Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung - Ein europäischer Rahmen für den sozialen und territorialen Zusammenhalt KOM (2010) 758 endg.

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 923/07 (PDF) = AE-Nr. 071038,
Drucksache 306/10 (PDF) = AE-Nr. 100375,
Drucksache 561/10 (PDF) = AE-Nr. 100703,
Drucksache 616/10 (PDF) = AE-Nr. 100788,
Drucksache 694/10 (PDF) = AE-Nr. 100869 und
Drucksache 786/10 (PDF) = AE-Nr. 100992

Brüssel, den 16.12.2010 KOM (2010) 758 endgültig

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung - Ein europäischer Rahmen für den sozialen und territorialen Zusammenhalt

1. Einleitung

Die Europäische Kommission hat den Kampf gegen die Armut ins Zentrum ihrer Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialagenda gerückt - der Strategie "Europa 2020". Die Staats- und Regierungschefs haben einen wichtigen Durchbruch geschafft: Sie einigten sich auf das gemeinsame Ziel, dass die Europäische Union in den nächsten zehn Jahren mindestens 20 Millionen Menschen einen Weg aus der Armut und der sozialen Ausgrenzung eröffnen soll. Nun werden ergänzende nationale Ziele für alle 27 Mitgliedsstaaten folgen.

Im Jahr 2008 lebten mehr als 80 Millionen Menschen in der Europäischen Union unter der Armutsgrenze, das sind mehr Menschen als die gesamte Bevölkerung unseres größten Mitgliedslandes oder 16,5 % der EU-Bevölkerung. Deutlich mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen und 20 Millionen sind Kinder. Die Wirtschaftskrise hat die Situation natürlich noch verschärft.

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise tragen zu einem großen Teil die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Die Lage der Menschen mit dem geringsten Einkommen hat sich weiter verschlechtert und ihr Überschuldungs- und Insolvenzrisiko ist jetzt noch höher. Am härtesten getroffen hat der Anstieg der Arbeitslosigkeit junge Menschen, Migrantinnen und Migranten und gering Qualifizierte, die häufig auf befristete und schlecht bezahlte Jobs angewiesen sind, und deren Lebensbedingungen sich daher zunehmend verschlechtern. Im Detail bedeutet dies, dass einer von fünf jungen Menschen am Arbeitsmarkt keine Arbeit hat; Nicht-EU-Staatsangehörige weisen eine um 11 Prozentpunkte höhere Arbeitslosenrate auf als EU-Bürgerinnen, und gering qualifizierte Personen werden doppelt so häufig arbeitslos wie hoch qualifizierte.

Im Jahr 2008 machten die sogenannten erwerbstätigen Armen ("working poor") 8 % der Erwerbsbevölkerung aus und das Armutsrisiko ist für arbeitslose Menschen seit 2005 deutlich angestiegen, nämlich von 39 % auf 44 %. Weiters sind 8 % der Europäerinnen gravierender materieller Deprivation ausgesetzt und können sich eine Reihe von Gütern nicht leisten, die in Europa Voraussetzung für einen angemessenen Lebensstandard sind, wie

Telefon oder angemessene Heizung. In den ärmsten Ländern liegt die Quote bei über 30 %. Darüber hinaus leben 9 % der europäischen Bevölkerung im Erwerbsalter in Haushalten, in denen niemand erwerbstätig ist.

Diese Situation ist für Europa im 21. Jahrhundert untragbar. Der Kampf gegen soziale Ausgrenzung, die Förderung sozialer Gerechtigkeit und der Grundrechte sind seit langem Kernziele der Europäischen Union, die ja auf den Werten Respekt der Menschenwürde und Solidarität gründet. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten müssen jedoch deutlich mehr tun und dies auch effizienter und wirksamer, um den schwächsten Bürgerinnen und Bürgern zu helfen. Das größte Kapital der Union sind ihre Menschen. Unsere Aussichten für eine florierende Europäische Union hängen davon ab, dass die Europäerinnen sich und ihren Familien eine bessere Zukunft sichern können. Wieder für Wirtschaftswachstum zu sorgen, mit mehr und besseren Arbeitsplätzen, das wird der Schlüssel im Kampf gegen Armut sein.

Die Kommission schlägt zu diesem Zweck als eine ihrer sieben Leitinitiativen die Einrichtung einer europäischen Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung vor. Die Plattform soll die Mitgliedsstaaten, die EU-Organe und die wichtigsten Stakeholderinnen verpflichten, gemeinsam Armut und soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Das neue Jahrzehnt wird vermutlich überwiegend von öffentlichen Ausgabenkürzungen geprägt sein, weshalb mit den geplanten Maßnahmen die Effizienz gesteigert und das Vertrauen gestärkt werden müssen, und zwar durch das Beschreiten neuer partizipativer Wege im Kampf gegen Armut; gleichzeitig muss die Präventionspolitik weiterentwickelt und auf Bedürfnislagen dort reagiert werden, wo sie entstehen.

Die Plattform soll deshalb einen dynamischen Aktionsrahmen einrichten, um den sozialen und territorialen Zusammenhalt zu gewährleisten, damit Wachstum und Beschäftigung allen in der Europäischen Union zugute kommen, und Menschen, die unter Armut und sozialer Ausgrenzung leiden, in Würde leben und sich aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen können.

Neben der Europäischen Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung und dem Armutsreduktionsziel tragen auch das Beschäftigungsziel (mindestens 75 % Erwerbsquote für Frauen und Männer zwischen 20 und 64) und das Bildungsziel (Senkung der Schulabbrecherquote von 15 % auf unter 10 %) zu den sozialen Zielen der Strategie "Europa 2020" bei. Leitinitiativen wie "Jugend in Bewegung" und die "Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten" dienen ebenfalls diesen Zielen. Weiters gibt es wichtige Verbindungen zu den anderen Leitinitiativen - z.B. "Digitale Agenda für Europa"1, "Innovationsunion"2, "Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung"3 - und zur bevorstehenden Leitinitiative zum ressourcenschonenenden und emmisionsarmen Europa.

In dieser Mitteilung wird der Beitrag der verschiedenen Politikbereiche zur Erreichung des ehrgeizigen Ziels - die Armut zu verringern und die Eingliederung zu stärken - erläutert, eine Reihe flankierender Maßnahmen identifiziert, die helfen sollen, das Armutsreduktionsziel umzusetzen, sowie Struktur und Inhalt der Plattform dargelegt (siehe begleitendes Arbeitspapier, das eine detailliertere, nicht erschöpfende Liste der von der Kommission geplanten Maßnahmen enthält).

2. die Herausforderungen

2.1. Armut und Ausgrenzung haben viele Dimensionen

Der Europäische Rat hat das prioritäre Ziel für die Reduktion von Armut und Ausgrenzung auf der Basis von drei Indikatoren festgelegt: Armutsgefährdungsrate (nach sozialen Transferleistungen), Index der materiellen Deprivation und Prozentsatz von Menschen, die in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung leben 4. Diese Definition verdeutlicht auch die zahlreichen Faktoren, die Armut und/oder Ausgrenzung zugrunde liegen, sowie die ganz unterschiedlichen Probleme der Mitgliedsstaaten und die Prioritäten, die sie deshalb festgelegt haben. Das größere Aggregat (insgesamt 116 Millionen Menschen im Jahr 2008) deckt eine breitere Bevölkerungsschicht ab als jene, die üblicherweise als "arm" gilt, da es eine territoriale Perspektive und Formen der Ausgrenzung umfasst, die nicht unbedingt einkommensbezogen sind. Die territoriale Dimension ist besonders wichtig, weil die "allerärmsten Menschen" häufig in bestimmten Regionen oder sogar noch kleineren geografischen Räumen konzentriert sind.

Die Indikatoren, die dem EU-Armutsreduktionsziel zugrunde liegen, wurden im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung im Bereich Sozialschutz und soziale Eingliederung (soziale OMK) vereinbart und entwickelt. Im Laufe der letzten zehn Jahre haben die Mitgliedsstaaten bei der Funktionsweise und der Reform ihrer Systeme für die soziale Sicherheit zusammengearbeitet und Erfahrungen ausgetauscht. Sie haben gemeinsame Ziele festgelegt und sich auf Indikatoren geeinigt, an denen sie ihre Politik für die soziale Eingliederung, die Reform der Pensions- und Rentensysteme, das Gesundheitswesen und die Langzeitpflege ausrichten. Die soziale OMK unterstützt das Voneinander-Lernen, fördert die Einbindung der Stakeholderinnen, vertieft das Verstehen alter und neuer sozialer Risiken und rückt Herausforderungen in den Blick, die nach neuen Ansätzen und Lösungen verlangen.

"Europa 2020" soll diesen Bestrebungen neue Impulse und Relevanz verleihen und helfen, maßgeschneiderte Strategien und Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung zu entwickeln. Obwohl die Hauptverantwortung in diesem Bereich bei den Mitgliedsstaaten liegt, kann das Armutsreduktionsziel nur durch Bündelung aller Bemühungen und Instrumente auf EU- und nationaler Ebene erreicht werden.

2.2. Maßnahmen gegen Armut in verschiedenen Lebensphasen

Es hat sich gezeigt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen ein besonders hohes Armutsrisiko haben. Dazu zählen vor allem Kinder, junge Menschen, Alleinerziehende, Haushalte mit zu versorgenden Personen, Menschen mit Migrationshintergrund, bestimmte ethnische Minderheiten (z.B. Roma) und Menschen mit Behinderung. Deutlich zeigt sich auch die Kluft zwischen den Geschlechtern - Frauen sind allgemein stärker armutsgefährdet als Männer.

Im heutigen Europa sind mehr als 20 Millionen Kinder von Armut bedroht. Wachsen Kinder in großen Familien auf, beträgt das Risiko 25 %, bei Kindern von Alleinerziehenden über 30 %. Die Zahlen haben sich in den letzten Jahren trotz stärkeren politischen Bewusstseins für diese Problematik nicht verbessert. Armut bedeutet in jedem Fall eingeschränkte Chancen und vergeudetes Potenzial. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel. Armut behindert die persönliche Entwicklung, wirkt sich negativ auf die Gesundheit, den Bildungsgrad und das allgemeine Wohlbefinden der Kinder aus. Ein Kind, das in Armut und ausgegrenzt aufwächst, hat ein höheres Risiko im Erwachsenenalter marginalisiert und in einem "Kreislauf" gefangen zu sein, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Um Kindern den Weg aus der Armut zu ermöglichen, braucht es einen mehrdimensionalen Ansatz, der folgende Aspekte umfasst: Beschäftigungspolitik (Unterstützung der Eltern bei der Arbeitssuche), Steuerbegünstigungssysteme, Angebot an Schlüsselleistungen wie qualitativer Kinderbetreuung, Bildung und Schutz der Rechte von Kindern - Letzterer hat als ausdrückliches Ziel der Europäischen Union Eingang in den Vertrag von Lissabon gefunden. Ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind Gleichstellungs- und Familienpolitik.

Jeder fünfte junge Mensch in der EU ist armutsgefährdet. Immer mehr junge Menschen finden keinen Platz in der beruflichen Aus- und Weiterbildung oder in der Hochschulbildung und finden nur schwer Arbeit. Jede/r Fünfte unter 25 ist arbeitslos und damit stark armutsgefährdet. Gleichzeitig führt die Tatsache, dass einer von zehn erwerbstätigen jungen Menschen immer noch in Armut lebt, vor Augen, dass auch die Qualität der Eingliederung junger Menschen in den Arbeitsmarkt verbessert werden muss.

Für die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist Arbeitslosigkeit die Hauptursache für Armut. Die Armutsgefährdung von Arbeitslosen ist mehr als fünf Mal so hoch wie die von Erwerbstätigen (44 % gegenüber 8 %). Armut und Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt gehen Hand in Hand, was bei Frauen und jungen Menschen besonders deutlich wird. Niedriges Einkommen, geringe Qualifikationen und Unterbeschäftigung können zu Armut trotz Erwerbstätigkeit führen. Seit 2000 ist die Zahl der von Armut trotz Erwerbstätigkeit Betroffenen aufgrund der Zunahme bei befristeten Arbeitsverhältnissen und Teilzeitarbeit (einschließlich unfreiwilliger Teilzeitarbeit) gestiegen, mitunter in Kombination mit stagnierenden Löhnen. Armut trotz Erwerbstätigkeit hat auch damit zu tun, dass ganze Familien von einem einzigen Arbeitseinkommen abhängen. Am größten ist das Risiko für Alleinerziehende und Familien mit nur einem Einkommen. Fehlende, finanziell leistbare Kinderbetreuung hindert sie daran, sich voll am Arbeitsmarkt einzubringen.

Auch ältere Menschen sind (mit 19 %) stärker armutsgefährdet als die Bevölkerung insgesamt und in zahlreichen Ländern leidet die ältere Bevölkerung besonders stark unter materieller Deprivation. Die Größenordnung des demografischen Wandels, vor dem die EU steht, wird dieses Problem noch verschärfen. Bis 2030 wird die Zahl der im Ruhestand befindlichen Personen in der EU um mehr als 25 Millionen zunehmen, weshalb nicht nur die Angemessenheit und Nachhaltigkeit unserer Pensions- und Rentensysteme zunehmend unter Druck geraten, sondern auch das Gesundheitswesen und die Altenpflege. Längerfristig wird das Armutsrisiko für ältere Menschen auch aufgrund häufiger unterbrochener Erwerbsbiografien steigen.

2.3. Starke Ausgrenzung, neue Formen der Gefährdung und spezifische Nachteile

Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt stellt eine der extremsten Formen von Armut und Deprivation dar und hat in den letzten Jahren zugenommen. Ein weiteres Zeichen starker Deprivation ist Energiearmut, die nicht nur die Gefahr birgt, dass Haushalte nicht mehr heizen oder kühlen können, sondern diese auch von Warmwasser, Licht und anderen grundlegenden Gütern eines Haushalts ausschließt . Finanzielle Ausgrenzung aufgrund fehlenden Zugangs zu grundlegenden Bankdienstleistungen und Überschuldung, die die Finanzkrise noch verschärft hat, können ebenfalls ein Hindernis bei der Arbeitssuche sein und so zu dauerhafter Marginalisierung und Armut führen.

Die Wirtschaftskrise hat auch noch einmal deutlich gemacht, dass Migrantinnen und Migranten dem Armutsrisiko stärker ausgesetzt sind, weil sie bei steigender Arbeitslosigkeit häufig als Erste betroffen sind. Im ersten Quartal 2010 erreichte die Arbeitslosenquote der ausländischen Bevölkerung mehr als 21 %. Für diese Bevölkerungsgruppe ist der Verlust des Arbeitsplatzes oft mit fehlendem Zugang zu Netzen der sozialen Sicherheit verbunden.

Bestimmte ethnische Minderheiten - die größte Gruppe sind die Roma (ca. 10-12 Millionen in Europa) - sind überproportional von mehrfacher Deprivation betroffen.

Menschen mit Behinderung oder chronisch Schwerkranke stehen häufig vor großen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, die oft den gesamten Haushalt betreffen, von dem sie abhängig sind: Rund 6,5 Millionen von Armut oder Ausgrenzung bedrohte Menschen geben an, an einer Form von Behinderung zu leiden.

3. Europäische PLATTFORM gegen Armut soziale Ausgrenzung

Der Kampf gegen Armut und Ausgrenzung muss auf Wachstum und Beschäftigung sowie auf modernem und wirksamem Sozialschutz aufbauen. Darüber hinaus muss innovative Sozialschutzintervention mit vielen verschiedenen sozialpolitischen Maßnahmen kombiniert werden, darunter zielgerichtete Bildungs-, Sozialhilfe-, Wohnungs-, Gesundheits-, Vereinbarkeits- und Familienpolitik - alles Bereiche, in denen die Wohlfahrtssysteme bis jetzt mit Residualprogrammen eingegriffen haben.

Die europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung ist der Beitrag der EU zur Bewältigung dieser Herausforderungen im Rahmen der Strategie "Europa 2020". Die Kommission hat folgenden Handlungsbedarf festgestellt:

3.1. Maßnahmen für den Kampf gegen Armut und Ausgrenzung in allen Politikbereichen

Armut hat viele Dimensionen, darunter fehlendes Einkommen und Mangel an ausreichenden materiellen Ressourcen für ein Leben in Würde, unzureichender Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie medizinischer Versorgung, Wohnraum und Bildung, Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt und schlechte Arbeitsplätze. Diese Aspekte sind die tieferen Ursachen für Armut und machen nachvollziehbar, wie einzelne Menschen und ganze Familien in die soziale Ausgrenzung rutschen. Lösungen für diese Probleme erfordern Ansätze, die alle Politikbereiche erfassen, sodass der Kampf gegen Armut bei der Ausarbeitung jeder politischen Strategie berücksichtigt werden muss. Das verlangt bessere Koordinierung zwischen makro- und mikroökonomischen Strategien und unterstreicht die wichtige Rolle einiger Politikfelder außerhalb des traditionellen Verantwortungsbereichs der Politik der sozialen Eingliederung und des Sozialschutzes: Eine entscheidende Rolle werden wirksame Synergien mit anderen Leitinitiativen der Strategie "Europa 2020" spielen.

Zugang zur Beschäftigung

Für diejenigen, die arbeiten können, ist ein Arbeitsplatz der sicherste Weg aus der Armut. In Zeiten der Wirtschaftskrise ist das eine heikle Botschaft, aber da sich unsere Wirtschaftssysteme wieder in Richtung Wachstum bewegen, muss sich unser Hauptaugenmerk auf nachhaltiges, beschäftigungsintensives Wachstum richten. Wenn bis 2020 das für die Europäische Union festgelegte Ziel einer 75 %-igen Beschäftigungsquote sowohl für Frauen als auch für Männer erreicht wird, wäre das der größte Einzelbeitrag zur Vorgabe, 20 Millionen Europäerinnen aus der Armut zu holen.

Die Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten zeigt Wege auf, wie mehr Menschen in Beschäftigung gebracht werden können - der Schwerpunkt liegt auf besser funktionierenden und weniger segmentierten Arbeitsmärkten, besser qualifizierten Arbeitskräften, hochwertigeren Arbeitsplätzen und besseren Arbeitsbedingungen und auf der Förderung sowohl der Schaffung von Arbeitsplätzen als auch der Nachfrage nach Arbeitskräften. Für die Armutsreduktion sind alle vier Aspekte relevant, ganz besonders allerdings folgende der vorgeschlagenen Maßnahmen: der Flexicurity neue Impulse verleihen und neue Methoden suchen, um die Arbeitsmarktsegmentierung aufzuheben und gleichzeitig für moderne und integrative Leistungen und Systeme der sozialen Sicherheit zu sorgen; die Menschen mit den richtigen Qualifikationen ausstatten, einschließlich digitaler Kompetenzen; die Einstellung von Arbeitskräften durch den selektiven Abbau von Lohnnebenkosten fördern, und zwar vor allem für gering qualifizierte Personen. Diese Leitinitiative betrachtet das Beschäftigungswachstum durch die "soziale Brille" und unterstreicht, wie wichtig es ist, sowohl die quantitative wie auch die qualitative Dimension von Beschäftigung im Auge zu behalten. Sie betont die Notwendigkeit, Menschen in Armut zu den Qualifikationen zu verhelfen, mit deren Hilfe sie jede Zunahme des Beschäftigungspotenzials, z.B. bei "grünen" Arbeitsplätzen, in vollem Umfang nutzen können, da es einen eindeutigen Synergieeffekt zwischen der Schaffung von Arbeitsplätzen und "grünem" Wachstum gibt.

Die aktive Eingliederung der arbeitsmarktfernsten Personen stand schon bisher ganz oben auf der EU-Agenda und den nationalen Agenden. Jetzt verfügen wir über eine Reihe gemeinsamer Grundsätze5, um den Menschen beim Zugang zum Arbeitsmarkt zu helfen. Grundsätze, die auf die Notwendigkeit integrierter Strategien verweisen, bei denen gut durchdachte Einkommenssicherungssysteme mit inklusiven Arbeitsmärkten und angemessenen Sozialleistungen kombiniert werden. Die arbeitsmarktfernsten Menschen brauchen darüber hinaus verstärkte soziale Unterstützung, die auch dann weiterläuft, wenn sie einen Arbeitsplatz gefunden haben, um einen Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und qualitativ schlechter, prekärer Beschäftigung zu vermeiden. Daten zeigen, dass dieser Aspekt oft fehlt oder nur unzureichend berücksichtigt wird. In mehreren Mitgliedsstaaten hat ein signifikanter Prozentsatz der Not leidenden Menschen keinen Zugang zu Sozialhilfe oder sie nehmen ihre Rechte nicht in Anspruch. Andere wiederum sind in der Abhängigkeit von Sozialleistungen gefangen, häufig mit Ansprüchen, die für den Weg aus der Armut nicht ausreichen.

Die Kommission wird 2012 eine Mitteilung vorlegen, in der sie die Umsetzung aktiver Eingliederungsstrategien auf nationaler Ebene, einschließlich der Wirksamkeit von Mindesteinkommenssystemen, und die Möglichkeit, EU-Gelder zur Förderung der aktiven Eingliederung einzusetzen, einer eingehenden Bewertung unterzieht.

Sozialschutz und Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen

Die jüngste Krise hat die Systeme der sozialen Sicherheit vor die völlig neue Aufgabe gestellt, bei gekürzten öffentlichen Mitteln auf die laufend zunehmende Ausgrenzung zu reagieren. Obwohl die Sozialschutzsysteme nach Ausbruch der Krise die dringendsten Aufgaben erfolgreich bewältigen konnten, hat ein erheblicher Teil der Bezieherinnen niedriger Einkommen nur eingeschränkten Zugang zu Netzen der sozialen Sicherheit.

Neben der Mobilisierung einer größeren Zahl von Akteurinnen und Instrumenten geht es jetzt um eine Effizienzsteigerung - durch Dienstleistungskonsolidierung und bessere Umsetzung. Wichtig ist auch, dass die Strategien auf zwei zentrale Herausforderungen zielen: Prävention, das ist der wirksamste und nachhaltigste Weg im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung, und frühzeitige Intervention, um zu verhindern, dass Menschen, die in die Armut abgleiten, sich in einer immer schwierigeren und problematischeren soziökonomischen Situation wiederfinden.

Die Angemessenheit und Nachhaltigkeit der Pensions- und Rentensysteme ist ein entscheidender Faktor für die Prävention von und den Umgang mit Altersarmut. Die rasche Alterung der europäischen Bevölkerung hat weitreichende Auswirkungen auf alle Arten von Pensions- und Rentensystemen und verleiht der Reformagenda nie dagewesene Dringlichkeit, wobei ein schwieriger Balanceakt zwischen Verteilungsgerechtigkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit zu vollführen ist. Der Schlüssel zu angemessenen und nachhaltigen Pensionen bzw. Renten in der Zukunft ist das "aktive Altern", für das besondere Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit ältere Arbeitskräfte länger am Arbeitsmarkt bleiben können. Pensions- und Rentenreformen müssen die Gesamtstruktur des sozialen Schutzes berücksichtigen. Angesichts der derzeitigen Trends in der Altersvorsorge müssen gefährdete Gruppen und Personen mit kurzer oder unterbrochener Arbeitsbiografie damit rechnen, zunehmend von einer Mindestpension oder -rente und Mindesteinkommensregelungen für ältere Menschen abhängig zu sein.

Die Zunahme von Benachteiligungen im Gesundheitswesen innerhalb der Mitgliedsstaaten unterstreicht den engen Zusammenhang zwischen Benachteiligungen in der medizinischen Versorgung und Armut, belegt durch die unterschiedlichen Gesundheitsniveaus verschiedener Einkommensgruppen, Arbeitseinschränkungen aufgrund von Krankheit und Behinderung sowie durch die Lebenserwartung bei der Geburt, bei der eine Kluft zwischen der niedrigsten und höchsten sozioökonomischen Gruppe von bis zu 10 Jahren bei Männern und bis zu 6 Jahren bei Frauen besteht. Schlechte Gesundheit - die häufig auf schlechte Lebensbedingungen zurückzuführen ist - kann maßgeblich zur Armut beitragen, da sie u. U. die Arbeitsfähigkeit einschränkt und Kosten für Behandlung und Pflege entstehen. Krankheitsprävention und Zugang zu wirksamen, finanziell leistbaren Gesundheits- und Sozialleistungen sind daher wichtige Maßnahmen gegen Armut. Das stellt die öffentliche Gesundheitspolitik und die öffentlichen Gesundheitssysteme vor eine Herausforderung, bei der steigende Nachfrage in Verbindung mit strikten Budgetzwängen der Effizienz der Gesundheitssysteme neue Dringlichkeit verliehen hat: Die Herausforderung besteht darin, die Effizienz zu verbessern und gleichzeitig für alle Menschen Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Eine alternde Bevölkerung und größere gesellschaftliche Veränderungen, wie mehr berufstätige Frauen, mehr Single-Haushalte, Familien ohne Kinder und verschiedene Generationen einer Familie, die weit entfernt voneinander wohnen, tragen alle zur stark gestiegenen Nachfrage nach Gesundheits- und Sozialleistungen bei. Diese Leistungen bleiben für arme Menschen oft außerhalb ihrer Reichweite, weshalb sie signifikant öfter aus dem Arbeitsmarkt herausfallen, weil sie Pflege- und Betreuungspflichten übernehmen müssen. Die politische Herausforderung, auch wieder unter dem Aspekt budgetärer Zwänge, besteht darin, für ein ausreichendes Angebot an hochwertiger, effizienter und finanziell leistbarer Pflege und Betreuung zu sorgen.

Die Kommission wird

Bildungs- und Jugendpolitik

Allgemeine und berufliche Bildung wirken sich unmittelbar darauf aus, was Menschen sein und tun können. Allgemeine und berufliche Bildungssysteme sollten die soziale Aufwärtsmobilität fördern und helfen, den Kreislauf von Benachteiligung und Ungleichheit zu durchbrechen statt ihn zu verstärken. Vorschulbildung ist wahrscheinlich der wichtigste Faktor, um den Teufelskreis der "vererbten Armut" zu unterbrechen, und auch die Investition mit der höchsten Rendite. In qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung und Betreuung zu investieren kann helfen, allen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Die Mitgliedsstaaten haben sich auf die Benchmark verständigt, dass 95 % der Kinder zwischen vier Jahren und dem Beginn des Pflichtschulalters an frühkindlicher Bildung und Betreuung teilnehmen sollten.

Die Kommission wird mit den Mitgliedsstaaten daran arbeiten, die allgemeinen und beruflichen Bildungssysteme auf allen Ebenen und für alle Altersstufen (Primar- und Sekundarschulen, tertiäre Bildung, berufliche Weiterbildung und Erwachsenenbildung) integrativer zu gestalten. Auf lange Sicht wäre die Senkung der Schulabbrecherquote bis 2020 auf unter 10 % - wie als prioritäres Ziel in der Strategie "Europa 2020" vereinbart - ein großer Beitrag zur Armutsreduktion, da ein ausreichendes Niveau an Kenntnissen und Kompetenzen (einschließlich digitaler) für die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen auf den Arbeitsmärkten von heute unerlässlich ist. Besorgniserregende Trends bei der Anzahl junger Menschen, die weder in Ausbildung noch in Beschäftigung sind, unterstreichen die Notwendigkeit, eine breitere Palette politischer Maßnahmen zur Unterstützung junger Menschen zu ergreifen, wie in der europäischen Strategie für die Jugend (2010-2018) vereinbart 6. Es braucht gezielte Ansätze, um die Schwierigkeiten zu bewältigen, durch die der Übergang ins Erwachsenenleben in den postindustriellen Gesellschaften zunehmend gekennzeichnet ist, vor allem für marginalisierte junge Menschen. Die Leitinitiative "Jugend in Bewegung" stellt genau die Verbindung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung auf der einen Seite und dem Arbeitsmarkt auf der anderen her, indem sie Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen vorschlägt.

Die Kommission wird

Migration und Integration von Migrantinnen und Migranten

Der Umgang mit Migration und die Integration von Migrantinnen und Migranten steht jetzt auf europäischer und nationaler Ebene ganz oben auf der politischen Agenda. Mehr als 30 Millionen Menschen oder 6,4 % der EU-Bevölkerung sind nicht Staatsangehörige des betreffenden Landes. Zwei Drittel von ihnen sind Drittstaatsangehörige. Obwohl Migration ein wichtiger Teil der Lösung für Europas Probleme in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und Wettbewerbsfähigkeit sein kann, erweist sich die Ausarbeitung eines umfassenden und wirkungsvollen politischen Rahmens für die Integration als große Herausforderung. Der Prozess, in dessen Verlauf Menschen Teil einer neuen Gesellschaft werden, ist sehr komplex und erfordert Anstrengungen in verschiedenen Bereichen. Er umfasst den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnraum, staatlichen Leistungen (vor allem Wohlfahrts- und Bildungsleistungen), privaten Dienstleistungen (Banken, Versicherung usw.), den Aufbau sozialer und kultureller Beziehungen zur Gemeinschaft und Teilhabe an politischen Prozessen. Es gibt umfangreiche Daten zur intergenerationellen Übertragung ("Vererbung") von Benachteiligung innerhalb der Migrationsbevölkerung. Darüber hinaus erleben die zweite und dritte Generation von Migrantinnen und Migranten Diskriminierung beim Zugang sowohl zu Beschäftigung als auch zu Waren und Dienstleistungen. Trotzdem ist die erfolgreiche Bewältigung der Herausforderung der Integration von entscheidender Bedeutung für den europäischen sozialen Zusammenhalt und eng mit der Zukunft der europäischen Wohlfahrtssysteme verbunden. Ob das "Europa 2020"-Ziel der sozialen Eingliederung und des sozialen Zusammenhalts erreicht werden kann, hängt vor allem von der Fähigkeit der EU und ihrer Mitgliedsstaaten ab, Sozial- und Migrationspolitik zusammenzuführen.

Soziale Eingliederung und Antidiskriminierung

Strategien für die soziale Eingliederung müssen mit einer wirkungsvollen Antidiskriminierungspolitik gekoppelt sein, da die Wurzel für Armut und Härtefälle für viele Gruppen und Einzelpersonen sehr oft darin zu suchen ist, dass sie von Möglichkeiten und Rechten ausgeschlossen werden, die anderen zur Verfügung stehen. Antidiskriminierung und der Schutz der Menschenrechte gewinnen in der EU-Rechtsordnung zunehmend an Bedeutung, die vollständige Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsvorschriften auf nationaler Ebene muss aber durch entsprechende Strategien und konkrete Maßnahmen unterstützt werden. Um die spezifischen Benachteiligungen abzubauen, denen große Teile der EU-Bevölkerung ausgesetzt sind, müssen Sozialpolitik und Antidiskriminierungspolitik besser miteinander verzahnt werden.

Es braucht eine Gleichstellungspolitik in Übereinstimmung mit der neuen Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015, um die Einkommensschere zwischen den Geschlechtern zu schließen, die sich in fast allen Altersgruppen auftut und bei der weiblichen Bevölkerung - sowohl der erwerbstätigen als auch der nicht erwerbstätigen - zu höheren Armutsraten führt. Noch einmal deutlich stärker gefährdet sind alleinerziehende Mütter und ältere Frauen.

Auch die spezifischen Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung, denen sich Menschen mit Behinderung gegenübersehen, erfordern Interventionen in zahlreichen Politikfeldern. Aktuelle Armutsindikatoren lassen außer Acht, dass der Umfang der Ressourcen, die einer Person ohne Behinderung ein angemessenes Leben sichern können, für eine Person mit Behinderung völlig unzureichend sein kann, da sie im Alltagsleben auf zusätzliche Barrieren trifft7. Die neue europäische Strategie für Menschen mit Behinderung 2010-2020 ist ein Beitrag zum Abbau der Barrieren, die 80 Millionen Menschen mit Behinderung in Europa an der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe hindern.

In fast jeder Hinsicht zählen Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen zu den am stärksten sozial Ausgegrenzten und alle Betroffenen nennen Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung als wesentliche Hürden auf dem Weg zu Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität. Der europäische Pakt für psychische Gesundheit und Wohlbefinden trägt vielleicht dazu bei festzustellen, wie Sozial- und Gesundheitspolitikverantwortliche zusammenarbeiten können, um die soziale Eingliederung von Menschen mit psychischen Problemen zu fördern.

Armut und Ausgrenzung bestimmter ethnischer Minderheiten wie der Roma hat zugenommen.

Eine 2009 von der Grundrechteagentur in sieben Mitgliedsstaaten durchgeführte Umfrage ergab, dass die Hälfte der befragten Roma in den 12 Monaten davor Diskriminierung ausgesetzt und ein Fünftel Opfer rassistisch motivierter Straftaten war.8 Viele Roma leben in qualitativ schlechten, segregierten Wohnvierteln und Unterkünften. Roma-Kinder werden häufiger in segregierten Schulen unterrichtet, weisen schlechtere Schulbesuchswerte auf und verlassen das Schulsystem früher. Die Kommission hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, in ihren nationalen Reformplänen nationale Strategien für die Eingliederung der Roma vorzulegen; auf diese Art könnten diese Strategien einen Beitrag zur Erreichung des prioritären Zieles der Reduktion von Armut und sozialer Ausgrenzung leisten.

Wohnungslosigkeit und Wohnungsunterversorgung sind vielleicht die extremsten Beispiele für Armut und soziale Ausgrenzung in der heutigen Gesellschaft. Obwohl der Zugang zu einer finanziell leistbaren Unterkunft ein Grundbedürfnis und ein Grundrecht ist, haben immer noch mehrere EU-Mitgliedsländer Probleme, dies zu gewährleisten. Die Entwicklung angemessener und integrierter Antworten, um Wohnungslosigkeit sowohl zu verhindern als auch zu bewältigen, bleibt ein wichtiger Bestandteil der EU-Strategie für die soziale Eingliederung.

Die Kommission wird

Branchenspezifische Politik

Die EU-Politik und -Finanzinstrumente müssen stärker berücksichtigen, dass Dienstleistungen mit Netzstruktur wie Verkehr, Energie und IT beim Abbau lokaler und regionaler Unterschiede und der Förderung der sozialen Eingliederung eine zentrale Rolle spielen können. In unseren komplexen Gesellschaften gelten der Zugang zu diesen Dienstleistungen und ihre Erschwinglichkeit als Grundbedürfnis. Das zeigt, wie wichtig es ist, die sozialen Ziele in verschiedenen branchenspezifischen Politikbereichen sowie in der Binnenmarkt- und der Konsumentenschutzpolitik zu berücksichtigen.

Im Internet-Zeitalter verbessert die leicht zugängliche Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien die Beschäftigungsfähigkeit und die Verwirklichungschancen, die Eingliederung in die Gemeinschaft vor Ort, die Nutzung von Online-Angeboten öffentlicher Dienste sowie den Zugang zu moderner und effizienter Betreuung und Pflege und macht dadurch die soziale Eingliederung einfacher. Deshalb sind weiterhin intensive Bemühungen notwendig, um die digitale Kluft durch die Stärkung digitaler Kompetenzen und Fähigkeiten sowie die Möglichkeit zur regelmäßigen Internet-Nutzung für benachteiligte Personen zu überwinden; notwendig ist aber auch ein integratives und gezieltes Online-Angebot von Leistungen in Schlüsselbereichen (Beschäftigung, Wohnen, Gesundheit und andere soziale Dienste), die die Selbstermächtigung der Nutzerinnen, vor allem jener aus gefährdeten Gruppen, unterstützen. Die Bildung kann eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht zu verhindern, dass sich die digitale Kluft weiter vertieft.9

Steigende Energiepreise können für die EU-Bürgerinnen zum Problem werden. Die Energiepolitik wird weiterhin ihren Beitrag zur Erfüllung der Konsumentenbedürfnisse leisten und gegebenenfalls auf das Risiko der Energiearmut reagieren. In diesem Kontext sind ein gut funktionierender Binnenmarkt und Energiesparmaßnahmen für die Konsumentinnen und Konsumenten besonders wichtig. Im Detail bedeutet dies, dass gefährdete Gruppen am besten vor Energiearmut gefeit sind, wenn die Mitgliedsstaaten die gegenwärtigen EU-Rechtsvorschriften im Energiebereich vollinhaltlich umsetzen und innovative Energiesparlösungen nutzen.

Der Zugang zu Finanzdienstleistungen kann für die am meisten gefährdeten Personen durch die Binnenmarkt- und Konsumentenschutzpolitik verbessert werden. Finanzielle Ausgrenzung kann Menschen daran hindern, einen Arbeitsplatz zu finden, ein Unternehmen zu gründen und Zugang zu anderen Leistungen zu erhalten. Es liegt in der Verantwortung der Behörden - sowohl auf nationaler wie auf EU-Ebene - den Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen zu gewährleisten.

Externe Dimension

Der Kampf gegen Armut ist ein Kernbereich der externen Dimension der EU-Politik und vor allem ihrer Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Seit der Verabschiedung der Millenniumsziele, und gemeinsam mit internationalen Organisationen oder Foren, unterstützt die EU zunehmend Entwicklungsländer in ihren Bemühungen, Armut zu lindern, vor allem durch den Zugang zu Primarbildung, Wasser oder medizinischer Versorgung, durch die Förderung menschenwürdiger Arbeit, aber auch über die Handelspolitik und die Stärkung von Demokratie und Good Governance. Menschenwürdige Arbeit für alle ist ein entscheidender Faktor für weniger Armut und mehr soziale Eingliederung. Die Kommission wird den politischen Dialog mit den strategischen Partnern der EU und in internationalen Foren, insbesondere der IAO, den G20, G8 und den Vereinten Nationen, weiterentwickeln.

Im Rahmen des EU-Erweiterungsprozesses und der europäischen Nachbarschaftspolitik wird die Kommission auch sicherstellen, dass die relevanten Länder die Ziele dieser Plattform aufgreifen.

Sozialverträglichkeitsprüfung

Bessere Politikabstimmung bedeutet, dass die soziale Wirkung politischer Initiativen sorgfältig bewertet werden muss und dass potenziell negative soziale Auswirkungen durch Maßnahmen minimiert werden sollten, die sich an Verteilungsgerechtigkeit orientieren und auf Armut fokussiert sind. Die Europäische Kommission hat alle größeren Initiativen und Legislativvorschläge einer umfassenden Folgenabschätzung, einschließlich der sozialen Dimension unterzogen. Die Kommission wird die Qualität ihrer Folgenabschätzung weiter ausbauen und verbessern, um für die Berücksichtigung der sozialen Dimension zu sorgen. Es ist wichtig, dass die anderen EU-Organe, wenn sie die Vorschläge der Kommission abändern, und auch die Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene die soziale Dimension ihrer eigenen Vorschläge prüfen.

3.2. EU-Mittel im Dienst der Ziele für die soziale Eingliederung und den sozialen Zusammenhalt

Die Haushaltsüberprüfung und die Ziele der Strategie "Europa 2020 "

Im Oktober 2010 hat die Europäische Kommission eine Überprüfung des EU-Budgets gestartet. Mit Blick auf integratives Wachstum hat die Kommission betont, dass kohäsionspolitische Mittel auf die "Europa 2020"-Ziele konzentriert werden müssen. Die zukünftige Kohäsionspolitik soll das "Europa 2020"-Ziel Realität werden lassen und eine spürbare Veränderung im Leben der Bürgerinnen bewirken.

In der Haushaltsüberprüfung wird die Bedeutung von Solidarität unterstrichen, und damit argumentiert, dass Rücksichtnahme auf die Schwächsten sich positiv auf das Wachstum auswirkt und letztlich allen zugute kommt. Außerdem wird betont, dass es primär um die Frage geht, wie die Mittel intelligenter eingesetzt werden können. Gefragt sind innovative Ansätze, die bereits bestehende Instrumente ergänzen und dazu beitragen, dass öffentliche Sozialausgaben kosteneffizient, wirksam und ausgewogen verwendet werden.

Angesichts der Vorschläge zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen, die die Kommission nächstes Jahr vorlegen wird, werden die EU-Finanzinstrumente im Licht der zentralen Ziele und Grundsätze der Haushaltsüberprüfung ebenfalls erneut geprüft. Von besonderer Bedeutung für die europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung sind der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, aber auch dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und anderen Teilen des EU-Budgets kommt eine wichtige Rolle zu.

Der Beitrag der EU-Fonds

Jedes Jahr profitieren fünf Millionen Arbeitslose und rund eine Million Menschen aus gefährdeten Gruppen von direkter Unterstützung aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), dem zentralen Finanzinstrument für die Förderung von Beschäftigung und sozialer Eingliederung. Im Programmplanungszeitraum 2007-2013 wurden mehr als 10 Milliarden EUR für Projekte gegen soziale Ausgrenzung reserviert, die darüber hinaus noch aus nationalen Mitteln unterstützt werden. Der ESF kofinanziert maßgeschneiderte Projekte für gefährdete und benachteiligte Menschen, die am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernt sind (deren Zugang zu Beschäftigung aufgrund von Problemen wie fehlender Ausbildung, Behinderung oder Diskriminierung eingeschränkt ist), sowie für Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitnehmerinnen und alle, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Der ESF wird u.a. über längerfristig berechenbare Finanzierungsvolumina an den neuen Rahmen der Strategie "Europa 2020" angepasst, damit er seine Rolle - für die richtigen Kompetenzen für Beschäftigungsmöglichkeiten zu sorgen und Armut zu bekämpfen - in vollem Umfang wahrnehmen kann. Für Begünstigte, vor allem NGO und lokale Partnerschaften, sollte es einen vereinfachten Zugang über maßgeschneiderte Finanzhilfeprogramme geben. Soziale Eingliederung und Armutsreduktion sind eines der Themen, die den Mitgliedsstaaten zur Aufnahme in die ESF-Themen vorgeschlagen werden könnten, um die Umsetzung der integrierten Leitlinien tatkräftig zu unterstützen. Größeres Gewicht sollte auch auf die gezielte Verteilung der Ressourcen nicht nur auf spezifische Gruppen, sondern auch auf bestimmte benachteiligte Gebiete gelegt werden: In diesem Kontext sollten integrierte Ansätze zur Armutsbekämpfung verstärkt und Investitionen der Fonds in die soziale Infrastruktur gestattet werden, wenn dies für die erfolgreiche Umsetzung von ESF- unterstützten sozialpolitischen Maßnahmen erforderlich ist. Der ESF könnte auch durch innovative Finanzierungstechniken dazu beitragen, mehr private Ressourcen für die soziale Eingliederungspolitik zu akquirieren. Und schließlich könnten die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, diskriminierungsgefährdete Gruppen zu identifizieren, und spezifische Finanzmittel für Maßnahmen in diesem Bereich vorzumerken. ESF-Aktivitäten im Bereich der Integration werden derzeit vom Europäischen Fonds für die Integration Drittstaatsangehöriger (für Migrantinnen und Migranten) und vom Europäischen Flüchtlingsfonds (für Flüchtlinge) ergänzt.

Parallel zu den Aktivitäten des ESF sorgt das Programm PROGRESS dafür, dass die EU-Sozialpolitik angesichts zentraler politischer Herausforderungen auf Kurs bleibt. Das Programm unterstützt die Mitgliedsstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen: mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen, Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen, Gleichstellung zu garantieren und EU-Sozialrecht umzusetzen. PROGRESS hat maßgeblich dazu beigetragen, die EU-Zusammenarbeit im Sozialbereich zu formen und zu konsolidieren, und fördert zunehmend das Voneinander-Lernen und soziale Innovationen.

Sowohl die EU als auch die Europäische Investitionsbank haben sich verpflichtet, jeweils 100 Mio. EUR zum europäischen PROGRESS-Mikrofinanzierungsinstrument beizutragen. Dieses Finanzinstrument stellt in den nächsten zehn Jahren rund 500 Mio. EUR für Mikrodarlehen zur Verfügung. Mikrofinanzierungen sind ein wichtiges Mittel, um selbstständige Tätigkeit und die Gründung von Kleinstunternehmen zu fördern, und haben das Potenzial, sowohl bei der Förderung der sozialen Eingliederung als auch der Schaffung von Arbeitsplätzen eine wichtige Rolle zu spielen. Ob die sozialen Eingliederungsziele der EU erreicht werden können, hängt u.a. von der derzeitigen und zukünftigen Funktionsweise und Struktur des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ab. Die Art der Benachteiligung, die Menschen in Armutslagen und sozialer Ausgrenzung erfahren, hängt auch von der Gegend ab, in der sie leben, weshalb die Plattform als eines ihrer Hauptziele den sozialen und territorialen Zusammenhalt verfolgt.

Der fünfte Kohäsionsbericht, der im November 2010 angenommen wurde, enthält die wichtigsten Stoßrichtungen für die zukünftige Kohäsionspolitik mit Schwerpunkt auf den zentralen EU-Prioritäten. Er sieht eine engere Verbindung zwischen der sozialen und der territorialen Agenda vor.

Die Strukturfondsverordnungen nach 2013 sollten die ESF- und EFRE-koordinierten Investitionen in die Umsetzung integrierter Ansätze fördern. Der Abbau von Ungleichheiten und der Kampf gegen anhaltend hohe Niveaus von Armut, vor allem in Städten, wird in der Zukunft gezielte Maßnahmen erfordern, die wirtschaftliche, soziale und Umweltschutzaspekte abdecken. Derartige Maßnahmen sollten eng mit ESF-Maßnahmen abgestimmt werden. Unbeschadet der zukünftigen Vorschläge zu den Strukturfonds für die Zeit nach 2013, werden diese Maßnahmen weiterhin vom EFRE in enger Zusammenarbeit mit den anderen Fonds mit größeren Investitionen in Bildung und in die soziale und Gesundheitsinfrastruktur begleitet, vor allem in den ärmsten Regionen.

Während die meisten benachteiligten Menschen in großen städtischen Zentren leben, sind sie, relativ gesehen, in ländlichen und geografisch isolierten Gebieten und Gemeinschaften tendenziell überrepräsentiert. In einigen Mitgliedsstaaten ist das Armutsrisiko in ländlichen Gebieten doppelt so hoch wie in den Städten. Die Europäische Union verfolgt eine aktive Entwicklungspolitik für den ländlichen Raum; unterstützt wird sie dabei vom Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), der zur Entwicklung der Sozial- und Bildungsinfrastruktur und -leistungen beiträgt, und allgemeiner formuliert, die Qualifizierung des Humankapitals in ländlichen Gebieten fördert. In den letzten Jahren zielten die Interventionen im Bereich der ländlichen Entwicklung zunehmend auf soziale Eingliederungsziele in einer Form ab, die auch für die Unterstützung ländlicher Roma-Gemeinschaften hilfreich sein könnte. Synergien zwischen Maßnahmen, die von den Strukturfonds sowohl in ländlichen Gebieten wie in Städten gefördert werden, sollten noch stärker genutzt werden.

Die Förderung europäischer sozioökonomischer Forschung wird auch über das Forschungsrahmenprogramm unterstützt, insbesondere durch die Entwicklung neuer Methoden, Fortschrittsindikatoren und Forschungsinfrastrukturen.

3.3. Entwicklung eines evidenzbasierten Ansatzes für soziale Innovationen und Reformen

Die EU fördert seit mehreren Jahren Innovations- und Modernisierungsprozesse in der Sozialpolitik der Mitgliedsstaaten - über Peer-Review, Prozesse des Voneinander-Lernens, Information über und Transfer von vorbildlichen Verfahren, - die die Gestaltung der Politik und die politische Schwerpunktsetzung verbessern helfen. Trotzdem wäre es von Vorteil für das grenzüberschreitende Lernen in der Sozialpolitik, wenn beim Testen und Bewerten sozialpolitischer Innovation verstärkt wissenschaftliche Methoden eingesetzt würden.

Sehr häufig leiden Regierungsprogramme im sozialpolitischen Bereich unter einem Mangel an soliden Daten darüber, was funktioniert und was nicht. Evidenzbasierte soziale Innovation, vor allem in Form von "sozialer Erprobung", kann ein starkes Lenkungsinstrument für die notwendigen Strukturreformen sein, um die Vision der Strategie "Europa 2020" für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum umzusetzen.

Soziale Erprobung bezieht sich auf kleine Projekte, in denen politische Innovationen (oder Reformen) getestet werden, bevor sie in größerem Umfang zur Anwendung kommen. Die Wirkung der Innovation auf die Bevölkerungsstichprobe wird anhand einer "Kontrollgruppe" mit ähnlichen sozioökonomischen Merkmalen bewertet, die jedoch der gängigen politischen Praxis unterstellt bleibt. Soziale Experimente werden seit den 1970ern in mehreren Ländern durchgeführt, um vorgeschlagene Änderungen in der staatlichen Politik oder in staatlichen Programmen zu evaluieren. Die Experimente kommen bei einem breiten Spektrum von sozialen Interventionen zum Einsatz, z.B. Programmen, die Sozialhilfeempfängerinnen wieder ins Arbeitsleben integrieren sollen, dem Angebot von Gesundheitsleistungen, Technologien für ein selbstbestimmtes Leben, in den Bereichen Wohnungslosigkeit, Bildung, frühkindliche Förderung, Zugang zu öffentlichen Versorgungsleistungen, aktiver Ruhestand usw. Die meisten Erprobungen wurden zur Evaluierung von Maßnahmen für benachteiligte Zielgruppen eingesetzt.

Soziale Erprobung setzt gründliche Vorbereitung und Auswahl voraus. Die Programme sollten entsprechend groß sein, damit sie politisch relevant sind, und sie sollten sich auf einen Bereich konzentrieren, in dem die Datenlage auf eine notwendige Politikänderung hinweist. Damit es schlüssig ist und die Ergebnisse auf andere Kontexte übertragbar sind, muss das Programm klar definierten Evaluierungsstandards unterliegen. Das wirft komplexe Fragen in Bezug auf die zugrundegelegte Methodik und manchmal wichtige ethische Fragen auf.

Die Mitgliedsstaaten könnten bei ihren Erneuerungs- und Modernisierungsbestrebungen im Bereich der Sozialpolitik signifikant von einer europäischen Initiative für soziale Innovation profitieren. Ziel einer derartigen Initiative wäre das Angebot optimaler europäischer Fachkenntnisse im Sinne von Methoden für die Ausarbeitung, Umsetzung und Evaluierung. Sie würde den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit bieten, nationale Ressourcen mit EU-Mitteln zu ergänzen. Und sie würde eine umfassendere Verbreitung des Wissens sicherstellen.

Der Europäische Sozialfonds (ESF) kann gemeinsam mit dem Programm PROGRESS Mittel für die Erprobung innovativer Maßnahmen zur Verfügung stellen. Der ESF kann darüber hinaus einen Rahmen für das Mainstreaming sozialer Innovation bieten.

Die Kommission wird 2011 eine Initiative starten, um eine Reihe europäischer Mittel für die Förderung evidenzbasierter sozialer Innovation zu bündeln, wobei sie sich u. U. zunächst auf Sozialhilfesysteme konzentrieren wird. Die Initiative wird Folgendes umfassen:

3.4. Förderung eines partnerschaftlichen Ansatzes und der Sozialwirtschaft

Breitere und stärkere Einbeziehung der Stakeholderinnen

"Europa 2020" steht für eine neue Partnerschaft zwischen den EU-Organen, den Mitgliedsstaaten und allen europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Stakeholderinnen und Stakeholdern. Dieser Neustart bietet die Chance, sowohl die derzeitigen Partnerschaftsstrukturen zu verbessern, als auch - besonders wichtig - die Partnerschaft auf neue Akteurinnen und Akteure auszudehnen.

Im Zentrum der EU-Tätigkeit steht weiterhin die Unterstützung der Bemühungen nationaler, regionaler und lokaler Behörden. Diese Behörden stehen bei der Umsetzung der Politik an vorderster Front und sind erprobte "Brutkästen" sozialer Innovation. Ihre Einbindung, vor allem im Rahmen des Ausschusses der Regionen sowie wichtiger europäischer Netzwerke und nationaler Vereinigungen, wird den Fokus auf die territoriale Dimension von Armut erhöhen und Synergien bei der Vergabe von EU-Mitteln stärken.

Auch den Sozialpartnern kommt eine überaus wichtige Funktion bei der Sicherung des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu. Sie sollten im Mittelpunkt dieser Strategie stehen, und die Kommission wird sich bemühen, die effektive Umsetzung ihrer Rahmenvereinbarung zur Eingliederung gefährdeter Gruppen in den Arbeitsmarkt zu unterstützen.

NGO haben sich zu entscheidenden Akteurinnen im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung entwickelt und stehen in regelmäßigem Austausch mit den Behörden. Zeitliche Intensität und Wirkungsgrad ihrer Tätigkeit ist EU-weit jedoch sehr unterschiedlich und knapper werdende Budgets gefährden ihre effektive Beteiligung. Daher ist es wichtig, die auf EU-Ebene bestehenden Partnerschaften zu stärken und zu stabilisieren und auf nationaler Ebene die nachhaltige Einbindung zu fördern. Die Teilhabe von Menschen mit Armutserfahrung wird als eines der wichtigsten Ziele der Eingliederungspolitik gesehen, sowohl als Instrument für die persönliche Ermächtigung als auch als Governance- Mechanismus. Die EU geht mit gutem Beispiel voran und wird weiterhin Wissen und vorbildliche Verfahren zur Teilhabe verbreiten.

Die Kommission wird über das Programm PROGRESS den regelmäßigen Austausch und Partnerschaften zwischen einer größeren Zahl von Stakeholderinnen und Stakeholdern in bestimmten prioritären Bereichen unterstützen, z.B. aktive Eingliederung, Kinderarmut, Eingliederung der Roma, Wohnungslosigkeit und finanzielle Eingliederung.

Die Kommission wird freiwillige Leitlinien für die Einbindung der Stakeholderinnen in die Festlegung und Umsetzung von politischen Maßnahmen und Programmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausarbeiten und deren Umsetzung auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene fördern.

Das Potenzial der Sozialwirtschaft bündeln

In ganz Europa sind sozialwirtschaftliche Initiativen entstanden, die mit innovativen Antworten auf zutage tretende soziale Bedürfnislagen und Herausforderungen reagieren, die weder der Staat noch der Markt bewältigen können. Die Unterstützung dieser Entwicklungen und die Unterstützung eines reibungslos und fair funktionierenden Marktes kann allerdings zu Spannungen führen. Mehrere Mitgliedsstaaten arbeiten an politischen und legistischen Maßnahmen, um Aufgaben und Beziehungen zu klären und für die notwendige rechtliche, soziale, administrative und finanzielle Unterstützung zu sorgen. Um Schritt zu halten, hat sich die EU bemüht, ihren Rechts- und Verwaltungsrahmen so anzupassen, dass die Sozialwirtschaft ihr Potenzial ausschöpfen und in der gesamten EU effizient funktionieren kann.

Freiwilligentätigkeit ist wichtig für das Wachstum der Sozialwirtschaft. Rund 100 Millionen EU-Bürgerinnen leisten einen positiven Beitrag für ihre Gemeinschaft, indem sie ihre Zeit, ihre Fähigkeiten und auch Geld zur Verfügung stellen. Freiwilligentätigkeit stärkt die Selbstermächtigung der Menschen und fördert eine engere Gemeinschaft, die den ausgegrenzten Menschen Dienstleistungen anbietet. Darüber hinaus fördert sie neue Kompetenzen sowie den Bürgersinn und verbessert die Beschäftigungsfähigkeit. 2011 ist das "Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit". Auch das von der Kommission für 2012 vorgeschlagene Europäische Jahr für aktives Altern wird Gelegenheit bieten, den Beitrag älterer Freiwilliger zur Gesellschaft hervorzustreichen und ihr Engagement zu fördern. Das wird eines der Hauptziele des für 2011 geplanten Kommissionsvorschlags zur Europäischen Innovationspartnerschaft für aktives und gesundes Altern sein.

Stiftungen sind in ganz Europa erfolgreich. Ihre Tätigkeit trägt häufig zur Selbstermächtigung und Teilhabe an der Gesellschaft von Menschen bei, die mit Armut und sozialer Ausgrenzung konfrontiert sind. Darüber hinaus schaffen Stiftungen Problembewusstsein und fördern Forschung, politische Analyse und Debatte oder drängen auf strategische Änderungen und deren Umsetzung. Diese Aktivitäten können sich signifikant auf Armut und soziale Ausgrenzung auswirken, da sie eine ganze Palette von Bereichen umfassen - z.B. Bildung, Beschäftigung, Kultur, gesellschaftliche Teilhabe - und auf verschiedene Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind. Die Kommission hat bis Ende 2011 die Vorlage einer Verordnung zu einem europäischen Stiftungsstatut angekündigt.

Der soziale Unternehmenssektor macht 10 % aller europäischen Unternehmen aus und bietet mehr als 11 Millionen Menschen einen bezahlten Arbeitsplatz. Seine Entfaltung wird jedoch durch zahlreiche rechtliche und praktische Hürden behindert, u.a. die ungleichen Wettbewerbsbedingungen, die für sozialwirtschaftliche Unternehmen und ihre kommerzielle Konkurrenz gelten. Wie in der Leitinitiative "Innovationsunion" angekündigt, wird die Kommission ein Pilotprojekt für soziale Innovation starten, das Sozialunternehmen sowie dem öffentlichen und dem dritten Sektor Fachkenntnisse und eine vernetzte "virtuelle Drehscheibe" bieten soll.

Das europäische Modell einer pluralistischen und integrativen Wirtschaft muss ganz allgemein dadurch gestärkt werden, dass Unternehmen ermutigt werden, zum Aufbau einer integrativeren Gesellschaft beizutragen, z.B. durch die Förderung der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR). Das lässt sich u.a. erreichen, indem Unternehmen angeregt werden, Menschen aus benachteiligten Gruppen zu beschäftigen und mit Diversität besser umzugehen, aber auch indem im öffentlichen Auftragswesen soziale Überlegungen berücksichtigt werden.

Die Kommission wird die Entwicklung der Sozialwirtschaft als Instrument für die aktive Eingliederung unterstützen, indem sie Maßnahmen zur qualitativen Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen, Gegenseitigkeitsgesellschaften und Genossenschaften, die in einem europäischen Kontext operieren, ausbaut und 2011 einen Vorschlag zu einer "Initiative für soziale Unternehmen" unterbreitet und den Zugang zu den relevanten EU-Finanzierungsprogrammen verbessert.

3.5. Intensivierung der strategischen Koordinierung zwischen den Mitgliedsstaaten

Die soziale Dimension ist jetzt das Herzstück der Strategie "Europa 2020". Die neuen, verbesserten Governance-Strukturen der Strategie machen es möglich, die Koordinierung zu intensivieren, die die Mitgliedsstaaten - vor allem mit Hilfe der sozialen OMK - seit Langem im Bereich des Sozialschutzes und der sozialen Eingliederung aufgebaut haben.

Das prioritäre Ziel der Armutsreduktion wird das politische Engagement und die politische Verantwortlichkeit stärken und zu einer wichtige Triebfeder für die Weiterentwicklung sozialer Indikatoren werden. Der jeweils im Jänner vorgelegte Jahreswachstumsbericht der Kommission wird unter anderem prüfen, welche Fortschritte insgesamt bei den prioritären Zielen und den Leitinitiativen erreicht wurden, und Prioritäten für Maßnahmen identifizieren, mit deren Hilfe die Zielsetzungen der Strategie erreicht werden sollen.

Die Mitgliedsstaaten sind nun aufgefordert, in ihren nationalen Reformprogrammen (NRP) jährlich über ihre Gesamtstrategien zu berichten. Die Berichterstattung über die sozialen Zielsetzungen der Strategie wird damit zum integralen Bestandteil dieser Reformprogramme. In den NRP werden die nationalen Ziele (einschließlich Armutsreduktion) dargelegt, und Wege und Reformen für deren Erreichung vorgeschlagen. In den NRP sollte auch ausgeführt werden, wie die nationalen Behörden lokale/regionale Behörden und relevante Stakeholderinnen in die Festlegung und Umsetzung der NRP einbinden bzw. einbinden werden und wie sie die Strategie "Europa 2020" und ihren eigenen NRP kommunizieren.

Die Kommission wird die Fortschritte der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Strategie, einschließlich des Armutsreduktionszieles, bewerten und - wo relevant - im Rahmen der im Vertrag festgelegten Befugnisse einen Vorschlag für länderspezifische gemeinsame Empfehlungen der Kommission und des Rates in den Bereichen ausarbeiten, die unter die integrierten Leitlinien fallen. Leitlinie 10 der integrierten Leitlinien ist dem Ziel "Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut" gewidmet und sieht eine bessere Verzahnung der Beschäftigungs- und der Sozialagenda vor.

Die Integration der sozialen OMK in die Strategie "Europa 2020" bietet der EU somit eine solidere Basis für die Erreichung ihrer sozialen Ziele.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass die im Rahmen der sozialen OMK entwickelten Instrumente und die Governance-Struktur von "Europa 2020" sich gegenseitig befruchten, um den Zwecken der neuen Strategie optimal zu dienen. Die detaillierten Bestimmungen müssen dann für das richtige Verhältnis zwischen Integration und Fokussierung, Kontinuität und Innovation, Vereinfachung und Verantwortlichkeit, Koordinierung und Subsidiarität sorgen. Daher wird die Kommission in den kommenden Monaten mit den Mitgliedsstaaten und wichtigen Stakeholderinnen und Stakeholdern weiter an Lösungen arbeiten, mit denen sie sich identifizieren und die Eigenverantwortung, Engagement und konkretes Handeln gewährleisten.

Aufbauend auf der Erfahrung mit der Strategie "Europa 2020" im ersten "europäischen Semester" wird die Kommission mit den Mitgliedsstaaten und anderen institutionellen und nichtinstitutionellen Akteurinnen und Akteuren Gespräche darüber führen, wie die Arbeitsmethoden der sozialen OMK am besten an die neue Governance der Strategie "Europa 2020" angepasst werden können. Die Kommission wird vor Ende 2011 einen Bericht vorlegen, der die sich abzeichnenden Stoßrichtungen und das daraus folgende Follow-up zusammenfasst.

4. Nutzung der Ergebnisse des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut sozialer Ausgrenzung 2010

Die europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung markiert den Auftakt einer neuen Phase in der europäischen Politik für soziale Eingliederung und sozialen Zusammenhalt. Entstanden aus dem politischen Willen, die neue europäische Vision für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu formen, wird die Plattform die politische Energie nutzen, die das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010 erzeugt hat.

Das ganze Jahr über wurden tausende Veranstaltungen und Initiativen in ganz Europa organisiert und Institutionen, Verwaltungen, soziale Akteurinnen und Akteure, zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien, Künstlerinnen, Schulen und Universitäten, Politikerinnen, Fachleute und ganz normale Bürgerinnen im Rahmen einer Informations- und Bewusstseinsbildungskampagne auf EU-, nationaler und lokaler Ebene mobilisiert. Die zentralen Botschaften dieser beispiellosen Mobilisierung sind nun in einer abschließenden Erklärung des Rates zu dieser Kampagne niedergelegt.

Andere EU-Organe - sowohl der Rat als auch das Parlament - und EU-Institutionen und ganz besonders der Ausschuss der Regionen und der Wirtschafts- und Sozialausschuss haben dazu beigetragen, die Sichtbarkeit und die politische Wirkung dieser Initiativen zu erhöhen; sie haben auch neue Möglichkeiten für die Einbindung von Stakeholderinnen und Stakeholdern sowie für den Austausch vorgeschlagen. Sie alle fordern, dass der im Rahmen des Europäischen Jahres eröffnete Dialog weitergeführt wird, vor allem durch den regelmäßigen Informationsaustausch über Fortschritte bei den Armutsreduktionszielen.

Eine der wichtigsten Erfahrungen aus dem Europäischen Jahr 2010 ist die Erkenntnis, dass die europäischen Ziele für die soziale Eingliederung und den sozialen Zusammenhalt nur dann die ihnen zustehende Sichtbarkeit und Priorität auf der europäischen und der jeweiligen nationalen politischen Agenda erreichen, wenn die Bürgerinnen ein entsprechendes Bewusstsein entwickeln und eingebunden werden.

Eine zweite Erkenntnis lautet, dass die Europäische Union Pionierarbeit bei neuen Governance-Modellen und -Verfahren leisten kann, die in der nationalen und lokalen Realität erfolgreich verankert werden können. Was noch wichtiger ist, die Europäische Union kann auf diese Weise wirksam jene "vielschichtige Governance" fördern, die die Voraussetzung zur Bewältigung der epochalen Herausforderungen ist, vor denen wir stehen.

Die europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung bietet den passenden Rahmen, damit diese Erfahrungen von Governance und Teilhabe und erweitertem Dialog, die das Europäische Jahr u.a. gefördert hat, weitergeführt und verbessert werden können.

5. Schlussfolgerungen

Die zentralen Aktionen der Plattform sowie die flankierenden und vorbereitenden Maßnahmen sind im zugehörigen Arbeitspapier aufgelistet. Sie beruhen auf einer Mischung aus Politikkoordinierung, Dialog mit institutionellen und nichtinstitutionellen Akteurinnen und Akteuren, Finanzhilfen und strategischen Partnerschaften.

Zusätzlich zur regelmäßigen Berichterstattung im Rahmen der Governance-Mechanismen der Strategie "Europa 2020" und vor allem des Jahreswachstumsberichts wird die Kommission 2014 die Umsetzung der Plattform einer Überprüfung unterziehen, auch im Hinblick darauf, sie an den neuen mehrjährigen Finanzrahmen anzupassen.

Anhang

Abbildung 1a: Armutsgefährdungsrate insgesamt, nach Alter und Beschäftigungsstatus; 2005-08

Armutsgefährdungsrate insgesamt, nach Alter und Beschäftigungsstatus

Quelle: EU-SILC

Abbildung 1b: Armutsgefährdungsrate10 nach Ländern; 2008

Armutsgefährdungsrate nach Ländern

Quelle: EU-SILC (2008)

Abbildung 2: Anteil der Personen, die unter gravierender materieller Deprivation11 leiden, nach Ländern; 2008

Anteil der Personen, die unter gravierender materieller Deprivation leiden, nach Ländern

Quelle: EU-SILC (2008)

Abbildung 3: Anteil der Personen zwischen 0-59, die in einem Erwerbslosenhaushalt12 leben, nach Ländern; 2008

Anteil der Personen zwischen 0-59, die in einem Erwerbslosenhaushalt leben, nach Ländern