Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen KOM (2007) 269 endg.; Ratsdok. 10224/07

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 6. Juni 2007 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Förderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 25. Mai 2007 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 25. Mai 2007 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 841/90 = AE-Nr. 902839,
Drucksache 485/03 (PDF) = AE-Nr. 032383 und
Drucksache 505/06 (PDF) = AE-Nr. 061399
Drucksache 383/07 (PDF)

Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen

1. Einleitung: Der Beitrag Europas zur Lösung eines Weltweiten Problems

Zu den Problembereichen der Globalisierung zählt die Abwrackung von Schiffen. Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist sie derzeit zwar tragbar, doch die Kosten für Gesundheit und Umwelt sind hoch. Deshalb sind grundlegende Änderungen dringend nötig.

Im Grunde unterliegt die Verbringung von Altschiffen von Industrieländern in Entwicklungsländer dem internationalen Abfallverbringungsrecht, und die Ausfuhr von Schiffen, die Gefahrstoffe enthalten, aus der Europäischen Gemeinschaft ist nach der EG-Abfallverbringungsverordnung verboten. Doch in den vergangenen Jahren sind in mehreren Aufsehen erregenden Fällen von europäischen Schiffen, die zum Abwracken nach Südasien verbracht wurden, die Probleme bei der Umsetzung dieser Rechtsvorschriften deutlich geworden.

Diese offensichtlichen Mängel und die Unfähigkeit, eine sozial und ökologisch nachhaltige Abwrackung von Schiffen zu gewährleisten, haben die internationale Öffentlichkeit alarmiert und zu politischen Maßnahmen geführt. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) arbeitet inzwischen an einem internationalen Übereinkommen über das sichere und umweltverträgliche Recycling von Schiffen. Einige Seefahrtnationen wie etwa das Vereinigte Königreich sind dabei, nationale Strategien für in Staatsbesitz befindliche und unter ihrer Flagge fahrende Schiffe zu entwickeln. Das Europäische Parlament und Nichtregierungsorganisationen haben Maßnahmen auf EU-Ebene gefordert.

In seinen Schlussfolgerungen vom 20. November 2006 betont der Rat der Europäischen Union, dass die umweltgerechte Abwrackung von Schiffen eine Priorität der Europäischen Union darstellt. Vorkommnisse aus jüngster Zeit wie auch die Prognosen über in absehbarer Zukunft abzuwrackenden Schiffsraum machten deutlich, dass die internationale Gemeinschaft einschließlich der EU dringend geeignete Maßnahmen treffen müsse. Der Rat begrüßt die Absicht der Kommission, sich für eine EU-weite Strategie für die Schiffsabwrackung stark zu machen. Diese Strategie werde unter Anerkennung der besonderen Gegebenheiten in der Seefahrt sowie der Entwicklungen in diesem Bereich - insbesondere was die internationalen Seerechtsvorschriften betreffe - und des Endziels einer weltweit tragfähigen Regelung zu einer besseren Durchsetzung des geltenden Gemeinschaftsrechts beitragen. Die Kommission wird in diesem Zusammenhang ersucht zu prüfen, inwieweit ausreichende Kapazitäten für die Abwrackung von Schiffen in der EU aufgebaut werden müssen.

Die Kommission hat ihren Standpunkt bereits im Grünbuch zur Meerespolitik vom Juni 2006 dargelegt1. Sie schlägt vor, dass die künftige EU-Meerespolitik internationale Initiativen unterstützen soll, die darauf abzielen, Mindestnormen für die Wiederverwertung von Schiffen einzuführen und die Schaffung umweltverträglicher Wiederverwertungsanlagen zu fördern.

Möglicherweise wird die EU jedoch auch eine Reihe regionaler Initiativen verfolgen müssen, um die Lücken in der künftigen internationalen Rechtsordnung zu schließen und die Verzögerung bis zu ihrem Inkrafttreten zu überbrücken.

Dieses Grünbuch will mit frischen Gedanken zur Schiffsabwrackung aufwarten, um den Dialog mit den Mitgliedstaaten und den Beteiligten fortzusetzen und zu intensivieren und den Boden für künftige Maßnahmen im Rahmen der EU-Politiken, einschließlich der künftigen Meerespolitik,zu bereiten. Hauptzweck dieser Initiative ist der Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit; insofern besteht das Ziel nicht etwa darin, Marktanteile im Schiffsrecycling künstlich in die EU zurückzuholen und somit den Ländern Südasiens eine wichtige Einnahmequelle zu nehmen. Im Gegenteil liegt unter Anerkennung des strukturbedingten relativen Kostenvorteils dieser Länder das letztliche Ziel der EU darin, dass weltweit ein Mindestmaß an Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards beachtet wird.

2. Wichtige Aspekte

2.1. Rechtslage: das Ausfuhrverbot für gefährliche Abfälle

Ende der 1980er Jahre sorgten Fälle der Verschiebung von Giftmüll aus Industrieländern in Entwicklungsländer international für Empörung. Achttausend in Koko, Nigeria, gelagerte Fässer mit Chemieabfällen und Schiffe wie die Karin B, die von Hafen zu Hafen fuhren, um ihre geladenen gefährlichen Abfälle loszuwerden, gerieten damals in die Schlagzeilen. Rufe nach einer Stärkung des internationalen Rechtsrahmens wurden laut. Am 22. März 1989 wurde das Basler Übereinkommen der Vereinten Nationen, das einen Rahmen für die internationale Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle festlegt, angenommen. Bis heute wurde das Übereinkommen von 168 Ländern unterzeichnet und von 165 Ländern ratifiziert. Die Europäische Gemeinschaft als Ganzes wie auch alle ihre Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien des Basler Übereinkommens.

Im Jahr 1995 wurde als Änderung zum Basler Übereinkommen ein absolutes Ausfuhrverbot für gefährliche Abfälle aus OECD- in Nicht-OECD-Staaten verhängt. Anlass für das Verbot war die sowohl von Entwicklungs - als auch von Industrieländern geäußerte politische Besorgnis über die verstärkte Ausfuhr gefährlicher Abfälle aus Industrieländern in Entwicklungsländer und ihre dortige unkontrollierte und nicht umweltgerechte Behandlung.

Dieses "Basler Verbot" wurde 1997 in das EU-Recht aufgenommen und ist für alle Mitgliedstaaten bindend (Artikel 14 und 16 der gegenwärtigen Abfallverbringungsverordnung2). Damit ist die EU der wichtigste globale Akteur, der das Verbot in sein eigenes Recht integriert hat. Die USA haben indes das Basler Übereinkommen nicht einmal in seiner ursprünglichen Form ratifiziert. Von den größeren Ländern, die Vertragsparteien des Übereinkommens sind, haben China, Indonesien, Ägypten und Nigeria das Verbot übernommen, Australien, Brasilien, Kanada, Indien, Japan, Korea und Russland hingegen nicht. Die EU und ihre Mitgliedstaaten setzen sich zusammen mit ihren internationalen Partnern für die weitere Ratifizierung des "Basler Verbots" ein, das ein Schlüsselelement zur Verbesserung der Rechtsrahmens für die internationale Abfallverbringung ist.

Das internationale Abfallverbringungsrecht erkennt an, dass ein Schiff nach Artikel 2 des Basler Übereinkommens als Abfall eingestuft und gleichzeitig gemäß anderen internationalen Rechtsvorschriften als Schiff definiert sein kann3. Die im Gemeinschaftsrecht festgelegte Definition des Begriffs Abfall, womit alle Stoffe oder Gegenstände gemeint sind, die unter die in Anhang I der Abfallrahmenrichtlinie4 aufgeführten Gruppen fallen und deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss, trifft auch für zum Abwracken vorgesehene Schiffe zu. Enthält ein Schiff erhebliche Mengen gefährlicher Substanzen oder sind entgegen dem relevanten Abfall-Eintrag GC 030 gefährliche Stoffe nicht ordnungsgemäß abgelassen, so gilt es als gefährlicher Abfall. Die Ausfuhr eines solchen Schiffes zum Abwracken aus der EG in einen Nicht-OECD-Staat ist nach dem Basler Verbot und der Abfallverbringungsverordnung untersagt; das Abwracken muss daher unter umweltgerechten Bedingungen in einem OECD-Staat erfolgen. Alternativ muss das Schiff so dekontaminiert (vorgereinigt) werden, dass es nicht mehr als gefährlicher Abfall einzustufen ist. Diese Auslegung wurde vom französischen Conseil d"État im Fall des ehemaligen Flugzeugträgers Clemenceau bestätigt5.

Die Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten aus den Übereinkommen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) stehen diesen Abfallverbringungsvorschriften nicht entgegen, auch wenn ein Schiff mit gültigen IMO-Zertifikaten nicht angehalten oder unnötig aufgehalten werden sollte. Das Basler Übereinkommen und das in der EU durch die Abfallverbringungsverordnung umgesetzte Ausfuhrverbot für gefährliche Abfälle sind bindend und müssen in den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden. Beide Regelsysteme sind miteinander vereinbar, da sowohl im Seerecht als auch in den IMO-Übereinkommen die Rechte (und Pflichten) von Küstenstaaten zur Durchsetzung anderer anwendbarer internationaler Rechtsvorschriften zum Umweltschutz verankert sind.

In der Praxis werden die für alle Vertragsparteien bindenden Notifizierungsvorschriften des Basler Übereinkommens bei Altschiffen nur selten befolgt. Das Ausfuhrverbot nach der EG-Abfallverbringungsverordnung lässt sich nur schwer anwenden, wenn ein Schiff die europäischen Gewässer bereits verlassen hat und sein Eigentümer dann beschließt, es zum Abwracken in andere Teile der Welt zu schicken. In dem gegenwärtig in der IMO erörterten Entwurf eines Übereinkommens werden konkrete rechtsverbindliche internationale Vorschriften zum Recycling von Schiffen vorgeschlagen, die jedoch noch nicht in Kraft sind.

2.2. Die Ökonomie der Schiffsabwrackung

Gegenwärtig funktioniert der Abwrackmarkt folgendermaßen: Ein Schiffseigentümer, der die wirtschaftliche Nutzung eines Schiffs beenden will, sucht nach einem Barkäufer. Dies geschieht in der Regel dann, wenn die Unterhaltungskosten des Schiffs die möglichen Einnahmen zu übersteigen beginnen oder wenn das Schiff für den Gebrauchtmarkt uninteressant geworden ist, also kaum noch weiterverkauft werden kann. Der Barkäufer ist entweder ein spezialisierter Makler oder der Eigentümer der Abwrackwerft selbst. Normalerweise wird das Schiff noch einmal für eine letzte Fahrt in die Umgebung der Abwrackwerft beladen. Nach dieser Fahrt fährt das Schiff aus eigener Kraft zur Abwrackwerft, wo es verschrottet wird.

Der Barkäufer zahlt einen Preis in USD pro Leertonne (ldt). Die Leertonnage entspricht in etwa dem Stahlgewicht des Schiffs. Jahrelang lag der Preis bei etwa 150 USD/ldt (mit Tiefstständen um 100 USD/ldt und Höchstständen um 200 USD/ldt), doch die starke Nachfrage nach Stahlschrott in China und das geringe Angebot an Schiffen haben die Preise in jüngster Zeit auf ein Rekordniveau von fast 500 USD/ldt für normale Schiffe - für besonders wertvolle Schiffe sogar darüber - schnellen lassen. Die höchsten Preise werden derzeit in Bangladesch gezahlt.

Ein Großtanker (VLCC) mit einer Ladefähigkeit von etwa 300 000 tdw hat eine Leertonnage von ca. 45 000 ldt und kann je nach Marktbedingungen 5 bis 10 Mio. USD (unter Umständen sogar noch wesentlich mehr) einbringen. Bei diesen Zahlen handelt es sich um grobe Schätzungen, da der Preis auch von anderen Faktoren wie Menge und Qualität des Stahls und Vorhandensein anderer Metalle wie Kupfer und Nickel und der Ausrüstung, die zusätzlich verkauft werden können, bestimmt wird. Ob gefährliche Substanzen an Bord sind oder nicht, scheint keine Auswirkung auf den Preis zu haben.

In einer 2006 durchgeführten Studie6 hat die Kommission die Ökonomie der Schiffsabwrackung untersucht. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es unter den gegenwärtigen Bedingungen äußerst schwierig wäre, Schiffe wirtschaftlich und zugleich umweltfreundlich zu recyceln.

Ein weiterer Faktor sind die unterschiedlichen Arbeitskosten in Asien und Europa. Während Arbeiter der Abwrackwerften in Bangladesch und Indien 1-2 USD/Tag verdienen und die Aufwendungen des Arbeitgebers für Sicherheit und Gesundheit kaum ins Gewicht fallen, kostet ein Arbeiter in den Niederlanden pro Tag rund 250 USD und in Bulgarien ca. 13 USD8.

Aufgrund dieser Unterschiede bei den Arbeitskosten, den Umwelt- und Gesundheitsvorschriften sowie den Einkünften aus dem Recycling und dem Verkauf gebrauchter Materialien können Betreiber in Südasien den Schiffseigentümern wesentlich höhere Preise zahlen als ihre potenziellen Mitbewerber in anderen Ländern. Abwrackunternehmen in Bangladesch, denen keine Kosten für Umweltschutz, Gesundheit und Sicherheit entstehen, zahlen gegenwärtig für Schiffe 450-500 USD/t, während chinesische Anlagen, die etwas besseren Standards genügen, die Hälfte und US-Unternehmen nur ein Zehntel davon bieten können. Vor dem Stahlboom war es sogar Gang und Gäbe, dass die Recycling-Anlagen in Industrieländern Gebühren für das Abwracken von Marineschiffen erhoben.

Infolge der Marktentwicklungen sind die Abwrackkapazitäten in der EU in den letzten 20 Jahren auf ein Minimum zurückgegangen. Heute gibt es vor allem in Belgien, Italien und den Niederlanden Anlagen für größere Schiffe mit einer Gesamtkapazität von ca. 230 000 ldt/Jahr sowie in den meisten anderen am Meer gelegenen Mitgliedstaaten eine Vielzahl kleinerer Anlagen für Fischereifahrzeuge und andere Kleinschiffe. Zusammengenommen belaufen sich die Abwrackkapazitäten in der EU gegenwärtig auf etwa 500 000 ldt/Jahr9. Außerdem laufen im Vereinigten Königreich Zulassungsverfahren für das Abwracken in zwei bestehenden Werften mit deutliche höherer Kapazität (600 000 ldt/Jahr im Falle von Able UK). Nicht berücksichtigt sind hier die vielen stillgelegten Trockendocks in europäischen Häfen, die zum Abwracken technisch geeignet wären, jedoch unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen kaum wieder in Betrieb genommen werden dürften.

Über mehr Kapazitäten als die EU verfügt derzeit die benachbarte Türkei, die als OECD-Mitglied im Prinzip sogar für die Ausfuhr von gefährlichem Abfall in Betracht kommt. Etwa 20 an der Küste von Aliaga (in der Nähe von Izmir) gelegene Abwrackwerften haben eine Gesamtkapazität von etwa 1 Mio. ldt/Jahr, die heute größtenteils nicht genutzt wird,

Die Anlagen in der EU genügen in der Regel hohen Arbeits- und Umweltschutznormen. Die türkischen Betriebe haben in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte im Umwelt- und Sicherheitsmanagement gemacht, wenn auch gewisse Bedenken im Hinblick auf den Umweltschutz bestehen bleiben. Auch in China wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Anlagen mit Abwrackpiers modernisiert, sodass sie nun angemessenen Qualitätsnormen entsprechen. Allerdings beläuft sich ihre Kapazität auf nicht viel mehr als 500 000 ldt/Jahr. Die Abwrackanlagen in Brownsville/Texas und anderen Orten in den USA genügen ähnlichen Qualitätsnormen, sind jedoch grundsätzlich für ausländische Schiffe gesperrt.

Die in der EU wie auch der Türkei bestehenden Kapazitäten für eine saubere Schiffsabwrackung reichen daher für die Kriegsschiffe und anderen in Staatsbesitz befindlichen Schiffe (geschätzt 100 Schiffe mit mehr als 1 000 ldt und einer Gesamtleertonnage von bis zu 500 000 ldt10), die in den kommenden 10 Jahren ausrangiert werden, jedoch nur für einen geringen Teil der unter EU-Flagge fahrenden Handelsschiffe. UNCTAD-Berichten zufolge wurden zwischen 2000 und 2005 jährlich zwischen 6 und 30 Mio. tdw zum Abwracken verkauft, wobei etwa 23 % der weltweit in Betrieb befindlichen Handelsschiffe unter Flaggen von EU-Mitgliedstaaten fahren11.

Dieses durch unzureichende "saubere" Kapazitäten verursachte Problem wird sich durch die bevorstehende Ausrangierung aller Einhüllentanker noch verschärfen. Tankerunglücke wie die der Erika und der Prestige haben in den vergangenen Jahrzehnten große Umweltkatastrophen verursacht. Als Reaktion darauf wurden EU-weite und internationale Rechtsvorschriften zur schrittweisen Ausrangierung von Einhüllentankern erlassen, die in den kommenden zehn Jahren ihre maximale Wirkung entfalten werden. Bis 2015 werden schätzungsweise 1 300 Einhüllentanker ausrangiert und abgewrackt werden, etwa ein Drittel davon fährt unter der Flagge von Mitgliedstaaten12. Die höchste Nachfrage nach Schiffsrecyclingkapazitäten wird in etwa für das Jahr 2010 erwartet, wenn die meisten dieser Tanker ausrangiert werden müssen. Doch auch längerfristig ist aufgrund des in den letzten Jahren anhaltenden Schiffbaubooms mit einem Anstieg der Nachfrage zu rechnen.

Abgesehen von der extremen Externalisierung von Kosten ist der Markt für Schiffsabwrackungen momentan noch wirtschaftlich tragfähig. Die Eigentümer erzielen mit dem Verkauf ausrangierter Schiffe hohe Einnahmen (der oben als Beispiel angeführte VLLC-Großtanker würde heute neu etwa 90 Mio. USD kosten und nach 25 Betriebsjahren mindestens 10 Mio. USD einbringen). Die Abwrackwerften erzielen durch das Recycling der in den Schiffen enthaltenen Stoffe Gewinne. Doch der Markt funktioniert nur unter höchst problematischen Bedingungen, die weiter unten beschrieben werden. Dies findet in den Industrieländern, wo die meisten Schiffseigentümer ihren Sitz haben und wohin die Erträge aus dem Betrieb der Schiffe fließen, immer weniger öffentliche Akzeptanz. Außerdem ist der Markt nicht mit den Grundsätzen ökologischer und sozialer Verträglichkeit vereinbar.

2.3. Folgen für die Umwelt und soziale Auswirkungen

Die meisten Schiffe enthalten große Mengen gefährlicher Stoffe wie Asbest (insbesondere, wenn sie vor 1980 gebaut wurden), Öl und Ölschlamm, PCB (polychlorierte Biphenyle) sowie Schwermetalle in Farben und Ausrüstungen. Wenn diese Schiffe zum Abwracken geschickt werden, stellen sie einen der größten Ströme gefährlicher Abfälle von Industriestaaten in die Entwicklungsländer dar. Eine im Jahr 2004 für die Kommission (GD TREN) durchgeführte Studie geht davon aus, dass bis 2015 allein an Ölschlamm aus Altschiffen jährlich zwischen 400 000 und 1,3 Mio. t anfallen. In den Abwrackanlagen werden in jedem Jahr 1 000-3 000 t Asbest, 170-540 t TBT und 6 000-20 000 t umweltschädlicher Farben zusammenkommen13.

In Bangladesch, Indien und Pakistan werden Schiffe an Sandstränden ohne jegliche Sicherheitsbehälter oder Sperren zur Verhinderung von Wasser- und Bodenverschmutzung abgewrackt. Es gibt nur wenige Auffanganlagen für gefährliche Abfälle, und nicht recycelbare Stoffe werden gewöhnlich vor Ort auf Müllhalden gekippt. PVC-Kabelummantelungen werden häufig in offenen Feuern verbrannt.

Die Auswirkungen dieser Praktiken auf die Umwelt sind bisher kaum detailliert untersucht worden. Die verfügbaren Daten deuten darauf hin, dass die physikalischchemischen Eigenschaften des Seewassers, des Strandbodens und der Sedimente durch die Schiffsabwrackung erheblich beeinträchtigt werden14. Auf Luftbildaufnahmen der Abwrackanlagen in Alang (Indien) und Chittagong (Bangladesch) ist die Ölverseuchung der Strände und des angrenzenden Meeres deutlich zu erkennen, und NRO berichten, dass es in diesen Gebieten keine Vegetation oder Fische mehr gibt.

In den südasiatischen Abwrackwerften herrschen kritische Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen. Das Risiko schwerer Unfälle ist hoch, vor allem weil es an schwerem Gerät (Kränen) und Sicherheitsausrüstungen für die Arbeiter mangelt. Laut einem indischen Regierungsbericht aus dem Jahr 2004 kam es zwischen 1996 und 2003 in den Werften von Alang zu 434 Unfällen, die 209 Arbeitern das Leben kosteten15. Medienberichten zufolge wurden in Bangladesch in den letzten zwei Jahrzehnten 400 Arbeiter tödlich und 6 000 schwer verletzt16. Dass Bangladesch im Gegensatz zu Indien nicht einmal Entgasungsbescheinigungen vorschreibt, ist ein Grund für die dort besonders niedrigen Kosten, aber auch für die häufigen tödlichen Explosionen in den Abwrackwerften.

Außerdem wird geschätzt, dass sich Tausende durch den Umgang mit und das Einatmen von giftigen Substanzen ohne die geringsten Schutzmaßnahmen irreversible Krankheiten zuziehen. Laut einem im September 2006 dem Obersten Gericht Indiens vorgelegten medizinischen Bericht leiden 16 % der Arbeitskräfte, die in Alang mit Asbest in Kontakt kommen, an Asbestose und laufen somit ernsthaft Gefahr, später Mesotheliome auszubilden17. Das Auftreten dieser Form von Lungenkrebs erreicht, wie aus der medizinischen Forschung bekannt ist, seinen Höhepunkt erst mehrere Jahrzehnte nach der Exposition. 2005 waren in den Abwrackwerften Bangladeschs schätzungsweise 25 000 Arbeiter beschäftigt. In Indien waren es in den Boomzeiten ca. 40 000; Ende 2006 war die Zahl jedoch auf 6 000 zurückgegangen18. In beiden Ländern kommen die meisten Arbeiter aus den ärmsten Regionen und sind in der Regel ungelernt. Sie arbeiten ohne Vertrag, Kranken- oder Unfallversicherung und dürfen keine Gewerkschaften bilden. Bei Unfällen wird nur eine geringe oder gar keine Entschädigung gezahlt. Bei den leichteren Arbeiten ist Kinderarbeit in gewissem Umfang an der Tagesordnung.

Die Bedingungen in den Abwrackwerften sind von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, den Medien und dem Obersten Gericht Indiens kritisiert worden. Doch die Regierungen der südasiatischen Staaten scheinen nur widerstrebend bereit zu sein, Änderungen durchzusetzen, da sie die Schiffsabwrackung als wirtschaftlich wichtige Tätigkeit ansehen, die so wenig wie möglich behindert werden sollte.

2.4. Internationale Bestandsaufnahme

Seit vielen Jahren wird das Problem der Schiffsabwrackung sowohl innerhalb der EU als auch in den zuständigen internationalen Organisationen - der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und dem Basler Übereinkommen (genauer gesagt ihrer Dachorganisation, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen, UNEP) - diskutiert. Alle drei Organisationen haben unverbindliche Richtlinien für das Recycling von Schiffen erarbeitet19. Eine Gemeinsame Arbeitsgruppe von ILO, IMO und Basler Übereinkommen zur Schiffsabwrackung hat 2005 in zwei Sitzungen ein abgestimmtes Vorgehen erörtert, um Doppelarbeit und Überschneidungen von Funktionen, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zwischen den drei Organisationen zu vermeiden.

Seit 2005 arbeitet die IMO an einer bindenden internationalen Rechtsordnung für eine saubere Schiffsabwrackung. Die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission beteiligen sich an dieser Arbeit. Der Entwurf eines Übereinkommens über das sichere und umweltverträgliche Recycling von Schiffen wird derzeit im Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt (MEPC) der IMO erörtert. Das Übereinkommen soll von einer diplomatischen Konferenz 2008 oder 2009 angenommen werden und einige Jahre später in Kraft treten. Der Anhang des Entwurfs enthält Vorschriften für Anforderungen an Schiffe (einschließlich Bauart, Konstruktion, Betrieb und Instandhaltung) und Schiffsrecyclinganlagen sowie einige Vorschriften zu Meldepflichten. Ziel ist ein Schiffsrecycling nach dem Prinzip "von der Wiege bis zur Bahre", wobei gefährliche Stoffe in neuen Schiffen bereits vermieden und aus bestehenden Schiffen noch während ihres Betriebs entfernt werden sollen. Technische Details, die auch die umweltgerechte Bewirtschaftung von Schiffsrecyclinganlagen umfassen, sollen in den ergänzenden Leitlinien zum Übereinkommen festgelegt werden.

Nach dem derzeitigen Entwurf wird das Übereinkommen - wie auch andere IMO-Instrumente - nicht für kleinere Schiffe unter 400 oder 500 BRT, Kriegsschiffe, Marineversorgungsschiffe und andere in staatlichem Besitz befindliche oder staatlich betriebene Schiffe, die ausschließlich für den nicht gewerblichen Staatsdienst verwendet werden, gelten. Strittige Themen, die 2007 in IMO-Arbeitsgruppen diskutiert werden sollen, sind unter anderem die Frage, ob auf Vorschriften und Normen außerhalb des IMO-Rahmens Bezug genommen werden soll, die Umweltreferenznorm für Schiffsrecyclinganlagen, künftige Meldevorschriften (insbesondere ob wie beim Basler Übereinkommen eine zwischenstaatliche Notifizierung vorgeschrieben werden soll) und die Art des Überwachungsmechanismus für die Umsetzung des Übereinkommens.

Im Zusammenhang mit dem Basler Übereinkommen wird hauptsächlich erörtert, ob das vorgeschlagene Schiffsrecyclingübereinkommen ein ebenso hohes Maß an Kontrolle und Durchsetzbarkeit gewährleistet wie das Basler Übereinkommen. Die Teilnehmer der 8. Vertragsstaatenkonferenz vom 1. Dezember 2006 bekräftigten diese Forderung und sprachen sich unter anderem dafür aus, mit dem geplanten Übereinkommen Bedingungen für die Schiffsabwrackung zu schaffen, die dem Schutz der Arbeiter und der Umwelt vor den negativen Auswirkungen gefährlicher Abfälle und unsicherer Arbeitspraktiken dienen.

3. Möglichkeiten zur Verbesserung des Managements der Schiffsabwrackung in Europa

Die Kommission hat die damit im Zusammenhang stehenden vielfältigen Fragen untersucht und einige Möglichkeiten zur Schließung oder zumindest Verkleinerung der Umsetzungslücke und zum besseren Management der Schiffsabwrackung herausgearbeitet. Diese Möglichkeiten schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen und unterstützen einander.

3.1. Bessere Durchsetzung der europäischen Abfallverbringungsvorschriften

Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die EG-Abfallverbringungsverordnung einschließlich des Basler Verbots der Ausfuhr gefährlicher Abfälle anzuwenden und durchzusetzen.

Wenngleich sich das Ausfuhrverbot aufgrund der Beweglichkeit der Schiffe relative leicht umgehen lässt, könnte die Durchsetzung zumindest bei Schiffen und Schifffahrtsgesellschaften, die häufig europäische Gewässer befahren, verbessert werden. Dazu ist Folgendes erforderlich:

Da die Abfallverbringungsverordnung nicht nur für Schiffe gilt, die unter EU-Flaggen fahren, sondern für alle Abfallausfuhren und somit auch für Altschiffe, die aus europäischen Häfen auslaufen, können die Schiffseigentümer die Kontrollen nicht umgehen, indem sie auf außereuropäische Länder umflaggen. Dass die Schifffahrt in Europa aufgrund der strengeren Durchsetzung zurückgeht, ist kaum zu befürchten, solange die EU ein wirtschaftlich attraktiver und profitabler Markt bleibt. Realistischer ist hingegen die Gefahr, dass verantwortungslose nichteuropäische Schiffseigentümer im Falle von Kontrollen ihre Schiffe aufgeben, sodass der Steuerzahler letztendlich die Kosten für ihre ordnungsgemäße Entsorgung tragen muss. Diesem Problem kann nur durch eine insgesamt effizientere Durchsetzung der Schifffahrtsvorschriften begegnet werden.

3.2. Internationale Lösungen

In den beteiligten internationalen Gremien scheint Einvernehmen darüber zu bestehen, dass die Gewährleistung eines umweltgerechten und sicheren Recyclings von Schiffen Vorrang vor allen anderen Problemen hat. Um weltweit gleiche Bedingungen zu schaffen, sind bindende internationale Regeln notwendig. Diese sollten echte Veränderungen der gegenwärtigen Abwrackpraktiken bewirken, indem sie die häufige Verschmutzung von Boden und Wasser stoppen und die Arbeiter vor Unfällen und Verseuchung schützen. So sollten etwa sichere Auffangbehälter für Ölrückstände, die vorherige Entfernung von Asbest unter Verwendung von Schutzausrüstung, die Entgasung zur Vermeidung von Explosionen und Maschinen zur sicheren Beförderung schwerer Lasten vorgeschrieben werden.

Ein gewisses Preisgefälle zwischen europäischen und asiatischen Ländern wird vermutlich bestehen bleiben, selbst wenn letztere strenge Umwelt- und Gesundheitsnormen erfüllen, wahrscheinlich wird das Gefälle jedoch nicht mehr in allen Fällen prohibitiv wirken. Obwohl die Entwicklungsländer auch in absehbarer Zukunft in der Lage sein werden, niedrigere Arbeitskosten und höhere Preise für Stahl und wiederverwendbare Ausrüstungen zu bieten, bestünden dennoch mehr Möglichkeiten, das Preisgefälle durch freiwillige Maßnahmen zu überbrücken und so in Europa mit seinen besonders strengen Vorschriften ("Null-Verschmutzung" und "Null-Gesundheitsschädigung") Schiffsabwrackung in gewissem Umfang zu ermöglichen.

Das künftige internationale Übereinkommen wird für die globale Lösung des Problems der Schiffsabwrackung von entscheidender Bedeutung sein. Insofern stellt die IMO das am besten geeignete Gremium dar, um diese Fragen im globalen Rahmen anzugehen. Das neue Übereinkommen wird Auswirkungen auf die Abfallverbringungsverordnung und andere EU-Rechtsvorschriften zum Umwelt- und Arbeitsschutz haben. Daher muss die Gemeinschaft als solche bestrebt sein, Vertragspartei dieses spezifischen Übereinkommens der IMO zu werden. Dies könnte durch Aufnahme einer Klausel über Organisationen für regionale Wirtschaftsintegration ("REIO-Klausel") in das Übereinkommen geschehen, wie es bei allen neueren multilateralen Umweltverträgen der Fall ist. Um baldmöglichst internationale Normen für eine sichere und umweltgerechte Abwrackung zu erreichen, muss die Rolle der Gemeinschaft innerhalb der IMO gestärkt werden.

Es liegt im Interesse der EU, dass zum einen die Arbeit der IMO schnellstmöglich abgeschlossen wird und zum anderen das Übereinkommen einen ausreichend breiten Geltungsbereich hat und verlässliche Normen für den Gesundheits- und Umweltschutz sowie die Mechanismen zu ihrer Durchsetzung enthält bzw. anstößt. Dazu müssen in dem Übereinkommen die Rechte und Pflichten von Flaggen-, Hafen- und Recyclingstaaten eindeutig festgelegt und ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen ihnen erreicht werden. Das System der IMO muss so wirksam werden, dass Schiffe im Rahmen der damit geschaffenen Rechtsordnung nur noch umweltgerecht und sicher abgewrackt werden können.

Es ist unwahrscheinlich, dass das künftige Übereinkommen eine Verpflichtung zur Dekontaminierung eines Schiffs vor seiner letzten Fahrt enthalten wird, da die Schifffahrtsindustrie die Vorreinigung für sicherheitstechnisch undurchführbar oder unwirtschaftlich erachtet. Laut dem Entwurf kann von einer vorherigen Entfernung gefährlicher Stoffe abgesehen werden, wenn die ausgewählte Recyclinganlage die Art und Menge der in dem Schiff enthaltenen gefährlichen Stoffe in vollem Umfang bewirtschaften kann und darf. Der Entwurf (Stand Dezember 2006) versucht, die Anforderungen einzelner Schiffe und die Möglichkeiten der Recyclingwerften durch einen Recyclingplan und ein Internationales Recyclingfähigkeitszeugnis [International Ready for Recycling Certificate] miteinander in Einklang zu bringen. Allerdings muss noch klargestellt werden, dass der Eigentümer eines Altschiffs, sofern die Abwrackwerft bestimmte gefährliche Stoffe nicht bewirtschaften kann, eine andere Werft wählen oder die betreffenden Stoffe vor der Abwrackung selbst entfernen muss, damit sie sicher entsorgt oder aufbereitet werden können. Da gefährliche Stoffe laut der EG-Abfallverbringungsverordnung ordnungsgemäß aus Schiffen entfernt werden müssen, wenn diese als nicht gefährlicher Abfall eingestuft werden sollen, erarbeitet die Kommission derzeit eine Studie zu den Risiken, Kosten und Vorteilen der Vorreinigung. Die Ergebnisse sollten im späten Frühjahr 2007 vorliegen.

Eine Änderung der EG-Abfallverbringungsverordnung oder anderer EU-Rechtsvorschriften, auf die sich das geplante Übereinkommen auswirkt, wird gegenwärtig nicht erwogen. Diese Rechtsvorschriften sollen und werden in Kraft bleiben, und bis die internationalen IMO-Vorschriften denselben hohen Anforderungen genügen, sind auch keine Änderungen geplant. Insbesondere besteht kein Anlass, das Kontrollsystem für die grenzüberschreitende Abfallverbringung nach dem Basler Übereinkommen zu ändern und Ausnahmen für Altschiffe zu gewähren, bis eine neue internationale Rechtsordnung für sie dasselbe Kontrollniveau garantiert.

Um jedoch die Einbindung der Gemeinschaft in die IMO-Verhandlungen zu einem internationalen Übereinkommen über das Recycling von Schiffen zu verbessern, ist es notwendig,

Nach ihrer Annahme müssen das Übereinkommen und die zugehörigen Leitlinien in Gemeinschaftsrecht umgesetzt werden, damit es für unter EU-Flaggen fahrende Schiffe oder Schiffe, die EU-Gewässer befahren, bindend wird. Dies ist bei einer Reihe von IMO-Übereinkommen geschehen, etwa dem Übereinkommen über Bewuchsschutzsysteme (AFS-Übereinkommen), das durch die Verordnung (EG) Nr. 782/2003 in Gemeinschaftsrecht umgesetzt wurde. Ein solcher Erlass von EU-Vorschriften aufgrund internationaler Verträge ist derzeit der grundlegende politische Ansatz der EU, für den Seetransport und ermöglicht es, die spezifischen Besonderheiten des internationalen Schiffsverkehrs zu berücksichtigen.

Möglicherweise kommt das Schiffsrecyclingübereinkommen jedoch zu spät, um das durch ausrangierte Einhüllentanker verursachte Problem zu lösen, denn bis zum Inkrafttreten von IMO-Übereinkommen vergehen durchschnittlich sechs Jahre, während die meisten Tanker voraussichtlich 2010 ausrangiert werden. Obwohl es also notwendig ist, auf ein möglichst frühzeitiges Inkrafttreten des Übereinkommens zu drängen, müssen Zwischenlösungen gefunden werden.

3.3. Stärkung der Abwrackkapazitäten in der EU

Wie bereits in Punkt 2.2 ausgeführt, reichen die verfügbaren Abwrackkapazitäten in der EU und in anderen OECD-Staaten (insbesondere der Türkei) für alle Kriegsschiffe und anderen in Staatsbesitz befindlichen Schiffe aus, die in den kommenden 10 Jahren außer Dienst gestellt werden, nicht jedoch für die wesentlich höhere Zahl von Öltankern und anderen gewerbsmäßig verwendeten Großschiffen, die unter EU-Flaggen fahren oder im Besitz von in der EU ansässigen Unternehmen sind. Diese Situation wird sich nicht grundlegend ändern, auch wenn verschiedene Werften im Vereinigten Königreich, die die entsprechenden Zulassungen beantragt haben, in naher Zukunft ihren Betrieb aufnehmen werden20. Selbst wenn modernisierte Recyclinganlagen in China eine Alternative für diejenigen europäischen Schiffe darstellen, die außerhalb europäischer Gewässer als Abfall eingestuft werden, wird in den nächsten Jahren ein erheblicher Mangel an sicheren und umweltgerechten Abwrackkapazitäten bestehen.

Doch die Unterauslastung bestehender umweltgerechter oder modernisierter Anlagen in der EU, der Türkei und China zeigt, dass das Problem bei der Schiffsabwrackung eher auf der Nachfrage - als auf der Angebotsseite liegt. Unter den gegenwärtigen Marktbedingungen können EU-Unternehmen nicht mit den wesentlich niedrigeren Kosten und höheren Metallpreisen der Werften in Südasien mithalten. Solange keine gleichen Bedingungen in Form wirksamer und strenger weltweiter Normen für die Schiffsabwrackung bestehen, werden sich europäische Anlagen nur schwer am Markt behaupten können und die Schiffseigner werden ihre Schiffe weiterhin eher zu den normunterschreitenden Werften in Asien schicken.

In Anbetracht dieser Situation hat der Rat der EU am 17. Mai 2006 eine Erklärung abgegeben, wonach sich die Mitgliedstaaten nach Kräften um eine Erhöhung der Kapazität für die Abwrackung von Schiffen in der EU bemühen werden. Ferner werden sie alles daransetzen, in den internationalen Verhandlungen zur Festlegung weltweit verbindlicher Vorschriften für die Abwrackung von Schiffen substanzielle Fortschritte zu erzielen. In den am 20. November 2006 vor der 8. Vertragsstaatenkonferenz des Basler Übereinkommens angenommenen Schlussfolgerungen ersucht der Rat die Kommission zu prüfen, inwieweit ausreichende Kapazitäten für die Abwrackung von Schiffen in der EU aufgebaut werden müssen.

Zieht man in Betracht, welche Möglichkeiten bestehen, die Position umweltgerechter Abwrackanlagen im Allgemeinen und der Anlagen in der EU im Besonderen zu stärken, bis eine neue internationale Rechtsordnung weltweit gleiche Bedingungen geschaffen hat, so sollten sich die Maßnahmen auf in Staatsbesitz befindliche Schiffe konzentrieren. Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten stehen in der besonderen Pflicht, die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften einzuhalten und bei der Abwrackung von Kriegsschiffen und anderen in Staatsbesitz befindlichen Schiffen mit gutem Beispiel voranzugehen. Bei Kriegsschiffen ergibt sich eine zusätzliche Verantwortung aus dem relativ hohen Anteil gefährlicher Stoffe (vor allem Asbest) in älteren Schiffen.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten könnten das Angebot sauberer Abwrack- und Vorreinigungsdienstleistungen für ihre Altschiffe durch Ausschreibungen ankurbeln, in denen sie sich an strikte Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge halten, die eine Abwrackung nur im Einklang mit den geltenden Abfallverbringungsvorschriften und strengen Normen für eine umweltgerechte Abfallbeseitigung gestatten. Der Überlebensfähigkeit europäischer Abwrackwerften wäre schon durch mehr Transparenz bei der Außerdienststellung staatlicher Schiffe, einen koordinierten Zeitplan und eine EU-weite Harmonisierung der von den Regierungen in Abwrackverträgen festgelegten Qualitätsnormen gedient.

Wenn Mitgliedstaaten ihre Schiffe an andere Länder oder gewerbliche Käufer weiterverkaufen, können sie sich dennoch einen gewissen Einfluss sichern, indem sie in die jeweiligen Kaufverträge Bedingungen zur Abwrackung aufnehmen, etwa eine Klausel, wonach die Regierung der Veräußerung bzw. Entsorgung zustimmen muss. Solche Bestimmungen sind Teil des im März 2006 veröffentlichten Entwurfs einer Ship Recycling Strategy des Vereinigten Königreichs21.

Was die wesentlich größere Handelsflotte betrifft, so sind die oben beschriebenen wirtschaftlichen Erwägungen von primärer Bedeutung. Solange keine bindende internationale Rechtsordnung voll etabliert ist, und vermutlich selbst danach, sind starke Anreize notwendig, um die Schifffahrtsindustrie zur Änderung ihrer gegenwärtigen Praktiken zu bewegen. Längerfristig sollte die Schaffung eines nachhaltigen Systems zur Finanzierung einer weltweiten sicheren und umweltgerechten Abwrackung von Schiffen angestrebt werden, in das die Schiffseigentümer und möglicherweise auch andere Nutznießer der Schifffahrt einzahlen. Wie ein solches System aussehen könnte, wird weiter unten in Punkt 3.6. erörtert.

In der Zwischenzeit können freiwillige Verpflichtungen im Sinne der sozialen Verantwortung der Unternehmen eine gewisse Rolle spielen und sollten unterstützt werden (vgl. Punkt 3.5). Vor allem Auszeichnungen und Zertifizierungssysteme können hier den Weg weisen.

Die Frage, ob umweltgerechte Abwrackanlagen in der EU oder Schiffseigentümer, die ihre Schiffe von umweltgerechten Werften abwracken oder reinigen lassen, mit direkten Finanzhilfen unterstützt werden sollten, verdient besondere Aufmerksamkeit. Solche Unterstützungen für innovative Anlagen könnten zu einer indirekten Verringerung der Zahl der unter inakzeptablen Bedingungen abgewrackten Schiffe beitragen. Hier lässt sich jedoch leicht erkennen, dass über einen langen Zeitraum große Summen benötigt würden, ohne nachhaltige industrielle Aktivitäten zu schaffen, während die Gefahr einer Quersubventionierung anderer Tätigkeiten, insbesondere im Schiffbau, wo der Wettbewerb sehr hart ist, bestünde. Davon abgesehen würde die Subventionierung von Abwrackwerften und erst recht die direkte Unterstützung von Schiffseigentümern dem im Gemeinschaftsrecht verankerten Verursacherprinzip zuwiderlaufen. Daher überrascht es nicht, dass die Vorschriften für staatliche Beihilfen dieser Art von Finanzhilfen enge Grenzen setzen.

Der gegenwärtige Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen, der zur Bestimmung des Umfangs solcher Finanzhilfen herangezogen werden müsste, hat unter anderem bestimmte Abfallbewirtschaftungsdienstleistungen, nicht jedoch die Schiffsabwrackung zum Gegenstand. Ob Zuschüsse für bestimmte Aktivitäten, etwa innovative Investitionen, die Entsorgung von Asbest oder die Beteiligung von Unternehmen an Zertifizierungs- und Überwachungssystemen staatliche Beihilfen in diesem Sinne und nach dem Gemeinschaftsrahmen zulässig sind, muss gegenwärtig von Fall zu Fall beurteilt werden. Im Rahmen der Europäischen Kohäsionspolitik können auch Finanzhilfen für Werften sowie für Recyclinganlagen bereitgestellt werden, sofern dies im Einklang mit den Zielsetzungen, Regeln und Verfahren der Politik geschieht.

3.4. Technische Hilfe für Recyclingstaaten sowie Technologietransfer und Weitergabe von bewährten Praktiken

Trotz der schlechten und gefährlichen Arbeitsbedingungen und der lokalen Umweltzerstörung sind Abwrackwerften für die südasiatischen Länder ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. So gewinnt Bangladesch vermutlich etwa 90 % seines Stahls aus der Schiffsabwrackung und die Industrie bietet Zehntausenden Arbeitern Beschäftigung.

Um die Modernisierung der Anlagen in diesen Ländern zu unterstützen, ist technische Hilfe ebenso erforderlich wie ein Anreiz für den Erlass strengerer Vorschriften. In kleinerem Umfang werden technische Hilfe und solche Anreize bereits von internationalen Organisationen, einigen OECD-Staaten und auch der Kommission . geboten. Die gewährte technische und finanzielle Hilfe sollte in engem Zusammenwirken mit den betroffenen Ländern und anderen internationalen Gebern überprüft werden, , um stärker eine sichere und umweltgerechte Schiffsabwrackung . zu fördern. Die EU wird in Kürze neue bzw. zu verlängernde politische oder wirtschaftliche Abkommen mit einer Reihe von Recyclingstaaten aushandeln und dabei gegebenenfalls ausloten, welche Möglichkeiten bestehen, um die wünschenswerten besseren Arbeitsbedingungen und höheren Umweltstandards einzubeziehen.

Innerhalb der EU steht ein beträchtlicher Schatz an Erfahrung und Technologie für die umweltgerechte Schiffsabwrackung zur Verfügung. Die EU sollte daher bestrebt sein, diese Erfahrung mit den Recyclingstaaten zu teilen und zu diesem Zweck den Technologietransfer und die Weitergabe von bewährten Praktiken zu fördern. Zugleich kann die EU ihre Erfahrungen und erprobten Verfahrensweisen beim Umgang mit den Asbestgefahren weitergeben und somit in den betreffenden Ländern einen Beitrag zur Hebung der Normen für die Schutzvorkehrungen bei den Abwrackarbeiten leisten.

Über die technischen Ebene hinaus muss man jedoch der Tatsache Rechnung tragen, dass das Fehlen oder die Nichtdurchsetzung elementarer Arbeits- und Umweltschutzvorschriften in engem Zusammenhang mit der strukturellen Armut und anderen sozialen und rechtlichen Problemen in einigen Regionen Südasiens - namentlich dem Fehlen von Eigentumsrechten der Anlagenbetreiber und den häufig extrem kurzen Pachtverträgen für Küstenland, der Schwäche der Strafverfolgungsbehörden und schlechter Staatsführung - steht. Um nachhaltige Änderungen zu bewirken, muss die Hilfe daher in einen breiteren Rahmen eingebettet werden.

3.5. Förderung freiwilliger Maßnahmen

Handelsschiffe bringen ihren Eigentümern über eine relativ lange Betriebsdauer hohe Gewinne ein. Wenn ein Schiff am Ende seiner Betriebsdauer zu Abfall wird, so ist der Eigentümer als diejenige Person, die in der Regel entschieden hat, das Schiff abwracken zu lassen, und daher "Erzeuger" des Abfalls ist, am besten geeignet, für seine sichere und umweltgerechte Entsorgung oder Aufbereitung zu sorgen. Reeder, die ihr Berufsethos Ernst nehmen, sollten die gegenwärtigen Abwrackpraktiken, die das Leben und die Gesundheit der Arbeiter gefährden und die Umwelt verschmutzen, nicht gutheißen.

Freiwillige Verpflichtungen von Schiffseigentümern, ihren Verbänden und ihren Kunden sind der vielleicht einfachste und schnellste Weg, die Praktiken von Grund auf zu ändern. So hat die Reederei P&O Nedlloyd, die jetzt zur Maersk-Gruppe gehört, eine Partnerschaft mit chinesischen Anlagen gebildet, deren Umwelt- und Sicherheitsstandards durch technische Hilfe und Schulung verbessert wurden. Intertanko, der Verband unabhängiger Tankereigner, verkündete im September 2006 die Annahme einer Interimsstrategie, wonach Schiffseigner nur solche Recyclinganlagen nutzen sollten, die nachweislich Fortschritte im Bereich Sicherheit und Umweltmanagement nach Abschnitt C des Entwurfs des internationalen Übereinkommens gemacht haben.

Die Vertragsstaatenkonferenz des Basler Übereinkommens ruft in einem Beschluss vom 1. Dezember 2006 Schiffseigner und andere Beteiligte zu praktischen Schritten auf, die gewährleisten, dass Altschiffe umweltgerecht abgewrackt werden.

Freiwillige Vereinbarungen können wirksam sein, wenn sie inhaltlich zweckmäßig gestaltet sind und zudem eindeutige Mechanismen für die Umsetzung der von den Beteiligten des Privatsektors übernommenen Verpflichtungen sowie entsprechende Überwachungs- und Kontrollsysteme vorsehen. Eine Verpflichtung dieser Art wäre ein nützlicher erster Schritt zu Veränderungen, der öffentlich unterstützt und nach Möglichkeit von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten mit Anreizen gefördert werden sollte. Anschließend muss die Umsetzung überwacht werden. Erweist sich dann, dass die Verpflichtung in der Praxis nicht befolgt wird, sind gesetzliche Regelungen vermutlich unumgänglich.

3.6. Abwrackfonds

Insbesondere auf längere Sicht können Investitionen in saubere Abwrackanlagen in Europa oder Asien nicht aus öffentlichen Mitteln bezuschusst werden. Nach dem Verursacherprinzip und dem Grundsatz der Herstellerverantwortung müssen die Eigentümer die volle Verantwortung für die ordnungsgemäße Entsorgung übernehmen. Ein solches nachhaltiges Finanzierungssystem ließe sich auf freiwilliger Basis insbesondere mit Beiträgen aus der Schifffahrtsindustrie einrichten, doch in Anbetracht des harten Wettbewerbs auf dem Markt wäre es als obligatorischer Bestandteil des neuen internationalen Übereinkommens zur Schiffsabwrackung wahrscheinlich wirksamer. Die IMO wäre am besten in der Lage, diesen Fonds - ähnlich wie die nach dem MARPOL-Übereinkommen bestehenden Ölverschmutzungsfonds - zu verwalten. Zum Schutz gegen Umflaggung auf Staaten, die sich dem Fondssystem nicht anschließen, sollten die Beiträge mit der Registrierung bei der IMO oder dem Betrieb von Schiffen während ihrer gesamten Nutzungsdauer verknüpft werden, etwa über Hafengebühren oder Pflichtversicherungen.

Die Verknüpfung mit der Betriebsdauer des Schiffs ist auch einer zum Zeitpunkt seines Baus hinterlegten Kaution vorzuziehen, da Erbauerwerften bei der Abwrackung häufig nicht mehr existieren. Sollte sich ein von der IMO verwalteter Fonds nicht durchsetzen lassen, wäre ein regionales System zu erwägen.

3.7. Weitere Optionen

Zur Unterstützung des Modernisierungsprozesses der Abwrackindustrie könnten sich kurz- und mittelfristig auch verschiedene andere Maßnahmen als nützlich erweisen:

Dabei entwickeln Forschungseinrichtungen und Abwrackwerften aus der EU, der Türkei und Indien Entscheidungshilfesysteme (DSS), die der Abwrackindustrie weltweit kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollen. Die kürzlich veröffentlichte erste Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für das Siebte Rahmenprogramm legt den Forschungsbereich Strategien zur Abwrackung von Schiffen ausdrücklich als einen Schwerpunkt fest.

Abgesehen von diesem und anderen Forschungsprojekten, die von der Kommission selbst betrieben wurden oder werden23, könnte eine stärkere partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Forschern in Asien und Europa einer integrierten Untersuchung der Optionen und ihrer Auswirkungen unter Berücksichtigung von ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Aspekten dienen. Dann wäre es möglich, wissenschaftlich fundierte Maßnahmen vorzuschlagen, die den verschiedenen einheimischen Akteuren nützen würden und bei internationalen Verhandlungen hilfreich wären. Allerdings kann es mehrere Jahre dauern, bis die Ergebnisse dieser Forschungen zur Verfügung stehen.

4. Fazit

Dieses Grünbuch legt die grundlegenden Fakten der Schiffsabwrackung dar und erläutert die damit verbundenen Probleme. Weitere Einzelheiten und Daten sind im Anhang zu finden. Um uns mehr Klarheit darüber zu verschaffen, wie die EU weiter vorgehen soll, ersuchen wir die Mitgliedstaaten, interessierte Parteien und die Öffentlichkeit, über folgende Fragen nachzudenken:

Beiträge im Rahmen dieses Konsultationsprozesses sind bis 30. September 2007 per E-Mail an "shipdismantling@ec.europa.eu" oder per Post an folgende Anschrift zu übermitteln:


Europäische Kommission
Generaldirektion Umwelt
Referat G.4 "Nachhaltige Produktion und Verbrauch"
B-1049 Brüssel

Dieses Grünbuch und die eingegangenen Beiträge werden auf der Website der Kommission veröffentlicht, sofern dem nicht ausdrücklich widersprochen wurde. Die Kommission beabsichtigt, ihre Analyse der eingegangenen Beiträge sowie gegebenenfalls ihren Vorschlag und/oder ihre Initiativen für eine EU-weite Strategie zur Schiffsabwrackung Ende 2007 vorzustellen.