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88. Erläuterung zu N-Phenyl-2-naphthylamin
[CAS-Nr. 135-88-6]
(BArbBl. 5/98 S. 70)
Ein Luftgrenzwert für N-Phenyl-2-naphthylamin (PBNA) wird nicht festgelegt. Es liegen keine Angaben zum aktuellen Umgang mit diesem Gefahrstoff vor. Der Stoff hat nach den vorliegenden Informationen zur Zeit keine technische Bedeutung.
N-Phenyl-2-naphthylamin ist in der TRGS 905 (Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe) als krebserzeugend in die Kategorie 3 (Stoffe mit begründetem Verdacht auf eine krebserzeugende Wirkung) - nach Anhang I der GefStoffV - eingeordnet.
Arbeitsmedizinische Erfahrungen
In einer 1954 publizierten epidemiologischen Studie finden sich keine Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung von PBNA, obwohl die damals produzierten Qualitäten mit bis zu 100 ppm mit 2-Naphtylamin verunreinigt waren. Zur Frage der Dephenylierung von PBNa wurden Untersuchungen an 19 Freiwilligen durchgeführt, die 10 mg PBNa oral eingenommen hatten. Im Urin von 7 Personen fand man mehr als 0,5 µg 2-Naphtylamin (Nachweisgrenze). Unter Berücksichtigung einer Verunreinigung des PBNa mit 0,08 ppm 2-Naphtylamin entsprechen die im Urin gefundenen Anteile dem 50 bis 375fachen der erwarteten Menge an 2-Naphtylamin. Ähnliche Ergebnisse fand man in weiteren Untersuchungen an einem Proband, der 30 mg PBNa eingenommen hatte und bei Beschäftigten, die etwa 30-40 mg PBNa aufgenommen harten. Diese Ergebnisse belegen zusammen mit tierexperimentellen Befunden beim Hund und unter Berücksichtigung des durch das Rauchen bedingten Anteils, daß PBNa offensichtlich im Stoffwechsel zu 2-Naphtylamin dephenyliert wird (Henschler, 1977).
Toxikologische Erfahrungen
Mutagene und klastogene Wirkung
Zur Abklärung eines möglichen gentoxischen Potentials von N-Phenyl-2-naphthylamin (PBNA) wurden Ames-Tests mit den Stämmen Ta 97, 98, 100, 1534, 1535 und 1538 des Indikatorbakteriums Salmonella typhimurium durchgeführt. Die Experimente fielen negativ aus, wobei eine metabolische Aktivierung der Testsubstanz keinen Einfluß auf das Ergebnis hatte (Anderson u. Styles, 1978; Takemura u. Shimizu, 1978; Bartsch et al., 1980; Kawachi et al., 1980; Rannug et al., 1984; Zeiger et al., 1988; NTP, 1988). Eine russischsprachige Publikation konstatiert die Induktion von Mutationen des TA-1535-Stamms durch Neozon D, einem als Gummipolymerisationsstabilisator verwendeten PBNA-Präparat von nicht näher spezifizierter Reinheit (Arutyunyan et al., 1987). Untersuchungen an Bacillus subtilis ("RecAssay") und Seidenraupen erbrachten keine Anhaltspunkte für eine mutagene Aktivität des PBNa (Kawachi et al., 1980).
Chromosomenaberrationen wurden nach Exposition von CHO-Zellen (mit und ohne metabolische Aktivierung; NW, 1988; Anderson et al., 1990; Sofuni et al., 1990) oder Lungenfibroblasten des Hamsters in vitro (Kawachi et al., 1980) gegen PBNa nicht gefunden. Demgegenüber beobachteten Gukasyan et al. (1986) und Arutyunyan et al. (1987) Chromosomenaberrationen nach Inkubation von Crepis-capillaris-Samen mit Neozon D. Schwach positive Effekte im Chromosomenaberrationstest an CHL-Zellen erzielten Sofuni et al. (1990) mit PBNa nach Zugabe von S9-Mix, und eine leicht erhöhte Schwesterchromatid-Austauschrate wurde an CHO-Zellen in Gegenwart von Lebermikrosomen registriert (NTP, 1988; Anderson et al., 1990). Von einer transformierenden Wirkung des PBNa auf Lungenzellen des Syrischen Hamsters, BALB/c-3T3-Zellen und menschliche Hautfibroblasten wird berichtet (Gu u. Wang, 1988; Matthews et al., 1993; Milo et al., 1981). Im Knochenmark von Mäusen konnten nach In-vivo-Behandlung mit PBNa keine Chromosomenaberrationen festgestellt werden (Kawachi et al., 1980).
DNA-Bindung
In metabolisierenden Systemen mit Kalbsthymus-DNa bzw. isolierten Zellkernen führte die Zugabe von radioaktiv markiertem PBNa in vitro zu DNA-Addukten (Huang et al., 1986; Xue et al., 1988). Die Bindung an Makromoleküle setzt allerdings eine N-Dephenylierung nicht notwendigerweise voraus; möglicherweise spielt dabei auch die Entstehung von Epoxiden durch Stoffwechselprozesse eine Rolle (Anderson et al., 1982). Nach i.p. Applikation wurden in Leber, Lunge und Nieren von Ratten Veränderungen der Aktivität fremdstoffmetabolisierender Enzyme gemessen (Hung, 1982).
Krebserzeugende Wirkung
Drei Hunde, an die 4,5 Jahre lang 540 mg PBNa fünf Tage pro Woche verfüttert worden war, entwickelten keine Harnblasentumoren (Gehrmann et al., 1949). Je 100 - 200 mg Neozon D, an drei Hunde sechs Jahre lang täglich oral verabreicht, führte nicht zu Tumoren.
Auch aus Experimenten mit zwei Mäusestämmen (orale und subkutane Gabe) wird geschlossen, daß Neozon D kein krebserzeugendes Potential zukommt (Pliss u. Zabezhinskii, 1983). Drei weibliche Hunde erhielten fünfmal pro Woche 200 mg Neozon D pro Kilogramm Körpergewicht in Hackfleisch; wegen Erbrechens wurde die Dosis nach 20 Tagen halbiert. Die Behandlung wurde bis zu sechs Jahre lang fortgesetzt; was einer aufgenommenen Menge von 1510, 2075 bzw. 2172 g PBNa pro Tier entsprach. Im Gegensatz zu den mit 2-Naphthylamin gefütterten Hündinnen der Positivkontrolle erzeugte Neozon D bei den Versuchstieren keine Tumoren der Harnblase oder anderer Organe. Auch bei Albino-Ratten, denen lebenslang 100 mg Neozon D wöchentlich subkutan gespritzt worden war, wurde keine statistisch signifikant erhöhte Tumorrate beobachtet. Während des Versuchs traten allerdings relativ hohe Verluste durch Virusinfektionen auf. Aus den Befunden einer kombinierten Gabe mit Benzidin an Ratten wurden sogar krebshemmende Effekte des PBNa abgeleitet, was man mit dessen antioxidierenden Eigenschaften zu erklären sucht (Pliss et al., 1991).
Lebenslange intragastrische Applikation von 37,5 bzw. 75 mg PBNa zweimal wöchentlich lieferte bei Syrischen Goldhamstern (40 männliche und 40 weibliche Tiere) keine Hinweise auf eine tumorigene Wirkung (Green et al., 1979). Je 40 Sprague-Dawley-Ratten beiderlei Geschlechts wurden lebenslang zweimal wöchentlich 600 mg PBNa pro Kilogramm Körpergewicht i.g. gegeben. Es resultierten keine signifikanten substanzabhängigen Veränderungen von Überlebensrate, Tumorinzidenz, -latenz und -verteilung (Ketkar u. Mohr, 1982). Hinzugefügt werden muß, daß am Ende der beschriebenen Versuche an Hamstern und Ratten die mit Arachidisöl behandelten Kontrollgruppen zahlreiche Tumoren an verschiedenen Organen aufwiesen (unter den männlichen Ratten waren sogar 75 % tumortragende Tiere!).
Gruppen von je 18 männlichen und weiblichen (C57BL/6 x C3H/ Anf)F1- sowie (C57BL/6 x AKR)F1-Mäusen erhielten vom 7. bis 28. Lebenstag 464 mg PBNa in Gelatine pro Kilogramm Körpergewicht (bezogen auf das Gewicht am Ende der ersten Lebenswoche) mittels Magensonde und anschließend weitere 74 Wochen 1206 mg/kg im Futter. Die Männchen des erstgenannten Stammes zeigten eine signifikant erhöhte Tumorrate (7/17 gegenüber 0/16 der Gelatinekontrolle), wobei Hepatome (5/17) im Vordergrund standen (Innes et al., 1969; IARC, 1978). In gleicher Weise zusammengesetzte Gruppen von Mäusen wurden einmalig am 28. Lebenstag 464 mg PBNa pro Kilogramm Körpergewicht in DMSO subkutan injiziert. Am Ende der 80. Lebenswoche hatten 4/17, 5/18, 3/18 und 1/18 Tiere Tumoren entwickelt. Gegenüber der Lösungsmittelkontrolle bedeutet dies einen signifikanten Anstieg des Anteils tumortragender Tiere bei weiblichen (C57BL/6 x C3H/Anf)F1-Mäusen (5/18, Kontrolle: 9/154); die Hepatomrate (2/18, Kontrolle: 1/16) bei männlichen (C57BL/6 x AKR)F1-Mäusen war nur geringfügig erhöht. Die Autoren der Studie sprechen insgesamt von "elevation of tumor incidence in an uncertain range" und halten weitergehende Untersuchungen für erforderlich (s. IARC, 1978).
Chinesische Veröffentlichungen berichten von Tumoren (überwiegend der Lunge) bei Mäusen und Ratten nach subkutaner Injektion, Magenintubarion, Verfütterung und nach Inhalation von technischem PBNA. Mehrfache subkutane Injektion von gereinigtem PBNa über einen Zeitraum von 10 Monaten erzeugte bei männlichen ICR-Mäusen 9/20 maligne Tumoren (Lösungsmittelkontrolle 0/20), vorwiegend der Lunge (Wang et al., 1984b). Wiederholte s.c. Applikation von technischem PBNa bis zu einer Gesamtdosis von 432 mg führte bei männlichen ICR-Mäusen zu 9/26 bösartigen Neubildungen (Lösungsmittelkontrolle: 0/24), insbesondere Lungenkarzinomen (6/26). Die Versuchsdauer betrug knapp 10 Monate. Ähnlich behandelte männliche TA- 1-Mäuse (Gesamtdosis: 304 mg) entwickelten ausschließlich Lungenkarzinome (4/19, Kontrolle: 0/18). Nach einseitiger Nierenamputation bekamen mehrfach mit gereinigtem PBNa (insgesamt 304 mg) subkutan behandelte männliche TA-1-Mäuse neben Lungenkarzinomen und wenigen Tumoren an anderen Organen zu 18 % Nierenkarzinome und zu 47 % Hämangiosarkome der Niere (Wang et al., 1984a). Diese Ergebnisse sind, soweit sie im internationalen Schrifttum zugänglich gemacht wurden, wegen dokumentarischer und methodischer Mängel (z.B. geringe Tierzahl, Beschränkung auf ein Geschlecht und meist eine Dosisgruppe, fehlende Angaben zur Mortalität, unzureichende Charakterisierung der Testsubstanzen) schwer zu bewerten.
Im Verlauf eines chinesischen Inhalationsexperiments (180- 230 mg/m3 PBNA-Aerosol, 2h/Tag, 5 Tage/Woche, 1 Jahr) entwickelten männliche Mäuse nach maximal 22 Monaten zu 50 % (23146) Tumoren. 14 Tiere hatten Lungentumoren, davon 12 Adenokarzinome. In der Kontrollgruppe traten 7/47 bösartige Neubildungen auf, darunter fanden sich aber keine Lungenkarzinome (You u. Yao, 1981).
In einer Zweijahresstudie des US-amerikanischen National Toxicology Program (NTP) erhielten je 50 männliche und 50 weibliche F344/ N-Ratten und B6C3F1-Mäuse 2500 bzw. 5000 mg/kg PBNa im Futter. Dabei kam es zu nicht-neoplastischen Läsionen der Niere (Nephropathie, Karyomegalie und Hyperplasie) bei Ratten und Mäusen. Für Ratten und männliche Mäuse fanden sich keine Hinweise auf kanzerogene Effekte des PBNA. Unter den weiblichen Mäusen der Hochdosisgruppe traten in zwei Fällen Zelihyperplasien des Nierentubulus sowie je ein Adenom und ein Adenokarzinom der Tubuluszellen auf. Tumoren der Zellen des Nierentubulus sind bei B6C3F1-Mäusen sehr selten (historische Kontrolle: 1:2079; NTP, 1988).
Bewertung
Mit Ausnahme der chinesischen Arbeiten deuten die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse auf eine eher niedrige kanzerogene oder mutagene Potenz von reinem PBNa hin. Bei der Bewertung der Substanz müssen jedoch experimentelle Belege für dessen Metabolisierung zu 2-Naphthylamin (BNA) in verschiedenen Spezies, einschließlich des Menschen (s. Abschn. "Arbeitsmedizinische Erfahrungen" ), ernstgenommen werden. Dieses Stoffwechselprodukt erzeugte Neubildungen der Harnblase bei Hamstern, Hunden und Primaten sowie Lebertumoren bei Mäusen. Die blasenkrebserzeugende Wirkung von BNa beim Menschen ist durch epidemiologische Studien belegt (Benya u. Comish, 1994).
Beagle-Hunde, an die 5 mg PBNa pro Kilogramm Körpergewicht in einer Gelatinekapsel verfüttert wurde, schieden höchstens 10 µg BNa mit dem Urin aus (Batten u. Hathway, 1977). Im Harn männlicher Sprague-Dawley-Ratten fanden Laham u. Potvin (1983) innerhalb von vier Tagen nach viermaliger oraler Gabe von 50 mg PBNa pro Tag bis zu 415 µg der Ausgangssubstanz und 18.5 µg BNA. Aus Vergleichen mit Ergebnissen von Einmaldosis-Experimenten schließen die Autoren auf eine Förderung des PBNA-Metabolismus durch die Ausgangssubstanz selbst. Auch in den Faeces wurde BNa nachgewiesen. Kaninchen (New Zealand White) schieden nach viermaliger Gabe von 200 mg PNa pro Kilogramm Körpergewicht an aufeinanderfolgenden Tagen die zwanzigfache Menge an PBNa und die verzehnfache Menge an BNa mit dem Harn aus als Sprague-Dawley-Ratten nach gleicher Behandlung (Laham u. Potvin, 1984). Im Urin männlicher F344-Ratten, die im NTP-Versuch nach PBNA-Exposition keine erhöhte Tumorrate aufwiesen, konnten hingegen nur Spuren von BNa detektiert werden (NTP, 1988). Nach Inkubation von PBNa mit Lebermikrosomenpräparationen von Mäusen, Ratten, Hamstern, Schweinen, Hunden, Affen und Menschen sowie mit frisch isolierten Rattenhepatozyten konnte kein BNa nachgewiesen werden (Anderson et al., 1982, Xue u. Wolff, 1991).
Meßverfahren
Zur Messung von N-Phenyl-2-naphthylamin in der Luft in Arbeitsbereichen steht eine Methode [OSHAI zur Verfügung. Die Probenahme mit Pumpe erfolgt auf ein mit Ascorbinsäure imprägniertes Glasfaserfilter. Nach der Extraktion der Filter mit Methanol erfolgt die analytische Bestimmung mittels HPLC und Fluoreszenz-Detektor. Die Bestimmungsgrenze beträgt bei 240l Probeluft 27 ng/m3 an N-Phenyl-2-naphthylamin.
Ergebnisse von Arbeitsplatzmessungen
Dem Ausschuß für Gefahrstoffe sind keine Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen bekanntgegeben worden.
Hinweise
Sollte N-Phenyl-2-naphthylamin wieder technische Bedeutung erlangen, ist durch eine Arbeitsbereichsanalyse unverzüglich das Expositionsniveau festzustellen . Die Ergebnisse der Arbeitsbereichsanalyse sind dem Ausschuß für Gefahrstoffe (AGS) mitzuteilen. Aufsichtsbehörden, die Kenntnis über den Umgang mit N-Phenyl-2-naphthylamin erlangen, werden gebeten, dies dem AGS mitzuteilen.
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(Stand: November 1997)
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