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BGI 896 - Hinweise zur Beschäftigung von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen sowie ihrem Einsatz in Lärmbereichen
Berufsgenossenschaftliche Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BGI)

(Ausgabe 03/2008)



Zurückgezogen, nur zur Information

Inhalte wurden in den "Leitfaden für Betriebsärzte zur Beschäftigung von Schwerhörigen und Gehörlosen in Lärmbereichen" (DGUV Bestell-Nr. 10812) übernommen.

Berufsgenossenschaftliche Informationen (BG-Informationen) enthalten Hinweise und Empfehlungen, die die praktische Anwendung von Regelungen zu einem bestimmten Sachgebiet oder Sachverhalt erleichtern sollen.

BG-Informationen richten sich in erster Linie an den Unternehmer und sollen ihm Hilfestellung bei der Umsetzung seiner Pflichten aus staatlichen Arbeitsschutzvorschriften oder Unfallverhütungsvorschriften geben sowie Wege aufzeigen, wie Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren vermieden werden können.

Der Unternehmer kann bei Beachtung der in BG-Informationen enthaltenen Empfehlungen, insbesondere den beispielhaften Lösungsmöglichkeiten, davon ausgehen, dass er damit geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren getrofen hat. Sind zur Konkretisierung staatlicher Arbeitsschutzvorschriften von den dafür eingerichteten Ausschüssen technische Regeln ermittelt worden, sind diese vorrangig zu beachten.

Soweit in BG-Informationen verbindliche Inhalte aus staatlichen Arbeitsschutzvorschriften oder aus Unfallverhütungsvorschriften wiedergegeben werden, sind diese durch Fettdruck kenntlich gemacht oder im Anhang zusammengestellt. Erläuterungen, insbesondere beispielhafte Lösungsmöglichkeiten, werden grundsätzlich durch entsprechende Hinweise in Kursivschrift gegeben.

Vorbemerkung

Die in dieser BG-Information gegebenen Hinweise sollen den vom Unternehmer beauftragten Arzt bei der Betreuung von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen unterstützen. Sie sollen ihm Hilfen geben, unausgeschöpfte Möglichkeiten zur Beschäftigung dieser Personen erkennen und nutzen zu können.

Darüber hinaus sollen diese Hinweise den Arzt in Ergänzung zum Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen G 20 "Lärm" bei der arbeitsmedizinischen Beurteilung hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhöriger und Gehörloser hinsichtlich der Beschäftigung in Lärmbereichen informieren. Der vorstehend genannte BG-Grundsatz ist zum Gesundheitsschutz aller lärmexponierten Arbeitnehmer entwickelt worden. Die speziellen Probleme stark hörbehinderter Personen werden dabei zwangsläufig nur am Rande berücksichtigt. Diese Hinweise sollen daher den G 20 in Bezug auf die arbeitsmedizinische Beurteilung hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhöriger und Gehörloser ergänzen.

Diese BG-Information wurde erarbeitet im Ausschuss ARBEITSMEDIZIN, Arbeitskreis 1.6 "Lärm", Obmannschaft: Dipl.-Ing. Klaus Ponto, Berufsgenossenschaft Metall Nord Süd.

1 Anwendungsbereich

Diese BG-Information findet Anwendung auf die Beschäftigung von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen. Sie soll speziell auf die besonders betroffene Personengruppe prälingual Hörgeschädigter, hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhöriger und Gehörloser, die sonderpädagogische Fördermaßnahmen benötigten, angewendet werden.

Diese BG-Information unterstützt für den Bereich der hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen die Anwendung des Berufsgenossenschaftlichen Grundsatzes für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen G 20 "Lärm".

2 Begriffsbestimmungen

Schwerhörigkeit wird nach dem Königsteiner Merkblatt eingeteilt in "geringgradige Schwerhörigkeit" bis zur "Gehörlosigkeit (Taubheit)". Der versicherungsmedizinische Begriff der Gehörlosigkeit als höchster Grad der Schwerhörigkeit ist darüber hinaus aus medizinischer und sonderpädagogischer Sicht zu differenzieren in:

  1. Gehörlosigkeit mit verwertbaren Hörresten: Gehörlosigkeit mit Hörresten, die noch mit Hilfe es Hörgerätes zu einem, wenn auch nur begrenzten, Sprachverstehen genutzt werden können
  2. Gehörlosigkeit mit nicht verwertbaren Hörresten: Gehörlosigkeit mit Hörresten, die auch mit Hilfe eines Hörgerätes ein Sprachverstehen nicht mehr zulassen
  3. Gehörlosigkeit ohne Hörreste: Gehörlosigkeit ohne audiometrisch nachweisbare Hörreste
Anmerkung:

Die gutachterliche Feststelung der Gehörlosigkeit ohne nutzbare Hörreste solte nötigenfals auf dem Formular nach Anhang 1 getroffen werden.

In Tabelle 1 sind die Grade der Schwerhörigkeit im Anwendungsbereich dieser BG-Information zusammengestelt.

Tabelle 1: Grade der Schwerhörigkeit im Anwendungsbereich dieser Hinweise

Grad der SchwerhörigkeitVerständlichkeit von Umgangssprache% Hörverlust nach Sprachaudiogrammts = 2[HV(1kHz)] + HV(3 kHz)
(nach Röser)
Hochgradige Schwerhörigkeit0,25 - 1 m60 - 80150 - 190
an Taubheit grenzende Schwerhörigkeita. c.* - 0,25 m80 - 95190 - 240
Gehörlosigkeit
  • mit verwertbaren Hörresten
fehlt100ab 250
Gehörlosigkeit
  • mit nicht verwertbaren Hörresten
  • ohne Hörreste
fehlt100ab 250
 * a. c. = ante concham = vor der Ohrmuschel


3 Hinweise zur Beschäftigung von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen

3.1 Sozialmedizinische Aspekte

Es ist zu unterscheiden zwischen der im Erwachsenenalter aufgetretenen Hörstörung und der seit Geburt oder Kindheit bestehenden Hörstörung. Die erschwerte Gesamtentwicklung, Eigenheiten des Kommunikationsverhaltens, Belastungen einer beruflichen Eingliederung oder auch Leistungsschranken der durch Hörgeräte verbesserten Wahrnehmungssituation sind bei letzterer Gruppe zu berücksichtigen. Dabei wird der Wert des Hörvermögens primär bestimmt durch die Funktion der Sprache; so besteht die eigentliche Tragik des Gehörverlustes neben der kommunikativen Beschränkung in Rede und Gegenrede darin, dass er beim Kleinkind die spontane Entwicklung der Lautsprache verhindert und noch beim Schulkind den Sprachbesitz gefährdet. Allgemein ist die Sprachentwicklung des seit Kindheit hörbehinderten Arbeitnehmers um so mehr beeinträchtigt, je schwerer die Hörstörung ist bzw. je später Förderungsmaßnahmen ergriffen werden. Ein frühzeitig beginnender "Sprachaufbau" vermag diese Folgen nur zu mildern. Beeinträchtigungen zeigen sich in allen Lebensbereichen:

  1. der Sprachwahrnehmung,
  2. der Gestaltung von Sprache (Sprechen, Schreiben),
  3. dem Sinnerfassen von Sprache (Gesprochenes, Geschriebenes)
  4. und der mangelnden Verfügbarkeit von Wortschatz und Grammatik.

Darüber hinaus erfolgt die geistige Erschließung der Umwelt nicht in der Weise des Hörenden. Zahlreiche Wissenslücken sind sichtbar, das Denken bleibt dem Konkreten verhaftet, die Aneignung und Anwendung neu erworbener Kenntnisse sind erschwert, und nicht zuletzt ist in der Regel die Beziehung zu Hörenden beeinträchtigt.

Erschwerte Kommunikationsbedingungen belasten die Beziehung zu den Hörenden. Eingeschränkte auditive Eigenwahrnehmung kann zu verwaschener Artikulation führen, so dass der Angesprochene nur mit Mühe versteht. Die optische Aufnahme von Sprachelementen durch Absehen von den Lippen, Fingeralphabet, Gebärden und die dem Absehen zugrundeliegenden Sprachzeichen (so genannte Kineme; 11 bis 12 Kineme der Sprache stehen rund 40 Phonemen gegenüber), sind merkmalsschwach und oft nicht eindeutig.

3.2 Tragen von technischen Hörhilfen

Zu den technischen Hörhilfen zählen Hörgeräte und Cochlea-Implantate.

Die Wirkung der Hörgeräte muss sehr differenziert gesehen werden. Trotz Anpassung an individuelle Faktoren wie frequenzbezogener Hörverlust und DynAkbereich ist eine schwerhörige Person mit einem Hörgerät nicht einer normalhörenden Person gleichzusetzen:

  1. Je nach Schädigungsgrad und Schädigungsart bleibt die Fähigkeit zum Verstehen von Sprache auch bei Sprachverstärkung reduziert (Diskriminationsverlust).
  2. Geräusche und Störschall beeinträchtigen allgemein das Sprachverstehen, besonders bei schwerhörigen Personen; Hörgeräte verstärken sowohl Stör- als auch Nutzschall und verschärfen dadurch solche Schwierigkeiten.
  3. Schallpegel werden bei Überschreitung bestimmter Werte (Begrenzungs- und Regelungssysteme) abgeschnitten bzw. gedämpft. Dies ist einerseits bei Störsignalen erwünscht, reduziert aber andererseits die Verständlichkeit "zu lauter" Sprache.

Hörgeräte sind nicht nur für Schwerhörige, sondern auch für Gehörlose von Bedeutung. Während der Schwerhörige primär die Sprache über das Gehör, verstärkt durch das Hörgerät, aufnimmt, wobei das Absehen die Sprachperzeption unterstützt, nimmt der Gehörlose Sprache primär über das Auge (Absehen) auf und erhält durch das Hörgerät lediglich unterstützende Informationen, z.B. durch den Sprachrhythmus.

Cochlea-Implantaten kommt bei der Versorgung hochgradig Schwerhöriger ohne nutzbare Hörreste und von Gehörlosen eine wachsende Bedeutung zu.

Durch elektrische Stimulation der Neuriten der Spiralganglienzellen über eine in die Cochlea eingeführte Elektrode wird die Spracherkennung unterstützt.

3.3 Aus- und Fortbildung von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen

Trotz der vorstehend Binderungen kann bei entsprechender Förderung die Mehrzahgeshädigten einen Schulabschluss und den Abschluss in einem dannten Ausbildungsberufe erreichen (Einschränkungen: Kommunikationsberufe; Berufe mit Sicherheitsanforderungen an das Gehör; Berufe, zu deren Ausübung der intakte Gehörsinn Voraussetzung ist; Berufe mit fehlenden Ausbildungs- bzw. Beschulungsmöglichkeiten für diesen Personenkreis; Tätigkeitsfelder mit extrem hohen Lärmpegeln). Heute stehen ihnen erheblich mehr Ausbildungsberufe als früher offen, doch sind die beruflichen Möglichkeiten immer noch eingeschränkt.

3.4 Ratschläge für den Umgang mit Hörbehinderten

Mit zunehmendem Schädigungsgrad müssen Hörgeschädigte "absehen", d.h. Sprache beim Sprechen über die Mundbewegungen, Mimik und Gestik des Sprechers aufnehmen. Dies gilt für Schwerhörige (unvollständig Gehörtes wird ergänzt) wie für Gehörlose. Der Arbeitsmediziner sollte Folgendes beachten und in geeigneter Form auch den normalhörenden Personen im Arbeitsbereich des Betroffenen, speziell den Vorgesetzten, vermitteln:

  1. Mit dem Hörgeschädigten nur aus kurzer Entfernung sprechen und ihn dabei anschauen.
  2. Das eigene Gesicht sollte gut beleuchtet sein und darf nicht abgedeckt werden, z.B. durch die Hand, Papier.
  3. Den Hörgeschädigten auf den Gesprächsbeginn vorbereiten: Keine plötzliche Anrede; erst Blickkontakt, dann sprechen.
  4. Mit dem Hörgeschädigten nur e twa s lauter, aber langsam und mit deutlicher Artikulation sprechen.
  5. Beim Gespräch mit Hörgeschädigten keine "verstümmelte Sprache", sondern einfache Sprache (einfache Begriffe) mit kurzen, vollständigen Sätzen verwenden.
  6. Der darzustellende Sachverhalt sollte auf das Wichtigste beschränkt, logisch und klar gegliedert dargestellt werden.
  7. Beim Gespräch kann Aufschreiben (Schlüsselbegriffe, Namen, Fachausdrücke, Skizzen) die Gesprächsführung erleichtern; aber nach Möglichkeit keine schriftlichen Dialoge.

Bei wichtigen Absprachen, z.B. arbeitsmedizinische Auflagen, sollte man sich durch Rückfragen vergewissern, ob der Hörgeschädigte auch richtig verstanden hat. Da der Hör-Sprach-Behinderte auch ein eingeschränktes Sinnverständnis haben kann, sollte der Betriebsarzt nicht in allen Fällen bei der Ausgabe der üblichen Merkblätter davon ausgehen, dass diese vom Hör-Sprach-Behinderten verstanden werden.

Um sonstige Missverständnisse im betrieblichen Umgang auszuschließen, sollten nach dem Behindertengleichstellungsgesetz über die örtlichen Integrationsämter Dolmetscher in Anspruch genommen werden. Die Kostenübernahme hierfür erfolgt auf Antrag durch das örtlich zuständige Integrationsamt.

3.5 Krankheitsverlauf und Vorbefunde

Bei dem im Sinne dieser Hinweise definierten Personenkreis ist eine langjährige fachärztliche, audiologische, pädaudiologische und hörgeräteakustische Betreuung anznehmen. Die umfangreichen Vorbefunde sollten bei Bedarf zur Klärung arbeitsmedizinischer Fragestellungen und zur arbeitsmedizinischen Beurteilung im Rahmen der speziellen arbeitsmedizinischen Betreuung (siehe Abschnitt 4) nach dem allgemeinen bzw. erweiterten arbeitsmedizinischen Grundsatz "Lärm" unbedingt herangezogen werden.

Vorbefunde und audiologische Unterlagen liegen im Allgemeinen vor bei

3.6 Warnsignalgestaltung

Bei der Beschäftigung von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen sind akustische Warnsignale allein unzureichend, weil davon auszugehen ist, dass diese nicht wahrgenommen werden können.

An Arbeitsplätzen für hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörige und Gehörlose sind neben akustischen Signalen optische oder taktile Warnsignale vorzusehen. Bei der Auswahl optischer Warnsignale sind die Empfehlungen nach Tabelle 2 zu beachten und bei der Gestaltung der Signale die Normen DIN EN 457 und DIN EN 981 zugrundezulegen. Auch hier kann das Integrationsamt für Beratung und technische Ausstattung kostenfrei in Anspruch genommen werden. Zahlreiche positive Erfahrungen sprechen für diese Zusammenarbeit.

Zum Beispiel ist auch daran zu denken, dass auf Fahrzeugen installierte Signalgeber durch optische Signale zu ergänzen sind, wenn diese den Arbeitsbereich des hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen oder Gehörlosen anlaufen. Sollen Schwerhörige oder Gehörlose als Fahrzeugführer eingesetzt werden, ist sicherzustellen, dass die akustischen Gefahrensignale korrekt gegeben werden und z.B. optische Kontrollanzeigen installiert werden, deren Funktionsfähigkeit von einem normalhörenden Mitarbeiter regelmäßig überprüft wird.

Tabelle 2: Zur Gestaltung optischer Warnsignale nach DIN EN 981

FarbeBedeutungZweckBemerkungen
ROTGefahr Anomaler ZustandNotfall
Alarm, Halt
Verbot
Ausfall
Rote Lichtblitze sind für NOT-EVAKUIERUNG zu verwenden
GELBVorsichtEingriff
Zustandsänderung Kontrolle "In Betrieb"
 
BLAUAnzeige der Notwendigkeit zwingend vorgeschriebenen Handelns (siehe EN 60073)Handlung
Schutz
Besondere Aufmerksamkeit
Sicherheitsrelevante Regelung oder Vorkehrung mit Priorität
Für Zwecke, die mit Rot, Gelb oder Grün nicht eindeutig zu beschreiben
GRÜNSicherheit NormalzustandZum normalen Ablauf zurückkehren WeitermachenZur Überwachung eingeschalteter Geräte (normal)


3.7 Sonstige Hinweise

Die dauerhafte Eingliederung behinderter Menschen ins Arbeitsleben wird allgemein als wichtige Aufgabe akzeptiert. Sie ist nicht ohne Arbeitgeber und Betriebsarzt zu erreichen. Ihnen muss bewusst sein, dass Gehörlose und hochgradig oder an Taubheit grenzend Hörgeschädigte

  1. heute noch besonders benachteiligt sind
    und
  2. insbesondere manche Mitteilungen oder Entscheidungen wegen der Sprach- und Kommunikationsprobleme nicht verstehen.

Das betrifft den Betriebsarzt oder den beauftragten Arzt in mehrfacher Hinsicht; er muss sich bemühen, das Ergebnis der arbeitsmedizinischen Untersuchung und etwaige Auflagen dem Hör-Sprach-Behinderten verständlich mitzuteilen und auch die Beratung zum Gehörschutz bei Beschäftigung in Lärmbereichen (siehe Abschnitt 4) dementsprechend durchzuführen. Er hat bei diesem Personenkreis verstärkt sozialmedizinische Erwägungen, z.B. eingeschränkte berufliche Möglichkeiten, drohende Arbeitslosigkeit, bei der Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.

4 Einsatz von hochgradig und an Taubheit grenzend Schwerhörigen und Gehörlosen im Lärmbereich

4.1 Arbeitsmedizinische Beurteilung nach dem Berufsgenossenschaftlichen Grundsatz für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen G 20 "Lärm"

4.1.1 Personen mit Gehörlosigkeit ohne verwertbare Hörreste und Personen mit Gehörlosigkeit ohne Hörreste

Gehörlose ohne nutzbare Hörreste müssen nicht im Rahmen der speziellen Vorsorgeuntersuchung nach dem Grundsatz G 20 "Lärm" untersucht werden. Sie können ohne Einschränkung in Lärmbereichen beschäftigt werden, sofern durch die fehlende Hörfähigkeit kein erhöhtes Unfallrisiko gegeben ist. Die beiderseitige Gehörlosigkeit ohne nutzbare Hörreste bedarf der gutachterlichen Feststellung durch einen HNO-Arzt oder Facharzt für Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen *). Für diese Feststellung empfiehlt sich die Verwendung s im Anhang dargestellten Formulars.

Träger von Cochlea-Implantaten sind wie Gehörlose ohne Hörreste zu beurteilen.

4.1.2 Personen mit hochgradiger und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit und Gehörlose mit verwertbaren Hörresten

Die in Abschnitt 4.1.2 genannten Personen dürfen generell nur dann in Lärmbereichen beschäftigt werden, wenn der auf das Ohr einwirkende zusätzliche Arbeitslärm unter Berücksichtigung des persönlichen Gehörschutzes einen Tages-Lärmexpositionspegel von 80 dB(A) und einen Spitzenschalldruckpegel von 137 dB(C) nicht übersteigt. Das gleiche gilt für den Einsatz bei Tätigkeiten, bei denen der personenbezogene Tages-Lärmexpositionspegel 85 dB(A) erreicht oder überschreitet.

Für Schwerhörigkeiten mit verwertbaren Hörresten gelten die im Grundsatz G 20 "Lärm" gegebenen arbeitsmedizinischen Beurteilungskriterien und folgende Hinweise:

  1. Bei Personen mit reiner Schalleitungs-Schwerhörigkeit, bei denen die Luftleitungs-Knochenleitungs-Differenz 30 dB oder mehr bei allen im Grundsatz G 20 "Lärm" vorgesehenen Prüffrequenzen beträgt, sind zusätzliche arbeitslärmbedingte Gehörschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten, sofern für den Arbeitslärm gilt, dass der Tages-Lärmexpositionspegel 110 dB und der Spitzenschalldruckpegel 170 dB(C) nicht erreicht.
  2. Bei kombinierter Schwerhörigkeit mit einer tonaudiometrischen Luftleitungs-Knochenleitungs-Differenz von 30 dB und mehr ist zwar die Gefahr einer zusätzlichen arbeitslärmbedingten Schädigung für das Innenohr nur gering (Angaben zu den Pegelbereichen siehe Abschnitt 4.1.2 Buchstabe a), schädliche Wechselwirkungen zwischen Lärm und anlagebedingten Komponenten der Schwerhörigkeit sind jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.
  3. Personen mit cochleären (sensorischen) oder retrocochleären (neuralen und zentralen) Schwerhörigkeiten können nur dann in Lärmbereichen eingesetzt werden, wenn die Längsschnittbeobachtung (mindestens alle fünf Jahre) der Hörleistung Stabilität des Restgehörs belegt hat. In diesen Fällen kann von einer wiederholten erweiterten Ergänzungsuntersuchung nach LÄRM III abgesehen werden.

Bei den unter Buchstaben b) und c) genannten Schwerhörigkeiten sind besonders sorgfältige Verlaufskontrollen mit verkürzten Überwachungsfristen ' (Kontrollintervall sechs Monate) notwendig.

Wurde in Einzelfällen von hochgradiger oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit und bei Gehörlosigkeit mit verwertbaren Hörresten, z.B. bei angeborener oder in früher Kindheit erworbener Gehörlosigkeit, seit vielen Jahren ein Hörgerät benutzt, bei dem die abgestrahlten Schallpegel nicht niedriger sind als diejenigen, die bei einer Tätigkeit in Lärmbereichen auch bei Benutzung von Gehörschützern das Innenohr erreichen (Tages-Lärmexpositionspegel größer als 80 dB(A)), so kann ausnahmsweise von einer vorberuflichen Lärmbelastung ausgegangen werden und anstelle der Erstuntersuchung die erste Vorsorgeuntersuchung als Nachuntersuchung mit Vorbefunden nach Abschnitt 4 des Grundsatzes G 20 "Lärm" durchgeführt werden.

*) ehemals "Arzt für Phoniatrie und Pädaudiologie"

4.2 Tragen von Gehörschützern

Die Vorschriften zum Tragen von Gehörschutz gelten prinzipiell auch für den hier behandelten Personenkreis. Hiervon kann bei Gehörlosen und Gehörlosen mit nicht verwertbaren Hörresten abgewichen werden.

Die BG-Information "Ärztliche Beratung zum Gehörschutz" (BGI 823) ist zu beachten.

4.3 Tragen von Hörgeräten

Eingeschaltete Hörgeräte, egal welcher Bauart, verstärken nicht nur den "informationshaltigen Schall", sondern auch den Lärm am Arbeitsplatz. Die Qualität und die Intensität der Schallübertragung steigen unter anderem auch mit der bautechnischen Qualität der verwendeten Hörgeräte (digitales Hörgerät, Richtmikrofone).

Grundsätzlich gilt daher die Regel, Hörgeräte in Lärmbereichen möglichst nicht zu verwenden. Das gleiche gilt für Tätigkeiten, bei denen der personenbezogene Tages-Lärmexpositionspegel 85 dB erreicht oder überschreitet.

Sofern Hörgeräte zur Kommunikation mit anderen Personen bzw. zur Wahrnehmung von Warnsignalen notwendig sind, sollte für die Beratung ein HNO-Arzt hinzugezogen und für den Einzelfall entschieden werden. Das Risiko einer Hörverschlechterung steigt, falls nicht gleichzeitig die Benutzung von Gehörschutz möglich ist. Kapselgehörschützer können bei eingeschaltetem Hörgerät zu Rückkopplungseffekten führen. Es sollte geprüft werden, ob im konkreten Fall das Hörgerät einschließlich Ohrpassstück als Gehörschutz fungieren kann und ob die akustischen Filter des Hörgerätes für eine Minderung des nicht informationshaltigen Arbeitslärms gegebenenfalls bei gleichzeitiger Verbesserung der Sprachverständlichkeit verwendbar sind.

4.4 Förderungsmaßnahmen für behinderte Menschen

Der Arzt sollte vor allem für den Fall der arbeitsmedizinischen Beurteilung "dauernde gesundheitliche Bedenken" auch über mögliche staatliche Fördermöglichkeiten zur Unterstützung betrieblicher Aufwendungen informiert sein und diese im Betrieb zur Vermeidung einer Kündigung rechtzeitig ins Gespräch bringen. Diese staatlichen Förderungen werden nur für behinderte Menschen gewährt.

4.4.1 Behinderte Menschen

Gehörlose/ Schwerhörige gelten nur dann als behinderte Menschen, wenn der von den Versorgungsbehörden festgestellte Grad der Behinderung (GdB) 50 oder mehr beträgt. Der Grad der Behinderung wird durch einen Ausweis bescheinigt.


Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30, die infolge ihrer Behinderung kein geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten würden, können auf Antrag vom zuständigen Arbeitsamt behinderten Menschen gleichgestellt werden.

4.4.2 Förderungsmaßnahmen für Betriebe

Im Falle von "dauernden gesundheitlichen Bedenken" kann im Zusammenhang mit der Einstellung von behinderten Menschen, bzw. um eine drohende Kündigung zu vermeiden, die Schaffung neuer geeigneter Arbeitsplätze finanziell gefördert werden.

In der Regel sind vorher andere betriebliche Möglichkeiten zu prüfen: technische Maßnahmen der Lärmminderung am Arbeitsplatz, Möglichkeiten der Verringerung des personenbezogenen Tages-Lärmexpositionspegels, z.B. Lärmpausen, oder unter Umständen der völlige Arbeitsplatzwechsel. Eine damit verbundene behinderungsbedingte Minderung der Arbeitsleistung kann durch Zuschüsse ausgeglichen bzw. die Zusatzkosten für technische Maßnahmen oder notwendige Umschulungs- und Fortbildungskosten können bis zu 100 % übernommen werden.

Die Mittel stammen, ebenso wie mögliche Zuschüsse zum Arbeitsentgelt, aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (Auskunft erteilen die Integrationsämter bzw. das Arbeitsamt).

5 Literaturhinweise

Lazarus, H.; G. Lazarus-Mainka und M. Schubeius: Sprachliche Kommunikation unter Lärm. Ludwigshafen (Rhein) (1985). Übersichtsarbeit zur Verständlichkeit von Sprache in verdeckenden Umgebungsgeräuschen, auch zur Problematik der Sprachverständlichkeit im Lärm beim Tragen von Gehörschützern


Plath, P.: Das Hörorgan und seine Funktion. Berlin (1992). Enthält eine Zusammenfassung zu Hörgeräten und zur Hörgeräteanpassung

Schlorhaufer: Das hörgeschädigte Kind. In: Berendes, Link, Zöllner: HNOHeilkunde in Praxis und Klinik, Band 6, Ohr II, 49 bis 49.58, Stuttgart (1980). Zu physischen, sozialen und psychischen Problemen des Hörbehinderten

Arbeitsgemeinschaft der deutschen Hauptfürsorgestellen in Münster: Der Neue hört nicht. Münster (1994)

DGUV (Hrsg.):Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, Gentner Verlag, Stuttgart, 4. Auflage (2007)

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), Stand 25. November 2003

Behindertengleichstellungsgesetz, Stand 23. April 2004

Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung, Stand 6. März 2007

Unfallverhütungsvorschrift "Arbeitsmedizinische Vorsorge" (BGV A4) vom 1. Oktober 1984 in der Fassung vom 1. Oktober 1993. Carl Heymanns Verlag, Köln (1993)

BG-Information "Ärztliche Beratung zum Gehörschutz" (BGI 685), Carl Heymanns Verlag, Köln (1988).

BG-Information "Gehörschutz-Kurzinformation für Personen mit Hörverlust" (BGI 686).

BG-Regel "Eintz von Gehörschützern" (BGR 194), Carl Heymanns Verlag, Köln (1993)

DIN EN 457 "Sicherheit von Masinen; Akustische Gefahrensignale; Allgemeine Anforderungen, Gestaltung uni Prüfung" (ISO 7731, 1986 modifiziert), Beuth Verlag, Berlin (1992)

DIN EN 981 "Sicherheit von Maschinen; System akustischer und optischer Gefahrensignale und anderer Informationssignale", Beuth Verlag Berlin (1996)

Königsteiner Merkblatt - Empfehlungen des Hauptverbandes oder gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit. 4. Auflage, Sankt Augustin (1996)

6 Kontakte

www.integrationsaemter.de

BIH - Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen
Erzbergerstraße 119
76133 Karlsruhe
Tel.: 0721 / 8107-901 und -902
Fax: 0721 / 8107-903
E-Mail: bih@integrationsaemter.de
Gebärdensprachdolmetscher-Vermittlungszentralen der Landesverbände der Gehörlosen e.V.

.

Muster eines Formulars für die gutachterliche Bescheinigung der Taubheit ohne nutzbare Hörreste *)Anhang


Hals-Nasen-Ohren-Fachärztliche Feststellung einer Taubheit ohne nutzbare Hörreste

Bei Herrn, Frau

Name Vorname geb. am 
wohnhaft 
wurde durch (eine) Hals-Nasen-Ohrenfachärtzliche(n) Untersuchung(en)
am 
nach Ton- und Sprachaudiogramm eine Gehörlosigkeit ohne verwertbare Hörreste festgestellt.
Der Befund wurde durch objektive Hörprüfung, z.B. ERA, Prüfung der Otoakustischen Emissionen, bestätigt.
Untersuchungsarten Datum 
 
OTOSKOPIEBEFUND
RECHTSÄußerer GehörgangLINKSRECHTSTrommelfellLINKS
[ ]Unauffällig[ ][ ]Unauffällig[ ]
[ ]Sehr eng[ ][ ]Zentral defekt[ ]
[ ]Feucht[ ][ ]Randständig defekt[ ]
   [ ]Zustand nach Operation[ ]
   [ ]Nicht zu beurteilen[ ]
TONAUDIOGRAMM vom 
SPRACHAUDIOGRAMM vom 
Eine Verbesserung der Spracherkennung durch Hörgeräte ist möglich 
wurde versucht und ließ sich nicht erreichen  
Eine Gehörgefährdung durch Lärmeinwirkung ist bei dem/ der Versicherten nicht zu erwarten.
 
 
OrtDatum
Unterschrift und Stempel des Hals-Nasen-Ohrenarztes

*) Ein Formularsatz mit Einzelformularen ist im DIN A4-Format unter der Bestell-Nummer BGI 896-1 beim Carl Heymanns Verlag GmbH, Luxemburger Straße 449, 50939 Köln erhältlich


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