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Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz
- Berlin -
Vom 8. Juli 2010
(GVBl Nr. 17 vom 22.07.2010 S. 399; 18.11.2010 S. 502 10; 22.04.2020 S. 276 aufgehoben)
Gl.-Nr.: 7102-9
Das Abgeordnetenhaus hat das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1 Tariftreue und Mindestentlohnung
(1) Aufträge von Berliner Vergabestellen im Sinne des § 98 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005 (BGBl. I S. 2114; 2009 I S. 3850), das zuletzt durch Artikel 13 Absatz 21 des Gesetzes vom 25. Mai 2009 (BGBl. I S. 1102) geändert worden ist, werden an fachkundige, leistungsfähige, zuverlässige und gesetzestreue Unternehmen vergeben.
(2) Aufträge für Leistungen, deren Erbringung dem Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799) unterfällt, werden nur an Unternehmen vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung mindestens diejenigen Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts zu gewähren, die der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz einzuhaltende Tarifvertrag vorgibt. Satz 1 gilt entsprechend für andere gesetzliche Bestimmungen über Mindestentgelte.
(3) Bei der Vergabe von Leistungen über öffentliche Personennahverkehrsdienste müssen die bietenden Unternehmen erklären, dass sie ihre Arbeitskräfte bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens nach den hierfür jeweils geltenden Entgelttarifen entlohnen. Der öffentliche Auftraggeber bestimmt in der Bekanntmachung der Ausschreibung und in den Vergabeunterlagen den oder die einschlägigen Tarifverträge nach Satz 1 nach billigem Ermessen. Außerdem sind insbesondere die Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3. Dezember 2007, S. 1) zu beachten.
(4) Unbeschadet etwaiger weitergehender Anforderungen nach den Absätzen 2 und 3 werden Aufträge an Unternehmen mit Sitz im Inland in jedem Fall nur vergeben, wenn diese sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (ohne Auszubildende) bei der Ausführung der Leistung mindestens ein Stundenentgelt von 7,50 Euro zu bezahlen. Satz 1 gilt auch für die Vergabe von Aufträgen an Unternehmen mit Sitz im Ausland.
(5) Bei der Vergabe länderübergreifender Leistungen ist von der Vergabestelle vor Beginn des Vergabeverfahrens eine Einigung mit den beteiligten weiteren Vergabestellen anderer Länder über die Anforderungen nach den Absätzen 3 und 4 anzustreben. Kommt eine solche Einigung nicht zustande, so kann von den Absätzen 3 und 4 abgewichen werden.
(6) Wird bei einer Auftragsvergabe eine Erklärung nach den Absätzen 2, 3 und 4 gefordert, so muss der Anbieter sich jeweils auch dazu verpflichten, dass er von einem von ihm beauftragten Nachunternehmer oder von einem von ihm oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleiher verlangt, seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mindestens die Arbeitsbedingungen zu gewähren, die der Bieter selbst einzuhalten verspricht. Diese Verpflichtung erstreckt sich auf alle an der Auftragserfüllung beteiligten Unternehmen. Der jeweils einen Auftrag weiter Vergebende hat die jeweilige schriftliche Übertragung der Verpflichtung und ihre Einhaltung durch die jeweils beteiligten Nachunternehmer oder Verleiher sicherzustellen und dem öffentlichen Auftraggeber auf Verlangen nachzuweisen. Bei Beschaffungen bis zu einem Auftragswert von 500 Euro kann auf die Erklärungen nach den Absätzen 2 und 4 verzichtet werden.
(7) Für die Auftragsausführung können bei allen Aufträgen zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem konkreten Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Insbesondere kann bei personalintensiven Aufträgen, bei denen die Qualität der Leistungserbringung und die Qualifikation des Personals entscheidend sind, eine angemessene Bezahlung des einzusetzenden Personals, die sich an den örtlichen Tarifen orientieren soll, verlangt werden.
§ 2 Ermächtigung
Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Anpassungen der Höhe des nach § 1 Absatz 4 zu zahlenden Entgelts vorzunehmen, soweit es wegen veränderter wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse notwendig ist.
§ 3 Wertung unangemessen niedriger Angebote
Bei begründeten Zweifeln an der Angemessenheit des Angebots kann die Vergabestelle sich dazu von dem Bieter die Kalkulationsunterlagen vorlegen lassen. Begründete Zweifel im Sinne von Satz 1 können insbesondere dann vorliegen, wenn der angebotene Preis mindestens zehn Prozent unter dem nächsthöheren Angebot oder dem Schätzpreis der Vergabestelle liegt. Kommt der Bieter innerhalb der von der Vergabestelle festgelegten Frist dieser Vorlagepflicht nicht nach, so ist er von dem weiteren Verfahren ausgeschlossen.
§ 4 Nachweise
(1) Die Vergabestellen können von dem Bieter, der den Zuschlag erhalten soll, für den Fall, dass dieser keine gültige Bescheinigung aus dem Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis oder dem Präqualifikationsverzeichnis vorlegt, durch Unterlagen, die nicht älter als sechs Monate sein dürfen, den Nachweis der vollständigen Entrichtung von Beiträgen fordern. Die Unterlagen müssen ausgestellt sein von dem zuständigen in- oder ausländischen Sozialversicherungsträger, der zuständigen in- oder ausländischen Sozialkasse, soweit der Betrieb des Bieters Bauaufträge im Sinne des § 99 Absatz 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausführt und von dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages über eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien erfasst wird. Die Angaben zu Satz 1 können durch eine Bescheinigung des ausländischen Staates nachgewiesen werden. Bei fremdsprachigen Bescheinigungen ist eine Übersetzung in die deutsche Sprache beizufügen.
(2) Soll die Ausführung eines Teils des Auftrages einem Nachunternehmer übertragen werden, so kann die Vergabestelle bei der Auftragserteilung auch die auf den Nachunternehmer lautenden Nachweise gemäß Absatz 1 fordern.
§ 5 Kontrolle
(1) Die öffentlichen Auftraggeber führen stichprobenartig Kontrollen durch, um die Einhaltung der in § 1 Absatz 2 bis 4 und 6, §§ 4 und 7, § 8 Absatz 2 und 3 und § 9 vorgesehenen Auflagen und Pflichten zu überprüfen. Der Senat richtet dazu eine zentrale Kontrollgruppe ein. Die kontrollierenden Personen dürfen zu Kontrollzwecken Einblick in die Entgeltabrechnungen der ausführenden Unternehmen, in die Unterlagen über die Abführung von Steuern und Beiträgen an in- und ausländische Sozialversicherungsträger, in die Unterlagen über die Abführung von Beiträgen an in- und ausländische Sozialkassen des Baugewerbes und in die zwischen den ausführenden Unternehmen abgeschlossenen Verträge nehmen. Die ausführenden Unternehmen haben ihre Beschäftigten auf die Möglichkeit solcher Kontrollen hinzuweisen und ihre schriftliche Zustimmung einzuholen.
(2) Die ausführenden Unternehmen haben vollständige und prüffähige Unterlagen zur Prüfung nach Absatz 1 bereitzuhalten und auf Verlangen dem öffentlichen Auftraggeber vorzulegen.
§ 6 Sanktionen
(1) Um die Einhaltung der aus § 1 Absatz 2 bis 4 und 6, §§ 4 und 7, § 8 Absatz 2 und 3 und § 9 resultierenden Verpflichtungen des Auftragnehmers zu sichern, ist zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer für jeden schuldhaften Verstoß regelmäßig eine Vertragsstrafe in Höhe von einem Prozent, bei mehreren Verstößen zusammen bis zur Höhe von fünf Prozent der Auftragssumme zu vereinbaren. Der Auftragnehmer ist zur Zahlung einer Vertragsstrafe nach Satz 1 auch für den Fall zu verpflichten, dass der Verstoß durch einen von ihm eingesetzten Nachunternehmer oder einen von diesem eingesetzten Nachunternehmer begangen wird.
(2) Die Auftraggeber haben mit dem Auftragnehmer zu vereinbaren, dass die schuldhafte Nichterfüllung der aus § 1 Absatz 2 bis 4 und 6, §§ 4 und 7, § 8 Absatz 2 und 3 und § 9 resultierenden Anforderungen durch den Auftragnehmer oder seine Nachunternehmer den Auftraggeber zur fristlosen Kündigung berechtigen.
(3) Von der Teilnahme an einem Wettbewerb um einen öffentlichen Auftrag sowie als Nachunternehmer sollen alle Unternehmen bis zu einer Dauer von drei Jahren ausgeschlossen werden, die gegen die in § 1 Absatz 2 bis 4 und 6, §§ 4 und 7, § 8 Absatz 2 und 3 und § 9 geregelten Pflichten und Auflagen verstoßen.
§ 7 Umweltverträgliche Beschaffung
(1) Auftraggeber sind verpflichtet, bei der Vergabe von Aufträgen ökologische Kriterien zu berücksichtigen. Bei der Festlegung der Leistungsanforderungen soll umweltfreundlichen und energieeffizienten Produkten, Materialien und Verfahren der Vorzug gegeben werden. Auftraggeber haben im Rahmen von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen dafür Sorge zu tragen, dass bei der Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Gütern sowie durch die Ausführung der Leistung bewirkte negative Umweltauswirkungen möglichst vermieden werden. Dies umfasst das Recht und die Pflicht, bei der Bedarfsermittlung, der Leistungsbeschreibung und der Zuschlagserteilung Anforderungen im Sinne der Sätze 1 bis 3 aufzustellen und angemessen zu berücksichtigen sowie für die Auftragsausführung ergänzende Verpflichtungen auszusprechen.
(2) Bei der Wertung der Wirtschaftlichkeit der Angebote im Sinne von § 97 Absatz 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sind auch die vollständigen Lebenszykluskosten des Produkts oder der Dienstleistung zu berücksichtigen.
(3) Der Senat wird nach Vorlage durch die für Umwelt zuständige Senatsverwaltung in Abstimmung mit der für das Vergabewesen zuständigen Senatsverwaltung ermächtigt, die Anforderungen nach den Absätzen 1 und 2 durch Verwaltungsvorschriften für Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge zu konkretisieren und verbindliche Regeln aufzustellen, auf welche Weise die Anforderungen im Rahmen der Leistungsbeschreibung, der Zuschlagserteilung und der ergänzenden Verpflichtungen zur Ausführung zu berücksichtigen sind. Durch Verwaltungsvorschrift soll auch bestimmt werden, in welcher Weise die vollständigen Lebenszykluskosten eines Produkts oder einer Dienstleistung im Sinne von Absatz 2 zu ermitteln sind. Die Verwaltungsvorschriften sollen spätestens nach fünf Jahren fortgeschrieben werden.
§ 8 Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen
(1) Bei der Vergabe von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen ist darauf hinzuwirken, dass keine Waren Gegenstand der Leistung sind, die unter Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind. Die Mindeststandards der ILO-Kernarbeitsnormen ergeben sich aus
(2) Aufträge über Lieferleistungen dürfen in den Fällen nach Absatz 3 nur mit einer Ergänzenden Vertragsbedingung vergeben werden, die den Auftragnehmer verpflichtet, den Auftrag gemäß der Leistungsbeschreibung ausschließlich mit Waren auszuführen, die nachweislich unter bestmöglicher Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gemäß Absatz 1 gewonnen oder hergestellt worden sind. Dazu sind entsprechende Nachweise von den Bietern zu verlangen. Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für Waren, die im Rahmen der Erbringung von Bau- oder Dienstleistungen verwendet werden.
(3) Absatz 2 gilt nur für Waren oder Warengruppen, bei denen eine Gewinnung oder Herstellung unter Missachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gemäß Absatz 1 im Einzelfall in Betracht kommt und die von der zuständigen Senatsverwaltung in einer entsprechenden Liste aufgeführt werden. Unbeschadet der Erbringung anderer, gleichwertiger Nachweise kann die zuständige Senatsverwaltung in der Liste nach Satz 1 zusätzlich anerkannte unabhängige Nachweise oder Zertifizierungen für eine Herstellung unter bestmöglicher Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen benennen, bei deren Vorlage die Erfüllung der Anforderungen nach Absatz 1 vermutet wird.
Für Auftragsvergaben gilt § 13 des Landesgleichstellungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung. Bei allen Auftragsvergaben ist von den bietenden Unternehmen eine Erklärung zur Förderung von Frauen entsprechend den dazu erlassenen Regelungen in der jeweils geltenden Frauenförderverordnung abzugeben."
§ 10 Bevorzugte Vergabe
Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen erhalten im Rahmen der geltenden vergaberechtlichen Bestimmungen bei den den Regelungen der §§ 1, 7 und 8 entsprechenden und sonst gleichwertigen Angeboten die Unternehmen bevorzugt den Zuschlag, die Ausbildungsplätze bereitstellen, sich an tariflichen Umlageverfahren zur Sicherung der beruflichen Erstausbildung oder an Ausbildungsverbünden beteiligen. Als Nachweis ist von den Unternehmen eine Bescheinigung der für die Berufsausbildung zuständigen Stellen vorzulegen. Die Regelung ist den Unternehmen in den Vergabeunterlagen bekannt zu machen. Dabei ist auf die Nachweispflicht hinzuweisen.
§ 11 Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. Es gilt für alle Vergabeverfahren, die ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens begonnen werden. Gleichzeitig tritt das Berliner Vergabegesetz vom 9. Juli 1999 (GVBl. S. 369), das durch Gesetz vom 19. März 2008 (GVBl. S. 80, 112) geändert worden ist, außer Kraft.
ENDE |