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Regelwerk, Arbeitsschutz, BKV
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Berufskrankheiten-Verordnung
Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten"

Vom 1. Februar 2007
(GMBl. Nr. 23 vom 13.04.2007 S. 474)




Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat empfohlen, in die Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung folgende neue Berufskrankheit aufzunehmen:

"Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen".

Die hierzu vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat erarbeitete wissenschaftliche Begründung lautet wie folgt:

Wissenschaftliche Begründung für die Berufskrankheit
"Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischenaromatischen
Kohlenwasserstoffen"

Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales empfiehlt, eine neue Berufskrankheit "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaubund polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK)" in die Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung aufzunehmen.

Diese Empfehlung wird wie folgt begründet:

0 Vorbemerkung:

Das Berufskrankheitenrecht regelt bisher im Wesentlichen die gesundheitlichen Folgen von einzelnen Noxen monokausal. Die Berücksichtigung des multikausalen Zusammenwirkens einer gleichzeitigen Exposition oder aufeinanderfolgender Expositionen gegenüber mehreren Noxen bereitet daher oftmalsrechtliche Probleme. Das Zusammenwirken arbeitsbedingter Noxen spielt insbesondere auch bei der Krebsverursachung eine beachtliche Rolle. Diekrebserzeugende Wirkung von Arbeitsstoffen oder ionisierender Strahlung kannsich sowohl in der Erhöhung des Tumorrisikos als auch in einer Vorverlegung des Erkrankungs- bzw. Todeszeitpunktes (sog. Linksverschiebung) äußern.

Im Rahmen der allgemeinen Ausführungen in dieser wissenschaftlichen Begründung wird nur das krebserzeugende Zusammenwirken bei gleichzeitigeroder aufeinander folgender Inkorporation zweier oder mehrerer gentoxischer Stoffe einschließlich ionisierender Strahlung betrachtet. Eine derartige Synkanzerogenese führt in der Regel im gleichen Zielorgan zu einer Summation(Addition) der gentoxischen Effekte [Hayes 2001]. Darüber hinaus ist das1 Zusammenwirken verschiedener gentoxischer Arbeitsstoffe v. a. in Bezug auf die Entwicklung von Lungenkrebs tierexperimentell [Varga et al. 1996a,b, Loli et al. 2004, Kimizuka et al. 1987, Heinrich et al. 1986] und teilweise epidemiologisch belegt [Greim 2005, Henschler 2004, Pastorino et al. 1984, Gustavsson et al. 2003] (Tabelle 1 s. u.).

Die nachfolgenden Ausführungen betreffen speziell das Zusammenwirkender beiden gentoxischen Arbeitsstoffgruppen mit lungenkrebserzeugender Wirkung Asbestfaserstaub und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) vom Typ des Benzo[a]pyrens. Damit erfolgt zunächst eine Beschränkung auf zwei nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft für den Menschen gesichert gentoxisch krebserzeugenden Stoffen der Kategorie K 1,weil sie BK-rechtlich jeweils über einen definierten Dosisgrenzwert verfügen.

Definitionsgemäß werden von der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe nur gruppentypisch durch epidemiologische Methoden ermittelte krebserzeugende Stoffe als K 1-Kanzerogene berücksichtigt. Dies setzt voraus, dass solche Humankanzerogene am Arbeitsplatz

Tabelle 1: Synkanzerogenese der kanzerogenen Wirkungen von zwei Stoffen epidemiologisch eindeutig nachgewiesen [in Anlehnung an Henschler 2006]

Stoff 1Stoff 2Zielorganaddativ/überadditiv
AsbestPyrolyseprodukte aus organischen Materialien/PAKLungeüberadditiv
AsbestIonisierende StrahlenLungemindestens additiv
RadonPyrolyseprodukte aus organischen MaterialienLungemindestens additiv
BischlormethyletherMonochlordimethyletherLungewahrscheinlich additiv

Abb. 1: Mehrstufenmodell (multi stage) der Kanzerogenese am Beispiel des Bronchialkarzinoms [nach Harris et al. 1991]

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Für die Vielzahl aus belastbaren Tierversuchen auch für den Menschen als eindeutig krebserzeugend eingestuften Arbeitsstoffe (Kategorie K 2) liegen demgegenüber belastbare epidemiologische Erkenntnisse nicht oder nur unzureichend vor.

Kanzerogenese allgemein

Folgende Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Grundprinzipien der Kanzerogenese sind beim gegenwärtigen Wissensstand als unstrittig zugrunde zu legen:

a) Krebserkrankungen entstehen in der Regel multikausal durch stufenweise aufeinander folgende gentoxische Veränderungen (multi stage) im Erbgut der Zellen (DNA). Mit der Initiation erfolgt der erste Schritt auf dem Wegzur Krebsentstehung. Die initiierte Zelle unterliegt einer klonalen Selektion,d. h. ihre Vermehrung wird in einer Abfolge weiterer Schritte gegenüber der Vermehrung anderer, nicht gentoxisch geschädigter Zellen bevorteilt.Jede Stufe der Kanzerogenese beinhaltet erneute genetische Veränderungen,wie z.B. die Aktivierung von "Krebsgenen" (Onkogenen) und die Inaktivierung von "Antikrebsgenen" (Tumorsuppressorgenen) (Abb. 1 s. o.).

Nach Hanahan und Weinberg (2000) erwirbt eine Zelle sechs essentielle Eigenschaften, um sich nach entsprechender Vermehrung klinisch als Krebs zu erkennen zu geben. Diese sind

  1. die Unabhängigkeit von externen Wachstumssignalen,
  2. die Unempfindlichkeit gegenüber wachstumshemmenden Signalen,
  3. die weitgehende Ausschaltung des programmierten Zelltodes (Apoptose),
  4. eine uneingeschränkte Fähigkeit der Zellvermehrung (Genomreplikation),
  5. die eigenständige Steuerung der Blutgefäßbildung,
  6. die Fähigkeit, in gesunde Gewebe einzudringen und Metastasen zu bilden.

Die vielfältigen, miteinander vernetzten Signalwege einer gesunden Zelle bieten eine große Zahl von Angriffspunkten für gentoxische K1-Kanzerogene. Diesen stehen umfangreiche Schutzfunktionen und Systemredundanzen gegenüber. In der Regel sind daher mehrere gentoxische Erbsprünge(Mutationen, "multi hits") notwendig, um eine der sechs kanzerogenen Eigenschaften herbeizuführen. Selbst ein einzelner Stoff wie Asbestfaserstaub kann seine krebserzeugende Wirkung mehrfach entfalten oder als Promotor wirken. Das Mehrstufenmodell ist heute anerkannt. Wirken mehrere gentoxische Noxen gleichzeitig oder aufeinander folgend ein, ist daher davon auszugehen, dass die krebserzeugenden und -promovierenden Wirkungen alle rdieser Noxen auf den verschiedenen Stufen der Krebsentstehung entfaltet werden.Bei gentoxisch synkanzerogenen Wirkungen ist daher eine ausschließliche Berücksichtigung jeweils nur einer einzigen Krebsnoxe im Sinne eines monokausalen Ansatzes grundlegend unzutreffend.

b) Neben der Konzentration (k) des einwirkenden krebserzeugenden Arbeitsstoffes spielt die Zeitdauer (t) der Einwirkung für das Wirkungsprodukt als inkorporierte kumulative Dosis eine entscheidende Rolle.Dieses Dosisprinzip wurde bereits von Druckrey et al. (1963) in Tierexperimentennachgewiesen und neuerdings u.a. durch Peto et al. (1991a, b) bestätigt.Die Annahme eines linearen Wirkungsproduktes der Dosis k x t stellt allerdingseine Vereinfachung im Sinne einer Konvention dar. Die Annahme geht davonaus, dass sich die zahlenmäßig gleichen Wirkungsprodukte k x tkurzzeitig hoher Konzentrationen und derjenigen lang dauernder, niedriger Konzentrationen gleich verhalten.

Die prinzipielle Gültigkeit des Dosisprinzips kann in experimentellen und in epidemiologischen Untersuchungen maskiert werden. Unter anderem istzu prüfen, ob die krebserzeugende Noxe kontinuierlich oder intermittierend inkorporiert wird. Sofern epidemiologische Untersuchungen nicht gezielt zur Überprüfung synkanzerogener Wirkungen geplant worden sind, lassensich diese nicht in jedem Fall als Beleg oder zur Widerlegung einer Synkanzerogenese heranziehen. Im Allgemeinen sind synkanzerogene Wirkungen nur durch Analyse der jeweiligen Expositionskonstellation unter Berücksichtigung der Expositionshöhe und -dauer sowie der Wirkungsmechanismen der beteiligten Krebsnoxen zu beurteilen. Bei der Beurteilungen tsprechend negativer Studien müssen daher die Dosis-Wirkungscharakteristika des Stoffes und das Studiendesign im Falle einer Maskierung des kanzerogenen Effektes kritisch bewertet werden.

c) Erwiesenermaßen humankanzerogene Noxen zeigen eine oder mehrere bevorzugte Organlokalisationen (Organotropie). Anders ausgedrückt entsteht der Krebs vorzugsweise in einem bestimmten Organ, allerdings in der Regel nicht ausschließlich dort. Namentlich bei sehr hoher human kanzerogener Exposition können auch weniger empfindliche Organe betroffen sein.

Synkanzerogenese - allgemein

Beim Zusammenwirken inkorporierter Noxen lassen sich unabhängige,antagonistische und synergistische Effekte unterscheiden. Ein Synergismus im toxikologischen Sinne liegt vor, wenn sich der Effekt einer Noxe mit demjenigen einer zweiten entweder additiv oder überadditiv verstärkt [Popp und Norpoth 1996].

Für Risikoabschätzungen benutzt man in der Epidemiologie in der Regel entweder das Modell der Logistischen Regression oder das Proportional Hazard Modell (Cox-Regression). Das relative Risiko(RRAB1) beim Einwirken der beiden Noxen A und B wird in diesen Modellen geschätzt als:

RRAB = eA + βB) = RRABχ RRB Wie man sieht, handelt es sich bei der Risikoberechnung um multiplikative Modelle. Im Sinne einer konservativen Vorgehensweise erfolgt in dieserwissenschaftlichen Begründung jedoch die Anwendung des konservativen additiven Modells.

In der Gleichung beschreiben βA undβB als Regressionskoeffizienten den Einfluss jeder Noxe auf das relative Risiko. Ist der Wert des beobachteten RRAB größer (kleiner) als derjenige, den man nach der Gleichung erwartet, dann kann man durch Hinzufügung eines Wechselwirkungsterms in die Gleichung die Modellanpassung verbessern [siehe auch Ahlbom und Alfredsson 2005].

Für die synergistische Wirkung verschiedener Kanzerogene ist ein gemeinsamer Aufnahmeweg nicht zwingend erforderlich. Z. B. wurde im Tierversuch bewiesen,dass die intratracheale Applikation von Asbestfaserstaub bei intraperitonealer Applikation von Nitrosaminen, einem K2-Kanzerogen, zu einer deutlich über additiv synergistischen Häufigkeitszunahme von Lungentumoren führte [Yoshimura und Takemato 19.91]

Die allgemeinen, sich im Wesentlichen aus der toxikologisch-onkologischen Grundlagenforschung ergebenden Gesetzmäßigkeiten werden durch epidemiologische Untersuchungen in einer nicht geringen Zahl von Studien mit kombinierten Expositionen bestätigt. So zeigt z.B. die weit überwiegende Mehrzahl sowohl der epidemiologischen als auch der tierexperimentellen Studien beim Zusammenwirken von Asbest und Zigarettenrauchmit den im Zigarettenrauch u. a. enthaltenen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) einen in der Regel deutlich mehr als additiven Effekt auf das Krebsrisiko [Übersicht bei Woitowitz 2002].

Bezüglich des Einflusses der Dauer der Zeitspanne zwischen Expositionenbei aufeinander folgender Einwirkung beider Noxen gibt es keine belastbaren Daten. Aber bei der Intensität der hier vorausgesetzten Expositionengibt es keine Hinweise, dass Intervalle die synkanzerogene Wirkung in der Regel abschwächen.

Das multikausale Zusammenwirken mehrerer gentoxischer K 1-Kanzerogene mitgleichem Zielorgan führt beim Menschen nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand in der Regel zu einer mindestens additiven Erhöhung des Krebsrisikos.

Nach Henschler 2006 lassen sich die gesicherten Humankanzerogene (K1-Kanzerogene) nach dem Ausmaß der Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die praktisch relevante additive und über additive (synergistische) Synkanzerogenese in vier Fallkonstellationen einordnen:

Als Zielorgan dominiert die Lunge, gefolgt von der Harnblase und dem blutbildenden System.

Praktischen Erfordernissen folgend, wird im Folgenden zunächst nur die Zweierkombination Asbestfaserstaub und PAK abgehandelt, die der ersten Fallkonstellation entspricht. Hierbei ist ein mindestens additives Zusammenwirken hinsichtlich der Tumorauslösung im Bereich der Atemwege aus mehreren Gründen gesichert.

Die erstmalige Anwendung der Interaktion verschiedener gentoxischer Einwirkungen auf eine Berufskrankheitenfragestellung erfolgte von Brüske-Hohlfeld,Möhner und Wichmann 1998 bei einer Erkrankung an Lungenkrebs in Folge der Einwirkung von Radon und Asbest.

1 Aktueller Kenntnisstand der Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK)

Bei der Ko-Exposition von Asbest + PAK ist ein mindestens additives Zusammenwirken hinsichtlich der Tumorauslösung im Bereich der Atemwege aus mehreren Gründen gesichert (vgl. 1.2.1.5.).

1.1 Chemischphysikalische und/oder biologische Charakteristika der ursächlich schädigenden Einwirkungen sowie Vorkommen und Gefahrenquellen

Diese wissenschaftliche Begründung bezieht sich sowohl auf Tätigkeiten/Arbeitsbedingungen, bei denen Asbest- und PAK-Expositionen zeitlich zusammentreffen als auch auf Arbeitsanamnesen, in denen verschiedene Tätigkeiten mit jeweils einer der beiden Noxen nacheinander ausgeübt werden. Typische Arbeitsbedingungen, in denen beide Expositionen zusammentreffen können, finden sich zum Beispiel bei folgenden Berufen/in folgenden Betrieben:

Des Weiteren wird auf das "Merkblatt zu BK-Nr. 4103" (Bundesarbeitsblatt1991, 7-8, 74) und die "Bekanntmachung einer Empfehlung zur Aufnahme von Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren" (Bundesarbeitsblatt 1998, 4, 54) verwiesen.

1.2 Kenntnisse zur Wirkung am Versuchstier und am Menschen

1.2.1 Pathomechanismen

1.2.1.1 Gentoxische Pathomechanismen von Asbestfasern in vitro

In verschiedenen Zelltypen einschließlich humaner Zellen wurden multilokuläre gentoxische Effekte von Asbestfasern nachgewiesen. Je nach Faserart, Tierspezies und Testverfahren ergaben sich unterschiedlich stark ausgeprägte numerische und strukturelle klastogene Effekte [Bothet al. 1994; Hei et al. 1992; Jaurand et al. 1986; Okayasu et al. 1999].Es fanden sich DNA-Schädigungen einschliesslich Mutationen, chromosomale Aberrationen, Kernanomalien und Zelltransformationen. An Fibroblasten wurden8-OhdG [Leanderson et al. 1992] und Mutationen am hgprt-/gp+ Lokus A [Parkund Aust, 1998], an hybriden menschlichen Hamster(AL)-Zellen multilokuläre Deletionen [Xu et al. 1999] und an Pleuramesotheliomzellen der Ratte im Comet-Assay Strangbrüche [Levresse et al. 2000] ebenso wie an menschlichen Lungenepithelzellen [Liu et al. 2000] nachgewiesen. In CHO-K1-Zellen konnte Klastogenität in Form von Chromosomenvermehrung und Chromosomenbrüchen nach passiver Inklusion von Asbestfasern beobachtet werden [Sincock 1977].

Befunde im Einzelnen:

In Zellkulturen von Nagern induzierten Amosit-, Anthophyllit-, Chrysotil-und Krokydolith-Fasern Chromosomen-Aberrationen. Amosit-, Chrysotil- und Krokydolith-Fasern verursachten Schwester-Chromatid-Austauschvorgänge,Chrysotil- und Krokydolith-Fasern Aneuploidie und Mikronuklei [IARC 1987; Barrett et al. 1989].

Amosit-, Anthophyllit-, Chrysotil- und Krokydolith-Fasern führten zu T1ransformationen in Hamster-Embryozellen. Chrysotil- und Krokydolith-Faserntransformierten BALB-c3T3-Mäusezellen. Chrysotil-Fasern transformierten Rattenmesothelzellen. Weder Amosit- noch Krokydolith-Fasern transformierten CH3 10T1/2-Zellen [IARC 1987].

In menschlichen Zellkulturen fanden sich hinsichtlich der Induktion von Chromosomen-Aberrationen widersprüchliche Ergebnisse sowie z. T. negative Befunde für Chrysotil- und Krokydolith-Fasern bezüglich Schwester-Chromatid-Austauschvorgängen. Valerio et al. 1983 konnten bei menschlichen Lymphozyten in vitro dagegen chromosomale Aberrationen durch Chrysotil und Krokydolith-Asbestfasern induzieren. Chromosomale Aberrationen und DNA-Deletionen in Folge einer Beeinflussung mitotischer Prozesse wurden in einer Reihe weiterer Untersuchungen belegt [Ault et al. 1995, Cole et al. 1991, Dopp et al. 1995, Hesterberg und Barrett 1985, Jensen et al. 1996,Kodama et al. 1993, Palekar et al. 1987, Sincock and Seabright 1975, Valerio et al. 1983, Yegles et al. 1993].

Neben der Veränderung der Zahl (Aneuploidie, Polyploidie) und Struktur(Brüche, Fragmente) der Chromosomen und Mitosestörungen (Interferenz mit dem Spindelapparat) spielt auch die Stimulierung des Zellwachstums in der Asbestfaserkanzerogenese eine Rolle.

Durnev et al. 1993 folgern, dass reaktive Sauerstoffspezies für die mutagenen Prozesse, die von Chrysotil- und Zeolit-Fasern verursacht werden, eine Rolle spielen.

Insgesamt induzieren nach experimentellen Daten Asbestfasern zu malignen Tumoren führende Prozesse im Wesentlichen durch klastogene Effekte,Zelltransformation sowie initiierend gentoxische Mechanismen unter Beteiligung von Onkogenen und Tumor-Suppressorgenen (kras- und p53-Mutationen),8-OhdG-DNA-Adduktbildende Sauerstoffradikale (ROS), die im Rahmen chronischer Entzündungsreaktionen entstehen. Diese Prozesse sind nicht vom Vorliegen einer Asbestose abhängig. [Driscoll et al. 1997, Fung et al. 1997, Greimet al. 2001, Hardy und Aust 1995 a,b; Hei et al. 1995, Luster und Simeonova1998, Mossman et al. 1996, 1997, Muhle und Pott 2000, Rihn et al. 2000 a,b, Robledo et al. 2000, Schins 2002, Unfried et al. 2002].

Die invitro-Befunde weisen Asbest-Fasern als Kanzerogen mit Initiatorwirkung aus. Es wurden zytotoxische, klastogene, transformierende und mutagene Wirkungen festgestellt. Hinzu tritt eine die Zellteilung stimulierende Wirkung als Promotor [Bernstein et al. 2005].

1.2.1.2 Gentoxische Pathomechanismen und Kanzerogenität von Asbestfasern in vivo

Aus der Vielzahl tierexperimenteller Untersuchungen zur generellen Geeignetheitder Tumorerzeugung durch die verschiedenen Asbestfaserstäube sollenhier einige neuere Experimente an Nagern genannt werden. Die gentoxischenund klastogenen Eigenschaften von Asbestfasern wurden bestätigt. NachAsbest-Faserexposition fanden Jung et al. 2000 an der Ratte Strangbrüche,Rihn et al. 2000 an transgenen Mäusen und auch Unfried et al. 2002 (v. a. 8-OhdG) Mutagenität.

Sahu (1989) wiesen bei Meerschweinchen nach Gabe von Chrysotilasbest-Fasernund Cholin eine Zunahme karzinomatöser Läsionen sowohl in der Lungeals auch speziell in Lymphknoten nach, die ausgeprägter waren als nach alleiniger Gabe von Cholin. Hieraus geht nach Ansicht des Autors klar hervor,dass die parenterale Gabe von Chrysotilfasern und die reichliche Verfügbarkeit von Cholin synergistisch karzinomatöse Läsionen nicht nur in der Lunge, sondern auch in anderen Organen hervorruft.

Zusammenfassend (vgl. Tab. 2 s. u. und 3 s. S. 480) ergibt sich für die Asbest-Kanzerogenese [Heinrich 2005]:

1.2.1.3 Gentoxische Pathomechanismen von Asbestfasern beim Menschen

Asbestarbeiter zeigen vermehrten Schwesterchromatid-Austausch [Fatma et al.1991, Rom et al. 1983] und Doppelstrangbrüche in Lymphozyten [Marczynski et al. 1994].

1.2.1.4 Kanzerogenese von PAK

PAK treten in der Regel am Arbeitsplatz nicht als Einzelsubstanzen, sondernin sehr komplexen Gemischen auf, deren Zusammensetzung und Toxizität von den Ausgangsmaterialien und den Rahmenbedingungen bei der Pyrolyse abhängen.

Tabelle 2: Direkte kanzerogene Mechanismen von Asbestfasern [ILSI 2005, modifiziert nach IARC 1999, S. 314]

Mechanismus

Gentoxizität

Experimentelle EndpunkteLiteratur
Oxidierte NukleinbasenChao et al. (1996); Fung et al. (1997)
DNA-StrangbrücheReview von Jaurand (1996)
AneuploidieReview von Jaurand (1996); Jensen et al. (1996)
MutationenPark and Aust (1998); Review von
DeletionenHei et al. (2000)
Nichtgentoxische mitogene EffekteZielzellen-ProliferationBeruBe et al. (1996); Goldberg et al. (1997)
Bindung an oder Aktivierung von OberflächenrezeptorenBoylan et al. (1995); Pache et al. (1.998)
Wachstums-Faktor-ExpressionLiu et al. (1996); Brody et al. (199:7)
Aktivierung der Signal-TransduktionReview von Mossman et al. (1997); Manning et al. (2002)
ZytotoxitätApoptoseBroaddus et al. (1996); Goldberg et al. (1997); Levresse et al. (1997)
NekroseReview von Kane (1996)

Tabelle 3: Indirekte kanzerogene Mechanismen von Asbestfasern [IARC 1999, S. 315]

MechanismusLiteratur
Ko-Faktor mit ZigarettenrauchReview von Kane (1996); Lee et al. (1998)
Ko-Faktor mit SV 40 VirusCarbone et al. (1997); Testa et al. (1998)
Persistierende Entzündung mit sekundärer GentoxizitätDonaldson (1996); Review von Driscoll et al. (1997); Vallyathan & Shi (1997)
Persistierende Entzündung mit Freisetzung von ZytokinenRosenthal et al. (1994); Brody et al. (1997);
und WachstumsfaktorenReview von Driscoll et al. (1997); Kane et al. (1997); Simeonova et al. (1997)

Die krebserzeugende Wirkung von PAK mit positiver Dosis-Wirkungs-Beziehung ist in zahlreichen Tierexperimenten nach subkutaner und intratrachealer Applikation und nach Implantation gut belegt [Übersicht IARC 1983, Pottund Heinrich 1990, Deutsch-Wenzel et al. 1983, Iwagawa et al. 1989, Horikawaet al. 1991, Grimmer et al. 1984, 1987a, Evanoff et al. 1993, Gibbs et al.1977, IARC 1984, Sakabe et al. 1975, Ziem und Pott 1983, Mazumdar et al.1975, Pott et al. 1990], Bolm-Audorff 1998 (Abb. 2a s. u., 2b, 2c s. S. 481, Tabelle 4 s. S. 482).

PAK und heterozyklische Kohlenwasserstoffe (HAK) können prinzipiellauf drei Wegen aktiviert werden: Über die Cytochrom P450-abhängige Entstehung von "Bay-Region-Epoxiden", den ortho-Chinon-Stoffwechselweg und die1 radikalische Oxidation. Bay-Region-Epoxide entstehen durch die CypP450katalysierte Epoxidierung einer Doppelbindung des PAK, bei der ein instabiles Epoxid gebildet wird. Nach dessen Hydrolyse zu einem trans-Dihydrodiol wird Letzeres ein weiteres Mal - benachbart zur Diol-Funktion - epoxidiert. So entsteht ein sterisch gehindertes "Bay-(oder Fjord) Region Diol-Epoxid"."Nicht-K-Region-Diole" können - neben CypP450 Enzymen - auch durch Dihydrodiol Dehydrogenasen zu ortho-Chinonen umgesetzt werden. Ortho-Chinonevon PAK können stabile und instabile, depurinierende DNA-Addukte bilden.Dihydrodiol Dehydrogenasen und Cytochrom P450 Enzyme konkurrierenmöglicherweise um die gebildeten Dihydrodiole. Ein radikalisches PAK-Kation kann durch chemische Oxidanzien, zum Beispiel Eisen.. III, generiert werden[Haguenoer et al. 1996, Übersicht: Xue und Warshawsky 2005]. Die Wirkungsweise der PAK und HAK beruht im Wesentlichen auf der Alkylierungder DNA durch die gebildeten reaktive Metabolite. PAK bilden stabile DNA-Addukte,die zur Fehlpaarung von DNA-Basen führen, aber auch instabile Addukte,die zur Depurinierung und infolgedessen zu klastogenen DNA-Schädenführen. Es werden auch aneuploide und promovierende Effekte durch PAKberichtet [Baird et al., 2005]. Während metastabile PAK-Diol-Epoxidestabile DNA-Addukte bilden, bilden radikalische PAK-Kationen eher depurinierende Addukte. Ob die Bildung metastabiler Dihydrodiol-Epoxide oder instabiler Radikal-Kationen überwiegt und ob die Halbwertszeit einesPAK-Radikal-Kations ausreichend lang ist, um die nukleäre DNA zu erreichen,hängt von der Art der Applikation und der Natur des PAK ab. Prinzipiellist es auch möglich, dass sehr kurzlebige kationische PAK das Zytoskelettschädigen und über die Schädigung der Teilungsspindel zu aneuploiden Effekten führen.

Abb. 2a: Lungenkrebs-Risiko in Abhängigkeit von der Exposition gegenüber Benzollöslichen Bestandteilen des Steinkohlenteers (PAK). Untersucht wurden Beschäftigte in den Jahren 1950 bis 1988 in der kanadischen Aluminiumproduktion [Armstrong et al. 1994]

Abb. 2b: Zusammenhang zwischen Höhe und Dauerder PAK-Exposition und der Häufigkeit von Lungentumoren bei Ratten [nach Heinrich et al. 1994]

Abb. 2c: Beziehungen zwischen Dosis und Tumorhäufigkeit (Regressionsgeraden nach Probittransformation) füracht krebserzeugende PAK nach subkutaner Injektion bei der Maus [Ziem und Pott 1983]

BaP = Benzo[a]pyren,

DBahA = Dibenz[a,h]anthracen,

BbFT = Benzo[b]fluoranthen,

BjFT = Benzo[j]fluoranthen,

BkFT = Benzo[k]fluoranthen,

BaA = Benz[a]anthracen,

CHR = Chrysen

Tabelle 4: Vorhergesagtes Relatives Risiko (RR) und Lebensrisiko für Lungenkrebs-Sterblichkeit nach 40jähriger Expositiongegenüber flüchtigen Bestandteilen von Steinkohlenteer. Die Modellewurden auf Basis der Daten von Arbeitern in der Aluminiumherstellung in Arvida, Quebec, 1950-1988 abgeschätzt [Armstrong et al. 1994].

Exposition KonzentrationkumulativVorhergesagtes RRVorhergesagtes lineares ModellLebenszeitrisiko (%) Nichtlineares Modell
lineares ModellNichtlineares Modell
Benzollösliche Bestandteile
0.010.41.011.050.10.5
0.020.81.021.080.20.8
0.052.01.061.160.61.5
0.104.01.121.261.12.4
0.208.01.251.422.23.8
0.5020.01.621.805.67.3
1.0040.02.242.3011.211.8
2.0080.03.483.1122.519.2
Benzoa-pyren (mg/m3)
0.1041.011.070.10.6
0.2081.021.100.21.0
0.50201.061.180.51.7
1.00401.111.271.02.5
2.00801.221.422.03.8
5.002001.561.725.16.6
10.004002.122.0910.210.0
20.008003.242.6620.315.2

*) Unter Verwendung der Methode von Geil (J Chronic Dis 1975, 28; 135-147)mit den Lungenkrebs- und Gesamtmortalitäts-Raten von Quebec für die Jahre 1980-1984 berücksichtigt.

Heinrich [2005] fasst die Mechanismen der PAK-Kanzerogenese wie folgt zusammen:

1 Metabolische Aktivierung zu PAK-Diolepoxiden

PAK→ Monooxygenasen → PAK-Arenoxide

→ Epoxidhydrolase → PAK-Diole

→ Monooxygenasen → PAK-Diolepoxide

→ reaktives Carbonium-Ion

PAK-DNA-Addukte → fehlerhafte DNA-Reparatur/-Synthese → Mutation*

*) (in kritischen Genen für die Kanzerogenese z.B. ras-Protoonkogen, p53-Tumorsuppressorgen)

2 Metabolische Aktivierung zu PAK-Radikal-Kationen

PAK→ Ein-Elektronen-Oxidation durch Peroxidasen/Cytochrom P450

PAK-Radikal-Kation

→ mit der DNA interkalierender Radikal-Kationenkomplex → PAK-DNA-Addukt

→ fehlerhafte DNA-Reparatur/Synthese

Mutation

(starke PAK-Kanzerogene bilden DNAAddukte über Diolepoxide- und Radikal-Kationen)

3 Metabolische Aktivierung zu PAK-Chinonen und reaktive Sauerstoffspezies

PAK→ Monooxygenasen/Epoxidhydrolasen

PAK-Diole → Oxidoreduktasen → Katechole

→ Autooxidation → PAK-Chinone

PAK-Chinon-DNA-Addukte

Mutation

PAKKatechole → Semi-Chinone → PAK-Chinonereaktive Sauerstoffspezies

→ oxidativer Stress → oxidative DNA-Schäden (8-oxodGua)Mutation

1.2.1.5 Tierexperimentelle Evidenz der synergistischen Synkanzerogenese von Asbestfasern und PAK

Varga et al. (1996a) applizierten Ratten über eine Magensonde Anthophyllit-Fasern (50 mg/kg) ohne und mit PAK-Vorbehandlung (0,25 - 2,5µg/ ml/10 mg Fasern). Nur Letztere bewirkte einen Anstieg von Schwesterchromatid-Austauschen in den Knochenmarkszellen, und zwar in einer dosisabhängigen Weise.

In einem weiteren Versuch verabreichten Varga et al. (1996b) Ratten oral50 mg/kg Krokydolith-Asbestfaserm mit und ohne BaP (0,25 - 2,5 µg).Urin wurde über 24 Stunden gesammelt, dann wurden die Tiere getötet.Der Mikronukleus-Test der polychromatischen Erythrozyten belegte eine schwachegentoxische Aktivität bei den höchsten BaP-Konzentrationen. Die Knochenmarkszellen zeigten keine zytotoxischen Effekte (Mitose-Inhibition,chromosomale Aberrationen etc.); jedoch war die Häufigkeit von Schwester-Chromatid-Austauschen mit der BaP-Dosis korreliert und bei 1 ¼g BaP signifikant erhöht.

Die Untersuchungen sprechen für akute kogentoxische Wirkungen nach oraler Gabe von Krokydolith-Fasern plus BaP.

Keine der Urinproben der exponierten Tiere hatte einen signifikanten Effekt auf die Mutationsrate von Salmonella typhimurium TA 98 und 100.

Auch die Ultrafiltrate der Blutseren wiesen keine mutagene Aktivitätin diesem Assay auf. Ein toxischer Effekt auf die Hämatopoese(Veränderung der Rate polychromatischer Erythrozyten/normochromatischer Erythrozyten im Knochenmark) konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

Loli et al. 2004 applizierten BaP 2 x 40 mg/kg λ-lacI transgenen Ratten intraperitoneal auch bei deren Kombination mit 1,2 oder 4 x 2 mg Amosit-Fasern. Die Kombination von BaP und Amosit-Fasernführte zu einem synergistischen (überadditiven) Anstieg der Mutationsrate in der Lunge im Vergleich zu den Effekten von Asbest-Fasern bzw. BaP allein.

In einem weiteren Experiment wurden BaP intraperitoneal und intratracheal Amosit appliziert. Hierbei kam es zu keiner Zunahme der Mutationsrate im Vergleich zu Amosit-Fasern allein. In beiden Versuchen war die BaP-DNA-Addukt-Rate durch Amosit-Fasern nicht verändert. Die Autorenschlussfolgern, dass die schwache verzögerte mutagene Wirkung von Amosit-Fasern in der Lunge, die in einer anderen Studie beobachtet wurde, durch die gleichzeitige intratracheale Gabe von BaP stark zunimmt.

Kimizuka et al. (1987) induzierten am syrischen Goldhamster durch intratracheale Applikation nach einem Jahr in 5 von 18 Fällen durch Asbestfasern plusBaP Lungentumoren, nicht jedoch durch die Einzelkomponenten. Lungenhyperplasienwurden sowohl durch Asbest (13/25) als auch BaP allein (19/20) und auch bei deren Kombination (17/19) verursacht (Tab. 5 s. u.).

Untersuchungen an der Ratte mit intratrachealer Instillation von 0,5 mg Krokydolith-Fasern und inhalativer Applikationen von 90¼g Benzo(a)pyren (BaP)/m (Ìber fünf Tage pro Woche jeweils 60 Stunden)führten zu einer überadditiven Zunahme der Tumorinzidenzen: Stattder erwarteten 12 % plus 18 % durch die Einzeldosen fanden sich in 57 % der Tiere Lungentumoren [Heinrich et al. 1986].

Tabelle 5: Hyperplasien und Tumore in der Lunge der syrischen Goldhamster nach intratrachealer Instillation von UICC Chrysotil und/oder BaP [Kimizuka et al. 1987]

 Anzahl der Tiere *Tiere mit HyperplasienTiere mit LungentumorHyperplasie/n unters. Tieren **
Asbest2513 ***017/15 = 1,13
Asbest + BaP1917553/17 = 3,12
BaP2019068/15 = 4,53
BaP, danach Asbest2626258/17 = 3,41

*) Summe der 2 - 7 Tiere, die jeweils 6, 10, 12, 16, 19 Monate nach Applikationsende untersucht wurden;

**)Inzidenz der Hyperplasien bei mindest. 12 Monaten Lebenszeit;

***) signifikant zu allen Gruppen

Abb. 3: Zusammenhang zwischen kumulativer Asbestfaser-Staubdosis und dem Risiko, an Lungenkrebs zu versterben in drei wichtigen Branchen

1.2.2 Krankheitsbild und Diagnose

Lungenkrebs infolge Synkanzerogenese von Asbest und PAK unterscheidet sichin Klinik und Diagnose nicht von Lungenkrebserkrankungen infolge Einwirkungeiner dieser beiden Kanzerogene oder infolge anderer Genese. Die Frühsymptome sind uncharakteristisch, häufig bestehentherapieresistenter Reizhusten, Belastungsdyspnoe, Bronchopneumonie, Haemoptysen.Eine frühzeitige zytologische oder histologische Klärung istanzustreben. Feingeweblich werden alle bekannten Tumorformen gefunden.Differentialdiagnostisch sind Metastasen anderer maligner Erkrankungen abzugrenzen.

Es wird darüber hinaus auf das "Merkblatt zur BK Nr. 4104"(Bundesarbeitsblatt 1997, 12, 32) und die Bekanntmachung einer Empfehlung zur Aufnahme von "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffebei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m≫ x Jahre]" (Bundesarbeitsblatt 1998, 4, 54) verwiesen.

1.2.3 Erkenntnisse aus epidemiologischen Untersuchungen zur Evidenz der Synkanzerogenese

Bezüglich des gut belegten, von der Asbestfaserdosis abhängigen Risikos, an einem Lungenkrebs zu erkranken, wird auf das Merkblatt zur BK-Nr. 4104 und beispielhaft auf die Abb. 3 (s. o.) verwiesen.

Mehrere epidemiologische Studien zeigen Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischender Dauer der PAK-Exposition [Mazumdar et al. 1975, Gibbs 1985, Evanoff etal. 1993, Constantino et al. 1995] bzw. der kumulativen PAK-Dosis [Mazumdaret al. 1975, Spinelli et al. 1991, Armstrong et al. 1994] und der Höhe des Lungenkrebsrisikos.

Eine Reihe von epidemiologischen Studien belegt die synkanzerogene Wirkung von Asbestfaserstaub am Arbeitsplatz und von PAK-haltigem Zigarettenrauch-Kondensat [Berry et al. 1972, Selikoff und Hammond 1975,Hammond et al. 1979, Rösler et al. 1993, Acheson et al. 1984, Baker1985, Hilt et al. 1985, Cheng und Kong 1992, Selikoff et al. 1980, Berry et al. 1985, Liddell et al. 1984,

Martischnig et al. 1977, Blot et al. 1978, Blot et al. 1980, Kjuus et al.1986, de Klerk et al. 1991, Jöckel et al. 1995]. Dabei finden sich sowohl multiplikativ als auch submultiplikativ synergistische Wirkungssteigerungen [Schneider et al. 1999, Saracci und Boffetta 1994].

Die Wirkung der Inhaltsstoffe des Tabakrauches wird offensichtlich durch die1 begleitende Asbestinduzierte Entzündungsreaktion verstärkt.Neben tabakspezifischen Nitrosaminen sind dies insbesondere polyzyklischearomatische Kohlenwasserstoffe (PAK) mit deren Leitsubstanz Benzo[a]pyrenund heterozyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (HAK). Für Inhaltsstoffedes Tabakrauches sind Aktivierungsreaktionen belegt, die diesen Zusammenhang stützen.

Pastorino et al. 1984 untersuchten in einer Fallkontrollstudie 204Lungenkrebsfälle in Norditalien unter besonderer Berücksichtigungder beruflichen Einwirkungen und des Raucherstatus. Nach Stratifizierungbzgl. des Zigarettenrauchens betrug das relative Risiko der gegenüberChemikalien sicher oder wahrscheinlich exponierten Personen RR = 2,1. DasRR für eine ausschließliche PAK-Exposition betrug 1,6, füreine ausschließliche Asbestfaserexposition 1,9 und für die Kombination von PAK und Asbestfasern 3,3. Dieser Wert ist geringradig höher alsder nach dem multiplikativen Modell erwartete Wert von RR = 3,04 (unter der Voraussetzung, dass keine Wechselwirkung besteht (vgl. Abb. 4 s. u.).

Diese Studie spricht dafür, dass der außerberufliche Risikofaktor Aktivrauchen bei der Betrachtung des Zusammenhanges zwischen beruflicher Asbestfaser- und PAK-Einwirkung hinweg gedacht werden kann.

Gustavsson et al. 2003 analysierten 1042 Lungenkrebsfälle. Das relative Risiko für eine Asbestbelastung betrug RR = 1,61, für eine Expositiongegenüber Verbrennungsprodukten RR = 1,67 und für beide Belastungen gleichzeitig RR = 2,24.

Diese Studien legen bei gleichzeitigem Einwirken von Asbestfaserstaub undPAK für das gemeinsame relative Risiko für ein Lungenkarzinom eherdas multiplikative Modell ohne Wechselwirkung nahe, also das Produkt ausden einzelnen relativen Risiken (einmal Unterschätzung 1,9 x 1,6 = 3,04 < beobachteter Wert von 3,3; einmal Überschätzung 1,61 x 1,67= 2,69 > als beobachteter Wert von 2,24 (erwarteter Wert im multiplikativen Modell: 2,69). Auf die grundsätzlichen Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen dem additiven und dem multiplikativen Modell sei hingewiesen.

2 Validität und Reliabilität der vorliegenden Ergebnisse

Synergistisch verursachte Kombinationschäden durch gleichzeitig oderaufeinander folgend einwirkende krebserzeugende Arbeitsstoffe bereitenBK-rechtlich oftmals Probleme. Im Falle der synergistischen Synkanzerogenesedurch das Zusammenwirken der beiden gentoxischen K 1-Arbeitsstoffe Asbestfaserstaub und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) bestehtin der Regel eine mindestens additive Erhöhung des Lungenkrebsrisikos.Dem liegt zu Grunde, dass sowohl für PAK als auch für Asbest v.a. die Bronchialepithelzellen die Targetzellen ihrer jeweiligen klastogenen,transformierenden gentoxischen Wirkung sind. Sowohl Asbest als auch PAK bildenin Epithelzellen der mittleren und tiefen Atemwege reaktive Sauerstoffspeziesund generieren daraus resultierende oxidative DNA-Schäden. PAK und Asbestzeigen Mutagenität, sie wirken synergistisch sowohl im Transformationstestan Säugetierzellen in vitro als auch in der Lunge von Hamster und Ratte.Zwei epidemiologische Untersuchungen unterstützen die Annahme einersynergistischen Wirkung [Pastorino et al. 1984, Gustavsson et al. 2003]. Zahlreiche Studien an Asbestexponierten Rauchern stützen diese Aussage.

Abb. 4: Lungenkrebs-Risiko in Abhängigkeit von einer PAK-, Asbest- oder kombinierten Belastung [Pastorino et al. 1984]

Aufgrund des vorhandenen Kenntnisstandes wird das Zusammenwirken von Asbestund PAK im Sinne der synkanzerogenen, mindestens additiven Wirkungssteigerung als generell geeignet befunden, Lungenkrebs zu verursachen.

3 Abgrenzung der bestimmten Personengruppe

Als "bestimmte Personengruppe, die durch ihre Arbeit" der besonderen Krebseinwirkung von Asbestfaserstaub und gleichzeitig oder nacheinanderpolyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, gelten Versicherte, deren Lungenkrebsrisiko in Folge dieser beiden gentoxischen Kanzerogene mindestens verdoppelt ist (im Einzelnen s. z.B. 1.1).

Der positive Wahrscheinlichkeitsbeweis der arbeitsbedingten synkanzerogenen Verursachung liegt vor, wenn die Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit(VW) nach der Formel VW = (RR-1)/RR ergibt, dass der Lungenkrebs mit gleicheroder überwiegender Verursachungswahrscheinlichkeit (VW 50 %) auf die Einwirkung von Asbest und PAK zurückzuführen ist. Diese Konstellationsetzt nicht das Erreichen der für die Einzelstoffeinwirkung geforderten Dosis-

grenzwerte von 25 Faserjahren bzw. 100 BaP-Jahren voraus. Bei der Annahmeeiner linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung sind diearbeitsmedizinischtoxikologischen Voraussetzungen für das Verdoppelungsrisiko eines Lungenkrebses auch dann erfüllt, wenn bei Exposition gegenüber Asbestfasersstaub und PAK die Summe der vorliegenden Bruchteile von 25 Asbestfaserjahren und 100 BaP-Jahren mindestens den Wert 1 ergibt.

Der statistische Ansatz, der zur Bestimmung der relativen Risiken in der Epidemiologie verwendet wird, und für den die vorliegenden Daten sprechen,basiert auf einem multiplikativen Risikomodell. Da die statistischen Unsicherheiten der Modelldiskriminierung allerdings erheblich sind, wird,wie vorstehend ausgeführt, für die Abschätzung der synkanzerogenen Verursachungswahrscheinlichkeit der konservative Ansatz der Risikoadditiongewählt. Die sich zum mulziplikativen Modell ergebenden Unterschiedesind so gering (vergleiche Zahlen in den Tabellen 6 und 7 s. S. 487/488), dass der Konservativität die Präferenz gegeben wird.

Anmerkungen:

Die berechneten Verursachungswahrscheinlichkeit (VW) basieren auf folgenden Formeln:

Tabelle 6 multiplikatives Modell:

VW = (RRBaP x RRAsbest - 1) / (RRBaP x RRAsbest)

Tabelle 7 additives Modell:

VW = (RRBaP + RRAsbest - 2) / (RRBaP x RRAsbest - 1)

mit RRBaP = 1 + BaP-Jahre/100 und RRAsbest = 1 + Faserjahre/25

Tabelle 6: Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent (gerundet) bei multiplikativer Kombinationswirkung

BaP JahreAsbestfaserjahre
012345678910111213141516171819202122232425
00471114171922242629313234363839404243444647484950
11581215172023252729313335373840414244454647484950
22691215182123262830323436373940424344464748495051
337101316192224262931333436383941424445464748495051
498111417202225272931333537384041434445474849505152
558121518212326283032343637394042434546474849505152
669131619212426293133343638404142444546484950515253
7710131719222527293133353739404243444647484950515253
8711141720232528303234363739414244454647495051525354
9812151821242628303334363840414344 454748495051525354
10913161922242729313335373940424345464748495152535455
111013172022252730323436373941424445464849505152535455
12111417202326283032343638404143444647484950515353 5455
131215182124262931333537394042434546474950515253545556
141216192224272931343637394142444547484950515253545556
151316192225283032343638404143444647484951525354555657
161417202326283033353738404243454647495051525354555657
17151821242629313335-3739414244454748495051535455555657
181519222427293234363839414344464748505152535455565758
191619222528303234363840424345464749505152535455565758
201720232628313335373940424445474849505253545556575758
211721232629313335373941434446474850515253545556575859
221821242729323436384041434546474950515253545556575.859
231922252730323436384042444547484950525354555657585959
241922252830333537394142444647485051525354555657585960
252023262931333538394143444647495051525355565757585960
262124272932343638404243454648495052535455565758596060
272124273032343638404244454748505152535955565758596061
282225283033353739414344464749505152535556575858596061
292225283133353739414345464849505253545556575859606061
302326293134363840424345474849515253545556575859606162
312427293234363840424445474850515253555657585959606162
322427303235373941434446474950515354555657585960616162
332528303335373941434546484951525354555657585960616262
342528313336384042434547485051525354565758595960616263
352629313436384042444647495051535455565758596061616263
362629323437394143444647495052535455565758596061626263
372730323537394143454648495152535455575859596061626364
382830333538404243454748505152545556575859606161626364
392831333638404244454749505153545556575859606162636364
402931343638404244464749505253545556575859606162636464
412932343739414345464849515253555657585960616462636465
423032353739414395474850515254555657585960616263636465
433033353840424445474950515354555657585960616263646465
443133363840424446474950525354555758596061616263646565
453134363841434446484951525355565758596061626363646566
463234373941434546485051525455565758596061626364646566
473235373941434547485051535455565759606061626364656566
483235374042444647495052535456575859606162626364656666
493335384042444648495152535556575859606162636464656666
503336384043444648495152545556575859606162636465656667
513436394143454748505153545556585960616162636465666667
523437394143454749505253545657585960616263636465666667
533537394244464749505253555657585960616263646465666767
543538404244464849515254555657585960616263646565666768
553538404244464850515354555658596061626263646566666768
563638414345474850515354555758596061626364646566676768
573639414345474950525355565758596061626364656566676868
583739414345474951525355565758596061626364656666676868
593740424446484951525455565859606162636364656667676869
603840424446485051535455575859606162636464656667676869
6138404245464850 51535456575859606162636465656667686869
6238414345474950525355565758596061626364656E6667686969
6339414345474951525455565759606162636364656E6767686969
6439414446474951525455565859606162636465656E6768686970
653942444648495153545557585960616263646566666768686970
664042444648505153545657585960616263646566676768696970
674042454748505253555657586061626363646566676768696970
684043454749505253555657596061626364656566676868697070
694143454749515254555658596061626364656666676869697070
704143464749515354555758596061626364656667676869697071
714244464850515354565758596062636364656667626869707071
724244464850525355565758606162636465656667626869707071
734244464850525355565759606162636465666667686969707171
744345474950525455565859606162636465666767686969707171
754345474951525455575859606162636465666768686970707171
764345474951535456575859616263646465666768686970707172
774446485051535456575860616263646566666768656970717172
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