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Neue und aktualisierte Referenzwerte für Metabolite von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) im Urin von Kindern in Deutschland
- Stellungnahme der Kommission Human-Biomonitoring des Umweltbundesamtes -
(Bundesgesundheitsbl. Nr. 10/2009 S. 969)
Einleitung
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) entstehen bei unvollständigen Verbrennungsprozessen organischen Materials. Sie sind darüber hinaus in flüssigen und festen Produkten enthalten, die dadurch entstehen, dass organisches Material unter Sauerstoffabschluss erhitzt wird, wie zum Beispiel in Teer, Erdöldestillaten, gebrauchten Motorenölen und Rußen. PAK treten in der Umwelt oder am Arbeitsplatz stets als Gemische auf, die bis zu einige 100 Einzelstoffe enthalten können. Die toxikologische Bewertung und Einstufung der PAK als Einzelstoffe reicht von "nicht Krebs erzeugend" für zum Beispiel Phenanthrene bis "Krebs erzeugend beim Menschen" für Benzo(a)pyren [1, 21. Sie wirken als sogenannte indirekte Kanzerogene, die erst durch metabolische Umwandlung ihre mutagenen und kanzerogenen Eigenschaften entwickeln [2]. Es gibt Hinweise auf eine höhere Empfindlichkeit von Kindern gegenüber PAK und eine altersabhängige Kanzerogenese [3]. Vor diesem Hintergrund ist es von besonderem Interesse, die PAK-Belastung der Kinder in Deutschland zu ermitteln und zu beobachten.
Zur Beurteilung der inneren Schadstoffbelastung einzelner Personen oder Bevölkerungsgruppen im Vergleich zur Hintergrundbelastung der Allgemeinbevölkerung leitet die Kommission "Human-Biomonitoring" [4] Referenzwerteab. Vor dem Hintergrund sich wandelnder Umweltbelastungen sind Referenzwerte ständig zu überprüfen und bei Vorliegen neuer Daten ggf. zu revidieren.
Auf der Basis des bevölkerungsrepräsentativen Kinder-Umwelt-Surveys 2003-2006 [5, 6, 7, 8, 9] hat die Kommission für eine Reihe von Schadstoffen beziehungsweise deren Metaboliten in Blut und/oder Urin die bisherigen Referenzwerte für Kinder in Deutschland aktualisiert, bestätigt oder modifiziert [10, 11, 12]. Der vorliegende Beitrag gibt die neuen und aktualisierten Referenzwerte für PAK-Metabolite (1-Hydroxypyren, Hydroxyphenanthrene) im Urin von Kindern in Deutschland bekannt.
Die Kommission weist ausdrücklich darauf hin, dass Referenzwerte rein statistisch abgeleitete Werte sind, welche die obere Grenze der derzeitigen Hintergrundbelastung kennzeichnen. Sie können als Kriterien verwendet werden, um Messwerte von Einzelpersonen oder Personengruppen als "erhöht" oder "nicht erhöht" einzustufen. Eine umweltmedizinischtoxikologische Bewertung einer Belastungssituation ist anhand von Referenzwerten nicht möglich.
Datenbasis
Der Kinder-Umwelt-Survey (KUS) ist wie die vorangegangenen Umwelt-Surveys [13] eine bevölkerungsrepräsentative Querschnittsstudie, bei der die Auswahl der Probanden nach einem gestuften mehrfach geschichteten Zufallsverfahren erfolgte. Der KUS ist das Umweltmodul des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI) [14,15, 16], welches die Stichprobenziehung und die Feldarbeit auch für den KUS übernommen hat. Die Untersuchung der aus 150 Studienorten zufällig ausgewählten drei- bis 14-jährigen Kinder erfolgte zwischen Mai 2003 und Mai 2006. Die angewandten Methoden (Stichprobenziehung, Fragebogen, Probenahme, Analytik, Statistik) sind bei Becker et al. [5] und Schulz et al. [7, 9] beschrieben.
Die für die Ableitung eines Referenzwertes notwendigen statistischen Kennwerte [4], das 95. Populationsperzentil und das entsprechende 95 %-Konfidenzintervall, wurden je Analyt nach dem parametrischen Verfahren unter Annahme einer log-Normalverteilung mit der Software SPSS für Windows, Version 14, berechnet.
Ergebnisse und Diskussion
Im Folgenden werden die für die Ableitung der Referenzwerte wesentlichen Ergebnisse zusammenfassend vorgestellt. Im KUS wurden bei einem repräsentativ ausgewählten Unterkollektiv (n=600) folgende PAK-Metabolite im Urin der drei- bis 14-jährigen Kinder in Deutschland analysiert: 1-Hydroxypyren (1-OH-Pryen), 1-Hydroxyphenanthren (1-OH-Phenanthren), 2/9-Hydroxyphenanthren (2/9-OH-Phenanthren), 3-Hydroxyphenanthren (3-OHPhenanthren) und 4-Hydroxyphenanthren (4-OH-Phenanthren). Die geometrischen Mittelwerte betragen bei 1-OH-Pyren 0,13 µg/l, bei 1-OH-Phenanthren 0,18 µg/l, bei 2/9-OH-Phenanthren 0,12 µg/l, bei 3-OH-Phenanthren 0,16 µg/l und bei 4-OH-Phenanthren 0,02 µg/l für die nicht aktiv rauchenden Kinder (Tabelle 1). Für die Summe der analysierten OH-Phenanthren-Gehakt im Urin der nicht aktiv rauchenden Kinder ergibt sich ein geometrischer Mittelwert von 0,52 µg/l. Die Ergebnisse des KUS zeigen [5], dass rauchende Kinder im Vergleich zu nicht rauchenden Kindern eine deutlich höhere 1-OH-Pyrenausscheidung aufweisen.
Tabelle 1: Metabolite von PAK im Urin (µg/I) der nicht aktiv rauchenden drei- bis 14jährigen Kinder in Deutschland - Kinder-Umwelt-Survey [5]
Analyt/Population | N | %> BG | 50.P. | 95.P. | GM | KI-GM | PP95 1 | KI-PP95 1 |
1-Hydroxypyren (BG: 0,012) | ||||||||
Nichtraucher/innen | 566 | 99 | 0,12 | 0,43 | 0,13 | 0,12-0,13 | 0,44 | 0,40-0,48 |
Wohnort* | ||||||||
alte Länder | 492 | 99 | 0,12 | 0,41 | 0,12 | 0,11-0,13 | 0,41 | 0,37-0,46 |
neue Länder | 74 | 100 | 0,16 | 0,65 | 0,16 | 0,13-0,19 | 0,65 | 0,48-0,87 |
1-Hydroxyphenanthren (BG: 0,016) | ||||||||
Nichtraucher/innen | 566 | 100 | 0,19 | 0,59 | 0,18 | 0,17-0,20 | 0,59 | 0,54-0,64 |
Wohnort*** | ||||||||
alte Länder | 492 | 100 | 0,17 | 0,54 | 0,17 | 0,16-0,19 | 0,54 | 0,50-0,60 |
neue Länder | 74 | 100 | 0,26 | 0,91 | 0,26 | 0,22-0,31 | 0,85 | 0,66-1,09 |
2/9-Hydroxyphenanthren (BG: 0,004) | ||||||||
Nichtraucher/innen | 566 | 100 | 0,12 | 0,37 | 0,12 | 0,11-0,12 | 0,34 | 0,32-0,37 |
Wohnort** | ||||||||
alte Länder | 492 | 100 | 0,12 | 0,32 | 0,11 | 0,11-0,12 | 0,32 | 0,30-0,35 |
neue Länder | 74 | 100 | 0,14 | 0,48 | 0,15 | 0,13-0,17 | 0,48 | 0,37-0,61 |
3-Hydroxyphenanthren (BG: 0,004) | ||||||||
Nichtraucher/innen | 566 | 100 | 0,16 | 0,52 | 0,16 | 0,15-0,17 | 0,48 | 0,44-0,52 |
Wohnort*** | ||||||||
alte Länder | 492 | 100 | 0,15 | 0,46 | 0,15 | 0,14-0,16 | 0,44 | 0,40-0,48 |
neue Länder | 74 | 100 | 0,22 | 0,79 | 0,22 | 0,19-0,27 | 0,81 | 0,62-1,06 |
4-Hydroxyphenanthren (BG: 0,008) | ||||||||
Nichtraucher/innen | 566 | 82 | 0,02 | 0,25 | 0,02 | 0,02-0,03 | 0,19 | 0,16-0,23 |
Wohnort | ||||||||
alte Länder | 492 | 82 | 0,02 | 0,22 | 0,02 | 0,02-0,03 | 0,18 | 0,15-0,21 |
neue Länder | 74 | 83 | 0,03 | 0,52 | 0,03 | 0,02-0,04 | 0,30 | 0,19-0,49 |
E Hydroxyphenanthren (1, 2/9, 3, 4) | ||||||||
Nichtraucher/innen | 566 | / | 0,52 | 1,53 | 0,52 | 0,49-0,55 | 1,51 | 1,39-1,63 |
Wohnort*** | ||||||||
alte Länder | 492 | / | 0,50 | 1,48 | 0,50 | 0,47-0,52 | 1,39 | 1,28-1,51 |
neue Länder | 74 | / | 0,70 | 2,13 | 0,71 | 0,61-0,83 | 2,29 | 1,79-2,94 |
N | Stichprobenumfang; |
%>BG | Anteil der Werte ab der BG (BG: Bestimmungsgrenze; Werte < BG wurden mit BG/2 berücksichtigt); |
50.P., 95.P. | Stichprobenperzentil; |
GM | geometrischer Mittelwert |
KI-GM | Konfidenzintervall des GM; |
PP95 95. | Populationsperzentil; |
KI-PP95 | 95 %-Konfidenzintervall des PP95; |
1) bei der Berechung des PP95 und KI-PP95 wurden nur Proben mit einem Kreatiningehalt zwischen 0,3 und 3,0 g/l Urin berücksichtigt; Signifikanzprüfung: t-Test bzw. Varianzanalyse (Unterschiede der GM): *) (p < 0,05); **) (p < 0,01); ***) (p < 0,001) |
Auch bei den OH-Phenanthrenen spiegelt der mittlere Gehalt das Rauchverhalten wider, jedoch sind bei 1- und 4-OH-Phenanthren die Unterschiede nicht signifikant. Vor dem Hintergrund, dass Zigarettenrauch PAK enthält [17], sind diese Ergebnisse plausibel. Für die Ableitung der Referenzwerte für PAK-Metabolite im Urin zieht die Kommission daher nur die
Tabelle 2: Referenzwerte für PAK-Metabolite im Urin der drei- bis 14-jährigen Kinder in Deutschland
Metabolit | Personengruppe | Bezugsjahr* | Referenzwert |
1-Hydroxypyren | nicht aktiv rauchende Kinder (3 bis 14 Jahre) | 2003-2006 | 0,5 µg/l |
1-Hydroxyphenanthren | nicht aktiv rauchende Kinder (3 bis 14 Jahre) | 2003-2006 | 0,6µg/I |
2/9-Hydroxyphenanthren | nicht aktiv rauchende Kinder (3 bis 14 Jahre) | 2003-2006 | 0,4 µg/l |
3-Hydroxyphenanthren | nicht aktiv rauchende Kinder (3 bis 14 Jahre) | 2003-2006 | 0,5µg/I |
4-Hydroxyphenanthren | nicht aktiv rauchende Kinder (3 bis 14 Jahre) | 2003-2006 | 0,2 µg/I |
E Hydroxyphenanthrene (1, 2/9,3,4) | nicht aktiv rauchende Kinder (3 bis 14 Jahre) | 2003-2006 | 1,5 µg/I |
*) Zeitraum, in dem diezugrunde liegende Studie durchgeführt wurde |
Daten der nicht rauchenden Kinder heran.
Mit Ausnahme von 4-OH-Phenanthren sind alle untersuchten PAK-Metabolite im Urin von Kindern aus den neuen Bundesländern höher als bei den Kindern aus den alten Bundesländern. Es ist davon auszugehen, dass diese höheren korporalen Belastungen mit höheren PAK-Belastungen in der Luft in den neuen Ländern auf Grund von höheren Emissionen durch Hausbrand und Industrie einhergehen. Bei den Untersuchungen des Umwelt-Surveys 1990/92 waren diese regionalen Unterschiede noch stärker ausgeprägt als jetzt im KUS 2003/2006 [13], sodass davon ausgegangen werden kann, dass sich das Belastungsniveau in den neuen und alten Ländern in den kommenden Jahren weiter annähern wird. Vor diesem Hintergrund werden keine getrennten Referenzwerte für PAK-Metabolite im Urin von Kindern aus den neuen und aus den alten Bundesländern abgeleitet.
Die Kommission hatte 2005 basierend auf den Daten des Umwelt-Surveys 1998 und der Pilotstudie zum KUS einen Referenzwert für 1-Hydroxypyren im Urin der drei- bis 69-jährigen nicht rauchenden Allgemeinbevölkerung abgeleitet [17, 18]. Für Hydroxyphenanthrene hatte die Kommission keine Referenzwerte abgeleitet, weil die damalige Datenbasis zur Hydroxyphenanthrenausscheidung deutlich kleiner war als diejenige für Hydroxypyren [17]. Der bestehende Referenzwert für 1-Hydroxypyren im Urin wird aufgrund der Daten des bevölkerungsrepräsentativen KUS für die drei- bis 14-jährigen nicht rauchenden Kinder in Deutschland bestätigt. Darüber hinaus hat die Kommission erstmalig für Hydroxyphenanthrene im Urin der drei- bis 14-jährigen nicht rauchenden Kinder Referenzwerte abgeleitet.
Referenzwerte
Der Referenzwert ist definiert als das 95. Perzentil der Messwerte der Stoffkonzentration in dem entsprechenden Körpermedium der jeweiligen Referenzpopulation [4]. Er wird aus dem 95%-Konfidenzintervall des 95. Populationsperzentils abgleitet und möglichst als gerundeter Zahlenwert angegeben. Basierend auf den Daten des KUS 2003-2006 werden anhand der Kennwerte (Tabelle 1) der folgende Referenzwert bestätigt:
und die folgenden Referenzwerte erstmalig abgeleitet:
Die aktuellen Referenzwerte sind in der Tabelle 2 aufgeführt. Bei der Anwendung von Referenzwerten ist grundsätzlich die analytische Messunsicherheit zu berücksichtigen, das heißt bei der Bewertung von HBM-Messwerten ist sicherzustellen, dass die Analysen unter den Bedingungen der internen und externen Qualitätssicherung durchgeführt wurden [20]. Dies zeigen die Erfahrungen aus den Ringversuchen der arbeits- und umweltmedizinischtoxikologischen Analysen, die von der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin durchgeführt werden [21]. Weiteres zur analytischen Bestimmung der PAK-Metabolitenkonzentrationen im Urin ist den Arbeiten der DFG [22], Lintelmann und Angerer [23] und bezüglich 1-Hydroxypyren im Urin der Stellungnahme der Kommission [17] sowie Grundsätzliches zur chemischen Analytik der Stellungnahme zur Qualitätssicherung für das Human-Biomonitoring zu entnehmen [24]. Darüber hinaus ist bei der Beurteilung, ob eine Überschreitung des Referenzwertes vorliegt, darauf zu achten, dass der Kreatiningehalt im Urin zwischen 0,5 und 2,5 g/l lag [19].
Es sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Referenzwerte statistisch ermittelte Werte sind, die per se nichts über die gesundheitliche Bedeutung der Belastung aussagen. Das heißt, eine Überschreitung des Referenzwertes muss keine Gesundheitsgefahr bedeuten, ebenso wie eine Unterschreitung des Wertes nicht beweist, dass keine Gesundheitsgefahr besteht. Referenzwerte werden für die Beurteilung, ob bestimmte Personengruppen oder Einzelpersonen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung besonders stark mit einem Schadstoff belastet sind, eingesetzt.
Maßnahmen bei Überschreitung des Referenzwertes
In den Fällen, in denen der Referenzwert überschritten ist, sind Kontrollmessungen angezeigt. Extrem verdünnte oder konzentrierte Urinproben sind für Kontrolluntersuchungen auszuschließen. Zuverlässige und bestätigte Überschreitungen der Referenzwerte sollten Anlass für eine umweltmedizinische Quellensuche im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sein. Als Quellen sind zusätzlich zum aktiven und passiven Tabakrauchen unter anderem zu berücksichtigen: Belastungen der Innenraumluft durch Kleinfeuerungsanlagen mit fossilen Brennstoffen, offene Kamine; Baumaterialien, wie zum Beispiel der Verzehr von gegrillten und geräucherten Speisen. Auch Wohnen in der Nähe von Emittenten wie zum Beispiel Kokereien kann eine zusätzliche innere PAK-Belastung bewirken, wie die Hot Spot Studie NRW zeigte [25, 26].
Weitere Informationen zur Arbeit der Kommission Human-Biomonitoring des Umweltbundesamtes stehen zur Verfügung unter: http://www.uba.de/gesundheit/monitor/index.htm. Eine englischsprachige Veröffentlichung zu diesen Referenzwerten erfolgt von Schulz et al. 2009 [27].
Literatur
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