pro Jahr empfohlen (ICRP 2012). Dieser Grenzwert wurde in das StrlSchG aufgenommen.

2.3.2.2.500 mSv pro Jahr jeweils für die Haut, die Hände, die Unterarme, die Füße und Knöchel

Sollte selektiv die Haut strahlenexponiert werden, so würde die effektive Dosis von 20 mSv im Jahr die Haut nicht immer vor deterministischen Effekten schützen. Der Gewebewichtungsfaktor für die Haut beträgt 0,01. Das heißt, eine kurzzeitige Dosis der gesamten Haut mit 2.000 mSv wäre mit dem Grenzwert der effektiven Dosis von 20 mSv kompatibel (2.000 mSv x 0,01 = 20 mSv effektive Dosis). 2 Sv in kurzer Zeit appliziert, können jedoch Hautschäden auslösen, womit die Vorgabe, dass die Grenzwerte unterhalb der Schwellendosen für deterministische Schäden liegen sollen, nicht eingehalten würde. In ICRP 60 (§ B183) wird außerdem erwähnt, dass die Schwellendosen nach fraktionierter Exposition für Teleangiektasien und für späte Hautatrophie fünf Jahre nach Exposition bei 30 Gy bis 40 Gy liegt. Die Begrenzung auf 500 mSv pro Jahr für die Haut stellt damit sicher, dass diese Schwellendosis im Berufsleben (18 bis 65 Jahre) nicht erreicht werden kann.

2.3.2.3 Weitere Grenzwerte

Zu den bisher geltenden, im StrlSchG aber nicht mehr enthaltenen Jahresgrenzwerten gehören: 50 mSv jeweils für die Keimdrüsen, die Gebärmutter und das Knochenmark (rot), 300 mSv jeweils für die Schilddrüse und die Knochenoberfläche, 150 mSv jeweils für den Dickdarm, die Lunge, den Magen, die Blase, die Brust, die Leber, die Speiseröhre, andere Organe und Gewebe gemäß Anlage VI Teil C Nr. 2 Fußnote 1 der StrlSchV 2001 (ohne Gebärmutter).

Diese (von der ICRP nicht empfohlenen, bisher in Deutschland aber geltenden) Grenzwerte hängen mit folgender Überlegung zusammen: es könnte sein, dass bestimmte Radionuklide selektiv nur eines dieser Organe exponieren. Dann würde die Einhaltung der effektiven Dosis von 20 mSv pro Kalenderjahr nicht immer verhindern, dass unvertretbar viele stochastische oder sogar deterministische Effekte an dem betroffenen Organ ausgelöst werden. Die SSK hatte 1999 hierzu folgende Stellungnahme abgegeben (SSK 1999):

"Zu den neuen Organdosisgrenzwerten für beruflich strahlenexponierte Personen stellt die Kommission fest, dass die Berücksichtigung einer selektiven Bestrahlung spezieller Organe mit einzelnen Nukliden nur für wenige Organe, z.B. Haut, Lunge und Schilddrüse, erforderlich ist. Aus Sicht der Praxis könnte somit auf einige der in der derzeit geltenden Verordnung aufgeführten Organdosisgrenzwerte verzichtet werden. Zur Bewahrung des jetzt vorhandenen Schutzniveaus spricht jedoch nichts gegen eine Beibehaltung der bisherigen Organdosisgrenzwerte".

Zurzeit beschäftigt sich die SSK erneut mit dieser Fragestellung, daher wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen.

2.3.3 Besondere Regelungen

2.3.3.1 Personen unter 18 Jahren (§ 78 Absatz 3 StrlSchG)

Personen unter 18 Jahren werden als strahlenempfindlicher angesehen als Erwachsene. Hinzu kommt, dass die mittlere verbleibende Lebensspanne relativ lang ist, sodass sich längere Latenzzeiten noch auswirken können. Daher gelten für diesen Personenkreis die im Vergleich zu Personen über 18 Jahren niedrigeren Grenzwerte des § 78 Absatz 3 StrlSchG: effektive Dosis von 1 mSv im Kalenderjahr und die Organ-Äquivalentdosen im Kalenderjahr von 15 mSv für die Augenlinse, 50 mSv für die lokale Hautdosis und jeweils 50 mSv für die Hände, Unterarme, Füße und

Knöchel. Falls es zum Erreichen des Ausbildungsziels notwendig ist, sind für Personen zwischen 16 und 18 Jahren 6 mSv im Kalenderjahr für die effektive Dosis und jeweils 150 mSv im Kalenderjahr für die Organ-Äquivalentdosis der Haut, Hände, Unterarme, Füße und Knöchel zulässig.

Bei der ICRP gibt es keine gesonderten Grenzwerte für beruflich exponierte Personen unter 18 Jahren. § 194 der ICRP 60 bezieht sich auf Dosisgrenzwerte für "public" (also für die Bevölkerung) (ICRP 1991). Eine gewisse Irritation löste die Empfehlung der ICRP aus, für bestimmte Personengruppen (eben u. a. auch für beruflich strahlenexponierte Jugendliche) die Grenzwerte für deterministische Effekte, die sich bekanntlich durch Schwellendosen auszeichnen, im Vergleich zu beruflich strahlenexponierten Personen der Kategorie A herabzusetzen. Die Begründung in ICRP 60 (§ 194) lautete: Kinder und Jugendliche sind strahlenempfindlicher als Erwachsene (ca. Faktor 2) und durch die größere Anzahl von Expositionsjahren (im Vergleich zum Berufsleben von Erwachsenen) kann die kumulierte Dosis größer sein (ebenfalls ca. Faktor 2). Die Absenkung um den deutlich höheren Faktor (10 statt rein rechnerisch 4) wird als "arbitrary" ("willkürlich") bezeichnet.

2.3.3.2 Gebärfähige Frauen (§ 78 Absatz 4 StrlSchG)

Für gebärfähige Frauen wurde in Deutschland der Grenzwert für den Uterus auf 2 mSv pro Monat festgelegt. Hierdurch soll vermieden werden, dass die Strahlenexposition des Embryos/Fetus bei unerkannter Schwangerschaft unvertretbar hoch ausfällt. Ab dem Zeitpunkt der Mitteilung einer Schwangerschaft bis zu deren Ende beträgt der Grenzwert 1 mSv aus äußerer und innerer Strahlenexposition. Die ICRP hatte lediglich vorgeschlagen, die Dosis für das Abdomen der Schwangeren vom Zeitpunkt der Mitteilung der Schwangerschaft bis zu deren Ende auf 2 mSv und die Aufnahme von Radionukliden auf etwa 1/20 der ALI (annual limits on intake) zu begrenzen. Damit sollte der Schutz des Ungeborenen in etwa dem Schutz der allgemeinen Bevölkerung entsprechen (ICRP 60, §§ 177, 178).

2.3.3.3 Berufslebensdosis (§ 77 StrlSchG)

Im Jahr 1989 wurde bei der Novellierung der Strahlenschutzverordnung eine Berufslebensdosis von 400 mSv für die effektive Dosis festgelegt (§ 49 Absatz 1 StrlSchV), die auch in das Strahlenschutzgesetz übernommen wurde (§ 77 StrlSchG). Allerdings bedeutet dies nicht automatisch, dass nach Erreichen dieses Grenzwerts eine weitere Beschäftigung in einem strahlenexponierten Beruf ausgeschlossen wäre. Bereits die Novellierung 1989 enthielt im § 88 Absatz 10 StrlSchV für eine Übergangszeit die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung im Kontrollbereich im Einzelfall nach behördlicher Zustimmung und ärztlicher Prüfung. Auf der Basis einer Empfehlung der SSK (SSK 1994) wurde zusätzlich festgelegt, dass nach Überschreiten der 400 mSv in der anschließenden Zeit nicht mehr als 10 mSv pro Kalenderjahr auftreten dürfen. Zusammengefasst gilt also, dass die zuständige Behörde im Benehmen mit einem ermächtigten Arzt und unter Zustimmung der betroffenen Person weitere berufliche Strahlenexpositionen zulassen kann, wenn diese nicht mehr als 10 mSv für die effektive Dosis im Kalenderjahr betragen. Eine vergleichbare Festlegung einer Berufslebensdosis fehlt in den internationalen Standards und in den EU-Grundnormen.

Der wesentliche Grund, der ursprünglich zur Festlegung einer Berufslebensdosis führte, bestand darin, dass das Risiko für strahleninduzierte Malignome höher war, als in ICRP 26 dargestellt. Dieses ergab sich aus neueren epidemiologischen Daten bei den Überlebenden der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki sowie aus neuen Modellvorstellungen zum Lebenszeitrisiko bei malignen Tumorerkrankungen. Insbesondere für Leukämien trat ferner das Problem auf, dass nach damaligem Kenntnisstand ab etwa 400 mSv Gesamtdosis die 50 %ige Verursachungswahrscheinlichkeit für Leukämien überschritten werden kann (Kellerer und Nekolla 1998).

2.3.3.4 Zugelassene Strahlenexpositionen bei Grenzwertüberschreitungen (§ 79 Absatz 1 Nummer 1 StrlSchG)

Basierend auf bestimmten Voraussetzungen ist gemäß StrlSchG vorgesehen, dass eine Weiterbeschäftigung als beruflich exponierte Person bei Grenzwertüberschreitung zulässig ist, und dass von den Grenzwerten abweichende Expositionen zugelassen werden können. Näheres wird eine Verordnung regeln.

2.3.3.5 Strahlenexposition bei Notfalleinsätzen und anderen Gefahrenlagen (§§ 114 und 116 StrlSchG)

Der in § 114 Absatz 2 StrlSchG genannte Referenzwert von 100 mSv für die effektive Dosis geht letztlich zurück auf ICRP 26 (§ 113), wo eine Verdopplung des damals geltenden Jahresgrenzwerts von 50 mSv empfohlen wurde. Allerdings begründete die ICRP in der Publikation 26 diese Verdopplung nicht. Eine "planned special exposure", wie sie in ICRP 26 genannt wurde, gibt es verbunden mit Dosisgrenzwerten bei der ICRP nicht mehr, weder in der Publikation 60 noch in ICRP 103. Es gibt an Stelle von Dosisgrenzwerten in Notfall-Expositionssituationen ("emergency exposure situations") lediglich sehr breit gefasste "intervention levels" (ICRP 60) bzw."reference levels" (ICRP 103, Tabelle 8).

Auch der in § 114 Absatz 3 StrlSchG aufgeführte Referenzwert von maximal 250 mSv für die effektive Dosis einmal im Berufsleben zum Beispiel zur Rettung von Leben geht zurück auf ICRP 26 (§ 113), wo eine Verfünffachung des damals geltenden Jahresgrenzwerts von 50 mSv für die effektive Dosis empfohlen wurde. Die Verfünffachung begründete die ICRP nicht. Weder in ICRP 60 noch in ICRP 103 werden konkrete Werte im Zusammenhang mit der Rettung von Menschenleben genannt. In ICRP 60 wird dazu ausgeführt, dass dies für die Rettung von Menschenleben kaum möglich ist ("...1ifesaving actions, which can rarely be limited by dosimetric assessments"). Um eine gewisse Flexibilität in solchen, letztlich nicht planbaren Situationen zu gewährleisten, lässt auch das Strahlenschutzgesetz unter bestimmten Bedingungen höhere Werte zu, nennt aber explizit einen Referenzwert von bis zu 500 mSv für die effektive Dosis. Es ist jedoch zusätzlich zu berücksichtigen, dass ein Referenzwert keinen Grenzwert darstellt (siehe Glossar)!

2.3.4 Radon (§ 131 Absatz 1 StrlSchG)

Durch Studien an Bergwerksarbeitern ist seit vielen Jahren bekannt, dass die Exposition mit Radon zu einem erhöhten Mortalitätsrisiko an Lungenkrebs führt. Dies wurde in Untersuchungen zur Exposition der Bevölkerung in Wohnräumen zum Beispiel in einer gepoolten europäischen Studie bestätigt (Darby et al. 2005). Zum quantitativen Zusammenhang zwischen dem Lungenkrebs-Mortalitätsrisiko und einer Radonexposition hat die SSK in den vergangenen Jahren bereits Stellung genommen (SSK 2006).

Für Arbeitsplätze mit Radonexpositionen ist vorgesehen, dass die 20 mSv (bzw. 6 mSv) effektive Dosis im Jahr nicht überschritten werden. Liegen keine anderen Strahlenquellen vor, dann wird gemäß der derzeit gültigen Strahlenschutzverordnung (StrlSchV 2001) davon ausgegangen, dass die Einhaltung der 20 mSv durch einen Wert von 6 x 10 6 Becquerel pro Kubikmeter mal Stunden (also bei 2.000 Arbeitsstunden im Jahr bei einer Konzentration von 3 kBq pro Kubikmeter) gewährleistet ist und entsprechend durch 2 x 10 6 Becquerel pro Kubikmeter mal Stunden für die Einhaltung der 6 mSv (also 1 kBq pro Kubikmeter).

Das Strahlenschutzgesetz fordert, dass die Radon-222-Aktivitätskonzentration an bestimmten Arbeitsplätzen in Innenräumen ermittelt wird (§ 123 Absatz 1). Falls der Referenzwert von 300 Bq/m³ überschritten wird, sind unverzüglich Maßnahmen zur Reduzierung der Radon-222-Aktivitätskonzentration in der Luft zu ergreifen. Führen diese Maßnahmen nicht zu einer Unterschreitung des Referenzwerts, ist eine Abschätzung der effektiven Dosis basierend auf einem Dosiskoeffizienten durchzuführen. Ergibt die Abschätzung, dass die effektive Dosis 6 mSv im Kalenderjahr überschreiten kann, so sind die Anforderungen des allgemeinen beruflichen Strahlenschutzes zu erfüllen. In einer Verordnung zum StrlSchG ist u. a. noch zu regeln, wie die Radon-222-Aktivitätskonzentration zu messen, wie sie über das Kalenderjahr zu mitteln und wie die Radon-222-Aktivitätskonzentration in der Luft und die Aufenthaltszeit in eine effektive Dosis umzurechnen ist.

2.4 Neuere Empfehlungen und Standards im internationalen Rahmen

Die seit der letzten Novellierung der Strahlenschutzverordnung gewonnenen einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über strahlenbedingte gesundheitliche Risiken haben inzwischen Eingang gefunden in Empfehlungen der ICRP (ICRP 2007, ICRP 2012). Diese wurden von der Europäischen Kommission in der EU-Richtlinie zum Strahlenschutz (Euratom 2014) und von der IAEA in den IAEA Safety Standards, GSR Part 3 (IAEA 2014) übernommen.

Die Unterscheidung in der ICRP-Publikation 103 in unterschiedliche Expositionssituationen wirkt sich auf das hier betrachtete Thema nur für geplante Expositionssituationen aus. Bestehende und Notfall-Expositionssituationen, für die lediglich Referenzwerte gelten, werden in dieser Empfehlung nicht behandelt.

Bezüglich der Grenzwerte der effektiven Dosis für die berufliche Exposition (20 mSv für ein einzelnes Jahr; höhere effektive Dosis von bis zu 50 mSv für ein einzelnes Jahr, sofern die durchschnittliche Jahresdosis in fünf aufeinander folgenden Jahren 20 mSv nicht überschreitet; besondere Regelungen für Personen unter 18 Jahren und gebärfähige/stillende Frauen) haben sich trotz der zwischenzeitlich wesentlichen Verbreiterung der wissenschaftlichen Evidenzbasis keine Änderungen ergeben.

Die internationalen Dokumente sehen allerdings nach wie vor keine Regelung für die Berufslebensdosis vor und folgen damit weiterhin den Empfehlungen in ICRP 60 (§ 165) aus dem Jahr 1991.

Die in der EU-Richtlinie und den IAEA Safety Standards enthaltenen numerischen Werte für die Begrenzung der Organ-Äquivalentdosis der Augenlinse (20 mSv), der Haut, der Hände, der Unterarme, Füße und Knöchel (500 mSv) entsprechen den Regelungen des Strahlenschutzgesetzes.

2.5 Zusammenfassung

Das derzeit gültige Strahlenschutzkonzept basiert auf drei Säulen: Rechtfertigung, Optimierung und Anwendung der Dosisgrenzwerte. Die zentrale Aufgabe der Grenzwerte besteht darin, schädliche deterministische Effekte (wie Hautschäden oder Fertilitätsstörungen) zu verhindern und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von stochastischen Effekten (wie bösartige Tumoren, Leukämie, Erbkrankheiten) auf ein Maß zu beschränken, das als akzeptabel angesehen wird. Als akzeptabel gilt ein Risiko, das nach Optimierung eines tolerablen Risikos akzeptiert werden kann. Für tolerabel wird von der ICRP derzeit ein Risiko von einem Todesfall pro Jahr pro tausend Personen gehalten, was unter Berücksichtigung weiterer Faktoren zu dem Grenzwert von 20 mSv pro Jahr geführt hat. Deutschland hat zusätzlich eine Begrenzung der Berufslebensdosis von 400 mSv festgelegt. Alles, was über das tolerable Risiko hinausgeht, ist inakzeptabel (mögliche Ausnahmen: Unfälle und Katastrophen). Sollte sich die Einschätzung, was tolerabel ist, nach oben oder unten ändern, hätte dies einen direkten Einfluss auf die Grenzwerte.

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3 Das Detriment im Strahlenschutz

Eines der Ziele im Strahlenschutz ist die Begrenzung des durch ionisierende Strahlung verursachten Risikos bezüglich stochastischer Wirkungen. Risiken - sowohl individuell als auch kollektiv - sind einer Messung bzw. einer messtechnischen Überwachung jedoch nicht unmittelbar zugänglich. Daher wird im gegenwärtig praktizierten Strahlenschutz eine Risikobegrenzung durch die Begrenzung messtechnisch erfassbarer oder berechenbarer Dosisgrößen und die Festlegung von Dosisgrenzwerten umgesetzt. Dabei wird unterstellt, dass die verschiedenen Dosisdefinitionen für spezifische Anwendungszwecke ein jeweils sinnvolles Maß für das Strahlenrisiko darstellen, d. h. dass eine näherungsweise Beziehung zwischen Dosis und Risiko besteht. In diesem Sinne praktiziert der Strahlenschutz das Prinzip der Risikobegrenzung durch das Konzept der Dosisbegrenzung.

3.1 Risikokoeffizient

Im Strahlenschutz versteht man im Allgemeinen unter Strahlenrisiko die quantitative Angabe der Eintrittswahrscheinlichkeit für einen durch Strahlenexposition verursachten stochastischen Effekt (Krebserkrankung oder Erbschaden). Diese Eintrittswahrscheinlichkeit ist neben der Dosis von einer Vielzahl von weiteren Variablen abhängig, vor allem aber vom Geschlecht, vom Alter bei Exposition und vom erreichten Alter ("hazard" function). Die Risikoerhöhung pro Dosisinkrement (bzw. die Steigung der Risikofunktion) in einer Dosis-Wirkungsbeziehung wird als Risikokoeffizient bezeichnet. Auch der Risikokoeffizient kann vom Geschlecht, vom Alter und von weiteren Parametern abhängig sein. Im Allgemeinen ist auch er dosisabhängig. Nur bei Zugrundelegung der LNT-Hypothese (Linear, No-Threshold) ist der Risikokoeffizient unabhängig von der Dosis.

Die Risikokoeffizienten für strahleninduzierte stochastische Wirkungen werden im Wesentlichen durch Auswertung epidemiologischer Studien im Bereich oberhalb einiger 10 mSv ermittelt. Um auf Aussagen im für den Strahlenschutz wichtigen Bereich von einigen mSv oder einigen 10 mSv zu kommen, ist man daher auf Extrapolationen vom hohen in den niedrigen Dosisbereich angewiesen. Diese Extrapolation geschieht unter Einbeziehung strahlenbiologischer Ergebnisse, mechanistischer Studien und biophysikalischer Modelle, auf deren Grundlage Wirkungsmechanismen aufgedeckt werden und in die Beschreibung der (qualitativen) Form einer Dosis-Wirkungsbeziehung im Bereich kleiner Dosen einfließen. Die Steigungen der so extrapolierten Dosis-Wirkungsbeziehungen ergeben die u. U. dosisabhängigen Risikokoeffizienten im kleinen Dosisbereich. Das Verfahren einer solchen Extrapolation, d. h. das Zugrundelegen der LNT-Hypothese oder die Annahme von nichtlinearen Zusammenhängen, das Anwenden eines Dosis- und Dosisleistungseffektivitätsfaktors (DDREF) usw., ist jedoch nach wie vor in der Diskussion (SSK 2014). In Bezug auf die Risikoabschätzung im Bereich der beruflichen Grenzwerte (einige 10 mSv bis einige 100 mSv) spielen Extrapolationsverfahren eine weniger bedeutsame Rolle.

In den großen epidemiologischen Studien werden in der Regel Dosis-Wirkungsbeziehungen und Risikokoeffizienten für die wichtigsten Krebslokalisationen jeweils getrennt für Frauen und Männer verschiedener Altersklassen ermittelt. Wird über alle Alter und beide Geschlechter gemittelt, ergibt sich daraus das mittlere zusätzliche Lebenszeitrisiko pro Dosis(-inkrement). Die Tatsache, dass es sich hierbei um auf Extrapolationen beruhende Schätzungen für eine "nominelle" über Alter und Geschlecht gemittelte Bevölkerung handelt, drückt die ICRP durch den Begriff "nominal risk coefficient" aus (ICRP 2007). Auch für Erbschäden, die zu den stochastischen Strahlenwirkungen gezählt werden und somit auch zum Strahlenrisiko beitragen, gibt die ICRP (ICRP 2007) "nominelle Risikokoeffizienten" an (siehe unten).

Das Strahlenrisiko ist einer Vielzahl von Einflussgrößen unterworfen. Zu der bereits genannten Alters- und Geschlechtsabhängigkeit kommen die unterschiedlichen Beiträge der verschiedenen Strahlenarten hinzu, sowie die unterschiedlichen Beiträge der Organe zum Gesamtrisiko des Organismus. Individuelle Einflüsse auf das Risiko können über bestimmte Bevölkerungsgruppen oder über die Gesamtbevölkerung gemittelt werden. Analog kann über Altersgruppen oder über das gesamte Leben gemittelt werden, es kann über Organgruppen oder über den Gesamtorganismus gemittelt werden usw. Es muss also bei der Forderung nach einer sinnvollen Risiko-Dosis-Verknüpfung die Frage beantwortet werden, welches Risiko abgebildet werden soll und welche Parameter Bestandteil einer zu definierenden "Dosis" sein sollen. Das Verfahren hierzu bewegt sich stets im Spannungsfeld von Praktikabilität, Eindeutigkeit und Grad der Differenzierung.

3.2 Detriment (Schadensmaß der ICRP)

Bei inhomogenen Bestrahlungsbedingungen werden verschiedene Organe unterschiedlich exponiert, aber auch bei homogener Exposition tragen sie unterschiedlich zu einem Gesamtrisiko bei. Jedem Organ bzw. jedem Gewebeverband kann somit ein eigener Risikokoeffizient zugeordnet werden. Es ist dabei sowohl eine Frage der Praktikabilität als auch der wissenschaftlichen Datenlage, bis zu welchem Grad Organ- bzw. Gewebeeinheiten differenziert angegeben werden oder zu welchen Organ- bzw. Gewebegruppen zusammengefasst werden sollen.

Besteht beispielsweise für zwei Krebsarten die gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit, d. h. das gleiche Risiko, so kann ihnen dennoch eine unterschiedliche Bedeutung oder Relevanz zugeordnet werden. Eine solche Unterschiedlichkeit kann sich beispielsweise aus verschiedener Letalität, Verkürzung der Lebenszeit für eine an der Krebsart gestorbene Person oder Verlust an Lebensqualität ergeben. Ein Risikomaß, das die Relevanz eines Ereignisses einbezieht, ist das sogenannte "Schadensgewichtete Risiko" (detrimentadjusted risk, ICRP 2007). Hierbei handelt es sich um das Produkt aus der Eintrittswahrscheinlichkeit für ein strahleninduziertes stochastisches Ereignis und der Schadensqualität bzw. um ein mit der Schadensqualität gewichtetes Risiko. Während die Eintrittswahrscheinlichkeit von den Bedingungen der Strahlenexposition (z.B. von der Dosis) abhängt, ist die Schadensqualität davon unabhängig.

Die Angabe eines auf diese Weise zusammengesetzten schadensgewichteten Risikos ermöglicht demnach den quantitativen Vergleich verschiedener (strahleninduzierter) Krebsarten und Erbschäden hinsichtlich ihrer Schwere des Verlaufes der Erkrankung. Beispielsweise wird ein Schilddrüsenkrebs mit guter Prognose bei gleicher Eintrittswahrscheinlichkeit geringer bewertet und gewichtet als ein Lungenkrebs mit schlechter Prognose bzw. hoher Letalität.

Das schadensgewichtete Risiko pro Dosis wird als "Detriment" (Einheit: Sv -1) bezeichnet. Die Art und Weise, wie die Schadensqualität in das Detriment eingeht und die "Schadensparameter" Letalität, Verkürzung der Lebenszeit und Verlust an Lebensqualität Berücksichtigung finden, kann durchaus sehr unterschiedlich erfolgen. Sowohl die Wahl der Parameterwerte als auch deren Zusammenhang ausgedrückt in einem Modell können gewisse subjektive Komponenten aufweisen. Das Erstellen eines konkreten Schadensmodells beinhaltet daher auch bereits eine gewisse Bewertung hinsichtlich der Relevanz oder Bedeutung eines Schadens. Somit stellt das ICRP-Detriment-Modell ein mögliches, jedoch nicht das einzig mögliche Maß für ein schadensgewichtetes Risiko dar.

Das schadensgewichtete Risiko pro Dosis (Detriment) ist nach ICRP 103 (ICRP 2007) folgenderweise definiert:

R = RI · (k + q · (1 - k)) · L

(1)

Dabei ist:

RI:Nomineller Risikokoeffizient, Inzidenzwahrscheinlichkeit pro Dosis
k:Letalitätsfaktor
RI·k:Wahrscheinlichkeit pro Dosis für tödlich verlaufende Krebserkrankung
RI·(1-k):Wahrscheinlichkeit pro Dosis für nicht tödlich verlaufende Krebserkrankung
q:Wichtungsfunktion für Einschränkung der Lebensqualität
L:Relative Verkürzung der Lebenszeit.

Die ICRP hatte bereits in ihrer Empfehlung ICRP 60 aus dem Jahr 1990 (ICRP 1991) ein Modell auf der Grundlage von Mortalitätsdaten entwickelt, mit dem eine gewichtete Schadenswahrscheinlichkeit beschrieben werden konnte. In ICRP 103 (ICRP 2007) wurde dieses Modell weiterentwickelt und beruht nun wesentlich auf der Grundlage von Inzidenzdaten. In diesem Modell setzt sich das Detriment als gewichtete Schadenswahrscheinlichkeit pro Dosis aus Termen zusammen, die die Letalität (Verhältnis der Wahrscheinlichkeiten für tödliche und nicht tödliche Krebserkrankungen) enthalten sowie Wichtungsfunktionen für die Einschränkung der Lebensqualität und die relative Verkürzung der Lebenszeit.

Die Eintrittswahrscheinlichkeit pro Dosis, also das ungewichtete Strahlenrisiko, bezieht sich auf das Inzidenzrisiko pro Dosis RI in Bezug auf ein Organ bzw. auf eine Krebsart oder auf die Eintrittswahrscheinlichkeit pro Dosis für Erbschäden. Die Schadensqualität d(k) entspricht dem Faktor 11:

d(k) = (k + q(k) · (1 - k)) · L.

(2)

L ist die relative Verkürzung der Lebenszeit für jede Krebsart (bzw. Erbschäden) und ist bezogen auf die mittlere Verkürzung der Lebenszeit durch die Gesamtheit aller Krebsarten (entspricht 100 %). Die Wichtungsfunktion q(k) beinhaltet den nicht tödlichen Schaden unter Einbeziehung der Einschränkung der Lebensqualität als Funktion der Letalität einer Krebserkrankung:

q(k) = qmin + k · (1 - qmin)

(3)

mit qmin = 0,1 für alle Krebsarten außer Haut (qmin = 0) und Schilddrüse (qmin = 0,2).

Mit dieser Beziehung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass auch für eine gänzlich nicht tödlich verlaufende Krebserkrankung (k = 0) die Lebensqualität auf einen Anteil qmin (`0) herabgesetzt sein kann. Das Detriment ist für diesen Fall:

R = RI · qmin · L,

(4)

d. h. das Schadensmaß für eine nicht tödliche Krebserkrankung entspricht der mit qmin gewichteten Inzidenzwahrscheinlichkeit pro Dosis (gewichteter nomineller Risikokoeffizient).

Demgegenüber ergibt sich für eine gänzlich tödliche Krebserkrankung (k = 1) eine Lebensqualitätsgewichtung von q = 1 und das Detriment, das der Inzidenzwahrscheinlichkeit (in diesem Fall gleich der Mortalitätswahrscheinlichkeit) entspricht, wird zu:

R = RI · L.

(5)

Eine vollständig nicht tödliche Krebsart wird also hinsichtlich ihres Schadensbeitrags mit dem Faktor qmin weniger stark gewichtet als eine vollständig tödlich verlaufende Krebsart. Für Krebsarten mit einem Letalitätsfaktor zwischen 0 und 1 setzt sich das Detriment aus jeweils einem gewichteten tödlichen und nicht tödlichen Anteil zusammen.

Auf der Grundlage dieses von der ICRP entworfenen Konzepts des Schadensmaßes wird für jedes Organ bzw. für jede Krebsart ein Detriment im Sinne einer gewichteten Schadenswahrscheinlichkeit pro Dosis, d. h. ein schadensgewichteter nomineller Risikokoeffizient, festgelegt. Auch für strahleninduzierte Erbschäden wird ein gewichteter Risikokoeffizient und damit ein Detriment festgelegt (das sich allerdings nicht auf epidemiologische Daten stützt und auch teilweise abweichend zu den Krebserkrankungen interpretiert werden muss).

Auf diese Weise entsteht ein Satz von Risikokoeffizienten, der die jeweiligen organspezifischen Risikobeiträge mit unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadensqualitäten untereinander quantitativ vergleichbar macht. Die Summe aller organspezifischen Detrimente, das "totale" Detriment, ergibt den "totalen schadensgewichteten nominellen Risikokoeffizienten". Für die erwachsene Bevölkerung und für die Gesamtheit aller stochastischen Wirkungen hat die ICRP in ihrer Empfehlung ICRP 103 für das totale Detriment den Wert 4,2 % pro Sv angegeben (ICRP 2007). Hierin enthalten ist das Detriment für Erbschäden mit 0,1 % pro Sv, das demnach gegenüber dem für Krebserkrankungen eine untergeordnete Rolle spielt und im Folgenden nicht weiter diskutiert wird.

3.3 Effektive Dosis

Das Konzept der effektiven Dosis baut auf die so erreichte quantitative Vergleichbarkeit auf der Grundlage von organspezifischen Werten des Detriments auf. Aus diesen absoluten Werten können organspezifische relative Detrimentwerte ermittelt werden, deren Gesamtsumme dann 1 ergibt. Aus diesen relativen Werten hat die ICRP einen Satz von vier verschiedenen Gewebewichtungsfaktoren definiert, die grob eine Zuordnung in eine von vier der damit definierten "Schadensklassen" erlauben. Damit wird jedem Organ ein relativer Gewebewichtungsfaktor wT, entsprechend der Größe seines Detriments, zugeordnet. Mit diesen Gewebewichtungsfaktoren wT werden die unter einer bestimmten Expositionssituation erzeugten Organ-Äquivalentdosen HT multipliziert und die Produkte für alle Organe aufsummiert. Die Summe aller gewichteten Organ-Äquivalentdosen wT ‡ HT ist die effektive Dosis. Auf diese Weise wird der Schadensbeitrag (d. h. der gewichtete Risikobeitrag) jedes einzelnen Organs zum gewichteten Gesamtrisiko berücksichtigt, einschließlich der Gonaden bezüglich der Erbschäden. (Für die Gonaden wird von der ICRP sowohl ein Detriment für Krebserkrankungen als auch für Erbschäden angegeben. Der Gewebewichtungsfaktor für die Gonaden wT = 0,08 fasst beide Effekte geschlechtsgemittelt zusammen).

Eine reale Strahlenschutzsituation ist gekennzeichnet durch eine bestimmte individuelle Expositionsbedingung, die sich aus den Eigenschaften des Strahlungsfeldes und dessen Einwirkung auf den exponierten Körper ergibt und sich in den zugeordneten Werten für die Organ-Äquivalentdosen ausdrückt. Die Gewebewichtungsfaktoren wT sind über das Geschlecht, das Alter und viele andere Bevölkerungsmerkmale (z.B. ethnische Zugehörigkeit, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Lebensstil, genetische Prädisposition) gemittelt. Die effektive Dosis ist somit eine Referenzdosis, die einer Person zwar individuell zugeordnet ist, jedoch kein individuelles Risiko abbildet. Sie dient lediglich Strahlenschutzzwecken und ist ungeeignet, Risikoschätzungen für einzelne Personen oder besondere Personengruppen durchzuführen (SSK 2003).

Mit der engen Verknüpfung zwischen Dosis und Risiko durch (angenommene oder nachgewiesene) Dosis-Wirkungsbeziehungen war vom Grundsatz her die Dosis - insbesondere die effektive Dosis - stets ein Risikomaß und auch als solches intendiert. Im Strahlenschutz dient die effektive Dosis dem Zweck, Dosisgrenzwerte für Bevölkerungsgruppen festzulegen, deren Einhaltung individuell zu überwachen und damit das individuelle und kollektive Risiko zu begrenzen ("Risikobegrenzung durch Dosisbegrenzung"). Bei der Festlegung von Dosisgrenzwerten ist die Risikobetrachtung unter Einbeziehung eines Schadensmaßes seit langem ganz zentral. Darüber hinaus dient die effektive Dosis auch der Vergleichbarkeit von Handlungsoptionen im Rahmen der Optimierung im Strahlenschutz.

3.4 Schadensqualität/Schadensfunktion

Im Strahlenschutz beziehen sich Dosisgrenzwerte für stochastische Wirkungen auf die effektive Dosis. Das oben erwähnte Konzept der Risikobegrenzung durch Dosisbegrenzung bedeutet also eine Begrenzung des Risikos einschließlich des Konzepts der Schadensgewichtung auf der Grundlage der Schadensfunktion d(k) nach Gl. (2).

Die Schadensqualität nach Gl. (2) ist eine Funktion der Letalität. Abbildung 3.1 zeigt die Abhängigkeit vom Letalitätsfaktor k für die Gesamtfunktion d(k) und für den Beitrag ”d(k), der die Einschr´nkung der Lebensqualität liefert:

”d(k) = q · (1 - k) · L = (d(k) - k) · L.

(6)

Im Bereich hoher Letalität wird die Schadensqualität im Wesentlichen durch den Letalitätsfaktor bestimmt, während im Bereich niedriger Letalität die "minimale Lebensqualität" vorherrscht. Den maximalen Beitrag zur Schadensgewichtung liefert die Einschränkung der Lebensqualität im mittleren Letalitätsbereich. Für k = 0,5 (durchschnittlich einer von zwei Krebsfällen verläuft tödlich) ergibt sich hierfür ein relativer Beitrag von etwa 35 %.

Ein maßgebender Parameter in der Schadensfunktion d(k) nach Gl. (2) ist die "minimale Lebensqualität" qmin (siehe oben). Je größer qmin ist, als desto einschränkender wird eine (nicht tödliche) Krebserkrankung betrachtet und als desto stärker wird die damit verbundene Einschränkung der Lebensqualität bewertet. Ein größeres qmin bedeutet eine größere Schadensqualität und damit bei gleicher Eintrittswahrscheinlichkeit ein höheres Detriment. Darüber hinaus bedeutet ein größeres qmin eine weniger ausgeprägte Abhängigkeit von k.

Abbildung 3.1: Abhängigkeit der Schadensqualität d(k) (durchgezogene Linie) und der Einschränkung der Lebenszeit ”d(k) (gestrichelte Linie) vom Letalit´tsfaktor k nach Gl. (2). Die "minimale Lebensqualität" ist qmin = 0,1 und die relative Verkürzung der Lebenszeit ist L = 1. Der ungewichtete Mortalitätsanteil entspricht der Winkelhalbierenden k (gepunktete Linie). (Diese Abbildung war später auch Vorlage für Figur 5 in Breckow et al. 2018).

Die Schadensqualität d(k) nach Gl. (2) beinhaltet eine Reihe von Parametern, wie Überlebenswahrscheinlichkeit, Lebensqualität und Verkürzung der Lebenszeit, die zwar von der Krebsart abhängen, jedoch unabhängig von der strahleninduzierten Eintrittswahrscheinlichkeit sind. Diese Parameter unterliegen einer zeitlichen Entwicklung. Verbesserte Lebensbedingungen und Fortschritte in der Medizin führen dazu, dass sich die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Krebserkrankung vergrößert, die Lebensqualität verbessert und die Verkürzung der Lebenszeit verändert. All dies kann bei gleichen Eintrittswahrscheinlichkeiten (bzw. bei gleichen ungewichteten Risikokoeffizienten) mit einem zeitlichen Trend zu kleineren Detriments führen. Dieser Umstand ist nicht ohne Akzeptanzprobleme und wirft durchaus Fragen auf, ob mit dieser Art der Definition eines Detriments das Strahlenrisiko überhaupt angemessen repräsentiert ist. Der Vorwurf ist durchaus denkbar, dass man den medizinischen Fortschritt dahingehend instrumentalisieren wolle, dass damit die Strahlenrisiken permanent "heruntergerechnet" würden. Beispielsweise kann man Abbildung 3.1 entnehmen, dass ein Rückgang der Letalität von 60 % (k = 0,6) auf 40 % (k = 0,4) zu einer Reduktion der Schadensqualität um etwa 20 %, nämlich von d = 0,85 auf d = 0,68 führt. In gleichem Maße nehmen demnach auch das Detriment, die schadensgewichteten nominellen Risikokoeffizienten und damit auch das Risikomaß insgesamt ab.

3.5 Dosis- und Dosisleistungseffektivitätsfaktor (DDREF)

Quantitative Risikoschätzungen erfolgen in der Regel auf der Grundlage epidemiologischer Studien im Bereich relativ hoher Dosen und großer Dosisleistungen. Um zu Aussagen für die im Strahlenschutz wichtigen niedrigen Dosis- und kleinen Dosisleistungsbereiche zu gelangen, ist man auf Extrapolationen zu niedrigen Dosen und kleinen Dosisleistungen angewiesen, für die nach wie vor keine ausreichenden Daten vorhanden sind, um zuverlässige Risikoangaben machen zu können.

Für den Strahlenschutz wird seit vielen Jahren für stochastische Effekte eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Dosisschwelle angenommen (LNT-Modell). Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass bei niedrigen Dosen das Risiko unabhängig von der zeitlichen Abfolge der Strahlenexposition, d. h. unabhängig von der Dosisleistung ist. Zusätzlich wird allerdings angenommen, dass bei niedrigen Dosen und kleinen Dosisleistungen das tatsächliche Risiko um einen gewissen Faktor überschätzt wird, wenn man die Risikowerte von hohen Dosen und großen Dosisleistungen zu niedrigen Dosen und kleinen Dosisleistungen linear extrapoliert. Um dieser vermuteten Überschätzung Rechnung zu tragen, hat die ICRP einen sogenannten "Dosis- und Dosisleistungs-Effektivitätsfaktor" (DDREF) eingeführt. Risikowerte, die auf der Basis der LNT-Hypothese und der Dosisleistungs-Unabhängigkeit aus epidemiologischen Studien an den Atombombenüberlebenden in Hiroshima und Nagasaki ermittelt wurden, werden durch diesen DDREF dividiert. In ihrer Empfehlung 103 (ICRP 2007) bestätigt die ICRP ihre früher entwickelte Argumentation und behält einen DDREF-Wert von 2 für maligne Tumoren für Expositionen mit Photonen und Elektronen (Niedrig-LET-Strahlung) bei. Die SSK hatte sich bei ihren Kommentaren zu ICRP 103 dieser Argumentation allerdings nicht angeschlossen und plädierte für einen DDREF = 1, also für die Anwendung des "reinen" LNT-Modells (SSK 2006a). In ihrer jüngsten Empfehlung zu dieser Thematik präzisiert die SSK auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse ihre Position in Richtung einer schwächeren Begründung für einen DDREF = 2. Allerdings reichen aus ihrer Sicht die vorliegenden Erkenntnisse auch nicht aus, um einen aktuellen Handlungsbedarf in Richtung Abschaffung des DDREF ausreichend zu begründen. Die SSK empfiehlt daher, den DDREF erst im Zuge einer eventuellen späteren generellen Anpassung aller relevanten Parameter, die das Detriment, d. h. die Angabe des Strahlenschadens, bestimmen, gemeinsam mit diesen anzupassen und gegebenenfalls abzuschaffen (SSK 2014). Zusammenfassende Darstellungen zum Themenkomplex des DDREF finden sich z.B. in Rühm et al. (2016) und NIOSH (2017) 12.

Im Zusammenhang mit der Entscheidung über eine Beibehaltung oder Abschaffung des DDREF spielte für die SSK der oben genannte Gesichtspunkt eines zeitlichen Trends zu verbesserten Gesundheitsparametern insofern eine Rolle, als beide Effekte eine kompensatorische Tendenz aufweisen können. Die Abschaffung des DDREF würde zu einer Erhöhung des strahleninduzierten Detriments führen, die Anpassung der Gewichtungsparameter an die aktuellen Gesundheitsstatistiken würde zu einer Erniedrigung des Detriments führen (SSK 2014).

3.6 Risikovergleiche

Das ICRP-Konzept des schadensgewichteten Risikos beruht auf einer quantitativen Vergleichbarkeit der Risikobeiträge unterschiedlicher Organe bzw. Krebsarten ("Schadensendpunkte"). Es erlaubt also beispielsweise den Strahlenschaden "Lungenkrebs" mit dem Strahlenschaden "Schilddrüsenkrebs" zu vergleichen. Nach Tabelle A.4.1 aus ICRP 103 (ICRP 2007) beträgt das nach Gl. (1) berechnete Detriment für eine erwachsene Bevölkerung (18 bis 64 Jahre) für die Lunge 120,7/10.000/Sv und das für die Schilddrüse 3,4/10.000/Sv (ICRP 2007). Demnach sind rechnerisch 8,3 mSv Lungen-Äquivalentdosis und 294 mSv Schilddrüsen-Äquivalentdosis erforderlich, um das (schadensgewichtete) Risiko für beide um den gleichen Betrag, nämlich jeweils um 0,01 %, zu erhöhen.

Auch beim Vergleich verschiedener Risikofaktoren kommt dem Detriment-Konzept eine besondere Bedeutung zu. Soll beispielsweise ein Risikovergleich für Hautkrebs durch ionisierende Strahlung einerseits und durch UV-Exposition andererseits unternommen werden, so ergibt sich für das Detriment folgende Rechnung: Die Erkrankungswahrscheinlichkeit pro Dosis beträgt nach Tabelle A.4.1 aus ICRP 103 für eine erwachsene Bevölkerung (18 bis 64 Jahre) 0,067/Sv (ICRP 2007). Die Wichtungsfunktion für die Einschränkung der Lebensqualität ist q = 0,002 und der relativen Verkürzung der Lebenszeit ist L = 1. Damit ergibt sich für das Detriment ein Wert von 2,7·10 -4/Sv. Das heißt, die Erkrankungswahrscheinlichkeit und das Detriment unterscheiden sich um den Faktor 250. Wird also das strahleninduzierte Hautkrebsrisiko mit dem UV-induzierten Hautkrebsrisiko verglichen, so muss für beide das gleiche Vergleichsmaß herangezogen werden, also entweder das (ungewichtete) Erkrankungsrisiko oder das Detriment oder ein anderes, jedoch identisches Schadensmaß.

Obschon zwar eindeutig definiert, beinhaltet die Art der Gewichtung jedoch eine durchaus willkürliche bzw. subjektive Komponente und stellt somit bereits den Vorgang einer gewissen Risikobewertung dar. Da sich die effektive Dosis auf dieses Konzept stützt, unterliegen Grenzwertüberlegungen im Strahlenschutz bereits auf dieser Ebene auch Bewertungsmaßstäben. Dies wird noch offensichtlicher und noch kritischer, wenn Risikobetrachtungen und Schutzkonzepte im Strahlenschutz denen aus anderen Umwelt- oder Arbeitsschutzgebieten gegenübergestellt werden sollen. Hierbei ergeben sich insbesondere folgende Fragen:

Das Gefährdungspotenzial, das aus den verschiedenen technischen oder zivilisatorischen Anwendungsbereichen für die Bevölkerung oder für Bevölkerungsgruppen erwächst, ist sowohl qualitativ als auch quantitativ sehr unterschiedlich. Zudem haben sich im Laufe der historischen Entwicklung recht verschiedene Quantifizierungsmaße und messtechnische Erfassungsmethoden für Gefährdungen bzw. gesundheitliche Beeinträchtigungen ergeben. Diese Entwicklung ging einher mit verschiedenen, teilweise qualitativ differierenden Ansätzen zu Gefährdungsanalyse und anschließender Gefährdungsregulierung (Vermeidung, Verminderung, Begrenzung). Diese vielfältigen Unterschiede wechselwirkten mit unterschiedlicher Gefährdungswahrnehmung und -akzeptanz in der Bevölkerung.

Dennoch können verschiedene Gefährdungsquellen Gemeinsamkeiten aufweisen, die ein mehr aufeinander abgestimmtes oder allgemeiner anwendbares Vorgehen erlauben. Eine solche Klasse von Gefährdungsquellen kann beispielsweise gebildet werden, wenn die Gefährdung, die von ihnen ausgeht, darin besteht, dass sich mit der Einwirkung eines Agens die Wahrscheinlichkeit für die betreffende Person erhöht, zu erkranken oder zu sterben.

Ebenso wie im Strahlenschutz wird in vielen Bereichen der Risikoforschung "Risiko" meist als das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Ereignis und dessen Schadensausmaß (Schadensqualität) bezeichnet (z.B. RK 2003), was dem Detriment im Strahlenschutz entspricht. Bei "klassischen" Risiken sind diese beiden Faktoren weitgehend quantifizierbar und die Schadensausbreitung ist in räumlicher und zeitlicher Dimension meist begrenzt. Je nach Definition des Schadensmaßes (es kann beispielsweise auch ein ökonomisches Maß sein) kann das Ereignis auf eine Personengruppe, auf eine einzelne Person oder auf gar keine Personen (z.B. Sachschäden) bezogen sein.

Davon abgegrenzt werden Risiken, die eine sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben, dafür jedoch ein hohes Schadenspotenzial bergen. Solche Risiken werden auch als "Systemische Risiken" bezeichnet (OECD 2003, Renn und Klinke 2004). Risikoquellen dieser Art können über große Entfernungen oder lange Zeiträume wirksam sein und die Funktionsfähigkeit der betroffenen Systeme (Umwelt, Gesundheit, Finanz- und Arbeitsmärkte, gesellschaftliches Zusammenleben u. a.), aber auch die des Ursprungssystems selbst, gefährden. Hinzu kommt, dass sich zwischen Ursache und (vermuteter) Wirkung häufig nur schwer kausale Zusammenhänge nachweisen lassen. In aller Regel sind systemische Risiken durch ein hohes Maß an Komplexität, Ungewissheit und Uneindeutigkeit (Ambiguität) gekennzeichnet. Aussagen über Art, Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit ökonomischer, ökologischer und sozialer Effekte können - wenn überhaupt - erst nach langjähriger Beobachtung getroffen werden. Dies bedeutet aber, dass im Zusammenhang mit Technologien, bei denen mit systemischen Risiken zu rechnen ist, mit hoher Ungewissheit bis hin zu Nichtwissen über die Art der Folgen umzugehen ist. Systemische Risiken entziehen sich somit den Verfahren des klassischen Risikomanagements und erfordern die Entwicklung eigener Strategien und Instrumente für den Umgang mit ihnen. Es ist wichtig festzuhalten, dass selbst bei gleichem Risikowert (Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensmaß) die systemischen Risiken bei der Risikowahrnehmung und -bewertung weit höher eingestuft werden als "klassische" Risiken mit ihren zwar wesentlich häufigeren Ereignissen, aber geringeren Schadensausmaßen. Dies bedeutet aber, dass die Angabe des Risikos allein kein hinreichendes Maß für eine Risikobewertung darstellen kann. In Bezug auf Strahlenrisiken entstehen systemische Risiken nahezu ausschließlich nur aus Unfallsituationen. Für Überlegungen zur Festsetzung von Grenzwerten im beruflichen Bereich kommt daher dieser Klasse von Risiken nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

Um dies zu berücksichtigen und zum Zweck einer Systematisierung der Risikobetrachtungen hat die ICRP (ICRP 1991, Holm 2005) für die oben beschriebenen Risikoklassen die Begriffe "potential exposure" (entspricht systemisches Risiko) und "actual exposure" (entspricht klassisches Risiko) geprägt. Für beide Expositionsklassen wurden unterschiedliche Schutzkonzepte entwickelt. In ICRP 103 (ICRP 2007) wird das Konzept erweitert und die Expositionssituationen "emergency" (entspricht systemisches Risiko), "planned" und "existing" (entspricht klassisches Risiko) gebildet. Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen beziehen sich im Wesentlichen auf geplante Expositionssituationen.

Die Risikoziele werden international meist nach diesen Kategorien differenziert und unterschiedlich formuliert. In einigen Bereichen findet eine Unterscheidung bezüglich verschiedener Wahrscheinlichkeitsklassen - bisweilen "Sicherheitsebenen" (BfS 2004) genannt - statt. Zur Aufstellung von Kriterien für die Beurteilung von Tätigkeiten und Verfahren im Zusammenhang mit dem Rechtfertigungsprinzip hat die SSK eine "Risikomatrix" zur Ermittlung der Risiken als Funktion von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensumfang (mit jeweils sechs qualitativen Klassen) erstellt (SSK 2006b). Dieser Matrix können drei "Zonen" mit geringem, mittlerem und hohem Schädigungspotenzial entnommen werden, denen jeweils unterschiedliche Kriterien zur Rechtfertigung zugeordnet werden.

Trotz vieler klassifizierenden Gemeinsamkeiten ist es bisher nur mäßig gelungen, für die verschiedenen Bereiche, in denen mit Risikoerhöhung umgegangen werden muss, ein allgemeines Verfahren oder System zur Risikoregulierung zu installieren. Aus diesem Grunde wurde bereits im Jahr 2000 gemeinsam vom Bundesumweltministerium und vom Bundesgesundheitsministerium eine Risikokommission eingerichtet, die Vorschläge für ein solches übergeordnetes Vorgehen erarbeiten sollte. Im Jahr 2003 legte die Risikokommission ihren Abschlussbericht vor (RK 2003).

Das von der Risikokommission vorgeschlagene schrittweise Herangehen an eine Risikoregulierung gliedert sich in die Bereiche "Risikoabschätzung", "Risikobewertung" und "Risikomanagement". Während weitgehende Einigkeit darin besteht, dass eine Risikoabschätzung im Wesentlichen durch wissenschaftliche Fachexperten und -gremien durchgeführt werden sollte, ist die Frage, welche Institutionen und welche Gremien eine Risikobewertung vornehmen sollten, durchaus umstritten. Die Bewertung eines wissenschaftlich - möglichst quantitativ - abgeschätzten Risikos (z.B. durch Strahlenexposition) ist ein gesellschaftlich und politisch beeinflusster Prozess. Da jedoch auch die Fachwissenschaft selbst Teil der Gesellschaft ist und spezifische Aspekte in die Debatte einzubringen in der Lage ist (beispielsweise durch quantitativen Vergleich mit Risiken aus anderen Bereichen), kann nicht erwartet werden, dass wissenschaftliche Gremien den Bereich der Risikobewertung meiden.

Um eine systematische und rationale Risikobewertung durchführen und daraus Risikopolitik (einschließlich soziologischer und subjektiver Aspekte) ableiten zu können, werden wie oben bereits ausgeführt in der Literatur eine Reihe von Bewertungskriterien sowie Risikoklassifikationen vorgeschlagen, die unterschiedliche Risiken charakterisieren und in Risikotypen zusammenfassen sollen (WBGU 1999, Renn und Klinke 2004, McDaniels und Small 2004, ICRP 2007). Die Charakterisierungen dienen dazu, effektive und machbare Managementstrategien, Instrumente und Maßnahmen für die Risikopolitik abzuleiten. Übliche Risikokriterien sind beispielsweise das Ausmaß des Schadens, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit sowie der Grad der Ungewissheit. Weitere Kriterien können die geographische Ausbreitung und zeitliche Ausdehnung des Schadens sein oder die mögliche Umkehrbarkeit des Schadens, die Verzögerung zwischen dem ursprünglichen Ereignis und späteren Folgen sowie die gesellschaftlichen Reaktionen, die bei der Verletzung von individuellen, sozialen oder kulturellen Interessen und Werten möglich sind.

In der Risikoforschung wird davon ausgegangen, dass für "klassische" Risiken andere Bewertungsmaßstäbe gelten als für "systemische" Risiken. Häufig werden Wahrscheinlichkeitsklassen mit unterschiedlichen Risikozielen definiert. Es herrscht international weitgehend Einigkeit darüber, dass das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensmaß bei systemischen Risiken nur noch eingeschränkte Aussagekraft hat. Daher werden in der Regel hierfür mehr oder weniger qualitative Wahrscheinlichkeitsklassen gebildet (RSK und SSK 2008). Zur konkreten Formulierung von Risikozielen genügt häufig die Einteilung in zwei (wahrscheinlich, unwahrscheinlich) oder drei (wahrscheinlich, weniger wahrscheinlich, unwahrscheinlich) Klassen. Weniger eindeutig ist, ob in Bezug auf die "klassischen" Risiken/"normalen" Expositionen zu Zwecken der allgemeinen Festlegung von Risikozielen, so wie im Strahlenschutz, die Parameter Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensmaß wirklich quantitativ anzugeben sind bzw. angegeben werden können oder sollen.

Selbst wenn es gelänge, Risikowerte aus den verschiedenen Technologie- bzw. Umweltbereichen exakt zu ermitteln, so wäre dennoch eine direkte Übertragung von einem Bereich auf den anderen sehr problematisch. Wie oben ausgeführt, stellt sowohl das Schadensgewichtungsmodell als auch die Vorgabe eines Risikoziels selbst eine Risikobewertung dar. Selbst bei gleichen - gewichteten oder ungewichteten - Risikowerten kann ihre Bewertung im gesellschaftlichen Diskurs doch unterschiedlich ausfallen. Die Einbeziehung sog."multivariabler" Risikobewertungen, gemeint sind Ubiquität (breiten sich Schadstoffe global oder regional aus), Persistenz (akkumulieren sich Schadstoffe oder nicht), Verzögerungseffekte usw., kann zu stark divergierenden Gewichtungen führen. Dabei kann neben einer Reihe anderer Einflüsse auch eine Rolle spielen, ob das risikoverursachende Agens selbst eher positiv oder negativ in der öffentlichen Wahrnehmung besetzt ist.

3.7 Andere Konzepte zur Schadensgewichtung

Neben dem Detriment-Konzept der ICRP existieren international noch weitere Modelle zur Schadensgewichtung. Wie dieses dienen sie vor allem der Quantifizierung von Erkrankungen durch kanzerogene Stoffe, d. h. des Schweregrads von Krankheitszuständen, und dem Vergleich verschiedener Erkrankungs- bzw. Schadenseffekte.

Auch wenn in weiten Teilen der Welt die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen stetig steigt, stellt sich die Frage, ob diese zusätzlichen Lebensjahre tatsächlich gesunde Zeiten repräsentieren. Im Jahr 1993 wurde daher im Weltentwicklungsbericht (World Development Report, Berkley et al. 1993) der Weltbank ein Modell DALY (Disability adjusted life years) präsentiert, das dieser Problematik Rechnung trägt und seitdem in vielen Bereichen der Medizin, Soziologie und Ökonomie Anwendung findet.

DALY stellt ein Schadensmaß dar, das zur Quantifizierung der Krankheitslast den Verlust an gesunder Lebenszeit angibt. Dabei bezieht es sich auf die Jahre, die durch Krankheit beeinträchtigt sind. Zusätzlich gewichtet DALY jeden Gesundheitseffekt hinsichtlich dessen Schwere (also auch ein gewisses Maß für die Schadensqualität). Die schadensgewichteten verlorenen Lebensjahre lassen sich aus der durch vorzeitigen Tod verlorenen Lebenszeit YLL (years of life lost) und der mit einer Behinderung bzw. einer Krankheit gelebten Lebensjahre YLD (years lived in disability or disease) summieren.

Wie das Detriment-Konzept der ICRP besteht auch DALY aus einem "Sterblichkeitsterm" YLL und einem gewichteten Anteil für den nicht tödlichen Beitrag zur Krankheitsbewertung YLD, der den Verlust an Lebensqualität beinhaltet. Allerdings gibt DALY eine Zeit (verlorene Lebensjahre) an, während die ICRP-Schadensfunktion d eine dimensionslose Größe ist.

Unter anderem wurde das DALY-Modell von der World Health Organization (WHO) auf durch Trinkwasser übertragene Erkrankungen angewendet (WHO 2008). Die verschiedenen Risiken, die durch Trinkwasser verursacht werden können, können sehr unterschiedliche gesundheitliche Folgen haben, die sich auch durch unterschiedliche Schweregrade unterscheiden; einige sind akut und werden als nicht gefährlich angesehen (z.B. Durchfall), während andere mit einem höheren Schweregrad tödlich verlaufen können (z.B. Krebs). Des Weiteren können die Risiken alters- und geschlechtsabhängig sein. Darüber hinaus kann jedes Risiko unterschiedliche Wirkungen haben. Auf der Grundlage dieses Risikokonzepts werden von der WHO gesundheitspolitische Risikoziele definiert. Sie schlägt in ihren aktuellen Leitlinien für die Trinkwasserqualität vor, dass eine maximale tolerierbare Krankheitslast von nicht mehr als DALY = 10-6 Jahre pro Person durch Trinkwasser verursacht werden darf.

3.8 Zusammenfassung

Das Konzept des Detriments der ICRP beinhaltet ein Schadensmaß, das eine gewichtete Eintrittswahrscheinlichkeit für stochastische Strahleneffekte darstellt. Die Gewichtung enthält Parameter, die die Letalität einer Krebserkrankung, die Einschränkung der Lebensqualität und die Verkürzung der Lebenszeit kennzeichnen. Diese Parameter sind unabhängig von einer Strahlenexposition und unterliegen einer zeitlichen Veränderlichkeit. Mit Hilfe dieses Konzepts kann der Schweregrad bzw. die Schadensqualität einer Krebserkrankung quantitativ angegeben werden und es können damit verschiedene Krebsarten miteinander verglichen werden. Prinzipiell eignet sich ein solches Konzept mit einer organspezifischen Schadensgewichtung auch, um Krebserkrankungen (bzw. generell stochastische Effekte) durch verschiedene Ursachen bzw. verursachende Agenzien einem gemeinsamen Vergleichsmaßstab zu unterwerfen.

Das ICRP-Detriment-Modell stellt ein mögliches, jedoch nicht das einzig mögliche Maß für ein schadensgewichtetes Risiko dar. Auch in anderen Bereichen des Umwelt- und Arbeitsschutzes existieren Modelle zur Quantifizierung eines Schadensmaßes. Ein Beispiel ist das von der WHO zur Bewertung der durch Trinkwasser übertragenen Erkrankungen herangezogene Modell der "Disability Adjusted Life Years" (DALY).

3.8.1 Literatur

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4 Krebsrisiken nach Strahlenexpositionen mit einer Gesamtdosis (Äquivalent-/effektive Dosis) in der Größenordnung von 100 mSv

Die SSK hat kürzlich in der wissenschaftlichen Begründung ihrer Empfehlung zum DDREF (Dose and Dose Rate Effectiveness Factor) ausführlich epidemiologische Studien diskutiert, in denen Krebsrisiken nach Exposition mit ionisierender Strahlung als Funktion der Strahlendosis quantifiziert wurden und die bis zum Jahr 2012 veröffentlicht wurden (SSK 2014). Diese Studien werden hier nicht noch einmal beschrieben. Stattdessen werden in diesem Kapitel die Bewertungen des Krebsrisikos internationaler Gremien nach einer Exposition mit ionisierender Strahlung zusammengefasst. Zusätzlich werden epidemiologische Studien, die seit Verfassung der Empfehlung der SSK veröffentlicht wurden und in denen Strahlenrisiken als Funktion der externen Strahlendosis beschrieben sind, behandelt. Die Bewertungen und Ergebnisse werden insbesondere im Hinblick auf eine effektive Dosis von etwa 100 mSv, die dem gültigen beruflichen Grenzwert für fünf Arbeitsjahre entspricht, und auf eine effektive Dosis von etwa 400 mSv, die dem gültigen Grenzwert für die Berufslebensdosis entspricht, sowie auf Altersgruppen, die der arbeitenden Bevölkerung entsprechen, diskutiert. Die Ergebnisse dieses Kapitels fließen in den Empfehlungstext zur effektiven Dosis ein, auch wenn die hier beschriebenen Strahleneffekte meist nicht in Bezug auf die effektive Dosis, sondern auf andere Dosisgrößen angegeben werden 13.

4.1 Einschätzung von internationalen Gremien

BEIR VII

Der BEIR (Biological Effects of Ionizing Radiation) VII-Bericht hatte die Aufgabe, die Gesundheitsrisiken durch die Exposition mit ionisierender Strahlung in einem Dosisbereich bis zu etwa 100 mSv (BEIR 2006) abzuschätzen 14. Bei der Abschätzung der Lebenszeit-Risiken für maligne Tumoren verwendet BEIR VII das LNT-Modell sowie einen DDREF-Wert von 1,5. Für eine Exposition mit einer Dosis von 100 mGy werden für 100.000 exponierte Männer etwa 800 zusätzliche Fälle maligner Tumoren (95 %-KI: 400 - 1.600) abgeschätzt, für Frauen entsprechend 1.300 Fälle (95 %-KI: 400 - 1.600). Entsprechend betragen die Schätzungen für Todesfälle durch maligne Tumoren 410 (95 %-KI: 200 - 830) für Männer bzw. 610 (95 %-KI: 300 - 1.200) für Frauen. Ähnliche Angaben werden auch für Leukämie gemacht, und für die Inzidenz bei 100.000 Männern werden 100 Fälle (95 %-KI: 30 - 300), bei 100.000 Frauen dagegen 70 Fälle (95 %-KI: 20 - 250) angegeben. Die entsprechenden Zahlen für die Mortalität sind für Männer 70 (95 %-KI: 20 - 220) und für Frauen 50 (95 %-KI: 10 - 190). Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so ergibt sich bei einer Exposition mit einer Dosis von 100 mSv durch ionisierende Strahlung ein Risiko für das Auftreten von Krebs (maligne Tumoren und Leukämien) von etwa 1 % sowie ein Mortalitätsrisiko von etwa 0,6 %.

UNSCEAR

UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) hat in einem umfangreichen Bericht die Kenntnis zur Wirkung ionisierender Strahlung auf den Menschen zusammengefasst (UNSCEAR 2006). UNSCEAR verwendet dazu sowohl für maligne Tumoren 15 als auch für Leukämien linearquadratische Dosis-Wirkungskurven und verzichtet auf die Anwendung eines DDREF. Darauf aufbauend wird im UNSCEAR-Bericht 2010 das lebenslange Mortalitätsrisiko nach einer Exposition mit einer Dosis von 100 mGy (gemittelt über beide Geschlechter) im Bereich 0,36 % bis 0,77 % angegeben. Entsprechend gibt der Bericht einen Bereich von 0,03 % bis 0,05 % für Leukämien an (UNSCEAR 2010). Beide Angaben sind mit den Abschätzungen im BEIR VII-Bericht zur Mortalität nach Exposition mit einer Dosis von 100 mGy konsistent (BEIR 2006).

ICRP

Auch die ICRP hat in ihren Empfehlungen Aussagen zum Krebsrisiko gemacht (ICRP 2007). Die ICRP verwendet dazu für maligne Tumoren 16 das LNT-Modell (LNT: Linear No Threshold) sowie einen Wert von 2 für den DDREF. Für Leukämien wird dagegen ein linearquadratisches Modell verwendet und auf die Anwendung eines DDREFs verzichtet. Die Angaben der ICRP beziehen sich auf detrimentgewichtete Risiken (siehe Kapitel 3). Für die arbeitende Bevölkerung wird für alle Krebsarten bei einer Dosis von 1 Sv ein Mortalitätsrisiko von 4,1 % angegeben, was bei Anwendung des LNT-Modells für eine Dosis von 100 mSv einem detrimentgewichteten Risiko von 0,4 % entspricht. Dies ist mit den von BEIR VII und UNSCEAR angegebenen Werten für die Mortalität durch maligne Tumoren kompatibel (etwa 0,5 %). Für Leukämien geht die ICRP ähnlich wie UNSCEAR und BEIR VII von einem etwa zehnmal niedrigeren zusätzlichen Risiko als für maligne Tumoren aus.

4.2 Neuere Daten zur Krebsmortalität und Krebsinzidenz bei den Atombombenüberlebenden

Im aktuellsten Mortalitäts-Followup der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki untersuchen Ozasa und Mitarbeiter für den Zeitraum 1950 bis 2003 die Wahrscheinlichkeit für 86.611 Überlebende (58.494 davon aus Hiroshima; 35.687 davon männlich), für die Dosisschätzungen auf der Basis des aktuellsten Dosimetriesystems DS2002 existieren, an Krebs- und Nichtkrebserkrankungen zu sterben (Ozasa et al. 2012). Mehr als 51.000 der untersuchten Personen waren bei Exposition älter als 19 Jahre. Als Referenzdosis wird die gewichtete Dickdarmdosis angegeben, bei der die Energiedosis durch Gammastrahlung und das 10-fache der Energiedosis durch Neutronenstrahlung addiert wurde. 5.974 Personen waren einer Dosis von mehr als 100 mGy ausgesetzt, wobei Dosen größer als 4 Gy per definitionem auf einen Wert von 4 Gy gesetzt wurden. Die statistische Auswertung wurde mittels Poisson-Regression in Abhängigkeit von Stadt, Geschlecht, erreichtem Alter und Alter bei Exposition durchgeführt. Als Dosisabhängigkeit wurde im Wesentlichen ein lineares Modell verwendet, aber auch andere funktionale Abhängigkeiten (quadratisch, linearquadratisch) wurden untersucht.

Im Followup-Zeitraum starben 58 % der untersuchten Überlebenden. Von den Personen, die im Alter von weniger als 20 Jahren exponiert worden waren, waren zum Ende des Zeitraums noch 80 % am Leben. Insgesamt starben an malignen Tumoren 17 10.929 Personen (22 %). Für Leukämie geben die Autoren ein geschlechtsgemitteltes zusätzliches relatives Risiko bei einer Dosis von 1 Gy von 3,1 (95 %-KI: 1,8 - 4,3), bei einer Dosis von 100 mGy von 0,15 (95 %-KI: -0,01 - 0,31) an, wobei sie ein linearquadratisches Dosis-Wirkungsmodell verwendeten. Für maligne Tumoren dagegen ergab sich mit einem linearen Dosis-Wirkungsmodell ein geschlechtsgemitteltes zusätzliches relatives Risiko pro gewichteter Dickdarmdosis (ERR/Gy) von 0,42 (95 %-KI: 0,32 - 0,53), für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren und einem erreichten Alter von 70 Jahren.

Für alle malignen Tumoren zusammen und den gesamten Dosisbereich fanden die Autoren, dass eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung die Daten am besten beschreibt und dass die Berücksichtigung eines quadratischen Terms zu keiner Verbesserung der Anpassung der Daten führt. Allerdings ergab sich eine signifikante Krümmung in der Dosis-Wirkungsbeziehung, wenn die Daten auf den Dosisbereich 0 Gy bis 2 Gy beschränkt wurden, wobei die ERR-Punktschätzungen für Dosiswerte kleiner als 300 mGy, jedoch höher sind als die, die durch eine lineare oder linearquadratische Anpassung vorhergesagt werden. Der kleinste Dosisbereich, bei dem sich mit 0,56 (95 %-KI: 0,15 - 1,04) Gy -1 ein signifikanter Wert für das zusätzliche relative Risiko pro gewichteter Dickdarmdosis ergab, war der Bereich 0 Gy bis 200 mGy.

Grant und Mitarbeiter untersuchten im dritten Bericht zur Inzidenz solider Tumoren 18 bei den Atombombenüberlebenden insgesamt 105.444 Personen (davon 66.053 weiblich), von denen für 80.205 Personen individuelle, auf der Basis des Dosimetriesystems DS02R1 abgeschätzte Dosiswerte für den Dickdarm zur Verfügung standen (Grant et al. 2017). Dabei wurden die mit einem Faktor 10 gewichtete Energiedosis durch Neutronen und die Energiedosis durch Photonen addiert. Etwa 24 % der Gesamtkohorte waren nicht exponiert (Angehörige der Kategorie "Not in City"), 34 % hatten Dosiswerte im Bereich 0 mGy bis 5 mGy, 37 % im Bereich 5 mGy bis 500 mGy, 3 % im Bereich 500 mGy bis 1 Gy, und 2 % Dosiswerte größer als 1 Gy. Die Analyse schloss für den Untersuchungszeitraum von 1958 bis 2009 insgesamt 3.079 484 Personenjahre ein. In der Studie wurden verschiedene Dosis-Effektmodelle untersucht (z.B. linear, linearquadratisch, linear plus Schwelle). Im Beobachtungszeitraum wurden 22.538 Fälle primärer maligner Tumoren beobachtet, davon traten etwa 26 % im Zeitraum 1999 bis 2009 auf, also seit dem Ende des letzten Followup-Zeitraums (1958 bis 1998). Insgesamt ordneten Grant und Mitarbeiter 992 der Fälle der Exposition durch die ionisierende Strahlung zu.

Wird ein lineares Modell verwendet, ergibt sich für ein erreichtes Alter von 70 Jahren bei einem Expositionsalter von 30 Jahren geschlechtsgemittelt (ohne auf Rauchen zu adjustieren) ein zusätzliches Risiko von 0,50 (95 %-KI: 0,42 - 0,59) Gy -1, ähnlich dem im früheren Followup abgeleiteten Wert von 0,47 Gy -1. Bei dieser Art der Auswertung ergab sich bereits für den Dosisbereich 0 mGy bis 100 mGy ein statistisch signifikanter Wert von 0,49 (95 %-KI: 0,026 - 1,01) Gy -1. Eine quantitative Analyse der Abhängigkeit vom Alter bei Exposition ergab eine Abnahme des zusätzlichen relativen Risikos um 21 % (95 %-KI: 12 % - 29 %) je einer Zunahme des Alters bei Exposition um 10 Jahre.

Wird eine ähnliche Auswertung über den ganzen Dosisbereich nur für Männer durchgeführt, ergibt sich ein niedrigeres zusätzliches relatives Risiko von 0,27 (95 %-KI: 0,19 - 0,37) Gy -1, für Frauen dagegen ein Wert von 0,64 (95 %-KI: 0,52 - 0,77) Gy -1. Bei Verwendung eines linearquadratischen Modells wird dieser Unterschied noch deutlicher. In diesem Fall ergaben die Analysen von Grant und Mitarbeitern für Männer für die lineare Komponente einen Wert von 0,087 (95 %-KI: -0,03 - 0,23) Gy -1 und für die quadratische Komponente einen Wert von 0,11 (95 %-KI: 0,04 - 0,20) Gy -2. Dies entspricht einer Cross-Over-Dosis, bei der der lineare und der quadratische Beitrag zum untersuchten Effekt gleich groß sind, von etwa 0,79 Gy. Für Frauen ergaben sich die entsprechenden Werte von 0,57 (95 %-KI: 0,40 - 0,77) Gy -1 und 0,049 (95 %-KI: -0,06 - 0,16) Gy -2, was einer Cross-Over-Dosis von 11,6 Gy entspricht. Die Dosis-Wirkungskurve für Frauen ist also mit einem linearen Verlauf kompatibel, während diejenige für Männer eine signifikante positive Krümmung aufweist.

4.3 Weitere neuere epidemiologische Studien

Studien an Mayak-Arbeitern

Hunter und Mitarbeiter untersuchten an den Beschäftigten der Mayak-Anlage in Russland erstmals die Inzidenz von Krebsarten 19 außer Lungen-, Leber- und Knochenkrebs (Hunter et al. 2013). Unter 22.366 Arbeitern, 25 % davon weiblich, die in den Jahren 1948 bis 1982 eingestellt worden waren, wurden bis 2004 1.447 Krebsfälle beobachtet. Die mittlere Personendosis (Hp(10)) durch externe Gammastrahlung, die mit Filmdosimeter quantifiziert wurde, beträgt in dieser Kohorte 0,51 Gy (beobachtete Werte: 0 bis 6,8 Gy), wobei 3.862 Personen eine Dosis größer als 1 Gy aufwiesen. Hunter und Mitarbeiter werteten die Daten mittels Poisson-Regression auf der Basis eines linearen Dosis-Wirkungsmodells aus und konnten dabei für 89 % der Arbeiter auf Informationen zum Raucherstatus und für 78 % der Arbeiter auf Informationen zum Alkoholkonsum zurückgreifen. Als Ergebnis ergab sich für externe Exposition ein zusätzliches relatives Risiko pro Personendosis durch externe Gammastrahlung für alle Krebsarten außer Lungen-, Leber- und Knochenkrebs von 7 % (95 %-KI: 1 - 15 %) Gy -1. Die Autoren der Studie fanden keinen Hinweis auf eine nichtlineare Dosis-Wirkungsbeziehung, und schließen mit dem Hinweis, dass die gewonnenen Ergebnisse für das zusätzliche relative Risiko pro Personendosis zwar niedriger, aber noch kompatibel mit Ergebnissen von Studien an Beschäftigten in der Nuklearindustrie anderer Länder, jedoch nicht mehr kompatibel mit den Ergebnissen der Life Span Study (LSS) seien.

Sokolnikov und Mitarbeiter untersuchten bei 25.757 Mayak-Beschäftigten, davon 19.395 Männer, die in der Zeit zwischen 1948 und 1982 eingestellt worden waren, die Mortalität an malignen Tumoren außer Lungen-, Leber- und Knochenkrebstumoren (Sokolnikov et al. 2015) 20. Im Untersuchungszeitraum von 1948 bis 2008 traten bei 950.896 Personenjahren 1.825 Todesfälle aufgrund dieser Krebserkrankungen auf. Die mittlere externe Dickdarmdosis, basierend auf dem "Mayak Worker Dosimetry System, MWDS 2008", betrug 354 mGy, wobei in den meisten Fällen (80 %) die Dosisangaben für den Dickdarm aus mit Filmplaketten gemessenen Personen-Dosiswerten (Hp(10)) berechnet wurden. Etwaige Dosisbeiträge durch Neutronen (bei etwa 15 % der Personen) wurden nicht berücksichtigt. In den meisten Fällen wurde zur Auswertung der Daten ein lineares Dosis-Wirkungsmodell herangezogen, aber auch andere funktionale Abhängigkeiten (Schwelle, quadratischer Verlauf) wurden untersucht. Nach Adjustierung bezüglich der Plutoniumdosis und des Überwachungsstatus berichten Sokolnikov und Mitarbeiter von einem zusätzlichen relativen Risiko von 0,12 (95 %-KI: 0,03 - 0,21) Gy -1. Ihren im Vergleich zu den Ergebnissen von Hunter und Mitarbeitern (Hunter et al. 2013) deutlich höheren Wert erklären die Autoren mit der Tatsache, dass sie im Gegensatz zu Hunter und Mitarbeitern, die die Personendosis der Arbeiter verwendeten, ihre Analyse auf Dickdarmdosen basierten.

In einer zu (Sokolnikov et al. 2015) ergänzenden Studie verwendeten Sokolnikov und Mitarbeiter eine Untergruppe von Mayak-Arbeitern, die nie mit Plutonium gearbeitet hatten (Sokolnikov et al. 2017). Für diese Untergruppe, die 8.800 Personen einschloss, erhielten Sokolnikov und Mitarbeiter für das zusätzliche Risiko einen Wert von 0,20 (95 %-KI: -0,0002 - 0,46) Gy -1. Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über die in diesem Kapitel diskutierten epidemiologischen Studien.

Weitere Studien an Arbeitern in der Nuklearindustrie

Metz-Flamant und Mitarbeiter führten zum ersten Mal eine gemeinsame Auswertung der Mortalitäts-Daten der Beschäftigten in der französischen Nuklearindustrie durch (Metz-Flamant et al. 2013). Dabei berücksichtigten sie insgesamt 59.201 Beschäftigte bei EDF (Electricité De France) sowie bei CEA (Commissariat á l'Energie Atomique) und AREVA, von denen 87,4 % männlich waren. Die mittlere Personendosis durch externe Röntgen- und Gammastrahlung betrug 22,5 mSv, wobei bei einer mittleren Dauer des Followups von 24,9 Jahren 4.379 Personenjahre mit einer Dosis von mehr als 200 mSv auftraten. Die höchste Dosis betrug 605,6 mSv. Metz-Flamant und Mitarbeiter geben für das zusätzliche relative Risiko pro Personendosis für maligne Tumoren 21 einen Wert von 0,34 (90 %-KI: -0,56 - 1,36) Sv -1 an. Der entsprechende Wert für Leukämie ohne chronisch lymphatische Leukämie ist etwa zehnmal höher (3,96 (90 %-KI: < 0 - 18,82) Sv -1). In beiden Fällen liegt der Auswertung eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung zugrunde. Die Autoren vergleichen diese Ergebnisse mit denen der Life Span Study an den Atombombenüberlebenden (Ozasa et al. 2012), wobei sie die LSS-Daten für Männer im Alter zwischen 20 und 60 Jahren berechnen und das Ergebnis für ein erreichtes Alter von 55 Jahren (was in etwa dem mittleren erreichten Alter am Ende des Followups entspricht) und ein Alter bei Exposition von 35 Jahren (was in etwa dem Alter der ersten Exposition in den französischen Kohorten entspricht) angeben (0,37 (90 %-KI: 0,17 - 0,60) Sv -1 bzw. 2,63 (90 %-KI: 1,50 - 4,27) Sv -1). Aus den Ergebnissen schließen die Autoren, dass ihre Ergebnisse mit denen der LSS kompatibel sind. Sie betonen, dass eine kombinierte Auswertung ihrer Kohorte mit den Beschäftigten in der Nuklearindustrie der USA und Großbritanniens noch genauere Ergebnisse erwarten lässt.

Zablotska und Mitarbeiter untersuchten die Krebsmortalität und -inzidenz bei 3.000 Beschäftigten (88,2 % davon männlich) der Firma Port Hope, die internen Expositionen durch die Inkorporation von Radium und Uran sowie externen Expositionen durch Gammastrahlung ausgesetzt waren (Zablotska et al. 2013). Auch die Inhalation von Radon und Radonfolgeprodukten trug zur Strahlenexposition bei. Die durch externe Gammastrahlung verursachte mittlere mit Personenjahren gewichtete effektive Dosis betrug 134 mSv, bei einer Standardabweichung von 314,2 mSv. Im Followup-Zeitraum wurden 225 Todesfälle durch maligne Tumoren 22 beobachtet. Zablotska und Mitarbeiter leiteten daraus unter der Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ein positives, aber nicht signifikantes zusätzliches relatives Risiko pro effektive Dosis externer Gammastrahlung von 0,12 (95 %-KI: < -0,35 - 0,98) Sv -1 ab.

Zablotska und Mitarbeiter führten eine neue Analyse der Krebsmortalität an Beschäftigten der kanadischen Nuklearindustrie durch (Zablotska et al. 2014). Eine frühere Studie hatte an dieser Kohorte ein unerwartet hohes zusätzliches relatives Risiko pro Dosis von 2,80 (95 %-KI: -0,038 - 7,13) Sv -1 ergeben (Zablotska et al. 2004). Daten dieser Studie waren in die 15-Länder-Studie von Cardis und Mitarbeiter eingegangen (Cardis et al. 2005, 2007). In der nun veröffentlichten Neubewertung wurden 45.316 Beschäftigte berücksichtigt (83,2 % davon männlich), die bei Atomic Energy of Canada Limited (AECL) (35,2 %), Hydro-Quebec (5,2 %), New Brunswick Power Corporation (4,8 %), und Ontario Hydro (51,7 %) bzw. in mehreren dieser Einrichtungen (3,2 %) beschäftigt waren. Die mittlere Lungen-Äquivalentdosis aller Beschäftigten lag bei 21,64 mSv, wobei der Dosisbereich zwischen 0 und 678,78 mSv betrug. Unter Verwendung der gesamten Kohorte und eines linearen Dosis-Wirkungsmodells ergab sich für maligne Tumoren 23 ein hohes zusätzliches relatives Risiko pro Lungen-Äquivalentdosis von 1,77 (95 %-KI: -0,42 - 5,30) Sv -1. Allerdings berichten Zablotska und Mitarbeiter, dass dieses Ergebnis hauptsächlich durch 3.066 Personen, die im Zeitraum von 1956 bis 1965 bei AECL beschäftigt waren, bestimmt wurde. Ohne diese Personen ergab die Auswertung der Daten der verbleibenden 42.228 Beschäftigten ein negatives, nicht signifikantes zusätzliches relatives Risiko pro Lungen-Äquivalentdosis von -1,20 (95 %-KI: -1,47 - 2,39) Sv -1. Dieses Ergebnis sowie die Tatsache, dass unter den 3.066 Personen mit einem erhöhten Risiko an malignen Tumoren kein erhöhtes Risiko für Leukämien nachgewiesen werden konnte, ließen Zablotska und Mitarbeiter zu dem Schluss kommen, dass die Daten der frühen AECL-Beschäftigten nicht vertrauenswürdig sind ("... concerns that there remains a data problem in the early AECL workers.") (Zablotska et al. 2014).

Leuraud und Mitarbeiter kombinierten die Daten von 308.297 Arbeitern, 87 % davon männlich, die mindestens ein Jahr in der Nuklearindustrie in Frankreich, Großbritannien oder den USA beschäftigt waren (Leuraud et al. 2015). Insgesamt umfasste die Untersuchung 8,22 Millionen Personenjahre, wobei der Studienzeitraum im Mittel 27 Jahre und die mittlere kumulative Dosis für das rote Knochenmark 16 mGy betrug. Zehn Prozent der Dosiswerte waren höher als etwa 41 mGy, die höchste Dosis betrug 1.217,5 mGy. Im Untersuchungszeitraum wurden 531 Todesfälle durch Leukämie ohne chronisch lymphatische Leukämie (CLL) beobachtet, 281 davon bei Personen mit einer Knochenmarksdosis von weniger als 5 mGy. Die Autoren berichten von einem zusätzlichen relativen Risiko für Leukämie ohne CLL pro Dosis für das rote Knochenmark von 2,96 (90 %-KI: 1,17 - 21) Gy -1, wobei eine einfache lineare Dosis-Wirkungsfunktion den Verlauf der Daten bereits sehr gut widerspiegelte und die Verwendung einer linearquadratischen oder rein quadratischen Funktion die Anpassung nicht wesentlich verbesserte. Die Beschränkung auf Dosiswerte für das rote Knochenmark von weniger als 300 mGy oder weniger als 100 mGy führte zu keinen wesentlichen Änderungen bei den sich ergebenden ERR-Werten pro Dosis für das rote Knochenmark. Den größten Beitrag zum zusätzlichen relativen Risiko pro Dosis für das rote Knochenmark ergab sich mit 10,45 (90 %-KI: 4,48 - 19,65) Gy -1 durch chronisch myeloische Leukämie (CML). Die Autoren betonen, dass ihr Ergebnis vergleichbar ist mit dem zusätzlichen relativen Risiko pro Dosis, das man aus den Daten der Atombombenüberlebenden mit einem Alter bei Exposition zwischen 20 Jahren und 60 Jahren erhält (ERR pro Dosis für das rote Knochenmark: 2,63 (90 %-KI: 1,50 - 4,27) Gy -1). Die Tatsache, dass im Gegensatz zur 15-Länder-Studie von Cardis und Mitarbeitern (Cardis et al. 2005) in der Studie von Leuraud und Mitarbeitern (Leuraud et al. 2015) ein signifikanter Wert für das ERR für Leukäme pro Dosis für das rote Knochenmark bei Arbeitern in der Nuklearindustrie gefunden werden konnte, erklärt sich unter anderem mit dem im Vergleich zur 15-Länder-Studie etwa doppelt so langen Untersuchungszeitraum (27 Jahre statt 13 Jahre) und der größeren Anzahl an untersuchten Personen.

Die in der Publikation von Leuraud und Mitarbeitern (Leuraud et al. 2015) untersuchte Kohorte wurde von Richardson und Mitarbeitern im Hinblick auf die Mortalität durch maligne Tumoren untersucht (Richardson et al. 2015). Diese Autoren zogen die Dickdarmdosis zur Berechnung des zusätzlichen relativen Risikos pro Dosis heran. Die mittlere kumulierte Dickdarmdosis in der untersuchten Kohorte betrug 17,4 mGy. Unter den 257.166 exponierten Arbeitern betrug sie 20,9 mGy, während die maximale kumulierte Dickdarmdosis 1.331,7 mGy betrug. Zehn Prozent der kumulierten Dosiswerte waren dabei größer als 53,4 mGy. Im Untersuchungszeitraum (1944 bis 2005) traten in der Kohorte 19.748 Todesfälle durch alle Krebsarten auf, davon 17.957 durch maligne Tumoren 24 bzw. 12.155 durch maligne Tumoren ohne Lungenkrebs. Die Form der Dosis-Wirkungskurve wurde unter Verwendung der Methode der Poisson-Regression untersucht, indem eine lineare funktionale Abhängigkeit mit der Dosis angenommen wurde. Polynome höherer Ordnung wurden daraufhin untersucht, ob ihre Verwendung die Anpassung an die Daten verbessert. Die Autoren berichten unter der Annahme einer Latenzzeit von 10 Jahren und bei Verwendung des gesamten Dosisbereichs für alle Krebsarten 25 außer Leukämie von einem zusätzlichen relativen Risiko pro Dickdarmdosis von 0,48 (90 %-KI: 0,20 - 0,79) Gy -1 bzw. für alle malignen Tumoren von 0,47 (90 %-KI: 0,18 - 0,79) Gy -1. Die Beschränkung der Dickdarmdosis auf Werte kleiner als 200 mGy ergab für alle Krebsarten außer Leukämie ein zusätzliches relatives Risiko pro Dickdarmdosis von 1,04 (90 %-KI: 0,55 - 1,56) Gy -1 und auf Werte kleiner als 150 mGy 0,69 (90 %-KI: 0,10 - 1,30) Gy -1. Selbst für Dosiswerte kleiner als 100 mGy ergab sich für das zusätzliche relative Risiko pro Dickdarmdosis noch ein signifikanter Wert von 0,81 (90 %-KI: 0,01 - 1,64) Gy -1. Die Autoren schließen daraus, dass das signifikante Ergebnis nicht nur durch die hohen, in der Studie aufgetretenen Dosen bestimmt ist. Sie führten umfangreiche Sensitivitätsanalysen durch und wählten für ihre Untersuchungen zum Beispiel unterschiedliche Latenzzeiten, ließen jeweils eine der drei nationalen Kohorten weg, beschränkten sich auf spezielle Krebsarten, auf Arbeiter ohne Neutronenexpositionen oder auf Arbeiter ohne interne Kontaminationen. Dabei zeigte sich, dass sich die abgeleiteten Werte für das zusätzliche relative Risiko pro Dickdarmdosis in keinem Fall wesentlich änderten. Aus ihren Ergebnissen schließen die Autoren, dass das für maligne Tumoren abgeleitete zusätzliche relative Risiko pro Dickdarmdosis zwar größer, aber statistisch kompatibel mit dem entsprechenden Risiko pro Dosis ist, das sie aus den Daten der Atombombenüberlebenden für im Alter zwischen 20 und 60 Jahren exponierte Männer ableiteten (0,32 Sv -1; 95 %-KI: 0,01-0,50 Sv -1). Die Autoren schließen mit der Feststellung, dass die Ergebnisse ihrer Studie einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Krebsrisikos durch Exposition mit niedrigen Dosisleistungen ionisierender Strahlung liefern, und zwar in einer Kohorte von Personen, die aus beruflichen Gründen über viele Jahre einer mittleren kumulierten Dickdarmdosis von etwa 20 mGy ausgesetzt waren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit das zusätzliche relative Risiko pro Dickdarmdosis bei einer Dickdarmdosis von etwa 20 mGy bestimmt werden konnte.

Studien an Uranbergarbeitern

Rage und Mitarbeiter untersuchten eine Gruppe von 3.377 französischen Uranbergarbeitern, die später als 1955 eingestellt worden waren und für die Informationen zur Exposition mit Radon, langlebigen Radionukliden und externer Gammastrahlung verfügbar waren (Rage et al. 2015). Im Untersuchungszeitraum von 1956 bis 2007, der 110.548 Personenjahre einschloss, wurden 315 Todesfälle durch alle Krebsarten beobachtet 26. Die Personendosis durch externe Gammastrahlung wurde mit Filmplaketten individuell bestimmt und in mGy angegeben. Dabei ergab sich für exponierte Arbeiter (95,9 % der Kohorte) eine kumulierte Personendosis von 54,9 mGy (im Bereich von 0,20 Gy bis 470,1 mGy). Alle Daten wurden mittels Poisson-Regression unter der Annahme einer linearen Abhängigkeit mit der Exposition ausgewertet. Es ergab sich für alle Krebsarten und externe Gammastrahlung ein nicht signifikantes zusätzliches Risiko pro Personendosis von 0,10 (95 %-KI: -0,04 - 0,30) (100 mGy) -1 und für Lungenkrebs ein signifikantes zusätzliches Risiko pro Personendosis von 0,74 (95 %-KI: 0,23 - 1,73) (100 mGy) -1.

Kreuzer und Mitarbeiter untersuchten 4.054 männliche Angestellte der Wismut AG bzw. der SDAG Wismut (eine Untergruppe der deutschen Uranbergarbeiter), die zwischen 1946 und 1989 zur Aufarbeitung von Uran eingesetzt worden waren, jedoch nie unter Tage gearbeitet hatten (Kreuzer et al. 2015). Der Mortalitäts-Followup erstreckte sich von 1946 bis 2008 und schloss 158.383 Personenjahre ein. Die externe Gammadosis wurde bestimmt, indem in Abhängigkeit von Einrichtung, Arbeitsplatz und Tätigkeit eine mittlere jährliche Dosis berechnet wurde ("Job-Exposure-Matrix"). Ab 1963 wurden Messergebnisse der Ra-226-Konzentration im Gestein unter Verwendung geeigneter Konversionsfaktoren in effektive Dosis umgerechnet. Die mittlere kumulierte effektive Dosis betrug in der untersuchten Kohorte 26 mSv mit einem Maximum von 667 mSv. 169 Personen erreichten eine kumulierte effektive Dosis von mehr als 100 mSv. Im Untersuchungszeitraum starben 434 Personen an malignen Tumoren 27. Kreuzer und Mitarbeiter verwendeten für ihre Analysen Modelle des relativen Risikos sowie ein lineares Dosis-Wirkungsmodell. In Bezug auf externe Gammastrahlung ergab sich ein zusätzliches relatives Risiko für alle malignen Tumoren pro effektiver Dosis von 1,86 (90 %-KI: -0,08 - 3,80) Sv -1.

In einer weiteren Studie untersuchten Kreuzer und Mitarbeiter die Mortalität durch Leukämie bei 58.972 Uranbergarbeitern, die im Zeitraum von 1946 bis 1989 mindestens sechs Monate bei der Wismut AG oder der SDAG Wismut gearbeitet hatten (Kreuzer et al. 2017). Dabei unterschieden sie unter anderem chronisch lymphatische Leukämie (CLL), chronisch myeloische Leukämie (CML), akute myeloische Leukämie (AML) und andere Arten. Der Followup-Zeitraum war von 1946 bis 2013. Die Dosisangaben basierten auf individuellen Angaben zum Arbeitsplatz, zur Art der Tätigkeit und zum Kalenderjahr ("job exposure matrix"). Zur Bestimmung von Dosen für das rote Knochenmark aufgrund externer Gammastrahlung wurden gemessene Ra-226-Aktivitäten im Gestein und geeignete Dosis-Konversionsfaktoren verwendet. Insgesamt wurden bei 2.331 963 Personenjahren 203 Todesfälle durch Leukämie beobachtet, darunter 70 CLL- und 120 nicht CLL-Fälle. Für 50.746 exponierte Arbeiter ergab sich eine mittlere kumulierte Dosis für das rote Knochenmark durch externe Gammastrahlung von 47,5 mSv, wobei Dosiswerte zwischen 15,9 mSv und 908,6 mSv auftraten. Für die statistische Auswertung mittels Poisson-Regression wurde eine Latenzzeit von zwei Jahren und ein lineares Dosis-Wirkungsmodell verwendet, wobei die Autoren auch die Auswirkung der Verwendung anderer Latenzzeiten und Dosis-Wirkungsmodelle untersuchten. Kreuzer und Mitarbeiter berichten von einem positiven, nicht signifikanten zusätzlichen relativen Risiko für nicht CLL-Fälle pro Dosis für das rote Knochenmark in Bezug auf externe Gammastrahlung von 2,15 (95 %-KI: -0,41 - 6,37) Gy -1. Auffällig ist ein statistisch signifikant erhöhtes zusätzliches relatives Risiko für CML pro Dosis für das rote Knochenmark (31 Fälle) von 7,20 (95 %-KI: 0,48 - 24,54) Gy -1.

Studien an der Bevölkerung am Fluss Tetscha

Schonfeld und Mitarbeiter untersuchten die Mortalität der Bevölkerung am Fluss Tetscha im Südural in Russland (Schonfeld et al. 2013). Die verwendete Kohorte umfasste 29.730 Personen (58 % davon Frauen), von denen im Followup-Zeitraum 17.307 verstorben waren. Etwa 28 % dieser Personen waren erstmals im Alter zwischen 20 und 40 Jahren exponiert, 32 % waren dagegen älter als 40 Jahre. Bei mehr als 90 % der verstorbenen Personen war die Todesursache bekannt. Von den aufgetretenen 2.303 Todesfällen durch maligne Tumoren 28 waren 1.188 Männer (bei denen hauptsächlich Lungen-, Magen- und Speiseröhrenkrebs aufgetreten war) und 1.115 Frauen betroffen (bei denen hauptsächlich Magen-, Gebärmutter- und Brustkrebs beobachtet wurde). Die für die Kohorte angegebene mittlere Magendosis, die sich aus externen und internen Expositionen auf der Basis des aktuellsten Dosimetriesystems TRDS-2009 ergab, beträgt 35 mGy. Bei fast 10 % der Mitglieder der Kohorte ergaben sich Magendosen größer als 100 mGy. Die Autoren der Studie erhielten bei Verwendung eines linearen Dosis-Wirkungsmodells ein zusätzliches relatives Risiko pro Magendosis von 0,61 (95 %-KI: 0,04 - 1,27) Gy -1. Sie betonen allerdings, dass auch alternative Formen der Dosis-Wirkungskurve die Daten ähnlich gut beschreiben "... allowing for a linearquadratic dose response provided no evidence against linearity ...", und "... a pure quadratic dose response described the data as well as a simple linear model." (Schonfeld et al. 2013).

Davis und Mitarbeiter berichteten von Ergebnissen einer aktualisierten Inzidenz-Studie, die sie an der Bevölkerung am Fluss Tetscha im Südural in Russland durchgeführt hatten (Davis et al. 2015). Die untersuchte Kohorte umfasste 17.435 Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1956 keine Krebsdiagnose erhalten hatten und die zwischen Anfang 1956 und Ende 2007 zumindest zeitweilig im Untersuchungsgebiet gelebt hatten. Die Dosisanagaben berücksichtigen Beiträge durch externe und interne Expositionen und beziehen sich auf die Magendosis; sie wurden auf Grundlage des aktuellsten Dosimetriesystems TRDS-2009 berechnet. Die mittlere Magendosis lag für die untersuchte Kohorte bei 52 mGy, wobei für etwa 10 % der insgesamt untersuchten 472.788 Personenjahre die Magendosis zu mehr als 100 mGy abgeschätzt wurde und Magendosen bis zu 960 mGy auftraten. Im Untersuchungszeitraum wurden bei 1.933 Personen maligne Tumoren 29 diagnostiziert, woraus die Autoren ein zusätzliches relatives Risiko pro Magendosis von 0,08 (95 %-KI: 0,01 - 0,15) (100 mGy) -1 ableiteten, wobei sie auf das Rauchverhalten der untersuchten Personen korrigiert hatten. Sie verwendeten eine lineare Dosis-Wirkungskurve, die die Daten ähnlich gut beschreibt wie eine linearquadratische oder eine rein quadratische Dosis-Wirkungskurve. Der Punktschätzer für das zusätzliche relative Risiko pro Magendosis ist etwa 15 % niedriger als der, der in einer früheren Publikation zur Inzidenz maligner Tumoren unter der Bevölkerung am Fluss Tetscha berichtet wurde (Krestinina et al. 2007), hauptsächlich wegen der im Vergleich zu früher etwas höheren Dosisabschätzungen.

Tabelle 4.1: ERR je Dosis für maligne Tumoren und Leukämie, externe Expositionen

KohorteReferenzEndpunktDosisERR je DosisKommentar
Atombombenüberlebende, LSSOzasa
et al. 2012
Krebs,
Mortalität
gewichtete
Dickdarmdosis
0,42 (95 %-KI: 0,32 - 0,53) Gy -1für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren
und einem erreichten Alter von 70 Jahren,
geschlechtsgemittelt, lineares Modell,
Dosisbereich 0 - 2 Gy
0,56 (95 %-KI: 0,15 - 1,04) Gy -1für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren
und einem erreichten Alter von 70 Jahren,
geschlechtsgemittelt, lineares Modell,
Dosisbereich 0 - 200 mGy
Atombombenüberlebende, LSSGrant et al. 2017Krebs, Inzidenzgewichtete
Dickdarmdosis
0,50 (95 %-KI: 0,42 - 0,59) Gy -1für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren
und einem erreichten Alter von 70 Jahren,
geschlechtsgemittelt, lineares Modell,
gesamter Dosisbereich
0,49 (95 %-KI: 0,026 - 1,01) Gy -1für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren
und einem erreichten Alter von 70 Jahren,
geschlechtsgemittelt, lineares Modell,
Dosisbereich 0 - 100 mGy
0,087 (95 %-KI: -0,03 - 0,23) Gy -1für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren
und einem erreichten Alter von 70 Jahren,
Männer, linearquadratisches Modell,
lineare Komponente, gesamter Dosisbereich
0,57 (95 %-KI: 0,40 - 0,77) Gy -1für ein Alter bei Exposition von 30 Jahren
und einem erreichten Alter von 70 Jahren,
Frauen, linearquadratisches Modell,
lineare Komponente, gesamter Dosisbereich
Mayak-ArbeiterHunter et al. 2013Krebs, InzidenzPersonendosis
(Hp(10))
0,07 (95 %-KI: 0,01 - 0,15) Gy -1ohne Knochen-, Leber- und Lungenkrebs
Mayak-ArbeiterSokolnikov et al. 2015Krebs, MortalitätDickdarmdosis0,12 (95 %-KI: 0,03 - 0,21) Gy -1ohne Knochen-, Leber- und Lungenkrebs
Mayak-ArbeiterSokolnikov et al. 2017Krebs, MortalitätDickdarmdosis0,20 (95 %-KI: -0,0002 - 0,46)
Gy -1
ohne Knochen-, Leber-, und Lungenkrebs;
Mayak-Arbeiter, die nicht mit Plutonium in Berührung kamen
Beschäftigte der französischen NuklearindustrieMetz-Flamant et al. 2013Krebs, MortalitätPersonendosis0,34 (90 %-KI: -0,56 - 1,36) Sv -1
Leukämie, MortalitätPersonendosis3,96 (90 %-KI: < 0 - 18,82) Sv -1
Port Hope-ArbeiterZablotska et al. 2013Krebs, Mortalitäteffektive Dosis0,12 (95 %-KI: < -0,35 - 0,98) Sv -1
Beschäftigte der kanadischen NuklearindustrieZablotska et al. 2014Krebs, MortalitätLungen-Äquivalentdosis-1,20 (95 %-KI: -1,47 - 2,39) Sv -1ohne AECL *-Beschäftigte
Beschäftigte in der Nuklearindustrie Frankreichs, Großbritanniens und der USALeuraud et al. 2015Leukämie ohne CLL, Mortalitätrotes Knochenmark2,96 (90 %-KI: 1,17 - 21) Gy -1
Beschäftigte in der Nuklearindustrie Frankreichs, Großbritanniens und der USARichardson et al. 2015Krebs, MortalitätDickdarmdosis0,47 (90 %-KI: 0,18 - 0,79) Gy -1
1,04 (90 %-KI: 0,55 - 1,56) Gy -1Beschränkung auf Dosiswerte < 200 mGy
0,69 (90 %-KI: 0,10 - 1,30) Gy -1Beschränkung auf Dosiswerte < 150 mGy
0,81 (90 %-KI: 0,01 - 1,64) Gy -1Beschränkung auf Dosiswerte < 100 mGy
Uranbergarbeiter, FrankreichRage et al. 2015Krebs, MortalitätPersonendosis0,10 (95 %-KI: -0,04 - 0,30) (100 mGy) -1
Uranbergarbeiter, DeutschlandKreuzer et al. 2015Krebs, Mortalitäteffektive Dosis1,86 (90 %-KI: -0,08 - 3,80) Sv -1
Uranbergarbeiter, DeutschlandKreuzer et al. 2017Leukämie, Mortalitätrotes Knochenmark2,15 (95 %-KI: -0,41 - 6,37) Gy -1
Anwohner der TetschaSchonfeld et al. 2013Krebs, MortalitätMagendosis0,61 (95 %-KI: 0,04 - 1,27) Gy -1
Anwohner der TetschaDavis et al. 2015Krebs, InzidenzMagendosis0,08 (95 %-KI: 0,01 - 0,15)
(100 mGy) -1
* Atomic Energy of Canada Limited

4.4 Zusammenfassung

Das strahleninduzierte Inzidenz- und Mortalitätsrisiko für maligne Tumoren und Leukämie beim Menschen hängt von der Strahlendosis ab, wobei unter anderem auch das Alter der Exponierten bei Exposition sowie das erreichte Alter eine Rolle spielen. Mittelt man über beide Geschlechter, so kommen verschiedene internationale Gremien zu dem Schluss, dass für das Auftreten von malignen Tumoren bei einer Exposition im Erwachsenenalter mit einer effektiven Dosis von 100 mSv im Mittel ein Lebenszeitrisiko von etwa 1 % zu erwarten ist. Für das Mortalitätsrisiko werden etwa halb so große absolute Risiken angegeben. Für eine Berufslebensdosis von 400 mSv kann von einem ca. viermal so hohen Risiko ausgegangen werden. Das strahleninduzierte absolute Risiko für Leukämie ist bei Erwachsenen etwa zehnmal geringer als das für solide Tumoren.

Diese Angaben basieren auf Analysen von Ergebnissen, die in epidemiologischen Studien an mit ionisierender Strahlung exponierten Populationen gewonnen wurden. Eine zentrale Rolle spielen dabei Studien an den Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Zusätzliche Informationen zur Wirkung ionisierender Strahlung können auch an aus medizinischen Gründen exponierten Personengruppen und an Kohorten, wie zum Beispiel Beschäftigten in kerntechnischen Anlagen verschiedener Länder und Bewohnern in radioaktiv kontaminierten Gebieten, gewonnen werden. Alle diese Personengruppen werden kontinuierlich untersucht und entsprechend wird in regelmäßigen zeitlichen Abständen eine Aktualisierung der beobachteten Gesundheitsrisiken nach Exposition mit ionisierender Strahlung, häufig auf der Basis verbesserter Dosisabschätzungen, veröffentlicht.

Gegenwärtig ist die epidemiologische Beweislage für einen Zusammenhang von Krebserkrankungen und Strahlenexpositionen von Erwachsenen mit einer effektiven Dosis deutlich unterhalb von 100 mSv unklar.

4.5 Literatur

BEIR 2006National Research Council. Health Risks from Exposure to Low Levels of Ionizing Radiation: BEIR VII Phase 2. United States National Academy of Sciences. The National Academy Press, Washington DC, 2006. ISBN 978-0-309-09156-5. doi: 10.17226/11340
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Grant et al. 2017Grant EJ, Brenner A, Sugiyama H, Sakata R, Sadakane A, Utada M, Cahoon EK, Milder CM, Soda M, Cullings HM, Preston DL, Mabuchi K, Ozasa K. Solid Cancer Incidence among the Life Span Study of Atomic Bomb Survivors: 1958-2009. Radiat Res. 2017 May;187(5):513-537. doi: 10.1667/RR14492.1. Epub 2017 Mar 20
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5 Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexposition

In der wissenschaftlichen Begründung zur Stellungnahme der SSK "Herz-Kreislauferkrankungen nach zulässigen beruflichen Strahlenexpositionen" (SSK 2012) wurden bereits grundlegende Aspekte zu Herz-Kreislauferkrankungen (ICD-9.390-459; ICD-10 I00-I99) in Deutschland und zur Pathogenese beschrieben. Zu diesen Punkten wird auf die oben genannte Stellungnahme der SSK und auf den ICRP-Bericht "Early and Late Effects of Radiation in Normal Tissues and Organs - Threshold Doses for Tissue Reactions in a Radiation Protection Context" (ICRP 2012) verwiesen.

Die Darstellungen möglicher Mechanismen des Einflusses von Strahlenexpositionen auf die Pathogenese von Herz-Kreislauferkrankungen und die Zusammenfassung epidemiologischer Arbeiten in der Stellungnahme der SSK (SSK 2012) werden in den ersten beiden Nummern des vorliegenden Kapitels durch neuere Arbeiten ergänzt. Weiterhin werden Aspekte, die zur Evaluierung der Ergebnisse von Bedeutung sind, kurz angesprochen. Der dritte Abschnitt des vorliegenden Kapitels fasst Risikoangaben von Analysen mit dem linearen Dosis-Wirkungsmodell ohne Schwelle (LNT-Modell) zu einzelnen Gruppen von Herz-Kreislauferkrankungen zusammen. Evidenz für oder gegen die Angemessenheit von Analysen mit dem LNT-Modell zur Beschreibung des Risikos nach Expositionen mit einigen hundert Milligray werden im vierten Abschnitt diskutiert. Im fünften Abschnitt wird die Bedeutung der Ergebnisse für die Grenzwertsetzung beruflicher Strahlenexpositionen evaluiert.

In den epidemiologischen Arbeiten werden unterschiedliche Gruppen von Herz-Kreislauferkrankungen analysiert. Tabelle 5.1 tabelliert die ICD-9- und ICD-10-Klassifizierungen der verwendeten Gruppen.

Tabelle 5.1: In den Studien verwendete Definitionen von Herz-Kreislauferkrankungen.

ErkrankungStudieICD-9ICD-10
Herz-KreislauferkrankungenDavis et al. 1987
Grosche et al. 2011
Krestinina et al. 2013
Kreuzer et al. 2013
McGeoghegan et al. 2008
Muirhead et al. 2009
Shimizu et al. 2010
Vrijheid et al. 2007
Zablotska et al. 2013
390-459I00-I99
Herz-Kreislauferkrankungen außer zerebrovaskuläre ErkrankungenSchöllnberger et al. 2012
Zablotska et al. 2014
390-448 außer 430-438-
HerzerkrankungenShimizu et al. 2010390-398, 402, 404, 410-429-
HerzklappenerkrankungenOzasa et al. 2014
Takahashi et al. 2017
394-397, 424I05-I08, I09.1,
I34-I39
Rheumatische HerzerkrankungenOzasa et al. 2014
Shimizu et al. 2010
394-397I05-I08, I09.1
Hypertensive HerzerkrankungOzasa et al. 2014
Shimizu et al. 2010
Takahashi et al. 2017
402-404I11-I13
Ischämische HerzerkrankungenGrosche et al. 2011
Ivanov et al. 2006
Krestinina et al. 2013
Kreuzer et al. 2013
Lane et al. 2010
McGeoghegan et al. 2008
Ozasa et al. 2014
Shimizu et al. 2010
Simonetto et al. 2014
Vrijheid et al. 2007
Yamada et al. 2004
Zablotska et al. 2013
Zablotska et al. 2014
410-414I20-I25
Koronare HerzerkrankungMuirhead et al. 2009414-
HerzversagenOzasa et al. 2014
Shimizu et al. 2010
428 außer 428.8I50
Zerebrovaskuläre ErkrankungenAzizova et al. 2011
Grosche et al. 2011
Ivanov et al. 2006
Krestinina et al. 2013
Kreuzer et al. 2013
Lane et al. 2010
McGeoghegan et al. 2008
Muirhead et al. 2009
Schöllnberger et al. 2012
Shimizu et al. 2010 a
Vrijheid et al. 2007
Zablotska et al. 2013
430-438I60-I69
,Stroke II"Yamada et al. 2004430, 431, 433, 434, 436-
Hämorrhagische HirninfarkteTakahashi et al. 2012431-
Ischämische HirninfarkteTakahashi et al. 2012433, 434-
Mit Hirninfarkten in Verbindung stehende ErkrankungenTakahashi et al. 2012430, 431, 433-438G45, I60, I61, I63-66, I69 außer I69.8
a mit "stroke" bezeichnet

5.1 Mögliche Mechanismen des Einflusses von Strahlenexposition auf die Pathogenese

An Zellkulturen in vitro oder auch im Tierexperiment werden innerhalb von Stunden, Tagen oder auch Wochen eine Vielzahl von zellulären und molekularen Veränderungen durch Bestrahlung ausgelöst. Ob diese jedoch ursächlich an der Entstehung derjenigen Effektketten beteiligt sind, die beim Menschen innerhalb von Jahren bis Jahrzehnten zu einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos führen, ist experimentell nur schwer nachweisbar, nicht zuletzt deshalb, weil Labortiere im Vergleich zum Menschen sehr viel weniger zu Herz-Kreislauferkrankungen neigen. Im Folgenden werden Hinweise auf mögliche Mechanismen in zelluläre, immunologische und pathologische Effekte unterteilt.

5.1.1 Zelluläre Effekte in Tierversuchen

Beispielhaft seien hier nur zwei Befunde zitiert, die im Tiermodell Veränderungen bestimmter gewebespezifischer Parameter beobachten:

Mehrere Wochen nach einer Strahlenexposition von C57BL/6N-Mäusen traten Veränderungen des Pyruvat-Metabolismus und von zellulären Strukturproteinen in Zellen des Herzens und zwar sowohl bei Dosen von 0,2 Gy als auch von 2,0 Gy auf, jedoch nur die hohe Dosis hatte einen Einfluss auf Proteine der oxidativen Phosphorylierung (Barjaktarovic et al. 2011).

Kumarathasan et al. (2013) untersuchten die Atherosklerose-Entwicklung in ApoE-defizienten Mäusen - einem hochartifiziellen experimentellen Atherosklerosemodell - in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach Strahlenexposition. Der Stressmarker 3-Nitrotyrosine und die vasoregulatorischen Peptide Endothelin-1 und Endothelin-3 im Plasma waren im Dosisbereich 0,5 Gy bis 2 Gy in einer Weise erhöht, die mit einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung verträglich ist.

5.1.2 Thrombotische und immunologische Entzündungsreaktionen in Tierversuchen

Strahlenexpositionen im Bereich von einigen hundert Milligray, aber nicht Strahlenexpositionen mit höheren Dosen bewirkten eine spezifische Modulation immunologischer Entzündungsreaktionen in Endothelzellen (Rödel et al. 2012).

Patties et al. (2015) fanden eine Reihe von immunologischen und thrombotischen Veränderungen in mit hohen Dosen exponierten Herzen von Wildtyp(C57BL/6)-Mäusen. Nach Exposition mit 0,2 Gy wurde für die gleichen Parameter jedoch keine Veränderung beobachtet.

Einige Monate nach Bestrahlung von ApoE-defizienten Mäusen mit niedrigen bis mittleren Dosen (0,025 Gy bis 0,5 Gy) fanden Mathias et al. (2015) im Endokard eine erniedrigte VCAM-1-Konzentration, was auf einen antiinflammatorischen (entzündungshemmenden) Effekt hindeutet. Für die hohe Dosis von 2 Gy fanden sie hingegen erhöhte VCAM-1-Konzentrationen. Marker im Plasma ergaben jedoch kein konklusives Bild bezüglich inflammatorischer Effekte.

5.1.3 Pathologische Befunde in Tierversuchen

Es gibt Hinweise, dass niedrige/mittlere Dosen zu erhöhten Serumcholesterin-Konzentrationen (Mitchel et al. 2011, Kumarathasan et al. 2013), Bluthochdruck (Sasaki et al. 2002) und Nierenschäden (Sera et al. 2013) führen, während hohe Dosen des Herzens überwiegend Atherosklerose in den Koronararterien und Myokard-Infarkte bewirken (Stewart et al. 2013).

Monceau et al. (2013) untersuchten das Herz von Wildtyp(C57BL/6)-Mäusen und ApoE-/-Mäusen 20 Wochen, 40 Wochen und 60 Wochen nach lokaler Bestrahlung mit 0 Gy, 0,2 Gy und 2 Gy. Für die vorliegende Fragestellung sind Ergebnisse relevant, die in den Wildtyp-Mäusen für einen langen Zeitraum nach Exposition sowohl mit 0,2 Gy als auch mit 2 Gy signifikant waren (Tabelle 5.2). Es überwiegen Effektausprägungen von der gleichen Höhe nach 0,2 Gy und nach 2 Gy. Eine stärkere Ausprägung nach 2 Gy, wie es bei einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung erwartet würde, ergibt sich nur bei der Oberflächenänderung von Kardiomyozyten.

Tabelle 5.2: Pathologische Veränderungen von Wildtyp(C57BL/6)-Mäusen 60 Wochen nach Bestrahlung des Herzens (nach Monceau et al. 2013)

ParameterVeränderung nach Exposition mitVergleich der Ausprägung
0,2 Gy2 Gy
KörpergewichtZunahmeZunahmeähnlich
Herzgewicht/KörpergewichtAbnahmeAbnahmeähnlich
EjektionsfraktionAbnahmeAbnahmeähnlich
Masse der linken Herzkammern/KörpergewichtZunahmeZunahmeähnlich
Oberfläche der KardiomyozytenZunahmeZunahmestärkere Zunahme bei 2 Gy
TGF-²1 in KardiomyozytenZunahmeZunahmeähnlich
Smad7 in KardiomyzytenAbnahmeAbnahmestärkere Abnahme bei 0,2 Gy

Le Gallic et al. (2015) untersuchten die Effekte einer niedrigen Kontamination des Trinkwassers mit Cs-137 auf die Atherosklerose in ApoE-/-Mäusen. Es ergaben sich keine Unterschiede in der Entwicklung von Atherosklerose der Aorta ascendens im Vergleich zu nicht exponierten Mäusen. Allerdings entwickelten die exponierten Mäuse stabilere Plaques mit verringertem Gehalt an Makrophagen, proinflammatorischen Faktoren und erhöhtem Gehalt von Kollagen und glatten Muskelzellen. Insgesamt hatte die Strahlenexposition einen stabilisierenden, d. h. positiven Einfluss auf die Entwicklung der Plaques.

5.1.4 Zusammenfassende Bewertung

Aufgrund des langen Zeitintervalls zwischen auslösendem Insult (Bestrahlung) und klinisch relevantem, komplexem Endpunkt (z.B. Herzinfarkt) ist eine Bewertung der pathogenetischen Relevanz einzelner zellulärer Komponenten, Gewebereaktionen oder gar einzelner Moleküle schwierig. Aus der Vielzahl der vorliegenden Einzelbefunde lassen sich keine linearen Dosis-Wirkungsbeziehungen ableiten. Es sind bei hohen Dosen Einzeleffekte beschrieben, die nicht bei mittleren Dosen beobachtet wurden, und andere Effekte bei mittleren Dosen, die nicht bei hohen Dosen auftraten. Bei niedrigen Dosen scheinen antiinflammatorische, bei hohen Dosen inflammatorische Effekte zu überwiegen. Derzeit sind jedoch weder entscheidende Targetzellen noch der wesentliche Entstehungsmechanismus kardiovaskulärer Strahlenwirkungen abschließend geklärt.

5.2 Epidemiologische Studien

Zwei Faktoren erschweren epidemiologischen Studien, das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexposition mit Dosen von einigen hundert Milligray zu untersuchen:

In den meisten der epidemiologischen Studien werden die Daten ohne weitere Begründung mit einem LNT-Modell analysiert und der Steigungskoeffizient, d. h. das zusätzliche relative Risiko je Dosis, als Hauptergebnis angegeben. Diese Ergebnisse werden in Nummer 5.3 in einer Übersicht dargestellt. Nummer 5.4 fasst dann Informationen der Studien zur Nichtlinearität der Dosis-Wirkungsbeziehung zusammen. Falls in der Zukunft größere Erkenntnisfortschritte bezüglich der Strahlenwirkung in der Pathogenese von Herz-Kreislauferkrankungen gewonnen werden, können diese zur Verbesserung der angenommenen Dosis-Wirkungsbeziehung beitragen.

5.2.1 Atombombenüberlebende von Hiroshima und Nagasaki

Die Life Span Study (LSS) der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki ist eine wichtige Informationsquelle zur Abschätzung des Risikos für Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexposition mit mittleren Dosen. Eine Analyse der Mortalitätsdaten ergab statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen Äquivalentdosis des Dickdarms und rheumatischer Herzerkrankung, hypertensiver Herzerkrankung und Herzversagen (Shimizu et al. 2010). Kein Zusammenhang ergab sich jedoch für ischämische Herzerkrankungen. Beim Vergleich dieser Ergebnisse mit anderen Studien sind Unterschiede und Veränderungen der Hintergrunds-Mortalitätsraten einzelner Typen von Herz-Kreislauferkrankungen zu berücksichtigen. So hat die Mortalitätsrate durch Herzerkrankungen in Japan von 70 Fällen je 100.000 Einwohner in den 50er Jahren auf 120 Fälle je 100.000 Einwohner in den 90er Jahren zugenommen (Ozasa et al. 2014).

Eine Analyse der Mortalitätsdaten in der LSS für einzelne Kalenderjahrintervalle ergab, dass das hohe Strahlenrisiko für rheumatische Herzerkrankungen durch eine hoch signifikante Risikoerhöhung im Zeitraum 1950 bis 1968 getrieben ist (Ozasa et al. 2014). Dies ist möglicherweise auf Streptokokken-Infektionen zurückzuführen, die eher unter den unhygienischen Lebensbedingungen derjenigen Atombombenüberlebenden auftraten, die sich im näheren Bereich des Epizentrums aufgehalten hatten (proximal survivors). In späteren Jahren gab es keine Risikoerhöhung mehr. Demnach wäre die Strahlenexposition nicht die Ursache für die erhöhte Inzidenz rheumatischer Herzerkrankungen.

Takahashi et al. (2017) analysierten Daten zur Mortalität durch Herzerkrankungen in der LSS der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Für die 86.600 Kohorten-Mitglieder wurden insgesamt 9.303 Todesfälle durch Herzerkrankungen gemeldet. Analysen mit dem LNT-Modell ergaben ERR 30-je-Darmdosis-Werte für alle Herzerkrankungen von 0,14 (95 %-KI: 0,06 - 0,22) Gy -1, für Herzklappenerkrankungen von 0,45 (95 %-KI: 0,13 - 0,85) Gy -1, für hypertensive Herzerkrankung von 0,36 (95 %-KI: 0,10 - 0,68) Gy -1 und für Herzversagen von 0,21 (95 %-KI: 0,07 - 0,37) Gy -1. Die Daten der Mortalität an ischämischen Herzerkrankungen wurden am besten mit einer rein quadratischen Dosisabhängigkeit beschrieben, allerdings war der Zusammenhang nicht signifikant.

Takahashi et al. (2012) analysierten Daten der Adult Health Study (AHS) der Atombombenüberlebenden für Erkrankungen, die mit Hirninfarkten in Verbindung stehen. Im Zeitraum 1980 bis 2003 wurde für 335 der 3.311 männlichen Studienmitglieder und für 591 der 6.204 weiblichen Studienmitglieder Hirninfarkt neu diagnostiziert. Für hämorrhagische Hirninfarkte wurde bei Männern keine, aber bei Frauen eine Dosisschwelle gefunden. Für ischämische Hirninfarkte wurde in Übereinstimmung mit der Mortalitätsanalyse von Shimizu et al. (2010) keine Dosisabhängigkeit gefunden.

5.2.2 Personen mit wiederholten oder chronischen Expositionen

Krestinina et al. (2013) untersuchten in der Kohorte der Anwohner der Tetscha die Mortalität durch Herz-Kreislauferkrankungen. Die Kohorte bestand aus 29.735 Personen, die durch radioaktive Abwässer des Majak-Nuklearkomplexes exponiert wurden. Die mit dem "Techa River Dosimetry System 2009" abgeschätzten Dosen im Muskelgewebe lagen im Bereich von 0 mGy bis 510 mGy mit einem Mittelwert von 35 mGy. Im Zeitraum 1950 bis 2003 wurden 7.595 Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen registriert, davon 3.194 (42 %) durch ischämische Herzerkrankungen und 1.933 (25 %) durch zerebrovaskuläre Erkrankungen. Für die Gesamtheit der Herz-Kreislauferkrankungen und für ischämische Herzerkrankungen ergab sich ein signifikanter Zusammenhang mit der Strahlenexposition, für zerebrovaskuläre Erkrankungen war das zusätzliche Risiko nicht signifikant negativ.

Kreuzer et al. (2013) untersuchten Mortalitätsdaten für Herz-Kreislauferkrankungen unter 58.982 Mitarbeitern der Wismut AG bzw. der SDAG Wismut. Die maximale Personendosis durch externe Gammastrahlung betrug 909 mSv, der Mittelwert der exponierten Arbeiter (86 %) war 47 mSv. Im Zeitraum 1946 bis 2008 wurden 9.039 Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen registriert, davon 4.613 an ischämischen Herzerkrankungen und 2.073 an zerebrovaskulären Erkrankungen. Es ergaben sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen und der Personendosis durch die externe Gammastrahlung.

Metz-Flamant et al. (2013) schlossen in einer Analyse der Mortalität in einer Kohorte französischer Arbeiter alle Beschäftigten ein, die für mindestens ein Jahr bei CEA 31, Areva NC 32 oder EDF 33 gearbeitet haben, strahlenüberwacht waren und am 1. Januar 1968 lebten. Unter den 59.021 Arbeitern wurden bis Ende 2004 insgesamt 1.468 Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen registriert. Ca. 72 % der Arbeiter hatten eine Strahlenexposition mit einer mittleren Personendosis von 22,5 mSv. Es ergab sich eine nicht signifikante Erhöhung der Mortalität durch Herz-Kreislauferkrankungen mit der Dosis.

Zablotska et al. (2013) untersuchten Mortalitätsdaten für Arbeiter in der Port Hope-Kohorte, die mit Radium, Uran und externer Gammastrahlung exponiert wurden. Die mittlere Personendosis durch externe Gammastrahlung der 3.000 Arbeiter betrug 134 mSv. Im Zeitraum 1950 bis 1999 wurden 514 Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen registriert, davon 346 durch ischämische Herzerkrankungen und 71 durch zerebrovaskuläre Erkrankungen. Die Analysen mit einem LNT-Modell ergaben keinen signifikanten Zusammenhang der Herz-Kreislauferkrankungen mit der Personendosis durch die externe Gammastrahlung.

Zablotska et al. (2014) analysierten Mortalitätsdaten für 63.707 kanadische Tuberkulosepatienten. Zu den untersuchten Endpunkten gehörten alle Herz-Kreislauferkrankungen außer zerebrovaskuläre Erkrankungen (ICD-9: 390-448, außer 430-438) und die Untergruppe ischämische Herzerkrankungen. Fluoroskopie-Lungenuntersuchungen wurden für 24.932 Patienten im Zeitraum 1930 bis 1952 durchgeführt. Die Lungendosen lagen im Bereich 0 Gy bis 11,6 Gy mit einem Mittelwert von 0,79 Gy. Im Zeitraum 1950 bis 1987 wurden 8.877 Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen außer zerebrovaskuläre Erkrankungen und 5.818 Todesfälle durch ischämische Herzerkrankungen registriert. Die Analysen mit einem LNT-Modell ergaben für die erste Gruppe der Erkrankungen einen nicht signifikanten und für die zweite einen signifikanten Zusammenhang der Mortalität mit der Strahlenexposition.

Simonetto et al. (2014) analysierten ischämische Herzerkrankungen unter 18.797 Majak-Arbeitern, von denen 14.056 (75 %) männlich sind. In die Analyse konnten 5.609 Erkrankungen (davon 3.888 (69 %) unter den Männern), die bis Ende 2005 diagnostiziert wurden, und 2.552 Todesfälle (davon 2.083 (82 %) unter den Männern) eingeschlossen werden. Neben Abschätzungen der Personendosis durch externe Strahlung und der Leberdosis durch inkorporiertes Plutonium standen auch Daten zum Rauchverhalten, zum Alkoholkonsum, zum Blutdruck und zum Body-Mass-Index zur Verfügung. Die Analyse mit dem LNT-Modell ergab signifikante Ergebnisse für die Inzidenzdaten beider Geschlechter und für die Mortalitätsdaten der Männer. Die Mortalitätsdaten der Frauen hatten eine zu geringe statistische Power. Die Inzidenzdaten wurden am besten mit einer minimalen Latenzzeit von 30 Jahren beschrieben.

Simonetto et al. (2015) untersuchten Inzidenz- und Mortalitätsdaten atherosklerotischer zerebrovaskulärer Erkrankungen für Arbeiter der Majak-Produktionsgenossenschaft. Die Analysen basieren auf dem Mayak Worker Dosimetry System 2008 und nicht auf Strahlungsrisikofaktoren wie in Simonetto et al. (2014). Das zusätzliche relative Risiko (ERR) für die Inzidenz zerebrovaskulärer Erkrankungen und für die Untergruppe Schlaganfall war besonders hoch für junges Alter bei Diagnose. Für niedrige Personendosen ergaben sich geringere ERR-je-Dosis-Werte als für hohe Dosen. Das ERR für die Inzidenz zerebrovaskulärer Erkrankungen war deutlich höher als für die Inzidenz der Untergruppe Schlaganfall und auch für die Mortalität zerebrovaskulärer Erkrankungen. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass Strahlung bevorzugt zerebrovaskuläre Erkrankungen mit relativ stabilen Plaques erzeugt, die eine relativ geringe Mortalitätsrate haben.

5.2.3 Metaanalyse basierend auf dem LNT-Modell

Little et al. (2012) führten eine Metaanalyse für Herz-Kreislauferkrankungen nach niedriger/mittlerer Exposition mit ionisierender Strahlung durch. Die Analyse beschränkte sich auf Ergebnisse, die mit dem LNT-Modell für die LSS und Studien beruflicher Strahlenexposition gewonnen wurden. Insbesondere für zerebrovaskuläre Erkrankungen stellten die Autoren eine Heterogenität der Studien fest. Lebenszeitrisiken wurden für neun Länder abgeschätzt.

5.3 Erkrankungsspezifische Risikowerte in LNT-Analysen

Im Folgenden werden, wie auch in der Stellungnahme der SSK (SSK 2012), Ergebnisse für Herz-Kreislauferkrankungen und für die Untergruppen ischämische Herzerkrankungen und zerebrovaskuläre Erkrankungen zusammengefasst. Hierbei bleiben Ergebnisse für das zusätzliche relative Risiko (ERR) je Dosis mit einer Standardabweichung > 1 Gy -1 wegen ihrer sehr geringen Aussagekraft unberücksichtigt. Die Studien verwenden zur Analyse der Dosis-Wirkungsbeziehungen unterschiedliche Dosisgrößen, nämlich die Personendosis oder die Äquivalentdosis im Dickdarm, im Muskelgewebe oder in der Lunge. Mit einer Ausnahme beziehen sich die Studien auf Ganzkörperexpositionen mit externer Photonenstrahlung. Angesichts der für die untersuchten Expositionsarten relativ geringen numerischen Unterschiede dieser Dosisgrößen hält die SSK die berichteten Werte für vergleichbar. Eine Ausnahme ist die Studie der Tuberkulosepatienten (Davis et al. 1989), die inhomogene Expositionen mit im Vergleich zu anderen Körperregionen deutlich höheren Äquivalentdosen im Bereich des Brustkorbes erhielten.

Die Subtypen der Herz- und kardiovaskulären Erkrankungen treten in der japanischen Bevölkerung und in westlichen Populationen in unterschiedlicher statistischer Häufigkeit auf. Dementsprechend ist bei einer Übertragung der Ergebnisse von der LSS auf westliche Länder Vorsicht geboten.

5.3.1 Gesamtheit der Herz-Kreislauferkrankungen

Shimizu et al. (2010) leiteten aus den Mortalitätsdaten der LSS ein ERR je Dosis von 0,11 (95 %-KI: 0,05 - 017) Gy -1 ab. Die Risikowerte von acht Studien wiederholter oder chronischer Expositionen sind mit diesem Ergebnis konsistent, von einer Studie höher als in der LSS und in einer Studie niedriger (Tabelle 5.3). Der signifikant höhere Wert ergab sich für BNFL 34-Arbeiter (McGeoghegan 2008), der kleinere Wert für Tuberkulosepatienten (Davis et al. 1989, Little et al. 2010). Im letzteren Fall ist der statistisch signifikant negative Koeffizient wohl Patienten mit hohen Lungendosen zuzuschreiben, die vermutlich wegen der weiter fortgeschrittenen Erkrankung häufig durchleuchtet wurden und eher an Folgen der Tuberkulose als an Herz-Kreislauferkrankungen verstarben. Die besten Schätzwerte des ERR je Dosis waren in sechs Studien höher als das Ergebnis von Shimizu et al. (2010) und in drei Studien niedriger. In einer Studie lag der beste Schätzwert im Konfidenzintervall der Studie von Shimizu et al. (2010).

Insgesamt ergeben die Analysen mit dem LNT-Modell keine Evidenz für niedrigere Risikowerte in den Studien wiederholter und chronischer Expositionen als in der LSS.

Tabelle 5.3: ERR je Dosis für die Gesamtheit der Herz-Kreislauferkrankungen. In den Studien werden unterschiedliche Dosisgrößen verwendet (siehe Text zu den einzelnen Studien und in der Einleitung dieser Nummer 5.3). Zur besseren Orientierung ist die aussagekräftigste Studie (Shimizu et al. 2010) durch Fettdruck hervorgehoben

KohorteReferenzEndpunktERR je Dosis (Gy -1)
Anwohner der TetschaKrestinina et al. 2013Mortalität0,36 (95 %-KI: 0,02 - 0,75)
Atombombenüberlebende,
Life Span Study (LSS)
Shimizu et al. 2010Mortalität0,11 (95 %-KI: 0,05 - 0,17)
BNFL *-ArbeiterMcGeoghegan et al. 2008Mortalität0,65 (90 %-KI: 0,36 - 0,98)
Französische Nuklearindustrie,
Arbeiter
Metz-Flamant et al. 2013Mortalität0,31 (90 %-KI: -0,90 - 1,74)
Massachusetts TB-PatientenDavis et al. 1989
Little et al. 2010
Mortalität-0,11 (95 %-KI: -0,20 - -0,01)
Nuklearindustrie, Arbeiter
(15 Länder)
Vrijheid et al. 2007Mortalität0,09 (95 %-KI: -0,43 - 0,70)
Port Hope-ArbeiterZablotska et al. 2013Mortalität0,19 (95 %-KI: -0,07 - 0,55)
Semipalatinsk Historical CohortGrosche et al. 2011Mortalität0,02 (95 %-KI: -0,32 - 0,37)
Tschernobyl-AufräumarbeiterIvanov et al. 2006Inzidenz0,18 (95 %-KI: -0,03 - 0,39)
UK-StrahlenregisterMuirhead et al. 2009Mortalität0,25 (95 %-KI: -0,01 - 0,54)
Deutsche UranbergarbeiterKreuzer et al. 2013Mortalität-0,13 (95 %-KI: -0,38 - 0,12)
*) BNFL: British Nuclear Fuels plc

5.3.2 Ischämische Herzerkrankungen

Für ischämische Herzerkrankungen ergab sich in der LSS kein signifikanter Zusammenhang mit der Strahlenexposition (Shimizu et al. 2010). Demgegenüber wurde in fünf Studien wiederholter und chronischer Expositionen ein signifikanter Zusammenhang beobachtet (Ivanov et al. 2006, Krestinina et al. 2013, McGeoghegan et al. 2008, Simonetto et al. 2014, Zablotska et al. 2014). Es bietet sich deshalb an, nicht die LSS, sondern das Ergebnis einer Metaanalyse von Studien ischämischer Erkrankungen (Little et al. 2012) als Vergleichsmaßstab mit den anderen Studien zu wählen (Tabelle 5.4). Diese Studie berücksichtigte acht Studien (Azizova et al. 2010, Ivanov et al. 2006, Lane et al. 2010, Laurent et al. 2010, Muirhead et al. 2009, Shimizu et al. 2010, Vrijheid et al. 2007, Yamada et al. 2004). Es ergab sich ein ERR je Dosis von 0,10 (95 %-KI: 0,04 - 0,15) Gy -1. Die weitaus überwiegende Anzahl von Studien in Tabelle 5.3 ist mit diesem Ergebnis konsistent. Nur für die BNFL-Arbeiter (McGeoghegan et al. 2008) und die Inzidenzdaten für die Majak-Arbeiterinnen (Simonetto et al. 2014) ergaben sich höhere Risikowerte. Die besten Schätzwerte des ERR je Dosis waren in acht Studien höher als das Ergebnis von Little et al. (2012) und in vier Studien niedriger. In vier weiteren Studie lag der beste Schätzwert im Konfidenzintervall der Metaanalyse von Little et al. (2012).

Insgesamt ist das ERR für ischämische Herzerkrankungen vergleichbar mit den Werten für die Gesamtheit aller Herz-Kreislauferkrankungen und auch für zerebrovaskuläre Erkrankungen (siehe nächste Nummer).

Tabelle 5.4: ERR je Dosis für ischämische Herzerkrankungen. In den Studien werden unterschiedliche Dosisgrößen verwendet (siehe Text zu den einzelnen Studien und in der Einleitung dieser Nummer 5.3). Zur besseren Orientierung ist die aussagekräftigste Studie (Little et al. 2012) durch Fettdruck hervorgehoben.

KohorteReferenzEndpunktERR je Dosis (Gy -1)
Anwohner der TetschaKrestinina et al. 2013Mortalität0,56 (95 %-KI: 0,01 - 1,19)
Atombombenüberlebende, Adult Health Study (AHS)Yamada et al. 2004Inzidenz0,05 (95 %-KI: -0,05 - 0,16)
Atombombenüberlebende, Life Span Study (LSS)Takahashi et al. 2017Mortalität0,03 (95 %-KI: -0,08 - 0,15)
BNFL *-ArbeiterMcGeoghegan et al. 2008Mortalität0,70 (90 %-KI: 0,33 - 1,11)
Eldorado uranium minersLane et al. 2010Mortalität0,15 (95 %-KI: -0,14 - 0,58)
Kanadische TB-PatientenZablotska et al. 2014Mortalität a0,18 (95 %-KI: 0,01 - 0,39)
Majak-ArbeiterSimonetto et al. 2014Inzidenz bm: 0,20 (95 %-KI: 0,1 - 0,32)
f: 0,29 (95 %-KI: 0,15; 0,47)
Majak-ArbeiterSimonetto et al. 2014Mortalität cm: 0,09 (95 %-KI: 0,03 - 0,17)
f: 0,00 (95 %-KI: -0,12 - 0,16)
MetaanalyseLittle et al. 2012Mortalität & Inzidenz0,10 (95 %-KI: 0,04 - 0,15)
Nuklearindustrie, Arbeiter (15 Länder)Vrijheid et al. 2007Mortalität-0,01 (95 %-KI: -0,59 - 0,69)
Port Hope-ArbeiterZablotska et al. 2013Mortalität0,31 (95 %-KI: -0,05 - 0,88)
Semipalatinsk Historical CohortGrosche et al. 2011Mortalität0,06 (95 %-KI: -0,39 - 0,52)
Tschernobyl-AufräumarbeiterIvanov et al. 2006Inzidenz0,41 (95 %-KI: 0,05 - 0,78)
UK-StrahlenregisterMuirhead et al. 2009Mortalität d0,26 (95 %-KI: -0,05 - 0,61)
Deutsche UranbergarbeiterKreuzer et al. 2013Mortalität-0,03 (95 %-KI: -0,38 - 0,32)
a) Herz-Kreislauferkrankungen außer zerebrovaskuläre Erkrankungen

b) Lag time von 30 Jahren, "m" für männlich, "f" für weiblich

c) Lag time von 20 Jahren, "m' für männlich, "f" für weiblich

d) Ergebnis für,coronary heart disease" (ICD-9.414)

*) BNFL: British Nuclear Fuels plc

* BNFL: British Nuclear Fuels plc

5.3.3 Zerebrovaskuläre Erkrankungen

Die weitaus überwiegende Anzahl von Studien in Tabelle 5.5 ist konsistent mit dem ERR je Dosis von 0,09 (95 %-KI: 0,01 - 0,17) Gy -1 für die Mortalität durch zerebrovaskuläre Erkrankungen in der LSS (Shimizu et al. 2010). Nur die Risikowerte für die Inzidenz unter den Majak-Arbeitern sind höher (Simonetto et al. 2015). Die besten Schätzwerte des ERR je Dosis waren in sechs Studien höher als das Ergebnis von Shimizu et al. (2010) und in vier Studien niedriger. In drei Studien lag der beste Schätzwert im Konfidenzintervall der Studie von Shimizu et al. (2010).

Insgesamt ergeben die Analysen mit dem LNT-Modell keine Evidenz für niedrigere Risikowerte in den Studien wiederholter und chronischer Expositionen als in der LSS.

Tabelle 5.5: ERR je Dosis für zerebrovaskuläre Erkrankungen. In den Studien werden unterschiedliche Dosisgrößen verwendet (siehe Text zu den einzelnen Studien und in der Einleitung dieser Nummer 5.3). Zur besseren Orientierung ist die aussagekräftigste Studie (Shimizu et al. 2010) durch Fettdruck hervorgehoben.

KohorteReferenzEndpunktERR je Dosis (Gy -1)
Anwohner der TetschaKrestinina et al. 2013Mortalität-0,14 (95 %-KI: -0,64 - 0,46)
Atombombenüberlebende, Adult Health Study (AHS)Yamada et al. 2004Inzidenz0,07 (95 %-KI: -0,08 - 0,24) a
Atombombenüberlebende, Life Span Study (LSS)Shimizu et al. 2010Mortalität0,09 (95 %-KI: 0,01 - 0,17)
BNFL *-ArbeiterMcGeoghegan et al. 2008Mortalität0,43 (90 %-KI: -0,10 - 1,12)
Eldorado uranium minersLane et al. 2010Mortalität-0,29 (95 %-KI: < -0,29 - 0,27)
Majak-ArbeiterSimonetto et al. 2015Inzidenz0,35 (95 %-KI: 0,20 - 0,53)
Majak-ArbeiterSimonetto et al. 2015Mortalität0,03 (95 %-KI: -0,04 - 0,10) b
MetaanalyseLittle et al. 2012Mortalität & Inzidenz0,21 (95 %-KI: 0,02 - 0,39)
Nuklearindustrie Arbeiter (15 Länder)Vrijheid et al. 2007Mortalität0,88 (95 %-KI: -0,67 - 3,16)
Port-Hope-ArbeiterZablotska et al. 2013Mortalität-0,29 (95 %-KI: < -0,29 - 0,33)
Semipalatinsk Historical CohortGrosche et al. 2011Mortalität-0,06 (95 %-KI: -0,65 - 0,54)
Tschernobyl-AufräumarbeiterIvanov et al. 2006Inzidenz0,45 (95 %-KI: 0,11 - 0,80)
UK-StrahlenregisterMuirhead et al. 2009Mortalität0,16 (95 %-KI: -0,42 - 0,91)
Deutsche UranbergarbeiterKreuzer et al. 2013Mortalität0,44 (95 %-KI: -0,16 - 1,04)
a) für den Endpunkt,stroke II" (ICD-9.430, 431, 433, 434, 436)

b) minimale Latenzzeit von 10 Jahren

*) BNFL: British Nuclear Fuels plc

5.4 Informationen zur Form der Dosis-Wirkungsbeziehung

Dieser Abschnitt widmet sich der Frage, inwieweit Analysen epidemiologischer Daten mit dem LNT-Modell das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexpositionen mit einer Gesamtdosis von einigen hundert Milligray angemessen beschreiben. Es wird keine Aussage zur Form der Dosis-Wirkungsbeziehung bei niedrigen Dosen gemacht. Abschließend werden noch veröffentlichte Ergebnisse zu Dosisraten- bzw. Dosisfraktionierungseffekten kurz zusammengefasst.

5.4.1 Evidenz für angemessene Beschreibung des Risikos bei einigen hundert Milligray durch Analysen mit dem LNT-Modell

Herzerkrankungen: Für die Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki ergaben Untersuchungen der Dosis-Wirkungsbeziehung für Herzerkrankungen keinen Hinweis auf eine Nichtlinearität (Shimizu et al. 2010). Der beste Schätzwert einer Schwellendosis lag bei 0 Gy mit einer oberen Grenze des 95 %-Konfidenzintervalls bei 0,5 Gy. Dieses Ergebnis wurde getrieben durch lineare Dosis-Wirkungsbeziehungen für Herzklappenfehler, hypertensive Herzerkrankung und Herzversagen (Ozasa et al. 2014).

5.4.2 Evidenz für geringere Risiken bei einigen hundert Milligray als in Analysen mit dem LNT-Modell

Herzerkrankungen: Ozasa et al. (2014) bestätigten den von Shimizu et al. (2012) gefundenen nicht signifikanten Zusammenhang der Mortalität durch ischämische Herzerkrankungen mit der Strahlenexposition in der LSS. Ergänzend fanden sie, dass eine quadratische Funktion die Dosis-Wirkungsbeziehung am besten beschreibt.

Schöllnberger et al. (2012) führten eine Analyse der Mortalitätsdaten in der LSS mit der Multi-Modell-Methode durch. Es ergab sich, dass das zusätzliche Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen außer zerebrovaskulären Erkrankungen bei 400 mGy um einen Faktor 2,4 niedriger als das Ergebnis der Analyse mit dem LNT-Modell ist (SSK 2012).

Eine Analyse der Inzidenzdaten ischämischer Herzerkrankungen unter männlichen Majak-Arbeitern ergab ein Akaike-Gewicht von 63 % für eine Funktion, die unterhalb von 900 mGy vernachlässigbar klein ist (D 8/[(1,2Gy) 8+D 8]; D = Dosis durch externe Strahlung) und ein Gewicht von 37 % für eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung (Simonetto et al. 2014). Demnach ist das Risiko für Dosen im Bereich von einigen hundert Milligray ca. um einen Faktor 3 geringer als in der Analyse mit dem LNT-Modell.

Zerebrovaskuläre Erkrankungen: Für die Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki ergaben Untersuchungen der Dosis-Wirkungsbeziehung für die Mortalität durch zerebrovaskuläre Erkrankungen im Bereich von einigen hundert Milligray ein niedrigeres ERR je Dosis als in einer Analyse mit LNT-Modell (Shimizu et al. 2010). Der beste Schätzwert für eine Schwellendosis lag bei 0,5 Gy mit einem 95 %-Konfidenzintervall von < 0 Gy bis 2 Gy.

In der Multi-Modell-Analyse von Schöllnberger et al. (2012) war das ERR für die Mortalität durch zerebrovaskuläre Erkrankungen bei einer Dosis von 400 mGy um einen Faktor 3,3 geringer als das Ergebnis der Analyse mit dem LNT (SSK 2012).

Takahashi et al. (2012) fanden für Erkrankungen an hämorrhagischen Hirninfarkten unter weiblichen Mitgliedern der AHS-Kohorte eine Dosisschwelle bei 1,3 (95 %-KI: 0,5 - 2,3) Gy. Dieses Ergebnis ist konsistent mit der Analyse der Mortalitätsdaten von Shimizu et al. (2010).

Simonetto et al. (2015) erhielten mit einer Multi-Modell-Analyse der Inzidenzdaten für zerebrovaskuläre Erkrankungen unter den Majak-Arbeitern bei einer Dosis von 400 mGy ein um einen Faktor von ca. 1,5 niedrigeres ERR als in Analysen mit dem LNT-Modell.

5.4.3 Evidenz für höhere Risiken bei einigen hundert Milligray als in Analysen mit dem LNT-Modell

Gesamtheit der Herz-Kreislauferkrankungen: Die Mortalitätsdaten für Herz-Kreislauferkrankungen der Anwohner der Tetscha wurden gleich gut durch eine lineare wie durch eine rein quadratische Dosis-Wirkungsbeziehung beschrieben (Krestinina et al. 2013). Der beste Schätzwert des ERR bei 100 mGy in der quadratischen Dosis-Wirkungsbeziehung war mehr als doppelt so hoch wie in der linearen Beziehung. Allerdings ist der Unterschied statistisch nicht signifikant.

Ischämische Herzerkrankungen: Die Mortalitätsdaten für ischämische Herzerkrankungen der Anwohner der Tetscha wurden durch eine rein quadratische Dosis-Wirkungsbeziehung praktisch genauso gut wie durch eine lineare Beziehung beschrieben, die Differenz in der Devianz betrug 0,8 (Krestinina et al. 2013). Das ERR bei 100 mGy in der quadratischen Beziehung war doppelt so hoch wie in der linearen Dosis-Wirkungsbeziehung.

Relevanz für vorliegende Fragestellung: Die maximalen Dosen in der Studie der Anwohner der Tetscha liegen in der Größenordnung des Grenzwerts der Berufslebensdosis. Die Ergebnisse über die Form der Dosis-Wirkungsbeziehung beziehen sich also auf Dosen unterhalb dieses Werts und nicht auf die Frage, ob die bei höheren Dosen gewonnenen Werte mit dem LNT-Modell auf einige hundert Milligray herunterextrapoliert werden können.

5.4.4 Dosisrateneffekte

Ischämische Herzerkrankungen: Zablotska et al. (2014) fanden einen inversen Dosisfraktionierungseffekt bei den kanadischen Tuberkulosepatienten. Das höchste ERR je Dosis wurden bei den Patienten mit den wenigsten Fluoroskopie-Untersuchungen pro Jahr gefunden.

Zerebrovaskuläre Erkrankungen: Ivanov et al. (2006) untersuchten in einer Gruppe von 18.197 Tschernobyl-Aufräumarbeitern mit einer Dosis im Bereich von 150 mGy bis 250 mGy die Abhängigkeit des ERR von der mittleren täglichen Dosis während ihres Aufenthaltes in der 30 km-Zone. Es ergab sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang mit einem ERR je Dosisrate von 2,2 (95 %-KI: 0,6 - 3,7) je 100 mGy pro Tag.

Insgesamt ergibt sich kein klares Bild einer möglichen Abhängigkeit des ERR von der Dosisrate oder Dosisfraktionierung.

5.5 Gesundheitsrisiken nach Expositionen in Höhe des Grenzwerts der Berufslebensdosis

5.5.1 Herz-Kreislaufrisiken nach Expositionen in Höhe des Grenzwerts der Berufslebensdosis

Insgesamt überwiegt die Tendenz zu einer Risikoerhöhung von Herz-Kreislauferkrankungen nach Strahlenexpositionen im Bereich von einigen hundert Milligray. Fast alle Analysen mit dem LNT-Modell sind mit einem ERR je Dosis von 0,1 Gy -1 konsistent. Es gibt keine Evidenz für einen Unterschied des ERR je Dosis in der LSS und in Studien wiederholter oder chronischer Expositionen.

Das relative Risiko für ischämische Herzerkrankungen ist vergleichbar dem relativen Risiko für zerebrovaskuläre Erkrankungen. Zwar erhielten Little et al. (2012) in ihrer Metaanalyse einen etwas höheren Risikowert für zerebrovaskuläre Erkrankungen als für ischämische Herzerkrankungen, ihnen standen jedoch drei Studien nicht zur Verfügung (Grosche et al. 2011, Krestinina et al. 2013, Zablotska et al. 2013), in denen der beste Schätzwert des ERR je Dosis negativ ist. Auch berücksichtigten sie nicht den relativ geringen Wert des ERR je Dosis in der Mortalitätsstudie der Majak-Arbeiter (Azizova et al. 2011).

Mechanistische Studien tendieren zu positiven Effekten bei niedrigen Dosen im Gegensatz zu negativen Effekten bei hohen Dosen. Dies spiegelt sich in einer Tendenz zu nichtlinearen Dosis-Wirkungsbeziehungen in der Analyse von epidemiologischen Daten wider. Unter den Studien zur Form der Dosis-Wirkungsbeziehung für Herz-Kreislauferkrankungen nach externer Strahlenexposition überwiegt die Evidenz für ein geringeres Risiko nach Expositionen mit Dosen von einigen hundert Milligray als dies mit Hilfe des LNT-Modells überwiegend aus Daten für höhere Expositionen abgeschätzt wurde. Analysen der Daten für die LSS und die Majak-Arbeiter ergaben, dass für solche Expositionen die Überschätzung des Risikos durch das LNT-Modell in einem Bereich von bis zu einem Faktor drei liegt.

5.5.2 Vergleich mit Krebsrisiken

Zum Vergleich von Risiken für Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen werden hier sowohl Abschätzungen für die LSS und als auch Abschätzungen für westliche Populationen verglichen. In der LSS wurde die Mortalität im Zeitraum 1950 bis 2003 für 86.611 Atombombenüberlebende mit dem LNT-Modell analysiert. Shimizu et al. (2010) erhielten für Herz-Kreislauferkrankungen ein ERR je Dosis von 0,11 (95 %-KI: 0,05 - 0,17) Gy -1 und schätzten, dass 210 der 19.054 Todesfälle durch Herz-Kreislauferkrankungen mit der Strahlung assoziiert waren. Ozasa et al. (2012) erhielten für solide Krebserkrankungen ein ERR je Dosis von 0,47 (95 %-KI: 0,38 - 0,56) Gy -1 und schätzten, dass 527 der 10.929 Todesfälle durch Krebs mit der Strahlung assoziiert waren. Berücksichtigt man noch die Hinweise auf eine Nichtlinearität der Dosis-Wirkungsbeziehung für Herz-Kreislauferkrankungen, dann ist das ERR je Dosis im Bereich von einigen hundert Milligray für Herz-Kreislauferkrankungen um fast eine Größenordnung geringer als für Krebserkrankungen, und das absolute Risiko um einen Faktor von ungefähr drei.

Die ICRP hat abgeschätzt, dass nach einer Strahlenexposition mit 500 mGy das zusätzliche Lebenszeitrisiko für Herzerkrankungen und für zerebrovaskuläre Erkrankungen jeweils ca. 1 % beträgt (ICRP 2012). BEIR VII hat abgeschätzt, dass nach einer Strahlenexposition mit 100 mGy das zusätzliche Lebenszeitrisiko für Krebserkrankungen ebenfalls ca. 1 % beträgt (BEIR 2006). Das entsprechende Lebenszeitrisiko je Dosis für Krebs ist demnach um einen Faktor von ungefähr zwei bis drei höher als die Abschätzung der ICRP für Herz-Kreislauferkrankungen. Dies ist konsistent mit der obigen Abschätzung für die LSS.

Die Analyse von Little et al. (2012) ist nicht mit den oben genannten Ergebnissen konsistent. Sie ergab deutlich größere Lebenszeitrisiken für Herz-Kreislauferkrankungen. Zwei Hauptursachen für diesen Unterschied sind, dass zur Zeit der Erstellung der Publikation von Little et al. (2012) Hinweise auf eine Nichtlinearität der Dosis-Wirkungsbeziehung weniger klar waren und dass neuere Studien zerebrovaskulärer Erkrankungen mit einem negativen, jedoch nicht signifikanten Schätzwert des ERR je Dosis nicht berücksichtigt werden konnten.

Herz-Kreislauferkrankungen werden in der gegenwärtigen Definition des Detriments durch die ICRP nicht berücksichtigt. Es bestehen weiterhin große Unsicherheiten der Kenntnis eines möglichen zusätzlichen Risikos für Herz-Kreislauferkrankungen im Bereich niedriger Dosen. Für die Festlegung eines Grenzwerts der Berufslebensdosis spielen Herz-Kreislauferkrankungen allerdings eine untergeordnete Rolle, da die zusätzliche Mortalität durch Herz-Kreislauferkrankungen im Bereich von einigen hundert Millisievert um einen Faktor von ungefähr zwei bis drei niedriger ist als die zusätzliche Mortalität durch Krebserkrankungen.

5.6 Literatur

Azizova et al. 2010Azizova TV, Muirhead CR, Druzhinina MB, Grigoryeva ES, Vlasenko EV, Sumina MV, O'Hagan JA, Zhang W, Haylock RG, Hunter N. Cardiovascular diseases in the cohort of workers first employed at Mayak PA in 1948-1958. Radiat Res. 2010 Aug;174(2):155-168. doi: 10.1667/RR1789.1
Azizova et al. 2011Azizova TV, Muirhead CR, Mooseva MB, Grigoryeva ES, Sumina MV, O'Hagan JA, Zhang W, Haylock RJ, Hunter N. Cerebrovascular diseases in nuclear workers first employed at the Mayak PA in 1948-1972. Radiat Environ Biophys. 2011;50(4):539-552. doi 10.1007/s00411-011-0377-6
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BEIR 2006National Research Council. Health Risks from Exposure to Low Levels of Ionizing Radiation: BEIR VII Phase 2. United States National Academy of Sciences. The National Academy Press, Washington DC, 2006. ISBN 978-0-309-09156-5. doi: 10.17226/11340
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6 Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen

6.1 Begriffsbestimmungen

Als kanzerogen oder krebserzeugend werden Stoffe bezeichnet, wenn sie die Häufigkeit entstehender Krebserkrankungen erhöhen oder ihr Auftreten zu einem früheren Alter hin verschieben. Als genotoxisch werden Substanzen bezeichnet, die die Struktur oder den Informationsgehalt der DNA oder ihre Segregation (Aufteilung der DNA auf die Tochterzellen bei der Zellteilung) verändern.

Es wird zwischen genotoxischen und nichtgenotoxischen Kanzerogenen unterschieden. Nichtgenotoxische Kanzerogene unterstützen das Zellwachstum. Sie haben stets eine Wirkschwelle, unterhalb derer kein Krebs ausgelöst wird. Es wird angenommen, dass genotoxische Kanzerogene keine Wirkschwelle haben.

6.2 Regelwerk

Im deutschen Regelwerk wird der Schutz des Menschen bei der beruflichen Exposition mit Kanzerogenen und anderen Gefahrstoffen in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV 2016) geregelt. Die Ermächtigung für diese Verordnung ergibt sich aus dem Chemikaliengesetz. Seit 2005 ist auch das Arbeitsschutzgesetz gesetzliche Grundlage für die GefStoffV 2016.

Gemäß § 6 GefStoffV 2016 hat der Arbeitgeber vor der Aufnahme der Tätigkeiten mit einem Stoff eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Diese beinhaltet u. a. die Prüfung, ob es sich bei dem Stoff um einen Gefahrstoff handelt bzw. ob hieraus ein Gefahrstoff entstehen kann, wie hoch der Beschäftigte durch diesen exponiert wird und ob für diesen Gefahrstoff Beschränkungen, z.B. in Form von Grenzwerten, bestehen.

Die GefStoffV 2016 enthält in § 7 Absatz 4 ein Vermeidungs- und Minimierungsgebot: "Der Arbeitgeber hat Gefährdungen der Gesundheit und der Sicherheit der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen auszuschließen. Ist dies nicht möglich, hat er sie auf ein Minimum zu begrenzen. Diesen Geboten hat der Arbeitgeber durch die Festlegung und Einhaltung geeigneter Schutzmaßnahmen Rechnung zu tragen".

In § 7 Absatz 8 GefStoffV 2016 wird die Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte für die Gefahrstoffe vorgeschrieben. Diese Arbeitsplatzgrenzwerte werden gemäß § 20 Absatz 3 von dem Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) vorgeschlagen. Gemäß § 20 Absatz 4 werden sie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geprüft und mittels Bekanntgabe in Kraft gesetzt.

Für krebserzeugende Gefahrstoffe der Kategorie 1 oder 2 gemäß GefStoffV 2016, die keine Wirkschwelle besitzen, wird kein Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt. Kategorie 1 umfasst Gefahrstoffe, die auf den Menschen bekanntermaßen krebserregend wirken; ihre Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen am Menschen. Kategorie 2 umfasst Gefahrstoffe, die wahrscheinlich auf den Menschen krebserregend wirken; ihre Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen am Tier. Für diese krebserzeugenden Gefahrstoffe der Kategorien 1 und 2 hat der Arbeitgeber gemäß § 10 Absatz 1 GefStoffV 2016 ein Maßnahmenkonzept anzuwenden, um das Minimierungsgebot umzusetzen. Das Maßnahmenkonzept ist risikobasiert, d. h., die zu ergreifenden Maßnahmen sind von der Höhe der Exposition abhängig. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist deshalb die Exposition der Beschäftigten durch Messungen der Stoffkonzentrationen in der Luft am Arbeitsplatz oder durch andere geeignete Ermittlungsmethoden zu bestimmen. Hierbei sind die vom BMAS bekannt gegebenen Regelungen, Erkenntnisse und Beurteilungsmaßstäbe des AGS zu berücksichtigen.

Der AGS besteht aus Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Landesbehörden, der gesetzlichen Unfallversicherung und der Wissenschaft und wird durch das BMAS berufen. Die von ihm erarbeiteten Regelungen, Erkenntnisse und Bewertungsmaßstäbe werden als "Technische Regeln für Gefahrstoffe" (TRGS) veröffentlicht. Die Regelungen, Erkenntnisse und Beurteilungsmaßstäbe des AGS zum Maßnahmenkonzept beim Umgang mit krebserregenden Gefahrstoffen wurden 2014 als TRGS 910 veröffentlicht.

6.3 Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910

Die TRGS 910 "Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen" enthalten

6.3.1 Risikogrenzen

Unter Risiko wird im vorliegenden Kontext die (statistische) Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer durch die Exposition während des gesamten Berufslebens berufsbedingten Krebserkrankung während des gesamten Lebens verstanden.

Das Akzeptanzrisiko wird in den TRGS 910 (Anlage 2) definiert als "Risiko am Arbeitsplatz, bei dem aufgrund des verbleibenden niedrigen stofflichassoziierten zusätzlichen Krebsrisikos keine weiteren zusätzlichen Schutzmaßnahmen von staatlicher Seite zu fordern sind" 35. Das Toleranzrisiko beschreibt die "Schwelle, oberhalb derer Beschäftigte nicht exponiert werden sollen".

Als Höhe für das Akzeptanzrisiko wird ein Wert von 4:100.000 bei Exposition über das gesamte Berufsleben festgelegt, gültig spätestens ab dem Jahr 2018. Da die Regeln in ein bestehendes Wirtschaftssystem eingreifen und ein Wert von 4:100.000 für viele Tätigkeiten und Verfahren mit sehr hohen Anforderungen verbunden ist, gilt für eine Übergangsphase bis spätestens im Jahr 2018 ein Wert von 4:10.000. Für das Toleranzrisiko wird ein Wert von 4:1.000 festgelegt.

Bei der Festlegung dieser Risikowerte orientierte sich der AGS an den Risiken für tödliche Arbeitsunfälle, dem Risiko, aus anderen Gründen an Krebs zu erkranken, und den Bewertungsmaßstäben anderer staatlicher Regelungen zu kanzerogenen Stoffen in Deutschland und im Ausland. Als Vergleiche werden in den TRGS 910 (Anlage 2, Seite 23 von 165 (Fassung vom 11. Oktober 2016)) genannt:

"2.1 Bekannte Risiken am Arbeitsplatz und für die Allgemeinbevölkerung

(1) An Arbeitsplätzen unterscheiden sich die bekannten Risiken eines tödlichen Unfalls erheblich (Alz: Arbeitslebenszeit [40 Jahre]):

Landwirtschaft3:1.000/Alz
Bauwirtschaft2:1.000/Alz
Bergbau3:1.000/Alz
Einzelhandel4:10.000/Alz

(2) Das Risiko, durch die sieben wichtigsten luftgetragenen Umweltkarzinogene an Krebs zu erkranken, wurde für die Allgemeinbevölkerung 1992 vom Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) mit 1:1.000 für die Stadtbevölkerung und 2:10.000 für die Landbevölkerung berechnet.

(3) In mehreren staatlichen Regelungen zum Lebensmittel- bzw. Umweltbereich sind die maximal zulässigen Konzentrationen von Kanzerogenen reguliert. Diese Konzentrationen wurden nicht immer im Hinblick auf ein akzeptables Risiko abgeleitet, sie korrespondieren aber rechnerisch mit folgenden, jeweils auf die Lebenszeit (Lz) für die Allgemeinbevölkerung bezogene Risiken:

Arsen im Trinkwasser (10 µg/l)5:10.000/Lz
Dioxin in Lebensmittel (2 pg Teq/kg)3:10.000/Lz
Dieselruß (5 ng BaP/m3 36)2:10.000/Lz
Cadmium im Schwebstaub2:100.000/Lz.

Die Dosis natürlicher Strahlen wird mit einem zusätzlichen auf die Lebenszeit (70 Jahre) bezogenen Krebsrisiko von 1:1.000 verbunden.

2.2 Risikogrenzen in bestehenden Regelungen für den Arbeitsplatz und für die Allgemeinbevölkerung

(1) Das niederländische Arbeitsschutzgesetz enthält in einer Liste von Luftgrenzwerten auch Werte für Kanzerogene. Das mit diesen Grenzwerten verbundene Risikoniveau darf in der Regel nicht höher sein als 1:10.000 pro Jahr. Wenn möglich, soll ein Risikoniveau 1:1.000 000 pro Jahr erreicht werden, unterhalb dessen keine besonderen zusätzlichen Schutzmaßnahmen mehr erforderlich wären. (Nach Umrechnung auf 40 Jahre Arbeitslebenszeit entsprechen die genannten Risiken 4:1.000 - entsprechend dem hier diskutierten Toleranzrisiko und 4:100.000 = Akzeptanzrisiko).

(2) Aus der Regulation in der Schweiz für Tätigkeiten mit asbesthaltigen Materialien und Benzol lässt sich ein stoffspezifisches Vorgehen unter Berücksichtigung praktischer Belange erkennen. Dabei errechnet sich das auf die Lebenszeit bezogene Akzeptanzrisiko für Asbest zu 4:100.000 und für Benzol zu 6:10.000.

(3) Für die deutsche Allgemeinbevölkerung hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) ein akzeptables Risiko für eine stufenförmige Senkung von Konzentrationswerten in Höhe der "international diskutierte Risikogröße 1:100 000" genannt. Die Gesundheitsministerkonferenz folgte dem SRU und nennt das Lebenszeit-Risiko von 1:100.000 für Einzelsubstanzen als das Ziel einer stufenförmigen Senkung von Umweltkonzentrationen.

(4) Für die Regulation krebserzeugender Umweltschadstoffe werden u. a. folgende Risiken als Bewertungsmaßstäbe herangezogen:

  1. Ein Gesamtrisiko von 4:10.000 für Mehrstoffbelastungen und als ersten Schritt der Minimierung des Risikos durch krebserzeugende Luftverunreinigungen (ohne Rauchen/Passivrauchen) 1992 durch den LAI.
  2. Ein einzelstoffbezogenes zusätzliches rechnerisches Risiko von 1:100.000 bei lebenslanger Exposition gegenüber kanzerogenen Stoffen in der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (§ 4 Absatz 5, Bundesanzeiger 161a vom 28. August 1999).
  3. Ein Lebenszeit-Zusatzrisiko von 1:1.000 000 für Grenzwerte für krebserzeugende Stoffe nach der Trinkwasserverordnung von 2001.

Für die letzten beiden Punkte ist eine besondere Empfindlichkeit von Kindern gegenüber gentoxischen Kanzerogenen dabei ausdrücklich noch nicht berücksichtigt.

(5) Nach der Strahlenschutzverordnung ist eine maximale jährliche zusätzliche Strahlendosis von 20 mS 37 zulässig, die zusätzliche Dosis bezogen auf das Arbeitsleben ist auf 400 mS begrenzt. Hieraus folgt ein zusätzliches Krebsrisiko von 2:100."

Die SSK weist darauf hin, dass einige der hier genannten Daten inzwischen überholt sind. So beträgt das Risiko, durch die sieben wichtigsten luftgetragenen Umweltkarzinogene während seines gesamten Lebens an Krebs zu erkranken in Ballungsgebieten nach neueren Daten aus dem Jahr 2002 nur noch 4:10.000 (LAI 2004). Auch liegt gemäß Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI 2004) bei 2 µg/m³ Ruß oder 3 ng/m³ Benzo[a]pyren (BaP) das Lebenszeitkrebsrisiko bei 2·10 -4. Zudem wurde der Bewertungsmaßstab bezüglich des Gesamtrisikos für Mehrstoffbelastung durch krebserzeugende Luftverunreinigungen im Jahr 2004 außer Kraft gesetzt und durch eine neue Risikobewertung mit einer Einzelstoffbetrachtung ersetzt (LAI 2004).

Man beachte zudem, dass es sich bei den genannten Risiken durch Arsen, Dioxin, Dieselruß und Cadmium um Krebsrisiken und nicht um Mortalitätsrisiken handelt, vgl. (Bender 2014).

Die Angabe eines Lebenszeitrisikos von 1:1.000 durch natürliche Strahlung kann von der SSK nicht nachvollzogen werden. Bei einer mittleren jährlichen natürlichen Strahlenexposition von 2,1 mSv effektiver Dosis, einem Risikokoeffizient für Krebsfälle von 0,1 je Sv und einer Expositionsdauer von 70 Jahren ergibt sich unter der im Strahlenschutz üblichen Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ein Lebenszeitkrebsrisiko von ca. 15:1.000. Zudem stellt der Risikokoeffizient der ICRP nicht direkt das Krebsrisiko, sondern ein schadensgewichtetes Krebsrisiko dar. Die SSK stellt auch fest, dass das hier angegebene Risiko bei 400 mSv berufsbedingter effektiver Dosis ungefähr dem Mortalitätsrisiko entspricht. Das entsprechende zusätzliche Risiko für eine Krebserkrankung beträgt 4:100 (siehe Nummer 4).

6.3.2 Ableitung der Exposition-Risiko-Beziehung

Die Exposition-Risiko-Beziehung (ERB) ist ein Zusammenhang zwischen einer (chronischen) Exposition durch einen Stoff und dem hierdurch verursachten zusätzlichen Krebsrisiko. Die Exposition wird ausgedrückt als Stoffkonzentration in der Atemluft unter der Annahme einer (ausschließlich) inhalativen Aufnahme während des gesamten Berufslebens bei konstanter Stoffkonzentration in der Atemluft.

Anlage 3 der TRGS 910 (Fassung vom 11. Oktober 2016) enthält einen Leitfaden zur Ableitung der ERB. Im Hinblick auf den Vergleich mit dem Vorgehen im Strahlenschutz sind die folgenden Vorgaben von Interesse:

6.3.3 Akzeptanzkonzentration und Toleranzkonzentration

Die Akzeptanzkonzentration ist die Konzentration eines Stoffs in der Luft am Arbeitsplatz, die sich unter Anwendung der ERB dieses Stoffes aus dem Akzeptanzrisiko ergibt.

Die Toleranzkonzentration ist in der Regel die Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, die sich unter Anwendung der ERB dieses Stoffes aus dem Toleranzrisiko ergibt. Weist jedoch ein Stoff neben einer kanzerogenen Wirkung auch eine nichtkanzerogene Wirkung auf und besteht für diese nichtkanzerogene Wirkung ein Arbeitsplatzgrenzwert unterhalb der Toleranzkonzentration, dann wird der Toleranzkonzentration dieser Arbeitsplatzgrenzwert zugewiesen. Die Toleranzkonzentration kann deshalb auch geringer sein als das zehnfache (bzw. ab 2018 das hundertfache) der Akzeptanzkonzentration.

In Anlage 1 Kapitel 1 der TRGS 910 werden für 17 Stoffe oder Stoffgruppen Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen angegeben. Ihre jeweiligen Begründungen mit den Verweisen auf die zugrunde liegenden Human- und Tierdaten sind im Internet veröffentlicht 38. Gegenwärtig liegen nur für etwa ein Drittel der dort behandelten Stoffe und Stoffgruppen epidemiologische Daten vor.

Die Toleranzkonzentrationen für kanzerogene Gefahrstoffe werden in den TRGS 910 nicht explizit als Grenzwerte bezeichnet. Zusammen mit den Akzeptanzkonzentrationen bestimmen sie jedoch die vom Arbeitgeber durchzuführenden Schutzmaßnahmen (u. a. auch Atemschutz, siehe Nummer 6.3.5), sodass sie wie Grenzwerte für die Stoffkonzentrationen in der Atemluft wirken.

In Anlage 1 Kapitel 2 der TRGS 910 werden für sieben der Stoffe oder Stoffgruppen zusätzlich Äquivalenzwerte in biologischem Material angegeben. Hierbei handelt es sich um Stoffkonzentrationen in einem biologischen Material (Vollblut, Erythrozytenfraktion des Vollblutes, Plasma/Serum oder Urin), die einer mittleren Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz entsprechen. Angegeben sind die Äquivalenzwerte für die Akzeptanzkonzentration und für die Toleranzkonzentration.

6.3.4 Gefährdungsbeurteilung

Bei der Bewertung der Stoffkonzentrationen in der Luft am Arbeitsplatz beziehen sich die Akzeptanzkonzentrationen und die Toleranzkonzentrationen auf die Mittelwerte über eine Arbeitsschicht.

Gemäß TRGS 910 Kapitel 4 kann der Arbeitgeber die Hintergrundkonzentration des Gefahrstoffs berücksichtigen. Die arbeitsplatzbedingte inhalative Exposition ergibt sich dann aus der Differenz der am Arbeitsplatz ermittelten Stoffkonzentration und der Hintergrundkonzentration.

Bei hautresorptiven Stoffen kann die dermale Aufnahme einen wesentlichen Beitrag zur Exposition liefern. Am Arbeitsplatz unbeabsichtigt oral aufgenommene Stoffe werden durch die Ermittlung der inhalativen Exposition aus der Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz ebenfalls nicht erfasst. Zur Ermittlung der Exposition der Beschäftigten ist in solchen Fällen das Biomonitoring besser geeignet. Die Ergebnisse des Biomonitorings sind mit den in Nummer 6.3.3 genannten stoffspezifischen Äquivalenzwerten in biologischem Material zu vergleichen.

Bei Expositionen gegenüber mehreren Kanzerogenen werden diese als Einzelexpositionen bewertet, eine Summenwertbetrachtung findet zurzeit nicht statt. Tätigkeiten mit gleichzeitiger Exposition gegenüber mehreren Kanzerogenen, mit Ausnahme von Schweiß-, Sanierungs-, Instandhaltungs- und Laborarbeitsplätzen, sollten dem AGS zur Kenntnis gegeben werden.

6.3.5 Risikobezogenes Maßnahmenkonzept in den TRGS 910

In dem risikobezogenen Maßnahmenkonzept der TRGS 910 - auch als "Ampelkonzept" bezeichnet werden drei Risikobereiche unterschieden, die durch das Akzeptanzrisiko und das Toleranzrisiko voneinander getrennt sind:

Art und Umfang der erforderlichen (Schutz-)Maßnahmen richten sich nach der Höhe der Expositionen bzw. der Stoffkonzentrationen in der Luft am Arbeitsplatz relativ zum Akzeptanz- und Toleranzrisiko bzw. zu den jeweiligen Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen, siehe Abbildung 6.1 (aus TRGS 910). Ziel des Maßnahmenkonzepts ist es, Expositionen unterhalb der Akzeptanzkonzentration zu erreichen. In (Renn 2010) werden hierzu die folgenden

Abbildung 6.1: Zusammenhang zwischen Risikobereichen und Maßnahmen
(veränderte Grafik nach TRGS 910)
Die Abbildung skizziert (nicht quantitativ), dass die Notwendigkeit für risikomindernde Maßnahmen umso höher ist, je näher die Konzentration (C) eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz an der Toleranzkonzentration ist

Grundsätze formuliert:

Die vom Arbeitgeber auf der Basis einer Gefährdungsbeurteilung zu ergreifenden Maßnahmen werden in den TRGS 910 differenziert nach

Der Arbeitgeber muss regelmäßig die Möglichkeit einer Substitution des Gefahrstoffs prüfen. Ist eine Substitution möglich, ist sie bei Überschreitung der Toleranzkonzentration zwingend, andernfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durchzuführen.

Technische Maßnahmen nach dem Stand der Technik sind bei Überschreitung der Toleranzkonzentration zwingend, bei Unterschreitung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Bei Unterschreitung der Akzeptanzkonzentration sind keine zusätzlichen technischen Maßnahmen erforderlich, es ist jedoch sicherzustellen, dass keine Verschlechterung der Expositionssituation eintritt. Hiervon ausgenommen sind bauliche Maßnahmen zur räumlichen Abtrennung des Arbeitsbereichs und zur Reduzierung der verwendeten Stoffmengen, die auch unterhalb der Akzeptanzkonzentration im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durchzuführen sind.

Die organisatorischen Maßnahmen (Hygienemaßnahmen, Minimierung der Expositionsdauer, Minimierung der Anzahl der Exponierten, Risikotransparenz/Risikokommunikation, Betriebsanweisung/Unterweisung/Schulung) sind unabhängig vom Risikoniveau durchzuführen.

Atemschutz ist bei Überschreitung der Akzeptanzkonzentration zur Verfügung zu stellen. Bei Überschreitung der Toleranzkonzentration ist das Tragen durch den Beschäftigten zwingend 39.

Die administrativen Maßnahmen umfassen die Erstellung eines Maßnahmenplans und die Kommunikation mit der Aufsichtsbehörde.

Bei Überschreitung der Akzeptanzkonzentration muss der Arbeitgeber einen Maßnahmenplan aufstellen, in dem er konkret beschreibt, aufgrund welcher Maßnahmen, in welchen Zeiträumen und in welchem Ausmaß eine weitere Expositionsminderung erreicht werden soll. Wird die Toleranzkonzentration vorhersehbar über einen Zeitraum von länger als drei Monaten überschritten, ist die Aufsichtsbehörde unter Übermittlung des Maßnahmenplans zu informieren.

Bei Tätigkeiten, bei denen belastender Atemschutz dauerhaft (d. h. mehr als 120 h innerhalb von drei Monaten) getragen werden muss, ist dies als Ausnahme zu beantragen. Als Teil des Antrags sind die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung und der Maßnahmenplan einzureichen. In dem Maßnahmenplan ist darzulegen, wie innerhalb von drei Jahren die Toleranzkonzentration unterschritten wird.

6.4 Zusammenfassung

Das risikobezogene Maßnahmenkonzept bei der beruflichen Exposition mit Kanzerogenen ist in Europa nicht einheitlich geregelt. Im deutschen Regelwerk wird der Schutz des Menschen bei der beruflichen Exposition mit Kanzerogenen und anderen Gefahrstoffen in der GefStoffV (2016) geregelt und in den Technische(n) Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) konkretisiert. In den TRGS 910 wird ein risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen formuliert, bei dem ein Toleranzrisiko in Höhe von 4:1.000 und ein Akzeptanzrisiko in Höhe von 4:10.000 (ab 2018 von 4:100.000) durch die Exposition während des gesamten Berufslebens festgelegt werden. Unter Risiko wird die (statistische) Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer berufsbedingten Krebserkrankung während des gesamten Lebens verstanden. Unterhalb des Akzeptanzrisikos werden von staatlicher Seite außer organisatorischen Maßnahmen keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen gefordert. Das Toleranzrisiko beschreibt die Schwelle, oberhalb der Beschäftigte nicht exponiert werden sollen. Die Höhe der Risikowerte wurde durch einen Vergleich mit anderen beruflichen Krebs- und Lebensrisiken, Gesundheitsrisiken für die allgemeine Bevölkerung und Regelungen in einigen anderen europäischen Ländern begründet.

Gegenwärtig werden die Kanzerogene separat bewertet. Es ist in der Diskussion, bei Mehrfachexposition eine Summenformel einzuführen. Hierzu fordern die TRGS 910 die Mitteilung von Tätigkeiten mit gleichzeitiger Exposition gegenüber mehreren Kanzerogenen.

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LAI 2004Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI). Bewertung von Schadstoffen, für die keine Immissionswerte festgelegt sind - Orientierungswerte für die Sonderfallprüfung und für die Anlagenüberwachung sowie Zielwerte für die langfristige Luftreinhalteplanung unter besonderer Berücksichtigung der Beurteilung krebserzeugender Luftschadstoffe. Bericht des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) vom 21. September 2004. http://www.1anuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/gesundheit/pdf/LAI2004.pdf, zuletzt aufgerufen am 7. September 2018
Renn 2010Renn O (und unter Beteiligung des PG Risikoakzeptanz des AGS). Akzeptabilität von Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz. Ein neues Konzept zur Bewertung von Risiken durch krebserzeugende Stoffe. April 2010. https://www.baua.de/DE/Aufgaben/Geschaeftsfuehrung-von-Ausschuessen/AGS/pdf/Akzeptabilitaet-Gesundheitsrisiken.pdf, zuletzt aufgerufen am 7. September 2018
TRGS 910Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 910. Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen. Fassung vom 11. Oktober 2016. Bekanntmachung des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Ausgabe: Februar 2014, GMBl 2014 S. 258 bis 270 v. 2. April 2014 [ Nr. 12], zuletzt geändert und ergänzt GMBl 2016 S. 606 bis 609 v. 29. Juli 2016 [ Nr. 31], berichtigt, GMBl 2016 S. 791 v. 7. Oktober 2016 [ Nr. 40]

7 Berufliche Strahlenexposition in Deutschland

7.1 Einleitung

Die berufliche Strahlenexposition ist definiert als die Exposition von Arbeitskräften, Auszubildenden und Studierenden während ihrer Arbeit. Strahlenexpositionen während der Berufsausübung stammen aus unterschiedlichen Quellen. Sie entstehen durch externe oder interne Bestrahlung beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder in Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung bei zugelassenen Tätigkeiten. Auch bei Arbeiten nach StrlSchV 2001 kommt es zu beruflichen Strahlenexpositionen durch die kosmische Strahlung und durch natürlich vorkommende Radioaktivität an Arbeitsplätzen.

Gemäß der Richtlinie 2013/59/EURATOM (Euratom 2014) ist die berufliche Strahlenexposition zu begrenzen 40 und mit dem Ziel zu optimieren, die Höhe der Individualdosen, die Wahrscheinlichkeit einer Exposition sowie die Anzahl der exponierten Personen unter Berücksichtigung des jeweils gegenwärtigen technischen Erkenntnisstandes sowie wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar zu halten. Zur Erreichung dieser Ziele fordert die Richtlinie 2013/59/EURATOM in Artikel 32 die individuelle Überwachung der beruflichen Strahlenexponierten. Die Richtlinie schreibt damit die Festlegungen bisheriger internationaler und nationaler Strahlenschutzgrundsätze und -regelungen konsequent fort.

In diesem Kapitel wird ein Überblick über die berufliche Strahlenexposition in Deutschland gegeben. Dabei werden drei Schwerpunkte betrachtet: die aktuelle Situation der beruflichen Strahlenexposition, die historische Entwicklung der beruflichen Expositionen sowie die zur Verfügung stehenden Informationen über die Berufslebensdosen der Beschäftigten.

Dabei wird zurückgegriffen auf die Parlamentsberichte, mit denen die Bundesregierung das Parlament über die Umweltradioaktivität und Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland informiert, sowie einschlägige Publikationen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) wie den jährlichen Bericht des BfS "Die berufliche Strahlenexposition in Deutschland: Bericht des Strahlenschutzregisters"; siehe Literaturverzeichnis sowie (http://doris.bfs.de).

Wie im Bericht des Strahlenschutzregisters des Bundes (BfS 2015) ausführlich dargestellt, begann die gesetzlich geregelte Überwachung beruflich strahlenexponierter Personen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren. In der BRD stellten die Erste Strahlenschutzverordnung von 1964 und die Röntgenverordnung von 1973 entsprechende Regelungen auf. In der ehemaligen DDR begann die gesetzliche Überwachung beruflich strahlenexponierter Personen im Jahr 1957. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurden etwas über 300.000 Personen überwacht.

Eine Ausdehnung des überwachten Personenkreises erfolgte mit der Umsetzung der Richtlinie 96/29/Euratom in nationales Recht durch die Novellierung der Strahlenschutzverordnung mit Wirkung zum 1. August 2001 und der Änderung der Röntgenverordnung zum 1. August 2002. Durch diese Novellierungen ist auch die Überwachung von Personen vorgeschrieben, die am Arbeitsplatz einer erhöhten Exposition durch kosmische oder natürliche terrestrische Strahlung oder Radon ausgesetzt sind, z.B. des fliegenden Personals sowie von Arbeitskräften in Wasserwerken oder im Bergbau. Hierdurch nahm die Anzahl der überwachten Personen um weitere 40.000 zu. Insgesamt ist die Anzahl der überwachten Personen von 114.968 im Jahr 1980 auf 357.660 im Jahr 2014 angestiegen.

Mit Errichtung des Bundesamtes für Strahlenschutz wurde 1989 die Einrichtung des Strahlenschutzregisters eingeleitet. Das Strahlenschutzregister ist eine Einrichtung des Bundes zur Überwachung der beruflichen Strahlenexposition und hat seine Rechtsgrundlage in § 12c Atomgesetz (AtG 1985). Die detaillierten Regelungsinhalte des Strahlenschutzregisters sind in der Strahlenschutzregisterverordnung (Strahlenschutzregisterverordnung 1990) sowie in § 170 des Strahlenschutzgesetzes (StrlSchG 2017) festgeschrieben.

Die Überwachung der beruflichen Strahlenexposition in Deutschland gliedert sich im Wesentlichen in vier Bereiche:

Überwachung der externen Exposition beruflich strahlenexponierter Personen mit Personendosimetern,

Die Meldungen aus diesen vier Bereichen werden zentral im Strahlenschutzregister des Bundesamtes für Strahlenschutz zusammengeführt und dort u. a. auf Einhaltung der Dosisgrenzwerte personenbezogen ausgewertet.

Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Anteile weiblicher und männlicher Beschäftigter in den Berufsgruppen deutlich unterscheiden. Die größte Gruppe der Überwachten in medizinischen Betrieben bilden Frauen, während im nichtmedizinischen Bereich die Männer überwiegen. Auch beim fliegenden Personal überwiegt der Anteil von Frauen, wobei ein überproportionaler Anteil von jüngeren Frauen unter 45 Jahren festzustellen ist.

7.2 Berufliche Strahlenexposition im Jahr 2012

Für das Jahr 2012 liegen ausführliche Dokumentationen (BMUB 2014a, BMUB 2014b, BfS 2014) vor, die es erlauben, die spezifischen Eigenschaften der beruflichen Strahlenexposition in den verschiedenen Gruppen der strahlenschutzüberwachten Personen darzustellen. Diese Berichte über die berufliche Strahlenexposition in Deutschland im Jahr 2012 werden für die folgende exemplarische Auswertung zugrunde gelegt.

Die 351.901 strahlenschutzüberwachten Personen verteilten sich in Deutschland im Jahr 2012 wie folgt auf die verschiedenen Arbeitsbereiche: Medizin (71 %), Industrie (10 %), fliegendes Personal (10 %), Forschung und Entwicklung (5 %), Kerntechnik (4 %) und Arbeitsplätze mit natürlichen radioaktiven Quellen (< 1 %). Die Verteilung der Jahrespersonendosen beruflich Strahlenexponierter zeigt Abbildung 7.1.

Abbildung 7.1: Verteilung der Jahrespersonendosen beruflich Strahlenexponierter im Jahr 2012 (BMUB 2014a)

Bei der Überwachung der Personendosis mit Personendosimetern wird der Anteil der natürlichen externen Strahlenexposition abgezogen. Für die Mehrzahl der Überwachten lagen die korrigierten Dosimeter-Ablesungen unterhalb der Erkennungsgrenze (EKG) 41 von 0,05 mSv (Tabelle 7.1 gibt dazu die Zahlenangaben). Die Dosisverteilung der Jahrespersonendosen oberhalb der Erkennungsgrenze deutet für die medizinischen und nichtmedizinischen Tätigkeitsfelder auf eine stark schief logarithmische Normalverteilung hin. Dies entspricht dem Charakter dieser Expositionen als multifaktoriellem Geschehen mit zufälligen und unsicheren Einflussfaktoren.

Abbildung 7.2: Kumulative Häufigkeitsverteilung der Jahrespersonendosen der überwachten beruflich strahlenexponierten Personen in Deutschland im Jahr 2012; Daten aus (BMUB 2014b)

Tabelle 7.1: Verteilung der Jahrespersonendosen 42 in mSv im Jahr 2012; Daten nach (BMUB 2014b)

Dosis H in mSvGesamtMedizinNichtmedizin
NAnteil in %NAnteil in %NAnteil in %
0 (< EKG)298.81885,00239.65286,1759.56480,52
0 < H ≤ 0,231.1178,8525.1599,056.0318,15
0,2 < H ≤ 0,47.7962,225.6682,042.1432,90
0,4 < H ≤ 0,63.6341,032.4690,891.1731,59
0,6 < H ≤ 0,82.2280,631.4520,527821,06
0,8 < H ≤ 11.6380,471.0280,376120,83
1 < H ≤ 23.6941,051.9870,711.7162,32
2 < H ≤ 41.7440,505500,201.2021,62
4 < H ≤ 65130,151080,044070,55
6 < H ≤ 82270,065250,0092030,274
8 < H ≤ 101000,028120,004880,119
10 < H ≤ 15460,01370,003390,053
15 < H ≤ 20110,003110,0004100,0135
H > 2020,000610,000410,0014
Gesamt *351.568278.11973.971
* Die Summe aus Medizin und Nichtmedizin ist größer als die Gesamtanzahl, da eine Person in beiden Bereichen arbeiten kann.

EKG: Erkennungsgrenze

Der Anteil der Inkorporation an den Jahrespersonendosen ist gering (Tabelle 7.2). Lediglich fünf Personen erhielten Jahrespersonendosen durch Inkorporation oberhalb von 1 mSv, Dosen von 6 mSv wurden im Jahr 2012 nicht überschritten. Dies ist sicher auch Ausdruck der erfahrungsgemäß besonders hohen Bedeutung der inneren Strahlenexposition, die Beschäftigte mit Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen diesem Expositionspfad beimessen.

Tabelle 7.2: Verteilung der Jahrespersonendosen (effektive Dosis E) nur durch Inkorporation im Jahr 2012; Daten aus (BfS 2014)

Dosis E
in mSv
AlleMännlichWeiblichWeiblich
unter 45 Jahren
Alle
unter 18 Jahren
≥ 0,01.4721.0943781957
> 0,099683150
> 0,2312830
> 0,416142
> 0,61192
> 1,0532
> 2,0220
> 4,011
> 5,000

Der Zusammenhang zwischen der Jahrespersonendosis und der jährlichen effektiven Dosis wird in § 41 StrlSchV 2001 definiert. Im Jahr 2012 wurden nur zwei Überschreitungen des Jahresgrenzwerts von 20 mSv festgestellt (Tabelle 7.1 und 7.4 sowie Abbildung 7.3). Damit setzt sich ein Trend zu immer geringeren Anzahlen von Grenzwertüberschreitungen 43 fort (Abbildung 7.3). Während im Jahr 1998 noch für 147 Personen Ganzkörperjahresdosen über 20 mSv festgestellt wurden, ist die Anzahl derartig hoher Dosen nach dem Jahr 2000 deutlich auf Werte zwischen 23 und 3 gefallen. Dies ist sicher eine Folge von Optimierungsbemühungen und Anwendung des ALARA-Prinzips beim Umgang mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung. Aber auch mehr Einsicht in die Notwendigkeit des Strahlenschutzes bei den Beschäftigten mag zu dieser Veränderung beigetragen haben.

Abbildung 7.3: Anzahl der Personen mit Ganzkörperjahresdosen über 20 mSv (BMUB 2014a)

Die Anzahl der Personen des fliegenden Personals, für die Jahresdosen im Strahlenschutzregister gemeldet sind, ist seit 2005 von 31.229 bis auf 40.273 im Jahr 2012 angestiegen. Die mittlere effektive Jahresdosis schwankte in diesem Zeitraum zwischen 1,9 mSv (im Jahr 2012) und 2,3 mSv (in den Jahren 2007 bis 2010). Die Verteilung der effektiven Jahresdosis des fliegenden Personals im Jahr 2012 ist in Tabelle 7.3 wiedergegeben. Im Gegensatz zu den Dosen in anderen Berufsbereichen (medizinische und nichtmedizinische Tätigkeiten) kann die Dosisverteilung des fliegenden Personals gut durch eine Normalverteilung beschrieben werden mit der höchsten Anzahl exponierter Personen zwischen 1 mSv und 6 mSv.

Beim fliegenden Personal wird die Strahlenexposition im Wesentlichen von den Flugstunden, der Flughöhe und -route bestimmt, alles Größen, die wenig von zufälligen Einflussfaktoren abhängen. Der Modus der Verteilung der effektiven Jahresdosen lag im Jahr 2012 bei 1,5 mSv bis 2,0 mSv bei einer mittleren Jahresdosis von 1,9 mSv. Jahresdosen von mehr als 10 mSv kamen nicht vor und nur in sechs Fällen lagen beim fliegenden Personal die Jahresdosen oberhalb von 6 mSv.

Tabelle 7.3: Verteilung der effektiven Jahresdosis des fliegenden Personals im Jahr 2012; Daten nach (BMUB 2014b).

Dosis E in mSvAnzahl der PersonenAnteil in %
E = 02880,715
0 < E ≤ 0,52.7206,754
0,5 < E ≤ 1,04.37910,873
1,0 < E ≤ 2,014.49936,002
2,0 < E ≤ 3,012.50831,058
3,0 < E ≤ 4,05.45113,535
4,0 < E ≤ 5,04111,021
5,0 < E ≤ 6,0110,027
6,0 < E ≤ 10,060,015
E > 10,000,000
Gesamt40.273

Die Dosisverteilungen der beruflichen Strahlenexposition von Personen an Arbeitsplätzen mit erheblich erhöhter Exposition aus natürlichen Quellen sowie von Beschäftigten der Wismut GmbH sind in den Tabellen 7.4 und 7.5 zusammengefasst. Die mittleren Jahrespersonendosen der Beschäftigten der Wismut GmbH, die im Rahmen genehmigter Tätigkeiten beruflich strahlenexponiert sind, lagen im Jahr 2012 deutlich niedriger als die der Überwachten an Arbeitsplätzen mit erheblich erhöhter natürlicher Exposition.

Für die Beschäftigten der Wismut GmbH, die Arbeiten zur Stilllegung und Sanierung der Betriebsanlagen und Betriebsstätten des Uranerzbergbaues ausführen, werden die durch Inhalation von Radionukliden der Uranzerfallsreihe und die durch äußere Gammastrahlung verursachten Körperdosen ermittelt. Im Jahr 2012 kam es zu keiner Überschreitung des Jahresdosisgrenzwerts von 20 mSv; alle Jahrespersonendosen lagen unter 6 mSv. Die Dosisverteilung ist in Tabelle 7.5 dargestellt. Im Jahr 2012 wurden für diese Arbeiten keine Frauen und keine Jugendlichen beschäftigt.

Tabelle 7.4: Überwachungsergebnisse der an Arbeitsplätzen mit erheblich erhöhter Exposition durch natürliche Strahlung Überwachten und für Beschäftigte der Wismut GmbH; Daten nach (BfS 2014).

JahrArbeitsplätze mit erheblich erhöhter
Exposition durch natürliche Strahlung
Wismut GmbH
überwachte PersonenPersonen
mit Dosen
> 6 mSv
Personen
mit Dosen
> 20 mSv
mittlere
Jahres-
personen-
dosis
in mSv
überwachte PersonenPersonen
mit Dosen
> 0 mSv
Personen
mit Dosen
> 6 mSv
mittlere
Jahres-
personen-
dosis
in mSv
200112507,0k. A.
200211607,2k. A.
2003221006,0k. A.
2004251706,663963900,48
2005673027,228828400,75
2006754168,424224200,81
2007873246,422622641,45
2008933215,421921901,13
200995291010,422322301,11
2010863525,620820801,48
2011821825,418218201,13
20122105714,217017001,16
k. A.: keine Angaben

Tabelle 7.5: Anzahl der Personen mit einer jährlichen effektiven Dosis oberhalb der angegebenen Dosis an Arbeitsplätzen mit erheblich erhöhter Exposition durch natürliche Strahlung sowie für Beschäftigte der Wismut GmbH im Jahr 2012; Daten nach (BfS 2014). Es gab bei der Wismut GmbH weder weibliche beruflich Strahlenexponierte noch solche unter 18 Jahren

Dosis in mSvArbeitsplätze mit erheblich erhöhter Exposition durch natürliche StrahlungWismut GmbH
allemännlichweiblichalle
< 18 Jahre
männlich
> 0190178121170
> 114613511194
> 21099910120
> 65747101
> 8423480
> 1027225
> 20101
> 3000
Gesamt210197131170

Bei den Überwachten an Arbeitsplätzen mit erheblich erhöhter Exposition durch natürliche Strahlung wurde eine Jahrespersonendosis von 6 mSv von 57 Personen überschritten und es kam zu einer Überschreitung des Dosisgrenzwerts von 20 mSv.

In Bezug auf die Arbeitsplätze mit erheblich erhöhter Exposition durch natürliche Strahlung ist auf die großen Unsicherheiten hinzuweisen, die sich aus den ungeklärten Fragen zur Dosimetrie von Radon und Radonfolgeprodukten ergeben. Es könnte sein, dass die effektiven Dosen dieser Berufsgruppen sich um etwa einen Faktor 2 erhöhen, wenn sich die aktuellen Ergebnisse des dosimetrischen Ansatzes bestätigen. Dies gilt auch, wenn die Berechnung der effektiven Dosen nicht mit den Gewebewichtungsfaktoren nach ICRP 60 (ICRP 1991), sondern nach ICRP 103 (ICRP 2007) berechnet würde.

7.3 Zeitreihen der mittleren Jahrespersonendosen

Die zeitliche Entwicklung der beruflichen Strahlenexposition in Deutschland kann als Zeitreihe der mittleren Jahrespersonendosen der tatsächlich exponierten (Jahrespersonendosen größer Null) beruflich strahlenschutzüberwachten Personen (Tabelle 7.6) diskutiert werden. In Abbildung 7.4 sind sowohl die Anzahlen der tatsächlich exponierten beruflich strahlenexponierten Personen als auch die Mittelwerte der Jahrespersonendosen dieser Exponierten für den Zeitraum von 1986 bis 2012 dargestellt. Man erkennt, dass bei relativer Konstanz der Zahl der Exponierten (± 20 %) die Mittelwerte der Jahrespersonendosen im Laufe der Jahre deutlich gefallen sind von mehr als 2 mSv im Jahr 1986 auf etwa 0,5 mSv. Auch dies kann als erfolgreiche Optimierung des Schutzes und als konsequente Umsetzung des ALARA-Prinzips im Falle zugelassener Tätigkeiten und vermehrter Einsicht in die Notwendigkeit des Strahlenschutzes bei den Beschäftigten interpretiert werden.

Abbildung 7.4: Zeitliche Entwicklung der beruflich Strahlenexponierten mit Jahresdosen größer Null sowie der mittleren Jahresdosis dieser Exponierten (Grafik: Bundesamt für Strahlenschutz)

Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die mittleren Jahresdosen der Exponierten sich im Jahr 2012 in den verschiedenen Berufsgruppen deutlich unterschieden: in der Medizin 0,4 mSv, in der Industrie 0,9 mSv, in der Kerntechnik 1,0 mSv, beim fliegenden Personal 2,0 mSv und beim Personal von Wasserwerken, Schauhöhlen und der Wismut GmbH 3,0 mSv (BfS 2014). Abbildung 7.5 zeigt die zeitliche Entwicklung dieser Mittelwerte für die verschiedenen Berufsgruppen. Die starken Schwankungen der Mittelwerte bei den durch Radon Exponierten liegen an der geringen Anzahl der Überwachten.

Abbildung 7.5: Verteilung der Mittelwerte der beruflichen Strahlenexposition auf die verschiedenen Berufsgruppen in den Jahren 2004 bis 2012 (Grafik: Bundesamt für Strahlenschutz).

7.4 Erfasste Berufslebensdosis

Im Strahlenschutzregister werden auch Berufslebensdosen erfasst. Für die beruflich strahlenexponierten Personen werden die Summendosen über alle (1 bis 44) Berufsjahre der im Register gespeicherten Dosismeldungen für eine Person wiedergegeben. In Tabelle 7.6 ist die Verteilung dieser Berufslebensdosen dargestellt. Von 1.445 813 im Strahlenschutzregister erfassten Personen liegen für 535.293 Personen Dosiswerte > 0 mSv vor. Abbildung 7.6 zeigt die kumulative Häufigkeitsverteilung der erfassten Berufslebensdosen. 95 % der Berufslebensdosen liegen danach unter 10 mSv, 100 mSv werden nur in 0,4 % der Fälle überschritten. Die höchsten Berufslebensdosen von mehr als 200 mSv weisen Personen mit mehr als 40 Berufsjahren auf, allerdings ist die Anzahl dieser Personengruppe klein. 268 Personen (0,02 % der registrierten Fälle) haben von 1960 bis 2012 eine Berufslebensdosis über 400 mSv erhalten.

Etwa 90 % der angegebenen rechnerischen 400-mSv-Überschreitungen entstanden vor 2000, etwa 70 % zwischen 1970 und 1990 (persönliche Mitteilung Frasch/BfS vom 28. Februar 2012). Die Überschreitungen verteilen sich wie folgt auf die Berufsgruppen: 48 % in Kerntechnik und Industrie, 26 % in der Medizin. Nach individueller Überprüfung der Einzelfälle dürften es tatsächlich etwa 120 Personen sein, die die Grenze der Berufslebensdosis überschritten haben (BfS 2014). In den neunziger Jahren wurde in Strahlenschutzgremien die Anzahl der Fälle auf ca. 130 bis 150 geschätzt, was nach Einschätzung des BfS sehr gut zu den vorliegenden Daten passt. Es bestehen allerdings auch Unsicherheiten bezüglich der Vollständigkeit der Berufslebensdosen für den Zeitraum vor Einrichtung des Strahlenschutzregisters. Das BfS weist darauf hin, dass sich diese Werte durch Meldungen von Ersatzdosen oder Berichtigungen ändern können. Die Daten des Strahlenschutzregisters werden in der Regel erst seit 1998 vollständig übermittelt. Durch die Übernahme von Altdaten sind allerdings auch Überwachungszeiträume vor 1997 zum großen Teil abgedeckt. Im Mittel sind etwa 92 % der Berufslebenszeit einer Person (bezogen auf 30 Jahre Berufstätigkeit) erfasst (BfS 2015). Die Anzahl der Personen mit Dosiswerten von 0 mSv ist nicht vollständig, da bei Überwachungszeiträumen vor 1997 teilweise nur Meldungen mit Dosiswerten über 0 mSv importiert wurden.

Die SSK hat im Jahr 1994 zur Frage der Weiterbeschäftigung von Personen im Kontrollbereich, die die Berufslebensdosis von 400 mSv überschreiten, Stellung genommen (SSK 1994). Die von der SSK vorgeschlagene Regelung wurde in § 56 StrlSchV 2001 zur Berufslebensdosis umgesetzt und wird in § 77 StrlSchG (StrlSchG 2017) fortgeführt. Dort heißt es: "Der Grenzwert für die Summe der in allen Kalenderjahren ermittelten effektiven Dosen beruflich strahlenexponierter Personen beträgt 400 Millisievert. Die zuständige Behörde kann im Benehmen mit einem Arzt nach § 64 Absatz 1 Satz 1 eine weitere berufliche Strahlenexposition zulassen, wenn diese nicht mehr als 10 Millisievert effektive Dosis im Kalenderjahr beträgt und die beruflich strahlenexponierte Person einwilligt. Die Einwilligung ist schriftlich zu erteilen."

Die effektive Dosis für fliegendes Personal wird erst seit 2004 berechnet und an das Strahlenschutzregister übermittelt. Entsprechend umfassen die Daten maximal 13 Berufsjahre, wobei der Großteil des registrierten fliegenden Personals kontinuierlich in diesem Zeitraum überwacht wurde. Nach einem Bericht des BfS an das BMUB vom 4. April 2016 (BfS 2016) liegt der Median der Berufslebensdosis der langjährig Beschäftigten bei 30 mSv, das 95. Perzentil bei etwa 45 mSv. Für eine Extrapolation auf das gesamte Berufsleben des fliegenden Personals muss nach Auskunft der Pilotenvereinigung Cockpit von maximal 45 Jahren ausgegangen werden. Damit sind für das fliegende Personal Berufslebensdosen von mehr als 100 mSv möglich und könnten für einen Teil der Beschäftigten 150 mSv übersteigen. Berufslebensdosen von mehr als 200 mSv sind in Einzelfällen nicht auszuschließen. Eine Unsicherheit bei der Abschätzung der möglichen Berufslebensdosis liegt darin, dass bei der Dosisberechnung die tatsächlichen Flugrouten und -höhen und sog."solar energetic particle events", die zu erhöhten Expositionen führen können, nicht berücksichtigt werden.

Die effektive Dosis für Beschäftigte mit erhöhter Exposition aus natürlicher Radioaktivität wird ebenfalls erst seit Januar 2004 ermittelt und an das Strahlenschutzregister übermittelt. Nach einem Bericht des BfS an das BMUB vom 4. April 2016 (BfS 2016) wurden die meisten Überwachten (insgesamt ca. 400 Personen) zwischen einem bis vier Jahren überwacht und exponiert. Der Median der Berufslebensdosis der langjährig (13 Jahre) Beschäftigten liegt bei 100 mSv. Eine Schätzung der Berufslebensdosen für Beschäftigte mit erhöhter Exposition aus natürlicher Radioaktivität ist aus mehreren Gründen derzeit nicht möglich. Da diese Expositionen überwiegend durch Radon an Arbeitsplätzen verursacht werden, sind die Dosisangaben angesichts der derzeitigen Ungewissheit bezüglich der Dosiskoeffizienten möglicherweise zu niedrig. Auch ist derzeit nicht abzusehen, wie groß die Anzahl der Betroffenen sein wird, die an Arbeitsplätzen mit mehr als 300 Bq/m 3 arbeiten und deren Expositionen zukünftig im Strahlenschutzregister zu berücksichtigen sind. Zudem erlaubt die Datenlage derzeit keine sinnvolle Extrapolation auf längere Beschäftigungszeiten, da zunehmend Strahlenschutzmaßnahmen in diesen Arbeitsbereichen eingeführt werden.

Tabelle 7.6: Anzahl der Personen mit der im Strahlenschutzregister erfassten Berufslebensdosis bis zum Ende 2012; Daten aus (BfS 2014).

Dosis in mSvAnzahl der PersonenAnteil in %
= 0 (< EKG *)910.52062,976
> 0535.29337,024
> 1225.27015,581
> 2163.10211,281
> 4111.4837,711
> 686.5925,989
> 1061.2064,233
> 1544.7303,094
> 2034.9472,417
> 3023.7761,644
> 5013.7880,954
> 1005.6500,391
> 1502.8820,199
> 2001.7040,118
> 2509980,069
> 3006360,044
> 4002680,019
> 5001370,009
> 750560,004
> 1.000260,002
* EKG: Erkennungsgrenze

Abbildung 7.6: Kumulative Häufigkeitsverteilung der Berufslebensdosis bis Ende 2012 in Deutschland; Daten aus (BMUB 2014b).

7.5 Zusammenfassung

Seit den 1960er Jahren wird die berufliche Strahlenexposition in der Bunderepublik Deutschland und der damaligen DDR überwacht. Seit ca. 1990 werden die Daten der beruflichen Exposition im Strahlenschutzregister des Bundes zusammengeführt. Die berufliche Strahlenexposition entsteht durch externe oder interne Exposition beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung bei zugelassenen Tätigkeiten und Arbeiten, durch die kosmische Strahlung und durch natürlich vorkommende Radioaktivität an Arbeitsplätzen.

Mit Ausnahme der beruflichen Exposition des fliegenden Personals können die effektiven Jahresdosen durch logarithmische Normalverteilungen mit hoher Häufigkeit niedriger Dosen und einer geringen Anzahl hoher Dosen beschrieben werden. Beim fliegenden Personal können die Jahresdosen durch eine Normalverteilung beschrieben werden.

Seit 1990 hat sich die berufliche Strahlenexposition als Folge des Optimierungsgrundsatzes deutlich verringert. Die Mittelwerte der beruflichen Strahlenexposition lagen für die tatsächlich Exponierten (ca. 50.000) unter den 351.901 strahlenschutzüberwachten Personen im Jahr 2012 in der Medizin bei 0,4 mSv, in der Industrie bei 0,9 mSv, in der Kerntechnik bei 1,0 mSv, beim fliegenden Personal bei 2,0 mSv und beim Personal von Wasserwerken, Schauhöhlen und der Wismut GmbH bei 3,0 mSv.

Von 1.445 813 im Strahlenschutzregister erfassten Personen liegen für 535.293 Personen Dosiswerte > 0 mSv vor, die zur Abschätzung der Berufslebensdosen herangezogen werden können. Danach liegen 95 % der Berufslebensdosen unter 10 mSv, 100 mSv werden nur in 0,4 % der Fälle überschritten. Strahlenexpositionen von mehr als 200 mSv traten in 0,1 % der Fälle auf. 268 Personen (0,02 % der registrierten Fälle) haben von 1960 bis 2012 rein rechnerisch eine Berufslebensdosis über 400 mSv aus externer Exposition erhalten. Etwa 90 % der rechnerischen 400-mSv-Überschreitungen entstanden vor 2000, etwa 70 % zwischen 1970 und 1990.

Die effektive Dosis für fliegendes Personal wird erst seit 2004 erfasst. Der Median der Berufslebensdosis der langjährig (13 Jahre) Beschäftigten liegt bei 30 mSv, das 95. Perzentil bei etwa 45 mSv. Bei einer Extrapolation auf das gesamte Berufsleben des fliegenden Personals sind Berufslebensdosen von mehr als 100 mSv möglich und könnten für einen Teil der Beschäftigten 150 mSv übersteigen. Berufslebensdosen von mehr als 200 mSv sind in Einzelfällen nicht auszuschließen.

Die effektive Dosis für Beschäftigte mit erhöhter Exposition aus natürlicher Radioaktivität wird ebenfalls erst seit Januar 2004 für ca. 400 Beschäftigte erfasst. Der Median der Berufslebensdosis der langjährig (13 Jahre) Beschäftigten liegt bei 100 mSv. Damit werden in dieser Berufsgruppe die höchsten Jahresdosen beobachtet. Da diese Expositionen überwiegend durch Radon an Arbeitsplätzen verursacht werden, sind die Dosisangaben angesichts der derzeitigen Ungewissheit bezüglich der Dosiskoeffizienten möglicherweise um einen Faktor 2 zu niedrig. Es ist derzeit auch nicht abzusehen, wie groß die Anzahl der Beschäftigten sein wird, die an Arbeitsplätzen mit mehr als 300 Bq/m 3 arbeiten und deren Expositionen zukünftig im Strahlenschutzregister zu berücksichtigen sind. Generell erlaubt die Datenlage derzeit keine sinnvolle Extrapolation auf längere Beschäftigungszeiten. Allerdings sind die Wirkungen von Maßnahmen im Rahmen der Optimierung des Schutzes der betroffenen Beschäftigten noch nicht abschätzbar.

7.6 Literatur

AtG 1985Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1565), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Juli 2016 (BGBl. I S. 1843) geändert worden ist
BfS 2014Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Hrsg. Autoren: Frasch G, Kammerer L, Karofsky R, Mordek E, Schlosser A, Spiesl J. Die berufliche Strahlenexposition in Deutschland 2012: Bericht des Strahlenschutzregisters. Bundesamt für Strahlenschutz, Fachbereich Strahlenschutz und Gesundheit. 1. April 2014, BfS-SG-22/14. urn:nbn:de:0221-2014032711370
BfS 2015Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Hrsg. Autoren: Frasch G, Kammerer L, Karofsky R, Mordek E, Schlosser A, Spiesl J. Die berufliche Strahlenexposition in Deutschland 2013-2014: Bericht des Strahlenschutzregisters. Bundesamt für Strahlenschutz, Fachbereich Strahlenschutz und Gesundheit, 2. Oktober 2015, BfS-SG-23/15. urn:nbn:de:0221-2015100213555
BfS 2016Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Daten zur Berufslebensdosis. Bericht an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) vom 4. April 2016
BMUB 2014aBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung: Unterrichtung durch die Bundesregierung. Parlamentsbericht 2012. Erscheinungsdatum: 3. April 2014. urn:nbn:de:0221-2014040311384
BMUB 2014bBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 2012. Erscheinungsdatum: 26. August 2014. urn:nbn:de:0221-2014082611633
Euratom 2014Rat der Europäischen Union. Richtlinie 2013/59/EURATOM des Rates vom 5. Dezember 2013 zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung und zur Aufhebung der Richtlinien 89/618/Euratom, 90/641/Euratom, 96/29/Euratom, 97/43/Euratom und 2003/122/EURATOM, Amtsblatt der Europäischen Union, L 13/1, 17.1.2014
Frasch/BfS 2012Frasch G./Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Persönliche Mitteilung vom 28. Februar 2012 zur Überschreitung der Berufslebensdosis von 400 mSv
ICRP 1991International Commission on Radiological Protection (ICRP). 1990 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection. ICRP Publication 60. Ann. ICRP 21(1-3), Pergamon Press, 1991, ISBN 0080411444
ICRP 2007International Commission on Radiological Protection (ICRP). The 2007 Recommendations of the ICRP. ICRP Publication 103. Ann. ICRP 37(2-4), Elsevier, 2007, ISBN 978-0702030482
SSK 1994Strahlenschutzkommission (SSK). Regelung der Weiterbeschäftigung von Personen im Kontrollbereich, die die Berufslebensdosis von 400 mSv überschreiten (§ 88 (10) StrlSchV). Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 128. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 8. Dezember 1994. BAnz. Nr. 240 vom 21. Dezember 1995
StrlSchG 2017Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzgesetz - StrlSchG) vom 27. Juni 2017 (BGBl. I S. 1966)
StrlSchV 1989Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) vom 13. Oktober 1976 (BGBl. I S. 2905, 1977 S. 184, 269) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juni 1989 (BGBl. I S. 1321, ber. S. 1926)
StrlSchV 2001Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) vom 20. Juli 2001 (BGBl. I S. 1714; 2002 I S. 1459), die zuletzt durch nach Maßgabe des Artikels 10 durch Artikel 6 des Gesetzes vom 27. Januar 2017 (BGBl. I S. 114, 1222) geändert worden ist

8 Glossar

AECLAtomic Energy of Canada Limited. Kanadisches Staatsunternehmen und zugleich das größte Nuklearforschungszentrum des Landes.
AGSAusschuss für Gefahrstoffe. Der Ausschuss besteht aus Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Landesbehörden, der gesetzlichen Unfallversicherung und der Wissenschaft; er wird durch das BMAS berufen.
AkzeptanzkonzentrationLaut TRGS 910: Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, die dem Akzeptanzrisiko entspricht (siehe Akzeptanzrisiko). Eine Unterschreitung des Konzentrationswerts wird mit einem niedrigen, hinnehmbaren Risiko assoziiert.
AkzeptanzrisikoLaut TGRS 910: Risiko am Arbeitsplatz, bei dem aufgrund des verbleibenden niedrigen stofflichassoziierten zusätzlichen Krebsrisikos, abgesehen von organisatorischen Schutzmaßnahmen, keine weiteren zusätzlichen Schutzmaßnahmen von staatlicher Seite zu fordern sind.
ALLsiehe Leukämie
AMLsiehe Leukämie
Äquivalentdosissiehe Dosis
AtrophieMit dem Begriff Atrophie wird in der Pathologie ein wahrnehmbarer Gewebeschwund bezeichnet. In der Dermatologie zählt die Atrophie zu den pathologischen Hautveränderungen. Der Gewebsschwund kann durch Volumen- bzw. Größenabnahme der Zellen (sogenannte einfache Atrophie) oder durch Abnahme der Zellzahl (numerische Atrophie = Hypoplasie) jeweils mit oder ohne gleichzeitige Veränderungen in der Zellstruktur auftreten.
Becquerel (Bq)Bezeichnung für die SI-Einheit der Aktivität eines radioaktiven Stoffes (Zerfälle pro Sekunde), 1 Bq = 1 s-1 (≈ 2,7·10-11 Ci).
BEIR CommitteeUS-amerikanische Arbeitsgruppe der Akademie der Wissenschaften. Beratungsgegenstand: Biological Effects of Ionizing Radiation. Die Arbeitsgruppe besteht aus Wissenschaftlern, die sich mit den Gesundheitsrisiken von ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich befasst.
BerufskrankheitBerufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet, und die Versicherte infolge einer dem Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) begründeten Tätigkeit erleiden.
BerufslebensdosisSumme der effektiven Dosen aus interner und externer Strahlenexposition, die während des Berufslebens aufgetreten sind und durch amtliche Überwachung erfasst wurden.
CLLsiehe Leukämie
CMLsiehe Leukämie
DDREFDosis- und Dosisleistungs-Effektivitätsfaktor. Bewertungsfaktor, der eine bei einigen Strahleneffekten geringere biologische Wirksamkeit (pro Dosis) der Strahlenexposition bei niedrigen Dosen und niedrigen Dosisleistungen berücksichtigen soll. Faktor, um den ein zu beschreibender Dosis-Wirkungszusammenhang vom LNT-Modell abweicht. In der Diskussion ist, ob diese Berücksichtigung auch für maligne Prozesse gerechtfertigt ist.
Deterministische EffekteSchäden in Geweben oder Organsystemen, deren Dosis-Wirkungsbeziehungen durch eine Schwellendosis und eine Zunahme des Schweregrads der Wirkung mit zunehmender Dosis gekennzeichnet sind. Sie treten definitionsgemäß nicht an einzelnen Zellen auf, sondern beziehen sich stets nur auf einen Zellverband. Daher werden sie auch als gewebliche Effekte oder Gewebereaktion (tissue reactions) bezeichnet. In einigen Fällen sind deterministische Effekte durch Maßnahmen nach einer Bestrahlung veränderbar. Verursacht werden deterministische Effekte durch den Tod und/oder durch die Inaktivierung von Funktionen vieler Zellen.
Detrimentsiehe Schadensmaß
DosisEffektive Dosis E
Summe der mit den zugehörigen Gewebewichtungsfaktoren wT multiplizierten Organ-Äquivalentdosen HT in relevanten Organen und Geweben:
E = ΣT HT = ΣT wT ΣR wR DT,R
Die Einheit der effektiven Dosis ist J kg-1, ihr Name ist Sievert (Einheitenzeichen Sv).
Äquivalentdosis
Die ICRP und die ICRU haben für Strahlenschutzzwecke Wichtungsfaktoren festgesetzt, welche es erlauben, die unterschiedliche biologische Wirksamkeit verschiedener Strahlungsarten und -energien und die unterschiedliche Strahlungsempfindlichkeit der verschiedenen Körperorgane und -gewebe in der Dosisangabe zu berücksichtigen. Dementsprechend hat der im Strahlenschutz verwendete Dosisbegriff "Äquivalentdosis" die allgemeine Bedeutung eines Produktes aus einer Energiedosis und einem oder mehreren Wichtungsfaktoren. Von dem Begriff "Äquivalentdosis" wird sowohl bei den von der ICRP definierten, auf den Körper bezogenen Dosisgrößen als auch bei den von der ICRU definierten Messgrößen der Orts- und Personendosimetrie Gebrauch gemacht.
Die Einheit der Äquivalentdosis ist wie die der Energiedosis J kg-1, ihr Name ist wie der der effektiven Dosis Sievert (Einheitenzeichen Sv).
Mess-Äquivalentdosis H
Produkt aus der Energiedosis für ICRU-Weichteilgewebe, D, und dem Qualitätsfaktor Q an einem Punkt im Strahlungsfeld:
H = D Q.
Die Einheit der Mess-Äquivalentdosis ist J kg-1, ihr Name ist Sievert (Einheitenzeichen Sv).
Zu den entsprechenden Messgrößen siehe Personendosis und Umgebungs-Äquivalentdosis.
Energiedosis
Differentialquotient dε durch dm; dabei ist dε die mittlere Energie, die auf das Material in einem Volumenelement dV übertragen wird, und dm = ρ dV die Masse des Materials mit der Dichte ρ in diesem Volumenelement:
D = dε/dm = 1/ρ × dε/dV
Die Einheit der Energiedosis ist J kg-1, ihr Name ist Gray (Einheitenzeichen Gy).
Die Angabe einer Energiedosis schließt die Nennung des Bezugsmaterials, das heißt des Materials von dm, ein. Beispiele: Wasser-Energiedosis Dw, Luft-Energiedosis Da.
Körper-Äquivalentdosis (früher Körperdosis)
Sammelbegriff für Organ-Äquivalentdosis und effektive Dosis.
Von der ICRP benutzte Dosisgröße für den Strahlenschutz, die es ermöglicht, die Exposition des menschlichen Körpers durch ionisierende Strahlung zu quantifizieren. Der Begriff umfasst Ganz- und Teilkörper-Bestrahlung sowohl von außen als auch von innen.
Organ-Äquivalentdosis
Summe der mit den zugehörigen Strahlungswichtungsfaktoren wR multiplizierten, bei externer oder interner Strahlenexposition durch die Strahlungen R in einem Organ, Gewebe oder Körperteil T erzeugten mittleren Energiedosen DT,R:
Ht = ΣR wR DT,R
Die Einheit der Organ-Äquivalentdosis ist J kg-1, ihr Name ist Sievert (Einheitenzeichen Sv).
Die Werte der Strahlungswichtungsfaktoren richten sich nach Art und Qualität der Strahlung (Photonen, Elektronen, Neutronen, Protonen, Alpha-Teilchen).
Personendosis
Mess-Äquivalentdosis, gemessen an der für die Strahlenexposition repräsentativen Stelle der Körperoberfläche.
Die Einheit der Personendosis ist J kg-1, ihr Name ist Sievert (Einheitenzeichen Sv).
Als Personendosis gelten die Größen Tiefen-Personendosis Hp(10), Oberflächen-Personendosis Hp(0,07) und Augenlinsen-Personendosis Hp(3). Der Messwert der Tiefen-Personendosis Hp(10) geeignete Bauart, Kalibrierung sowie richtige Trageweise der Personendosimeter vorausgesetzt - stellt bei Exposition des ganzen Körpers mit durchdringender Strahlung einen Schätzwert für die effektive Dosis und die Organ-Äquivalentdosen tiefliegender Organe, in Spezialfällen auch für die Organ-Äquivalentdosen der Hände, Unterarme, Füße und Knöchel dar. Der Messwert der Oberflächen-Personendosis Hp(0,07) ist bei Ganz- oder Teilkörperexposition ein Schätzwert für die lokale Haut-Äquivalentdosis, in Spezialfällen auch für die Organ-Äquivalentdosen der Hände, Unterarme, Füße und Knöchel. Der Messwert der Augenlinsen-Personendosis Hp(3) liefert einen Schätzwert für die Augenlinsen-Äquivalentdosis. Die wichtigste Voraussetzung für die Möglichkeit solcher Dosisabschätzungen ist die korrekte Trageweise des Personendosimeters.
DosisgrenzwertWert der effektiven Dosis (gegebenenfalls der effektiven Folgedosis) oder der Organ-Äquivalentdosis in einem bestimmten Zeitraum, der für eine Einzelperson nicht überschritten werden darf.
DosisrichtwertEngl.: dose constraint, reference level. Prospektive und quellenbezogene Beschränkung der individuellen Dosis. Der Dosisrichtwert stellt ein grundlegendes Niveau des Schutzes im Zusammenhang mit der quellenbezogenen Exposition einer Person dar. Er dient als Obergrenze des Dosiswerts bei der Optimierung des Schutzes gegenüber dieser Quelle. Für berufliche Strahlenexpositionen ist der Dosisrichtwert die individuelle Dosis, die verwendet wird, um den Bereich der Möglichkeiten zu beschränken, die im Optimierungsverfahren betrachtet werden. Für Expositionen der Bevölkerung ist der Dosisrichtwert eine Obergrenze für die jährliche Dosis, die Personen der Bevölkerung durch den geplanten Betrieb einer überwachten Quelle erhalten können.
Effektive Dosissiehe Dosis
ErkennungsgrenzeDie Erkennungsgrenze ist der Wert einer Messgröße, die einen physikalischen Effekt quantifiziert, dessen Überschreiten durch ein ermitteltes Messergebnis für diese Messgröße anzeigt, dass der physikalische Effekt vorliegt (ISO 11929:2010). Liegt das Messergebnis unterhalb der Erkennungsgrenze, wird entschieden, dass der physikalische Effekt nicht erkannt wurde. Trotzdem kann daraus nicht geschlossen werden, dass der physikalische Effekt nicht vorliegt (siehe auch Nachweisgrenze).
Energiedosissiehe Dosis
ErbkrankheitAls Erbkrankheit werden Erkrankungen und Besonderheiten bezeichnet, die entweder durch eine Mutation in einem Gen (monogen) oder durch mehrere Mutationen in verschiedenen Genen (polygen) ausgelöst werden können und die zu bestimmten Erkrankungsdispositionen führen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von monogenetischer bzw. polygenetischer Erkrankung. Im engeren Sinne zählt man jedoch nur jene Erkrankungen und Besonderheiten zu den Erbkrankheiten, die durch von Anfang an untypisch veränderte Gene ausgelöst und durch Vererbung von den Vorfahren auf ihre Nachkommen übertragen werden.
ERRExcess relative rate (zusätzliche relative Rate). Relative Erhöhung der Mortalitäts- oder Inzidenzrate (Quotient aus totaler Rate und Hintergrundrate) in einer Personengruppe mit einer bestimmten Strahlenexposition im Vergleich zu einer nicht exponierten Gruppe. In der Epidemiologie wird hierfür häufig der Term,excess relative risk" verwendet.
GefahrstoffUnter Gefahrstoffen versteht man genotoxische Stoffe, die die Struktur oder den Informationsgehalt der DNA oder ihre Segregation (Aufteilung der DNA auf die Tochterzellen bei der Zellteilung) verändern.
GefStoffVVerordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung).
Gepoolte StudieStudie, die die Rohdaten mehrerer Erhebungen bzw. Daten aus unterschiedlichen Studien zusammenfasst. Bei Längsschnitterhebungen können beispielsweise mehrere Erhebungswellen zusammengefasst werden. Gepoolte Daten werden beispielsweise benutzt, um statistische Aussagen mit kleineren Vertrauensbereichen zu selten auftretenden Fällen treffen zu können.
GewebewichtungsfaktorenDie Gewebewichtungsfaktoren beschreiben näherungsweise den Anteil des Strahlenrisikos, das sich bei homogener Ganzkörperbestrahlung aus der Bestrahlung eines Gewebes oder Organs für das Gesamtrisiko ergibt. Die Gewebewichtungsfaktoren stellen Mittelwerte dar, gemittelt über Menschen beider Geschlechter und aller Altersgruppen, und beziehen sich somit nicht auf die Eigenschaften einzelner Personen. Die Gewebewichtungsfaktoren gehen in die Berechnung der effektiven Dosis ein.
Gray (Gy)siehe Dosis: Energiedosis
GrenzwerteGrenzwerte dienen der Begrenzung der gesetzlich zulässigen Strahlenexposition der allgemeinen Bevölkerung und von beruflich strahlenexponierten Personen. Die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte wird behördlich überwacht. Dosisbezugsgrößen sind Werte der effektiven Dosis je Kalenderjahr; für Schutzmaßnahmen bei einer Strahlenexposition von Teilen des Körpers legt das Strahlenschutzgesetz zusätzlich Grenzwerte für einzelne Organe fest.
Herz-KreislauferkrankungenDer Begriff Herz-Kreislauferkrankung ist nicht einheitlich definiert. Im weitesten Sinne umfasst er sämtliche Krankheiten des Herzens und des Blutkreislaufs. Verwendet wird er in der Regel für verschiedene Teilmengen davon. In der Epidemiologie werden meist diejenigen Krankheiten als Herz-Kreislauferkrankungen bezeichnet, die im Kapitel IX der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) der World Health Organization (WHO) aufgelistet sind (siehe auch Ischämische Herzerkrankungen).
IAEAInternational Atomic Energy Agency. Die IAEA ist eine autonome wissenschaftlichtechnische Organisation. Laut Satzung soll sie "den Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit beschleunigen und vergrößern", die Anwendung radioaktiver Stoffe und die internationale Zusammenarbeit fördern sowie die militärische Nutzung dieser Technologie (z.B. Proliferation von Kernwaffen) durch Überwachungsmaßnahmen verhindern.
ICDInternational Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems. Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) ist das weltweit anerkannte Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation für medizinische Diagnosen.
In Deutschland sind die vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Ärzte und Psychotherapeuten oder davon geleitete Einrichtungen verpflichtet, Diagnosen nach ICD-10-GM (German Modification) zu verschlüsseln. Rechtliche Grundlage dafür ist § 295 Absatz 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Abrechnung ärztlicher Leistungen). Verbindlich für die Verschlüsselung ist seit dem 1. Januar 2018 die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebene ICD-10-GM Version 2018.
Die von der World Health Organization (WHO) herausgegebene neue Ausgabe (ICD-11) soll nach deren Angaben ab 2022 in Kraft treten.
ICRPInternational Commission on Radiological Protection. Die ICRP ist eine unabhängige internationale Nichtregierungsorganisation. Zentrale Aufgabe ist die Definition von Strahlenschutzgrundsätzen sowie die Empfehlung von Maßnahmen und Standards des Strahlenschutzes.
InzidenzDie Inzidenz bezeichnet in der Epidemiologie die Häufigkeit von neuen Ereignissen (insbesondere neuen Erkrankungen), die innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums auftreten. Die Inzidenz ist dimensionslos. Neben der Prävalenz stellt die Inzidenz ein Maß für die Morbidität in einer Bevölkerung dar. Definierte Maßzahlen für die Inzidenz sind die Inzidenzrate (Anzahl der Neuerkrankungen pro Zeit- bzw. Altersintervall) und die kumulative Inzidenzrate (Summe der altersspezifischen Inzidenzraten).
InzidenzrateQuotient aus der Inzidenz und der Zeit des Beobachtungszeitraums. Die Einheit der Inzidenzrate ist Jahr-1.
Ischämische
Herzerkrankungen
Erkrankungen des Herzens (z.B. Angina Pectoris, akuter Myokardinfarkt), die durch eine verminderte Blutzufuhr und den dadurch entstehenden Sauerstoff- und Nährstoffmangel verursacht werden (Untergruppe der Herz-Kreislauferkrankungen).
Kanzerogene StoffeStoffe, die die Häufigkeit entstehender Krebserkrankungen erhöhen oder ihr Auftreten zu einem früheren Alter hin verschieben.
Katarakt der AugenlinseLinsentrübungen, die das Sehen beeinträchtigen. Der graue Star ist eine der häufigsten Augenkrankheiten im Alter.
Körperdosissiehe Dosis
LatenzzeitZeitraum zwischen Stattfinden eines Reizes und der Reizantwort beziehungsweise der Wahrnehmung, hier insbesondere Zeitraum zwischen einer physikalischen Schädigung der Zelle oder des Organismus und dem Auftreten von Symptomen.
LETLineares Energieübertragungsvermögen, linearer Energietransfer, Stoßbremsvermögen. Quotient dE durch ds; dabei ist dE der mittlere Energieverlust, den ein geladenes Teilchen mit der Energie E in einem Stoff innerhalb der Weglänge ds infolge von Stößen erleidet, bei denen die kinetische Energie des durch Ionisation freigesetzten Sekundärteilchens nicht beschränkt ist, und ds die entsprechende Weglänge:
L = dE/ds
Die Einheit des Energieübertragungsvermögens ist J m-1, häufig angegeben als keV µm-1.
LeukämieErkrankung des blutbildenden oder des lymphatischen Systems; sie gehört im weiteren Sinne zu den Krebserkrankungen. Die wichtigsten Leukämieformen sind:
-akute myeloische Leukämie (AML)
-chronische myeloische Leukämie (CML), wird zu den chronischen myeloproliferativen Erkrankungen gezählt
-akute lymphatische Leukämie (ALL).
LNT-ModellLinear-No-Threshold Model. Modell der Dosis-Wirkungsbeziehung, das auf der Annahme beruht, dass das im Dosisbereich zwischen 0,1 Gy bis etwa 2 Gy beobachtete Risiko zusätzlicher Krebsfälle und/oder vererbbarer Erkrankungen linear bis zur Dosis Null ohne Annahme einer Schwellendosis heruntergerechnet werden kann.
Life Span Study (LSS)Langzeit-Kohortenstudie über gesundheitliche Wirkungen bei den Atombomben-Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki.
LuftkermaKerma ist eine vom bestrahlten Medium abhängige physikalische Größe. Im Fall von Luftkerma wird Luft als bestrahltes Medium betrachtet. In Folge der Wechselwirkung von indirekt ionisierender Strahlung mit Luft werden geladene Teilchen (Sekundärelektronen) ausgelöst. Luftkerma bezeichnet die Summe der kinetischen Anfangsenergien aller Sekundärelektronen, die im bestrahlten Medium (Luft) in einem Volumenelement freigesetzt werden. Im Fall des Sekundärelektronengleichgewichtes ist der absolute Wert gleich dem der Energiedosis. Die Einheit der Kerma ist Gray (Gy).
Sekundärelektronen geben ihre Energie an Atome und Moleküle der Luft ab. Bei Dosismessungen wird nur die Energie erfasst, die im Messvolumen wirksam ist. Sekundärelektronengleichgewicht bezeichnet den Zustand, wenn die Teilbeträge der Elektronenenergien, die außerhalb des Messvolumens abgegeben werden, gleich denen sind, die von Elektronen aus der Umgebung in das Messvolumen eingebracht werden.
Maligne, solide Tumorensiehe Tumor
MortalitätBegriff aus der Demografie. Die Mortalität bezeichnet die Anzahl der Todesfälle in einem bestimmten Zeitraum bezogen auf 1.000 Individuen einer Population. Als Zeitraum wird in der Regel ein Jahr definiert.
MortalitätsrateQuotient aus Mortalität und der Zeit des Beobachtungszeitraums. Die Einheit der Mortalitätsrate ist Jahr-1.
NachweisgrenzeAuf der Basis statistischer Verfahren festgelegter Kennwert zur Beurteilung der Nachweismöglichkeit bei Kernstrahlungsmessungen. Der Zahlenwert der Nachweisgrenze gibt an, welcher kleinste Beitrag mit dem betrachteten Messverfahren bei vorgegebener Fehlerwahrscheinlichkeit noch nachgewiesen werden kann. Damit kann eine Entscheidung getroffen werden, ob ein Messverfahren bestimmten Anforderungen genügt und damit für den gegebenen Messzweck geeignet ist.
Nomineller RisikokoeffizientÜber Geschlecht und Expositionsalter gemittelte Abschätzung des Lebenszeitrisikos pro Dosis für eine repräsentative Bevölkerungsgruppe. Das Lebenszeitrisiko bezeichnet die absolute Wahrscheinlichkeit pro Dosis, im Verlauf des Lebens an Krebs zu erkranken (Inzidenzrisiko) oder daran zu sterben (Mortalitätsrisiko).
OptimierungVorgehen zum Erreichen eines Schutz- und Sicherheitsgrads, bei dem tatsächliche Expositionen und die Wahrscheinlichkeit und Höhe potenzieller Expositionen so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar werden. Dabei sollen wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren berücksichtigt werden.
Organ-Äquivalentdosissiehe Dosis
Personendosissiehe Dosis
PrävalenzKennzahl in der Epidemiologie für die Krankheitshäufigkeit. Sie sagt aus, welcher Anteil der Menschen in einer bestimmten Gruppe (Population) definierter Größe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Krankheit erkrankt ist oder einen Risikofaktor aufweist.
RechtfertigungEntscheidungsprozess, ob entweder (1) eine geplante menschliche Tätigkeit, die mit Strahlung verbunden ist, insgesamt von Nutzen ist, d. h. ob der Nutzen der Einführung oder Fortführung einer Tätigkeit für den Einzelnen und für die Gesellschaft gegenüber dem daraus resultierenden Schaden insgesamt (einschließlich des strahlenbedingten Gesundheitsschadens (Detriments)) überwiegt oder (2) eine vorgesehene Maßnahme in einem Notfall oder in einer bestehenden Expositionssituation wahrscheinlich insgesamt von Nutzen ist, d. h. ob der durch die Einführung oder Fortführung der Maßnahme bedingte Nutzen (einschließlich der Verringerung des Schadensmaßes (Detriments)) für den Einzelnen und für die Gesellschaft die Kosten der Maßnahme und alle durch sie verursachten Schäden überwiegt.
ReferenzwertIn bestehenden Expositionssituationen oder Notfallexpositionssituationen ein festgelegter Wert, der als Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit von Maßnahmen dient. Ein Referenzwert ist kein Grenzwert.
RichtwertAls Auslöse- oder Richtwert (engl. Trigger) wird der Wert einer Größe bezeichnet, bei dessen Überschreitung Schutzmaßnahmen erwogen werden müssen. Solche Größen sind z.B. als Eingreifrichtwerte formulierte Dosiswerte (effektive Dosis oder Organ-Äquivalentdosis) oder abgeleitete Richtwerte, engl. OIL (Operational Intervention Level), wie z.B. Ortsdosisleistung oder Bodenkontamination.
RisikoAls Strahlenrisiko bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, die ionisierender oder anderer energiereicher Strahlung ausgesetzt wurde, an den Folgen dieser zusätzlichen Strahlenbelastung erkrankt oder stirbt. Häufig bezieht man sich bei diesem Strahlenschaden auf Krebs als Folgeerkrankung, der durch zivilisatorische und natürliche Strahlenexposition hervorgerufen werden kann.
Risiko = Risikokoeffizient R × Organ-Äquivalentdosis H.
RisikokoeffizientWahrscheinlichkeit für einen stochastischen Effekt pro Dosis und pro Zeit- bzw. Altersintervall. Er wird angenähert durch die Anzahl von Fällen (z.B. Krebserkrankungen) pro Anzahl der Personen in einer Bezugspopulation und pro Dosis. Der Risikokoeffizient entspricht dem zusätzlichen absoluten Risiko (excess absolute risk) pro Dosis. Die Einheit ist Sv-1.
Schadensmaß (Detriment)Auch als "schadensgewichtetes Risiko" bezeichnet. Das Detriment ist das Produkt aus nominellem Risikokoeffizient und Schadensqualität. Die Einheit ist Sv-1. Das Detriment hängt von einer Vielzahl von Einflussparametern ab. In die Berechnung gehen insbesondere die stochastischen Effekte ein: Wahrscheinlichkeit für attributable Krebsmortalität, gewichtete Wahrscheinlichkeit für attributable Krebserkrankungen ohne Todesfolge, gewichtete Wahrscheinlichkeit für schwerwiegende vererbbare Defekte oder vererbbare Erkrankungen und Verlust an Lebenszeit, wenn der Schaden eintritt.
SchadensqualitätFaktor zur Gewichtung des Strahlenrisikos, um den "Schweregrad" eines stochastischen Effekts zu kennzeichnen und um diese Effekte untereinander vergleichbar zu machen. Die Art der Gewichtung wird in ICRP 103 festgelegt. In die Schadensqualität gehen die Letalität der Erkrankung, der Verlust an Lebensqualität sowie die relative Verkürzung der Lebenserwartung durch die Erkrankung ein. Die Schadensqualität ist unabhängig von einer Strahlenexposition.
Sievert (Sv)siehe Dosis
Stochastische EffekteStochastische Effekte sind Strahlenschäden, bei denen die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens mit zunehmender Dosis zunimmt, ihr Schweregrad jedoch nicht dosisabhängig ist.
Folgen stochastischer Effekte können Krebserkrankungen (somatischer stochastischer Strahlenschaden) oder Erbkrankheiten bei Nachkommen (genetischer stochastischer Strahlenschaden) sein.
StrahlenqualitätBezeichnung der unterschiedlichen Ionisationsdichte und damit auch der unterschiedlichen relativen biologischen Wirksamkeit (RBW) unterschiedlicher Strahlenarten (locker ionisierende z.B. Gamma-, Röntgenstrahlen, dicht ionisierende Neutronen).
Strahlungswichtungsfaktorsiehe Organ-Äquivalentdosis
TeilchenfluenzBeschreibt die Anzahl der Teilchen, die ein Flächenelement der infinitesimalen Einheitskugel aus einer beliebigen Richtung durchsetzen. Die Einheit der Teilchenfluenz ist m-2.
TeleangiektasieMakroskopisch sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleinster Blutgefäße (z.B. Kapillaren) von Haut und Schleimhaut. Sie sind überwiegend harmlos, können aber auch Zeichen von Erkrankungen sein; beim Basaliom z.B., einem bösartigen Hauttumor, sind Teleangiektasien ein diagnoseweisendes Kriterium.
ToleranzkonzentrationLaut TRGS 910: Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, die dem Toleranzrisiko entspricht. Eine Überschreitung wird mit einem hohen, nicht hinnehmbaren Risiko assoziiert.
ToleranzrisikoLaut TGRS 910: Schwelle für das Risiko am Arbeitsplatz, oberhalb derer Beschäftigte nicht exponiert werden sollen. In der TRGS 910 ist das Toleranzrisiko durch eine Lebenszeit-Krebsinzidenz von 4·10-4 durch die berufliche Exposition während der gesamten Arbeitszeit definiert.
TRGSTechnische Regeln für Gefahrstoffe
TumorTumoren sind Gewebeschwellungen, die auch vererblich sein können. Im Falle einer Neoplasie (Neubildung von Körpergewebe) erfolgt die Einteilung nach dem biologischen Wachstumsverhalten und nach dem Ursprungsgewebe.
In Abhängigkeit von der Fähigkeit, Metastasen auszubilden, unterscheidet man zwischen benignen (gutartige), malignen (bösartige) und semimalignen Tumoren. Die malignen Tumoren werden nochmals in niedrigmaligne und hochmaligne Tumoren unterteilt.
Maligne Tumoren werden häufig als Krebs bezeichnet. Sie sind invasiv, d. h. sie wachsen in umgebendes Gewebe ein und zerstören es. Außerdem setzen sie durch Verbreitung über das Blut (hämatogen), die Lymphe (lymphogen) oder durch Abtropfung beispielsweise im Bauchraum Tochtergeschwulste. Typische bösartige Tumoren sind der Dickdarmkrebs und der Lungenkrebs.
UNSCEARUnited Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation. Wissenschaftliches Komitee der Vereinten Nationen, dessen Aufgabe es ist, die Bewertung der Pegel natürlicher und künstlicher Radioaktivität weltweit zu erfassen und den Wissensstand über deren Risiken für Mensch und Umwelt zu ermitteln. Die UNSCEAR-Berichte werden von der ICRP als eine der Grundlagen für ihre Empfehlungen zur nationalen Strahlenschutzgesetzgebung verwendet.
Zerebrovaskuläre
Erkrankungen
Gruppe von Erkrankungen, welche die Blutgefäße des Gehirns, d. h. die Hirnarterien oder Hirnvenen betreffen. Im klinischen Sprachgebrauch wird unter einer zerebrovaskulären Erkrankung meist eine atherosklerotische Veränderung der arteriellen Hirngefäße verstanden, die zu einer verminderten Durchblutung (Ischämie) der abhängigen Hirnareale führt.
1) In frühen Begründungen der ICRP als "akzeptabel" bezeichnet.

2) Wenn nicht anders genannt, ist mit Dosis im Folgenden immer die effektive Dosis gemeint.

3) ALARA: as low as reasonably achievable

4) Veraltete Einheit R (Röntgen): 100 R im Gewebe sind geringfügig weniger als 1 Gy bzw. (bei Niedrig-LET-Strahlung) als 1 Sv.

5) Allerdings ist der Begriff "tissue reactions" in erster Linie gedacht, um diese Effekte in einen strahlenbiologisch sinnvollen Zusammenhang zu stellen, während der Begriff "deterministic effects" aus Gründen der Kontinuität weiterhin im Strahlenschutz verwendet werden soll.

6) Dass auch für deterministische Effekte die Grenzwerte in mSv und nicht in mGy angegeben werden, hängt damit zusammen, dass die RBW-Werte für deterministische Effekte niedriger als für stochastische Effekte sind, so dass im Fall von Hoch-LET-Strahlung eher eine zusätzliche Sicherheit eingebaut ist und man den Vorteil hat, dass für die Grenzwerte gleiche Einheiten verwendet werden.

7) Der in ICRP 26 formulierte Grenzwert von 50 mSv pro Jahr "doseequivalent" (H = DQN, mit D = Energiedosis, Q = Qualitätsfaktor und N = modifizierender Faktor, meist gleich 1 gesetzt) bezog sich auf eine gleichmäßige Ganzkörperexposition. Da die ICRP sich aber darüber im Klaren war, dass nicht selten Teilkörperexpositionen auftreten, wurde das Konzept des "effective doseequivalent" (dieser Name wurde allerdings erst 1978 in der Stellungnahme der ICRP-Sitzung in Stockholm geprägt) eingeführt, was im Wesentlichen der heutigen "effektiven Dosis" entspricht. Das "effective doseequivalent" sollte ebenfalls nicht höher sein als 50 mSv pro Jahr. effective doseequivalent = SUMME wT HT mit wT = Wichtungsfaktor für das Gewebe T (tissue) und HT = Organ-Äquivalentdosis für das Gewebe T.

8) Bitte beachten: der in ICRP 26 verwendete Terminus "akzeptabel" entspricht dem Terminus "tolerabel" in ICRP 103 und im weiteren Verlauf des vorliegenden Dokuments.

9) Genau genommen liegen der Rechnung nicht die Todesfälle zugrunde, sondern das Detriment (siehe Kapitel 3), aber der Hauptanteil des Detriments waren Todesfälle.

10) Die Definition für die Schwellendosis bei Gewebereaktionen lautet gemäß ICRP 103: "Dose estimated to result in only 1 % incidence of tissue reactions".

11) Der Übersichtlichkeit wegen ist die Formeldarstellung gegenüber ICRP 103, Annex A4, 173 ff. modifiziert.

12) Diese Publikation lag zum Zeitpunkt der Erstellung des Kapitels bereits als Draft vor.

13) Häufig werden in Berichten internationaler Organisationen und in epidemiologischen Studien die Ergebnisse nicht in Bezug auf die effektive Dosis angegeben; in diesen Fällen wird dann in diesem Kapitel als Dosis-Einheit Gy und nicht Sv verwendet.

14) BEIR VII verwendet für "maligne Tumoren" den Begriff "all solid cancers".

15) UNSCEAR verwendet für "maligne Tumoren" den Begriff "solid tumors".

16) Die ICRP verwendet für maligne Tumoren den Begriff "cancer".

17) Ozasa et al. verwenden für maligne Tumoren den Begriff "solid tumors".

18) Grant und Mitarbeiter sprechen von "all solid cancers in aggregate", wobei sie eine Reihe benigner Tumoren und einige mit unklarer Klassifikation mit aufnahmen.

19) Hunter et al. verwenden dafür den Begriff "solid cancers".

20) Sokolnikov et al. sprechen von "solid cancers excluding sites of primary plutonium deposition (lung, liver, and bone surface)".

21) Metz-Flamant et al. verwenden dafür den Begriff "solid cancers".

22) Zablotska et al. verwenden dafür den Begriff "solid cancers".

23) Zablotska et al. verwenden für maligne Tumoren den Begriff "solid cancers".

24) Richardson et al. verwenden dafür den Begriff "solid cancers".

25) Richardson et al. verwenden dafür den Begriff "all cancers".

26) Rage et al. verwenden dafür den Begriff "all cancer sites", der die ICD-10 Nomenklatur C00 - C97 umfasst und auch Leukämie mit einschließt.

27) Kreuzer et al. verwenden dafür den Begriff "all solid cancers" (C00 - C75).

28) Schonfeld et al. verwenden dafür den Begriff "solid cancers".

29) Davis et al. verwenden dafür den Begriff "solid cancers".

30) Excess Relative Risk, dt: zusätzliches relatives Risiko

31) Commissariat à l'Energie Atomique

32) Areva Nuclear Cycle

33) Electricité de France (SA)

34) British Nuclear Fuels plc

35) An anderer Stelle wird von dieser Definition abgewichen. In (Renn 2010) wird zum akzeptablen Risiko angegeben, "dass im Allgemeinen zusätzliche Risikominimierungsmaßnahmen nicht mehr notwendig sind". Unter bestimmten Bedingungen werden zur Umsetzung des Minimierungsgebots (§ 7 Absatz 4 GefStoffV/2016) auch Regelungen unterhalb des Akzeptanzrisikos getroffen. So wird in TRGS 910 Kapitel 3.2.3 Absatz 4 gefordert, dass keine Expositionen oberhalb des Stands der Technik eintreten dürfen, auch wenn sie unterhalb der Akzeptanzkonzentration liegen.

36) Die korrekte Schreibweise lautet "m3"

37) Die korrekte Abkürzung der Maßeinheit lautet: mSv

38) https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte- und-Technische-Regeln/Regelwerk/TRGS/Begruendungen-910.html (Stand am 7. April 2017)

39) Hierdurch wird gewährleistet, dass in der Atemluft die Toleranzkonzentration in jedem Fall eingehalten wird, auch wenn sie in der Luft am Arbeitsplatz überschritten wird. Damit ist die Einhaltung des Toleranzrisikos stets gewährleistet.

40) Artikel 9 Dosisgrenzwerte für die berufliche Exposition: "(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Dosisgrenzwerte für die berufliche Exposition für die Summe der jährlichen beruflichen Expositionen einer Arbeitskraft aus allen zugelassenen Tätigkeiten, der nach Artikel 54 Absatz 3 anmeldepflichtigen beruflichen Radonexposition und der sonstigen beruflichen Exposition aufgrund bestehender Expositionssituationen nach Artikel 100 Absatz 3 gelten. Für die berufsbedingte Notfallexposition gilt Artikel 53."

41) Die Erkennungsgrenze ist der Wert einer Messgröße, die einen physikalischen Effekt quantifiziert, dessen Überschreiten durch ein ermitteltes Messergebnis für diese Messgröße anzeigt, dass der physikalische Effekt vorliegt (ISO 11929:2010). Liegt das Messergebnis unterhalb der Erkennungsgrenze, wird entschieden, dass der physikalische Effekt nicht erkannt wurde. Trotzdem kann daraus nicht geschlossen werden, dass der physikalische Effekt nicht vorliegt.

42) Die Jahrspersonendosis H ist die im Kalenderjahr erhaltene Äquivalentdosis, gemessen mit den in Anlage VI Teil A StrlSchV 2001 angegebenen Messgrößen an einer für die Strahlenexposition repräsentativen Stelle der Körperoberfläche. Sie ist ein Maß für die Körperdosis (siehe Glossar).

43) Mit der StrlSchV von 2001 wurde der Grenzwert für die effektive Dosis pro Jahr durch die berufliche Exposition von 50 mSv auf 20 mSv gesenkt.

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