umwelt-online: BGI 523 - Mensch und Arbeitsplatz (1)
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BGI 523 - Mensch und Arbeitsplatz
Berufsgenossenschaftliche Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BGI)
(bisherige ZH 1/28)

- Hans-Jürgen Kiepsch, Christian Decker, Gudrun Harlfinger-Woitzik -

(Ausgabe 2003; 2007)



implementiert mit Genehmigung der Vereinigung der Metall-Berufsgenossenschaften

nur zur Information
Umstrukturierung der Systematik (01.05.2014): nicht mehr im DGUV-Regelwerk enthalten


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Vorwort

Je entwickelter die Technik, desto wichtiger wird der Mensch.

Wenn es um die Gestaltung von Arbeitsprozessen geht, wird der Beitrag der menschlichen Arbeit zum Gesamtergebnis oft unterschätzt. Besonders bei automatisierten Systemen scheint es, dass der Mensch nicht mehr benötigt wird. Dabei entscheidet auch hier der menschliche Beitrag über Qualität und Quantität der Produktion.

Menschliche Arbeit ist teuer, insbesondere aus der Sicht der am Arbeitsergebnis interessierten Unternehmer oder Auftraggeber. Darum ist es wirtschaftlich vernünftig, die menschlichen Ressourcen optimal einzusetzen. Dies ist nicht möglich, ohne die Belange der Beschäftigten zu berücksichtigen. Die Förderung der menschlichen Leistungsfähigkeit durch gestalterische Maßnahmen entwickelt sich dabei auch zu einem immer bedeutsameren Wettbewerbsfaktor.

Ergonomisch, d.h. nutzergerecht gestaltete Produkte erhöhen die Attraktivität beim Kunden und die ergonomische Optimierung der Produktion verbessert die Arbeitsbedingungen. Sie wirkt nachteiligen Auswirkungen auf Gesundheit und Leistung entgegen, erhöht die Zuverlässigkeit und führt zu Produktivitätssteigerungen.

Die Berufsgenossenschaften bieten Beratungen zur menschengerechten Gestaltung und damit zur Vermeidung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren an.

1 Menschengerechte Gestaltung

1.1 Der Begriff Ergonomie

Der Begriff Ergonomie setzt sich aus zwei griechischen Worten zusammen:

ergon = das Werk, die Arbeit

nomos = das Gesetz, die Lehre.

Wörtlich übersetzt bedeutet Ergonomie die "Lehre von der Arbeit". Der Zusatz "ergonomisch" lässt sich gut mit "menschengerecht" übersetzen.

Das Technische Komitee Ergonomie der Internationalen Standard Organisation (ISO) definiert die Ergonomie sehr umfassend: "Die Ergonomie erarbeitet und verarbeitet humanwissenschaftliches Wissen mit dem Ziel, eine Anpassung von Arbeit, Arbeitssystem und Umgebungen an die physischen und psychischen Fähigkeiten des Menschen herbeizuführen und damit Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden sicherzustellen, indem gleichzeitig die Leistungsfähigkeit erhöht und das Arbeitsergebnis verbessert wird."

Ergonomie hat damit drei Hauptzielrichtungen:

Humanität:
Gestaltung beeinträchtigungsfreier und gesundheitlich unbedenklicher Arbeitsbedingungen.

Produktivität:
Erhöhung von Qualität und Rentabilität.

Motivation und Zufriedenheit:
Eingehen auf das Anspruchsniveau der Beschäftigten.

Grundanliegen ist die Anpassung der Arbeit an den Menschen durch Gestaltung des Arbeitssystems, bestehend aus Arbeitsplatz, Arbeitsraum, Arbeitsmittel, Umgebungsbedingungen und Organisation (Bild 1-1 und Bild 1-2).

Bild 1-1: Vereinfachte Darstellung eines Arbeitssystems. Die Ergonomie betrachtet ein Arbeitssystem stets als Ganzes


Notwendig ist auch die Anpassung des Menschen an die Erfordernisse der Arbeitstätigkeit durch die Auswahl von Personen mit erforderlicher Eignung sowie durch Übung und Gewöhnung, Einarbeitung, Training und Ausbildung.

Bild 1-2: Aus einem Baukastensystem erstellter Montageplatz für das Arbeiten im Stehen und Sitzen


1.2
Bewertung der menschlichen Arbeit

Die Gestaltung der Arbeit sollte folgenden Forderungen genügen:

Ausführbarkeit

Es ist zu beurteilen, ob die Ausführung der Arbeit überhaupt möglich ist. Hierbei ist beispielsweise zu beachten:

Zur Beantwortung dieser Fragen sind Methoden der Ergonomie und der Arbeitsmedizin anwendbar, z.B. Normen über Körpermaße und Körperkräfte sowie Sicherheitsvorschriften.

Erträglichkeit im Sinne von Schädigungslosigkeit

Es ist zusätzlich zu beurteilen, ob die Arbeit bei täglicher Wiederholung über das gesamte Arbeitsleben ohne Gesundheitsschädigung möglich ist. Beispielsweise muss hinterfragt werden:

Zur Beantwortung dieser Fragen sind Erkenntnisse der Ergonomie und der Arbeitsmedizin anzuwenden.

Zumutbarkeit im Sinne von Beeinträchtigungsfreiheit

Es ist zu beurteilen, ob die vorhandenen Erschwernisse und Beeinträchtigungen von den Betroffenen als zumutbar empfunden werden. Die Beantwortung dieser Frage ist mit Methoden der Sozialwissenschaften, nicht mit Methoden der Ergonomie und Arbeitsmedizin möglich.

Zufriedenheit im Sinne von Persönlichkeitsförderlichkeit

Es ist zu beurteilen, ob die Betroffenen mit der Arbeit zufrieden sind. Der komplexe Begriff der Zufriedenheit wird heute in der Praxis mit der Frage nach der Persönlichkeitsförderlichkeit oder den Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung konkretisiert. Die Beantwortung dieser Frage ist nur mit Methoden der Psychologie und der Soziologie, nicht mit Methoden der Ergonomie möglich.

1.3 Belastung und Beanspruchung

Jede Tätigkeit ist mit verschiedenen, von außen auf den Menschen einwirkenden Belastungen verbunden. Hierzu zählen:

Physische und psychische Belastungen sowie das Vorhandensein von Einwirkungen aus der Arbeitsumgebung sind normaler Bestandteil der Arbeit. Die auf den Menschen wirkenden Belastungen werden als Beanspruchungen erlebt.

Diese können zu negativen Folgen führen, aber auch positiv empfunden werden. Entscheidend sind die Leistungsvoraussetzungen von Mitarbeitern und die Ausprägung, Dauer und Kombination der jeweiligen Belastungen. Umgangssprachlich wird der Begriff Belastung eher negativ verwendet.

Eine beanspruchungsoptimierte Gestaltung hilft, dass der Beschäftigte seine Tätigkeit als anregend erlebt, seine Fähigkeiten optimal einsetzen kann, durch die Technik effektiv unterstützt wird und dass die Arbeit Spaß macht und durch eine hohe Produktivität gekennzeichnet ist.

Sowohl Über- als auch Unterbelastungen können zu Fehlbeanspruchungen führen. Es geht daher bei körperlichen und psychischen Belastungen nicht primär um die Reduzierung von Belastungen, sondern um deren individuelle Optimierung. Bei Einwirkungen aus der Arbeitsumgebung ist in der Praxis meist eine Verminderung der Einwirkung anzustreben.

Die Beanspruchung ist abhängig von:

Beispielsweise liegt beim Tragen einer schweren Last für alle Mitarbeiter die gleiche Belastung vor. Je nach Konstitution, Geschlecht, Alter usw. wird es dabei zu unterschiedlichen Beanspruchungen kommen (Bild 1-3). Genauso kann Zeitdruck von einem Mitarbeiter als anregend und aktivierend empfunden werden, während ein anderer mit Stresserleben reagiert.

Belastungen sind die Gesamtheit der äußeren Bedingungen und Anforderungen.

Belastungen führen in Abhängigkeit von individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten zu unterschiedlichen Beanspruchungen.

Bild 1-3: Klassisches Modell zur Beschreibung der Beziehung zwischen einwirkender Belastung und der daraus resultierenden Beanspruchung (nach [1])


Eine erweiterte Darstellung des Konzeptes zu Belastung und Beanspruchung unter Einschluss psychischer und sozialer Faktoren enthält Abschnitt 6 zur psychischen Belastung.

1.4 Ergonomie und Gesundheit

Gesund und leistungsfähig zu sein gehört zu den wertvollsten Gütern jedes Menschen. Zugleich ist der Erhalt der Gesundheit Grundlage für die Erwerbstätigkeit. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als einen Zustand völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens.

Mehr pragmatische Ansätze legen beispielsweise die Krankenversicherer zugrunde. Danach sind Erkrankungen Störungen im normalen Ablauf der Lebensvorgänge in Organen und Organsystemen, die einer Behandlung bedürfen (Bild 1-4).

Bild 1-4: Ebenen gesundheitlicher Veränderungen


Die Fragestellung, warum Menschen gesund bleiben, beinhaltet dagegen eine positive Orientierung (nach [2]):

Menschen, die ein tief sitzendes Vertrauen in ihre Fähigkeit besitzen

sind objektiv gesünder, als jene, die ein solches Vertrauen nicht haben.

Auf die Unternehmensebene übertragen heißt das:

Eine menschengerechte Arbeitsgestaltung beinhaltet, Gesundheitsgefahren in Arbeitssystemen frühzeitig zu erkennen und durch gestalterische Maßnahmen zu beseitigen.

Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren sind Zustände, Ereignisse und Einwirkungen bei der Arbeit und/oder in der Arbeitsumwelt, die Gesundheitsstörungen nachvollziehbar verursachen, begünstigen oder die Gesundheit in sonstiger Weise nachteilig beeinflussen können (ARGE Metall 1998).

Die Tatsache, dass außerberufliche Ursachen beteiligt sind oder im Vordergrund stehen, schließt die Annahme einer arbeitsbedingten Erkrankung nicht grundsätzlich aus.

Im Gegensatz dazu ist eine Berufskrankheit ausschließlich arbeitsbedingt. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist ein bestimmtes Maß an schädigender Einwirkung im Beruf Voraussetzung (Bild 1-5).

Bild 1-5: Berufskrankheiten sind eine Teilmenge der arbeitsbedingten Erkrankungen


Eine Berufskrankheit ist eine Krankheit, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch die Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

Maßnahmen zur Gesundheitsförderung (nach [19]):

1.5 Ergonomie und Wirtschaftlichkeit

Eine menschengerechte Arbeitsgestaltung ist immer auch wirtschaftlich. Sie führt zu einer Steigerung von Produktivität, Motivation und Wettbewerbsstärke (Bild 1-6). In dieser vorwärts gerichteten Betrachtungsweise liegen die wesentlichen ökonomischen Potenziale.

Grundsätzlich ist belegbar:

Aufwendungen zur menschengerechten Gestaltung stehen als Investitionen immer in Konkurrenz mit anderen Ausgabeerfordernissen des Unternehmens. Bei der Entscheidung stehen die Vorschriftenlage und der Nachweis eines wirtschaftlichen Nutzens im Mittelpunkt.

Es ist leider selten auf einfache Weise möglich, den positiven Nutzen einer Maßnahme nachzuweisen, wenn sie nicht direkt eine Produktivitätserhöhung bewirkt. Da es sich im Arbeits- und Gesundheitsschutz oft um nicht stattgefundene Ereignisse, beispielsweise nicht aufgetretene Ausfalltage handelt, kann eine Effizienzerfassung nur durch Einbeziehung dieser Faktoren in die Kostenrechnung erfolgen.

Bild 1-6: Positive Auswirkungen einer menschengerechten Gestaltung ergeben sich sowohl für das Unternehmen als auch für die Beschäftigten


Auch durch den Abbau arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren lassen sich positive ökonomische Effekte erzielen. Der Nachweis der Senkung von Fehltagen durch arbeitsbedingte oder mitbedingte Erkrankungen ist eine häufig verwendete Methode. Nicht ausdrücken lässt sich der Gewinn an Lebensqualität und Motivation.

Beispielsweise ist es bei Abnahme- und Anlegearbeitsplätzen realistisch, wenn etwa die Hälfte der geschätzten Fehltage den dabei auftretenden Belastungen zugeordnet wird. Dies sind u.a. ungünstiges Heben, ständiges und zu tiefes Bücken, Drehbewegungen der Wirbelsäule, unsymmetrische Belastung des Körpers oder weites Vorbeugen.

Geeignete Hilfsmittel, wie Hub- und Kippeinrichtungen, sind höhenverstellbar und kippbar, sowohl robust als auch sehr flach zum Unterfahren von Paletten gestaltet. Fahrbare Ausführungen verhindern das lästige Bücken an Sitz- und Steharbeitsplätzen, die nur gelegentlich benutzt werden.

Hubtische mit Federkraft und Drehauflage eignen sich insbesondere, wenn gleich schwere Teillasten gestapelt oder abgenommen werden müssen (Bild 1-8).

Setzt man die Kosten für einen Fehltag z.B. mit 250 Euro an, dann hat sich ein Scherenhubwagen für 2500 Euro schnell amortisiert, insbesondere dann, wenn er im Schichtbetrieb von mehreren Mitarbeitern verwendet wird.

Ein zusätzlicher Gewinn durch ergonomische Arbeitsplatzgestaltung muss auch im damit verbundenen verbesserten "Betriebsklima" gesehen werden; auch dieses kann sich auszahlen.

Spüren Beschäftigte Zuwendung und Aktivitäten zur Verbesserung ihrer Situation, kann sich das über die erhöhte Motivation direkt auf die Leistung auswirken.

Auch neue Geräte und Maschinen müssen mitunter erst ergänzt werden, um menschengerechtes Arbeiten zu ermöglichen. Nachträgliche Verbesserungen sind "Reparaturergonomie" und führen zu höheren Kosten (Bild 1-7).

Bild 1-7: Kosten ergonomischer Maßnahmen in verschiedenen Stadien der Projektausführung


B
ild 1-8: Beispiele für Hubgeräte und Handhabetechnik zur Belastungsminderung


2
Leistungsvoraussetzungen des Menschen

Grundsätzlich gilt die Forderung, die Arbeit, und damit das gesamte Arbeitssystem und die Organisation, dem Menschen anzupassen. Es geht nicht darum, Mitarbeiter zu finden, die extreme Anforderungen erfüllen, sondern eine Aufgabe so zu gestalten, dass viele Mitarbeiter sie erfüllen können.

Kein Mensch gleicht jedoch dem anderen. Alter, Geschlecht, Veranlagung, Fähigkeiten, körperliches Wachstum und viele weitere Eigenschaften sind verschieden. Zu den Abweichungen von Mensch zu Mensch kommt hinzu, dass sich jeder im Laufe seines Arbeitslebens in seiner Leistungsfähigkeit verändert (Bild 2-1).

Die wichtigsten Eigenschaften werden im Folgenden erläutert:

Bild 2-1: Struktur und Beeinflussbarkeit menschlicher Eigenschaften, Fähigkeiten und Merkmale (nach [18])


2.1
Die Variabilität menschlicher Eigenschaften

Physische und psychische Eigenschaften des Menschen sind in unterschiedlicher Weise beeinflussbar. Sie unterliegen, wie für biologische Systeme typisch, einer Variabilität oder Verteilung.

Beispielhaft ist die Verteilung von Körpergrößen in einem Diagramm (Bild 2-2) dargestellt. Die meisten Personen haben Körpergrößen, die sich in der Nähe des Mittelwertes konzentrieren. Die Häufigkeit nimmt mit wachsendem Abstand vom Mittelwert schnell ab und nähert sich dann nur langsam dem Wert Null. In vielen Fällen handelt es sich um eine symmetrische oder annähernd symmetrische Normalverteilung. Diese findet sich nicht nur bei den Körpermaßen des Menschen, sondern auch bei Körperkräften und Sinnesleistungen, wie dem Sehvermögen und dem Reaktionsvermögen.

In einer Stichprobe von 250 zufällig ausgewählten Personen ergibt sich im vorliegenden Fall eine fast symmetrische Normalverteilung. Wird eine kleinere Gruppe betrachtet, ergeben sich häufig Abweichungen. Eine Abweichung ist immer dann zu erwarten, wenn die untersuchte Gruppe z.B. bei Alter und Geschlecht nicht dem Durchschnitt in der Bevölkerung entspricht.

Bild 2-2: Darstellung der Variabilität menschlicher Körpermaße am Beispiel von Körpergrößen


Der Bereich um den Mittelwert, in den 90 % aller Werte fallen, hat bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen eine besondere Bedeutung. Es ist in der Ergonomie Standard, Arbeitsplätze so einzurichten, dass sie für mindestens 90 % der zu erwartenden Beschäftigten nutzbar bzw. akzeptabel sind. Dazu sind Verstellmöglichkeiten, z.B. bei Tischen und Sitzen oder zusätzliche Hilfsmittel, wie Podeste und Fußstützen, erforderlich. Für besonders große und besonders kleine Personen wird in der Regel eine individuelle Sonderlösung notwendig.

2.2 Altersabhängigkeit

Die Altersstruktur in Deutschland unterliegt seit Jahrzehnten einem Wandel. Sinkende Geburtenraten und eine kontinuierliche Steigerung der Lebensdauer werden mittel-bis langfristig zu einer erheblichen Veränderung der Altersstrukturen führen (Bild 2-3 und 2-4).

Bild 2-3: Altersverteilung in der deutschen Bevölkerung


Der demographische Wandel bringt eine deutliche Alterung der Erwerbsbevölkerung sowie eine kontinuierliche Abnahme der Anzahl jüngerer Erwerbstätiger mit sich. In Zukunft werden die Erwerbstätigen über 45 Jahre einen deutlich größeren Anteil der Beschäftigten ausmachen. Vor diesem Hintergrund sind Engpässe, die sich schon heute bei der Gewinnung von qualifiziertem betrieblichen Nachwuchs zeigen, zu erwarten. Aus Gründen der Veränderungen in der Altersstruktur wird es bereits mittelfristig erforderlich sein, mehr Arbeitsplätze auch für eine ältere Belegschaft zu konzipieren.

Bild 2-4: Im Arbeitsprozess typische Veränderungen bei älter werdenden Menschen (nach [1])

Langzeituntersuchungen zur Förderung der altersgerechten Beschäftigung haben gezeigt, dass die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten im Wesentlichen von folgenden Faktoren abhängt:

Vorteilhaft ist die frühzeitige ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsorganisation, mit Blick auf älter werdende Belegschaften als alternsbegleitende Gestaltung (Bild 2-5).

Bild 2-5: Maßnahmen alter(n)sgerechter Arbeitsgestaltung

Alter und Sehvermögen

Im Arbeitsleben hat gut sehen zu können eine überragende Bedeutung. Mit zunehmendem Alter lässt allerdings die Elastizität der Augenlinse nach, d.h., die Entfernung, bei der gerade noch scharf gesehen wird, nimmt zu. Im Nahbereich entsteht ein unscharfes Bild. Etwa ab dem 40. Lebensjahr beginnt diese so genannte "Alterssichtigkeit". Viele Beschäftigte brauchen dann eine Brille. Kurzsichtige benötigen in der Regel eine Zweistärkenbrille, mit all ihren Problemen in der Eingewöhnungsphase.

Ebenfalls mit zunehmendem Alter wird die Pupille starrer und enger. Es gelangt weniger Licht auf die Netzhaut. Ältere Menschen brauchen deshalb mehr Licht zum Verrichten von Tätigkeiten. Bei hohem Beleuchtungsniveau ist der Unterschied des Lichtbedarfs deutlich geringer. Ein hohes Beleuchtungsniveau wirkt sich gleichzeitig positiv auf Sicherheit, Leistung und Qualität aus.

2.3 Der Tagesgang der Leistungsbereitschaft

Physiologische Funktionen des Menschen unterliegen einer Tagesperiodik, die sich aus dem 24-stündigen Tagesrhythmus ableitet (Bild 2-6). Gleiche Arbeiten werden deshalb zu verschiedenen Tageszeiten als unterschiedlich belastend empfunden. Arbeiten, bei denen immer die gleiche Anforderung besteht, sind bei Nacht anstrengender als am Tage. Dies sollte grundsätzlich bei der Schichtgestaltung bzw. bei der Verteilung von Aufgaben auf verschiedene Schichten oder Tageszeiten Berücksichtigung finden.

Im modernen Arbeitsleben wird immer mehr Flexibilität, insbesondere bei der Gestaltung der Arbeitszeit, vorausgesetzt. Innovative Arbeitszeitmodelle gestatten es grundsätzlich, Wirtschaftlichkeit und Humanität zu verbinden. Aktivitäten in dieser Richtung berücksichtigen bis heute noch überwiegend die Wirtschaftlichkeit.

In der Europäischen Union leisten derzeit etwa 20 % der Beschäftigten Schichtarbeit. Die Betroffenen sind mit ihren Beschwerden oft auf sich allein gestellt. Die meist für eine Tagschicht konzipierte Gestaltung des Arbeitsplatzes lässt nachts häufig zu wünschen übrig. Hinzu kommen psychosoziale Belastungen aus dem privaten Bereich. Die Leistungsreserven sind schneller aufgebraucht, Überforderungen eher zu erwarten und gesundheitliche Beeinträchtigungen auf die Dauer nicht auszuschließen.

In Schichtsystemen entstehende Probleme sind auch durch Unterschiede zwischen betroffenen Personen, den so genannten Morgen- und Abendtypen erklärbar. Morgentypen entwickeln bei Nachtarbeit und Abendtypen bei Frühschichten erhebliche Schlafdefizite.

Bild 2-6: Die biologische Leistungskurve (unten) hat im Tagesgang einen typischen Verlauf mit einem Maximum am Vormittag und einem ausgeprägten Minimum in den Nachtstunden. Diese aus dem täglichen Leben bekannte Tatsache wurde erstmalig an der Fehlerzahl beim Ablesen von Zählerständen (oben) wissenschaftlich nachgewiesen und hat sich in weiteren Untersuchungen bestätigt (nach [1])

2.4 Einfluss des Geschlechtes

Der Einfluss des Geschlechtes in der modernen Berufsarbeit wird häufig überschätzt. Die historisch gewachsenen Strukturen und Rollenverständnisse bei der Berufstätigkeit verändern sich ebenfalls nur langsam. Dieser Prozess wird durch die Gleichstellung von Mann und Frau im modernen europäischen Recht unterstützt. Viele Frauen wollen heute auch außerhalb der bis heute frauentypischen Berufe Karriere machen. Studien haben gezeigt, dass auch immer mehr berufstätige Frauen unter den früher als typisch männlich geltenden stressbedingten Problemen und Beschwerden aus dem Berufsleben leiden, wie Herzproblemen.

Menschengerechte Gestaltung muss die Unterschiede bei physischen Eigenschaften berücksichtigen. Durch den Körperbau bedingte Unterschiede finden sich vor allem bei der Körperkraft. Darum waren und sind bis heute Frauen verschiedene Berufe verschlossen. Frauen gelten als geschickter, wenn es um einfache Handarbeiten geht. Im Gegensatz zur Körperkraft zeigt sich, dass im Jugendalter, etwa bis zum 18. Lebensjahr, kein Unterschied der Geschicklichkeit zwischen Jungen und Mädchen besteht. Etwa mit dem 18. Lebensjahr zeigt sich aber eine bessere Geschicklichkeit der Frau gegenüber der des Mannes. Dies wird mehr auf eine entwicklungsbedingte Spezialisierung bereits im Jugendalter zurückgeführt.

Geringere, aber nachweisbare Unterschiede finden sich im sprachlich kommunikativem Bereich, wobei Frauen tendenziell besser abschneiden und im Bereich der Abstraktionsfähigkeit und des räumlichen Vorstellungsvermögens mit Vorteilen für Männer. Diese psychischen Eigenschaften werden für typische Vorlieben bei den Berufswünschen verantwortlich gemacht.

3 Die Schnittstelle Mensch-Technik

3.1 Gestaltungsschwerpunkte

Die Schnittstelle Mensch-Maschine oder besser Mensch-Technik, wird als traditionelles Kerngebiet der Ergonomie angesehen. Sie umfasst die folgenden Schwerpunkte:

Räumlich ergonomische Gestaltung

Kraft- und Energieaufwand

Ein erheblicher Kraftaufwand beim Bedienen von Stellteilen an Maschinen und Anlagen ist in immer geringerem Umfang erforderlich. Von Bedeutung ist der Kraftaufwand bei handwerklichen Tätigkeiten, wie Aufbau, Wartung, Instandhaltung und Demontage sowie beim Umgang mit Lasten, die beispielsweise zu heben, tragen, halten, zu schieben oder zu ziehen sind.

Informationsaufnahme

Verstehbarkeit des Systems

Bild 3-1: Systemelemente des Arbeitssystems mit Beispielen für Gestaltungsansätze

Elemente des ArbeitssystemsBeispiele für Gestaltungsfelder
ArbeitsraumAbmessungen
Heizung, Lüftung, Wärmedämmung
Beleuchtung
Sichtbeziehungen
Schalldämmung und -dämpfung
ArbeitsplatzArbeitsplatztyp
Arbeitshöhen
Beinraum
Greifraum
Sehwinkel und Sehabstand
Beleuchtung
ArbeitsmittelAbmessungen und Gewichte
Emissionen (Lärm, Gefahrstoffe,...)
Körperhaltung
Handhabbarkeit
Hardware, Software
ArbeitsgegenstandAbmessungen und Gewichte
Handhabbarkeit
Material
Emissionen
ArbeitsumgebungImmissionen (Lärm, Gefahrstoffe, Klima, Beleuchtung,...)
ArbeitsorganisationEinzel- oder Gruppenarbeit
Schichtsystem
Arbeitszeit- und Pausenregime
Arbeitsplatzwechsel


3.2 Arbeitsplatztypen

Die bei der Arbeit dominierenden Körperhaltungen sind Stehen und Sitzen. Für solche Arbeitsplätze gibt es in der Literatur vollständige Maßvorschläge. Bereits bei Entwicklung, Konstruktion und Einrichtung von Arbeitsplätzen ist die Entscheidung zu treffen, ob im Stehen, Sitzen oder in beiden Haltungen gearbeitet werden soll.

Der Sitzarbeitsplatz ist dem Steharbeitsplatz vorzuziehen, da diese Körperhaltung energetisch weniger aufwändig ist. Falls technologisch möglich, sollte ein selbstgewählter Wechsel realisiert werden können (Bild 3-2).

Man unterscheidet sechs Arbeitsplatz-Grundtypen :

Typ 1Sitz-/Steh-Arbeitsplatz höhenverstellbar
Typ 2Sitz-/Steh-Arbeitsplatz nicht höhenverstellbar (Tischhöhe angepasst an 95. Perzentil)
Typ 3Sitz-Arbeitsplatz höhenverstellbar
Typ 4Sitz-Arbeitsplatz nicht höhenverstellbar (Tischhöhe angepasst an 95. Perzentil)
Typ 5Steh-Arbeitsplatz höhenverstellbar
Typ 6Steh-Arbeitsplatz nicht höhenverstellbar (Tischhöhe angepasst an 95. Perzentil)

Bild 3-2: Arbeitsplatzgrundtypen im Stehen und Sitzen


Steharbeitsplatz

Beim Steharbeitsplatz wird die Festlegung der optimalen Arbeitshöhe eher von der ausgeübten Tätigkeit als von den Körpermaßen bestimmt (Bild 3-3).

Bei Tätigkeiten mit höheren Anforderungen an die Hand- und Armkraft bestimmt sich die Arbeitshöhe aus der optimalen Armhaltung.

Grundregeln sind:

Bild 3-3: Die Arbeitshöhe im Stehen ergibt sich aus der aufzubringenden Kraft und den Sehanforderungen


Sitzarbeitsplatz

Die Gestaltung und Einrichtung eines Sitzarbeitsplatzes muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein beschwerdefreies Sitzen möglich ist.

Insbesondere ist Fehlbeanspruchungen des Nackens, des Schultergürtels und des Rückens vorzubeugen. Außerdem sind Zwangshaltungen durch ausreichende Freiräume für Arm- und Beinbewegungen zu vermeiden (Bild 3-4).

Zu beachtende Grundregeln sind:

Statisches Sitzen kann zu einer Dauerbelastung der Wirbelsäule führen.

Besser ist so genanntes "dynamisches Sitzen", d.h. wechselnde Sitzhaltung.

Tätigkeiten, die ganztägig im Sitzen ausgeführt werden, sind aus ergonomischer Sicht zu vermeiden.

Anzustreben sind vielmehr Tätigkeiten, bei denen Sitzen, Stehen und Gehen wechseln.

Bild 3-4: Beispiel für Arbeitsplatzmaße bei einer Arbeitsstellenhöhe über Tisch von 150 mm und einem Konstruktionsmaß (hier die Tischplattenstärke) von 30 mm für einen kombinierten Sitz- und Steharbeitsplatz nach DIN 33406

Arbeitsstuhl

Für alle Arbeiten, die ganz oder teilweise im Sitzen verrichtet werden können, müssen entsprechend der Arbeitsstättenverordnung besondere Sitzgelegenheiten vorhanden sein. Hierfür sind Arbeitsstühle nach DIN 68877 geeignet.

Das sind höhenverstellbare Sitzmöbel mit drehbarem Unterteil, deren Konstruktion verschiedene Tätigkeiten in unterschiedlicher Sitzhöhe ermöglicht (Bilder 3-5 und 3-6).

Bild 3-5: Empfohlen wird nicht statisches, sondern dynamisches Sitzen. Dabei werden im Sitzen verschiedene Haltungen, z.B. vorgebeugt, gerade oder zurückgelehnt, abwechselnd eingenommen. Hierfür sollten die Stühle entsprechende Voraussetzungen bieten (Bilder: Bimos)


B
ild 3-6: Einsatz eines höhenverstellbaren Arbeitsstuhles nach DIN 68877 mit Aufstieghilfe und Fußstütze


3.3
Körpermaße

Für die räumliche Gestaltung von Arbeitsplätzen und Betriebsmitteln müssen als erstes Kriterium die Körpermaße der dort arbeitenden Person bekannt sein.

Die in DIN 33402-2 "Ergonomie - Körpermaße des Menschen; Werte" (Dezember 2005) wiedergegebenen Werte von Körpermaßen beruhen auf statistisch gesicherten Messungen an Personen, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wohnen.

Die Körpermaße stammen aus Untersuchungen in den Jahren 1999 bis 2002. Sie sind sowohl als gemittelte Werte der Gesamtpopulation 16 - 65 Jahre als auch in verschiedenen Altersgruppen angegeben.

Im Vergleich zu früheren Körpermaßangaben wurden mit der aktualisierten Werterfassung zum einen der Akzelerationsprozess (Wachstumsbeschleunigung) der zurückliegenden Jahre und zum anderen alle im Untersuchungsgebiet wohnenden Personen (Wohnbevölkerung) erfasst.

Zur Angabe der Variabilität wird in der Abbildung der Begriff Perzentil verwendet. Der kleinere Wert gibt das 5. Perzentil an, d.h. 5 % aller ermittelten Körpergrößen sind kleiner als der angegebene Wert. Der höhere Wert gibt das 95. Perzentil an, d.h. 95 % aller ermittelten Größen sind kleiner als der angegebene Wert.

Die angegebene Spanne umfasst 90 % aller ermittelten Körpermaße, welche bei der Gestaltung zu berücksichtigen sind.

Im Interesse einer Vereinheitlichung in Europa wird eine Definition des so genannten "Europamenschen" vorgeschlagen. Als 5. Perzentil wurde das der Südeuropäer und als 95. Perzentil das der Nordeuropäer definiert. Durch Einbeziehung von nord- und südeuropäischen Bevölkerungsdaten wird die Verteilung eine größere Breite aufweisen (Bild 3-7).

3.4 Verwendung von Körpermaßschablonen

Bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen, Maschinen und Werkzeugen nach ergonomischen Gesichtspunkten sind Körpergrößenbereiche und nicht mittlere oder konkrete Körpermaße einer einzelnen Person zu berücksichtigen (Bild 3-7).

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