Der Bundesrat hat in seiner 866. Sitzung am 12. Februar 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Anliegen der Kommission, alle Hindernisse für den freien Personenverkehr zu beseitigen, die sich aus den unterschiedlichen Zuständigkeits- und Kollisionsregelungen der Mitgliedstaaten für internationale Erbfälle ergeben.
- 2. Aus diesem Grund wird das Vorhaben der Kommission, durch eine Harmonisierung der Zuständigkeitsregelungen und des Kollisionsrechts sowie durch die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses die Abwicklung eines Erbfalles mit Auslandsbezug zu beschleunigen, ausdrücklich unterstützt.
- 3. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Bürgerinnen und Bürger der EU in grenzüberschreitenden Erbangelegenheiten von großer Bedeutung sind.
- 4. Diesen Anforderungen wird der Verordnungsvorschlag in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung jedoch noch nicht in jeder Hinsicht gerecht. Um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu erreichen, besteht nach Auffassung des Bundesrates bei einigen Regelungen Klarstellungs- und Korrekturbedarf.
- 5. In der Begründung zu dem Verordnungsvorschlag wird es für wünschenswert gehalten, dass auch die übrigen Mitgliedstaaten das "Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht" ratifizieren. Diesbezüglich regt der Bundesrat an zu überprüfen, ob eine Einbeziehung dieses Formstatuts in den Anwendungsbereich der Verordnung möglich ist.
- 6. Im Hinblick auf die in Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe b des Verordnungsvorschlags vorgeschlagene Regelung, die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen vom Anwendungsbereich auszunehmen, wird darauf verwiesen, dass der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zum "Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht" die Auffassung vertreten hat, dass auch für Fragen der allgemeinen Testierfähigkeit ein einheitlicher Anknüpfungspunkt gewählt werden sollte - vgl. BR-Drucksache 174/05(B) , S. 3, zu Frage 3. Hier sollte klargestellt werden, dass die allgemeine Testierfähigkeit unter den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.
- 7. Bezogen auf die in Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe d bis i des Verordnungsvorschlags genannten Statute weist der Bundesrat darauf hin, dass der Ausschluss dieser Fragen vom Anwendungsbereich der Verordnung nicht deren Verhältnis zum Erbstatut regelt. Es wird deshalb angeregt, zumindest in den Erwägungsgründen klarzustellen, dass Ansprüche am Nachlass, die sich aus anderen, vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossenen Statuten ergeben, unberührt bleiben.
- 8. Soweit in Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe j des Verordnungsvorschlags die Art der dinglichen Rechte an einem Gegenstand und die Publizität dieser Rechte vom Anwendungsbereich ausgenommen werden, ist es nach Auffassung des Bundesrates zwingend erforderlich, durch eine Präzisierung der Formulierung und auch im Rahmen der Regelung des Artikels 19 Absatz 2 Buchstabe f des Verordnungsvorschlags zu verdeutlichen, dass ein Erwerb von Grundstücken im Rahmen einer Erbauseinandersetzung sowie zur Vermächtniserfüllung nicht am deutschen Grundbuch und den damit verbundenen Formvorschriften im deutschen Schuld- und Sachenrecht vorbei erfolgen kann.
- 9. Bezogen auf die Definition des Begriffs "Rechtsnachfolge von Todes wegen" in Artikel 2 Buchstabe a des Verordnungsvorschlags weist der Bundesrat darauf hin, dass sie zu eng gefasst sein dürfte, soweit nur auf den Eigentumsübergang von Todes wegen abgestellt wird. § 1922 BGB trifft für das deutsche Recht die Anordnung, dass im Wege der Gesamtrechtsnachfolge das Vermögen übergeht.
- 10. Soweit in Artikel 2 Buchstabe b des Verordnungsvorschlags der Begriff des "Gerichts" definiert wird, ist es nach Auffassung des Bundesrates erforderlich klarzustellen, dass auch die Notare hiervon erfasst sind, denen in Deutschland eine erhebliche Entlastungs- und Filterfunktion zugunsten der Nachlassgerichte zukommt. Deshalb kann es nicht darauf ankommen, ob deren Tätigkeit nach nationalem Recht als hoheitlich eingestuft wird oder nicht. Die Verordnung darf nicht dazu führen, dass bestehende nationale Zuständigkeiten in Frage gestellt werden. Insoweit müsste auch die Regelung des Artikels 3 Halbsatz 2 des Verordnungsvorschlags zur Anwendung auf außergerichtliche Stellen präzisiert werden.
- 11. Bezogen auf die Definition der Begriffe "Erbvertrag" und "gemeinschaftliches Testament" in Artikel 2 Buchstabe c und d des Verordnungsvorschlags wird angeregt, für beide Begriffe eine gemeinsame, weite Definition zu entwickeln, die sich auf das Wesentliche beschränkt und Raum für detaillierte nationale Ausgestaltungen lässt, die die Anerkennung der Gültigkeit in anderen Mitgliedstaaten nicht hindern. So bleibt in dem Verordnungsvorschlag gegenwärtig unberücksichtigt, dass ein gemeinschaftliches Testament nicht in einer einheitlichen Urkunde errichtet werden und auch nicht zwingend eine Erbeinsetzung enthalten muss.
- 12. Der Bundesrat begrüßt die Regelung in den Kapiteln II und III des Verordnungsvorschlags, wonach Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit und das anwendbare Recht im Grundsatz der "gewöhnliche Aufenthalt" sein soll. Aus Sicht des Bundesrates sollte jedoch überprüft werden, ob eine Präzisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs sinnvoll ist, um aufwändige Ermittlungen zu vermeiden und einem Missbrauch zu begegnen. So wäre es denkbar, eine Mindestdauer von z.B. sechs Monaten festzulegen und zur Konkretisierung dieses Begriffs Kriterien in der Verordnung zu formulieren, die sich an den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 2. April 2009 - C 523/07 - Rn. 37 bis 44 orientieren.
- 13. Soweit der Erblasser nach Artikel 17 des Verordnungsvorschlags die Rechtsnachfolge in seinen Nachlass dem Recht des Staates unterworfen hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, sollte nach Auffassung des Bundesrates auch ein Gericht dieses Mitgliedstaates zuständig sein. Gleiches müsste auch für die Rechtswahl nach Artikel 18 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags in einem Erbvertrag gelten. Nur dann lässt sich das zentrale Prinzip "Ein Nachlass - ein Recht - ein Gericht" verwirklichen.
- 14. Der Bundesrat begrüßt die Regelung des Artikels 18 des Verordnungsvorschlags, wonach für Erbverträge zur Bestimmung des anwendbaren Rechts auf den Zeitpunkt der Errichtung abgestellt wird. Im Hinblick auf die unter Ziffer 11 skizzierten Abgrenzungsschwierigkeiten hält der Bundesrat es jedoch für sinnvoll klarzustellen, dass Artikel 18 des Verordnungsvorschlags auch auf gemeinschaftliche Testamente anwendbar ist, wie es auch in der Begründung dieser Bestimmung (BR-Drucksache 780/09 (PDF) , S. 6) ausgeführt wird.
- 15. Des Weiteren ist der Bundesrat der Auffassung, dass auch bezogen auf letztwillige Verfügungen der Zeitpunkt der Errichtung für die Bestimmung des anwendbaren Rechts maßgebend sein sollte. Schon in seiner Stellungnahme zum Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass gemeinschaftsrechtliche Kollisionsnormen keine Änderung des Anknüpfungspunktes für den Zeitraum zwischen Errichtung der letztwilligen Verfügung und dem Eintritt des Erbfalls vorsehen sollten - vgl. BR-Drucksache 174/05(B) , S. 3. Zwischen der Errichtung einer letztwilligen Verfügung und dem Eintritt des Erbfalls kann ein erheblicher Zeitraum liegen, sodass der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung möglicherweise noch nicht absehen kann, in welchem der Mitgliedstaaten er bei Eintritt des Erbfalles seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben wird. Es ist den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern nicht zuzumuten, sich bei Errichtung eines Testaments über das materielle Erbrecht in allen Mitgliedstaaten, die für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts potenziell in Frage kommen, zu informieren.
- 16. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Regelung des Artikels 19 Absatz 2 Buchstabe f des Verordnungsvorschlags nicht zu einer Aushöhlung des deutschen Grundbuchsystems führen darf. Es sollte anstatt des Begriffs "Übertragung" eine Formulierung gewählt werden, die auch an dieser Stelle verdeutlicht, dass die Publizität dieser Rechte dem Belegenheitsrecht unterliegt (vgl. auch Erwägungsgrund 10 und Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe j).
- 17. Der Bundesrat begrüßt die in Artikel 27 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Regelung, wonach ein Mitgliedstaat die Anwendung einer Vorschrift versagen kann, wenn dies mit dessen öffentlicher Ordnung unvereinbar ist. Die in Artikel 27 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Regelung, wonach eine Anwendung des "ordre public" ausscheidet, wenn Pflichtteilsansprüche in anderen Mitgliedstaaten "anders" geregelt werden, bedarf jedoch der Einschränkung. Um Missbrauchsfälle auszuschließen, die sich daraus ergeben, dass für werthaltige Nachlässe durch die Wahl des Aufenthaltsortes Pflichtteilsansprüche umgangen werden, ist nach Auffassung des Bundesrates klarzustellen, dass der Anwendungsausschluss des Artikels 27 Absatz 2 nicht greift, wenn die Rechtsordnung eines Mitgliedstaates einen Pflichtteilsanspruch vollständig versagt.
- 18. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Verwendung des Begriffs "Anerkennung" öffentlicher Urkunden in Kapitel V trotz der Ausführungen in dem Erwägungsgrund 26 zu Missverständnissen führen kann. Der Begriff der "Anerkennung" wird bislang nur in Verbindung mit der Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen verwendet (vergleiche beispielsweise Artikel 32, 33 der Brüssel-I-Verordnung, ABl. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1). Da Urkunden, wovon auch die Erwägungsgründe zutreffend ausgehen, nicht dieselben Wirkungen wie eine der Rechtskraft fähige Entscheidung entfalten, sollte zur Abgrenzung der unterschiedlichen Wirkungen geprüft werden, ob nicht ein anderer Begriff als der der "Anerkennung" verwendet werden kann, der den Umfang der im Zusammenhang mit Urkunden gewollten Anerkennungswirkungen bereits in Artikel 34 des Verordnungsvorschlags ausreichend deutlich zum Ausdruck bringt. Da auch die Brüssel-I-Verordnung für öffentliche Urkunden nur die Vollstreckbarkeit und nicht die Anerkennung regelt, käme alternativ auch eine Streichung des Artikels 34 des Verordnungsvorschlags in Betracht.
- 19. Soweit in den Kapiteln IV und V des Verordnungsvorschlags auf die Brüssel-I-Verordnung verwiesen wird, ist nach Auffassung der Bundesrates zu berücksichtigen, dass diese gerade überarbeitet wird (vgl. Grünbuch zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2009) 175 endg., BR-Drucksache 440/09 (PDF) ) und dass gegenwärtig noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang die Brüssel-I-Verordnung Änderungen erfahren wird.
- 20. Der Bundesrat begrüßt die beabsichtigte Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, da dieses ein geeignetes Mittel ist, die Abwicklung eines Erbfalls mit Auslandsbezug zu beschleunigen. Es sollte jedoch klargestellt werden, dass seine Erteilung ausschließlich für grenzüberschreitende Erbfälle in Betracht kommt. Nur so wird dem in Artikel 36 Absatz 2 Satz 2 des Verordnungsvorschlags verankerten Grundsatz, dass das Europäische Nachlasszeugnis nicht an die Stelle der innerstaatlichen Verfahren tritt, hinreichend Rechnung getragen.
- 21. Bezogen auf die in Artikel 41 Absatz 2 Buchstabe e genannten Ansprüche eines Vermächtnisnehmers sollte auch angegeben werden, ob das jeweils anzuwendende Recht nur eine schuldrechtliche oder eine sachenrechtliche Position vermittelt. Die Vorschrift des Artikels 41 Absatz 2 Buchstabe i wäre entsprechend anzupassen. In den Fällen, in denen ein Vermächtnis, wie im deutschen Recht, nur eine schuldrechtliche Position vermittelt, kann in dem Europäschen Nachlasszeugnis keine Entscheidung darüber getroffen werden, welches dingliche Recht dem Vermächtnisnehmer möglicherweise zukünftig zustehen wird.
- 22. Soweit in Artikel 41 Absatz 2 Buchstabe i des Verordnungsvorschlags vorgesehen ist, in das Europäische Nachlasszeugnis das Verzeichnis der Nachlassgüter, die den Vermächtnisnehmern nach dem auf die Rechtsnachfolge anzuwendenden Recht zustehen, aufzunehmen, wird angeregt, die Praktikabilität dieser Regelung zu überprüfen. Die hierzu erforderlichen Ermittlungen könnten zu erheblichen Verzögerungen führen.
- 23. Der Bundesrat weist bezogen auf die in Artikel 42 Absatz 3 und 4 getroffenen Regelungen darauf hin, dass es sich um solche des materiellen Erbrechts handeln dürfte. Hier erscheint es sachgerecht zu überprüfen, ob eine Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen materiellrechtlichen Regelung durch die EU besteht. Sollte dies bejaht werden können, wird angeregt zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche konkreten materiellen Wirkungen eines Europäischen Nachlasszeugnisses tatsächlich in der Verordnung geregelt werden müssen.
- 24. Soweit Artikel 43 Absatz 2 des Verordnungsvorschlag eine zeitliche Wirkung des Europäischen Nachlasszeugnisses von drei Monaten vorsieht, ist dieser Zeitraum nach Auffassung des Bundesrates zu kurz bemessen, da die Abwicklung eines Erbfalls mit Auslandsbezug im Regelfall länger dauern dürfte. Ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten könnte hier angemessen sein.
- 25. Sollte sich das anwendbare Recht für letztwillige Verfügungen weiterhin nach dem gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls (Artikel 16 des Verordnungsvorschlags) und nicht in entsprechender Anwendung des Artikels 18 des Verordnungsvorschlags bestimmen (vgl. dazu oben Ziffer 14), wird angeregt, zumindest für vor dem Beginn der Anwendung der Verordnung errichtete letztwillige Verfügungen eine Übergangsbestimmung in Artikel 50 des Verordnungsvorschlags aufzunehmen. Es muss berücksichtigt werden, dass bei schon errichteten letztwilligen Verfügungen der mit dem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts verbundene Wechsel des Erbstatuts nicht einbezogen werden konnte.