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Änderungstext

Gesetz zur Schaffung einer grundgesetzkonformen Rechtsgrundlage für den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Baden-Württemberg
- Baden-Württemberg-

Vom 20. November 2012
(GBl. Nr. 17 vom 28.22.2012 S. 581)



Der Landtag hat am 14. November 2012 das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Einführung eines Buches 5 des Justizvollzugsgesetzbuches

Das Justizvollzugsgesetzbuch vom 10. November 2009 (GBl. S. 545), geändert durch Artikel 58 der Verordnung vom 25. Januar 2012 (GBl. S. 65, 72), wird wie folgt geändert:

1. Dem Buch 4 des Justizvollzugsgesetzbuches wird das Buch 5 angefügt.

2. Die Inhaltsübersicht des Justizvollzugsgesetzbuches ist entsprechend anzupassen.

Artikel 2
Änderung des Buches 1 des Justizvollzugsgesetzbuches

Das Buch 1 des Justizvollzugsgesetzbuches wird wie folgt geändert:

1. Der Überschrift des Buches 1 wird folgende amtliche Abkürzung angefügt: ≫(JVollzGB I)≪.

2. § 1 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

altneu
(1) Dieses Gesetz regelt den Vollzug
  1. der Untersuchungshaft, der einstweiligen Unterbringung, der sichernden Unterbringung bei vorbehaltener oder nachträglicher Sicherungsverwahrung, der Sicherungshaft, der Haft nach § 127b Abs. 2, § 230 Abs. 2, §§ 236, 275a Abs. 5, § 329 Abs. 4 Satz 1, § 412 Satz 1 und § 453c Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO),
  2. der Freiheitsstrafe, der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Strafarrests,
  3. der Jugendstrafe nach den §§ 17 und 18 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) und der Freiheitsstrafe nach § 114 JGG sowie

den Datenschutz bei dem Vollzug von gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehungen in Anstalten der Justizverwaltung des Landes (Justizvollzugsanstalten).

 ≫(1) Dieses Gesetz regelt den Vollzug
  1. der Untersuchungshaft, der einstweiligen Unterbringung, der sichernden Unterbringung bei vorbehaltener oder nachträglicher Sicherungsverwahrung, der Sicherungshaft, der Haft nach § 127b Absatz 2, § 230 Absatz 2, §§ 236, 275 a Absatz 5, § 329 Absatz 4 Satz 1, § 412 Satz 1 und § 453c Absatz 1 der Strafprozessordnung (StPO),
  2. der Freiheitsstrafe und des Strafarrestes,
  3. der Jugendstrafe nach den §§ 17 und 18 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) und der Freiheitsstrafe nach § 114 JGG und
  4. der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie anderer freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung.≪

3. § 2 wird wie folgt geändert:

a) Die Überschrift ≫Aufgaben≪ wird ersetzt durch ≫Ziele des Vollzugs≪.

b) In Absatz 1 Satz 1 wird das Wort ≫Aufgabe≪ durch das Wort ≫Zielsetzung≪ ersetzt.

c) Es wird folgender Absatz 3 angefügt:

≫(3) Der Vollzug der Sicherungsverwahrung dient dem Ziel, die Gefährlichkeit der Untergebrachten für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Unterbringung möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann. Im Vollzug der Sicherungsverwahrung sollen die Unter gebrachten fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung bezweckt zugleich den Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten.≪

4. § 3 wird wie folgt gefasst:

altneu
(1) Untersuchungshaft wird in besonderen Justizvollzugsanstalten oder in Außenstellen oder getrennten Abteilungen von Justizvollzugsanstalten vollzogen.

(2) Die Freiheitsstrafe, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und der Strafarrest werden in Justizvollzugsanstalten vollzogen.

(3) Jugendstrafe wird in Jugendstrafanstalten vollzogen. Teilanstalten, Abteilungen oder Außenstellen von Justizvollzugsanstalten können aus besonderen Gründen zu Jugendstrafanstalten bestimmt werden.

(4) Das Justizministerium bestimmt im Einvernehmen mit dem Sozialministerium die für den Jugendstrafvollzug in freier Form zugelassenen Einrichtungen. Während der Unterbringung im Jugendstrafvollzug in freier Form besteht das Vollzugsverhältnis der Gefangenen zur Justizvollzugsanstalt fort.

 ≫(1) Die Freiheitsstrafe und der Strafarrest werden in Justizvollzugsanstalten des Landes vollzogen.

(2) Die Untersuchungshaft wird in besonderen Justizvollzugsanstalten, in Teilanstalten, Außenstellen oder Abteilungen von Justizvollzugsanstalten vollzogen.

(3) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird in besonderen Justizvollzugsanstalten, in Teil- anstalten, Außenstellen oder Abteilungen von Justizvollzugsanstalten (Einrichtungen der Sicherungsverwahrung) vollzogen.

(4) Die Jugendstrafe wird in besonderen Justizvollzugsanstalten, in Teilanstalten oder Außenstellen von Justizvollzugsanstalten (Jugendstrafanstalten) oder in besonderen Abteilungen von Justizvollzugsanstalten vollzogen.

(5) Das Justizministerium bestimmt im Einvernehmen mit dem Sozialministerium die für den Jugendstrafvollzug in freier Form zugelassenen Einrichtungen. Während der Unterbringung im Jugendstraf- vollzug in freier Form besteht das Vollzugsverhältnis der Gefangenen zur Justizvollzugsanstalt fort.≪

5. § 4 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

altneu
(1) Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Justizvollzugsanstalten für Frauen oder in getrennten Abteilungen in Justizvollzugsanstalten für Männer unterzubringen. Sie sind auch sonst von den männlichen Gefangenen getrennt zu halten. ≫(1) Frauen sind getrennt von Männern in besonderen Justizvollzugsanstalten für Frauen oder in getrennten Abteilungen in Justizvollzugsanstalten für Männer unterzubringen. Sie sind auch sonst von den männlichen Gefangenen und männlichen Untergebrachten getrennt zu halten.≪

b) Absatz 3 wird wie folgt gefasst:

altneu
(3) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird in einer für den Vollzug der Freiheitsstrafe bestimmten Justizvollzugsanstalt vollzogen. Sie erfolgt in getrennten Abteilungen, es sei denn die Zahl der Untergebrachten rechtfertigt die Einrichtung einer solchen Abteilung nicht. ≫(3) Der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfolgt vom Strafvollzug getrennt in Einrichtungen nach § 3 Absatz 3. Von einer getrennten Unterbringung nach Satz 1 darf ausnahmsweise abgewichen werden
  1. zur Behandlung, insbesondere in einer sozialtherapeutischen Anstalt,
  2. zur Durchführung einer Behandlungsuntersuchung oder Begutachtung,
  3. zur Behandlung einer Krankheit oder besseren medizinischen Versorgung in einem Justizvollzugskrankenhaus oder in einer Krankenabteilung einer Justizvollzugsanstalt,
  4. auf Antrag der Untergebrachten aus wichtigem Grund,
  5. zur Entlassungsvorbereitung in einer Einrichtung des offenen Vollzugs oder
  6. vorübergehend zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt oder für Leib oder Leben von Untergebrachten oder Dritten.

Die Unterbringungsbedingungen sollen sich im Rahmen der vorhandenen Gegebenheiten von denen der Strafgefangenen unterscheiden, soweit dies mit der Aufgabenerfüllung der aufnehmenden Anstalt vereinbar ist. Im Übrigen bleiben die Rechte der Untergebrachten nach diesem Gesetz unberührt.≪

c) Absatz 6 wird wie folgt gefasst:

altneu
(6) Von der getrennten Unterbringung nach den Absätzen 1 und 3 bis 5 darf abgewichen werden, um Gefangenen oder Untergebrachten die Teilnahme an Behandlungs- oder Erziehungsmaßnahmen zu ermöglichen. Junge Gefangene sind vor schädlichen Einflüssen zu schützen. ≫(6) Von der Trennung nach den Absätzen 1 und 3 bis 5 darf abgewichen werden, soweit es erforderlich ist, Gefangenen oder Untergebrachten die Teilnahme an Beschäftigungs-, Behandlungs- und Erziehungsmaßnahmen sowie Freizeitangeboten und Angeboten der Religionsausübung zu ermöglichen. Junge Gefangene sind vor schädlichen Einflüssen zu schützen.≪

d) Es wird folgender Absatz 8 angefügt:

≫(8) Während eines Transports zur Durchführung einer Verlegung, Überstellung, Ausantwortung oder Vorführung von in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten darf von der Trennung nach Absatz 3 Satz 1 abgewichen werden.≪

6. § 6 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

altneu
(2) Justizvollzugsanstalten sollen so gegliedert werden, dass die Gefangenen in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen zusammengefasst werden können. ≫(2) Justizvollzugsanstalten sollen eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen insbesondere für therapeutische Maßnahmen, für Maßnahmen der Beschäftigung, Freizeit, Sport und Seelsorge vorsehen. Sie sollen so gegliedert werden, dass die Gefangenen und Untergebrachten in überschaubaren Betreuungs- und Behandlungsgruppen zusammengefasst werden können. Die Gestaltung von Einrichtungen der Sicherungsverwahrung muss therapeutischen Erfordernissen entsprechen und Wohngruppenvollzug ermöglichen.≪

7. § 7 wird folgender Absatz 6 angefügt:

≫(6) In Einrichtungen der Sicherungsverwahrung haben Zimmer der Untergebrachten eine Nettogrundfläche in Höhe der doppelten Quadratmeterzahl der für Gefangene in einem Gemeinschaftshaftraum nach Absatz 3 vorgesehenen Fläche.≪

8. § 9 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

altneu
(2) Die Gefangenen können an den Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Geräte beteiligt werden. ≫(2) Die Gefangenen und Untergebrachten können an den Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Geräte beteiligt werden.≪

9. § 12 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 6 wird wie folgt gefasst:

altneu
(6) Anstaltsseelsorgerinnen und Anstaltsseelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet. Das Nähere regeln Vereinbarungen zwischen dem Land und den Religionsgemeinschaften. Wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Satz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen. Mit Zustimmung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters dürfen die Anstaltsseelsorger sich freier Seelsorgehelfer bedienen und für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen Seelsorgerinnen und Seelsorger von außen zuziehen. ≫(6) Für den Vollzug der Sicherungsverwahrung ist die erforderliche Anzahl von Bediensteten der verschiedenen Fachrichtungen, des allgemeinen Vollzugsdienstes und des Werkdienstes vorzusehen, um eine an den Vollzugszielen orientierte Behandlung und Betreuung der Untergebrachten zu gewährleisten. Die in Einrichtungen der Sicherungsverwahrung tätigen Bediensteten müssen hierfür persönlich geeignet und fachlich qualifiziert sein. Fortbildungen sowie Praxisberatung und Praxisbegleitung werden regelmäßig durchgeführt. Die Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes, des psychologischen und des sozialen Dienstes sollen Wohngruppen zugeordnet werden. Eine Betreuung in den Wohngruppen ist auch in der beschäftigungsfreien Zeit der Untergebrachten, insbesondere am Wochenende, in dem erforderlichen Umfang zu gewährleisten. Ent sprechendes gilt für Bedienstete, die mit der Betreuung und Behandlung von Strafgefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung betraut sind.≪

b) Es wird folgender Absatz 7 angefügt:

≫(7) Anstaltsseelsorgerinnen und Anstaltsseelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft haupt- oder nebenamtlich bestellt. Das Nähere regeln Vereinbarungen zwischen dem Land und den Religionsgemeinschaften. Wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Satz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen. Mit Zustimmung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters dürfen die Anstaltsseelsorger sich freier Seelsorgehelfer bedienen und für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen Seelsorgerinnen und Seelsorger von außen zuziehen.≪

10. In § 13 Absatz 1 Satz 2 wird das Wort ≫Diensts≪ durch das Wort ≫Dienstes≪ ersetzt.

11. § 14 wird wie folgt gefasst:

altneu
§ 14 Gefangenenmitverantwortung

Den Gefangenen und Untergebrachten soll ermöglicht werden, an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzunehmen, die sich ihrer Eigenart und

 ≫ § 14 Mitverantwortung

(1) Den Gefangenen und den Untergebrachten ist zu ermöglichen, eine Vertretung zu wählen. Diese kann in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Justizvollzugsanstalt nach für eine Mitwirkung eignen, Vorschläge und Anregungen an die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter herantragen. Die Vorschläge und Anregungen sollen mit der Vertretung erörtert werden. Die Gefangenen und die Untergebrachten werden zur Mitarbeit ermutigt.

(2) Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Teilanstalten, Außenstellen oder Abteilungen von Justizvollzugsanstalten vollzogen, ist der Mitverantwortung der Untergebrachten zu gestatten, an der Gefangenenmitverantwortung mitzuwirken, soweit Interessen und Belange der Untergebrachten berührt sind.≪

12. § 16 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

altneu
(2) Die Justizvollzugsanstalten arbeiten mit anderen Einrichtungen, Organisationen und Personen, die für die Gefangenen förderliche soziale Hilfestellungen leisten oder deren Einfluss ihre Eingliederung, Behandlung oder Erziehung fördern können, eng zusammen. ≫(2) Die Justizvollzugsanstalten arbeiten mit anderen Einrichtungen, Organisationen und Personen, die für die Gefangenen und Untergebrachten förderliche soziale Hilfestellungen leisten oder deren Einfluss ihre Eingliederung, Behandlung oder Erziehung fördern können, eng zusammen. Die Unterstützung insbesondere der in Sicherungsverwahrung Untergebrachten durch ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer ist zu fördern.≪

13. § 52 wird wie folgt geändert:

In Absatz 3 Satz 3 und Absatz 4 Sätze 3 und 4 wird jeweils das Wort ≫speichernde≪ durch das Wort ≫verantwortliche≪ ersetzt.

14. Die Inhaltsübersicht ist entsprechend anzupassen.

Artikel 3
Änderung des Buches 2 des Justizvollzugsgesetzbuches

Das Buch 2 des Justizvollzugsgesetzbuches wird wie folgt geändert:

1. Der Überschrift des Buches 2 wird folgende amtliche Abkürzung angefügt: ≫(JVollzGB II)≪.

2. § 17 Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 6 wird folgende Nummer 7 eingefügt:

≫7. den Europäischen Bürgerbeauftragten,≪

b) Die bisherigen Nummern 7 und 8 werden Nummern 8 und 9.

3. In § 69 Absatz 1 wird die Zahl ≫18≪ durch die Zahl ≫21≪ ersetzt.

Artikel 4
Änderung des Buches 3 des Justizvollzugsgesetzbuches

Das Buch 3 des Justizvollzugsgesetzbuches wird wie folgt geändert:

1. Der Überschrift des Buches 3 wird folgende amtliche Abkürzung angefügt: ≫(JVollzGB III)≪.

2. § 1 wird wie folgt geändert:

a) Die Überschrift ≫Aufgabe des Vollzugs≪ wird ersetzt durch ≫Vollzugsziel≪.

b) Der Klammerzusatz ≫(Vollzugsziel)≪ wird gestrichen.

3. In § 18 Absatz 1 Satz 3 wird das Wort ≫Verkauf≪ durch das Wort ≫Einkauf≪ ersetzt.

4. § 24 Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 6 wird folgende Nummer 7 eingefügt:

≫7. den Europäischen Bürgerbeauftragten,≪

b) Die bisherigen Nummern 7 und 8 werden Nummern 8 und 9.

5. In der Überschrift zu § 58 wird das Wort ≫der≪ durch das Wort ≫zur≪ ersetzt.

6. In Abschnitt 16 wird Unterabschnitt 1 wie folgt gefasst:

altneu
Unterabschnitt 1
Sicherungsverwahrung

§ 97 Ziel der Unterbringung

Sicherungsverwahrte werden zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht. Ihnen soll geholfen werden, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.

§ 98 Anwendung anderer Vorschriften

Für die Sicherungsverwahrung gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe entsprechend, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist.

§ 99 Ausstattung

Die Ausstattung der Einrichtungen für Sicherungsverwahrte, namentlich der Hafträume, und besondere Maßnahmen zur Förderung und Betreuung, sollen den Sicherungsverwahrten helfen, ihr Leben in der Justizvollzugsanstalt sinnvoll zu gestalten und sie vor Schäden eines langen Freiheitsentzugs bewahren. Ihren persönlichen Bedürfnissen ist nach Möglichkeit Rechnung zu tragen.

§ 100 Besuche und Sondergeld

(1) Sicherungsverwahrte dürfen regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens zwei Stunden im Monat.

(2) Für Sicherungsverwahrte kann monatlich ein im Verhältnis zu § 54 Abs. 1 erhöhter Betrag einbezahlt werden, der als Sondergeld gutzuschreiben ist und wie Hausgeld genutzt werden kann.

§ 101 Kleidung

Sicherungsverwahrte dürfen eigene Kleidung, Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn Gründe der Sicherheit nicht entgegenstehen und sie für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorgen.

§ 102 Selbstbeschäftigung, Arbeitsentgelt und Taschengeld

(1) Sicherungsverwahrte wird gestattet, sich gegen Entgelt selbst zu beschäftigen, wenn dies dem Ziel dient, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern,

(2) Der Bemessung des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe für Sicherungsverwahrte sind zwölf Prozent der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen.

(3) Das Taschengeld der Sicherungsverwahrte beträgt 23 Prozent der Eckvergütung nach Absatz 2.

§ 103 Entlassungsvorbereitung

(1) Um die Entlassung zu erproben und vorzubereiten, können vollzugsöffnende Maßnahmen und Freistellung aus der Sicherungsverwahrung von bis zu einem Monat gewährt werden. Freistellung aus der Sicherungsverwahrung von bis zu zwei Monaten kann gewährt werden, wenn dies zur Erprobung und Vorbereitung der Entlassung unabdingbar ist. § 89 Abs. 4 bleibt unberührt.

(2) Die Aufsichtsbehörde kann sich vorbehalten, dass in bestimmten Fällen die Gewährung von Maßnahmen nach Absatz 1 erst mit ihrer Zustimmung wirksam wird.

Unterabschnitt 1
Besondere Vorschriften bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung

§ 97 Ziele und Gestaltung des Vollzugs

(1) Bei Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung gelten die Vorschriften über den Vollzug der Freiheitsstrafe nach Maßgabe der Vorschriften dieses Unterabschnitts.

(2) Bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung dient der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Ziel, die Gefährlichkeit der Gefangenen für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Unterbringung oder deren Anordnung möglichst entbehrlich wird.

(3) Ist Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten, ist bereits der Vollzug der Freiheitsstrafe therapiegerichtet auszugestalten.

(4) Die Erreichung der Vollzugsziele erfordert die Mitwirkung der Gefangenen. Ihre Bereitschaft hierzu ist fortwährend zu wecken und zu fördern. Die Motivationsmaßnahmen sind zu dokumentieren.

§ 98 Behandlungsuntersuchung

(1) An das Aufnahmeverfahren schließt sich zur Vorbereitung der Vollzugsplanung unverzüglich eine umfassende Behandlungsuntersuchung unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse an.

(2) Die Behandlungsuntersuchung erstreckt sich auf alle Umstände, deren Kenntnis für eine planvolle Behandlung der Gefangenen und für die Beurteilung ihrer Gefährlichkeit maßgeblich sind. Im Rahmen der Behandlungsuntersuchung sind insbesondere die Ursachen der Straftaten, die individuellen Risikofaktoren sowie der Behandlungsbedarf, die Behandlungsfähigkeit und die Behandlungsmotivation der Gefangenen festzustellen. Gleichzeitig sollen die Fähigkeiten der Gefangenen ermittelt werden, deren Stärkung ihrer Gefährlichkeit entgegenwirken kann. Erkenntnisse aus vorangegangenen Freiheitsentziehungen sind einzubeziehen.

(3) Bei der Behandlungsuntersuchung wirken Bediens tete verschiedener Fachrichtungen in enger Abstimmung zusammen. Soweit dies erforderlich ist, sind externe Fachkräfte einzubeziehen. Die Gefangenen wirken an der Behandlungsuntersuchung mit.

§ 99 Vollzugsplan

(1) Aufgrund der Behandlungsuntersuchung wird unverzüglich ein Vollzugsplan erstellt, der die individuellen Behandlungsziele festlegt und die zu ihrer Erreichung geeigneten und erforderlichen Maßnahmen benennt. Der Vollzugsplan enthält mindestens An gaben über

  1. psychiatrische, psychotherapeutische oder sozialtherapeutische Behandlungsmaßnahmen,
  2. andere Einzel- oder Gruppenbehandlungsmaßnahmen,
  3. Maßnahmen zur Förderung der Behandlungsmotivation,
  4. die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung,
  5. die Zuweisung zu Wohngruppen,
  6. Art und Umfang der Beschäftigung,
  7. Maßnahmen zur Gestaltung der Freizeit,
  8. Maßnahmen zur Ordnung der finanziellen Verhältnisse,
  9. Maßnahmen zur Ordnung der familiären Verhältnisse,
  10. Maßnahmen zur Förderung von Außenkontakten,
  11. Maßnahmen zur Vorbereitung eines sozialen Empfangsraums,
  12. vollzugsöffnende Maßnahmen sowie
  13. Entlassungsvorbereitung und Nachsorge.

(2) Der Vollzugsplan ist fortlaufend auf seine Umsetzung hin zu überprüfen und mit der Entwicklung der Gefangenen sowie mit weiteren für die Behandlung bedeutsamen Erkenntnissen in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen, die sechs Monate nicht übersteigen sollen.

(3) Zur Vorbereitung der Aufstellung und Fortschreibung des Vollzugsplans werden Konferenzen mit den an der Vollzugsgestaltung maßgeblich Beteiligten durchgeführt. An der Behandlung mitwirkende Personen außerhalb des Vollzugs sollen in die Planung einbezogen werden; sie können mit Zustimmung der Gefangenen auch an den Konferenzen beteiligt werden.

(4) Der Vollzugsplan wird mit der Billigung durch die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter wirksam. Die Aufsichtsbehörde kann sich vorbehalten, dass der Vollzugsplan in bestimmten Fällen erst mit ihrer Zustimmung wirksam wird.

(5) Die Vollzugsplanung wird mit den Gefangenen erörtert. Ihnen wird Gelegenheit gegeben, eine Stellungnahme in der Vollzugsplankonferenz abzugeben. Der Vollzugsplan ist ihnen auszuhändigen.

§ 100 Behandlung und Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung

(1) Den Gefangenen sind die zur Erreichung der Vollzugsziele erforderlichen Behandlungsmaßnahmen anzubieten. Diese haben wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Soweit standardisierte Angebote nicht ausreichen oder keinen Erfolg versprechen, sind individuelle Behandlungsangebote zu entwickeln.

(2) Bei der Behandlung wirken Bedienstete verschiedener Fachrichtungen in enger Abstimmung zusammen. Soweit dies erforderlich ist, sind externe Fachkräfte einzubeziehen. Die Gefangenen wirken an ihrer Behandlung mit. Den Gefangenen sollen Bedienstete als feste Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

(3) Ist Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten, sind Gefangene bereits während des Vollzugs der Freiheitsstrafe in eine sozialtherapeutische Abteilung oder Anstalt zu verlegen, wenn dies aus behandlerischen Gründen angezeigt ist. Die Verlegung soll zu einem Zeitpunkt erfolgen, der den Abschluss der Behandlung während des Vollzugs der Freiheitsstrafe erwarten lässt.

§ 101 Freistellung aus der Haft zur Vorbereitung der Entlassung

(1) Abweichend von § 89 Absatz 3 Satz 1 kann die Jus tizvollzugsanstalt den Gefangenen nach Anhörung der Vollstreckungsbehörde zur Vorbereitung der Entlassung Freistellung aus der Haft bis zu sechs Monaten gewähren. § 9 Absatz 1 und 4 sowie § 12 gelten entsprechend. § 88 findet keine Anwendung.

(2) Den Gefangenen sollen für die Freistellung nach Absatz 1 Weisungen erteilt werden. Sie können insbesondere angewiesen werden, sich einer von der Justizvollzugsanstalt bestimmten Betreuungsperson zu unterstellen, sich an bestimmten Orten oder in bestimmten Einrichtungen außerhalb des Vollzugs aufzuhalten und jeweils für kurze Zeit in die Justizvollzugsanstalt zurückzukehren. Die Freistellung nach Absatz 1 wird widerrufen, wenn dies die Behandlung erfordert.

§ 102 Nachgehende Betreuung

Die Justizvollzugsanstalt kann früheren Gefangenen auf Antrag Hilfestellung gewähren, soweit diese nicht anderweitig sichergestellt werden kann und der Erfolg der Behandlung gefährdet erscheint.

§ 103 Verbleib und Aufnahme auf freiwilliger Grundlage

(1) Frühere Gefangene können auf ihren Antrag vorübergehend in einer Justizvollzugsanstalt verbleiben oder wieder aufgenommen werden, wenn die Eingliederung gefährdet ist. Der Verbleib und die Aufnahme sind jederzeit widerruflich.

(2) Gegen verbliebene oder aufgenommene Personen dürfen Maßnahmen des Vollzugs nicht mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt werden. § 73 Absatz 2 und 3 bleibt unberührt.

(3) Auf ihren Antrag sind die verbliebenen oder aufgenommenen Personen unverzüglich zu entlassen.

(4) § 51 gilt entsprechend.≪ 

7. Die Inhaltsübersicht ist entsprechend anzupassen.

Artikel 5
Änderung des Buches 4 des Justizvollzugsgesetzbuches

Das Buch 4 des Justizvollzugsgesetzbuches wird wie folgt geändert:

1. Der Überschrift des Buches 4 wird folgende amtliche Abkürzung angefügt: ≫(JVollzGB IV)≪.

2. In § 1 wird die Überschrift ≫Erziehungsauftrag≪ geändert in ≫Erziehungsziel≪.

3. § 9 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

altneu
(2) Als vollzugsöffnende Maßnahmen kommen insbesondere in Betracht:
  1. regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Jugendstrafanstalt unter Aufsicht einer oder eines Vollzugsbediensteten oder ohne Aufsicht,
  2. Verlassen der Jugendstrafanstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht einer oder eines Vollzugsbediensteten oder ohne Aufsicht, gegebenenfalls in Begleitung einer Bezugsperson,
  3. Freistellung aus der Haft bis zu 24 Kalendertage in einem Vollstreckungsjahr.
 ≫(2) Als vollzugsöffnende Maßnahme kann insbesondere angeordnet werden, dass junge Gefangene
  1. einer regelmäßigen Beschäftigung außerhalb der Jugendstrafanstalt unter Aufsicht einer oder eines Vollzugsbediensteten (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht (Freigang) nachgehen dürfen,
  2. die Jugendstrafanstalt für eine bestimmte Tageszeit unter Aufsicht einer oder eines Vollzugsbediensteten (Ausführung) oder ohne Aufsicht (Ausgang), gegebenenfalls in Begleitung einer Bezugsperson (Ausgang in Begleitung), verlassen dürfen oder
  3. bis zu 24 Kalendertage in einem Vollstreckungsjahr aus der Haft freigestellt werden (Freistellung aus der Haft).≪

4. § 22 Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 6 wird folgende Nummer 7 eingefügt:

≫7. den Europäischen Bürgerbeauftragten,≪

b) Die bisherigen Nummern 7 und 8 werden Nummern 8 und 9.

5. In der Überschrift zu § 54 wird das Wort ≫der≪ durch das Wort ≫zur≪ ersetzt.

6. Dem Abschnitt 15 wird folgender Abschnitt 16 angefügt:

Abschnitt 16 12
Vorbehaltene Sicherungsverwahrung

§ 88 Vorbehaltene Sicherungsverwahrung

(1) Ist bei Gefangenen im Vollzug der Jugendstrafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, gelten die Vorschriften bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Vollzug der Freiheitsstrafe (§§ 97 bis 103 JVollzGB III) ent sprechend.

(2) § 7 Absatz 3 JGG bleibt unberührt.≪

7. Die Inhaltsübersicht ist entsprechend anzupassen.

Artikel 6
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 1. Juni 2013 in Kraft.