umwelt-online: BAM-GGR 007 Leitlinie zur Verwendung von Gußeisen mit Kugelgraphit für Transport- und Lagerbehälter für radioaktive Stoffe (1)
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BAM-GGR 007 - Leitlinie zur Verwendung von Gußeisen mit Kugelgraphit für Transport- und Lagerbehälter für radioaktive Stoffe
Rev. 0 / Juni 2002
(BAM Amts- und Mitteilungsbl. 32 Nr. 4/2002 S. 284)
1 Vorbemerkungen
Diese Leitlinie beschreibt grundsätzliche Gesichtspunkte, die bei der Verwendung von Gusseisen mit Kugelgraphit für Transport- und Lagerbehälter für radioaktive Stoffe Beachtung finden sollten.
Die Eigenschaften von Gusseisen mit Kugelgraphit sind in der Norm [1] für eine Reihe von Formen mit unterschiedlichen Werkstoffbezeichnungen festgelegt. Die Anforderungen an den bisher für Transport- und Lagerbehälter für radioaktive Stoffe verwendeten Werkstoff gehen jedoch über die Norm hinaus und werden daher in besonderen Werkstoffspezifikationen der jeweiligen Verwender festgelegt.
Ausgehend vom Basisgutachten [2] der BAM aus dem Jahre 1985, das bisher die primäre Grundlage für die Verwendung von Gusseisen mit Kugelgraphit für Transport- und Lagerbehälter für radioaktive Stoffe bildet, werden in dieser Leitlinie die Kriterien für die Auslegung dieser Behälter gegen Betriebs- und Unfallbeanspruchungen und die sich daraus ergebenden Anforderungen an den Nachweis der Sicherheiten gegen duktiles und sprödes Versagen von Behälterkomponenten beschrieben. Die Leitlinie berücksichtigt die Fortentwicklung des Werkstoffs sowie der Methoden zur Bewertung seines mechanischen Verhaltens in dem Zeitraum nach der Erstellung des Basisgutachtens. Inhalt dieser Leitlinie sind Empfehlungen, die bei der Fortentwicklung der im Rahmen verkehrsrechtlicher und atomrechtlicher Zulassungsverfahren für Transport- und Lagerbehälter anzuwendenden sicherheitstechnischen Nachweismethoden beachtet werden sollten.
Bestandteil der Leitlinie sind außerdem die sich aus dem Gegenstand der sicherheitstechnischen Nachweisführung ergebenden werkstoffspezifischen Anforderungen sowie die qualitätssichernden Maßnahmen für die Behälterherstellung bei der Verwendung von Gusseisen mit Kugelgraphit. Die diesbezüglichen Vorgaben der Leitlinie sollten bei der Erarbeitung und Revision von Werkstoffspezifikationen für Gusseisen mit Kugelgraphit berücksichtigt werden.
Diese Leitlinie wurde federführend erstellt von der Fachgruppe III.3 "Sicherheit von Transport- und Lagerbehältern" unter fachlicher Beratung durch die Fachgruppen V.2 "Werkstoffmechanik" und V.3 "Betriebsfestigkeit und Bauteilsicherheit" der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.
2 Zusammenfassung der bisherigen Entwicklung
Die Beförderung und Lagerung radioaktiver Stoffe aus Versuchs- und Leistungskernkraftwerken ist seit vielen Jahren Stand der Technik und erfolgt entsprechend den nationalen und internationalen Vorschriften des Verkehrsrechts auf der Basis der Empfehlungen der IAEA [3] sowie des deutschen Atomrechts [4, 5]. Die hierfür verwendeten Transport- und Lagerbehälter haben Schutzfunktionen im Hinblick auf die Verhinderung bzw. Begrenzung der Freisetzung von Radionukliden aus Versandstücken, auf die Abschirmung der Gamma- und Neutronenstrahlung sowie auf die Verhinderung nuklearer Kettenreaktionen unter Bedingungen zu erfüllen, die durch die mit den Behältern durchzuführenden mechanischen Prüfungen beschrieben werden.
Im Zusammenhang mit der in der Bundesrepublik Deutschland Mitte der 70er Jahre geführten Diskussion über das Entsorgungskonzept für Kernkraftwerke wurde als weitere Möglichkeit neben der Entsorgung von bestrahlten Brennelementen in ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen die mittelfristige trockene Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente in Transportbehälterlagern entwickelt [6, 7]. Dieses Konzept wurde nach Prüfung und Beratung in den Gremien des Bundesinnen- bzw. des Bundesumweltministeriums Bestandteil des Entsorgungskonzeptes der Bundesregierung [8] und inzwischen durch die Inbetriebnahme der Transportbehälterzwischenlager in Jülich, Ahaus, Gorleben und Lubmin realisiert. Zukünftig wird die standortnahe Zwischenlagerung an den deutschen Kernkraftwerken an Bedeutung gewinnen. Die Zwischenlagerung der bestrahlten Brennelemente erfolgt dabei über einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren in zahlreichen Behältern innerhalb eines Lagergebäudes, wobei die wesentlichen Schutzfunktionen (Dichtheit, Abschirmung, nukleare Sicherheit) von den Behältern übernommen werden, die hierzu keinerlei aktive Bauelemente benötigen, d. h. ein inhärent sicheres System bilden. Die Abfuhr der Nachzerfallswärme erfolgt ausschließlich über Wärmestrahlung und natürliche Konvektion. Für diese Behälter ist eine Mindestqualifikation als "Typ B - Versandstückmuster -" im Sinn des Verkehrsrechtes einzuhalten; weitere Anforderungen wie z.B. die Langzeiteignung aller Bauelemente und die permanente Überwachung der Dichtheit sind für die sichere Zwischenlagerung erforderlich [9].
Als zuständiger Behörde gemäß der Zulassungsrichtlinie des Bundesministers für Verkehr [10] für die Bauartprüfung zulassungspflichtiger Transportverpackungen für radioaktive Stoffe obliegt der BAM auch die Begutachtung der festigkeitsbestimmenden Eigenschaften der Brennelement-Transport- und Lagerbehälter aus Gusseisen mit Kugelgraphit. Die BAM war darüber hinaus auch von den nach Atomrecht für die Genehmigung der Verwendung der Behälter in kerntechnischen Anlagen zuständigen Behörden mit der Begutachtung dieser Behälter beauftragt. In diesen Funktionen hat die BAM zahlreiche Bauartprüfungen vorgenommen und dabei u. a. instrumentierte Versuche mit Modell- und Prototypbehältern sowie umfangreiche Werkstoffuntersuchungen durchgeführt, die in Versuchsberichten, Prüfungszeugnissen und Gutachten dokumentiert und bewertet wurden. Insbesondere fließen die Ergebnisse dieser Untersuchungen in die Festlegungen zur Qualitätssicherung während der Herstellung der Behälter, z.B. in Form von Werkstoffdaten- und Werkstoffprüfblättern, Fertigungs- und Prüffolgeplänen mit den dazugehörenden Arbeits- und Prüfvorschriften, ein. Dadurch wird sichergestellt, dass bei der Serienfertigung dieser Behälter die erforderlichen sicherheitsrelevanten Qualitätsmerkmale nachweislich eingehalten werden.
Erstmalig hat die BAM 1985 ihr Begutachtungskonzept als Basisgutachten zur Verwendung von Gusseisen mit Kugelgraphit für Transport- und Lagerbehälter veröffentlicht [21. Nach diesem Konzept sind die höchstzulässige Beanspruchung und die Mindestwerkstoffduktilität zu begrenzen, damit es nicht, wie bei Überlastversuchen mit nicht spezifikationsgerechten Behältern [11, 12], zum Bruch kommen kann. Seit dieser Zeit hat sich die Verwendung von Transport- und Lagerbehältern aus Gusseisen mit Kugelgraphit national und international sehr stark ausgeweitet. Die BAM hat diese Entwicklung aktiv begleitet [13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25] sowie 1987, 1990 und 1994 drei internationale Seminare veranstaltet [26, 27, 28], auf denen über die Ergebnisse deutscher und internationaler Entwicklungsarbeiten sowie über amtliche Validierungen von Behälterbauarten berichtet wurde. Ein weiterer internationaler Workshop zum Thema Gusseisen mit Kugelgraphit fand 1991 in den USA statt [29].
Die starke Internationalisierung der Verwendung von Gusseisen mit Kugelgraphit führte u. a. auch dazu, dass der die IAEA Regulations kommentierende Safety Guide (Advisory Material) [30] um einen Anhang ergänzt wurde, der Empfehlungen zum Sicherheitsnachweis für sprödbruchgefährdete Behälterbauteile enthält.
Die außerordentliche Verbreitung des Gusseisens mit Kugelgraphit als Behälterwerkstoff für Typ B - Versandstücke ist nicht zuletzt auch auf die Fortentwicklung der Gießtechnik und eine Verbesserung der sicherheitstechnisch relevanten Eigenschaften bei dickwandigen Gussstücken zurückzuführen. Insgesamt hat sich gegenüber dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Basisgutachtens [2] durch die BAM im Jahre 1985 die Fertigungssicherheit bei der Herstellung von Behältern aus Gusseisen mit Kugelgraphit deutlich verbessert. Dieses ist beispielsweise belegt in der Literaturstelle [31]. Darin sind die Werkstoffeigenschaften in den Fertigungszeiträumen von 1980 bis 1989 und von 1990 bis 1994 mit dem Ergebnis verglichen worden, dass sich insbesondere die Verformungseigenschaften des Werkstoffes wesentlich verbessert haben und über den gesamten zur Anwendung gelangenden Wanddickenbereich ein gleichmäßiges Niveau erreicht wird.
Zahlreiche internationale Forschungsprogramme zur weitergehenden Erfassung der Sicherheitsreserven von Behältern aus Gusseisen mit Kugelgraphit, insbesondere in Japan [32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40], in den USA [41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56] und in Deutschland [57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65] hatten zum einen die Charakterisierung des Werkstoffes in der jeweiligen Erzeugnisform mit den für einen Sicherheitsnachweis und eine qualitätsgesicherte Fertigung notwendigen Eigenschaften zum Ziel, zum anderen beinhalteten sie auch Behälterversuche mit extremen mechanischen Beanspruchungen, die über die bereits schwere Unfälle abdeckenden Prüfanforderungen der IAEA Regulations hinausgingen. Speziell erwähnt seien hier:
Aufgrund der mit den o. g. Untersuchungen demonstrierten Fähigkeit von Behältern aus Gusseisen mit Kugelgraphit, auch härtesten Prüfungen ohne Bruchversagen standzuhalten, wurde offensichtlich, dass derartige Behälter unter korrekter Berücksichtigung insbesondere der bruchmechanischen Aspekte höheren Beanspruchungen ausgesetzt werden können als den im BAM-Basisgutachten [2] von 1985 genannten Maximalspannungen in einer Höhe von 50 % der 0,2 % - Dehngrenze. Voraussetzung für die Zulässigkeit derartiger höherer Maximalspannungen bei Transport- und Lagerbehältern ist jedoch die Einbeziehung eines werkstoffspezifischen bruchmechanischen Sicherheitsnachweises unter Beachtung der in dieser Leitlinie aufgeführten Empfehlungen.
3 Rechtsgrundlagen
3.1 Verkehrsrechtliche Vorschriften
Die nationalen und internationalen Vorschriften, die bei der Auslegung und Qualitätssicherung von Behältern für den Transport von radioaktiven Stoffen mit Straßenfahrzeugen, Eisenbahnen, See- und Binnenschiffen sowie Flugzeugen zu beachten sind, basieren übereinstimmend auf den Empfehlungen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) für die Beförderung radioaktiver Stoffe [3]. Danach ist grundsätzlich kein Werkstoff von einer Verwendung für diese Behälter ausgeschlossen. Für den jeweiligen Verwendungsfall (Behältertyp) ist jedoch der Nachweis zu führen, dass ausreichende Sicherheiten gegen duktiles und sprödes Versagen gewährleistet sind. Solche Nachweise sind für unfallsichere Typ B - Behälter unter Beachtung der in den Nummern 655, 656, 657, 660 und 682 der IAEA Regulations [3] im einzelnen festgelegten Kriterien für die Prüfungen bzw. Prüfszenarien vorzulegen, die (z. T. in Abhängigkeit vom Behälterinhalt) in den Nummern 726, 727, 729 und 730 - 733 dieser Empfehlungen vorgeschrieben werden.
Die derzeit verbindliche Ausgabe der Empfehlungen der IAEA (TS-R-1 [3]) enthält mit Ausnahme einiger allgemeiner Anforderungen an rechnerisch geführte Sicherheitsnachweise keine konkreten Empfehlungen für anzuwendende Berechnungsmethoden. Dies gilt für Festigkeitsnachweise im allgemeinen ebenso wie für die Nachweise zur Sprödbruchsicherheit von Bauteilen. Der Entwurf für den Safety Guide [30] zu den Regulations [31 enthält im Appendix VI jedoch relativ detaillierte Vorstellungen über Grundlagen, Randbedingungen und Form bruchmechanischer Nachweisführungen einschließlich der dabei zu berücksichtigenden Sicherheitsfaktoren (vgl. auch [67]). Diese Empfehlungen sollten nach Auffassung der BAM bei bruchmechanischen Nachweisführungen grundsätzlich beachtet werden.
Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit, dass bei der Festlegung von Kriterien für die Bewertung des Bruchverhaltens von Werkstoffen und die damit verbundene Auswahl von Analyseverfahren ebenso wie bei der Quantifizierung von Sicherheitsfaktoren eigene Wege gegangen werden können. Voraussetzung ist jedoch, dass die schließlich angewendete Methodik in allen Schritten nachvollziehbar dargestellt und ausreichend verifiziert ist. Insofern berücksichtigen die mit dieser Leitlinie gegebenen Empfehlungen der BAM den Entwurf des Safety Guide TS-G-1.1 [30] und stellen eine weitergehende Präzisierung des vorhandenen Spielraums dar.
3.2 Atomrechtliche Vorschriften
3.2.1 Atomrechtliche Vorschriften für die Beförderung radioaktiver Stoffe
Das Atomgesetz (AtG) [4] und die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) [5] regeln u. a. die Genehmigungspflicht der Beförderung von Kernbrennstoffen bzw. sonstigen radioaktiven Stoffen oder kernbrennstoffhaltigen Abfällen. § 4 Abs. 2 Nr. 3 AtG (bzw. § 18 Abs. 1 Nr. 3 StrlSchV) fordern als Genehmigungsvoraussetzung u. a., dass
"... die Kernbrennstoffe (bzw. die sonstigen radioaktiven Stoffe) unter Beachtung der für den jeweiligen Verkehrsträger geltenden Rechtsvorschriften über die Beförderung gefährlicher Güter befördert werden oder, soweit solche Vorschriften fehlen, auf andere Weise die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Beförderung der Kernbrennstoffe (bzw. der sonstigen radioaktiven Stoffe) getroffen ist."
Soweit das Verkehrsrecht also die Beförderung von Kernbrennstoffen bzw. sonstiger radioaktiver Stoffe regelt, sind folglich alternativ zu führende Nachweise entbehrlich. Das gilt unter Würdigung der in den verkehrsrechtlichen Vorschriften detailliert festgelegten Auslegungskriterien und Nachweismethoden für den Eignungsnachweis der Typ B-Verpackungen als unfallsichere Umschließungen.
3.2.2 Atomrechtliche Vorschriften für die Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven Stoffen
Die Rechtsgrundlage für die Zwischenlagerung von Kernbrennstoffen, wie z.B. bestrahlten Brennelementen in externen Transportbehälterzwischenlagern (TBL), ist § 6 des Atomgesetzes (AtG) [4], nach dem die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen außerhalb der staatlichen Verwahrung der Genehmigung bedarf. Auf dieser Grundlage wurden seit 1983 die Aufbewahrungsgenehmigungen für die TBL in Gorleben und Ahaus durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (vormals die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, PTB) erteilt. Als eine der Genehmigungsvoraussetzungen wird im AtG § 6 Abs. 2 Nr. 2 gefordert, dass
"... die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung der Kernbrennstoffe getroffen ist."
Die Rechtsgrundlage für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist § 9a Abs. 3 des Atomgesetzes, nach dem der Bund Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten hat. Für das zugehörige Planfeststellungsverfahren wird in § 9b Abs. 4 AtG unter Verweis auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG u. a. auch hier gefordert, dass
"... die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist."
Wesentliche Voraussetzung für den Eignungsnachweis als Lagerbehälter ist in der Regel die verkehrsrechtliche Qualifikation der Behälter, damit sie auch problemfrei an- oder abtransportiert werden können. Für den Eignungsnachweis als Lagerbehälter sind die Auswirkungen der lagerspezifischen Störfall-Ereignisse maßgebend. Unter sinngemäßer Anwendung der BMI-Störfall-Leitlinien für Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktoren werden alle Störfall-Ereignisse untersucht, die das Lager selbst oder die aufbewahrten Kernbrennstoffe bzw. radioaktiven Stoffe beeinträchtigen könnten. Hierbei wird zwischen Auslegungsstörfällen (z.B. Behälterabsturz vom Kran einer Lagerhalle) und auslegungsüberschreitenden Ereignissen (z.B. Flugzeugabsturz) unterschieden. Bedeutsam ist die Tatsache, dass die mechanischen Belastungen der zu unterstellenden Handhabungsstörfälle in einem Zwischen- oder Endlager nicht immer durch die verkehrsrechtlichen Prüfanforderungen abgedeckt werden. Dies gilt auch für die thermischen Einwirkungen von außen (z.B. Kerosinbrand nach Flugzeugabsturz oder untertägiges Brandszenarium) sowie die mechanischen Einwirkungen auf den Behälterkörper, die aus einem Flugzeugabsturz resultieren.
Zusätzliche Anforderungen für Lagerbehälter ergeben sich u. U. auch aus der Zeitdauer des Lagerbetriebes und der damit verbundenen Notwendigkeit der Gewährleistung des langfristigen dichten Einschlusses des radioaktiven Inhalts sowie der Abschirmungs- und Wärmeabfuhrfunktionen.
Eine technische Regel zur Festlegung von Anforderungen an Zwischen- und Endlager sowie insbesondere spezieller Anforderungen an die Lagerbehälter existiert zur Zeit nicht. Allerdings ist z.B. das Konzept der Behälterlager für die Brennelement-Zwischenlagerung von den Beratungsgremien des damaligen Bundesinnenministeriums (Reaktorsicherheitskommission (RSK) und Strahlenschutzkommission) eingehend beraten und befürwortet worden [68]. In jüngster Zeit wurde die RSK wieder mit der Angelegenheit befasst. Daraus entstanden die "Sicherheitstechnischen Leitlinien für die trockene Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente in Behältern" [69].
4 Kriterien für die mechanische Behälterauslegung
4.1 Grundsätzliche Überlegungen
Während für Betriebsbelastungen, seien sie quasistatisch, dynamisch oder auch zyklisch, quantifizierte Anforderungen an einzuhaltende Grenzwerte für Spannungen, Dehnungen und davon abhängende Belastungen, an Sicherheitsbeiwerte und Mindestduktilitäten in allgemein anerkannten Regeln der Technik festgelegt sind, ist dies für Unfallbelastungen nicht der Fall. Bei konventionellen Bauteilen werden Unfallbelastungen nicht explizit in die Auslegung einbezogen und dementsprechend ergeben sich in der Regel auch keine über die betrieblichen Anforderungen hinausgehenden Anforderungen an den Werkstoff.
Die Übertragung von Anforderungen an Sicherheitsbeiwerte und die Werkstoffmindestduktilität aus bestehenden Regelwerken für konventionelle Bauteile auf die Auslegung der Transport- und Lagerbehälter unter Unfallbeanspruchungen ist deshalb nicht möglich bzw. würde zu einer konservativen Auslegung führen. Sie würde nicht der Tatsache Rechnung tragen, dass das Auftreten einer den Typ B - Prüfbedingungen entsprechenden Unfallbelastung einerseits nur mit extrem kleiner Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und andererseits demgegenüber die Betriebsbeanspruchungen der Behälter unbedeutend sind.
Um dennoch auch für die maßgebenden Unfallbeanspruchungen hinreichende Sicherheit gegen Versagen infolge mechanischer Beanspruchung zu gewährleisten ohne auf Auslegungsvorschriften für betriebliche Beanspruchungen zurückzugreifen, bedarf es daher adäquater Sicherheitsnachweise. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass unter Berücksichtigung aller Unsicherheiten bei den Lastannahmen, bei der Beanspruchungsanalyse und den maßgebenden Werkstoffeigenschaften eine Beeinträchtigung der Sicherheitsfunktionen der Behälterkomponenten hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann.
Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Durchführung von Belastungsversuchen mit Prototypbehältern im Originalmaßstab unter den hinsichtlich des zu erwartenden Schadens ungünstigsten Unfallbedingungen, sodass die für derartige Gussbehälter repräsentative, vollständige Matrix der Werkstoffeigenschaften mit den höchsten Beanspruchungen verknüpft wird. Die Ergebnisse der Belastungs- bzw. Fallversuche, insbesondere die ermittelten festigkeitsrelevanten Messwerte (Beschleunigungen, Dehnungen) und die nach dem Versuch durchgeführten Dichtheitsprüfungen, lassen somit eindeutige Schlussfolgerungen darüber zu, inwieweit die konstruktive Gestaltung und die Werkstoffeigenschaften ausreichen, um die Integrität und Dichtheit der geprüften Behälterbauart unter Unfallbelastungen zu gewährleisten.
Die Durchführung von Belastungsversuchen mit Modellbehältern ist grundsätzlich ebenfalls möglich, jedoch sind hierbei die Modellgesetzmäßigkeiten hinsichtlich aller relevanten Parameter wie z.B. Geometrie des Behälters, Beanspruchungsbedingungen und Werkstoffeigenschaften einschließlich deren Abhängigkeit von der Wanddicke zu berücksichtigen und die Versuchsergebnisse dementsprechend zu interpretieren (vgl. [3, 30]).
Der Sicherheitsnachweis ist ebenfalls möglich unter Bezugnahme auf die Ergebnisse erfolgreicher Versuche mit bauartähnlichen Behältern in Kombination mit geeigneten und konservativen Berechnungsverfahren und Übertragbarkeitsanalysen. Dazu gehört auch die Untersuchung des Einflusses der Werkstoffeigenschaften des Serienmusters auf die Übertragbarkeit von Versuchsergebnissen. Hierbei können insbesondere Erkenntnisse aus Versuchen mit Prototypbehältern und aus Forschungsprogrammen Berücksichtigung finden.
4.2 Bezug zur Auslegung von Druckbehältern
Entsprechend der Umsetzung der Empfehlungen der IAEA in deutsches Recht sind Innendrücke in Transportbehältern zulässig, die dazu führen, dass einzelne Behälterbauarten auch der Druckgeräterichtlinie [70] unterliegen können. In Anbetracht der Ähnlichkeit von Druckbehältern mit Transport- und Lagerbehältern und infolge der tatsächlich möglichen Belastung dieser Behälter durch Innendruck läge es deshalb nahe, die für den Druckbehälterbereich festgelegten Werkstoffanforderungen und Auslegungsprinzipien [71, 72] zu übernehmen. Dieses ist jedoch aus den im Abschnitt 4.1 genannten Gründen nicht angebracht, da die maßgeblichen Belastungsbedingungen bei Transport- und Lagerbehältern nicht aus betrieblichen, sondern aus Unfallbeanspruchungen resultieren. Unter Punkt 3.19 der Druckgeräterichtlinie [70] ist daher der Ausschluss der dem Verkehrsrecht unterliegenden Versandstücke erfolgt. Andererseits werden natürlich eine Reihe von Verfahren oder Materialien nach dem Stand der Technik qualifiziert, die den Verfahrensweisen, die die Druckgeräterichtlinie beinhaltet, sehr ähnlich sind.
4.3 Auslegung gegen plastische Verformung
4.3.1 Normale Betriebsbeanspruchungen
Die Auslegung technischer Bauteile erfolgt nach dem üblichen ingenieurmäßigen Vorgehen durch die Abgrenzung der unter normalen Transport- und Lagerbedingungen auftretenden Spannungen gegenüber den "zulässigen Spannungen", die als Bruchteile der Fließspannung (z.B. der 0,2 % - Dehngrenze) bzw. der Zugfestigkeit festgelegt werden. Damit wird ausgeschlossen, dass unzulässige plastische Verformungen (Fließen) und letztlich plastisches Versagen eintreten. Normale Transportbedingungen sind durch die Beanspruchungen charakterisiert, die sich unter den gemäß den IAEA Regulations [3] in den Nummern 606-608 und 612 zu berücksichtigenden Einwirkungen und bei Prüfungen gemäß den Nummern 719-724 dieser Empfehlungen ergeben. Betriebliche Beanspruchungen unter Lagerbedingungen resultieren aus den anlagenspezifischen Handhabungsvorgängen der Behälter und sind i. d. R. durch die Transportbedingungen abgedeckt.
Die jeweiligen Quotienten aus Fließspannung Rp0,2 oder Zugfestigkeit Rm und maximaler zulässiger Spannung σ im Betrieb sind als Sicherheiten S definiert:
Rp0,2 | Rm | ||||||
SF | = |
| bzw. | SB | = |
| (1) |
σ | σ |
Sie dürfen Grenzwerte, die die jeweiligen Erfordernisse berücksichtigen und in Regelwerken, Richtlinien u. a. festgelegt sind, nicht unterschreiten.
Die Sicherheitsbeiwerte sollen alle denkbaren Abweichungen, die aus den Lastannahmen, den Berechnungsverfahren, infolge von Dimensionsabweichungen (Maßtoleranzen) und Inhomogenitäten der Werkstoffqualität resultieren, konservativ abdecken. Die technischen Regelwerke im Maschinen- und Apparatebau setzen den erforderlichen Sicherheitsbeiwert allgemein um so höher an, je geringer die Duktilität des verwendeten Werkstoffes ist (z.B. [73, 74]). Auch allgemeine ingenieurwissenschaftliche Überlegungen folgen diesem Prinzip [75, 76, 77, 78, 79, 80, 81]. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass ein Versagen durch Verformungsbruch bei geringer Werkstoffduktilität auch schon bei geringer örtlicher Plastifizierung möglich ist. Lokale Spannungsspitzen in Verbindung mit örtlicher Plastifizierung sind bei realen technischen Konstruktionen durch konstruktiv oder fertigungstechnisch bedingte und oft nur schwer erfassbare Unstetigkeiten sowie aufgrund von Werkstoffinhomogenitäten nahezu immer gegeben.
Plastische Verformungen bei Transport- und Lagerbehältern können grundsätzlich deren Dichtheit und Integrität gefährden. Eine mögliche Gefährdung der Dichtheit ergibt sich in erster Linie durch bleibende Verformungen im Bereich des Deckeldichtsystems. Eine mögliche Gefährdung der Behälterintegrität ergibt sich durch plastische Deformationen der Behälterstruktur bis hin zum Bruch.
In der Regel sind die aus den betrieblichen Bedingungen resultierenden mechanischen Beanspruchungen der Bauteile von Transport- und Lagerbehältern derart niedrig, dass die Spannungen weit unterhalb der Streckgrenze des Werkstoffs bleiben. Damit ist für betriebliche Belastungen die Einhaltung von Sicherheitsmargen gegen plastische Deformationen entsprechend technischen Regelwerken des Maschinen- und Apparatebaus ohne Probleme möglich.
4.3.2 Unfallbeanspruchungen
Auf die auslegungsbestimmenden Unfallbeanspruchungen der Transport- und Lagerbehälter ist die Übertragung der für die Bewertung betriebsbedingter Belastungen üblichen Verfahrensweise weder sinnvoll noch möglich; vgl. hierzu Abschnitt 4.1. Vielmehr ist in diesem Fall auf der Basis einer detaillierten Spannungsanalyse und/oder mittels Fallversuchen der Nachweis zu führen, dass die auftretenden Verformungen der Behälterstruktur weder die Dichtsysteme in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen noch die Behälterintegrität durch Bruch gefährden. Es ist zu beachten, dass Sicherheitsbeiwerte zu verwenden sind, die nachweislich für Unfallbeanspruchungen gelten und mögliche Ungenauigkeiten bei Lastannahmen, bei der Behälterausführung und bei Berechnungs- und Versuchsergebnissen sowie Abweichungen in der Werkstoffqualität berücksichtigen. Grundsätzlich können unter Einbeziehung der o. g. Sicherheitsbeiwerte bei Auslegung gegen unzulässige Verformungen lokale Spannungen bis zur Streckgrenze des Werkstoffs zulässig sein. Darüber hinaus gehende Beanspruchungen sind nur zulässig, wenn in jedem Einzelfall der zweifelsfreie Nachweis erbracht wird, dass durch auftretende plastische Deformationen unter Berücksichtigung des umgebenden Spannungsfeldes im Bauteil und der spezifizierten Werkstoffqualität weder Dichtheit noch Integrität des Behälters gefährdet sind.
4.4 Bruchmechanische Auslegung
4.4.1 Geltungsbereich und Voraussetzungen
Das bisher angewendete sicherheitstechnische Konzept [2, 82] für Transport- und Lagerbehälter aus Gusseisen mit Kugelgraphit ist beim Vorliegen quasistatischer Beanspruchungsbedingungen und einer maximalen Spannung bis zur halben 0,2 % -Dehngrenze des Werkstoffs einsetzbar. Durch die Begrenzung der maximalen Spannungen, die Festlegung spezifischer Mindestanforderungen an die Werkstoffqualität bezüglich des Gefügezustandes und der mechanisch-technologischen Materialeigenschaften hinsichtlich Duktilität und Festigkeit sowie Anforderungen an die zerstörungsfreie Werkstoffprüfung zum Ausschluss rissartiger Fehler kritischer Größe wird ein bruchmechanisches Versagen des Behälters ausgeschlossen. Auf der Grundlage von detaillierten Fertigungs- und Prüffolgeplänen sowie Werkstoffspezifikationen wird ein unterer, statistisch abgesicherter bruchmechanischer Werkstoffkennwert garantiert, der am Serienbehälter im einzelnen nicht mehr nachgewiesen werden muss.
Sind die o. g. Voraussetzungen zur Anwendung dieses Sicherheitskonzeptes für eine Behälterbauart nicht erfüllt, dann ist ein umfassender bruchmechanischer Sicherheitsnachweis erforderlich. Dieser Nachweis kann durch Berechnungen oder im Behälterfallversuch geführt werden (siehe Abschnitt 5). Dabei sollten die bruchmechanischen Bewertungsverfahren gemäß den Empfehlungen der IAEA angewendet werden [30]. Diese basieren auf dem Prinzip des Ausschlusses der Rissinitiierung und folglich auch des stabilen bzw. instabilen Risswachstums bei Vorhandensein eines rissartigen Fehlers. Die allgemeine Vorgehensweise für den bruchmechanischen Sicherheitsnachweis wird im folgenden beschrieben.
4.4.2 Bruchmechanischer Sicherheitsnachweis
Bei der bruchmechanischen Sicherheitsanalyse sind die Methoden der linear-elastischen Bruchmechanik (LEBM) anzuwenden, falls die plastischen Verformungen auf den Bereich der durch die LEBM definierten Prozesszone beschränkt bleiben. Werden die Grenzen der linear-elastischen Bruchmechanik infolge eines elastisch-plastischen Werkstoffverhaltens nicht eingehalten, ist der bruchmechanische Sicherheitsnachweis unter Verwendung von Kennwerten der elastisch-plastischen Bruchmechanik (EPBM) durchzuführen.
Im Rahmen der Sicherheitsanalyse ist die Belastungsgeschwindigkeit aus der ermittelten Behälterbeanspruchung abzuleiten und in den bruchmechanischen Analysen zu berücksichtigen. Zur Abgrenzung zwischen einer Nachweisführung für quasistatische oder dynamische Beanspruchungsbedingungen und damit auch der Verwendung entsprechender statischer bzw. dynamischer Werkstoffkennwerte und Beanspruchungskenngrößen ist nach derzeitigem Kenntnisstand bei Dehngeschwindigkeiten ε ≥ 0,1 s im als fehlerfrei unterstellten Behälterkörper von dynamischen Beanspruchungsbedingungen auszugehen.
Die Bewertung der Bruchsicherheit erfolgt durch einen Vergleich von bruchmechanischen Beanspruchungsparametern und den die Widerstandsfähigkeit gegen Risseinleitung charakterisierenden bruchmechanischen Werkstoffkennwerten. Das Versagen durch spröden Bruch wird vermieden, wenn der Spannungsintensitätsfaktor Kappl, der die Beanspruchung des Risses bzw. Fehlers im Bauteil kennzeichnet, kleiner als der entsprechende Werkstoffkennwert Kmat ist. Entsprechend wird das Versagen durch duktilen Bruch dadurch ausgeschlossen, dass der Wert des J-Intergrals Jappl auf der Beanspruchungsseite kleiner als der entsprechende Risswiderstand Jmat des Materials ist:
Kappl < Kmat bzw. Jappl < Jmat | (2) |
Für Mode I- Rissbelastung gilt demnach bei statischer Beanspruchung mit den statischen Beanspruchungsparametern (KIappl, JIappl) und statischen Werkstoffkennwerten (KIc, Ji)
KIc | Ji | ||||||
KI,appl | ≤ |
| bzw. | JI,appl | ≤ |
| (3) |
S | S |
sowie bei dynamischer Beanspruchung mit den dynamischen Beanspruchungsparametern (KdI,appl , JdI,appl) und dynamischen Werkstoffkennwerten (KId, JId)
KId | Jid | ||||||
KdI,appl | ≤ |
| bzw. | Jd I,appl | ≤ |
| (4) |
S | S |
Der Beanspruchungsparameter muss dabei eine obere Grenze darstellen durch die Berücksichtigung der ungünstigsten Fehlergeometrie und -orientierung, der maximalen Spannung und Rissgröße sowie der Belastungsgeschwindigkeit (vgl. hierzu Abschnitt 4.4.3). Eine wesentliche Voraussetzung zur Führung des bruchmechanischen Sicherheitsnachweises ist demnach eine detaillierte Spannungsanalyse. Die Einbeziehung der Fehlerart und -größe bedingt Vorgaben zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung des Bauteils, um Fehler kritischer Größe in allen geometrischen Bereichen sicher aufzufinden (vgl. Abschnitt 4.4.4). Zusätzlich ist zur Erfassung von Ungenauigkeiten und Unsicherheiten bei der Spannungsanalyse, der zerstörungsfreien Prüfung und der bruchmechanischen Modellbetrachtungen ein geeigneter Sicherheitsfaktor für den Beanspruchungsparameter zu berücksichtigen, dessen Wert im einzelnen zu begründen ist.
Diese Voraussetzungen sind bei der Festlegung der Sicherheitsbeiwerte S in den Gln. (3) und (4) zu berücksichtigen. Für den Nachweis der Sicherheit gegen Sprödbruch bei statischer Mode 1 - Belastung leitet sich z.B. daraus mit
KI,appl = Y σ (π a)0,5 und a = azfp | (5) |
die Forderung
KIc ≥ SK × Y × Sσ σ × (π × Szfp × azfp)0,5 | (6) |
ab. In den Gln. (5) und (6) bedeuten
σ | die für die bruchmechanische Bewertung maßgebliche Spannung, |
azfp | die Größe des bruchmechanisch zu bewertenden Fehlers, dessen Existenz durch die zerstörungsfreie Prüfung sicher auszuschließen ist, |
Y | eine vom Berechnungsverfahren abhängige Funktion, |
Sσ | der Sicherheitsfaktor für die berechnete Spannung (Sσ > 1), |
Szfp | der Sicherheitsfaktor für die zerstörungsfreie Prüfung (Szfp > 1) und |
SK | der Sicherheitsfaktor, der sowohl Unsicherheiten bei der Bestimmung der Bruchzähigkeit (KIc) des Werkstoffs als auch bei der rechnerischen Bestimmung des Spannungsintensitätsfaktors (KI,appl) einschließt, die nicht durch Szfp, und Sσ , berücksichtigt werden (SK ≥ 1). |
Formal beträgt der in Gl. (3) für das Berechnungsverfahren zu berücksichtigende Sicherheitsbeiwert S damit:
S = SK Sσ (Szfp)0,5 | (7) |
Als Werkstoffkennwert (im Beispiel KIc) muss eine untere Grenze unter Berücksichtigung der Vorgaben der Werkstoffspezifikation sowie des Einflusses der Beanspruchungsgeschwindigkeit, der Temperatur und der Wanddicke des Behälters festgelegt werden. Zur Ermittlung dieses Kennwertes ist von einer hinreichend großen, statistisch abgesicherten Datenbasis auszugehen, die Werkstoffuntersuchungen bei der höchsten abzudeckenden Beanspruchungsgeschwindigkeit in Kombination mit der geringsten Einsatztemperatur einschließen. Alternativ kann der Werkstoffkennwert bei Beachtung der skizzierten Randbedingungen auch für den Einzelfall ermittelt werden. Die Werkstoffeigenschaften der verwendeten Proben müssen die Werkstoffeigenschaften in den Bauteilen der späteren Serienmuster sicher abdecken. Die Ermittlung zulässiger bruchmechanischer Werkstoffkennwerte wird im Abschnitt 4.4.5 erläutert.
4.4.3 Ermittlung der Beanspruchungen im Bauteil
Im bruchmechanischen Sicherheitsnachweis für eine Behälterbauart ist die Einhaltung der Bruchsicherheitskriterien, Gln. (3) bzw. (4), an allen sicherheitsrelevanten Stellen der Behälterkonstruktion und zu jedem Zeitpunkt zu zeigen. Der zur sicherheitstechnischen Beurteilung eines Risses im Behälter heranzuziehende Wert des Spannungsintensitätsfaktors bzw. des J-Integrals ist sowohl bei quasistatischer als auch dynamischer äußerer Belastung aus dem zeitlichen und örtlichen Maximum entlang der angenommenen Rissfront zu bilden:
KI,appl = max {KI,appl (Ort, Zeit)} | JI,appl = max {JI,appl (Ort, Zeit)} | (8) |
bzw.
KdI,appl = max {KdI,appl (Ort, Zeit)} | JdI,appl = max {JdI,appl (Ort, Zeit)} | (9) |
Die rechnerische bruchmechanische Analyse eines Behälters mit eingebrachter Risskonfiguration erfolgt durch Simulation der mechanischen Prüfungen, denen der Behälter gemäß den Anforderungen der Vorschriften unterzogen werden muss (i. a. Falltests [3]). Dabei sind die am höchsten bruchmechanisch beanspruchten Stellen des Behälters zu identifizieren und zu bewerten. In erster Linie sind das die Stellen mit den höchsten Spannungen im als fehlerfrei angenommenen Behälter, die jedoch bei den einzelnen mechanischen Prüfungen an unterschiedlichen Stellen im Behälterkörper liegen können. Da der Ort der höchsten Spannung nicht notwendigerweise der Ort höchster bruchmechanischer Beanspruchung ist, sind Orte mit geringeren Spannungen erforderlichenfalls in die Untersuchung einzubeziehen. Die Berechnungsergebnisse, wie Verschiebungen, Verzerrungen, Verzerrungsgeschwindigkeiten und Spannungen, sind ausführlich (bei dynamischen Berechnungen unter Berücksichtigung ihres zeitlichen Verlaufes) darzustellen und zu diskutieren. Die Wahl der bruchmechanisch zu untersuchenden Stellen im Behälter ist eingehend zu begründen. Die Berechnung der Rissbeanspruchung an diesen Stellen kann entweder
durchgeführt werden. Bei der Wahl der Rissgröße sind die Vorgaben im Abschnitt 4.4.4 zu beachten.
Die Methode a) ist sowohl für statische als auch dynamische Analysen geeignet. Bei statischen Problemstellungen kann für die numerische Berechnung des Spannungsintensitätsfaktors bzw. des J-Integrals oftmals auf entsprechende Möglichkeiten vorhandener Finite - Elemente (FE) - Programme zurückgegriffen werden. Bei der Berücksichtigung von Massenkräften ist diese Möglichkeit in Standard-FE-Programmen häufig nicht vorhanden. Dazu ist beispielsweise jedoch ein generell einsetzbarer Postprozessor verfügbar [83]. Die Konvergenz der ermittelten Spannungsintensitätsfaktoren Kappl bzw. der J-Integralwerte Jappl ist nachzuweisen, bei Berechnung des J-Integrals durch die Verwendung unterschiedlicher Integrationsgebiete.
Die Methode b) ist nur für quasistatische Rissbeanspruchungen zulässig, d. h., wenn der Einfluss von Massenkräften auf das Spannungsfeld in der Umgebung der Rissspitze vernachlässigbar ist. Zur Analyse der Risskonfiguration durch deren Herauslösen und das Aufbringen der Last aus der globalen Berechnung ist die Verwendung von Tabellenwerken zur Ermittlung der Spannungsintensitätsfaktoren Kappt erlaubt (z.B. [84]). Grundsätzlich ist bei der Verwendung solcher Lösungsansätze deren Gültigkeit auch unter den vorliegenden Randbedingungen nachzuweisen.
Die Anwendbarkeit statischer bruchmechanischer Lösungen aus Formelsammlungen für Behälterabsturzszenarien wurde von der BAM an einem speziellen Fall nachgewiesen [85, 86], bei dem der Riss trotz zeitabhängiger, sich aber hinreichend langsam ändernder äußerer Belastung quasistatisches Verhalten zeigte. Es ist zu betonen, dass eine pauschale Verallgemeinerung dieser Ergebnisse auf andere, für statische Lastfälle begründete Formeln und vor allem andere Randbedingungen unzulässig ist. Auf die gezeigte Weise lässt sich jedoch die Gültigkeit solcher Ansätze für Behälterabsturzszenarien überprüfen.
Es ist hervorzuheben, dass bruchmechanische Lösungen auf der Grundlage einzelner rissartiger Fehler in einfachen Bauteilgeometrien (wie in [87, 88, 89]) häufig in der Rissöffnungsart Mode 1 (d. h. Öffnen der Rissufer unter Normalspannung während die Scherspannung entlang der Rissufer verschwindet) nicht generell auf die Gegebenheiten realer Behälterkonstruktionen übertragen werden können, da z.B. in Ecken- und Kantenbereichen von komplizierteren Beanspruchungssituationen auszugehen ist. Hierfür ist eine eingehende Verifizierung der zugrunde gelegten Spannungszustände, der Anwendbarkeit des vorgesehenen Rissmodells und eventueller konservativer Abschätzungen notwendig, die ggf. durch die Berechnung dynamischer Spannungsintensitätsfaktoren bzw. J-Integralwerte in diesen geometrisch komplizierten Behälterbereichen zu begründen sind.
Im allgemeinen ist von einer "mixed-mode"-Beanspruchung auszugehen und diese zu diskutieren. Das Nichtbeachten zusätzlicher KII- Beanspruchungen, d. h. einer ebenen Scherbelastung in Rissausbreitungsrichtung zusätzlich zum Öffnen der Rissufer unter Normalspannung, kann zu einer Unterschätzung der Bruchgefährdung führen. Eine zusätzliche KII - Beanspruchung kann u. a. auch als Folge des Vorhandenseins mehrerer Risse mit unterschiedlicher Richtung auftreten, wobei in diesem Beispiel eine Unterschätzung der Bruchgefährdung bis zu 20 % möglich ist [90]. Es gibt für "mixed-mode"- Beanspruchungen keine standardisierten Prüfmethoden, sodass verwendete Prüfergebnisse (auch für Mode II, Mode III bzw. deren Kombinationen) entsprechend nachvollziehbar sein müssen.
Die Eignung der eingesetzten Berechnungsmodelle, Berechnungsverfahren und Programmsysteme für die Untersuchung der dynamischen Prozesse beim Behälteraufprall sowie die Qualifikation der mit den Arbeiten betrauten Mitarbeiter sind nachzuweisen. Bei der Erstellung numerisch geführter Sicherheitsnachweise ist die BAM-Richtlinie [91] zu beachten.
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