Der Bundesrat hat in seiner 865. Sitzung am 18. Dezember 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist überzeugt, dass eine bessere Rechtsetzung, einschließlich der Verringerung der Bürokratiekosten in der EU, ein Schlüsselelement der EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung auch nach 2010 ist. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise mit angespannten öffentlichen Finanzen leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen und zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung in Europa insgesamt.
- 2. Der Bundesrat unterstützt daher die vorliegende Mitteilung der Kommission zum Aktionsprogramm und ihre Anstrengungen zur Verringerung der Verwaltungslasten im Zusammenhang mit EU-Vorschriften. Er begrüßt ihre Absicht, auch in Zukunft hierzu Maßnahmen zu ergreifen und Verbesserungen anzustreben. Erfreulich ist insbesondere, dass die Kommission mit der Vorlage branchenspezifischer Pläne seiner Aufforderung vom 6. März 2009 (BR-Drucksache 116/09(B) ) nachgekommen ist, überprüfbare Zwischenziele in den einzelnen Sektoren vorzulegen, um dadurch neue Impulse für eine kontinuierliche und rasche Umsetzung der Maßnahmen zur Verringerung der für die Unternehmen aus EU-Rechtsvorschriften resultierenden Verwaltungslasten um mindestens 25 Prozent bis 2012 zu setzen.
- 3. Der Bundesrat begrüßt zudem, dass entsprechend seiner Forderung vom 6. März 2009 (BR-Drucksache 116/09(B) ) die Kommission noch vor dem Ende der Amtszeit des aktuellen Kollegiums die ihrer Auffassung nach zur Erreichung der Zielmarke bis 2012 erforderlichen Vorschläge auf europäischer Ebene vorgelegt hat. Damit ist der Weg dafür frei, dass die neue Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und dem Rat zügig die Umsetzung dieser Vorschläge in Angriff nehmen kann.
- 4. Der Bundesrat unterstützt das EU-Aktionsprogramm. Er sieht auch erste Erfolge in Bezug auf den Vorschriftenbestand im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik, sieht aber noch einen weiteren Bedarf zur Verringerung der Verwaltungslasten. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass neben der Abschaffung und Vereinfachung von EU-Vorschriften auch die Abschaffung und Vereinfachung der weiteren Durchführungsvorschriften, die über das jeweilige Verwaltungsausschussverfahren wie Verordnungen einzustufen sind, in das EU-Aktionsprogramm einbezogen werden.
- 5. Der Bundesrat erkennt an, dass seit Verabschiedung des EU-Aktionsprogramms Anfang 2007 bedeutende Fortschritte zur Verringerung der Verwaltungslasten für Unternehmen nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in den EU-Mitgliedstaaten gemacht wurden. So ist ausdrücklich zu begrüßen, dass in der Zwischenzeit alle EU-Mitgliedstaaten dem Beispiel der EU gefolgt sind und nationale Reduzierungsziele zum Abbau von Verwaltungslasten, die auf rein nationalen Vorgaben beruhen, festgelegt haben.
- 6. Allerdings sind nach Auffassung des Bundesrates von allen Beteiligten weitere erhebliche Anstrengungen für eine nachhaltige und spürbare Entlastung von überflüssiger Bürokratie bei den Unternehmen, Bürgern und Verwaltungen zu unternehmen. Der Bundesrat appelliert daher an die neue Kommission, dass die Bemühungen für ein verbessertes regulatorisches Umfeld in der EU ihren hohen politischen Stellenwert auf der EU-Agenda auch weiter beibehalten sollten. Der Bundesrat zeigt sich in diesem Zusammenhang erfreut über die Ankündigung von Kommissionspräsident Barroso in seinen "Politischen Leitlinien für die nächste Kommission" vom 3. September 2009, das Programm für bessere Rechtsetzung unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen auch in der neuen Kommission fortführen zu wollen.
Abbau der Verwaltungslasten
- 7. Der Bundesrat verweist darauf, dass es sich bei dem von der Kommission geschätzten Entlastungswert von mehr als 40 Mrd. Euro um das maximale Entlastungspotential handelt. Dieses kann nur dann voll zum Tragen kommen, wenn alle Vorschläge ohne Abstriche auf EU-Ebene angenommen und danach unverändert in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt würden. Der tatsächlich erreichbare Entlastungswert kann deshalb deutlich hinter den Prognosen der Kommission zurückbleiben.
- 8. Der Bundesrat hebt hervor, dass der entscheidende Zeitpunkt für die Festlegung der Entlastungswirkung eines Vorschlags nicht der Zeitpunkt der Veröffentlichung durch die Kommission, sondern der der Verabschiedung auf EU-Ebene bzw. der Umsetzung in den Mitgliedstaaten ist. Zudem sollte die Kommission für realistische Entlastungsprognosen im Rahmen von Expost-Evaluierungen überprüfen, inwieweit die tatsächlich erzielten Ergebnisse nach Abschluss des Umsetzungsprozesses mit den ursprünglich angestrebten Entlastungen noch übereinstimmen.
- 9. Aus Sicht des Bundesrates ist festzustellen, dass bislang Vorschläge mit einem Entlastungspotential von ca. 7,6 Mrd. Euro bzw. 6 Prozent umgesetzt werden konnten. Der Bundesrat sieht daher die Kommission weiterhin in der Pflicht, die Umsetzung des Aktionsprogramms aktiv voranzutreiben und weitere Vorschläge zur Erreichung des 25 Prozent Ziels vorzulegen. Er begrüßt die von der Kommission geleisteten Vorarbeiten für weitere Maßnahmen zum Abbau der Verwaltungslasten (Anhang C). Er fordert die neue Kommission auf, die angekündigten Vorschläge zur Reduzierung rasch anzunehmen.
- 10. Der Bundesrat bedauert, dass die Verabschiedung vieler, von der Kommission vorgeschlagener, aber noch im Rat bzw. Europäischem Parlament anhängiger Maßnahmen (Anhang G) nur schleppend vorankommt. Er unterstreicht, dass für den Erfolg der Bemühungen zur Verringerung der Verwaltungslasten auch Rat und Europäisches Parlament in der Pflicht stehen, die Vorschläge der Kommission zum Bürokratieabbau rasch zu behandeln. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher erneut, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe einen interinstitutionellen Fahrplan erarbeiten, der unter Benennung klarer Verantwortlichkeiten einen Zeitplan für die legislative Umsetzung der Kommissionsvorschläge benennt (BR-Drucksache 116/09(B) ).
Messung des Verwaltungsabbaus
- 11. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, einen abschließenden und zusammenfassenden Bericht über die EU-Basisberechnung des Unternehmenskonsortiums, das mit der Messung der Verwaltungslasten betraut war, und über die sektoralen Pläne zur Verringerung der Verwaltungslasten vorzulegen. Aus der Mitteilung ist nicht ersichtlich, nach welcher methodischen Grundlage und nach welchem Verfahren die Kosten in den EU-Mitgliedstaaten ermittelt wurden. Ebenso ist nicht erkennbar, welche Kosten als "Businessasusual-Kosten" heraus gerechnet wurden (vgl. Seite 4 in BR-Drucksache 795/09 (PDF) ). Ohne einen solchen umfassenden Bericht sieht sich der Bundesrat nicht in der Lage, die Angaben zur Höhe der Verwaltungslasten und zum Abbaupotential angemessen überprüfen zu können.
- 12. Der Bundesrat bezweifelt vor allem die Größenordnung der Verwaltungslasten, die angeblich auf die Ineffizienz der Verwaltungsverfahren sowie auf die Entscheidung der Mitgliedstaaten zurückzuführen sind, über das vom Gemeinschaftsrecht vorgesehene Mindestmaß hinauszugehen (sogenanntes goldplating). Der Bundesrat bittet die Kommission, insofern die Methodik und die Verfahren transparent zu machen, die zu der Einschätzung der Kommission geführt haben, und dabei genauer zwischen den Verwaltungslasten durch ineffizientes Verwaltungshandeln und durch goldplating zu differenzieren.
- 13. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Mitteilung, ob die in der Mitteilung der Kommission aufgeführten Verwaltungslasten - auf Deutschland bezogen - sowohl hinsichtlich des Umfangs der Informationspflichten aus EU-Recht als auch in Bezug auf die Höhe der ermittelten Kosten mit den im Rahmen des Programms "Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung" der Bundesregierung ermittelten Informationspflichten und den daraus resultierenden Bürokratiekosten übereinstimmen.
- 14. Der Bundesrat hebt hervor, dass die wirksamste Form der Verringerung von Verwaltungslasten in deren Aufhebung oder Streichung zu sehen ist. Hierauf sollte in Zukunft der Schwerpunkt der Abbaumaßnahmen gelegt werden. Die Verbesserung von IT-Verfahren, die derzeit zu den wichtigsten Vorschlägen der Kommission zur Verringerung von Verwaltungslasten gehören, ist zwar grundsätzlich sehr zu begrüßen, verursacht aber sowohl für die Unternehmen als auch für die Verwaltungen sehr hohe Anschaffungs- und Betriebskosten. Diese Kosten werden in der Mitteilung bei der Folgenabschätzung der Vorschläge nicht erwähnt.
- 15. Der Bundesrat kritisiert, dass in der Berechnung der Kommission die Abbau-Leistungen der nationalen Programme einbezogen sind. Er ist der Auffassung, dass Leistungen der verschiedenen Ebenen möglichst getrennt zu bilanzieren sind.
Gesetzesfolgenabschätzung
- 16. Der Bundesrat bemängelt, dass die Kommission es zum Teil unterlassen hat, bei den für den Erfolg des EU-Aktionsprogramms mit Blick auf das geschätzte Entlastungsvolumen besonders wichtigen Vorschlägen eine umfassende Folgenabschätzung mit einer Erläuterung der Grundlagen für die Ermittlung des Entlastungsvolumens vorzulegen. Dies gilt insbesondere für den Vorschlag zur elektronischen Rechnungsstellung im Bereich der MWSt-Richtlinie (BR-Drucksache 157/09 (PDF) ) mit einem von Seiten der Kommission behaupteten Entlastungsvolumen von 18 Mrd. Euro. Der Bundesrat erneuert seine Kritik, dass die Kommission sich damit in Widerspruch zu ihren eigenen Leitlinien zur Durchführung von Folgenabschätzungen vom Januar 2009 setzt (BR-Drucksache 157/09(B) ). Er unterstreicht seine Auffassung, wonach mit jedem neuen Regelungsvorschlag der Kommission auch eine nachvollziehbare Aussage über die damit verbundenen Auswirkungen insbesondere im Hinblick auf Verwaltungslasten einhergehen muss (BR-Drucksache 110/08(B) ).
- 17. Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung einer effektiven und tragfähigen Folgenabschätzung neuer EU-Rechtsvorschriften für eine dauerhafte Reduzierung des Verwaltungsaufwands. Er ist jedoch besorgt darüber, dass anschließende Ergänzungen und Änderungen des Europäischen Parlaments und des Rates zu Legislativvorschlägen im Gesetzgebungsverfahren weitreichende - und für die Entscheidungsträger nicht immer voll absehbare - Folgen insbesondere für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften haben können. Nach seiner Auffassung sollten die Folgenabschätzungen daher in Zukunft auch die wesentlichen Änderungen des Legislativvorschlags im Lauf des Verhandlungsprozesses berücksichtigen. Damit wird nicht nur eine umfassende Tatsachengrundlage für die spätere Entscheidung in Rat und Europäischen Parlament gelegt, sondern auch die Umsetzung der EU-Vorgaben in nationales Recht erleichtert. Das interinstitutionelle Konzept für die Folgenabschätzung sollte entsprechend angepasst werden, damit wesentliche Ergänzungen und Änderungen des ursprünglichen Vorschlags im Mitentscheidungsverfahren dahingehend überprüft werden können, ob die Analyse der Folgenabschätzung den abgeänderten Vorschlag noch abdeckt.
Zusammenwirken von Kommission und Mitgliedstaaten
- 18. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Abbau von Verwaltungslasten auf nationaler Ebene Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, auch wenn die Lasten im Zusammenhang mit EU-Rechtsvorschriften stehen und auf Entscheidungen der Mitgliedstaaten beruhen, über das vom Gemeinschaftsrecht vorgegebene Mindestmaß hinauszugehen. Kritisch sieht der Bundesrat die Absicht der Kommission, die Leistungen der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet für die Zeit nach 2010 zu überwachen, insbesondere bezüglich der Verwaltungslasten, die ausschließlich auf nationale Bestimmungen zurückgehen bzw. über das vom Gemeinschaftsrecht vorgegebene Mindestmaß hinausgehen.
- 19. Der Bundesrat begrüßt die Bereitschaft der Kommission zum Erfahrungsaustausch mit den Mitgliedstaaten. Er geht davon aus, dass hierdurch Fortschritte für alle beteiligten Seiten erreicht werden können.
- 20. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Kommission nur die Kompetenz hat, darüber zu wachen, ob EU-Richtlinien ordnungsgemäß umgesetzt werden. Die Zuständigkeit, Bürokratie durch Abschaffung von über das vom Gemeinschaftsrecht vorgegebene Mindestmaß hinausgehenden Regelungen (sogenanntes goldplating) abzubauen, liegt nach Auffassung des Bundesrates ausschließlich bei den Mitgliedstaaten. Die Entscheidung über die Abschaffung oder die Beibehaltung etwaiger darauf resultierender Verwaltungslasten muss demnach allein den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben.
Zukunft des EU-Aktionsprogramms zur Verringerung der Verwaltungslasten
- 21. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, wonach angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage in der EU auch in Zukunft neue Informationspflichten und neue Verwaltungslasten auf ein unvermeidbares Mindestmaß begrenzt werden müssen. Um diesem Ansatz in der Praxis tatsächlich Geltung zu verschaffen, ist es nach Auffassung des Bundesrates unumgänglich, das Ziel einer 25-Prozent-Reduzierung von Informationspflichten von Unternehmen als Netto-Reduzierungsziel auszugestalten. Nur so kann gewährleistet werden, dass Fortschritte beim Abbau des Verwaltungsaufwands nicht durch zusätzliche Verwaltungskosten, die mit neuen Rechtsetzungsvorschlägen einhergehen, untergraben werden.
- 22. Der Bundesrat hält neben der Verringerung bestehender Verwaltungslasten die Vermeidung zusätzlicher Verwaltungskosten für dringend geboten; in diesem Zusammenhang wäre das bestehende Prüfverfahren intensiver anzuwenden. Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene auch für die Vermeidung neuer EU-Vorschriften, wie z.B. der Vorschläge einer EU-Bodenschutzrahmenrichtlinie, einzusetzen.
- 23. Für besonders wirkungsvoll hält er in diesem Zusammenhang die Verpflichtung der Kommission, bei Vorlage eines neuen Regelungsvorschlags auch eine Aussage darüber zu treffen, wie die zusätzlichen Verwaltungslasten des Vorhabens durch Abbaumaßnahmen in anderen Bereichen ausgeglichen werden können (BR-Drucksache 116/09(B) ).
- 24. Der Bundesrat würdigt den wertvollen Beitrag der Hochrangigen Gruppe (HLG) unabhängiger Interessenträger im Bereich Verwaltungslasten unter Leitung von Dr. Stoiber und begrüßt ausdrücklich, dass Kommissionspräsident Barroso die Verlängerung ihres Mandats beabsichtigt. Dies sollte nach Auffassung des Bundesrates dazu genutzt werden, der HLG ein ehrgeizigeres Mandat als bislang zu verleihen und dabei eine stärkere Verzahnung von Expost- und Exante-Prüfung von Bürokratiekosten auf europäischer Ebene zu erreichen.
- 25. Der Bundesrat unterstützt in diesem Zusammenhang nachdrücklich die Forderung der Bundesregierung nach Einsetzung eines unabhängigen Rates für Bürokratieabbau bei der Kommission, der neue Vorhaben der EU auf die Vermeidung von unnötigen Verwaltungslasten prüft und Vorschläge zur Vereinfachung oder Deregulierung dieser Vorhaben unterbreitet. Vorbild könnte insoweit auch der Deutsche Normenkontrollrat sein. Er bekräftigt seine Forderung nach einem "Norm-TÜV" auf europäischer Ebene (BR-Drucksache 116/09(B) ) und ist überzeugt, dass ein umfassender Prüfauftrag erreicht werden kann, ohne das institutionelle Gleichgewicht der Gemeinschaft zu gefährden.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 26. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.