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Regelwerk, Techn. Regeln, AMR
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AMR 3.3 - Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge
Arbeitsmedizinische Regel (AMR)

Vom 2. November 2022
GMBl. Nr. 43 vom 19.12.2022 S. 978; ber. 25.01.2023 S. 45 23)



Die Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) geben den Stand der Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse wieder. Sie werden vom

Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed)

ermittelt oder angepasst und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl) bekannt gegeben.

Diese AMR konkretisiert im Rahmen ihres Anwendungsbereichs folgende Regelungen der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV): § 1 Absatz 1, § 2 Absatz 1 Nummer 2, 3, 4 und 5, § 3 Absatz 1 Satz 4, § 3 Absatz 2 Satz 1 und 3, § 3 Absatz 3 Satz 2, § 5a, § 6 Absatz 1 Satz 2 und 3 und § 6 Absatz 4 Satz 1. Bei Einhaltung der Regeln und Erkenntnisse dieser AMR ist davon auszugehen, dass die gestellten Anforderungen der Verordnung erfüllt sind (§ 3 Absatz 1 Satz 3 ArbMedVV). Soweit der Arbeitgeber ein von diesen Regeln abweichendes Vorgehen wählt, muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen. Der Arzt oder die Ärztin im Sinne des § 7 ArbMedVV hat diese AMR als dem Stand der Arbeitsmedizin entsprechende Regel zu berücksichtigen (§ 6 Absatz 1 Satz 1 ArbMedVV).

1 Vorbemerkungen und Zielsetzungen

(1) Die Regelungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge sind in der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und den dazu veröffentlichten arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) enthalten. Bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge müssen alle Arbeitsbedingungen und alle arbeitsbedingten Gefährdungen berücksichtigt werden, die Auswirkungen auf die Gesundheit und den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit haben können. Die arbeitsmedizinische Vorsorge wird auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der Gefährdungsbeurteilung und unter Berücksichtigung der ärztlichen Kenntnis des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen ausgeübt. Der Arzt oder die Ärztin beschränkt sich bei der Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge daher nicht auf einzelne Vorsorgeanlässe. Arbeitsmedizinische Vorsorge kann technische und organisatorische Schutzmaßnahmen wirksam ergänzen, nicht aber ersetzen (AMR 3.2 "Arbeitsmedizinische Prävention" Nummer 4 Absatz 1). Die Auswertung der im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge gewonnenen Erkenntnisse ermöglicht ihre Nutzung für die Gefährdungsbeurteilung und für Maßnahmen des Arbeitsschutzes (§ 2 Absatz 1 Nummer 4 ArbMedVV). Die arbeitsmedizinische Vorsorge dient unter anderem der Aufdeckung arbeitsbedingter Gefährdungen. Die ArbMedVV beschreibt so einen ganzheitlichen Ansatz arbeitsmedizinischer Vorsorge, der neben individueller Gesundheitsvorsorge auch medizinischen und technischen Arbeitsschutz umfasst.

(1) Diese AMR konkretisiert die Regelungen der ArbMedVV. Sie soll zu einer ganzheitlichen Praxis arbeitsmedizinischer Vorsorge und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes beitragen.

2 Begriffsbestimmungen

2.1 Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge

(1) Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge im Sinne dieser AMR berücksichtigt alle Arbeitsbedingungen und alle arbeitsbedingten Gefährdungen sowie die individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit (§ 2 Absatz 1 Nummer 2 ArbMedVV). Damit trägt die arbeitsmedizinische Vorsorge zur Stärkung des betrieblichen Gesundheitsschutzes und der individuellen Gesundheit der Beschäftigten bei. Sie kann eine Überprüfung der Arbeitsbedingungen, eine Beratung zur Notwendigkeit weiterer diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen, zur Rehabilitation beziehungsweise Teilhabe oder zur betrieblichen Gesundheitsförderung beinhalten.

(2) Soweit es aus medizinischer Sicht angezeigt ist, werden körperliche oder klinische Untersuchungen mit Bezug zur Arbeitssituation bzw. zur Gefährdungsbeurteilung angeboten.

(3) Die Durchführung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung ist nicht Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Diese richtet sich nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch.

2.2 Anamnese/Arbeitsanamnese

(1) Die ärztliche Anamnese im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorge umfasst die aktuellen Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen der oder des Beschäftigten, zu seiner oder ihrer physischen und psychischen Gesundheit, zur gesundheitlichen Vorgeschichte und bei Bedarf auch zur Familienanamnese. Die Arbeitsanamnese im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorge umfasst darüber hinaus Angaben zur Erwerbsbiografie einschließlich möglicherweise gefährdender Bedingungen.

(2) Diese Angaben können durch Unternehmensinformationen zu Beschäftigungsmerkmalen und Arbeitsbedingungen ergänzt werden, soweit diese im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge von Bedeutung sein können, insbesondere Angaben zu Arbeitszeitsystemen, Expositionsdaten und zur Gefährdungsbeurteilung.

2.3 Vorsorgeanlass

(1) Der Arbeitgeber hat Pflicht- und Angebotsvorsorge nach Maßgabe des Anhangs der ArbMedVV zu veranlassen bzw. anzubieten. Im Anhang der ArbMedVV sind Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, Biostoffen, Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen sowie sonstige Tätigkeiten, die zu arbeitsbedingten Erkrankungen führen können, aufgeführt. Bei diesen Tätigkeiten hat der Arbeitgeber Pflicht- oder Angebotsvorsorge zu veranlassen bzw. anzubieten, wenn in der Gefährdungsbeurteilung entsprechende Gefährdungen festgestellt werden.

(2) Auf Wunsch des Beschäftigten ist arbeitsmedizinische Wunschvorsorge unabhängig von einem Vorsorgeanlass nach Maßgabe des Anhangs der ArbMedVV bei allen Tätigkeiten zu ermöglichen, bei denen ein Gesundheitsschaden nicht ausgeschlossen werden kann.

2.4 Arbeitsbedingte Erkrankungen

Arbeitsbedingte Erkrankungen sind Erkrankungen, die ganz oder teilweise durch die Arbeit verursacht oder verschlimmert werden. Eine arbeitsbedingte Erkrankung ist anzunehmen, wenn bestimmte Arbeitsverfahren oder -umstände bzw. Verhältnisse am Arbeitsplatz das Auftreten einer Gesundheitsstörung begünstigt oder gefördert haben. Auch das Vorliegen einer individuellen Disposition oder altersbedingte Verschleißerscheinungen können mitursächlich für arbeitsbedingte Erkrankungen sein. Berufskrankheiten im Sinne der Berufskrankheitenverordnung sind immer arbeitsbedingte Erkrankungen, aber nicht alle arbeitsbedingten Erkrankungen führen auch zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Insofern ist die arbeitsbedingte Erkrankung der umfassendere Begriff.

2.5 Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit

Beschäftigungsfähigkeit wird in dieser AMR als die Fähigkeit von Menschen verstanden, im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses Arbeit auszuführen. Die Voraussetzungen dafür sind komplex und umfassen neben fachlichen und sozialen Fähigkeiten auch gesundheitliche Aspekte.

2.6 Weitere Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge

(1) Mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge können Information und Motivation zur Teilnahme an Gesundheitsprogrammen unterstützt und gefördert werden. Angebote betrieblicher Gesundheitsförderung selbst sind jedoch nicht Bestandteil ganzheitlicher arbeitsmedizinischer Vorsorge. Die Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung richten sich nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch.

(2) Weitere Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge sind Gesundheitsprogramme ohne spezifischen Bezug zur Arbeitssituation bzw. zur Gefährdungsbeurteilung (z.B. Krebsvorsorge, Suchtprävention, sportliche Aktivität, Ernährung, Entspannung). Im Rahmen der ärztlichen Beratung soll auf diese Themen eingegangen werden.

3 Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen

(1) Der Arzt oder die Ärztin nach § 7 ArbMedVV soll die aktuellen Arbeitsplatzverhältnisse und alle für die Gesundheit bedeutsamen Gesichtspunkte der Arbeitsorganisation und Arbeitsumgebung durch regelmäßige Arbeitsplatzbegehungen aus eigener Anschauung kennen. Deshalb soll der für das Unternehmen bestellte Betriebsarzt oder die bestellte Betriebsärztin mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge beauftragt werden.

(2) Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sollen an der Gefährdungsbeurteilung beteiligt werden und mitwirken. Der Arbeitgeber muss dem Arzt oder der Ärztin nach § 7 ArbMedVV die Gefährdungsbeurteilung zugänglich machen. Diese ist von dem Arzt oder der Ärztin bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu berücksichtigen.

(3) Der Arzt oder die Ärztin nach § 7 ArbMedVV muss bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge alle Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen berücksichtigen und darf sich nicht auf den Vorsorgeanlass beschränken (§ 6 Absatz 1 Satz 3 ArbMedVV). Auch Gefährdungen aus früheren Beschäftigungsverhältnissen oder außerhalb der im Anhang der ArbMedVV aufgeführten Vorsorgeanlässe sind zu berücksichtigen.

(4) Soweit in der Gefährdungsbeurteilung Gefährdungen festgestellt werden, die im Anhang der ArbMedVV nicht genannt werden, sowie bei Einführung neuer Technologien mit möglichen, noch nicht abschließend beurteilbaren Gefährdungen, kann der Arbeitgeber - neben technischen und organisatorischen Arbeitsschutzmaßnahmen - arbeitsmedizinische Vorsorge ermöglichen (vgl. auch 4.2).

(5) Arbeitsmedizinische Vorsorge dient unter anderem der Feststellung, ob bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung besteht oder aus medizinischer Sicht zu erwarten ist (§ 2 Absatz 1 Nummer 2 ArbMedVV). Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist Gegenstand der individuellen ärztlichen Beratung. Sie stellt keine Eignungsuntersuchung oder -Beurteilung im Auftrag des Arbeitgebers dar.

4 Wunschvorsorge, Vorsorgeanlässe

4.1 Wunschvorsorge

(1) Der Arbeitgeber hat allen Beschäftigten arbeitsmedizinische Wunschvorsorge zu ermöglichen. Mit der Wunschvorsorge wird dazu beigetragen, auf betriebsspezifische und individuelle Gesundheitsgefährdungen zu reagieren und neuen Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz zu begegnen.

(2) Der Arbeitgeber muss die Beschäftigten über die Möglichkeit informieren, eine Wunschvorsorge zu erhalten; dies kann insbesondere im Rahmen der Unterweisung oder einer arbeitsmedizinischen Sprechstunde erfolgen.

(3) Unter Wahrung der Freiwilligkeit für die Beschäftigten können Arbeitgeber die Wunschvorsorge als Beitrag zur ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge auch aktiv bewerben.

4.2 Vorsorge bei Tätigkeiten, die im Anhang der ArbMedVV nicht genannt sind

Der Arbeitgeber hat auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung lässt er sich, wenn erforderlich, vom Betriebsarzt oder von der Betriebsärztin beraten. Soweit der Arbeitgeber bei der Beurteilung der Gefährdungen solche ermittelt, die im Anhang der ArbMedVV nicht genannt sind, soll der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin beteiligt werden um zu beraten, ob arbeitsmedizinische Vorsorge in diesen Fällen als Maßnahme des Arbeitsschutzes angezeigt ist. Im Rahmen dieser Wunschvorsorge gelten die Regelungen der ArbMedVV.

4.3 Bündelung von Vorsorgeanlässen

Ergeben sich aus der Gefährdungsbeurteilung mehrere Vorsorgeanlässe, sollen diese in einem Termin gebündelt werden. Werden mehrere Vorsorgeanlässe gebündelt, erleichtert dies, alle Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. Eine solche Bündelung mehrerer Vorsorgeanlässe dient einer guten Organisation der arbeitsmedizinischen Vorsorge und trägt zur ganzheitlichen Sicht auf die Beschäftigten und ihrer Arbeit bei. Wenn mehrere gefährdende oder besonders gefährdende Tätigkeiten ausgeführt werden, ist für die arbeitsmedizinischen Vorsorgen nach AMR 2.1 eine einheitliche Frist anzustreben.

5 Ärztliche Anamnese und Untersuchungsangebote in der arbeitsmedizinischen Vorsorge

(1) Die Anamnese (allgemeine Anamnese, Familienanamnese, Beschwerdeanamnese, vegetative Anamnese, Arbeitsanamnese) bezieht sich im ersten Schritt auf den Anlass oder die Anlässe der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Es geht dabei um Angaben der Beschäftigten zu spezifischen Beschwerden bzw. klinischen Symptomen unter Berücksichtigung der bekannten Gefährdungen am aktuellen Arbeitsplatz. Die Aussagen des Beschäftigten sollen durch gezielte ärztliche Nachfragen vertieft und erweitert werden, um gesundheitliche Beschwerden hinsichtlich möglicher auslösender Faktoren besser einschätzen zu können.

(2) Ein ganzheitliches Vorgehen erfordert, dass in der Erhebung der Anamnese, insbesondere der Arbeitsanamnese, nicht allein anlassbezogene Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Das betrifft nicht nur gesundheitliche Probleme, sondern auch Nachfragen zu vom Vorsorgeanlass unabhängigen Expositionen oder Anforderungen an aktuellen oder früheren Arbeitsplätzen.

(3) Von besonderer Bedeutung für die Arbeitsanamnese sind:

(4) Arbeitsmedizinische Vorsorge dient der Beurteilung der individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit und der Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen sowie der Feststellung, ob bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung besteht (§ 2 Absatz 1 Nummer 8 2 ArbMedVV). Anamnesefragen sollten deshalb bei allen Vorsorgeanlässen neben Aspekten der physischen Gesundheit auch wesentliche Gesichtspunkte der psychischen Gesundheit umfassen, insbesondere mit Bezug zur Arbeitssituation der Beschäftigten und zur individuellen Bewältigung von Arbeitsanforderungen.

(5) Die Beschäftigungsfähigkeit kann auch durch arbeitsunabhängige chronische Erkrankungen beeinträchtigt werden. Deshalb sollen von dem Arzt oder der Ärztin auch Anamnesefragen zur allgemeinen Gesundheit gestellt werden. Individuelle Anamnesefragen und Untersuchungen unter Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen sind für den Arzt oder die Ärztin die Grundlage für eine arbeitsmedizinische Beratung. Diese trägt zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bei.

(6) Die Anamnesefragen sollen so verfasst und gestellt werden, dass sie gut ausgewertet und dokumentiert werden können (AME Auswertung).

(7) Um Hinweise auf Fehlbeanspruchungen bzw. Hinweise auf arbeitsbedingte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, ist eine Diagnostik mit geeigneten Methoden zu empfehlen. Dies gilt insbesondere für Umstände, bei denen arbeitsbedingte Erkrankungen zu erwarten sind oder bei erhöhten Arbeitsanforderungen besonders häufig zur Einschränkung der Beschäftigungsfähigkeit führen.

(8) Die ärztliche Auswahl der Untersuchungsmethoden orientiert sich an

6 Betriebsärztliche Beratung der oder des Beschäftigten über das Ergebnis und die Befunde der arbeitsmedizinischen Vorsorge

(1) Ein wichtiges Anliegen ganzheitlicher arbeitsmedizinischer Vorsorge ist, die individuellen gesundheitsbezogenen Fragen und Anliegen des oder der Beschäftigten in Bezug auf die Zusammenhänge zwischen seiner beziehungsweise ihrer Gesundheit und den aktuellen oder zurückliegenden beruflichen Belastungen zu berücksichtigen und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zu empfehlen.

(2) Um arbeitsbedingte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu verhüten sowie zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit beizutragen, kann die ärztliche Beratung der Beschäftigten insbesondere umfassen:

7 Auswertung betriebsärztlicher Erkenntnisse

(1) Ärzte und Ärztinnen nach § 7 ArbMedVV beziehungsweise Betriebsärztinnen und Betriebsärzte haben die Erkenntnisse jeder arbeitsmedizinischen Vorsorge auszuwerten (§ 6 Absatz 4 ArbMedVV). Ziel derartiger Auswertungen ist die fundierte Beratung des Arbeitgebers zur Weiterentwicklung des Gesundheitsschutzes, darüber hinaus aber auch der Beschäftigten selbst, ihrer Interessenvertretungen, der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und weiterer Partner im Betrieb.

(2) Ärztliche Auswertungen können auch zur Erkennung arbeitsbedingter Erkrankungen und Berufskrankheiten, Weiterentwicklung von Arbeitsschutzregelungen, Ableitung von Grenzwerten und zur Entwicklung von Gestaltungskriterien für gesundheitsgerechte Arbeit beitragen.

(3) Bei der Durchführung der arbeitsmedizinischen Vorsorge im Betrieb kommt es nicht nur darauf an, auf der Basis der Gefährdungsbeurteilung die einzelnen Beschäftigten zu beraten, sondern Mitarbeitergruppen mit vergleichbaren Arbeitsaufgaben, in identischen Arbeitskontexten (Kohorten) möglichst gemeinsam zu betrachten, um zum Beispiel spezifische Beschwerden und ihre mögliche Auslösung durch arbeitsbedingte Faktoren erkennen zu können.

(4) Derartige Auswertungen über Beschäftigtengruppen sind aggregiert anzufertigen. Rückschlussmöglichkeiten auf einzelne Beschäftigte sind unzulässig. Auswertungen sollen sich vorrangig auf die Häufigkeit (Prävalenzangaben), das Neuauftreten (Inzidenz) oder Wiederauftreten (Rekurrenz) von adversen Gesundheitseffekten (Beschwerden, Erkrankungen) in Beschäftigtengruppen sowie auf die Assoziationen/Korrelationen zu Arbeitsfaktoren beziehen. Andere relevante Faktoren, die die Auswertungen in Bezug auf arbeitsbedingte Beschwerden und Erkrankungen verzerren können (beispielsweise unterschiedliche Altersverteilungen), sind zu beachten. Sowohl prospektive als auch retrospektive Auswertungen sind sinnvoll. Auch anonymisierte Falldarstellungen sind zulässig. Ethische Aspekte und Aspekte des Datenschutzes sind zu beachten. Falls die Auswertung für wissenschaftliche Zwecke genutzt wird, ist ein Ethikvotum einer zuständigen Ethikkommission einzuholen.

(5) Über die Art und Weise der innerbetrieblichen Auswertung sowie deren Umfang, Inhalt und Zeitpunkt entscheidet der Betriebsarzt beziehungsweise die Betriebsärztin; in Anwendung der jeweiligen arbeitsmedizinischen Fachkunde ist der Arzt oder die Ärztin weisungsfrei, beachtet die ärztliche Schweigepflicht (§ 6 Absatz 1 Satz 5 ArbMedVV) und berät auf der Grundlage von wissenschaftlicher Evidenz.

(6) Bei Auffälligkeiten entwickeln Betriebsärzte und Betriebsärztinnen Hypothesen, überprüfen diese durch geeignete Instrumente, insbesondere Messungen oder Befragungen auf Abteilungsebene, und übersetzen sie in schlüssige Konzepte zur Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen. Diese schlagen sie dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretung vor und bieten den Verantwortlichen im Betrieb, zum Beispiel im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, Beratung bei deren Umsetzung an. Betriebsärzte und Betriebsärztinnen bieten auch die Überprüfung von Fragestellungen und Hypothesen betrieblicher Partner der Prävention an.

(7) Der Erkenntnisgewinn ist größer, wenn bereits das Setting zur Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorge so organisiert wird, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge in den diversen Abteilungen nacheinander durchgeführt wird. So sollen Betriebsärzte und Betriebsärztinnen aktiv darauf hinwirken, dass ihnen schon mit der Anamnese Informationen zur Verfügung stehen, die geeignet sind, den betrieblichen Zusammenhang und die Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit ganzheitlich auswerten und beurteilen zu können. Bei ausschließlich individueller Betrachtungsweise wären die Zusammenhänge wahrscheinlich erst mit großer Verzögerung oder gar nicht erkennbar.

(8) Die Dokumentation von Anamnese und Arbeitsanamnese, Befunden, Diagnosen und wichtigsten Beratungsinhalten im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorge sollte anonymisierte betriebsärztliche Auswertungen ermöglichen und erleichtern.

(9) Detaillierte Hinweise und ausführliche Praxisbeispiele betriebsärztlicher Auswertungen enthält die Arbeitsmedizinische Empfehlung "Auswertung betriebsärztlicher Erkenntnisse" (BMAS, Hrsg., Bonn 2022)

8 Abgrenzung der arbeitsmedizinischen Vorsorge von medizinischen Untersuchungen zur Prüfung gesundheitlicher Eignung für berufliche Anforderungen 23

(1) Die vertrauliche Beratung von Beschäftigten zu einer möglicherweise erhöhten Gesundheitsgefährdung im Einzelfall bei Ausübung einer bestimmten Tätigkeit ist Bestandteil arbeitsmedizinischer Vorsorge und damit des Arbeitsschutzes. Das gilt auch für die Wunschvorsorge, in deren Rahmen Beschäftigte besonders häufig von Betriebsärzten und Betriebsärztinnen zu Fragen ihres gesundheitsgerechten Einsatzes beraten werden. Hält ein Betriebsarzt oder eine Betriebsärztin aus individuellen medizinischen Gründen einen Tätigkeitswechsel für erforderlich, der auch durch arbeitsgestaltende oder organisatorische Maßnahmen nicht abwendbar ist, darf er oder sie dieses nur auf Wunsch des Beschäftigten dem Arbeitgeber mitteilen.

(2) Wenn ein Arbeitgeber einem Beschäftigten eine betriebsärztliche Beratung empfiehlt, gelten die Regelungen für die arbeitsmedizinische Wunschvorsorge. Arbeitsmedizinische Vorsorge umfasst nicht den Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen (§ 2 Absatz 1 Nummer 5 ArbMedVV).

(3) Eignungsuntersuchungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses werden vom Arbeitgeber veranlasst, um zu überprüfen, ob Beschäftigte den Anforderungen einer vorgesehenen oder ausgeübten Tätigkeit gewachsen sind. Sie sind kein Gegenstand der arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß ArbMedVV und erfordern eine andere Rechtsgrundlage außerhalb des Arbeitsschutzes (Bundesratsdrucksache 643/08, 2008).

(4) Die Verpflichtung von Arbeitgebern im Rahmen des Arbeitsschutzes, bei der Übertragung von Aufgaben die Befähigung oder Eignung der Beschäftigten zu berücksichtigen (u.a. ArbSchG, Betriebssicherheitsverordnung, Unfallverhütungsvorschriften), beschränkt sich auf die Berücksichtigung der offenkundigen Befähigung und Verfassung von Beschäftigten, soweit sie im Rahmen der üblichen Zusammenarbeit im Betrieb ohne medizinische Fachkenntnis beurteilbar ist. Sie rechtfertigt keine Veranlassung bzw. Durchführung ärztlicher Eignungsuntersuchungen im Arbeitsverhältnis; das Gleiche gilt für die Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung (BMAS 2018).

9 Literatur und sonstige Hinweise

Die Literaturangaben und sonstigen Hinweise dienen allein der Information. Sie sind von der Vermutungswirkung nach § 3 Absatz 1 Satz 2 ArbMedVV ausgenommen.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Regel "Arbeitsmedizinische Prävention", Bonn 2017.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Empfehlung "Wunschvorsorge", Bonn 2015.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Empfehlung "Psychische Gesundheit im Betrieb", Bonn 2011.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Empfehlung "Betriebliches Gesundheitsmanagement", Bonn 2020.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Empfehlung "Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit", Bonn 2018.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Arbeitsmedizinische Empfehlung "Auswertung betriebsärztlicher Erkenntnisse", Bonn 2021.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Stellungnahme: Zum Thema Eignungsuntersuchungen, Bonn 2018; http://www.bmas.de, Arbeit > Arbeitsschutz > Gesundheit am Arbeitsplatz > Arbeitsmedizinische Vorsorge > weitere Informationen > Zum Thema Eignungsuntersuchungen (Stand: Oktober 2018).

Bundesrat Drucksache 643/08 vom 29.08.2008: Verordnung der Bundesregierung zur Rechtsvereinfachung und Stärkung der arbeitsmedizinischen Vorsorge (2008).

Forrier, Anneleen; Sels, Luc: The concept employability: a complex mosaic. Int. J. Human Resources Development and Management, Vol.3 No.2 (2003) 102-124.

Kraus, Thomas; Panter, Wolfgang: Ganzheitliche Vorsorge. ASU (Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin) 56, 8/2021, S. 480-482.

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Bekanntmachung von Arbeitsmedizinischen Regeln
hier: AMR 3.3 "Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen"

Vom 02. November 2022
GMBl. Nr. 43 vom 19.12.2022 S. 978)

- Bek. d. BMAS v. 2.11.2022 - IIIb1 - 36628-15/29 -

Gemäß § 9 Absatz 4 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge macht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die anliegende vom Ausschuss für Arbeitsmedizin beschlossene Arbeitsmedizinische Regel bekannt. Die Bekanntmachung berücksichtigt die Änderungen der ArbMedVV durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge vom 12.07.2019 (BGBl. I, S. 1082).
ID: 222712

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