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68. MAK-Wert für 1-Chlor-4-nitrobenzol:
(BArbBl. 10/95 S. 57)
0,5 mg/m3 (0,075 ml/m3) G, Kurzzeitwertkategorie: VI
1-Chlor-4-nitrobenzol ist in der TRGS 905 (Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe) als krebserzeugend in die Kategorie 3 (Stoffe mit begründetem Verdacht auf krebserzeugende Wirkung) - nach Anhang I GefStoffV - eingeordnet.
Arbeitsmedizinische Erfahrungen
Bei den Erfahrungen im Umgang mit 1-Chlor-4-nitrobenzol steht die methämoglobinbildende Wirkung im Vordergrund [1].
Gemäß den in einer Arbeit von 1955 mitgeteilten arbeitsmedizinischen Erfahrungen führt eine 1-minütige Exposition gegenüber 66 mg/m3 zu ausgeprägten toxischen Effekten und die fortgesetzte Exposition gegenüber 26 mg/m3 zu Krankheitssymptomen [2].
Toxikologische Erfahrungen
Zu 1-Chlor-4-nitrobenzol liegen widersprüchliche Ergebnisse aus bakteriellen Mutagenitätstesten vor [1]. Im Mikronucleus-Test an der Maus mit i.p.-Injektion von 500 mg/kg KGW zeigt die Substanz ein clastogenes Potential [3].
Zur Frage der kanzerogenen Wirkung von 1-Chlor-4-nitrobenzol liegen eine Schlundsondenstudie an Ratten sowie eine Fütterungsstudie an Ratte und Maus vor.
Die 2-jährige Gabe von maximal 5 mg/kg KGW/Tag mit der Schlundsonde sowie die 18-monatige Fütterung (maximal: 3 Monate 4000 mg/ kg; 2 Monate 500 mg/kg; 13 Monate 1000 mg/kg; durchschnittliche Substanzaufnahme: 96 mg/kg KGW/Tag) führte bei Ratten zu keinen Tumoren. Bei Mäusen traten nach 18-monatiger Gabe von 3000 bzw. 6000 mg/kg mm Futter (ca. 430 bzw. 860 mg/kg KGW/Tag) vermehrt vaskuläre Tumoren und Lebertumoren auf (siehe Tabelle 1) [1].
Tabelle 1: Tumor-Inzidenzen bei CD-1 Mäusen nach Gabe von 1-Chlor-4-nitrobenzol im Futter
Kontrolle (simultan) | Kontrolle (gepoolt | 3000 mg/kg | 6000 mg/kg | ||||
im Futter | |||||||
M | W | M | W | M | W | M | W |
vaskuläre Tumoren | |||||||
0,14 | 0,15 | 5/99 | 9/102 | 2/14 | 2/20 | 4/14 | 7/18 |
Lebertumoren | |||||||
1/14 | - | 7/99 | - | 4/14 | - | 0/14 | - |
Aufgrund der chronischen Fütterungsstudie ergibt sich der Verdacht einer kanzerogenen Wirkung von 1-Chlor 4-nitrobenzol im Tierversuch; die clastogene Wirkung im Mikronucleus-Test deutet auf ein gentoxisches Potential der Substanz hin.
Analytik
Zur Messung der Konzentration von 1-Chlor-4-nitrobenzol in der Luft in Arbeitsbereichen wurde ein modifiziertes NIOSH-Verfahren (Methoden-Nr. 1003 bzw. 2005) angewandt.
Die Probenahme mit Pumpe erfolgt durch Adsorption an Kieselgel. Nach der Elution mit Methanol wird die analytische Bestimmung mit Gaschromatographie und Flammenionisations- bzw. massenselektiver
Detektion (GC-MS) durchgeführt. Seit 1992 beträgt die Bestimmungsgrenze für 1-Chlor-4-nitrobenzol 0,05 mg/m3 bei 1201 Probeluft. Die Erfassung erfolgt nach der Gesamtstaubdefinition.
Vor 1992 wurde die Bestimmungsgrenze des beschriebenen Analysenverfahrens mit 0,2 und 0,1 mg/m3 angegeben.
Herstellung und Verwendung
Herstellung
Chlornitrobenzole werden kontinuierlich bzw. diskontinuierlich durch Nitrierung von Chlorbenzol hergestellt. Das entstehende Isomerengemisch wird nach Wäsche und Trocknung durch mehrere Destillations- und Kristallisationsschritte in die reinen Isomeren aufgetrennt.
Reines 1-Chlor-4-nitrobenzol wird geschmolzen in Tankwagen und Fässer abgefüllt.
Verwendung
1-Chlor-4-nitrobenzol dient als Ausgangsprodukt für eine Vielzahl von organischen Zwischenprodukten. Das Ausgangsprodukt wird in geschlossenen Apparaturen u.a. zu p-Chloranilin hydriert, zu Dinitrochlorbenzol nitriert oder zu p-Nitrochlorsulfonsäure sulfiert.
Die Verwender übernehmen das 1-Chlor-4-nitrobenzol über geschlossene Rohrleitung, in Kesselwagen oder in Fässern.
Da der Schmelzpunkt für 1-Chlor-4-nitrobenzol bei 84 °C liegt, müssen Leitungen und Behälter auf 100 °C beheizt sein, um das Produkt für den Transport bzw. die Zwischenlagerung bei ca. 90 °C flüssig zu halten.
Verwender, die in wenigen Produktionskampagnen pro Jahr in kleineren Mengen 1-Chlor-4-nitrobenzol einsetzen, übernehmen typischerweise diesen Einsatzstoff aus Fässern. Für die weitere Verwendung muß deshalb das 1-Chlor-4-nitrobenzol in Wärmekammern aufgeschmolzen werden, die Fässer mit der Schmelze vor Ort transportiert und der Einsatzstoff über Vakuum in den Reaktionskessel eingesaugt werden.
Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen
Insgesamt sind von drei Herstellern und drei Verwendern 63 Meßergebnisse als Schichtmittelwerte für 1-Chlor-4-nitrobenzol bekannt.
1. Herstellung
Von einem Hersteller liegen für die Arbeitsbereiche Nitrierung, Isomerentrennung und Abfüllung 42 personenbezogene Meßergebnisse als Schichtmnittelwerte vor. Folgende 17 Schichtmittelwerte (40 %) liegen im Bereich oberhalb der Bestimmungsgrenze:
0,054; 0,06 (N=2); 0,073; 0,11; 0,12; 0,13 (N=2); 0,14; 0,15 (N=2); 0,19.; 0,29; 0,3; 0,36; 0,58; 0,6 mg/m3.
Die übrigen Meßergebnisse liegen unterhalb der Bestimmungsgrenze.
Von einem zweiten Hersteller liegen jeweils 3 personenbezogene Schichtmittelwerte für 1-Chlor-4-nitrobenzol aus folgenden Arbeitsbereichen vor:
Nitrierung: | <0,05; 0,06; 0,07 mg/m3 |
Kristallisation mit Abfüllung: | 0,06; 0,31; 0,89 mg/m3 |
Die Exposition wurde bei Apparatekontrollen und Probenahmen überwacht.
Bei diesem Hersteller wurde 1994 die Produktion von 1-Chlor-4-nitrobenzol eingestellt.
Von einem weiteren Hersteller liegen 3 personenbezogene Schichtmittelwerte (0,14; 0,41; 1,26 mg/m3) vor, die Mitte 1994 beim Befüllen von Straßentankfahrzeugen gemessen wurden.
2. Verwendung
Bei der Verwendung von 1-Chlor-4-nitrobenzol sind insbesondere folgende Tätigkeiten expositionsrelevant: Aufschmelzen, Transport und Einziehen der Schmelze aus Fässern.
Hierzu sind von einem Verwender 19 personenbezogene Meßergebnisse als Schichtmittelwerte und 7 personenbezogene Ergebnisse von Kurzzeitmessungen bekannt. Die Schichtmittelwerte erstrecken sich über folgenden Bereich: <0,1 (N=16); 0,12; 0,6; 1,7 mg/m3.
Die Ergebnisse der Kurzzeitmessungen von bis zu einer Stunde beim Aufschmelzen, Einziehen aus Fässern und Probenahmen liegen bei 0,1; 0,15; 0,4 (N=2); 0,59; 1,7; 2,2 mg/m3.
Die Schichtmittel- und Kurzzeitwerte sind repräsentativ für die beschriebenen Arbeitsvorgänge bei bestimmungsgemäßem Betrieb.
Die höheren personenbezogenen Schichtmittelwerte für 1-Chlor-4-nitrobenzol für die Abfüllung und das Faßhandling (Aufschmelzen, Transport, Einziehen) trotz vorhandener Absaugeinrichtungen werden mit dem relativ hohen Dampfdruck von 5,5 hPa der 90 °C heißen Schmelze erklärt. Die Sättigungskonzentration errechnet sich unter diesen Bedingungen zu 28,7 g/m3 1-Chlor-4-nitrobenzol.
Hinweis
Neben der inhalativen Aufnahme kann 1-Chlor-4-nitrobenzol auch über die Haut aufgenommen werden. Dem ist auch bei Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten zusätzlich durch geeignete Körperschutzmaßnahmen Rechnung zu tragen (weitere Hinweise: siehe TRGS 150 "Unmittelbarer Hautkontakt mit Gefahrstoffen").
Literatur
[1] Henschler, D.: Gesundheitsgefährliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsinedizinische Begründung von MAK-Werten: 1-Chlor-4-nitrobenzol. Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Verlag Chemie, Weinheim (1991)
[2] Goldblatt, M.W.: Research in industrial health in the chemical industry. Brit. J. Industr. Med. 12, 1-20 (1955)
[3] Herbold, B.A.: p-Nitrochlorobenzene.
Micronucleus test on the mouse.
Bayer AG, unveröffentlichter Bericht Nr. 19388 vom 08.08.1990; zitiert in: BUA-Stoffbericht 114, Ergänzungsbericht zum BUA-Stoffbericht Nr. 11, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 1993.