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34. 2,3-Epoxy-1-propanol (Glycidol)
(CAS-NR.: 556-52-5)
(BArbBl. 11/97 S. 72)
In Anbetracht der nur wenigen ergänzenden Daten wird vorwiegend auf das EU-Dossier II bezuggenommen
Genotoxizität:
Es liegen mehrere Ames-Tests mit positivem Resultat an den Stämmen TA 97, TA 100 und TA 1535 mit und ohne Zusatz von S9-Mix vor. Ebenfalls positiv verliefen Chromosomenaberrations- und SCE-Studien in vitro an Humanlymphozyten (ohne S9-Mix) und an CHO-Zellen (+/- S9-Mix). Glycidol wirkte mutagen an Hefe und an L5178Y Maus-Lymphom-Zellen (+/- S9-Mix) [1].
Es liegen auch mehrere in vivo-Studien zur Genotoxizität von Glycidol vor. Im Mikronucleus-Test an der Maus führte die zweimalige i.p.-Gabe von je 150 mg/kg KGW (höchste getestete Dosis) zu einem Anstieg der Mikronuclei-Rate im Knochenmark auf das Dreifache des Kontrollwertes: das Ergebnis wurde im Wiederholungsversuch bestätigt. Im Chromosomenaberrationstest führte die fünfmalige orale bzw. i.p.-Gabe von je 226 bzw. 145 mg/kg KGW zu keinen signifikanten Effekten im Knochenmark von Ratten [1].
Während 20 Tage nach einmaliger Applikation von 300 mg Glycidol/ kg KGW bei der Big Blue Maus keine erhöhte Mutationsfrequenz in Lunge und Brustdrüse feststellbar war, konnte nach Gabe von 150 mg/kg KGW/Tag an 5 Tagen/Woche über 4 Wochen eine erhöhte Mutationsrate in beiden Organen beobachtet werden (Untersuchung am 3. Tag nach der letzten Dosis) [2]:
Organ | Kontrolle | 150 mg/kg KGW/Tag |
Brustdrüse | 61 x 10-6 | 91 x 10-6 |
Lunge | 79 x 10-6 | 142 x 10-6 |
Kanzerogenität:
Je 50 F344-Ratten bzw. B6C3F1-Mäuse pro Geschlecht und Dosis erhielten über einen Zeitraum von 2 Jahren an 5 Tagen/Woche je 0; 37,5 oder 75 mg/kg KGW bzw. 0; 25 oder 50 mg/kg KGW mit der Magensonde. Die Überlebensrate war bei den Glycidol-behandelten Ratten sowie bei den weiblichen Mäusen der 50 mg/kg-Dosisgruppe tumorbedingt erniedrigt. Die Glycidol-Behandlung führte bei Ratten und Mäusen zu einer dosisabhängig erhöhten Inzidenz an Tumoren verschiedener Lokalisationen (siehe Tabelle 1) [1,3].
Es liegt eine weitere orale Kanzerogenesestudie an Hamstern vor. Dabei führte die Gabe von zweimal wöchentlich je 100 mg/kg KGW für 60 Wochen bei 9/20 (45 %) Männchen und bei 13/20 (65 %) Weibchen zu Tumoren: die Kontrollinzidenzen lagen bei 7/12 (58 34) sowohl für Männchen als auch für Weibchen. Auffällig war das Auftreten von Milztumoren (u.a. Hämangiosarkome) bei 2/20 (10 %) Männchen und bei 4/20 (20 % Weibchen nach Glycidol-Behandlung; in der Kontrolle traten keine Milztumoren auf [1].
Die dermale Applikation von je ca. 100 mg einer 5 %igen Glycidol-Lösung in Aceton, dreimal wöchentlich über 520 Tage (ca. 15 mg Glycidol/Tier/Woche: ca. 100 mg/kg KGW/Tag), führte bei weiblichen Swiss-Mäusen zu keinen makroskopisch sichtbaren Hauttumoren. möglicherweise bedingt durch die starke Verdünnung [1].
Reproduktionstoxizität:
Die orale Gabe von je 15 mg/kg KGW/Tag führte bei männlichen Sprague-Dawley-Ratten bereits nach 7-tägiger Behandlung zur Infertilität. Dieser Effekt erwies sich als reversibel innerhalb von 7 Tagen nach Absetzen der Substanz. Die insgesamt 12-tägige Behandlung der Männchen hatte keine histopathologischen Veränderungen von Hoden, Nebenhoden, Prostata oder Samenvesikeln zur Folge: Angaben zu sonstigen toxischen Symptomen fehlen [1].
In einer weiteren Studie an männlichen Wistar-Ratten führte die fünfmalige orale Gabe von > 40 mg/kg KGW/Tag zu einer deutlich verringerten Fertilität und ab l00 mg/kg KGW/Tag zur Sterilität: die Dosis von 20 mg/kg KGW/Tag blieb ohne Effekt. Angaben zu sonstigen toxischen Symptomen fehlen [1].
Während die einmalige orale Gabe von 200 mg/kg KGW/Tag ohne Effekt auf die Fertilität von männlichen Wistar-Ratten und ohne histologischen Befund an den Testes blieb, führte die 5-malige Gabe von je 100 bzw. 200 mg/kg KGW zu einer 2- bis 3-wöchigen vorübergehenden Sterilität der Männchen ohne erkennbare histologische Veränderungen. Auch die 14-malige orale Gabe von je 100 mg/kg KGW/Tag hatte nur eine vorübergehende ca. 5-wöchige Sterilität zur Folge und führte ebenfalls zu keinen histologischen Veränderungen an den Testes [1.4].
Tabelle 1: Tumorinzidenzen bei Ratten und Mäusen nach oraler Gabe von Glycidol [1,3]
Tumortyp/Lokalis. |
Kontrolle |
niedrige Dosis |
Hohe Dosis | |||
M | W | M | W | M | W | |
Ratten: | ||||||
Überlebensrate | 16/50 | 28/50 | 0/50 | 4/50 | 0/50 | 0/50 |
Mesotheliom/Tun. vagin. (b) | 0/47 | 10/50 | 8/41 | |||
Mesotheliom/Tun. vagin. (m) | 3/49 | 24/50 | 31/47 | |||
Mesotheliom/Tun. vagin. (b+m) | 3/49 | 34/50** | 39/47** | |||
Fibroadenom/Brustdrüse | 3/45 | 14/49 | 8/39 | 32/46** | 7/17 | 29/44** |
Adenokarzinom/Brustdrüse | 1/50 | 11/48** | 16/48** | |||
Gliom/Gehirn | 0/46 | 0/49 | 5/50* | 4/46* | 6/30* | 4/46* |
Pap.+Karz./Mundschl.haut | 1/46 | 3/37 | 7/26 | |||
Pap.+Karz./Vormagen | 1/46 | 0/47 | 2/50 | 4/38* | 6/32* | 1l/30* |
Tumoren/Darm | 0/47 | 1/50 | 4/37* | |||
Tumoren/Haut | 0/45 | 5/41* | 4/18* | |||
Karzinom/Zymbaldrüse | 1/49 | 3/50 | 6/48* | |||
Tumoren/Klitorisdrüse | 5/49 | 9/47 | 12/45* | |||
Tumoren/Schilddrüse | 1/46 | 4/42 | 6/19* | |||
Leukämie | 13/49 | 14/44 | 20/41* | |||
Mäuse: | ||||||
Überlebensrate | 33/50 | 29/50 | 25/50 | 27/50 | 27/50 | 17/50 |
Adenom/Hardersche Drüse | 7/46 | 4/46 | 10/41 | 10/43 | 16/44* | 16/43** |
Adenokarz./Hardersche Dr. | 1/46 | 0/46 | 2/41 | 1/43 | 7/44* | 1/43 |
Adenokarz./Brustdrüse | 1/50 | 5/50 | 15/50** | |||
Papillom/Vormagen | 0/50 | 2/50 | 9/50** | |||
Tumoren/Uterus | 0/50 | 3/50 | 3/50 | |||
Tumoren/subkutan | 0/50 | 3/50 | 9/50** | |||
Papillom/Haut | 0/50 | 0/50 | 4/50* | |||
Tumoren/Leber | 24/50 | 9/50 | 31/50 | 7/50 | 35/50* | 14/50 |
Adenome/Lunge | 13/50 | 11/50 | 21/50* | |||
*) P < 0,05 | **)P < 0,01 | (b) benigne | (m) maligne |
Die orale Gabe von > 19 mg/kg KGW/Tag (Maus) bzw. > 25 mg/kg KGW/Tag (Ratte) führte zu einer dosisabhängigen Verringerung von Spermienzahl und -Motilität sowie zu Anzeichen einer Hodenatrophie (signifikant nur bei Ratten bei 200 mg/kg KGW/Tag) [1].
Je 30-37 CD1-Mäuse/Dosisgruppe erhielten vom 6-15. Tag der Trächtigkeit tägliche orale Gaben von je 0:100; 150 bzw. 200 mg/kg KGW. Am 18. Tag erfolgte die Tötung der überlebenden Muttertiere. 5/30 Muttertieren der 200 mg/kg-Gruppe verendeten vor Versuchsende oder wurden im moribunden Zustand vorzeitig getötet; 2 weitere Tiere dieser Gruppe litten an Ataxie. In der 200 mg/kg-Gruppe wurden 15 verkrüppelte Feten festgestellt, 6 davon wiesen eine Gaumenspalte auf. Alle 15 Feten gehörten jedoch zu einem einzigen Wurf. Die weiteren Anomalitäten lagen im Bereich der Kontrollinzidenz [1].
Es liegt auch eine Teratogenitätsstudie an Sprague-Dawley-Ratten vor. Dabei wurde den Tieren am 13. Tag der Trächtigkeit der Uterus entnommen und den Feten Glycidol in Dosierungen von 0 (kontralaterale Kochsalz-Kontrolle); 10; 100 bzw. 1000 µg/Fetus intraamniotisch injiziert. Anschließend wurden die Uteri in die Bauchhöhle der Muttertiere überführt. Am 20. Tag der Trächtigkeit wurden die Muttertiere getötet, die Feten entnommen, gewogen und auf externe Mißbildungen untersucht. Die Resorptionsrate lag in allen 3 Dosisgruppen bei ca. 50 % und unterschied sich damit in der untersten und obersten Dosisgruppe signifikant (P < 0,05) von den Kontrollen. Allerdings war in der 10 µg-Gruppe auch die Resorptionsrate der kontralateralen Kochsalz-Kontrolle bereits signifikant gegenüber der separaten Kontrolle erhöht. In der 1000 µg-Gruppe wiesen 44 % (Kontrollen sowie 10 und 100 µg: 0 %) der lebenden Feten Mißbildungen auf; an spezifischen Mißbildungen wurden Defekte an den vorderen (39 %) und hinteren Extremitäten (22 %) sowie tiefstehende Ohren (11 %) festgestellt [5].
Sensibilisierung:
Zur Frage der sensibilisierenden Wirkung liegen keine Daten vor [1].
Fazit:
Genotoxizität:
Glycidol ist ein reaktionsfreudiges Epoxid und reagiert daher mit biologischen Materialien ohne vorherige Aktivierung. Dementsprechend sind die gängigen in vitro-Genotoxizitätstests auch positiv verlaufen. In vivo ist wegen der starken Reaktivität der Verbindung mit deutlichen Effekten vorwiegend im Applikationsbereich zu rechnen; daher erklärt sieh auch der nur sehr schwach positive bzw. negative Mikronucleustest und der negative Chromosomenaberrationstest. Im in vivo-Mutationstest an der Big Blue Maus konnte nur bei wiederholter Applikation eine mutagene Wirkung in Zielorganen der kanzerogenen Aktivität von Glycidol nachgewiesen werden. Hinweise auf genotoxische Effekte von Glycidol an den Keimzellen liegen nicht vor. Wegen der genotoxischen Aktivität in vitro und in vivo (Big Blue Maus) sowie aufgrund der Epoxidstruktur wird Glycidol gemäß den EU-Einstufungskriterien als mutagen Kategorie 3 (M: 3) eingestuft.
Kanzerogenität:
Aufgrund der deutlichen kanzerogenen Wirkung von Glycidol bei Ratte und Maus nach oraler Gabe erfolgt gemäß den EU-Einstufungskriterien eine Einstufung als krebserzeugend Kategorie 2 (K: 2).
Reproduktionstoxizität/Fertilität:
Glycidol führt bei Ratte und Maus nach oraler Gabe zu einer deutlichen Beeinträchtigung der männlichen Fertilität. Daher erfolgt gemäß den EU-Einstufungskriterien eine Einstufung als fertilitätsmindernd Kategorie 2 (RF: 2)
Reproduktionstoxizität/Entwicklung:
Bei der Maus führt die orale Gabe von Glycidol bis in den maternal stark toxischen Bereich hinein zu keinen Anzeichen für eine Beeinträchtigung der fetalen Entwicklung. Die bei Ratten nach intraamniotischer Injektion festgestellten Mißbildungen bleiben wegen der nicht arbeitsplatzrelevanten Applikationsart unberücksichtigt. Daher erfolgt gemäß den EU-Einstufungskriterien keine Einstufung (RE: -).
Sensibilisierung:
Aufgrund fehlender Daten ist gemäß den EU-Einstufungskriterien keine Einstufung möglich.
Literatur:
[1] EU-Einstufungsdossier Glycidol vom November 1995
[2] Putman, D.L., Young, R.R., Tindall, K.R.: Evaluation of the mutagenic potential of glycidol using Big BlueR transgenic mice. The VII. International Congress of Toxicology (02.-06.07.1995), Abstract Nr. 46-P-18 (1995)
[3] Irwin, R.D., Eustis, S.L., Stefanski, S., Haseman, J.K.: Carcinogenicity of glycidol in F344 rats and B6C3F1 mice. J. Appl. Toxicol. 16, 201-209 (1996)
[4] Cooper, E.R.A., Jones, A.R., Jackson, H.: Effects of a-chlorohydrin and related compounds on the reproductive Organs and fertility of the male rat. J. Reprod. Fert. 38, 379-386 (1974)
[5] Slott, V.L., Hales, B.F.: Teratogenicity and embryolethality of acrolein and struturally related compounds in rats. Teratology 32, 65-72 (1985).
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