- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, mit dem Vorschlag zur Änderung der Rechtsmittelrichtlinie in der EU einen einheitlichen Primärrechtsschutz für Bewerber und Bieter in Vergabeverfahren der öffentlichen Auftraggeber ab den Schwellenwerten für EU-weite Ausschreibungen zu schaffen.
- 2. Der Bundesrat teilt dabei die Auffassung der Kommission, dass die Möglichkeit einer effektiven Überprüfung von Entscheidungen in Vergabeverfahren über den EU-Schwellenwerten in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen sichergestellt werden muss. Ein wirkungsvolles Rechtsmittelverfahren trägt zur ordnungsgemäßen Anwendung der Verfahrensvorschriften bei und unterstützt damit das Ziel, die Chancen für Interessenten an öffentlichen Aufträgen im gesamten Binnenmarkt zu erhöhen.
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass der Vorschlag der Kommission neben der Steigerung der Effizienz des Rechtsschutzes durchgehend die elektronische Übermittlung zulässt ferner dass das Bescheinigungs- und Schlichtungsverfahren abgeschafft wird. Er begrüßt insbesondere, dass der Vorschlag der Kommission die Gelegenheit zur Deregulierung ergreift und Regelungen über das Bescheinigungs- und das Schlichtungsverfahren streicht, die von der Praxis nicht angenommen wurden.
- 4. Die in Artikel 2 bis 2f beider Richtlinienentwürfe geregelte Form der Übermittlung von Anträgen und Entscheidungen, nämlich per Fax oder auf elektronischem Weg, bedarf allerdings einer Klarstellung. Insbesondere ist eine klare Regelung zu treffen, ob der Postweg und andere als die genannten Übermittlungsformen auszuschließen sind.
- 5. Der Bundesrat unterstützt ausdrücklich den Ansatz der Kommission, entsprechend der deutschen Regelung in § 13 der Vergabeverordnung eine Mindeststillhaltefrist zwischen der Information über die Zuschlagsentscheidung und dem Zuschlag als Vertragsabschluss sowie eine Unwirksamkeit als Folge der Nichteinhaltung vorzuschreiben. Die konkrete Ausgestaltung muss den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten überlassen werden. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass auch bei der Fristberechnung der Beschleunigung Priorität eingeräumt wird.
- 6. Die Fristenregelungen in Artikel 2a Abs. 2 und 3 sowie in Artikel 2c Abs. 1 und 2 sind dahin gehend klarzustellen, dass es allein auf die Absendung der Entscheidung und sachdienliche Gründe durch den Auftraggeber und nicht auf den Zugang beim Bieter ankommt.
- 7. Regelungen zum Problem der rechtswidrigen Direktvergaben sind auch nach Auffassung des Bundesrates erforderlich. Allerdings dürfen durch die Rechtsmittelrichtlinien keine zusätzlichen Anforderungen eingeführt werden, die das durch die Koordinierungsrichtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG anerkannte Recht der öffentlichen Auftraggeber zur Wahl des Verhandlungsverfahrens beeinträchtigen. Fälle, die das Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung rechtfertigen (Artikel 31 Richtlinie 2004/18/EG, Artikel 40 Abs. 3 Richtlinie 2004/17/EG), dürfen durch die Rechtsmittelrichtlinien keiner zwingenden öffentlichen Bekanntmachungsverpflichtung unterworfen werden die das Vergabeverfahren mit neuen bürokratischen Verfahrensvorgaben belastet. Die Bestimmungen in Artikel 2e Abs. 2 und 3 greifen in materielles Recht der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG ein. Dies kann nicht Gegenstand der Überarbeitung der Rechtsmittelrichtlinie sein. Diese Bestimmungen sind zu streichen. Mindestens aber sind die Ausnahmen in Artikel 2e Abs. 4 von der exante-Bekanntmachung auf alle in Artikel 31 der Richtlinie 2004/18/EG genannten Fälle des Verhandlungsverfahrens ohne Vergabebekanntmachung auszudehnen. Das für Direktvergaben in den neuen Artikeln 2e und 2f vorgesehene System der Bekanntmachung mit Stillhaltefrist und Suspensiveffekt und der Verjährung bzw. Verwirkung einer Nachprüfungsmöglichkeit bedarf daher der eingehenden Überprüfung. Der Bundesrat ist besorgt, dass ein solches Verfahren in Verbindung mit den Aussetzungsvorschriften des nationalen Vergaberechts (vor allem §§ 115, 117 GWB) Investitionsentscheidungen öffentlicher Auftraggeber übermäßig verzögert. Er hebt daher hervor, dass mögliche neue Stillhaltefristen der Rechtsmittelrichtlinien nicht zusätzlich durch nationale Aussetzungsfristen verschärft werden dürfen.
- 8. Die in Artikel 1 und 2 vorgeschlagene Änderung des jeweils inhaltsgleichen Artikels 2f Abs. 3 der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG mit der jeweils vorgesehenen Möglichkeit der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, dass ein Vertragsschluss, der gegen die in Artikel 2f Abs. 1 genannten Bestimmungen verstößt und daher grundsätzlich nach Artikel 2f Abs. 2 nichtig ist, unter bestimmten Voraussetzungen nach Ablauf einer "mindestens sechsmonatigen Verjährungsfrist" zwischen den Vertragsparteien oder gegenüber Dritten dennoch bestimmte Wirkungen entfalten kann (Unterabsatz 1), bzw. vorzusehen, dass im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens eine unabhängige Nachprüfungsinstanz feststellen kann, dass auf Grund zwingender Gründe eines nichtwirtschaftlichen Allgemeininteresses "einige Wirkungen des Vertrags nicht in Frage" gestellt werden (Unterabsatz 2), begegnet aus Sicht des Bundesrates Bedenken. Eine derartige Möglichkeit widerspricht dem Ziel des Richtlinienvorschlags, die Wirksamkeit des Nachprüfungsverfahrens zu verbessern, und die Auftraggeber stärker als bisher zu einer korrekten Bekanntmachung und Ausschreibung ihrer Aufträge anzuhalten. Wenngleich die zeitliche Begrenzung in Unterabsatz 1 noch mit dem Argument der hierdurch gewonnenen Rechtssicherheit gerechtfertigt werden kann, leuchtet im Hinblick auf Unterabsatz 2 - auch vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgebots (vgl. Erwägungsgründe Ziffer 14) - nicht ein, weshalb ein Vertrag, welcher ohne Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen zustande kommt bzw. in kollusivem Zusammenwirken zwischen Auftraggeber und Bieter geschlossen wird, unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich doch Wirksamkeit erlangen können soll. Eine derartige Aufweichung der hier beabsichtigten Sanktionswirkung liefe dem Regelungszweck zuwider und erscheint nicht sachgerecht. In jedem Fall erscheint die Formulierung "Verjährungsfrist" nicht passend, da nach deutschem Recht grundsätzlich nur Ansprüche verjähren, hier aber ein zunächst unwirksamer Vertrag nachträglich Wirkungen entfalten soll bzw. eine zeitliche Grenze für Nachprüfungen in Frage steht. Der Bundesrat regt daher an, den Begriff "Verjährungsfrist" durch "Ausschlussfrist" zu ersetzen. Die Bestimmungen in Artikel 2f Abs. 3 sind zumindest für Bauaufträge nicht praktikabel. Bis zum Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist für rechtswidrig abgeschlossene Verträge sind viele Bauarbeiten mindestens weit gehend erbracht. Ein Abbrechen von Bauteilen oder die Zerstörung bereits erbrachter Bauleistungen ist nicht vorstellbar. Die Bestimmungen in Artikel 2f Abs. 4 verlangen von den Mitgliedstaaten die Festlegung von Sanktionen, damit rechtswidrige Vertragsabschlüsse nicht ungeahndet bleiben. Diese Forderung wäre nur durch die Schaffung neuer Bürokratie zu erfüllen. Es bedarf weiterer grundsätzlicher Überlegungen, ob das mit der Regelung verfolgte Ziel nicht auf andere Weise kostengünstiger erreicht werden kann.
- 9. Für den Änderungsvorschlag zur Rechtsmittelrichtlinie für die Sektorenrichtlinie gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.
- 10. Die Bundesregierung wird gebeten, sich bei den weiteren Verhandlungen insbesondere dafür einzusetzen, dass
- - die neuen Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinien mit den Koordinierungsrichtlinien übereinstimmen und die Verfahrensregelungen über eine zulässige Direktvergabe nicht ausgehebelt werden,
- - eine vorherige Bekanntmachung jedenfalls nicht bei zulässigen Direktvergaben zwingend vorgeschrieben wird und im Übrigen diese Möglichkeit vorrangig der Entscheidung des Auftraggebers überlassen bleibt,
- - für Fälle der Unwirksamkeit eines Vertrags keine Rückabwicklung erforderlich ist wenn eine Beendigung für die Zukunft ausreichend ist,
- - die Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist verkürzt werden kann,
- - auf Sanktionen (insbesondere Geldbußen) bei verbessertem Rechtsschutz verzichtet wird.
- 11. Der Bundesrat erwartet, dass bei einem funktionierenden Rechtsschutzsystem eines Mitgliedstaats das Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EGV durch die Bieter und Bewerber nicht zu einem weiteren Rechtsmittel instrumentalisiert werden kann.
- 12. Die Änderungsvorschläge der Kommission zu den Rechtsmittelrichtlinien sind sprachlich und begrifflich in verständlichem Deutsch abzufassen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auch auf eine bessere Lesbarkeit der Richtlinie hinzuwirken.