Für einen individuellen Ausdruck passen Sie bitte die Einstellungen in der Druckvorschau Ihres Browsers an. Regelwerk |
Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Anwendung der §§ 19a bis 19f Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in Brandenburg, insbesondere zur Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-Richtlinie
- Brandenburg -
Vom 24. Juni 2000
(Amtsblatt Bbg. 2000 S. 358)
.red. Anm. Die §§ 19a bis 19 f Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung vom 21. September 1998 (BGBl. I S. 2994) sind Im Bundesnaturschutzgesetz in der Fassung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542) (BNatSchG), zuletzt geändert durch Artikel 4 Nr. 100 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154, 3207), finden sich diese Regelungen jetzt primär in den §§ 31 bis 36.
Dieser Erlass dient ausschließlich der Anwendung der §§ 19a bis 19f BNatSchG im Land Brandenburg. Er ist auf alle von der Brandenburgischen Landesregierung gemeldeten FFH-Gebiete und die in Brandenburg liegenden Europäischen Vogelschutzgebiete anzuwenden (im Folgenden "Natura 2000"-Gebiete). Nicht erfasst werden Landschaftselemente nach Art. 10 der Richtlinie des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) 1.
1. Vorbemerkungen
1.1 Allgemeines
Durch die §§ 19a bis 19f BNatSchG 2 wurde die FFH-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Die Richtlinie verfolgt das Ziel, ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung "Natura 2000" zu errichten und zu erhalten. Hauptziel dieser Richtlinie ist es, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, wobei jedoch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Anforderungen berücksichtigt werden sollen. Das gemäß dieser Leitlinie zu entwickelnde Netz besteht aus Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie umfassen; es muss den Fortbestand eines günstigen Erhaltungszustandes dieser Lebensraumtypen und Habitate der Arten gewährleisten.3 Das Netz "Natura 2000" umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) 4 ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.
1.2 Rechtsgrundlagen
Die Vorschriften des BNatSchG gelten teilweise unmittelbar, teilweise müssen sie in Landesrecht umgesetzt werden. Unmittelbar gelten folgende Vorschriften:
§ 19a Abs. 2 enthält die grundlegenden Begriffsdefinitionen, § 19b befasst sich mit der Auswahl der Gebiete und ihrem Schutz durch die Länder, § 19d enthält die Regelungen für Pläne, § 19e stellt die Sonderregelung für genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und stoffliche Belastungen dar, § 19f regelt das Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften.
Folgende Vorschriften gelten für eine Übergangszeit bis zur Umsetzung in Landesrecht, längstens bis zum 8. Mai 2003, unmittelbar (§ 39 Abs. 1):
§ 19b Abs. 5 regelt den vorläufigen Schutz von Natura 2000-Gebieten, § 19c befasst sich mit der Verträglichkeits- und Aufnahmeprüfung und ihren Rechtsfolgen, § 19d Satz 1 Nr. 2 führt die Verträglichkeitsprüfung für Pläne ein.
Außerhalb des BNatSchG sind noch folgende in anderen Gesetzen enthaltene Vorschriften, die die FFH-Richtlinie ebenfalls umsetzen, maßgebend:
1.3 In-Kraft-Treten der Verwaltungsvorschrift; Rechtswirkungen
Die Liste der FFH-Gebiete wird als Ergebnis der Kabinettsentscheidung für die Meldung an die EU-Kommission zusammen mit Karten und Gebietsinformationen im Amtsblatt für Brandenburg veröffentlicht. Mit der zweiten Tranche kommt das Land Brandenburg seiner Pflicht nach, eine vollständige und abschließende Liste von FFH-Gebieten vorzulegen. Durch die Veröffentlichung sind die FFH-Gebiete genau bekannt und wird insofern Rechtssicherheit hergestellt. Zeitgleich mit der Veröffentlichung tritt diese Verwaltungsvorschrift (VV) in Kraft.
Zusätzlich macht das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die FFH-Gebietc, die die Kommission in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen hat, und die Vogelschutzgebiete nach § 19a Abs. 4 im Bundesanzeiger bekannt. Wegen unmittelbarer Rechtswirkungen der FFH-Richtlinie 5 hat der dann einsetzende vorläufige gesetzliche Schutz nach § 19b Abs. 5 keine eigenständige Bedeutung mehr.
Für die gemeldeten Gebiete besteht ein Verschlechterungsverbot, kein generelles Veränderungsverbot, auch kein Verbesserungsgebot. Die gemeldeten Gebiete können in unterschiedlicher Weise unter Schutz gestellt werden: Durch Schutzgebietsausweisungen, durch vertragliche Vereinbarungen und durch Schutzmaßnahmen nach anderen Fachgesetzen (§ 19b Abs. 2 bis 4); hierfür steht der Zeitraum bis zum Jahre 2004 zur Verfügung. Unter den Voraussetzungen des § 19c Abs. 3 bis 5 sind Ausnahmen vom Gebietsschutz möglich (vgl. 4.).
1.4 Verträglichkeitsprüfung; Verhältnis zur Umweltvertraglichkeitsprüfung und zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung
Nach § 19c Abs. 1 Satz 1 ist vor der Zulassung oder Durchführung eines Projektes im Sinne des § 19a Abs. 2 Nr. 8 dessen Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines "Natura 2000"-Gebietes zu untersuchen.
Die Untersuchung zur Verträglichkeit ist regelmäßig in die gutachterlichen Ausarbeitungen im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsstudic oder eines landschaftspflegerischen Begleitplans integrierbar. Die über diese Ausarbeitungen hinausgehende Untersuchung zur Verträglichkeit beschränkt sich auf die weiter gehenden speziellen Erhaltungsziele des jeweiligen "Natura 2000"-Gebiets. Die Prüfung, ob für das zur Entscheidung anstehende Projekt eine Verträglichkeitsprüfung(VP) erforderlich ist, und das Ergebnis der VP sind gesondert darzustellen. Abweichend von § 12 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) entfaltet das Ergebnis der VP eigene Rechtswirkungen nach § 19c Abs. 2.
Die VP ersetzt nicht die Anwendung der Eingriffsregelung (ER) nach den §§ 10 ff. des Brandenburgischen Naturschutzgesetzes (BbgNatSchG) und die Vorschriften über die Integration der ER in die Bauleitplanung nach § 8 (vgl. § 19f Abs. 3).
2. Prüfschritte für Projekte
Bei der Prüfung von Vorhaben und Maßnahmen auf ihre Zulässigkeit nach den FFH-Vorschriften sind folgende Prüfschritte zu unterscheiden:
2.1 Projektbegriff
Die Projektdefinition in § 19a Abs. 2 Nr. 8 untergliedert sich in 3 Fallgruppen (Buchstaben a), b) und c)). Ein Vorhaben kann mehrere dieser Varianten erfüllen.
Buchstabe a) erfasst antrags- und anzeigepflichtige sowie von einer Behörde durchgeführte Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines "Natura 2000"-Gebietes.
Buchstabe b) erfasst zulassungspflichtige Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne von § 10 BbgNatSchG.
Buchstabe c) erfasst nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen und Gewässerbenutzungen, die nach dem WHG einer Erlaubnis oder einer Bewilligung bedürfen.
Die Buchstaben b) und c) können ausnahmsweise auch auf Projekte zur Anwendung kommen, die außerhalb eines "Natura 2000"-Gebietes liegen, das Gebiet aber erheblich beeinträchtigen können.
Der Projektbegriff ist nur erfüllt, wenn die o. g. Vorhaben der Fallgruppen n), b) und c) überhaupt geeignet sind, ein "Natura 2000"-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.
Im Einzelfall können auch Summenwirkungen, d. h. das Zusammenwirken mehrerer Projekte, zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen (§ 19a Abs. 2 Nr. 8).
Hinsichtlich der Eignung ist eine überschlägige Einschätzung vorzunehmen. Sind auf Grund dieser Einschätzung erhebliche Beeinträchtigungen nicht zu erwarten, ist der Projektbegriff nicht erfüllt und keine VP erforderlich. Kriterien für diese Einschätzung sind die Größe der Maßnahme, die Empfindlichkeit der Schutzgüter sowie die Schwere und Dauer der Auswirkungen.
Die Eignung, erhebliche Beeinträchtigungen auszulösen, kann bereits dann verneint werden, wenn sich dies unter Zugrundelegung bisheriger Erfahrungswerte (ohne genauere Untersuchungen) aufdrängt.
Folgende Vorhaben und Maßnahmen sind nach der o.g. Vermutungsregel regelmäßig nicht geeignet, erhebliche Beeinträchtigungen auszulösen:
Vorhaben, die grundsätzlich einer Planfeststellungspflicht unterliegen, sind regelmäßig Projekte im Sinne des § 19a Abs. 2 Nr. 8. Ausgenommen davon sind Planfeststellungsverfahren nach § 31 WHG, soweit es sich um wasserbauliche Vorhaben in Ausführung rechtsverbindlicher Braunkohlen- und Sanierungspläne handelt.
Die Unterhaltung, Instandsetzung, Überwachung und Grunderneuerung von Verkehrsinfrastruktur (z.B. Entwicklung von Verkehrsknoten, Abbiegespuren), von Ver- und Entsorgungsleitungen/-anlagen, Sportanlagen, Feld- und Waldwegen sowie gemeindlichen Reit-, Rad- und Wanderwegen stellen keine Projekte dar und bedürfen dementsprechend keiner Prüfung auf. Verträglichkeit gemäß den §§ 19a bis 19f.
2.2 Anwendbarkeit der VP im Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften
Liegt ein Projekt im Sinne von § 19a Abs. 2 Nr. 8 vor, ist die Verträglichkeit zu prüfen. Das in § 19f geregelte Verhältnis zu anderen Rechtsvorschriften ist zu beachten.
a) Beplanter Innenbereich (§ 19f Abs. 1 Satz 1)
Für die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen gemäß § 29 Abs. 1 BauGB innerhalb des Geltungsbereiches von rechtsverbindlichen Bebauungsplänen ist eine VP nicht erforderlich (vgl. § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB).
Vor der Erteilung von Baugenehmigungen nach § 33 BauGB ist gegebenenfalls die vorherige Durchführung der VP im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans erforderlich, ansonsten fehlt die erforderliche Planreife.
b) Unbeplanter Innenbereich, Außenbereich sowie planfeststellungsersetzende Bebauungspläne (§ 19f Abs. 1 Satz 2)
Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB, die als Projekte einzustufen sind, unterfallen einer VP (§ 29 Abs. 3 BauGB).
Vorhaben im baulichen Außenbereich nach § 35 BauGB, sofern sie Projekte darstellen, sowie eine Planfeststellung ersetzende Bebauungspläne sind ebenfalls einer VP zu unterziehen (§ 19f Abs. 1 Satz 2).
c) Regelungen durch andere naturschutzrechtliche Vorschriften (§ 19f Abs. 2)
Andere naturschutzrechtliche Ge- und Verbotsvorschriften sind insoweit anzuwenden, als sie strengere Anforderungen stellen als die §§ 19c und 19e (§ 19f Abs. 2 Satz 1). Allerdings bleiben die Pflichten zur Beteiligung bzw. Unterrichtung der Kommission unberührt (§ 19f Abs. 2 Satz 2).
Sollte bereits aus anderen naturschutzfachlichen Gründen eine Befreiung oder Ausnahmegenehmigung versagt werden müssen, erübrigt sich eine VR.
_________________
1) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (ABl. EG Nr. L 206 vom 22.07.1992 S. 7) zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen; der Umsetzung dienen ferner die §§ 20ff. BNatSchG i.d.F des 2. BNatSchG-ÄnderungsG vom 30. April 1998 (BGBl. I S. 823)
2) §§ ohne Gesetzesangaben sind im Folgenden solche des BNatSchG
3) Art. 3 Abs. 1 FFH-Richtlinie; nach Art. 1 Buchstabe e) und i) FFH-Richtlinie wird der Erhaltungszustand der Arten in ihren natürlichen Lebensräumen im Wesentlichen dann als günstig eingestuft, wenn
4) Richtlinie des Rates vom 2. April 1979 (ABl. EG Nr. L 103 vom 25.04.1979 S. 1) über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (79/409/EWG)
5) Auf die Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung (der FFH-Richtlinie) wird hingewiesen, vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998, NuR 1998, S. 544 ff., EuGH, Urt. v. 02.08.1993, Rs. C-355/90, NuR t994, S. 521 ff.; Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-431/92, NuR 1996, S. 102 (104)
weiter. |