2. Der Bundesrat wendet sich gegen eine formelle Etablierung der Gruppe der Europäischen Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) in der AVMD-Richtlinie und die damit einhergehende Beschneidung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten. Hierin liegt ein unzulässiger Eingriff in das Staatsorganisationsrecht der Mitgliedstaaten sowie in ihre Zuständigkeiten im Rat der EU und im Kontaktausschuss zur AVMD-Richtlinie. Keinesfalls kann der vorgesehenen Ausweitung der Kompetenzen der ERGA, wie sie in Artikeln 2, 3, 4, 6a, 9, 28a und 30a AVMD-Richtlinienvorschlag festgelegt wird, seitens des Bundesrates zugestimmt werden.
Der ERGA können allenfalls die in Artikel 30a Absatz 3 Buchstaben a, c und d AVMD-Richtlinienvorschlag vorgesehenen Aufgaben übertragen werden. Das heißt, sie kann höchstens ermächtigt werden, die Kommission zur Gewährleistung einer kohärenten Umsetzung in konkreten, die bestehenden Regelungen der AVMD-Richtlinie betreffenden Fragen zu beraten. Daneben kann sie bestenfalls als Plattform für einen Austausch von bewährten Verfahren ("best practices") und von für die Anwendung der AVMDRichtlinie erforderlichen Informationen dienen.
Aus Sicht des Bundesrates darf die ERGA von der Kommission dagegen nicht für die Erörterung rechtspolitischer Fragen, die die Weiterentwicklung der AVMD-Richtlinie betreffen und über ihren bestehenden Regelungsgehalt hinausgehen, sowie die Erstellung insoweit unterstützender Studien in Anspruch genommen werden. Die Mitgliedstaaten müssen der direkte Ansprechpartner für die Kommission in Fragen der rechtspolitischen Fortentwicklung der AVMD-Richtlinie bleiben. Das maßgebliche Forum für derartige Erörterungen außerhalb konkreter Legislativvorschläge, die im Rat der EU und seinen Arbeitsgruppen behandelt werden, muss der Kontaktausschuss bleiben.
Der Bundesrat widerspricht auch dem Ansinnen der Kommission, der ERGA exekutive Funktionen zuzuweisen. Ihr dürfen keine Befugnisse übertragen werden, Mediendiensteanbieter zu etwas "anzuhalten", wie es in Artikel 6a Absatz 3 und Artikel 28a Absatz 7 des AVMD-Richtlinienvorschlags vorgesehen ist. Der Bundesrat spricht sich auch gegen eine aktive Rolle der ERGA im Außenverhältnis zu Dritten aus, wie sie in Artikel 9 Absatz 2 und Artikel 28a Absatz 7 AVMD-Richtlinienvorschlag beabsichtigt ist. Eine obligatorische Beteiligung der ERGA in Entscheidungsverfahren der Kommission, wie sie in Artikel 2 Absatz 5b, Artikel 3 Absatz 4, Artikel 4 Absatz 4 Buchstabe c AVMD-Richtlinienvorschlag angedacht ist, lehnt der Bundesrat ebenfalls ab. Der Bundesrat spricht sich zudem gegen eine Beteiligung der ERGA im Rahmen der Selbst- und Koregulierung, insbesondere bei der Erstellung von Kodizes aus, wie es in Artikel 4 Absatz 7 und Artikel 28a Absatz 8 AVMD-Richtlinienvorschlag vorgesehen ist.
10. Der Bundesrat erkennt an, dass sich die Kommission offen zeigt, den Anwendungsbereich der Richtlinie durch Einfügung von Artikel 28a und 28b AVMD-Richtlinienvorschlag auf Videoplattformen auszuweiten. Er widerspricht jedoch der in Bezug auf diese besondere Form von Plattformen geplanten Vollharmonisierung im Wege der Selbst- und Koregulierung unter Anerkennung des Haftungsprivilegs der Artikel 14 und 15 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr" - "ecommerce-Richtlinie").
Vielmehr sollen die Mitgliedstaaten mit angemessenen Mitteln dafür Sorge tragen, dass Videoplattformanbieter unter Zurückdrängung des Haftungsprivilegs der Artikel 14 und 15 der ecommerce-Richtlinie gewährleisten, dass die von Nutzern erstellten und auf den Videoplattformen bereitgestellten Videos nicht zu Gewalt oder Hass im Sinne des AVMD-Richtlinienvorschlags aufstacheln und Minderjährige vor Inhalten geschützt werden, die ihre körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung beeinträchtigen können. Die Wahl der hierzu geeigneten Mittel sollte den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, wobei Mittel der Selbst- und Koregulierung gefördert werden sollten.
Eine stärkere Inpflichtnahme dieser speziellen Form von Plattformdiensten im Rahmen der AVMD-Richtlinie als "lex specialis" im Verhältnis zur ecommerce-Richtlinie ist aus Sicht des Bundesrates deshalb gerechtfertigt, weil Videoplattformanbieter den von Nutzern erstellten Videos gerade nicht neutral gegenüberstehen, sondern die Organisation und Präsentation der gespeicherten Inhalte bestimmen und wirtschaftlichen Nutzen aus diesem Geschäftsmodell ziehen. Darüber hinaus verfügen sie über die technischen Möglichkeiten, Videos mit schädlichem Inhalt selbst zu identifizieren und zu beseitigen. Eine stärkere Inpflichtnahme von Videoplattformanbietern ist auch aus Gründen einer wirksamen Terrorismusbekämpfung erforderlich. Terroristische Organisationen nutzen gerade diese Form von Plattformdiensten dazu, ihre Aufrufe zu Gewalt und Hass sowie zur Verherrlichung ihrer Organisationen zu verbreiten.
Da kommerzielle Kommunikation Teil ihres Geschäftsmodells ist, sollten Videoplattformanbieter, soweit sie Videoanzeigen schalten, aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen zudem denselben qualitativen Anforderungen an audiovisuelle kommerzielle Kommunikation unterliegen wie Mediendiensteanbieter.