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Regelwerk, Bau, Hamburg
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BPD 2016-7 - Altes Planrecht
(Bauprüfdienst (BPD))
- Hamburg-

Vom 11. November 2016
(BSW/ABH21 7/2016 vom 15.11.2016)



Archiv: 1974-2, 1988-14, 2014-4, 2014-5

1. Gegenstand des Bauprüfdienstes

Bei der Genehmigung von baulichen Anlagen sind für weite Teile des hamburgischen Staatsgebietes noch Bebauungspläne alten Baurechts als sog. übergeleitete Bebauungspläne zu beachten, die nach den vor 1960 bestehenden gesetzlichen Regelungen zustande gekommen sind und die auch jetzt noch Gültigkeit haben. Im Zusammenhang mit diesen alten Bebauungsplänen gelten einige planungsrechtliche Vorschriften der Baupolizeiverordnung (BPVO) aus dem Jahr 1938 fort.

Ständige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis der letzten Jahrzehnte haben Vorschriften der BPVO aufgehoben, eingeschränkt bzw. neuausgelegt. Dieser Bauprüfdienst gibt einen Überblick über die derzeit gültigen Vorschriften und Auslegungen des alten Planrechts.

Der Bauprüfdienst 5/2014 ist nicht mehr anzuwenden.

Es wurden folgende Änderungen zum vorherigen BPD vorgenommen:

2. Rechtsgrundlagen

3. Rechtsqualität BPVO, RGaO

3.1. Anwendbarkeit der Baupolizeiverordnung (BPVO)

Folgende Vorschriften der BPVO gelten fort:

  § 10 Abs. 4, 6Baustufenpläne
§ 11 Abs. 1Bauweise und Umfang der Bebauung (Baustufentafel mit den rechtsgültigen Spalten
"1: Nutzungsgebiet",
"2: Zahl der Vollgeschosse",
"3: Bauweise",
"4: Stufenbezeichnung" und
"8: Bebaubare Fläche")
§ 13 Abs. 1, 3, 5Bau- und Straßenlinien
§ 14 Abs. 1-3Bebauung hinterer Grundstücke
§ 34 Abs. 1, 5Viehställe

3.2. Anwendbarkeit der Reichsgaragenordnung (RGaO)

Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung zur Aufhebung der RGaO als Bundesrecht ist jeder übergeleitete Bebauungsplan darauf zu prüfen, inwieweit die planungsrechtlichen Vorschriften der Reichsgaragenordnung Anwendung finden oder nicht.

3.2.1. Hintergrund

Die Reichsgaragenordnung vom 17.02.1939 (Verordnung über Garagen und Einstellplätze) enthielt bauordnungsrechtliche und planungsrechtliche Vorschriften. Mit Einführung der Hamburgischen Bauordnung am 10.12.1969 wurden die bauordnungsrechtlichen Vorschriften der RGaO insbesondere durch § 48 HBauO aufgehoben. Als Bundesrecht wurde sie durch Art. 2 Nr. 27 des Gesetzes über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I S.2191, 2236) aufgehoben, so dass nur noch die planungsrechtlichen Vorschriften der RGaO Anwendung fanden. Im Jahr 2008 hat das OVG Hamburg in einem Urteil klargestellt, dass auch die planungsrechtlichen Vorschriften der RGaO als Bundesrecht mit Erlass des Baugesetzbuches vom 08.12.1986 außer Kraft getreten sind.1

3.2.2. Anwendbarkeit der RGaO

Die Vorschriften der RGaO gelten nur noch dann, wenn in dem jeweiligen Bebauungsplan ausdrücklich auf die Anwendung der RGaO verwiesen worden ist. Dies ist der Fall, wenn ein übergeleiteter Bebauungsplan alten Rechts ausdrücklich textliche oder zeichnerische Hinweise (z.B. in Form von Festsetzung von Gemeinschaftseinstellplätzen oder -garagen) auf die Anwendung der RGaO enthält.

Eine Überprüfung aller Baustufenpläne durch das Amt für Bauordnung und Hochbau hat ergeben, dass in keinem Baustufenplan explizit im Text auf die RGaO verwiesen wird. Da die in den Baustufenplänen verwendeten Bezeichnungen nicht identisch mit den Bezeichnungen der RGaO sind, wird eine Anwendbarkeit der RGaO ausgeschlossen.

Eine Durchsicht aller Durchführungspläne hat stattdessen ergeben, dass diese zu ca. 95% einen ausdrücklichen Hinweis auf die RGaO enthalten, so dass bei Durchführungsplänen die RGaO weiterhin anzuwenden ist. Es gelten folgende planungsrechtliche Vorschriften der RGaO in Teilen fort:

§ 10, S.2Gemeinschaftsanlagen
§ 11Zulässigkeit in den Baugebieten 2
§ 12Ausnutzung der Grundstücke 3
§ 13Anordnung der Einstellplätze u. Garagen auf Grundstücken 4

3.2.3. Vorgehen bei Nichtanwendbarkeit der RGaO

Für die Zulässigkeit einer Fläche als Stellplatzanlage ist hinsichtlich der Bestimmung der Art der Nutzung ein Rückgriff auf § 11 RGaO nicht erforderlich. Zur Konkretisierung der zulässigen Nutzungsart ist stattdessen die BauNVO als Auslegungshilfe heranzuziehen. So gehören z.B. gemäß § 12 Abs. 2 BauNVO offene Stellplätze für ein Mehrfamilienhaus zu den im Wohngebiet zulässigen Nutzungen.

§ 11 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 RGaO sowie § 13 Abs. 1 RGaO trifft im Hinblick auf das Störpotenzial von Stellplätzen und Garagen besondere nachbarschützende Regelungen. Zur Abwehr unzumutbarer Störungen ist bei der Beurteilung des Vorhabens im Geltungsbereich einfacher Bebauungspläne auf das Erfordernis des Sich-Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB bzw. im Geltungsbereich qualifizierter Bebauungspläne auf das Rücksichtnahmegebot nach § 15 Abs.1 BauNVO abzustellen.

§ 12 RGaO privilegiert Stellplätze und Garagen hinsichtlich der Ausnutzung von Flächen, u.a. werden offene Stellplätze als unbebaute Fläche bzw. Garagen in Gebieten der offenen Bauweise unter Einhaltung bestimmter Kriterien nicht der bebaubaren Fläche hinzugerechnet. Die Aufhebung der RGaO und der dadurch bedingte Wegfall der o.g. Privilegierungstatbestände soll nicht zu einer verschlechterten Ausnutzung der bebaubaren Fläche nach § 11 BPVO führen (siehe hierzu Ziff. 6.1.3, Anrechnung von Nebenanlagen).

4. Übergeleitete Bebauungspläne

4.1. Baustufenpläne

Baustufenpläne wurden auf Grundlage der Bauregelungsverordnung vom 15.02.1936 (BauRegVO 1936) und der Baugestaltungsverordnung vom 10.11.1936 (BauGestVO 1936) erlassen. Sie wurden gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 übergeleitet und gelten fort, soweit sie nicht durch neuere Bebauungspläne außer Kraft gesetzt wurden.

Schwerpunktmäßig wurden Baustufenpläne Anfang der 1950Jahre erlassen. Sie überdeckten fast lückenlos das gesamte Stadtgebiet Hamburgs. Der Planbereich eines Baustufenplans ist großflächig angelegt, er gilt jeweils für einen oder mehrere Stadtteile. Trotz sukzessiver Überplanung durch neuere Bebauungspläne stellen Baustufenpläne auch heute noch für etwa die Hälfte des Stadtgebiets die alleinige planungsrechtliche Grundlage dar.

Baustufenpläne enthalten regelmäßig Festsetzungen zur Art und Maß der Nutzung sowie zur Bauweise. Mittels der Baustufentafel in § 11 BPVO ergibt sich zwar regelhaft das Maß der bebaubaren Grundstücksfläche, mangels Festsetzung von Baulinien oder -grenzen enthalten Baustufenpläne aber keine Regelung zur überbaubaren Grundstücksfläche. Es werden auch keine Festsetzungen über örtliche Straßenverkehrsflächen (somit auch keine Straßenlinien, siehe § 13 BPVO) getroffen. Deshalb sind Baustufenpläne keine qualifizierten Bebauungspläne im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB, sondern einfache Bebauungspläne nach § 30 Abs. 3 BauGB. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich dann (nur) hinsichtlich der Beurteilung der örtlichen Verkehrsflächen und der überbaubaren Grundstücksfläche nach § 34 Abs. 1 BauGB, sofern der Baustufenplan nicht durch einen anderen einfachen Bebauungsplan wie z.B. Teilbebauungsplan, der entsprechende Festsetzungen enthält, zu einem qualifiziert überplanten Bebauungsplan ergänzt wird.

4.2. Teilbebauungspläne

Teilbebauungspläne wurden regelhaft zwischen 1927 und 1961 auf Grundlage des Bebauungplangesetzes von 1923 (BPlanG 1923) erlassen.

Bereits 1892 wurde ein Bebauungsplangesetz "betreffend den Bebauungsplan für die Vororte auf dem rechten Elbufer" erlassen: 5 Das Gesetz stellte den Vorläufer des Bebauungplangesetzes von 1923 dar, es war allerdings räumlich begrenzt auf den Bereich des rechten Elbufers. Auf dieser Grundlage entstanden im Bereich der heutigen Bezirkämter Hamburg-Nord und Eimsbüttel erste Bebauungspläne (z.B. TB-Plan Hohenfelde von 1903).

Die Fortgeltung der Teilbebauungspläne ergibt sich aus § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960.

Teilbebauungspläne enthalten nur wenige Regelungen. Durch sie wurden vorrangig Bau- und/oder Straßenlinien in Hinsicht auf überbaubare und nicht überbaubare Grundstücksflächen festgesetzt. Darüber hinaus enthalten einige Teilbebauungspläne durchaus auch weitergehende Festsetzungen, die verbindlich übergeleitet worden sind. Dazu gehören Festsetzungen über Flächen wie "von jeglicher Bebauung freizuhaltende Fläche", "neue Straßenfläche" oder "neue Fläche für besondere Zwecke" mit ergänzenden Angaben wie z.B. Jugendheim, Sportplatz, Schulfläche. Solche Angaben sind verbindlich übergeleitete Festsetzungen.

Teilbebauungspläne sind einfache Bebauungspläne gemäß § 30 Abs.2 BauGB, die im Zusammenhang mit Baustufenplänen ein Gebiet im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB qualifiziert überplanen können.

4.3. Fluchtlinienpläne

Fluchtlinienpläne wurden aufgrund des Preußischen Fluchtliniengesetzes von 1875 (PrFluchtlinienG 1875) erlassen und gelten gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 als Bebauungspläne fort. Allerdings sind nur solche Fluchtlinienpläne rechtswirksam, die ausdrücklich den Vermerk "förmlich festgestellt" tragen. 6

Fluchtlinienpläne wurden ausschließlich in den ehemals zu Preußen gehörenden Stadtteilen (u.a. Altona, Wandsbek, Eimsbüttel, Harburg, Wilhelmsburg) bis zur Eingemeindung ins Hamburgische Stadtgebiet 1938 erlassen. Sie enthalten wie Teilbebauungspläne nur wenige Festsetzungen zu Bauflucht - und/oder Straßenfluchtlinien. Fluchtlinienpläne sind einfache Bebauungspläne gemäß § 30 Abs.2 BauGB.

Entgegen der lange Zeit vertretenden Ansicht hat das OVG Hamburg in seiner neuesten Rechtsprechung nunmehr festgestellt, dass die in den Fluchtlinienplänen festgesetzten Baufluchtlinien keine vordere Baulinien im Sinne von § 13 Absatz 1 BPVO sind. Deshalb ist ein Fluchtlinienplan nicht geeignet, zusammen mit einem Baustufenplan einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne des § 30 Absatz 1 BauGB zu bilden. 7

Viele Fluchtlinienpläne sind im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden, z.B. sind sämtliche Fluchtlinienpläne des ehemaligen preußischen Stadtkreises Wandsbek 1943 verbrannt, Kopien der Pläne existieren nicht.

In folgenden Bereichen existieren noch heute rechtsgültige Fluchtlinienpläne:

4.4. Durchführungspläne

Durchführungspläne wurden aufgrund des Hamburgischen Aufbaugesetzes von 1949 bzw. 1957 (AufbauG 1949 bzw. 1957) erlassen und gelten gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 als Bebauungspläne fort.

Große Teile Hamburgs wurden im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe zerstört. Um möglichst schnell das zerstörte Stadtgebiet wieder aufzubauen, wurden in der Zeit von 1951-61 Durchführungspläne erlassen, die aus dem jeweils maßgeblichen Aufbauplan von 1950 bzw. 1960, dem Vorläufer des heutigen Flächennutzungsplan Hamburgs, entwickelt wurden. In der Regel wurden Durchführungspläne dann aufgestellt, wenn die Festsetzungsmöglichkeiten der Baustufenpläne und Teilbebauungspläne nicht ausreichten, z.B. um grundlegende Bodenordnungsmaßnahmen oder bestimmte Baugebote umzusetzen. Zu den Durchführungsplänen existieren textliche Erläuterungen, die neben der Begründung der Planziele auch Angaben zur Bodenordnung und der Zeitfolge machen. Das Plangebiet ist oftmals sehr klein und umfasst nur einen oder mehrere Straßenblocks.

Durchführungspläne enthalten Festsetzungen zur Art der Nutzung, zum Maß der Nutzung sowie zur Bauweise nach § 10 ff. BPVO und darüber hinaus Festsetzungen über Straßenverkehrsflächen. Infolgedessen sind Durchführungspläne qualifizierte Bebauungspläne im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB.

5. Art der Nutzung (§ 10 Abs. 4 BPVO)

5.1. Allgemeines

Die BPVO unterscheidet in § 10 Abs. 4 fünf Baugebiete hinsichtlich ihrer Art der Nutzung:

Darüber hinaus kannte die BPVO das sog. Außengebiet als Landfläche außerhalb der innerstädtischen Baugebiete, das landwirtschaftlichen, gewerblich gärtnerischen und forstwirtschaftlichen Nutzungen sowie zur Erholung diente.

5.1.1. Anwendbarkeit der aktuellen BauNVO

Zur Beurteilung der nach § 10 Abs. 4 BPVO im Baugebiet zulässigen Nutzungen können die Vorschriften der BauNVO grundsätzlich herangezogen werden. 8 Bei der Auslegung übergeleiteter Bebauungspläne kann die BauNVO Anhaltspunkte für die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geben, mit denen die Zweckbestimmung eines Baugebiets (z.B. Auslegung des Begriffs "den Wohnbedürfnissen dienen") allgemein festgelegt wird. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind offen für ein sich dem Wandel der Lebensverhältnisse anpassendes Verständnis.

Die BauNVO ist insoweit eine Auslegungshilfe, um zu erfassen, was nach heutigen Maßstäben im vergleichbaren Gebiet nach BauNVO zulässig bzw. ausnahmsweise zulässig ist. Allerdings können die Baugebietskategorien der BauNVO nicht pauschal übertragen werden (5 Baugebiete nach BPVO, 11 Gebiete nach BauNVO). Es ist zunächst jeweils auf die Zweckbestimmung des jeweiligen Gebiets nach BPVO abzustellen, um dann im zweiten Schritt zu ermessen, inwieweit die Zweckbestimmung auf ein Gebiet der BauNVO hinsichtlich der allgemein zulässigen Vorhaben übertragbar ist. Ist die Eigenart des Gebiets vergleichbar, dürfen die Gebietsvorschriften der BauNVO zur weiteren Auslegung herangezogen werden. Ferner können auch bisher nicht absehbare Nutzungsvarianten der zulässigen Nutzung ggf. ohne planungsrechtliche Befreiung zugelassen werden, wenn sie den in den Baugebieten nach BauNVO zulässigen Nutzungsarten entsprechen und nach § 15 BauNVO mit ihrem Umfeld verträglich sind. Insofern spricht die Rechtsprechung von einer "dynamischen" Auslegung der Begriffe im Sinne einer Anpassung an gewandelte Lebensverhältnisse, um übergeleitete Bebauungspläne noch als geeignete Planungsgrundlage gelten zu lassen. 9

5.1.2. Ausnahme / Befreiung nach § 31 BauGB

Die BPVO sah in § 10 Abs. 9 die Erteilung einer Ausnahme von den Bestimmungen im Baustufenplan vor. Diese Regelung hat mit dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes und der Überleitung alter Bebauungspläne im Jahre 1960 ihre Gültigkeit verloren, so dass die Erteilung einer Ausnahme nach BPVO rechtlich nicht mehr möglich ist. 10

Wenn man die BauNVO zur Auslegung der Gebietsvorschriften der BPVO heranzieht, ist darauf zu achten, dass Vorhaben, die in den Baugebieten nach BauNVO ausnahmsweise zulässig sind, nicht im Ausnahmeweg nach BPVO zugelassen werden können. Bei diesen Vorhaben ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Vorhaben im Baugebiet nach BPVO als allgemein zulässig oder als unzulässig eingestuft wird. Wenn das Vorhaben sich nicht in die Eigenart des Gebiets einfügt und deshalb formal als unzulässig eingestuft wird, kann das Vorhaben nur mittels einer planungsrechtlichen Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB genehmigt werden.

Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist bei allen übergeleiteten Plänen möglich, sofern im Einzelfall die Voraussetzungen für die Erteilung der Befreiung gegeben sind.

5.1.3. Funktionslosigkeit von Plänen (Obsolet)

Eine Festsetzung wird funktionslos, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Entscheidend dabei ist, ob die Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung einen sinnvollen und wirksamen Beitrag im Sinne der Steuerung der städtebaulichen Entwicklung zu leisten oder ob die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und offenkundig abweichen, dass der übergeleitete Bebauungsplan seine städtebauliche Gestaltungsfunktion nicht mehr erfüllen kann. 11

Die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans ist einer der wenigen Fälle, in denen der Bebauungsplan ohne eine Erklärung eines Gerichts, des Gesetzgebers oder der Verwaltung unwirksam wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Inhalt des Plans städtebaulich sinnvoll war oder noch ist. Es kommt nur darauf an, dass die Verwirklichung des Inhalts für jedermann offensichtlich ausgeschlossen ist. Das kann seine Ursache in einer planabweichenden tatsächliche bauliche Entwicklung in dem Baugebiet haben, aber auch in gesellschaftlichen Entwicklungen, die eine Verwirklichung bestimmter Nutzungsarten (z.B. Kleinsiedlungsgebiet) ausschließt, weil sie - zumindest auf städtischen Grundstücken - nicht mehr nachgefragt wird.

5.1.4. Zeichnerische Darstellung in Baustufenplänen

In Baustufenplänen sind Baugebiete größtenteils baublockweise ausgewiesen. Dazu sind die einzelnen Baublöcke sowohl in der entsprechenden Farbe des Baugebiets

als auch mit der entsprechenden Kurzformel der Baustufentafel gekennzeichnet: der Buchstube für das Gebiet, die Zahl der Vollgeschosse und die Art der Bauweise (z.B."W4g").

Dabei sind auch Planzeichnungen in alten Bebauungsplänen der Auslegung zugänglich. Wenn der objektive Wille des Plangebers eindeutig ermittelbar ist und eine Stütze in der Planzeichnung und/oder den textlichen Festsetzungen findet, führen auch nicht exakt mit den Bezeichnungen der BPVO übereinstimmende Festsetzungen (z.B. Bezeichnung "Industriefläche" statt "Industriegebiet") oder von der Legende abweichende Planzeichnungen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Festsetzung oder des Plans 12.

Das VG Hamburg 13 hielt zwar in einem Einzelfall eine Festsetzung eines Baustufenplans für unwirksam, weil sie (nur) in dem betroffenen Baublock nicht mit der Legende übereinstimmte (der Buchstabe "I" fehlte hier in einer grauen Fläche). Nach Einschätzung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen ist dieser rein formalen Bewertung nicht zu folgen, wenn trotz Abweichungen zwischen Legende und Planzeichnung auf andere Weise der objektive Wille des Plangebers ermittelt werden kann.

5.1.5. Zeichnerische Darstellung in Durchführungsplänen

In vielen Durchführungsplänen wird die Art der Nutzung regelhaft durch die zeichnerische Festsetzung auf eine "Baufensterfläche" beschränkt, die klar durch Baugrenzen oder Baulinien definiert wird, z.B. die für die 1960iger Jahre städtebaulich typischen, riegelartigen Ausweisungen für den Wohnungsbau.

In diesen Fällen ist die Baugebietsausweisung tatsächlich auf die "Baufensterfläche" beschränkt. Es handelt sich hierbei um sog. Baukörperausweisungen, die als zwingende Festsetzungen einzustufen sind. Hieraus kann sich ein von der Baustufentafel (§ 11 BPVO) abweichender Wert für die zulässig bebaubare Fläche ergeben. Darüber hinaus haben gemäß § 6 Abs. 8 HBauO diese zwingenden Festsetzungen, die ggf. eine andere Bemessung der bauordnungsrechtlich erforderlichen Abstandsfläche ergeben, Vorrang. Dies bedeutet, falls die Baukörperausweisung zu einer Unterschreitung der erforderlichen Abstandsflächen nach § 6 HBauO führen sollte, ist diese Abweichung bereits durch den Plan abgewogen. Folglich ist bei Einhaltung der Baukörperausweisungen kein gesonderter Nachweis der Abstandsflächen erforderlich.

Sofern ein Gebäude abweichend von der Baugrenze bzw. Baulinie auf der umliegenden, farblich nicht eingefärbten Grundstücksfläche errichtet werden soll, ist sowohl eine planungsrechtliche Befreiung für die Nichteinhaltung der Baugrenze oder Baulinie als auch eine planungsrechtliche Befreiung von der Art der Nutzung erforderlich, sofern in den textlichen Erläuterungen zum Durchführungsplan eine Festsetzung zur Nutzung der farblich nicht eingefärbten Grundstücksfläche festgelegt worden ist (z.B. Festsetzung, dass die nicht bebaubaren Grundstücksflächen gärtnerisch anzulegen und zu unterhalten sind). Wenn außerhalb des Baufensters die farblich nicht eingefärbte Grundstücksfläche durch keine textliche Festsetzung näher bestimmt wird, ist insoweit § 34 BauGB anzuwenden, weil der B-Plan insoweit keine Festsetzungen zur Art der Nutzung enthält.

5.2. Kleinsiedlungsgebiet S

5.2.1. Zweckbestimmung

Grundstücke im Kleinsiedlungsgebiet sind für "nichtbäuerliche Siedlerstellen mit einem Haushalt und vorwiegend gartenbaumäßiger Nutzung" bestimmt. Nach Definition der Rechtsprechung ist eine Siedlerstelle aufgrund der Größe, Bodenbeschaffenheit und Einrichtung dazu geeignet, dass sich der Kleinsiedler aus der vorwiegend gartenbaumäßigen Nutzung des Grundstücks größtenteils selbstversorgen kann und dadurch eine fühlbare Ergänzung seines sonstigen Einkommens erhält. 14

5.2.2. Rechtsgültigkeit

Diese Zweckbestimmung der gartenbaumäßigen Nutzung des Grundstücks zur Selbstversorgung trifft für die überwiegende Zahl der nach BPVO ausgewiesenen Kleinsiedlungsgebiete nicht mehr zu. In den baulich verdichteten Gebieten Hamburgs findet aufgrund gewandelter Bedürfnisse der Bevölkerung schon seit Jahrzehnten kein Gartenbau und keine Landwirtschaft mehr in der Form statt, die Grundstückseigentümer zur fühlbar ergänzenden Selbstversorgung betreiben müssten: der Anbau von Blumen, Obst und Gemüse auf Grundstücksteilflächen ist weniger Ersatz für Einkommen als vielmehr Ausdruck von Hobby und Gartenliebhaberei. Es zeichnet sich nicht ab, dass sich dieser Zustand in absehbarer Zeit ändern wird, so dass die Festsetzung als Kleinsiedlungsgebiet in der überwiegenden Zahl der ausgewiesenen Gebiete funktionslos (obsolet) geworden ist. Entsprechend haben in der Vergangenheit die hamburgischen Verwaltungsgerichte die Ausweisung von Kleinsiedlungsgebieten einzelfallbezogen für unwirksam erklärt.

5.2.3. Vorgehen

Bevor jedoch pauschal von der Funktionslosigkeit der Festsetzung Kleinsiedlungsgebiet ausgegangen wird, ist in jedem Einzelfall z.B. durch Ortsbesichtigungen, Flurkarten oder Luftaufnahmen zu prüfen, ob das Gebiet tatsächlich nicht mehr als Kleinsiedlungsgebiet wie oben geschildert genutzt wird.

Sofern die Festsetzung Kleinsiedlungsgebiet als funktionslos erachtet wird, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB. In der Regel wird sich das Kleinsiedlungsgebiet zu einem Wohngebiet entwickelt haben.

Zusammen mit der Gebietsausweisung werden auch die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (Zahl der Vollgeschosse), die Bauweise und die bebaubare Fläche obsolet, denn diese Festsetzungen sind die zwingende Folge aus der Ausweisung als Kleinsiedlungsgebiet aufgrund der Baustufentafel in § 11 BPVO.

5.3. Wohngebiet W

5.3.1. Zweckbestimmung

Nach § 10 Abs. 4 BPVO Wohngebiet "W" Satz 1 BPVO dienen die Grundstücke "Wohnbedürfnissen". Die Wohnnutzung soll das Baugebiet entscheidend prägen, allerdings ist der Begriff "Wohnbedürfnisse" weit auszulegen. Er schließt nicht nur Nutzungen ein, die ihrer Art nach Wohnen sind, sondern auch solche Nutzungen, die in einem Wohngebiet allgemein erwartet werden bzw. mit ihm verträglich sind.

Zur Konkretisierung der nach heutigem Maßstab zulässigen Nutzungsarten im Wohngebiet kann die BauNVO in der jeweils aktuellen Fassung als Anhaltspunkt herangezogen werden, insbesondere die § 3 und 4 BauNVO. Die Vorschriften der BauNVO bringen regelhaft zum Ausdruck, was nach allgemeinem Verständnis für die Wohnnutzung in bestimmten Gebieten über die eigentliche Wohnnutzung hinaus als dazugehörig oder jedenfalls als verträglich anzusehen ist. 15

5.3.2. Zulässige Nutzungen im Wohngebiet

§ 10 Abs. 4 BPVO Wohngebiet "W" Satz 2 BPVO definiert die Nutzungen, die der Verordnungsgeber im Jahr 1938 als allgemein zulässig im Wohngebiet ansah. Auf Genehmigung dieser Nutzungen ("kleinere Läden, kleine nicht störende handwerkliche Betriebe, Wirtschaften") besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch.

Die Erteilung einer Ausnahme nach BPVO ist rechtlich nicht möglich 16, deshalb können Vorhaben, die z.B. nach § 4 Abs. 3 BauNVO (Allgemeines Wohngebiet) ausnahmsweise zulässig sind, nicht im Ausnahmeweg nach BPVO zugelassen werden. Die Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass einige der in § 4 Abs. 3 BauNVO aufgeführten Nutzungstypen auch in Wohngebieten nach § 10 Abs. 4 BPVO als allgemein zulässig anzusehen sind. Das gilt aber nur für die Nutzungen die den Wohnbedürfnissen im Sinne der BPVO dienen, weil sie Wohnen sind, wohnähnlich sind oder mit dem Wohnen verträglich sind. Die Nutzungen müssen nicht zwingend der Versorgung des Gebiets dienen, solange sie von ihrem Störpotential gebietsverträglich sind.

Eine pauschale Übertragung der in § 4 Abs. 3 BauNVO aufgeführten Nutzungstypen der BauNVO ist nicht möglich. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob das Vorhaben im Wohngebiet nach BPVO als allgemein zulässig oder als unzulässig eingestuft wird.

5.3.3. Allgemein zulässige Nutzungen

Nach § 10 Abs. 4 BPVO sind im Wohngebiet kleinere Läden für die Bedürfnisse der Anwohner zulässig. Aufgrund des Strukturwandels im Lebensmitteleinzelhandel werden solche kleinere Läden im Sinne von "Tante-Emma-Läden" kaum mehr errichtet. Ein Festhalten an dieser Größenordnung würde dazu führen, dass in einem Wohngebiet "W" keine der Versorgung des Gebietes dienenden Läden mehr eröffnen würden. Deshalb ist der Begriff "kleinerer Laden" weit auszulegen: ein Lebensmitteleinzelhandel als Vollsortimenter ist bis zu 800 m2 Verkaufsfläche (Grenze zum großflächigen Einzelhandel) in "W" zulässig. 17

Diese Anlagen müssen nicht zwingend der Versorgung des Gebiets dienen. Die allgemeine Zulässigkeit von Vorhaben findet allerdings ihre Grenze in § 15 Abs. 1 BauNVO (Rücksichtnahmegebot). Es hängt entscheidend von dem jeweiligen Störungsgrad des Vorhabens ab, ob es mit der Eigenart des Gebiets noch vereinbar oder unzumutbar ist.

Kleine Betriebe des Beherbergungsbetriebes sind allgemein zulässig, da sie nach allgemeinem Verständnis mit einer Wohnnutzung als verträglich angesehen werden. 18 Diese Betriebe dürfen selbst in einem reinen Wohngebiet nach BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden. Es ist maßgeblich zu prüfen, inwieweit sich der Betrieb nach Erscheinungsform, Betriebsführung und Zahl der Benutzer unauffällig in das Wohngebiet einordnet, wobei dem Schutz der Wohnruhe besondere Bedeutung zukommt. Die Bettenanzahl ist ein geeignetes Kriterium zur Beurteilung des Störpotenzials, aber keine zwingende Größe. Abhängig von der umgebenden Wohnbebauung kann die Anzahl der Personen eines voll besetzten Reisebusses (ca. 40 Personen) eine maximale Obergrenze für einen kleineren Beherbergungsbetrieb darstellen.

Freie Berufe und solche Gewerbetreibende, die ihren Beruf in ähnlicher Art in Räumen ausüben, sind im Wohngebiet "W" allgemein zulässig. Die Regelung des § 13 BauNVO zu den freien Berufen ist sinngemäß auch auf Wohngebiete nach BPVO anwendbar (siehe dazu auch BPD 1/2009, darin beispielhafte Liste der freien und ähnlichen Berufe sowie Grenzen der Zulässigkeit).

Kleine, nicht störende Gewerbebetriebe, insbesondere solche, die den Bedürfnissen der Anwohner dienen, sind als allgemein zulässig einzustufen, soweit ihr Störungsgrad als wohngebietsverträglich angesehen wird. Dazu zählen z.B. Copyshops, Sonnenstudios, Reisebüros, Dentallabore etc.

Kleine, dezentrale Anlagen der Verwaltung wie z.B. die Filiale einer Betriebskrankenkasse sind als allgemein zulässig einzustufen.

Eine Mobilfunkantenne als fernmeldetechnische Nebenanlage ist allgemein zulässig, wenn sie der Versorgung des Wohngebiets dient und eine für ein Wohngebiet typische Reichweite aufweist (Versorgungsbereich ca. 500 m). 19

5.3.4. Schutzklausel "besonders geschütztes Wohngebiet"

Nach § 10 Abs. 4 BPVO Wohngebiet "W" Satz 3 können für Teile des Gebiets besondere Vorschriften zum Schutz des Wohnens getroffen sein, z.B. kann jede Art von gewerblichen und handwerklichen Betrieben sowie Läden und Wirtschaften ausgeschlossen sein.

Diese Festsetzungen für ein "besonders geschütztes Wohngebiet" erschaffen kein eigenständiges Baugebiet. Eine Unterscheidung in zwei eigenständige Baugebiete analog zur BauNVO in "Reines Wohngebiet" (§ 3 BauNVO) und "Allgemeines Wohngebiet" (§ 4 BauNVO) kann aus § 10 Abs. 4 BPVO nicht herausgelesen werden. Deshalb stellen die Festsetzungen zum Schutz des Wohngebiets nach Satz 3 lediglich eine Schutzklausel dar - mit der Konsequenz, dass eine solche Schutzklausel nicht automatisch die pauschale Zuordnung des Wohngebiets zu § 3 BauNVO (Reines Wohngebiet) gegenüber § 4 BauNVO (Allgemeines Wohngebiet) rechtfertigt. 20

Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Schutzklausel ein derartiges Ausmaß an Schutzbedürftigkeit erzeugt, das dem Reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO vergleichbar ist. Erst wenn diese besondere Schutzbedürftigkeit bejaht wird, ist ausschließlich § 3 BauNVO für die weitere Auslegung maßgeblich anzuwenden.

Beispiel: Der Betrieb einer gewerblich betriebenen Kunstgalerie mit einem überörtlich tätigen Kunsthandel dient nicht den "Wohnbedürfnissen" in einem besonders geschützten Wohngebiet, in dem jegliche Art gewerblicher und handwerklicher Betriebe sowie Läden ausgeschlossen sind. Ein derartiger Betrieb wäre auch in einem reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 3 BauNVO nicht im Wege einer Ausnahme zulässig. 21

Sofern ein Vorhaben zugelassen werden soll, das per Schutzklausel ausgeschlossen ist, ist eine planungsrechtliche Befreiung erforderlich. Ob eine Befreiung von der Art der Nutzung mit den Grundzügen der Planung vereinbar ist, kann nicht allein mit Blick auf das betroffene Grundstück beurteilt werden. Es sind stets die möglichen Folgewirkungen für die weiteren Grundstücke im Baugebiet zu berücksichtigen.

5.3.5. Zweiwohnungsklausel, Mindestgrundstücksgröße

In Baustufenplänen sind oftmals Gebäude mit nicht mehr als 2 Wohnungen entweder flächendeckend oder nur für besonders abgegrenzte schutzwürdige Bereiche ausgewiesen (sog. 2-WE-Klausel). Ebenso häufig sind Mindestgrößen für Grundstücke entweder flächendeckend oder für abgegrenzte Bereiche festgesetzt.

Die Ausweisung dieser einschränkenden Festsetzungen in Bezug auf die Wohnungsanzahl bzw. die Grundstücksgröße sind in den Fällen, in denen sie flächendeckend ohne nähere Spezifikation für den gesamten Baustufenplan festgesetzt wurden, seitens der Rechtsprechung für unwirksam erklärt worden. Rechtskraft haben solche Regelungen lediglich in den Fällen, in denen sie sich auf besonders abgegrenzte schutzwürdige Bereiche bezieht.

Die Festsetzung von Mindestgrundstücksgrößen - auch zusammen mit der Festsetzung von Einzel- und Doppelhäusern - bedeutet keine Beschränkung der Gebäudeanzahl auf einem Grundstück. Beschränkungen ergeben sich allenfalls aus der Einhaltung der zulässig bebaubaren Fläche gemäß § 11 Abs. 1 Spalte 8 BPVO (Baustufentafel).

5.4. Mischgebiet M

5.4.1. Zweckbestimmung

Gemäß § 10 Abs. 4 BPVO dienen Grundstücke im Mischgebiet vorwiegend Wohnzwecken. Neben dem Wohnen erklärt Satz 2 der Vorschrift regelhaft gewerbliche und landwirtschaftliche Betriebe, Läden, Lagerräume, Lagerplätze und dergleichen für zulässig, wenn durch sie keine erheblichen Nachteile oder Belästigungen für die Bewohner oder die Allgemeinheit entstehen.

Der Gebietscharakter des Mischgebiets "M" nach BPVO wird durch seine allgemeine Zweckbestimmung, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, eingrenzend bestimmt. Es handelt sich ungeachtet der Bezeichnung "Mischgebiet" um ein modifiziertes Wohngebiet. 22 Insoweit ist das Mischgebiet "M" nach BPVO nicht in jeder Hinsicht mit dem Mischgebiet "MI" nach § 6 BauNVO vergleichbar. Beim Mischgebiet "MI" nach § 6 BauNVO stehen Wohnen und nicht störende Gewerbebetriebe gleichgewichtig und gleichwertig nebeneinander.

Darüber hinaus sind im Mischgebiet "M" auch Nutzungen wie landwirtschaftliche Betriebe und Lagerplätze zulässig, die nach der Baugebietstypologie der BauNVO nicht dem Mischgebiet "MI" (§ 6 BauNVO) sondern dem Dorfgebiet (§ 5 BauNVO) bzw. dem Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) und dem Industriegebiet (§ 9 BauNVO) zugeordnet sind.

Das breite Nutzungsspektrum des Mischgebiets resultiert daraus, dass die BPVO für die Unterbringung von Betrieben außerhalb des Mischgebiets nur das Geschäftsgebiet und das Industriegebiet kennt.

Maßstab für die Zulässigkeit eines Vorhabens im Mischgebiet ist das Baugebiet, nicht das einzelne Grundstück (gebietsbezogenes Mischungsverhältnis von Wohnen und Gewerbe). Grundsätzlich soll jedes Grundstück im Mischgebiet für jede der möglichen Nutzungsarten in Betracht kommen: d.h. auf einem Grundstück ist sowohl eine Wohnnutzung als auch eine gewerbliche Nutzung als auch beide Nutzungen zusammen möglich.

Oftmals konzentrieren sich Nutzungstypen auf bestimmte benachbarte Grundstücke, z.B. wird ein Straßenblockbereich fast ausschließlich gewerblich genutzt. Solange diese monostrukturierten Bereiche - gemessen an der Gesamtgröße des Mischgebiets - kleinflächig bleiben, wird die Mischgebietsausweisung nicht funktionslos.

5.4.2. Störungsgrad eines gewerblichen Vorhabens

Da das Mischgebiet vorrangig dem Wohnen dient, sollen sich das Wohnen und die anderen Nutzungen zu einem wohnverträglichen Miteinander verbinden. Bei der maßgeblichen Frage, ob ein gewerbliches Vorhaben die Bewohner oder die Allgemeinheit erheblich stört, ist eine typisierende, generalisierende Betrachtungsweise geboten.

Dies bedeutet, bei der Beurteilung des Störungsgrades ist nicht auf die konkreten Begebenheiten des Einzelfalls einzugehen wie z.B. die Art der vorhandenen Bebauung in der Nachbarschaft oder die Vorbelastung der Umgebung durch Verkehrslärm o.ä., sondern entscheidend ist die allgemeine Situation des Baugebiets und ob das Vorhaben generell geeignet ist, das Wohnen im Mischgebiet erheblich zu stören oder nicht. Gegenstand der Betrachtung sind die Auswirkungen, die typischerweise von einem Vorhaben der beabsichtigten Art ausgehen, insbesondere von seinem räumlichen Umfang und der Größe seines betrieblichen Einzugsbereiches, der Art und Weise der Betriebsvorgänge, dem vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr sowie der zeitlichen Dauer dieser Auswirkungen und deren Verteilung auf Tages- und Nachtzeiten. 23

Die grundsätzlich gebotene Typisierung findet dort ihre Grenze, wo ein Gewerbebetrieb vom branchentypischen Erscheinungsbild abweicht (Atypik). 24 Wenn beispielsweise ein Gewerbebetrieb nach der generellen Betrachtungsweise ein erhebliches Störpotenzial aufweist, dies jedoch durch bauliche bzw. betriebliche Vorkehrungen oder behördliche Auflagen auf ein erträgliches Maß reduziert und seine Gebietsverträglichkeit durch diese Maßnahmen zuverlässig und dauerhaft gewährleistet ist, ist das Vorhaben ohne Erteilung einer Befreiung genehmigungsfähig. Die Notwendigkeit einer Befreiung besteht erst dann, wenn das Vorhaben nicht atypisch und deshalb gebietsunverträglich ist, dennoch aber aufgrund besonderer Umstände in diesem Einzelfall zugelassen werden kann.

5.4.3. Maßgeblicher Immissionsrichtwert nach TA Lärm

Das Wohnen im Mischgebiet nach BPVO beansprucht einen höheren Lärmschutz als das Wohnen im Mischgebiet nach § 6 BauNVO. Den maßgeblichen Immissionsrichtwert nach TA Lärm für ein Mischgebiet "M" nach BPVO hat die Rechtsprechung durch Bildung eines Zwischenwertes zwischen den für ein Allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO und den für ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO geltenden Immissionsrichtwerten mit insgesamt 58 dB (A) tagsüber ermittelt. Der Wert von 58 dB(A) bringt die wechselseitigen Pflichten zur Rücksichtnahme der Nutzungen im Mischgebiet nach BPVO angemessen in Einklang. 25 In Analogie zur Erhöhung des Tages-Immissionsrichtwertes um 3 dB (A) ist nachts ein Immissionsrichtwert von 43 dB (A) einzuhalten.

Aufgrund der allgemein zulässigen Nutzungsarten im Mischgebiet wie z.B. landwirtschaftliche Betriebe, haben die Bewohner des Mischgebiets auch an Sonn- und Feiertagen einen gewissen Lärmpegel hinzunehmen, da in derartigen Betrieben nicht nur werktags gearbeitet wird.

5.4.4. Allgemein zulässige Nutzungen

Ein Überwiegen der Wohnnutzung führt nicht dazu, dass die Mischgebietsausweisung obsolet wird, da die Grundstücke vorwiegend dem Wohnen dienen sollen. Eine Mischgebietsausweisung ist selbst dann noch nicht als funktionslos anzusehen, wenn in dem Bereich zur Zeit keine gewerbliche Nutzung ausgeübt wird, sondern das Gebiet einem reinen Wohngebiet entspricht. Denn zu der Wohnnutzung könnten jederzeit noch die weiteren im Mischgebiet zulässigen Nutzungen hinzutreten. 26

Größere Einzelhandelsbetriebe sind in einem Mischgebiet bis zur Schwelle der Großflächigkeit (> 800 m2 Verkaufsnutzfläche) zulässig.

Eine Gaststätte ist ein gewerblicher Betrieb. Von dem Betrieb einer Gaststätte sind regelmäßig keine wohnunverträglichen Emissionen zu befürchten.

Unzulässig dagegen sind Schnellrestaurants mit Autoschalter, die mit ihrem starken motorisierten Kundenverkehr und den nächtlichen Betriebszeiten ein erhöhtes Störpotenzial im Vergleich zu herkömmlichen Gaststätten aufweisen.

Tankstellen sind im Mischgebiet allgemein zulässig, auch wenn sie an Sonn- und Feiertagen geöffnet haben. Eine Tankstelle üblicher Art weist eine tägliche Anfahrfrequenz von ca. 750 Kraftfahrzeugen auf. 27

Für die Beurteilung von Vergnügungsstätten, zu denen Spielhallen zählen, ist auf die BauNVO zurückzugreifen. Die BauNVO ordnet Vergnügungsstätten den Baugebieten in differenzierter Weise zu. Spielhallen von mehr als 100 m2 BGF werden üblicherweise als kerngebietstypisch eingestuft. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO sind im Mischgebiet lediglich nichtkerngebietstypische Vergnügungsstätten zulässig (d.h. Spielhallen < 100m2 BGF). Darüber hinaus sind sie nur in den Teilen des Mischgebiets zulässig, die durch überwiegend gewerbliche Nutzungen geprägt sind. 28

Anlagen für kulturelle, soziale, sportliche Zwecke sind in einem Wohngebiet - und damit auch in einem Mischgebiet, das überwiegend Wohnzwecken dient - allgemein zulässig. So stellen beispielsweise Schulbauten und Kindertagesstätten Anlagen für kulturelle Zwecke im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO dar und sind in einem Wohngebiet zur schulischen Versorgung der dort lebenden Kinder üblicherweise zu erwarten. 29

5.5. Geschäftsgebiet G

5.5.1. Zweckbestimmung

Das Geschäftsgebiet dient der Unterbringung von - nicht erheblich belästigenden - Geschäften und Gewerbebetrieben. Mit dem Geschäftsgebiet wird der Typus eines Gebiets mit zentraler Versorgungsfunktion beschrieben, in dem typischerweise Betriebe und Einrichtungen mit zentraler Handels- und Dienstleistungsfunktion angesiedelt sind, die der Versorgung eines größeren räumlichen Umkreises dienen und auf diese Weise Besucher und Kunden aus der weiteren Umgebung anziehen.

Nicht erheblich belästigende Geschäfts- und Gewerbebetriebe 30 sind insbesondere solche, deren Emissionsträchtigkeit von einer hohen Besucher- oder Beschäftigtenanzahl und weniger von technischem Anlagenlärm herrührt. Gewerbebetriebe mit stark emittierenden Anlagen sind mit einer industriellen Nutzung vergleichbar und deswegen dem Industriegebiet vorbehalten, dessen Grundstücke gleichermaßen industriellen wie gewerblichen Zwecken dienen. 31

Das Geschäftsgebiet steht solchen Betrieben und Einrichtungen offen, deren Emissionen so stark sind, dass eine Wohnruhe nicht mehr gewahrt würde. Daraus folgt, dass Wohnungen im Geschäftsgebiet nur in besonderen Fällen zugelassen werden dürfen (siehe dazu Ziff. 5.5.4).

5.5.2. Zulässige Nutzungen im Geschäftsgebiet

Die Baugebietskategorien der BauNVO lassen sich als Auslegungshilfe nicht ohne weiteres auf das Geschäftsgebiet übertragen. Die BauNVO kennt sowohl das Kerngebiet (§ 7 BauNVO) als auch das Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO). Während das Kerngebiet vorrangig durch Handelsbetriebe sowie zentrale Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur geprägt wird, dient das Gewerbegebiet vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben.

5.5.3. Allgemein zulässige Nutzungen

Spielhallen sind als Vergnügungsstätten eine besondere Art gewerblicher Betriebe und stellen keine erheblich belästigenden Gewerbebetriebe dar. Deshalb sind sie im Geschäftsgebiet allgemein zulässig. Allerdings kann eine Häufung von Spielhallen und ähnlichen Betrieben im Geschäftsgebiet gebietsunverträglich sein, da ein reines Vergnügungsgebiet entstehen könnte. Eine derartig einseitige Ausrichtung auf gleichartige Gewerbebetriebe wäre für ein Geschäftsgebiet untypisch, da die umfassende Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen unterschiedlicher Art nicht mehr gewährleistet wäre. Die Ansiedlung einer weiteren Spielhalle in einem solchen Gebiet würde das vorhandene Ungleichgewicht zugunsten der Unterhaltungsbetriebe verstärken, deshalb kann im Einzelfall die Baugenehmigung versagt werden. 32

Bei diesen Anlagen ist jeweils zu prüfen, ob sie aufgrund ihrer jeweiligen Nutzung gebietsverträglich sind.

Anlagen für soziale Zwecke wie z.B. Kindergärten sind im Geschäftsgebiet nur gebietsverträglich, wenn sie auf die Bedürfnisse der Angehörigen der Betriebe als zusätzliche freiwillige soziale Einrichtung des jeweiligen Betriebes ausgerichtet sind (Betriebskindergarten). 33 Durch die Ansiedlung einer "freien" Kindertagesstätte könnten größere, emissionsträchtige Gewerbebetriebe in ihrer Betriebsausübung eingeschränkt werden.

Dagegen ist eine suchttherapeutische Einrichtung durchaus als gebietsverträglich einzustufen. Hierbei handelt es sich um eine Nutzung für therapeutische und medizinische Zwecke ohne Übernachtungsmöglichkeit mit einem ggf. erhöhten Besucherandrang, die mit den im Geschäftsgebiet typischen Nutzungen vergleichbar ist. 34

5.5.4. Unzulässige Nutzungen

Im Geschäftsgebiet sind Wohnungen nur in besonderen Fällen zulässig, u.a. Wohnungen für Aufsichts-, Bereitschafts- und Hausmeisterdienste sowie für Betriebsinhaber. Während im Kerngebiet nach BauNVO die Wohnnutzung ausnahmsweise zulässig ist, ist das Wohnen im Geschäftsgebiet nach BPVO ausgeschlossen. Dies liegt darin begründet, dass sich im Geschäftsgebiet belästigende Gewerbebetriebe ansiedeln dürfen, die das Wohnen stören würden. Deshalb können Gewerbebetriebe in Geschäftsgebieten Abwehransprüche gegen hinzukommende Wohnnutzungen gelten machen.

Nach ständiger Rechtsprechung bedürfen alle anderen Wohnungen im Geschäftsgebiet einer planungsrechtlichen Befreiung. Es ist zu prüfen, inwieweit nachbarschützende Belange verletzt werden bzw. inwieweit der Standort in Bezug auf die Immissionssituation (u.a. Lärm, Staub, Geruch) überhaupt wohnverträglich ist. Vor Erteilung der Befreiung ist eine Nachbarbeteiligung im betroffenen Bereich durchzuführen.

5.6. Industriegebiet I

5.6.1. Zweckbestimmung

Grundstücke im Industriegebiet dienen industriellen und gewerblichen Zwecken. Das Industriegebiet ist insbesondere störungsreichen Betrieben vorbehalten, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Deshalb sind auch besonders gefährdende oder erheblich belästigende Betriebe allgemein zulässig.

Um dem Gebietscharakter des Industriegebiets zu entsprechen, müssen gewerbliche Betriebe eine gewisse Störintensität aufweisen. Dafür ist im Rahmen des Bauantrags eine Betriebsbeschreibung der zuzulassenden Nutzung einzureichen, in der die zu erwartenden Emissionen der Nutzung (wie Lärm, Staub und Gerüche) dargelegt sind.

Außer der erforderlichen gewissen Störintensität kann im Einzelfall jedoch auch die Störempfindlichkeit eines Betriebes in Betracht gezogen werden. Im Rahmen einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB kann auch ein nicht erheblich belästigender Gewerbebetrieb im Industriegebiet zugelassen werden, sofern er selbst nicht störungsempfindlich ist. Aufgrund seiner Störunempfindlichkeit schränkt ein solcher Betrieb nicht seine industriell genutzten Nachbarbetriebe ein, so dass der Gebietscharakter des Industriegebiets gewahrt bleibt. Störungsempfindliche Nutzungen können nicht im Rahmen einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zugelassen werden.

Grundsätzlich soll jedes Grundstück im Industriegebiet für eine der beiden möglichen Nutzungsarten - Industrie und Gewerbe - in Betracht kommen, d.h. grundsätzlich alle Grundstücke müssen für besonders gefährdende oder belästigende Betriebe geeignet bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn in einem Plan Festsetzungen über den Ausschluss von besonders gefährdenden und belästigenden Betrieben für Teile des Gebiets nach § 10 Abs. 4 Industriegebiet I Satz 2 BPVO getroffen wurden. Nur dann können diese erheblich belästigenden Betriebe ausgeschlossen werden. 35

5.6.2. Allgemein zulässige Nutzungen

Wohnungen sind aufgrund der emissionsträchtigen Betriebe nur in eng begrenzten Fällen möglich. Nach § 10 Abs. 4 Industriegebiet I Satz 3 BPVO dürfen im Industriegebiet nur Wohnungen für Werkaufsicht und Werkleitung als Zubehör zu den Industrie- und Gewerbeanlagen errichtet werden. Wohnungen sind also nur für solche Personen zulässig, deren Unterbringung aus betriebstechnischen Gründen in unmittelbarer Nähe des Betriebes notwendig ist.

Bordellbetriebe ohne Wohnbereich sind Gewerbebetriebe eigener Art und sind nicht als Vergnügungsstätte einzuordnen. 36 Als Gewerbebetriebe eigener Art sind sie im Industriegebiet nach BauNVO allgemein zulässig. Diese Einschätzung lässt sich auch auf das Industriegebiet nach BPVO übertragen.

5.6.3. Unzulässige Nutzungen

Aus der Zweckbestimmung des Industriegebietes für besonders gefährdende oder belästigende Betriebe folgt, dass eine Grundstücksnutzung für Einzelhandelsbetriebe ausgeschlossen ist. Im Industriegebiet sind solche gewerblichen Nutzungen unzulässig, die als Geschäftsbetriebe einerseits weniger als erheblich belästigend wirken und andererseits störungsempfindlich sind. 37 Ausschlaggebendes Kriterium ist der Störungsgrad des Betriebs unabhängig von seiner Betriebsform, in der Regel gehören Einzelhandelsbetriebe zu den nicht störenden Gewerbebetrieben und sind damit den Misch- und Geschäftsgebieten vorbehalten. Im Einzelfall mag es Einzelhandel- oder Großhandelsbetriebe bzw. Mischformen geben, die aufgrund ihres Verkehrsaufkommens, der Liefervorgänge, der Lagerbedingungen und -kapazitäten etc. ein solch hohes Störpotenzial aufweisen, dass sie im Industriegebiet - im Befreiungswege - zugelassen werden können.

Bürogebäude dienen geschäftlichen Zwecken und sind damit dem Geschäftsgebiet vorbehalten. Auch nach § 9 BauNVO 1990, die als Auslegungshilfe herangezogen werden kann, sind Bürogebäude in Industriegebieten als selbstständige Anlagen weder grundsätzlich noch ausnahmsweise zulässig. 38 Von daher sind Bürogebäude im Industriegebiet unzulässig.

Spielhallen und Tanzsäle sind als Vergnügungsstätten im Industriegebiet unzulässig und sind vorrangig dem Geschäftsgebiet vorbehalten.

5.7. Außengebiet

In den 1950er Jahren wurden in Baustufenplänen großzügig Flächen außerhalb der Baugebiete als "Außengebiet" nach § 10 Abs. 5 BPVO ausgewiesen.

5.7.1. Großflächige Außengebietsausweisungen

Diese großflächigen Außengebietsausweisungen hat die Rechtsprechung im Jahr 2000 für unwirksam erklärt. 39 Vorhaben in den betroffenen Gebieten sind damit nach § 35 BauGB zu beurteilen.

5.7.2. Kleinflächige Außengebietsausweisungen

Darüber hinaus wurden in Baustufenplänen innerhalb bebauter Bereiche zahlreiche kleinflächige Außengebietsfestsetzungen mit dem Zusatz "(öffentliche) Grünfläche, "Verkehrsfläche", "Sportfläche", "Erholungsfläche" oder "Bahnfläche" getroffen, die der Sicherung von Flächen für eine öffentliche Nutzung dienen sollte. Die Rechtsprechung hat bislang offen gelassen, inwieweit die Festsetzungen über diese kleinflächigen Außengebiete noch rechtsgültig sind. 40

Da die Unterscheidung in großflächige und kleinflächige Außengebiete oftmals schwer fällt, wird empfohlen, Außengebietsausweisungen in Baustufenplänen, egal welcher Größe, nicht mehr als planerische Festsetzungen anzuwenden. 41 Vorhaben in diesen Gebieten sind nach § 35 BauGB bzw. nach § 34 BauGB zu beurteilen, wenn es sich um im Zusammenhang bebaute Ortsteile handelt.

5.8. Vorbehaltsflächen / Flächen für besondere Zwecke

Nach § 10 Abs. 6 BPVO konnten innerhalb des Baugebiets Flächen für besondere Zwecke festgesetzt werden. In übergeleiteten Bebauungsplänen sind oftmals Nutzungen als sog. Vorbehaltsfläche festgesetzt, darunter z.B. Gemeinbedarfsflächen wie "Fläche für besondere Zwecke" mit der expliziten Ausweisung "Schule, Krankenhaus, Sportplatz, Kirche, Kleingärten" oder Sonderflächen wie "Ladenfläche" oder "von jeglicher Bebauung freizuhaltende Fläche" etc.

5.8.1. Wirksamkeit der Festsetzungen

Festsetzungen für Vorbehaltsflächen oder Flächen für besondere Zwecke in Baustufenplänen sind unwirksam. Baustufenpläne sind auf Grundlage der BauregelungsVO erlassen worden, die keine Ermächtigungsgrundlage für derartige Festsetzungen enthielt und auch keine Entschädigungsregelungen bei Enteignung vorsah, so dass diese Festsetzungen nicht nach § 173 Abs. 3 BbauG 1960 übergeleitet worden sind. Dies betrifft vor allem die häufig in Baustufenplänen festgesetzten Flächen für Gemeinbedarf wie Schulen, Kirchen etc. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich im Geltungsbereich einer solchen funktionslos gewordenen Festsetzung nach § 34 BauGB.

Festsetzungen für Vorbehaltsflächen sind in Teilbebauungsplänen und Durchführungsplänen nach wie vor wirksam. Teilbebauungspläne und Durchführungspläne wurden auf Grundlage des Bebauungsplangesetzes von 1923 42 bzw. der Hamburgischen Aufbaugesetze 43 erlassen, die zu derartigen Festsetzungen ermächtigten und Regelungen über Enteignung und Entschädigung vorsahen. Insofern konnten Vorbehaltsflächen in Teilbebauungsplänen und Durchführungsplänen nach § 173 Abs. 3 BbauG 1960 übergeleitet werden und stellen nach wie vor wirksame Festsetzungen dar.

Nachfolgende Ausführungen gelten nur für wirksam gebliebene Festsetzungen in Teilbebauungsplänen und Durchführungsplänen:

Vorbehaltsflächen bzw. Flächen für besondere Zwecke bilden kein eigenständiges Baugebiet nach BPVO aus. Beispielsweise stellt die Ausweisung "Ladengebiet L1g" im Bereich des Baugebiets "Geschäftsgebiet" lediglich eine Beschränkung der im Geschäftsgebiet generell zulässigen Nutzungen dar - statt allgemein zulässigen Geschäfts- und Gewerbebetrieben wird die Nutzung hier durch die Festsetzung "L1g" explizit auf Läden beschränkt.

Da mit einer solchen Ausweisung kein selbständiges Baugebiet geschaffen wird, besteht kein Gebietserhaltungsanspruch. Es besteht somit kein absoluter Nachbarschutz wie bei den tatsächlichen Baugebietskategorien der BPVO.

Oftmals wurde bei den besonderen Nutzungsfestsetzungen kein Maß der Nutzung festgesetzt. Die fehlende Ausweisung der Geschossigkeit ist bei Gemeinbedarfsflächen üblich.

Die Art der Nutzung wird durch die besondere Nutzungsfestsetzung klar definiert, bei fehlender Festsetzung der Geschosszahl ist das Vorhaben hinsichtlich der Geschossigkeit nach § 34 BauGB zu beurteilen.

Da eine Festsetzung wie "L1g" kein eigenständiges Baugebiet schafft, ist es manchmal aus bauordnungsrechtlichen Gründen notwendig, die Fläche einem der angrenzenden Baugebiete zuzuordnen. Dies ist z.B. der Fall, wenn auf einer "L1g"- Fläche eine Werbeanlage errichtet werden soll, die nach § 13 Abs. 2 HBauO nur in bestimmten Gebieten zulässig ist. Bei der Zuordnung können sowohl der Eindruck aufgrund der örtlichen Verhältnisse als auch eine funktionale Zuordnung der Fläche zu einem der angrenzenden Baugebiete von Bedeutung sein (z.B. Ausweisung "Fläche für gemeinschaftliche Stellplätze" wird dem funktional zugehörigen Wohngebiet "W" zugeordnet). 44

6. Maß der Nutzung, Bauweise, bebaubare Fläche

6.1. Bauweise und Umfang der Bebauung (§ 11 BPVO Baustufentafel)

§ 11 BPVO regelt die Bauweise und den Umfang der Bebauung. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dabei die in Abs. 1 enthaltene Baustufentafel mit ihren noch gültigen Spalten 1, 2, 3,4, und 8.

Spalte 1

Spalte 2

Spalte 3

Spalte 4

Spalte 8

Nutzungs- gebietZahl der VollgeschosseBauweiseStufenbezeichnungBebaubare Fläche (b.F.)
S1offenS 1 o1 / 10
geschl.S 1 g
W1offenW 1 o2 / 10
geschl.W 1 g3 / 10
2offenW 2 o3 / 10
geschl.W 2 g5 / 10
3geschl.W 3 g5 / 10
4geschl.W 4 g5 / 10
M1offenM 1 o2 / 10
geschl.M 1 g3 / 10
2offenM 2 o3 / 10
geschl.M 2 g5 / 10
3geschl.M 3 g5 / 10
4geschl.M 4 g5 / 10
G2geschl.G 2 g-
3geschl.G 3 g-
4geschl.G 4 g-
5geschl.G 5 g-
I----

Die "Bemerkungen" sind Bestandteil des § 11 Abs. 1 BPVO und stellen rechtsverbindliche Regelungen zur Auslegung der Baustufentafel dar. Nicht übergeleitete bzw. nicht mehr geltende Spalten / Bemerkungen sind hier nicht abgedruckt.

Bemerkungen:

Spalte 1:

Die Nutzungsgebiete ergeben sich aus den Baustufenplänen.

Spalte 2:

Da es sich um bauordnungsrechtliche Vorschriften zur Definition des Vollgeschosses handelt, sind die Bemerkungen nicht übergeleitet worden, sondern die Definition des Vollgeschosses ergibt sich aus § 2 Abs. 6 HBauO

Spalte 4:

In Gebieten der offenen Bauweise müssen Gebäude an der Straße von den Nachbargrenzen Abstand (Bauwich) halten.

Zulässig sind Einzel- und Doppelhäuser.

Gemäß Rechtsprechung wurden die Sätze 3-5 nicht rechtwirksam übergeleitet. 45

(In den Nutzungsgebieten S, W und M ist auch in Gebieten der geschlossenen Bauweise eine allseitig geschlossene Umbauung der Baublöcke unzulässig. Die Baureihe muss unterbrochen sein. Die Unterbrechung muss 1/6 der Baulinienlänge des Baublocks betragen.) Die Sätze 6-8 sind, da sie mit den Sätzen 3-5 in Verbindung stehen und sich an die Bauaufsichtsbehörde richten, ohne Bedeutung:

Die zuständige Behörde kann das Maß auf 1/7 ermäßigen oder auf 1/5 erhöhen und im Einzelfall Ausnahmen zulassen. Niedrige Bauten zwischen den Baugruppen können zugelassen werden. Die Länge von Gruppen und Zeilenbauten kann beschränkt werden.

Spalte 8:

Für die Berechnung der bebaubaren Fläche gilt der hinter der vorderen Baulinie liegende Grundstücksteil.

Ist für einen Baublock oder Teile desselben eine einheitliche Bebauung gesichert, so kann für einzelne Grundstücke eine stärkere Bebauung der Grundstücksfläche als für das Gebiet vorgesehen ist, zugelassen werden, wenn im ganzen Block keine größere Fläche gebaut wird, als insgesamt für den Baublock zulässig ist (Baugemeinschaft). Die Form der Sicherung wird von der zuständigen Behörde vorgeschrieben.

6.1.1. Spalte 2: Zahl der Vollgeschosse

Die in übergeleiteten Bebauungsplänen festgesetzte Vollgeschosszahl ist nicht als zwingende Ausweisung, sondern als maximale Festsetzung zu verstehen. Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen hält nicht mehr an der Auffassung fest, es handele sich dabei um eine zwingende Ausweisung. 46 Ebenso wie im Falle des § 16 Abs. 4 BauNVO handelt es sich bei der festgesetzten Vollgeschosszahl um ein Höchstmaß, wenn nichts anderes festgesetzt ist.

6.1.2. Spalte 3 - 4: Art der Bauweise, Stufenbezeichnung

Die Festsetzung einer geschlossenen Bauweise in übergeleiteten Bebauungsplänen, vor allem in Baustufenplänen, erstreckt sich bei fehlender rückwärtiger Baulinie grundsätzlich auf die gesamten mit "g" gekennzeichneten Grundstücksflächen eines Baublocks und ist nicht auf eine straßenparallele Randbebauung beschränkt. Die geschlossene Bauweise gilt somit grundsätzlich auch für Hauptnutzungen in zweiter Baureihe. 47 Inwieweit allerdings eine planungsrechtliche Zulässigkeit für eine Hauptnutzung in zweiter Baureihe bzw. im Blockinnenbereich in Bezug auf die überbaubaren Grundstücksflächen gegeben ist, beurteilt sich § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (siehe hierzu Ziff. 6.2.2).

Die Festsetzung der geschlossenen Bauweise bedeutet, dass eine Abstandsfläche zum Nachbargrundstück nach § 6 Abs. 1 Satz 3 HBauO nicht einzuhalten ist, da nach den planungsrechtlichen Bestimmungen an den seitlichen Grundstücksgrenzen gebaut werden muss. Denn die Bauweise bezieht sich auf die Art und Weise, in der Gebäude in Bezug auf die seitlichen Nachbargrenzen auf den Baugrundstücken angeordnet sind. Die Bauweise ist dabei zur öffentlichen Verkehrsfläche hin orientiert und bestimmt, ob die Gebäude an der Straße von den seitlichen Nachbargrenzen einen Abstand einhalten (= offene Bauweise) oder aber an den seitlichen Nachbargrenzen errichtet werden müssen (= geschlossene Bauweise).

Grenzt ein geplantes Vorhaben aufgrund der Bautiefe auch an eine rückwärtige Grundstücksgrenze eines Nachbargrundstücks an, sind hier grundsätzlich die bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Abstandsflächen nach § 6 HBauO einzuhalten. Unterschreitet das Vorhaben an der rückwärtigen Grundstücksgrenze die erforderliche Abstandsfläche, ist ohne nachbarliche Zustimmung gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HBauO der Mindestabstand von 2,5 m einzuhalten. 48

Durch die Rechtsprechung wurde festgestellt, dass die Bemerkungen zu § 11 Abs. 1, Spalte 4, Sätze 3-5 (Unzulässigkeit der allseitig geschlossenen Umbauung der Baublöcke; zwingende Unterbrechung muss mind. 1/6 der Baulinienlänge des Baublocks betragen) nicht wirksam übergeleitet wurden, da sie dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht gerecht werden. Die Sätze richten sich nicht an den Plangeber sondern an die Bauaufsichtsbehörde. Es handelt sich um nicht übergeleitete bauordnungsrechtliche Vorschriften, die zum Zeitpunkt der Planerstellung gültig waren. Sie sind für die heutige, am Bestimmtheitsgrundsatz orientierte Auslegung der Festsetzungen nicht relevant, da nur die planungsrechtlichen Vorschriften als Bestandteil der Bebauungspläne nach den Regelungen des BBauG übergeleitet worden sind. 49

6.1.3. Bebaubare Fläche (Spalte 8)

Die Festsetzung der bebaubaren Fläche, also des rechnerischen Anteils der Grundstücksfläche, der einer Bebauung zugeführt werden darf, ist in der Baustufentafel konkret und abschließend geregelt. 50

Die Beschränkung der bebaubaren Fläche für die einzelnen Baugebiete hat den Zweck, die Baudichte in den Gebieten allgemein aufzulockern. Die Vorschrift dient somit sozialen und hygienischen Anforderungen, um vor allem dem Wohnen Zugang zu Licht und Luft zu verschaffen. In den Geschäfts- und Industriegebieten, in den regelhaft eine Wohnnutzung unzulässig ist, ist dementsprechend die bebaubare Fläche nicht mit einem Zahlenwert begrenzt. Der in der Baustufentafel angeführte Spiegelstrich bedeutet, dass die bebaubare Fläche bis zu einer Überbauungsziffer von 1,0 ausgenutzt werden kann. Der Spiegelstrich ist in Verbindung mit § 13 Abs. 1 sowie § 14 BPVO als abschließende Regelung zu werten. Die Anwendung des § 34 BauGB hinsichtlich des Maßes der Nutzung ist ausgeschlossen.

Für die Berechnung der bebaubaren Fläche gilt der hinter der vorderen Baulinie liegende Grundstücksteil. Fehlt es an einer festgesetzten vorderen Baulinie oder an einer Straßenlinie, die in diesem Fall als Baulinie gilt (§ 13 Abs. 1 S. 2 BPVO), ist für das zulässige Maß der bebaubaren Fläche die gesamte Grundstücksfläche hinter der tatsächlichen Straßengrenze maßgeblich.

Überschreitungen der zulässigen bebaubaren Fläche (§ 11 Spalte 8 BPVO) können nach Rechtsauffassung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen 51 ohne ausdrückliche Erteilung einer Befreiung nach dem Maßstab des § 19 Abs. 4 BauNVO 2013 zugelassen werden, sofern durch die Grundflächen von

die zulässige bebaubare Fläche um nicht mehr als 50 % überschritten wird, höchstens jedoch bis zu einer Grundflächenzahl von 0,8; weitere Überschreitungen in geringfügigem Ausmaß können zugelassen werden.

Dementsprechend bedarf es für die Überschreitung der bebaubaren Fläche nach BPVO keines gesonderten Befreiungsantrags und es werden keine Gebühren für die Erteilung einer Befreiung erhoben.

Bei alten Bebauungsplänen, bei denen die RGaO anwendbar ist - wie z.B. bei Durchführungsplänen (s. Ziff. 3.2.2.) - reduziert sich das Maß der zulässigen Überschreitung der bebaubaren Fläche aber regelmäßig um das Maß, in dem Einstellplätze, nicht gewerbliche Garagen oder Schutzdächer nach § 12 RGaO ohne Anrechnung auf die bebaubare Fläche zulässig sind.

Begründung für die von der BPVO abweichenden Regelung zur Anrechnung von Nebenanlagen:

Der BPVO lag ein ähnliches Verständnis der baulichen Anlage zugrunde wie den jüngeren BauNVOen aus den Jahren 1990 und 2013. Bei diesen BauNVOen werden gemäß § 19 Abs.2 BauNVO bestimmte Bestandteile der baulichen Anlage wie z.B. Balkone, Loggien und Terrassen als Teil der Hauptanlage angesehen, so dass sie der Grundfläche anzurechnen sind. 52 Als Teil der Hauptanlage sind Balkone, Loggien und Terrassen somit eindeutig keine Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO und sind nicht privilegiert nach § 19 Abs. 4 BauNVO.

Diesem Grundverständnis entsprechend stufte die BPVO Garagen, Carports 53, Terrassen, Balkone, Freitreppen, Rampen, Schutzdächern etc. 54 als bauliche Anlagen ein, die bei der Berechnung der bebaubaren Fläche zu berücksichtigen waren.. Vermutlich aus Praktikabilitätsgründen sahen die Erläuterungen von Gloede/Dehn vor, dass Terrassen, Balkone, Freitreppen, Rampen, Schutzdächer und dgl. bis zu einer Größenordnung von 3 m2 insgesamt sowie generell Einfriedigungen, Mauern und Lichtkästen nicht auf die bebaubare Fläche angerechnet werden mussten. 55

Anders als in der BauNVO galten dagegen offene Stellplätze (§ 12 Abs.1 RGaO) oder unterirdische Anlagen gemäß BPVO als unbebaute Flächen. Für Garagen und Schutzdächer (Carports) mit notwendigen Stellplätzen durfte die bebaubare Fläche um 80 m2/Grundstück überschritten werden (§ 12 Abs. 2 RGaO), für bestimmte Baustufen galten weitere Erleichterungen (§ 12 Abs. 3 RGaO). Anders als in den neueren BauNVOs spielte die planungsrechtliche Steuerung von Versieglungen in den Baugebieten der BPVO keine Rolle. Dafür spricht z.B. das offene Stellplätze als nicht bebaute Flächen galten (§ 12 Abs. 1 RGaO). Sinngemäß wären danach auch Oberflächenbefestigungen für Wege, Zufahrten, Fahrradplätze oder Abfallbehälterplätze nicht als bebaute Fläche anzusehen.

Die Anwendung der BPVO-Anrechnungsregeln für Nebenanlagen führten in Summa dazu, dass für heute übliche Grundstücksgrößen die bebaubare Fläche mit Nebenanlagen mehr als verdoppelt werden konnte. Durch die faktische Entkopplung der flächenrelevantesten Nebenanlagen (Stellplätze) von den Obergrenzen der Baustufentafel gab es keine systematische Steuerungswirkung in Bezug auf die bebaubare Fläche.

Mit der Aufhebung der RGaO entfielen rückwirkend auch die begünstigenden Regelungen für Stellplätze und Garagen, da in den geltenden Baustufenplänen die RGaO nicht unmittelbar in Bezug genommen wurden. Damit wurde die bis dahin vergleichsweise liberale Regelung für Nebenanlagen in ihr Gegenteil verkehrt. Nebenanlagen, jedenfalls soweit sie nicht nur der Oberflächenbefestigung dienen, sind damit vollständig auf die bebaubare Fläche der Baustufentafel anzurechnen.

Vor dem Hintergrund, dass der Bedarf an Nebenanlagen sich aufgrund der gewandelten Lebensverhältnisse seit Erlass der BPVO im Jahr 1938 auch auf Grund gesetzlicher Anforderungen erheblich gesteigert hat, ist die Ausnutzbarkeit der bebaubaren Fläche für die eigentliche Hauptnutzung teilweise radikal reduziert worden. Große Teile der Stadt, wären nach diesen rückwirkend verschärften Anrechnungsregeln nicht mehr bebaubar. In der Genehmigungspraxis führt dies dazu, dass Befreiungen vom Höchstmaß der bebaubaren Fläche mindestens in den Gebieten mit 1 und 2 geschossiger, sowie bei offener Bauweise zur Regel werden, weil schon wegen der umgebenden Bebauung kein Ermessen der Bauaufsichtsbehörden mehr besteht. Auch das OVG Hamburg geht davon aus, dass in solchen Fällen in der Regel ein Befreiungstatbestand nach § 31 Absatz 2 BauGB gegeben ist und das eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Bauherrn auf Null reduziert ist. 56

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist es gerechtfertigt, Überschreitungen der bebaubaren Fläche ohne ausdrückliche Erteilung einer Befreiung nach dem Maßstab des § 19 Abs. 4 BauNVO 2013 zuzulassen.

6.2. Bau- und Straßenlinien (§ 13 BPVO)

6.2.1. Begriff Bau- und Straßenlinie

§ 13 BPVO regelt Bau- und Straßenlinien. Baulinien und Straßenlinien liegen nur vor, wenn sie durch einen übergeleiteten Bebauungsplan festgestellt sind. Faktische Straßengrenzen, die sich aus der jeweiligen Örtlichkeit ergeben, sind keine Straßenlinien und entfalten im Rahmen des § 13 Abs. 1 BPVO keine Rechtswirkung.

Bei den Straßen- und Baulinien handelt es sich um im Bebauungsplan festgesetzte Begrenzungslinien, die die bebaubaren Flächen von den nicht bebaubaren Flächen trennen. Die Straßenlinie unterscheidet sich von der Baulinie dadurch, dass sie diejenigen Flächen gegen den privaten Grund abgrenzt, die für die Anlegung oder Verbreiterung einer Straße bestimmt sind. Diese Flächen sollen durch die Festsetzung einer Straßenlinie von einer Bebauung grundsätzlich freigehalten werden. Die Baulinien grenzen dagegen auf dem privaten Grund die Flächen ein, auf denen eine Bebauung möglich sein soll. 57

§ 13 Abs. 1 Satz 1 BPVO betrifft nur vordere Baulinienfestsetzungen, danach sind Gebäude (mit ihrer Vorderseite) zwingend in der festgesetzten Baulinie zu errichten. Fehlt es an einer festgesetzten vorderen Baulinie, gilt nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BPVO die Straßenlinie als Baulinie.

Gemäß § 13 Abs. 4 BPVO konnten auch seitliche oder hintere Baulinien festgesetzt werden. Davon wurde vor allem in Durchführungsplänen Gebrauch gemacht. Sollen seitliche oder hintere Baulinien überschritten werden, bedarf es einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB.

§ 13 Abs. 5 BPVO ist nicht als bauplanungsrechtliche Vorschrift übergeleitet worden, deshalb ist die Vorschrift nicht mehr anzuwenden, soweit Flächen betroffen sind, die dem öffentlichen Verkehr dienen. 58

Fluchtlinien in Fluchtlinienplänen haben nach dem Wortlaut des preußischen Fluchtliniengesetzes eindeutig die Wirkungsweise von Baugrenzen, nicht von Baulinien ("Grenzen, über welche hinaus die Bebauung ausgeschlossen ist"); allerdings nicht mit dem Ziel, die städtebauliche Ordnung auf den Grundstücken zu regeln, sondern mit dem Ziel, Straßenflächen freizuhalten. Somit ist eine in einem Fluchtlinienplan hinter der Straßenfluchtlinie festgesetzte Baufluchtlinie keine vordere Baulinie im Sinne von § 13 Abs.1 BPVO. 59

Nachbarschützende Wirkungen von Baulinien und Baugrenzen waren dem damaligen Plangeber fremd, somit entfaltet § 13 Abs. 1 BPVO nach der ständigen Rechtsprechung keinen Nachbarschutz. 60 Selbst Baulinien und Baugrenzen nach § 23 BauNVO sind nicht grundsätzlich nachbarschützend.

6.2.2. Fehlende Baulinie - Zulässigkeit einer rückwärtigen Bebauung

In Baustufenplänen sind regelhaft keine vorderen oder rückwärtigen Straßen- oder Baulinien festgesetzt worden. Dagegen sind in Durchführungsplänen und Teilbebauungsplänen nahezu ausnahmslos Festsetzungen zu Bau- und/oder Straßenlinien getroffen worden.

Wird ein Baustufenplan im Bereich eines geplanten Vorhabens nicht durch einen Teilbebauungsplan ergänzt, fehlt regelmäßig die Festsetzung von Straßen- und/oder Baulinien. Infolgedessen sind §§ 13 und 14 BPVO nicht anwendbar, da ihnen die Bezugsgrundlage fehlt.

In den Fällen, in denen eine rückwärtige Baulinie fehlt, beurteilt sich die planungsrechtlich zulässige Bautiefe eines (Haupt-)Gebäudes nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Ein Vorhaben ist danach nur zulässig, wenn es sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dabei kommt es für das Einfügen vor allem auf seine räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung an. Die Eigenart der näheren Umgebung kann z.B. dadurch bestimmt sein, dass eine einheitliche Bebauungstiefe der vorderen Hauptgebäude vorliegt, so dass kein Bestandsgebäude in der näheren Umgebung eine gewisse Bebauungstiefe, gemessen von der tatsächlichen Straßenbegrenzung, überschreitet. In diesem Fall würde ein sehr weit in das Grundstück hineinragendes oder ein Gebäude in zweiter Reihe gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot verstoßen.

Die Größe des Vorhabens unterliegt nicht der Beurteilung nach § 34 BauGB, da die Größe der bebaubaren Fläche hinreichend durch die Baustufentafel, Spalte 8 bestimmt wird. 61 Da in Baustufenplänen regelhaft keine vordere Baulinie festgesetzt ist, liegt der Berechnung der bebaubaren Fläche die gesamte Grundstücksfläche hinter der tatsächlichen Straßengrenze zugrunde. Dabei kann mitunter ein großer Zahlenwert herauskommen, der ein entsprechend großflächiges Vorhaben rechtlich ermöglicht. Passt ein großflächiges Vorhaben nicht zu der Bebauung vor Ort, kann dies nur verhindert werden, in dem auf § 15 BauNVO (Rücksichtsnahmegebot) zurückgegriffen wird.

6.3. Bebauung hinterer Grundstücksteile (§ 14 BPVO)

Gemäß § 14 Abs. 1 BPVO können bauliche Anlagen in mehr als 15 m Tiefe hinter der vorderen Baulinie versagt werden. Die ständige Rechtsprechung des OVG Hamburg hat allerdings klargestellt, dass die Vorschriften des § 14 Abs. 1 und 2 BPVO nicht für die Hauptbebauung eines Grundstückes, sondern nur für sonstige bauliche Anlagen (insbesondere Nebenanlagen) gelten. Da die Vorschriften also lediglich die Zulässigkeit sonstiger baulicher Anlagen im rückwärtigen Grundstücksbereich regeln, können § 14 Abs. 1 und 2 BPVO nicht für die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Hauptnutzung in zweiter Reihe bzw. im Blockinnenbereich herangezogen werden. 62 Die Beurteilung einer zulässigen rückwärtigen Bebauung mit einer Hauptnutzung richtet sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, sofern keine rückwärtige Baulinie im übergeleiteten Bebauungsplan festgesetzt ist (siehe hierzu Ziff. 6.2.2).

1) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 30.04.2008, Az.: 2 Bf 133/03

2) § 11 Abs.1 sind der zweite Halbsatz von Satz 1 und der damit zusammenhängende Satz 2 insoweit nicht anzuwenden, als Anforderungen an die Ausführung der baulichen Anlage selbst gestellt werden.

3) § 12 Abs.1 Halbsatz 2 ist als bauordnungsrechtliche Vorschrift nicht übergeleitet worden (siehe OVG Hamburg, Urteil vom 12.06.2003, Az.: 2 Bf 14/96

4) § 13 Abs.1 Satz 1 sowie Abs. 2 und 3 aufgehoben, Abs. 4 und 5 sind durch jüngste Regelungen in der HBauO gegenstandslos geworden

5) siehe Hamburgische Gesetzsammlung, 1892, Nr. 78, S. 296-312

6) Nach Angaben des Bezirksamtes Altona tragen einige Fluchtlinienpläne den Zusatz "förmlich festgestellt" nicht, sondern sind nur mit dem Zusatz "beschlossen" gekennzeichnet. Dies reicht nicht aus: gemäß § 8 des Preußischen Fluchtliniengesetzes folgt, dass die förmliche Feststellung und Bekanntmachung Voraussetzung für die Wirksamkeit der Fluchtlinienpläne ist.

7) siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 14.06.2013, Az.: 2 Bs 126/13

8) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 10.04.1997, Az.: Bf II 68/96

9) Siehe BVerwG, Urteil vom 17.12.1998, Az.: IV C 9.98, BRS 60 Nr.70

10) Siehe BVerwG, Urteil vom 23.08.1996, 4 C 13.94

11) Siehe BVerwG, Beschluss vom 21.12.1999, 4 BN 48/99

12) Vergleiche Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB-Kommentar, 112. Ergänzungslieferung 2014, § 9, Rn. 14

13) Beschluss vom 24.07.1995, 6 VG 2569/95

14) Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 19.11.1996, Aktenzeichen Bs II 162/96

15) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 10.04.1997, Az: Bf II 68/96 sowie OVG Hamburg, Urteil vom 13.02.2002, Az: 2 Bf 22/97

16) Siehe BVerwG, Urteil vom. 23.08.1996, Az. 4 C 13.94

17) Siehe Protokoll Baurechtsreferentenrunde vom 22.04.2008, TOP 4

18) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 13.02.2002, Az: 2 Bf 22/97

19) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 08.12.2003, Az: 2 Bs 439/03

20) Siehe VG Hamburg, Urteil vom 20.06.2003, Az: 19 VG 187/2003

21) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 28.10.2009, Az.: 2 Bs 154/09

22) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 29.05.1958

23) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 02.02.2011, Az.: 2 Bf 90/07

24) Siehe BVerwG, Beschluss vom 22.11.2002, 4 B 72/02

25) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 02.02.2011, Az.: 2 Bf 90/07

26) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 13.08.1999, Az.: 2 Bs 243/99

27) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 15.05.2001, Az.: 2 Bs 121/01

28) Einschränkungen für Spielhallen können sich auch aus den Abstandsregelungen des § 2 Abs. 2 des Hamburgisches Spielhallengesetz ergeben

29) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 08.12.1999, Az.: 2 Bs 407/99

30) Als nicht erheblich belästigend werden gewerbliche Anlagen im Geschäftsgebiet eingestuft, die folgende Immissionsrichtwerte nicht überschreiten: 60 dB (A) tagsüber und 45 dB (A) nachts als hinnehmbare Dauerschallpegel. Diese Werte entsprechen den zulässigen Immissionsrichtwerten eines Kerngebiets gemäß 7 BauNVO (siehe OVG Hamburg, Urteil vom 10.04.2013, Az.: 2 E 14/11.N)

31) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 16.12.1993, Az.: Bf II 17/93

32) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 31.10.1991, Az.: BF II 41/90. Einschränkungen für Spielhallen können sich auch aus den Abstandsregelungen des § 2 Abs. 2 des Hamburgisches Spielhallengesetz ergeben

33) Vgl. Fickert/Fieseler, Kommentar zur BauNVO, RNr. 15 zu § 8 BauNVO

34) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 20.12.2011, Az.: 2 Bs 205/11

35) Siehe VG Hamburg, Urteil vom 17.01.2005, Az.: 7 K 5141/04

36) Siehe Fickert, Fieseler, Kommentar zur BauNVO, § 8 Rn. 5.3; VG Hamburg, Urteil vom 22.11.2011, Az.: 11 K 1237/09, VG Freiburg, Urteil vom 24.10.2000, Az.: 4 K 1178/99

37) Siehe VG Hamburg, Urteil vom 05.10.2010, Az.: 9 E 2138/10

38) Siehe Ernst, Zinkahn, Bielenberg, Krautzberger: Kommentar BauNVO, § 9 Rn.2

39) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 21.09.2000, Az.: 2 Bf 18/97

40) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 17.06.2010, Az.: 2 E 7/07

41) Siehe Schreiben Baubehörde Baurechtsamt vom 17.04.2001,

42) Siehe §§ 1, 2 Bebauungsplangesetz von 1923, in denen die Festsetzungsmöglichkeiten zum Inhalt des Bebauungsplans aufgezählt werden

43) Siehe § 10 Aufbaugesetz, Inhalt des Durchführungsplanes

44) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 31.05.2001, Az.: 2 Bf 188/98; siehe VG Hamburg, Urteil vom 03.03.2005, Az.: 7 K 4552/01

45) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 07.09.2012, Az.: 2 Bs 165/12

46) Niederschrift BA3-Leiter-Sitzung vom 05.12.1996 (Protokoll Nr. 03/1996, TOP 13.6) sowie Stadt-

47) 2/75, Nr. 5 Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 07.09.2012, Az.: 2 Bs 165/12

48) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 10.02.2012, 2 Bs 245/11

49) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 07.09.2012, Az.: 2 Bs 165/12

50) Siehe VG Hamburg, Urteil vom 10.05.2012, Az.: 19 K 3059/09

51) Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen wechselt die bisherige Rechtsauffassung. Sie wurde durch die Rechtsprechung noch nicht bestätigt.

52) Siehe hierzu Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB Kommentar, Band 5 zu § 19 BauNVO, Rn. 13

53) RGaO § 12 Abs. 1

54) Gloede/Dehn, BPVO, Erläuterung zu § 11, Spalte 8, S. 46 (von 1955)

55) ebenda

56) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 30. April 2008, Az.: 2 Bf 133/03

57) Siehe Lechelt, Baurecht in Hamburg, Band II, S. 610

58) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 20.02.1997, Az.: Bf II 13/96

59) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 14.06.2013, Az.: 2 Bs 126/13 und Niederschrift der Fachbesprechung Bauaufsicht am 21.11.2013, TOP 3

60) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 19.07.1999, Az.:2 Bs 204/99

61) Siehe OVG Hamburg, Urteil vom 29.02.1988, Az.: Bf II 35/87 u.a.,

62) Siehe OVG Hamburg, Beschluss vom 10.02.2012, Az.: 2 Bs 245/11 sowie OVG Hamburg, Urteil vom 29.08.1963

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