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KiKK-Studie - Bewertung der epidemiologischen Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken
- Stellungnahme der Strahlenschutzkommission -

Vom 21. Januar 2009
(BAnz. Nr. 60a vom 22.04.2009 S. 1)



Nachfolgend wird die Stellungnahme der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 227. Sitzung der Kommission am 25./26. September 2008, bekannt gegeben.

Die wissenschaftliche Begründung der Stellungnahme kann im Internet unter www.ssk.de kostenlos heruntergeladen werden.

Vorwort

Die am 10. Dezember 2007 der Öffentlichkeit vorgestellte "Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie) stellte fest, dass ein statistischer Zusammenhang besteht zwischen der Nähe der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk zum Zeitpunkt der Diagnose und dem Risiko, vor dem 5. Geburtstag an Krebs (bzw. Leukämie) zu erkranken. Da dieses Ergebnis verständlicherweise eine erhebliche Besorgnis in der Bevölkerung auslöste, beauftragte der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die Strahlenschutzkommission (SSK), diese Studie zu bewerten und vor allem die Frage zu beantworten, ob die von den Kernkraftwerken ausgehende Strahlung für das in der KiKK-Studie beobachtete Ergebnis verantwortlich sein kann.

Zur Vorbereitung der Beantwortung der im Beratungsauftrag aufgeführten Fragen setzte die SSK eine interdisziplinär und international besetzte Arbeitsgruppe ein.

Dieser Arbeitsgruppe gehörten folgende Mitglieder an:

Um sicherzustellen, dass für die Bewertung der KiKK-Studie nur wissenschaftliche Aspekte eine Rolle spielten und keine, wie auch immer geartete politische Einflussnahme erfolgte, nahmen an den Arbeitsgruppen- und SSK-Sitzungen nur die Mitglieder der Arbeitsgruppe bzw. der SSK teil. Allerdings lud die Arbeitsgruppe zu einigen ihrer Sitzungen Gäste ein, um sich ein möglichst umfassendes Bild zu verschaffen:

23. Januar 2008, Bonn:Die Autoren der KiKK-Studie
17. April 2008, Berlin:Prof. Dr. Michael Atkinson/Dr. Michael Rosemann (molekulare Aspekte)
17. April 2008, Berlin:Die Expertengruppe, die die Vorgaben der KiKK-Studie festlegte und sie begleitete
8. Mai 2008, Berlin:Prof. Dr. Sarah Darby, Dr. Colin Muirhead, Simon Read (Erfahrungen in Großbritannien)
15. Mai 2008, München:Das Bundesamt für Strahlenschutz
29. Juli 2008, Bonn:Prof. Dr. Sarah Darby und Simon Read (per Videokonferenz).

Die SSK befasste sich bisher auf ihren Sitzungen an folgenden Terminen mit der KiKK-Studie:

13. Mai, 3. Juli, 5. August, 4. und 25. September 2008.

Da der Bundesumweltminister möglichst bald eine Antwort auf die im Beratungsauftrag gestellten Fragen erwartete, war von Anfang an klar, dass der Zeitdruck für die SSK enorm hoch sein würde. Im Laufe der Beratungen stellte sich heraus, dass es nicht möglich sein würde, sowohl die Stellungnahme der SSK als auch den dazugehörenden wissenschaftlichen Anhang bis zum ursprünglich vorgegebenen Termin (Ende September 2008) fertigzustellen. Daher wurde wegen des hohen redaktionellen Aufwands für den wissenschaftlichen Anhang in Absprache mit dem Bundesumweltministerium entschieden, dass dieser mit allen Details und allen Literaturzitaten erst später veröffentlicht wird. Im Anhang wird dann auch ausführlich Stellung genommen zu den zahlreichen Kommentaren, die von außerhalb der SSK zur KiKK-Studie gemacht worden sind. Die KiKK-Studie wird dementsprechend die SSK auf weiteren Sitzungen beschäftigen.

Wer die Diskussionen im Zusammenhang mit der KiKK-Studie verfolgt hat, wird sich nicht wundem, dass auch die SSK keine Antwort hat auf die Frage nach der Ursache für das in der KiKK-Studie berichtete Ergebnis. Auf der Basis des derzeit vorliegenden Wissens ist die SSK aber der Ansicht, dass bestimmte Ursachen ausgeschlossen werden können, und sie macht Vorschläge, was in der Zukunft unternommen werden sollte, um hier Klarheit zu schaffen.

1 Zusammenfassung

Am 10. Dezember 2007 wurde die "Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie)" 1 der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Hauptergebnis der Studie fassten die Autoren folgendermaßen zusammen: "Unsere Studie hat bestätigt, dass in Deutschland ein Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zum nächstgelegenen Kernkraftwerk zum Zeitpunkt der Diagnose und dem Risiko, vor dem 5. Geburtstag an Krebs (bzw. Leukämie) zu erkranken, beobachtet wird. Diese Studie kann keine Aussage darüber machen, durch welche biologischen Risikofaktoren diese Beziehung zu erklären ist."

Die Beratungsergebnisse der Strahlenschutzkommission (SSK) können wie folgt zusammengefasst werden:

2 Die KiKK-Studie

2.1 Hintergrund

Um 1970 begann in den USA eine heftige Diskussion über eine mögliche Erhöhung der Säuglingssterblichkeit in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Seither wurde immer wieder der Verdacht geäußert, dass kerntechnische Anlagen die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen könnten, sodass zahlreiche epidemiologische Studien vor allem im Hinblick auf Leukämien im Kindesalter durchgeführt worden sind. Im Allgemeinen wurde dabei kein Zusammenhang zwischen Kernkraftwerken (also Anlagen, die der Energiegewinnung dienen) und Leukämien im Kindesalter gefunden. Etwas umstrittener ist die Situation für kerntechnische Anlagen, die nicht für die Energiegewinnung genutzt werden (z.B. Wiederaufarbeitungsanlagen). In einigen Kernkraftwerksstudien gab es Auffälligkeiten in bestimmten Alters- und Entfernungsgruppen, so z.B. bei Auswertungen des Deutschen Kinderkrebsregisters Mainz aus den Jahren 1992 und 1997 in der Gruppe von Kindern unter 5 Jahren im Abstand von bis zu 5 km vom Kernkraftwerk.

Diese Zusammenhänge wurden entweder mit "ökologischen Studien" oder "Fall-Kontrollstudien" untersucht. In ökologischen Studien werden Gruppen von Personen miteinander verglichen, für die keine Individualdaten vorliegen. Hieraus können massive Fehlschlüsse resultieren. Fall-Kontrollstudien können demgegenüber eine deutlich höhere Aussagekraft haben, denn in ihnen werden den Analysen individuelle Eigenschaften von Erkrankungsfällen und gesunden Kontrollen, im Folgenden Fälle und Kontrollen genannt, zugrunde gelegt.

Um verlässlichere Aussagen zur Beziehung zwischen Krebs im Kindesalter, insbesondere Leukämien, und der Umgebung von Kernkraftwerken zu erhalten, initiierte daher das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) im Jahr 2001 eine Fall-Kontrollstudie. Verschiedene Gruppen trafen sich zu einem "Runden Tisch" mit dem Ergebnis, dass ein 12-köpfiges Expertengremium mit epidemiologischem Fachwissen die Fragestellung und die Art der Studie ausarbeitete. Nach erfolgter Ausschreibung erhielt das Deutsche Kinderkrebsregister Mainz den Auftrag, diese Studie durchzuführen. Die Studie begann im Jahr 2003.

2.2 Design der KiKK-Studie

Unter dem Design einer Studie versteht man die Studienplanung einschließlich der Auswertungskonzeption. Die KiKK-Studie sollte prüfen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und dem Risiko, bis zum 5. Lebensjahr an Krebs zu erkranken. Dabei sollte der Abstand als Näherung (Proxy) für die durch die Kernkraftwerke verursachte Strahlenexposition dienen (Seite 29 des Teils 1 der Studie). Im KiKK-Auswerteplan heißt es im Kapitel 3.3.1: "Die Dosis bzw. Exposition der Kinder wird durch den Abstand des Hauptwohnsitzes zum Zeitpunkt der Diagnose (bei Kontrollen: Diagnosemonat des zugehörigen Falls) zum jeweils individuell nächstgelegenen, im Betriebszeitraum liegenden Leistungsreaktor abgeschätzt."

In Kapitel 3.3.2 heißt es weiter: "Aus der vorgegebenen Hypothese (Kapitel 3.1) ergeben sich zwei grundsätzliche Anforderungen an die Modellierung der Dosis-Wirkungsbeziehung:

  1. Die Dosis geht als stetige Größe ein ("Abstandstrend"),
  2. Die Dosis-Wirkungsbeziehung wird als monoton vorausgesetzt, das heißt, wenn eine Abhängigkeit des Risikos von der Dosis besteht, dann steigt das Risiko mit steigender Dosis ("negativer Abstandstrend")."

Auch im Abschlussbericht (KiKK Teil 1, Kapitel 2.5.2, Seite 29) wird der Bezug zwischen Dosis und Abstandsmaß explizit formuliert: "Aus strahlenbiologischen Überlegungen legt man in der Epidemiologie ein Modell vom Typ Relatives Risiko (x) = 1 + βx zugrunde (Linear No Threshold), wobei x die kumulierte Strahlendosis ist." 2

Die Haupthypothese der Studie wurde in Form einer Fall-Kontrollstudie ohne Befragung der Fälle und Kontrollen überprüft (Teil 1 der Studie). Zusätzlich bestand die Aufgabe darin, mögliche "Confounder" (Störfaktoren) zu identifizieren. Dies sollte in einem zweiten Schritt mit Hilfe der Befragung einer Untergruppe der im Teil 1 der Studie untersuchten Population erfolgen (Teil 2 der Studie) 3.

2.3 Durchführung der KiKK-Studie

Die Autoren der KiKK-Studie hielten sich eng an die im Operationshandbuch und im Auswerteplan vorgegebenen Aufgaben.

Für die 16 in die Studie eingeschlossenen Kernkraftwerke wurde die Studienregion in der Regel durch den Landkreis, in dem sich das Kernkraftwerk befindet, den nächstgelegenen Nachbarlandkreis und den nächsten östlich gelegenen Landkreis definiert. In einigen Fällen wurde ein vierter Landkreis hinzugenommen, um die Gebiete früherer durchgeführter Studien vollständig abzudecken.

In der KiKK-Studie Teil 1 begann der Studienzeitraum jeweils ein Jahr nach Inbetriebnahme eines Reaktors am betreffenden Standort, frühestens aber am 1. Januar 1980. Der Studienzeitraum endete 5 Jahre nach Stilllegung des letzten Reaktors am Standort, spätestens aber am 31. Dezember 2003. Der Studienzeitraum wurde in zwei Teilperioden unterteilt, wobei die erste Teilperiode die ersten elf Jahre des jeweiligen Studienzeitraums umfasst.

Als Fälle galten alle im Deutschen Kinderkrebsregister Mainz für die Studienregion (Wohnort zum Zeitpunkt der Diagnose) und den Studienzeitraum gemeldeten erstmaligen, nach der International Classification of Childhood Cancer (ICCC) als bösartig klassifizierten Neubildungen. Es wurden auch Analysen für die folgenden Untergruppen durchgeführt: Leukämien (ICCC: Ia-Ie), akute lymphatische Leukämien (Ia), akute myeloische Leukämien (Ib), Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS, IIIa-IIIf) und embryonale Tumoren 4 (IVa, V, VIa).

Die Kontrollen stimmten mit den Fällen in Geschlecht und Geburtsjahr überein und wohnten im Alter der Falldiagnose in der gleichen Kernkraftwerksregion. Die Gemeinden wurden um die Angabe von jeweils insgesamt 6 Kontrolladressen gebeten. Für jeden Fall wurden drei der gemeldeten Kontrolladressen zufällig ausgewählt.

Für die Wohnadressen der Fälle und Kontrollen wurde der Abstand vom ältesten Abluftkamin am jeweiligen Kernkraftwerksstandort bestimmt.

Die vorab vom Expertengremium festgelegte Hypothese der KiKK-Studie (Nullhypothese) lautete: "Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und dem Risiko, bis zum 5. Lebensjahr an Krebs zu erkranken. Es liegt kein negativer Abstandstrend des Erkrankungsrisikos vor." Die Alternativhypothese lautete: "Es liegt ein negativer Abstandstrend vor. Fälle wohnen tendenziell häufiger in der Nähe eines Kernkraftwerkes."

Die Daten (Odds Ratios als Näherung für das relative Risiko) der gematchten Fälle und Kontrollen wurden sowohl kontinuierlich als auch kategoriell ausgewertet, wobei die Hypothese einseitig getestet wurde.

Bei der kontinuierlichen Auswertung wurde aus den Daten der gematchten Fälle und Kontrollen der beste Schätzwert für einen Parameter β gemäß einem aus strahlenbiologischen Gründen gewählten Modell Relatives Risiko (x) = 1 + βx mit x = 1/r bestimmt und die untere einseitige 95 %-Konfidenzgrenze ermittelt. Die Nullhypothese war abzulehnen, wenn sich β signifikant größer als Null ergab.

Bei der kategoriellen Auswertung wurden die Daten der gematchten Fälle und Kontrollen nach den Kategorien von Wohnungen in bis zu 5 km Entfernung und Wohnungen in mehr als 5 km Entfernung ausgewertet. Eine analoge Auswertung erfolgte für die Kategorien mit der Grenze bei 10 km. Dazu wurde für diese Kategorien jeweils ein Odds Ratio (OR) als Näherung für das relative Risiko für den Vergleich innerhalb mit außerhalb der jeweiligen Abstandsgrenzen mit einseitiger unterer 95 %-Konfidenzgrenze geschätzt. Die Nullhypothese war abzulehnen, wenn sich ein OR signifikant > 1 ergab.

In der KiKK-Studie Teil 2 sollten mögliche Risikofaktoren, die eventuell als Confounder wirken könnten, erhoben werden. Den Fall- und Kontrollfamilien wurden ein Informationsflyer und ein Kurzfragebogen zugesandt. Es wurde angegeben, dass der Einfluss von Umwelt- und Lebensbedingungen auf die Entstehung von Krebserkrankungen bei Kindern untersucht werden solle. Diejenigen Familien, die nicht antworteten und von denen nicht bekannt war, dass das Kind zwischenzeitlich an Krebs verstorben war, wurden - falls möglich - telefonisch kontaktiert.

Mit denjenigen Familien, die zur Mitarbeit bereit waren, wurde ein computergestütztes telefonisches Interview durchgeführt. Es wurde bevorzugt die leibliche Mutter des Kindes befragt.

2.4 Ergebnisse der KiKK-Studie

In Teil 1 der Studie wurden die Abstände der Wohnorte vom nächsten Kernkraftwerk für 1.592 in der Umgebung von 16 deutschen Kernkraftwerken gemeldete Krebsfälle bei unter 5-Jährigen im Zeitraum 1980 bis 2003 und für 4.735 Kontrollpersonen ausgewertet. Die Analyse ergab für die Gesamtheit der Krebsfälle einschließlich Leukämie ein signifikantes Ergebnis für den Koeffizienten des inversen Abstandes zwischen Wohnadresse zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose und dem nächstgelegenen Kernkraftwerk (β= 1,18, untere einseitige 95 %-Konfidenzgrenze: 0,46) 5. In Teilperiode 1 war der beste Schätzwert des Abstandskoeffizienten 1,89 (untere einseitige Konfidenzgrenze: 0,85) und in Teilperiode 2 war er 0,54 (untere einseitige Konfidenzgrenze: -0,47) (Tab. 1). Der Unterschied ist aufgrund der großen statistischen Unsicherheiten allerdings nicht signifikant. Innerhalb des 5 km-Radius um die Kernkraftwerke war das Krebsrisiko der unter 5-Jährigen gegenüber dem Studiengebiet außerhalb des 5 km-Radius um einen Faktor 1,61 erhöht (untere einseitige 95 %-Konfidenzgrenze: 1,26, also > 1).

Der Erfolg der Rekrutierung der Kontrollen war im inneren Umkreis der Kernkraftwerke geringer als in den weiter entfernten Regionen, was zu einer Überschätzung des mittleren Abstandes der Wohnorte von Kontrollkindern führen könnte. Eine Beschränkung der Analyse auf Fall-Kontrolldaten, für die alle Kontrollen geliefert wurden, ergab eine geringfügige Verringerung des Abstandskoeffizienten (Tab. 1). Weiterhin ergab eine Überprüfung, dass für einige Fälle und Kontrollen fehlerhafte Adressen angegeben wurden. Eine Analyse einer Stichprobe unter Ausschluss der Daten, für die Fehler in der Adressangabe gefunden wurden, ergab ebenfalls eine geringfügige Verringerung des Abstandskoeffizienten. Insgesamt deuten die durchgeführten Sensitivitätsanalysen auf einen niedrigeren Abstandskoeffizienten hin als die in der Hauptanalyse gefundenen.

Für Leukämien (593 Fälle, 1766 Kontrollen) wurde ein größerer Abstandskoeffizient gefunden als für alle Krebsfälle (β = 1,75, untere einseitige 95 %-Konfidenzgrenze: 0,65). Innerhalb der 5 km-Radien um die Kernkraftwerke war das Leukämierisiko der unter 5-Jährigen gegenüber dem Studiengebiet außerhalb des 5 km-Radius um einen Faktor 2,19 erhöht (untere einseitige 95 %-Konfidenzgrenze: 1,51).

Tabelle 1:

Zusammenstellung einiger Ergebnisse der KiKK-Studie für den Regressionskoeffizienten (bester Schätzwert und untere einseitige 95 %-Konfidenzgrenze) der Abhängigkeit von Erkrankungsrisiken unter 5-Jähriger vom inversen Abstand des Wohnorts zum nächsten Kernkraftwerk. Ein positiver Wert entspricht einer Abnahme des Risikos mit zunehmendem Abstand. Teilperiode 1 entspricht der ersten Hälfte der jeweiligen Reaktorlaufzeit, Teilperiode 2 der zweiten Hälfte

ErkrankungenEinschränkung der StudiengruppeAnzahl von ErkrankungenRegressionskoeffizient
Bester- Schätzwert *,Untere Konfidenzgrenze
Keine15921,180,46
Alle KrebserkrankungenTeilperiode 16981,890,85
Teilperiode 28940,54-0,47
Adressen für alle Kontrollpersonen vorhanden13101,010,47
Adressen korrekt1.1321,050,59
LeukämienKeine5931,750,65
Beteiligung am Telefoninterview2730,44-1,86
Teilnehmer Teil 2 mit Adresse im Studiengebiet2300,33-2,19
Akute lymphatische LeukämienKeine5121,630,39
Akute myeloische LeukämienKeine751,99-0,41
ZNS-TumorenKeine242-1,02-3,40
Embryonale TumorenKeine4860,52-0,83

*) Der Wert ist signifikant, wenn die untere Konfidenzgrenze > 0 ist.

Für akute lymphatische Leukämien war der beste Schätzwert des Abstandskoeffizienten etwas geringer, für akute myeloische Leukämien etwas höher als für alle Leukämien zusammen (Tabelle 1). Für Erkrankungsrisiken an ZNS-Tumoren und embryonalen Tumoren wurde kein statistischer Zusammenhang mit dem Abstand vom nächstgelegenen Kernkraftwerk gefunden.

Auf Bitte der Strahlenschutzkommission hatten Sarah Darby und Simon Read in einer unabhängigen Auswertung die Rohdaten der KiKK-Studie analysiert (siehe Kapitel 4). Tabelle 2 zeigt das Analyse-Ergebnis einer kategoriellen Auswertung, ohne dass sich die einzelnen Kategorien überlappen. Eine signifikante Erhöhung wird nur im Abstand kleiner 5 km beobachtet.

Tabelle 2:

Geschätzte Odds Ratios (relative Risiken) für akute Leukämien (n = 587) bei Kindern unter 5 Jahren für 6 Abstandskategorien zwischen Wohnort und dem nächsten Kernkraftwerk (S. Darby und S. Read 2008)

Abstand vom KKW in kmOdds Ratio*,95%-KonfidenzintervallP-Wert für den Test auf Unterschied vom Bereich 10 bis 29 km
(2-seitig)
Anzahl der FälleAnzahl der Kontrollen
< 52,27(1,45 - 3,56)0,00033754
5-91,09(0,78 - 1,52)0,6257170
10-291,00--3271039
30-491,12(0,87 - 1,43)0,38135385
50-690,95(0,56 - 1,61)0,852789
70+1,11(0,34 - 3,63)0,86411
Gesamtanzahl  5871748

*) Der Wert ist signifikant, wenn die untere Grenze des Konfidenzintervalls > 1 ist.

Im Beobachtungszeitraum wurde ein erheblicher Zuzug in die Untersuchungsregionen festgestellt. Im Mittel lag der Wanderungssaldo in den Regionen um die einzelnen Kernkraftwerke sogar bei einigen Tausend Personen pro Jahr.

In Teil 2 der Studie stellte sich heraus, dass die Eltern der Fälle in der näheren Umgebung der Kernkraftwerke deutlich seltener die an sie gestellten Fragen beantworteten als die Eltern der Kontrollen. Die Analyse der Leukämiedaten für Personen, die sich am telefonischen Interview beteiligt hatten, ergab einen geringen nichtsignifikanten Abstandskoeffizienten (β = 0,44). Wegen des großen Unterschiedes zum Ergebnis des Teils 1 der Studie zogen die Autoren den Teil 2 der Studie nicht zur Interpretation der Ergebnisse von Teil 1 der Studie bezüglich möglicher Störfaktoren (Confounder) heran.

Die dennoch durchgeführten Analysen möglicher Einflüsse von Confoundern ergaben ein uneinheitliches Bild.

Unter den Probanden gab es auch solche, die bis zum Stichtag nie im Studiengebiet gewohnt hatten (die also von vornherein nicht in die Studie hätten eingeschlossen werden dürfen). Unter Ausschluss dieser Teilnehmer und unter Verwendung des mittleren Abstands der Wohnorte während der Beobachtungszeit (statt des Abstandes des Wohnortes zum Zeitpunkt der Diagnose) ergab sich ein geringerer Abstandskoeffizient als für alle Teilnehmer an Teil 2 der Studie.

2.5 Zusätzliche Publikation im Deutschen Ärzteblatt 2008

In einer ergänzenden Arbeit (Kaatsch et al. 2008 im Deutschen Ärzteblatt, im Druck) wurden folgende zusätzliche Betrachtungen der Autoren der KiKK-Studie veröffentlicht:

In der KiKK-Studie wurden relative Risiken für Leukämie bzw. Krebs im Kindesalter auf der Grundlage der beteiligten Erkrankungsfälle und Kontrollen berechnet (die zum Teil nur unvollständig berücksichtigt werden konnten). In dieser Arbeit wurden auf der Grundlage der vollständigen Daten des Deutschen Kinderkrebsregisters Mainz zusätzlich standardisierte Inzidenzverhältnisse (SIR) für Leukämien berechnet. Diese standardisierten Inzidenzverhältnisse geben das Verhältnis der Zahl beobachteter Erkrankungsfälle zur Zahl erwarteter Erkrankungsfälle an. Die erwarteten Erkrankungsfälle berechnen sich aus der Zahl der Einwohner unter 5 Jahren in der untersuchten Region und der im gleichen Zeitraum bundesweit beobachteten Erkrankungshäufigkeit. Hier zeigten sich folgende Ergebnisse:

Die Autoren stellen in der Diskussion fest, dass auch die KiKK-Studie - wie fast alle empirischen, nichtexperimentellen Studien - potenzielle Verzerrungen und Limitationen aufweist. Hierzu zählen sie folgende Punkte:

3 Gegenwärtiger Kenntnisstand

3.1 Biologische und epidemiologische Erkenntnisse zur Leukämie-Entstehung im Kindesalter

Die gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Ablauf, wie eine Leukämie im Kindesalter entsteht, sind außerordentlich lückenhaft. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass sich in der Vergangenheit die Forschungsaktivitäten auf andere Erkrankungen konzentriert haben, da Leukämie im Kindesalter eine ausgesprochen seltene Erkrankung ist: Im Alter zwischen 0 und 15 Jahren treten in Deutschland pro Jahr etwa 5 Fälle unter 100.000 Kindern auf; bei unter 1-Jährigen sind es etwa pro Jahr 4 Fälle pro 100.000 Kinder und bei den 1- bis 4-Jährigen etwa pro Jahr 9 Fälle pro 100.000 Kinder. In anderen Ländern sind diese Werte ähnlich. Auch wenn man alle Krebsfälle bei Kindern bis 15 Jahre berücksichtigt, findet man, dass es sich um sehr seltene Ereignisse handelt, da etwa pro Jahr 15 Fälle pro 100.000 Kinder beobachtet werden 6. Auffällig ist, dass bei Kindern, im Unterschied zu Erwachsenen, nahezu ausschließlich die akuten Formen der Leukämie und so gut wie keine chronischen Formen auftreten.

In den Blutzellen von relativ vielen Neugeborenen beobachtet man Auffälligkeiten im Erbmaterial (z.B. chromosomale Translokationen, Amplifikationen), die als relevant für die Leukämieentstehung angesehen werden. Die Zahl von Kindern, die schließlich mit solchen Auffälligkeiten eine Leukämie entwickeln, ist jedoch sehr viel geringer als die Zahl derer, die solchermaßen veränderte Blutzellen tragen (z.B. um einen Faktor 100 im Fall der Fusion der Gene TEL und AMLJ). Man schließt daraus, dass die Initiation ("in-Gang-Setzung") bereits während der Schwangerschaft erfolgt, dass diese aber alleine nicht ausreicht. Daraus folgt, dass weitere Faktoren hinzukommen müssen, die den bereits eingeleiteten Prozess fortführen. Epidemiologische Untersuchungen haben den Verdacht auf zahlreiche Faktoren gelenkt, die in diesen sehr komplexen Prozessen eine Rolle spielen könnten. Dass die epidemiologischen Ergebnisse teilweise sehr widersprüchlich sind, hängt vor allem damit zusammen, dass es sich bei der Leukämieentstehung um ein Geschehen mit mehreren möglichen Faktoren handelt, die unter Umständen erst in ihrem Zusammenwirken krankheitsrelevant sein können. Dabei ist der Beitrag einzelner Faktoren nur schwer nachzuweisen.

Eine Fülle von Faktoren steht zumindest im Verdacht, Leukämien im Kindesalter auszulösen oder eine durch einen anderen Faktor in Gang gesetzte Leukämie fortzuführen oder auch eine Leukämieentstehung zu verhindern (ausführlich wird auf diese Faktoren im wissenschaftlichen Anhang eingegangen werden). Dass Leukämien im Kindesalter durch ionisierende Strahlung ausgelöst werden können, ist unumstritten. Hierbei ist die Höhe der Strahlendosis von zentraler Bedeutung. Weitere als Leukämie-Auslöser oder -Unterstützer zumindest im Verdacht stehende Faktoren betreffen verschiedene Chemikalien (wie Benzol und andere Kohlenwasserstoffe, Pestizide, Chemotherapeutika), Magnetfelder (wobei hier bisher kein biologischer Mechanismus bekannt ist, der diese, auch nicht in allen Studien gefundenen Ergebnisse erklären könnte), den Sozialstatus (in letzter Zeit wieder umstritten, nachdem es lange als ziemlich gesichert angesehen wurde, dass Kinder aus Familien mit einem hohen Sozialstatus ein erhöhtes Leukämierisiko aufweisen), das Geburtsgewicht (erhöhtes Risiko bei Kindern unter 2,5 kg und über 4 kg), genetische Prädispositionen (u. a. haben Kinder mit Down-Syndrom ein 10- bis 20-fach höheres Leukämierisiko als Vergleichskinder) und Infektionen.

Gerade der Faktor "Infektionen" stellt sich sehr komplex dar, findet man hier doch sowohl Befunde für eine Leukämie-Auslösung bzw. -Unterstützung als auch für einen Schutz gegenüber Leukämien. Eine wesentliche Rolle spielt das Immunsystem in diesem Zusammenhang. Die Komplexität des Immunsystems und große Kenntnislücken bezüglich der immunologischen Mechanismen verhindern jedoch zurzeit eindeutige Antworten, sodass viele Aussagen spekulativ sind. In Bezug auf Kernkraftwerke und Immunologie kann spekuliert werden, ob die mikrobiologische Exposition durch Kühltürme oder Flüsse einen Risikofaktor darstellen könnte.

3.2 Auftreten von Leukämien im Kindesalter in der Umgebung kerntechnischer Anlagen

Seit 1983 berichtet wurde, dass in der Umgebung der englischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield vermehrt Leukämien bei 0- bis 24-Jährigen beobachtet wurden, ist in einer größeren Zahl von Studien die Frage untersucht worden, ob generell in der Umgebung kerntechnischer Anlagen mehr Leukämien auftreten als zu erwarten sind. Die Studien werden im Einzelnen im Anhang dargestellt. Die deutschen Studien berichteten folgende Ergebnisse:

1992 wurde eine Studie des Deutschen Kinderkrebsregisters Mainz publiziert, die einen Inzidenzvergleich kindlicher Leukämien im Zeitraum 1980 bis 1990 in der Umgebung von 20 Kernkraftwerken in den alten Bundesländern zum Gegenstand hatte. Das Design der Studie orientierte sich stark an einer Studie aus England und Wales, deren Ergebnis für Deutschland überprüft werden sollte. Deshalb wurden die Neuerkrankungen im 15 km-Radius um die Reaktorstandorte mit Kontrollregionen für Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren verglichen. Hierbei ergab sich kein erhöhtes Risiko. Betrachtete man jedoch in einer Zusatzanalyse die jüngste Altersgruppe (0 bis 5 Jahre) im 5 km-Radius, dann ergab sich ein signifikant erhöhtes Risiko. Bei Hinzunahme des Zeitraums 1991 bis 1995 blieb das Ergebnis erhalten.

1992 wurde ebenfalls eine Studie zur Häufigkeit kindlicher Leukämien in der Umgebung der drei Reaktorstandorte in den neuen Bundesländern vorgelegt, auch hier für den 15 km-Radius und die Altersgruppe 0 bis 14 Jahre. Der Zeitraum war 1961 bis 1988. Es zeigten sich keine statistischen Zusammenhänge, auch nicht für den 5 km-Radius.

In der Umgebung des Kernkraftwerks Krümmel und des Forschungszentrums Geesthacht trat im Zeitraum 1990 bis 1996 eine Häufung kindlicher Leukämien auf. Im 10 km-Radius lag für diesen Zeitraum eine signifikant erhöhte Erkrankungszahl vor, die auch in späteren Jahren erhöht blieb. Trotz intensiver Ursachenerforschung inklusive Chromosomenuntersuchungen, Auswertung der Überwachungsunterlagen und interner betrieblicher Unterlagen des Kernkraftwerks Krümmel ergab sich kein Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang der aufgetretenen Leukämiehäufung mit den Emissionen dieser Anlagen.

1994 wurde für den Zeitraum 1984 bis 1993 eine erhöhte Leukämieinzidenz bei Erwachsenen (15 bis 64 Jahre) im 5 km-Radius des Kernkraftwerkes Krümmet berichtet. Die anschließende Überprüfung dieses Befundes für die Umgebung von vier norddeutschen Leistungsreaktoren im Rahmen einer Fall-Kontrollstudie (Norddeutsche Leukämie- und Lymphomstudie), bei der wichtige Risikofaktoren durch Befragung erfasst wurden und eine Quantifizierung der Exposition mit einem mathematischen Ausbreitungsmodell vorgenommen wurde, ergab kein erhöhtes Risiko durch die Kernkraftwerke.

Auch im Ausland wurden umfangreiche Studien zur selben Thematik durchgeführt:

In der COMARE 10-Studie wurde die Abhängigkeit der Kinderkrebshäufigkeit vom Abstand zu kerntechnischen Anlagen in Großbritannien untersucht. Hierbei wurde in der Umgebung von Kernkraftwerken keine Erhöhung der Häufigkeit von Leukämien im Kindesalter beobachtet. In einer neuen Analyse der Daten wurde die Auswertung soweit wie möglich den Bedingungen der KiKK-Studie angepasst. So wurden für unter 5-Jährige gemeldete akute Leukämiefälle untersucht. Es wurde keine Abhängigkeit der Inzidenzrate in den einzelnen Wahlbezirken (Wards) vom Abstand zum nächstgelegenen Kernkraftwerk gefunden.

Eine neuere Studie untersucht den Zusammenhang von Kinderleukämie in der Umgebung kerntechnischer Anlagen in Frankreich und Knochenmarksdosen, die aus Daten für radioaktive Freisetzungen mit der Abluft berechnet wurden. Das Studiengebiet bestand aus 40 km x 40 km-Gebieten um insgesamt 24 Nuklearanlagen inklusive 19 Kernkraftwerken und der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague. Die 2107 Kommunen im Studiengebiet wurden in fünf Kategorien in Abhängigkeit der jährlichen effektiven Dosis aufgeteilt (< 0,045, -0,072, -0,316, -1,0, > 1,0 μSv/Jahr). Im Zeitraum 1990 bis 2001 wurden im Französischen Nationalen Register für Kinderleukämie und -lymphome im Untersuchungsgebiet 750 akute Leukämiefälle im Alter unter 15 Jahren registriert. Die Leukämierate war geringer als im Landesdurchschnitt, allerdings war der Unterschied nur grenzwertig signifikant (Standardisiertes Inzidenzverhältnis (SIR) von 0,94 mit 95 %-Konfidenzintervall von 0,88 bis 1,01). Das SIR war in keiner der fünf untersuchten Dosiskategorien signifikant erhöht. In keiner der untersuchten Altersgruppen, also auch nicht für unter 5-Jährige, gab es eine Evidenz für eine Dosisabhängigkeit des SIR.

Im Jahr 2007 wurde eine Meta-Analyse von Baker et al. zu kindlichen Leukämien und der Nähe zu Kernkraftwerken publiziert. Insgesamt wurden darin 136 Anlagen eingeschlossen. Es wurden separate Modelle für Studien, basierend auf Mortalitäts- und Inzidenzdaten berechnet. Effektschätzer wurden jeweils separat für die Altersgruppe 0-9 Jahre und 0-25 Jahre berechnet sowie für die Distanzen < 16 km und 0-25 km. Alle Modelle ergaben erhöhte Risiken. Diese lagen im Bereich von +2 % bis +25 % und waren in den meisten Fällen statistisch signifikant. Es gab keine Hinweise, dass ein Publikationsbias vorliegt. Die Autoren fanden jedoch keine Evidenz für eine Hypothese, die das Zusatzrisiko erklärt: Auf der Basis von Studien, die Dosis-Wirkungs-Beziehungen hergeleitet haben, ist es unplausibel, dass die geringe zusätzliche ionisierende Strahlung von Kernkraftwerken die Risikoerhöhung erklären kann. Als alternative Erklärungen wird von den Autoren eine Hypothese von Gibson bzw. Wheldon erwähnt, die synergistische Effekte zwischen ionisierender Strahlung und Exposition gegenüber chemischen Schadstoffen vermutet. Es wird eine Reihe von Studien zitiert, die keine Veränderungen der Leukämieraten fanden, wenn Kernkraftwerke in Betrieb gingen oder abgeschaltet wurden. Andere Studien fanden in Planungsregionen von Kernkraftwerken erhöhte Risiken. Es wurde daher spekuliert, dass es eine andere Exposition als die ionisierende Strahlung ist, die für die beobachteten erhöhten Risiken verantwortlich ist. Ein solcher Faktor wurde bisher nicht identifiziert. Ebenfalls diskutiert wurde die Möglichkeit des "Population mixing", das mit einer Veränderung der Konzentration und/oder dem Auftreten von Krankheitserregern verbunden sein könnte; ein entsprechender Erreger (Virus, Bakterium) konnte aber bisher nicht identifiziert werden. Es gibt allerdings auch Kritik an der Methodik der Metaanalyse von Baker et al. Diese bezieht sich vor allem darauf, dass die Einschlusskriterien für berücksichtigte Studien nicht angegeben sind und Hinweise bestehen, dass negative Studien unterrepräsentiert sind.

Für die Gesamtbewertung der deutschen Studien und weiterer Studien aus Großbritannien, Frankreich, Spanien, den USA, Kanada und Japan ergeben sich mehrere Probleme, die die Vergleichbarkeit der publizierten Studien erschweren:

Dennoch lässt sich zusammenfassend festhalten, dass eine schwache Erhöhung der Leukämieinzidenz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen zu beobachten ist, die sich in der jeweils jüngsten Altersgruppe in der nächsten Umgebung der Anlagen zeigt. Abschätzungen der Exposition der Bevölkerung lassen nach übereinstimmender Einschätzung fast aller Autoren einen kausalen Zusammenhang mit den radioaktiven Ableitungen der Anlagen als unvereinbar mit dem wissenschaftlichen Kenntnisstand erscheinen. In mehreren Studien werden alternative Erklärungsansätze analysiert oder zumindest diskutiert, die aber insgesamt kein konsistentes Bild ergeben.

3.3 Strahlenexposition

Um die Strahlenexposition der Bevölkerung in der Umgebung von Kernkraftwerken umfassend zu beschreiben, müssen alle Beiträge zur Strahlenexposition berücksichtigt werden. Diese Beiträge sind nachstehend aufgeführt und kurz erläutert.

Anmerkung: Angaben über die Strahlenexposition der Bevölkerung werden hier und allgemein als Organäquivalentdosen oder als effektive Dosen, beide in mSv, gemacht. Nach Empfehlungen der ICRP sind aber bei Risikoabschätzungen die Strahlenexpositionen in Einheiten der Energiedosis in mGy zu betrachten. Bei der Betrachtung von Organdosen ist die Angabe von mSv im Vergleich zu mGy konservativ, da ein Qualitätsfaktor von 20 für Alpha-Strahler angesetzt wird und damit die Dosis in mSv höher ist als die entsprechende Energiedosis. Bei Betrachtung der effektiven Dosis ist wegen der Gewebewichtungsfaktoren im Einzelfall zu prüfen, ob die Angabe im Kontext sinnvoll und für Risikobetrachtungen nutzbar ist. In dieser Stellungnahme wird in solchen Fällen auf die jeweilige Organdosis zurückgegriffen.

3.3.1 Die natürliche Strahlenexposition

Die effektive Dosis durch natürliche Strahlung in Deutschland beträgt im Mittel 2,1 mSv pro Jahr. Individuelle Dosen variieren in einem 95 %-Häufigkeitsbereich von 1,2 mSv bis 4,6 mSv pro Jahr. Die natürliche Strahlenexposition setzt sich aus Beiträgen der externen Strahlenexposition durch die kosmische und die terrestrische Strahlung, die Inhalation von Radon und Radonfolgeprodukten und die Ingestion natürlicher Radionuklide zusammen.

Die Strahlenexposition durch Inhalation von Radon und Radonfolgeprodukten in Häusern ist die Hauptursache der Variabilität der natürlichen Strahlenexposition. Die mittlere effektive Dosis durch Radon beträgt 1,1 mSv pro Jahr (95 %-Häufigkeitsbereich 0,3 mSv bis 3,6 mSv pro Jahr). Die Inhalation von Radon und Radonfolgeprodukten bewirkt eine Organdosis des roten Knochenmarks mit einem Dosisleistungskoeffizienten von 0,3 mSv pro Jahr und pro 100 Bq/m3 Radon-Konzentration in Luft im Wohnbereich.

In Deutschland beträgt die externe Strahlenexposition durch kosmische Strahlung und durch terrestrische Strahlung im Mittel 0,7 mSv pro Jahr mit einem 95 %-Häufigkeitsbereich von 0,5 mSv bis 1,2 mSv pro Jahr. Baumaterialien von Gebäuden beeinflussen die externe Strahlenexposition. Insgesamt ist die Ortsdosisleistung in Gebäuden höher als im Freien. Die Unterschiede zwischen der natürlichen externen Strahlenexposition im Freien und in Häusern liegen bei jeweils ganzjährigem Aufenthalt im Mittel bei etwa 0,1 mSv pro Jahr. Je nach Baumaterial können die Unterschiede der externen Strahlenexposition in Häusern mehr als einen Faktor 6 ausmachen.

Die Strahlenexposition durch Ingestion ist mit einem Mittelwert von 0,3 mSv pro Jahr und einem 95 %-Häufigkeitsbereich von 0,2 bis 0,4 mSv pro Jahr relativ konstant.

3.3.2 Die medizinische Strahlenexposition

Die individuellen Strahlenexpositionen liegen zwischen 0,01 mSv und ca. 20 mSv pro diagnostischer Anwendung. Der Bericht der Bundesregierung an das Parlament (Parlamentsbericht) nennt für das Jahr 2006 für die medizinische diagnostische Strahlenexposition als Mittelwert für Deutschland 1,9 mSv pro Person pro Jahr (wobei auch die Personen mitgerechnet werden, die keine medizinische diagnostische Strahlenexposition erhalten haben). In der Vergangenheit lag dieser Wert niedriger. Er wurde im Jahr 1972 mit 0,5 mSv pro Person pro Jahr angegeben.

3.3.3 Die Strahlenexposition durch Kernwaffenversuche

Die durch den Fallout der oberirdischen Kernwaffenversuche in Deutschland verursachten effektiven Dosen lagen 1963 bei einem Spitzenwert von ca. 0,15 mSv pro Jahr und sanken in der Folgezeit stark ab. Im Jahr 2000 lagen sie noch bei 0,005 mSv pro Jahr. Integriert über 50 Jahre und alle Expositionspfade ergeben sich insgesamt ca. 1,2 mSv als effektive Dosis aus dem Kernwaffenfallout.

Für den Untersuchungszeitraum der KiKK-Studie lieferten die Hauptbeiträge zur Strahlenexposition die langlebigen Radionuklide H-3 (Tritium), C-14, Sr-90 und Cs-137. Die jährlichen Strahlenexpositionen aus diesen Quellen werden in den Parlamentsberichten der Bundesregierung mit < 0,01 mSv pro Jahr angegeben.

Die oberirdischen Kernwaffenexplosionen bewirkten in den 1960er Jahren eine Verdopplung der natürlichen spezifischen Aktivität des atmosphärischen Kohlenstoffs und erhöhten die natürliche spezifische Aktivität des atmosphärischen Wasserstoffs um 3 Zehnerpotenzen. Diese Spitzenwerte der C-14- und H-3-Kontaminationen führten zu maximalen Strahlenexpositionen von jeweils ca. 0,01 mSv pro Jahr. Im Jahr 2000 war die Strahlenexposition als Folge der Kernwaffenfallouts von C-14 auf ca. 0,002 mSv pro Jahr gesunken, die Exposition durch H-3 aus der gleichen Herkunft belief sich auf weniger als 0,00001 mSv pro Jahr.

3.3.4 Die Strahlenexposition durch den Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl

Durch den Fallout des Unfalls in Tschernobyl wurden in Deutschland Strahlenexpositionen verursacht, für die wegen der Inhomogenität des Fallouts ein Bereich der über 50 Jahre integrierten effektiven Dosen von 0,5 mSv bis 2,2 mSv angenommen werden muss.

Die mittleren jährlichen effektiven Dosen, summiert über alle Expositionspfade, lagen in Deutschland 1986 bei ca. 0,11 mSv. Sie sanken bis 1990 auf ca. 0,025 mSv und liegen seit 2000 bei weniger als 0,015 mSv.

3.3.5 Die zivilisatorische Strahlenexposition durch kerntechnische Anlagen

Die Überwachung der Ableitungen aus deutschen Kernkraftwerken besteht aus einem kombinierten System der Emissions- und Immissionsüberwachung, die eine Beurteilung der aus Ableitungen radioaktiver Stoffe mit Luft und Wasser resultierenden Strahlenexposition des Menschen ermöglicht und eine Kontrolle der Einhaltung von maximal zulässigen Aktivitätsabgaben sowie von Dosisgrenzwerten gewährleistet.

Aufgrund der Kontaminationen der Umwelt, wie durch die oberirdischen Kernwaffenexplosionen und den Fallout des Unfalls von Tschernobyl, sind Emissionsmessungen als Grundlage der Dosisermittlung in der Umgebung von Kernkraftwerken besser geeignet als Immissionsmessungen.

Ungeachtet dessen werden auch die Immissionen im Rahmen des Kernreaktorfernüberwachungssystems (KFÜ) nach der Richtlinie für die Emissions- und Immissionsüberwachung (REI) und mittels des integrierten Mess- und Informationssystems (IMIS) überwacht. Die Leistungsfähigkeit der Überwachungssysteme wird in Deutschland anhand geforderter Nachweisgrenzen festgelegt. Über die geforderten Nachweisgrenzen der Messprogramme kann sichergestellt werden, dass Strahlenexpositionen von 0,001 mSv pro Jahr erkannt würden.

Detaillierte Informationen über die Jahresableitungen radioaktiver Stoffe aus Kernkraftwerken für die gesamten Betriebszeiträume wurden der SSK vom BfS zur Verfügung gestellt. Zusammen mit den Wetterstatistiken würden diese Daten die Berechnung der durch Kernkraftwerke bewirkten zusätzlichen Strahlenexposition der Bevölkerung ermöglichen.

Die Strahlenexposition der Bevölkerung durch Ableitungen radioaktiver Stoffe mit der Fortluft oder dem Abwasser aus Kernkraftwerken wird in den Parlamentsberichten global stets mit < 0,01 mSv pro Jahr angegeben. Für einzelne Kernkraftwerke wurden in verschiedenen Jahren des Studienzeitraums der KiKK-Studie Werte zwischen < 0,0001 mSv und 0,02 mSv pro Jahr angegeben.

Bei diesen Angaben handelt es sich um die potenzielle Strahlenexposition einer Referenzperson, die auf der Basis der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) zu § 47 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) berechnet wurde. Das Modell der AVV berechnet für die verschiedenen zu berücksichtigenden Expositionspfade (äußere Bestrahlung aus der Wolke und durch auf dem Boden abgelagerte radioaktive Stoffe, Inhalation und Ingestion) die maximalen Aktivitätskonzentrationen in der Luft, auf dem Boden, in den Nahrungsmitteln und im Trinkwasser und unterstellt, dass sich die Referenzperson an der jeweils ungünstigsten Einwirkungsstelle für den jeweiligen Expositionspfad aufhält und die Nahrungsmittel und das Trinkwasser ausschließlich von den ungünstigsten Einwirkungsstellen bezieht. Die angenommenen Aufenthaltszeiten und die Verzehrsmengen sind in der Strahlenschutzverordnung festgeschrieben. Die dort angesetzten Daten sind abdeckend, jedoch unrealistisch hoch bezogen auf das Verhalten realer Personen. Sie sind derart konservativ festgelegt, damit gemäß § 47 StrlSchV die zuständige Behörde in Genehmigungsverfahren davon ausgehen kann, dass die Grenzwerte für die allgemeine Bevölkerung sicher eingehalten werden, wenn diese Parameter in Berechnungen der potenziellen Strahlenexposition nach der AVV zu § 47 StrlSchV herangezogen werden.

Zur Berechnung der in den Parlamentsberichten angegebenen Strahlenexpositionen der Referenzpersonen werden die tatsächlichen Emissionen der kerntechnischen Anlagen und die tatsächlichen Wetterbedingungen an den Standorten zugrunde gelegt. Ansonsten werden die Konservativitäten der AVV beibehalten.

Nach Einschätzung der SSK können die in Parlamentsberichten aufgeführten Werte für die Strahlenexposition einer Referenzperson durch die Ableitung radioaktiver Stoffe aus Kernkraftwerken als konservative obere Grenze der tatsächlichen Strahlenexpositionen von Einzelpersonen in der Umgebung von Kernkraftwerken benutzt werden.

3.3.6 Die Strahlenexposition durch sonstige und diffuse anthropogene Strahlenquellen

Sonstige Strahlenexpositionen werden z.B. auch durch Flugreisen bewirkt. Durch die kosmische Strahlung erhält ein Reisender auf der Nordatlantikroute eine Strahlenexposition von ca. 0,006 mSv pro Stunde. Diese pro Flugstunde zu erwartende Strahlenexposition ist in der Größenordnung mit der jährlichen Strahlenexposition der Referenzperson in der Umgebung von Kernkraftwerken vergleichbar und liegt für eine ganze Reihe von Kernkraftwerken und Beobachtungsperioden sogar deutlich darüber.

Auch die Möglichkeit von Strahlenexpositionen durch Verwandte oder Bekannte nach therapeutischen nuklearmedizinischen Maßnahmen ist hier zu nennen. Bei Entlassungsaktivitäten von 400 MBq I-131 und bei Einhaltung vernünftiger Verhaltensweisen schätzt die EU (RP97) ab, dass die Strahlenexpositionen von Kindern unter zwei Jahren zwischen 0,8 mSv und 1,6 mSv liegen können. In Deutschland werden diese Expositionen dadurch begrenzt, dass nach der Richtlinie "Strahlenschutz in der Medizin" die Strahlenexposition für Einzelpersonen der Bevölkerung im Abstand von zwei Metern 1 mSv im Kalenderjahr nicht überschreiten darf.

Diffuse Quellen anthropogener Radionuklide, wie die atmosphärische Kr-85-Aktivität und der Fallout von I-129 aus Wiederaufarbeitungsanlagen und auch Ausscheidungen von Patienten der Nuklearmedizin, vor allem von I-131, führen bisher in Deutschland nur zu vernachlässigbaren Strahlenexpositionen.

3.3.7 Die berufliche Strahlenexposition

Eine berufliche Strahlenexposition der Eltern kann für die Kinder der KiKK-Studie relevant sein. Angaben zur Verteilung der beruflichen Strahlenexposition in Deutschland können den Parlamentsberichten entnommen werden. Detaillierte Daten zu Expositionen von Einzelpersonen sind ermittelbar.

Schlussfolgerung

Die natürliche Radioaktivität und Strahlung, die oberirdischen Kernwaffenexplosionen, der Unfall von Tschernobyl und eine Vielzahl weiterer Ereignisse und Umstände haben eine Fülle von Erfahrungen zur Strahlenexposition des Menschen durch Radioaktivität in der Umwelt geliefert. Diese Erfahrungen umfassen alle Radionuklide (H-3, C-14, Spalt- und Aktivierungsprodukte, radioaktive Edelgase, Aktinide), die auch für die zusätzliche Strahlenexposition durch Kernkraftwerke relevant sind. Speziell die Erfahrungen der oberirdischen Kernwaffenversuche und des Unfalls von Tschernobyl lassen den Schluss zu, dass eine zusätzliche Umweltradioaktivität, die Strahlenexpositionen mit Jahresdosen oberhalb von 0,01 mSv verursacht, in der Umwelt so deutliche Spuren hinterlässt, dass sie messtechnisch zuverlässig erkannt werden kann.

3.4 Quantitative Abschätzung von Leukämie- und Krebsrisiken (alle Krebsarten) im Kindesalter nach Strahlenexposition mit niedriger Dosis

Die Oxford Survey of Childhood Cancers (OSCC) ist mit Abstand die größte Fall-Kontrollstudie zu Kinderkrebs (alle Krebsarten). In ihr wurden die Auswirkungen von Strahlenexpositionen in utero durch Röntgenuntersuchungen der Mutter untersucht. Die Studie schloss für den Zeitraum 1953 bis 1981 insgesamt 15276 Krebstodesfälle im Alter von unter 16 Jahren und eine entsprechende Anzahl von Kontrollpersonen ein. Ungefähr 16 % der Fälle und 12 % der Kontrollpersonen hatten Röntgenuntersuchungen in utero. Über 90 % der Röntgenuntersuchungen fanden im dritten Trimester der Schwangerschaft statt, sodass sich die Ergebnisse der OSCC im Wesentlichen auf Expositionen in diesem Zeitraum beziehen.

Die OSCC ist auch für Leukämie im Kindesalter nach Röntgenuntersuchung in utero die größte der vorliegenden Studien. Bithell und Stewart analysierten im Jahr 1975 Daten bei Kindern jünger als 16 Jahre im Zeitraum 1953 bis 1967 mit insgesamt 4771 aufgetretenen Leukämie- und Lymphommortalitätsfällen und einer entsprechenden Anzahl von Kontrollkindern. 661 der Fälle (13,8 %) und 483 der Kontrollen (10,1 %) hatten Expositionen in utero durch Röntgenuntersuchungen der Mutter.

Die Hauptergebnisse der OSCC beziehen sich auf Krebserkrankungen von unter 16-Jährigen. Demgegenüber wurden in der KiKK-Studie Erkrankungen von unter 5-Jährigen untersucht. Muirhead und Kneale analysierten im Jahr 1989 die Altersabhängigkeit des relativen Kinderkrebsrisikos in den OSCC-Daten. Es ergab sich, dass das relative Risiko im Alter von unter 5 Jahren ungefähr um 10 % höher ist als im gesamten Altersbereich bis unter 16 Jahren. Dementsprechend ist das relative Risiko der unter 5-Jährigen nur unwesentlich höher als die relativ gut abgesicherten mittleren Risikowerte für das gesamte Kindesalter.

Zusammengenommen ergeben die Analysen der OSCC-Daten einen Schätzwert des relativen Risikos von ungefähr 1,4 sowohl für Leukämie als auch für die Gesamtheit aller Krebsarten im Lebensalter unter 5 Jahren nach Röntgenuntersuchungen in utero mit einer Fötusdosis von 10 mGy. Die obere Grenze des Konfidenzintervalls, die für eine worst case-Abschätzung relevant ist, liegt bei ungefähr 1,8.

Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur eine intensive Diskussion über die Validität der OSCC. Insgesamt überwiegen die Argumente für eine Belastbarkeit der Studie. Insbesondere wurden auch die Ergebnisse der OSCC zu Krebs und zu Leukämie durch eine große Anzahl von Fall-Kontrollstudien bestätigt. Ergebnisse von Kohortenstudien ergaben tendenziell niedrigere Risiken, waren aber im Rahmen der Unsicherheiten mit den Ergebnissen der OSCC verträglich.

Die Ergebnisse der OSCC beziehen sich auf Expositionen mit Niedrig-LET-Strahlung mit Fötusdosen von einigen Milligray und mehr. Es gibt keine Evidenz für zusätzliche Risiken durch Expositionen mit Fötusdosen von 1 mGy oder weniger.

Zu Leukämie oder Krebsrisiken im Kindesalter nach postnatalen Expositionen ist weniger bekannt als für Expositionen in utero. Insgesamt gibt es jedoch Hinweise, dass das Risiko nach postnataler Exposition geringer ist als nach Exposition in utero.

Neben Niedrig-LET-Srtahlung trägt durch Kernkraftwerke hervorgerufene Alphastrahlung, wenn auch in sehr viel geringerem Maße, zur Strahlenexposition bei. Allerdings muss man berücksichtigen, dass die natürlicherweise auftretende Alphastrahlung durch Radon und Radonfolgeprodukte um mehrere Zehnerpotenzen höhere Expositionen bewirkt. Zum relativen Risiko für Leukämie und Krebs im Kindesalter durch Exposition mit Alphastrahlung liegen keine verlässlichen Informationen vor. Es gibt keine Evidenz gegen eine Anwendung des von der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) empfohlenen Wertes der relativen biologischen Wirksamkeit von 20 für Alphastrahlung.

Vergleich mit in der KiKK-Studie berichteten Risiken

Die KiKK-Studie ergab für Kinder unter 5 Jahren beste Schätzwerte des relativen Risikos innerhalb des 5 km-Radius um die Kernkraftwerke im Vergleich zum Studiengebiet außerhalb des 5 km-Radius von 1,61 für alle Krebsarten und von 2,19 für Leukämien. Die berichteten Risiken sind also ähnlich hoch, beziehungsweise höher, als die in der OSCC für Strahlenexpositionen in utero mit Dosen von 10 mGy beobachteten Risiken. Für das Bewirken solcher Risiken durch Exposition im Kindesalter wären höhere Dosen notwendig. Es gibt keine Hinweise dafür, dass niedrigere Dosen höhere oder vergleichbare Risiken bewirken. Demnach müsste zur Erklärung der Ergebnisse der KiKK-Studie durch Strahlenexpositionen ein Unterschied der kumulativen Dosen innerhalb und außerhalb der 5 km-Radien in der Größenordnung von mindestens 10 mGy vorgelegen haben.

4 Unabhängige Neuauswertung der Daten der KiKK-Studie

Der Datensatz von Teil 1 der KiKK-Studie wurde von britischen Epidemiologen neu ausgewertet (siehe Bericht von Sarah Darby und Simon Read (2008) im wissenschaftlichen Anhang). Die Analysen ergaben eine Bestätigung der Hauptaussagen der KiKK-Studie und lieferten einige zusätzliche Ergebnisse.

Die zusätzlichen Ergebnisse wurden durch eine Analyse der Daten für akute Leukämien erzielt. Die Signifikanztests wurden zweiseitig durchgeführt. In der kategoriellen Auswertung wurde das Abstandsintervall mit der größten Anzahl von Fällen (10 bis 29 km) als Referenzpunkt gewählt. Es wurden nichtüberlappende Abstandsintervalle untersucht. Weiterhin wurde eine separate Analyse der Hypothesegenerierenden Daten (1980 bis 1990) und der Hypothesetestenden Daten (1991 bis 2003) vorgenommen.

Durch die Einschränkung auf akute Leukämien wurden 6 Leukämiefälle ausgeschlossen. Der Abstandskoeffizient ergab sich in voller Übereinstimmung mit der KiKK-Studie zu 1,70 (95 %-KI: 0,39; 3,02). Das Ergebnis ist signifikant (p = 0,01).

Für die 5 km-Radien um die Kernkraftwerke ergab sich ein relatives Risiko für Leukämie im Kindesalter von 2,27 (95 %-KI: 1,45; 3,56). Das Ergebnis ist hoch signifikant (p = 0,0003). Außerhalb der 5 km-Radien ergibt sich für keine Abstandskategorie ein signifikant erhöhtes Risiko (Abb. 1). Die besten Schätzwerte liegen zwischen 0,95 (50 bis 69 km-Radien) und 1,12 (30 bis 49 km-Radien).

Abbildung 1:

Ergebnis der kategoriellen Auswertung (Punkte) und der stetigen Auswertung (Linien) durch Sarah Darby und Simon Read (2008) für akute Leukämien bei Kindern unter 5 Jahren (Relatives Risiko aus Tabelle 2 des Berichtes von Sarah Darby und Simon Read 2008. Die Balken in x-Richtung kennzeichnen die Breite der jeweiligen Regionen, die Balken in y-Richtung die 95 %-Konfidenzintervalle der Odds Ratios. Die durchgezogene Linie entspricht einem Modell RR(x) = 1 + βx mit x = 1/r und β= 1,7; die gestrichelten Linien entsprechen den β-Werten der Grenzen des beidseitigen 95%-Konfidenzintervalles, β = 0,39 und β = 3,02)

Das Risiko in den 5 km-Radien im Vergleich zum Studiengebiet außerhalb der 5 km-Radien war nicht nur für die Hypothesegenerierende Periode, sondern auch für die Hypothesetestende Periode signifikant (siehe auch 5.4.3). Unter Ausschluss von Fall-Kontrollgruppen, für die keine vollständige Information für alle Kontrollen vorlag, ergab sich ein relatives Risiko von 1,74 (95 %-KI: 1,02; 2,96). Diese Schätzung basiert auf 21 Erkrankungsfällen bei Kindern, die innerhalb der 5 km-Radien um die Kernkraftwerke in 13 Jahren aufgetreten sind. Das bedeutet, dass 9 Erkrankungsfälle den Einflussgrößen zuzuordnen sind, die für diesen Anstieg verantwortlich sind, was knapp einem Erkrankungsfall pro Jahr entspricht.

In ländlichen Gebieten war das Leukämierisiko höher als in städtischen Regionen. Das relative Risiko lag bei 1,85 (95 %-KI: 1,06; 3,23). Eine separate Analyse der ländlichen und der gemischten/städtischen Regionen ergab in beiden Fällen ein signifikant erhöhtes Risiko innerhalb der 5 km-Radien im Vergleich zum Studiengebiet außerhalb der 5 km-Radien.

Die Autoren des Berichtes über die Vergleichsrechnungen folgern, dass es innerhalb der 5 km-Radien um die Kernkraftwerke ein erhöhtes Risiko für akute Leukämie im Kindesalter gibt. Die Ursachen sind unbekannt. Die Analyse deutet darauf hin, dass auslösende Faktoren mit den Lebensbedingungen in den ländlichen Regionen um die Kernkraftwerke im Zusammenhang stehen könnten.

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