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Hinweise und Empfehlungen zur naturschutzrechtlichen Kompensation;
Berücksichtigung der agrarstrukturellen Belange
- Schleswig-Holstein -
Vom 30. März 2011
(Amtsbl.
Schl.-H. Nr. 15 vom 11.04.2011 S. 216)
Gl.-Nr.: 7911.85
Einführung
Die aktuelle naturschutzrechtliche Eingriffsregelung will einerseits zur Rechtssicherheit von Vorhaben beitragen und andererseits die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzflächen für Kompensationsmaßnahmen aufgrund der wachsenden Flächenkonkurrenzen begrenzen. § 13 BNatSchG regelt die Stufenfolge der Eingriffsregelung als abweichungsfesten Grundsatz im Sinne von Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 GG. Den Verursacher eines Eingriffs trifft hiernach die Pflicht, Beeinträchtigungen vorrangig zu vermeiden, auszugleichen oder zu ersetzen. Ausgleich und Ersatz sind damit gleichgestellt. Im Ergebnis müssen die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts vollständig wiederhergestellt und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet werden. Erst wenn eine Realkompensation nicht möglich ist, kommt eine Ersatzzahlung in Betracht.
Das novellierte Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542) und das Gesetz zum Schutz der Natur (Landesnaturschutzgesetz - LNatSchG) vom 24. Februar 2010 (GVOBl. Schl.-H. S. 301) weisen in diesem Spannungsfeld eine Reihe von Änderungen auf, die auch den Vollzug der Eingriffsregelung betreffen. Hierzu gehört u.a. die stärkere Berücksichtigung agrarstruktureller Belange bei der Kompensationsflächenplanung. Es soll auf die Ansprüche der landwirtschaftlichen Bodennutzung Rücksicht genommen werden, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden. Darüber hinaus sind die Suchräume für Ersatzmaßnahmen mit gleichzeitiger Änderung des § 8 der Ökokontoverordnung nochmals deutlich vergrößert worden.
Zur Umsetzung dieser neu eingeführten Bestimmungen zur Eingriffsregelung werden im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr nachstehende Hinweise und Empfehlungen gegeben. Es besteht die Zielsetzung, potentielle Win-Win-Situationen und Synergien, die sich aus einer sowohl kreativen wie auch sachgemäßen Anwendung der Eingriffsregelung ergeben, aufzuzeigen. Der Erlass enthält keine Ausführungen zum Vollzug der Bestimmungen des sonstigen Naturschutzrechts (Artenschutz, Natura 2000-Gebietsschutz).
1. Kompensationsmaßnahmen in Natura 2000-Gebieten.
Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG können Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten auch als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme anerkannt werden. Es bietet sich sogar an, da damit gleichzeitig auch auf die Belange der Landwirtschaft Rücksicht genommen wird. Diese Maßnahmen ergeben sich insbesondere aus den Managementplänen, die entweder im Internet (in Vorbereitung), bei den unteren Naturschutzbehörden, beim MLUR oder LLUR verfügbar sind und abgefragt werden können. Anrechenbar sind alle Maßnahmen, die den Gebietszustand gegenüber dem Zeitpunkt der Benennung des Gebietes verbessern und deren Durchführung nicht als Nachholen zuvor unterlassener Erhaltungsmaßnahmen anzusehen sind. In Betracht kommen insbesondere auch die Maßnahmen, die der Wiederherstellung eines "günstigen Erhaltungszustandes" (Artikel 1 Buchstabe e und i FFH-RL) dienen.
Ausgeschlossen sind Maßnahmen, die erforderlich sind, um den Zustand des Gebietes zu erhalten bzw. eine Verschlechterung des Gebietes zu verhindern ("Erhaltungsmaßnahmen" im engeren Sinne des Artikels 6 Absatz 1 FFH-RL bzw. Umsetzung des Verschlechterungsverbots, Artikel 6 Absatz 2 FFH-RL).
2. Ermittlung der vorrangig für die Kompensation zu prüfenden Flächen
Bevor für die Eingriffskompensation Flächen aus der Nutzung genommen werden, ist gemäß § 15 Abs. 3 BNatSchG i.V.m. § 9 Abs. 3 LNatSchG vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch nachfolgende Maßnahmen erbracht werden kann. Dabei besteht das Ziel, dass die Flächeninanspruchnahme von landwirtschaftlich genutzten Flächen im Rahmen der Gesamtkonzeption möglichst nicht größer als diejenige für den Eingriff ist (teilweise Überschneidung der Maßnahmentypen):
Alle Angaben zu den o.g. gesetzlichen Vorgaben hat gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG der Verursacher beizubringen. Die entsprechenden Angaben müssen den fachlichen und rechtlichen Plausibilitätsanforderungen genügen, ohne den Vorhabenträgern unzumutbare Prüfanforderungen aufzuerlegen (Verhältnismäßigkeit der dem Vorhabenträger auferlegten Beibringungspflicht).
Soweit aufgrund einer öffentlichen Förderung eine Verpflichtung zur Durchführung der Maßnahme besteht, ist eine Anrechnung ausgeschlossen.
Zur Lösung wird folgender Weg empfohlen:
Hier handelt sich um große Vorhaben mit entsprechendem Kompensationsbedarf. Der Vorhabenträger hat in diesen Fällen die o.g. erforderlichen Angaben gemacht, wenn er insbesondere hinsichtlich der vorrangigen Kompensationsmaßnahmen eine Abfrage bei den einschlägigen Stellen macht:
Bei Vorhaben mit einem Kompensationserfordernis von bis zu 4.000 m2 oder sofern der Vorhabenträger eine in seinem Eigentum befindende geeignete Fläche als Kompensationsfläche zur Verfügung stellt, entfällt die o.a. Flächenabfrage bei der LGSH.
Durch die Einbeziehung der Landgesellschaft Schleswig-Holstein als Siedlungsunternehmen gemäß § 1 Reichssiedlungsgesetz werden gleichzeitig die Belange der Agrarstruktur in das Zulassungsverfahren eingebracht (§ 15 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG).
Die Prüfung vorrangiger Maßnahmen (Entsiegelung, Wiedervernetzung von Lebensräumen, Bewirtschaftungs- und Pflegemaßnahmen und Aufwertung nicht landwirtschaftlich genutzter Flächen gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 BNatSchG i.V.m. § 9 Abs. 3 LNatSchG) ist zwingend durchzuführen. Von dem Prüfergebnis hängt ab, ob solche Maßnahmen zur Verfügung stehen und realisierbar sind. Soweit die Prüfung ergibt, dass vorrangig zu prüfende Maßnahmen zwar realisierbar sind, die zuständige Behörde aus besonderen Gründen aber gleichwohl entscheidet, dass sie nicht als Kompensation festgesetzt werden, z.B. aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (z.B. wenn die spezielle Kompensation um ein Vielfaches teurer als eine andere ebenso taugliche Ersatzmaßnahme wäre), hat sie dieses zu begründen.
Im Rahmen der Zulassungsverfahren soll die Naturschutzbehörde die Genehmigungsbehörden und Vorhabenträger rechtzeitig auf das o.a. Vorgehen hinweisen und, soweit erforderlich, Hilfestellungen anbieten.
Des Weiteren ist der Vorhabenträger von der zuständigen Naturschutzbehörde gemäß § 5 Ökokontoverordnung über gegebenenfalls vorhandene Ökokonten zu informieren. Mit Ökokonten liegen bevorratete Kompensationsflächen im Sinne einer Angebotsplanung vor, die zu einer konfliktfreien Umsetzung der für einen Eingriff erforderlichen Kompensation beitragen.
3. Umfang der Flächeninanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen
Nach § 9 Abs. 3 LNatSchG soll die Flächeninanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen im Rahmen der Gesamtkonzeption auch bei Eingriffen auf höherwertigen Flächen möglichst nicht größer als diejenige für den Eingriff sein. Die Berücksichtigung dieser Bestimmung wird im Zulassungsverfahren geprüft. Ist die Flächeninanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen aus besonderen Gründen größer als diejenige für den Eingriff, hat die Zulassungsbehörde diese Gründe darzulegen.
4. Artenschutzmaßnahmen zur Aufwertung von Kompensationsflächen
Die Durchführung zusätzlicher Maßnahmen des Naturschutzes auf einer Kompensationsfläche stellt eine weitere Möglichkeit dar, den Flächenbedarf für die Kompensation zu reduzieren. Damit kann die für die Kompensation vorgesehene Fläche stärker ökologisch aufgewertet und folglich mit einem höheren Anrechnungsfaktor in die Eingriffs-Ausgleichs-Bilanz eingestellt werden. Dies dient auch der Schonung landwirtschaftlicher Flächen. Das Artenhilfsprogramm des MLUR (2008) bietet hierfür den naturschutzfachlichen Hintergrund und zeigt die diesbezüglichen EU-rechtlichen Erfordernisse auf. Im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen kann unterstützend zur Umsetzung des Programms beigetragen werden. Als derartige zusätzliche Maßnahmen kommen insbesondere Maßnahmen mit positiven Wirkungen auf den Artenschutz in Betracht (siehe Artenhilfsprogramm Schleswig-Holstein 2008).
5. Bestimmung von "landwirtschaftlich genutzten Flächen"
Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind alle Flächen, für die nach den Bestimmungen der EU Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik gewährt werden können (vergleiche Artikel 34 der VO (EG) Nummer 73/2009). Dies umfasst sowohl die bewirtschaftete (Netto-) Fläche als auch angrenzende Landschaftselemente (LE) (§ 5 Abs. 1 und 2 DirektZahlVerpflV).
Im Umkehrschluss bedeutet es, dass landwirtschaftlich genutzte Flächen, die aufgrund von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen dauerhaft überwiegend nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden können, nicht mehr als landwirtschaftlich genutzte Flächen gelten bzw. "aus der Nutzung genommen" sind.
6. Zusammenfassung
Die neuen gesetzlichen Grundlagen bieten viele Möglichkeiten, die Flächenkonkurrenz zwischen Naturschutz und Landwirtschaft für beide Seiten in einem vertretbaren Maß zu begrenzen. In diesem Zusammenhang ist die Multifunktionalität von Kompensationsmaßnahmen, die nach Maßgabe EU rechtlicher Vorgaben auch Maßnahmen des Artenschutzes einbeziehen sollen, nochmals nachdrücklich hervorzuheben.
7. Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Dieser Erlass tritt am Tage nach seiner Bekanntmachung in Kraft und mit Ablauf von fünf Jahren nach seiner Bekanntmachung außer Kraft.
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