Der Bundesrat hat in seiner 895. Sitzung am 30. März 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Ziele der Kommission, eine aktivere Teilhabe der Bürger und Bürgerinnen der Zivilgesellschaft am Projekt Europa zu stärken und zu fördern und dafür zu sorgen, dass alle Bürger und Bürgerinnen in den Genuss der Vorteile des Binnenmarkts kommen.
- 2. Er fordert die Bundesregierung auf, bei den Verhandlungen über die Einführung der Verordnung über das Statut der Europäischen Stiftung (FE) darauf hinzuwirken, dass die Notwendigkeit einer derartigen Verordnung erneut überprüft wird.
- 3. Der Bundesrat bezweifelt, ob sich der Verordnungsvorschlag über das Statut der FE wie vorgeschlagen auf Artikel 352 AEUV stützen lässt.
Nach dem in Artikel 5 Absatz 2 EUV normierten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung darf die EU nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig werden, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben.
Artikel 352 AEUV gestattet den Erlass von Vorschriften, wenn ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich ist, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen und die Verträge die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorsehen.
Zur Wahl der Rechtsgrundlage führt die Kommission lediglich aus, dass keine anderen Bestimmungen im AEUV existieren, aus denen die EU Handlungsbefugnisse herleiten könnte, und die bereits bestehenden Formen europäischer Gesellschaften auf Artikel 352 AEUV gestützt wurden. Die sonstigen Erwägungen zur Begründung des Rechtsetzungsvorschlags scheinen darauf hinzudeuten, dass der Vorschlag der weiteren Verwirklichung des Ziels, einen funktionierenden Binnenmarkt zu errichten, dienen soll.
Ob das Statut der FE in der vorgelegten Form zur Verwirklichung des Binnenmarktes tatsächlich beitragen kann, erscheint zumindest zweifelhaft. Gemäß der Legaldefinition des Artikels 26 Absatz 2 AEUV handelt es sich beim Binnenmarkt um einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Der Begriff des Binnenmarktes ist daher eng mit den Grundfreiheiten und der Freiheit von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverfälschung verknüpft. Einrichtungen, die keinen Erwerbszweck, sondern einen gemeinnützigen Zweck verfolgen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit (vgl. Artikel 54 Absatz 2 AEUV).
Gemäß Artikel 5 des Verordnungsvorschlags handelt es sich bei einer FE um eine für einen gemeinnützigen Zweck gesondert errichtete Einrichtung, die nur in untergeordnetem Umfang (in Höhe von maximal 10 Prozent des Jahresnettoumsatzes) und nur dann einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen darf, wenn der Gewinn ausschließlich zur Verfolgung des gemeinnützigen Zwecks verwendet wird (Artikel 11 des Verordnungsvorschlags). Eine FE verfolgt daher kraft Definition nicht das Ziel, einer erwerbswirtschaftlichen Betätigung nachzugehen, sondern ist ihrem gemeinnützigen Zweck verpflichtet. Sie kann sich daher nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen.
Diese sie von den bisherigen europäischen Gesellschaftsformen (Europäische Gesellschaft, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung und Europäische Genossenschaft) erheblich unterscheidende Zwecksetzung lässt es zumindest fraglich erscheinen, ob das Binnenmarktziel ihre europäische Installation tatsächlich rechtfertigen kann und folglich Artikel 352 AEUV den Verordnungsvorschlag trägt. Denn die Förderung der unter Artikel 5 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags genannten gemeinnützigen Zwecke fällt in dieser
Breite nicht in den Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche, in denen die Union grundsätzlich zum Handel berufen ist.
- 4. Die Kommission begründet den Bedarf für die Schaffung eines europäischen Rechtsrahmens für Stiftungen im Übrigen mit der Feststellung, dass die Arbeit der Stiftungen über die Landesgrenzen hinaus erschwert und verteuert würde. Der Bundesrat vermisst dazu Belege oder auch nur eine nähere Darlegung. Eine Abfrage der Obersten Stiftungsaufsichtsbehörden der Länder bei den nachgeordneten Stiftungsbehörden aus dem Jahre 2009 hat hierzu jedenfalls keine Hinweise ergeben.
- 5. Die Kommission verfolgt das Ziel, Stiftungen in die Lage zu versetzen, private Mittel effizienter - und kostengünstiger - für gemeinnützige Zwecke innerhalb der EU zu transferieren, was dazu führen würde, dass mehr Mittel für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stünden. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass dieses Ziel durch den Verordnungsvorschlag nicht erreicht werden kann. Im Hinblick auf die Rechtsformenwahl entsteht gerade ein erhöhter Rechtsberatungsbedarf. Darüber hinaus würden beispielsweise durch die Verpflichtung zur Prüfung der Jahresabschlüsse hohe Verwaltungskosten verursacht, die bei gemeinnützigen Einrichtungen nach nationalem Recht nicht zwingend entstehen. Ferner bewirkt die Erleichterung grenzüberschreitender Transaktionen allenfalls eine geographische Verlagerung der für gemeinnützige Zwecke verfügbaren Mittel, nicht jedoch eine Vermehrung dieser Mittel.
- 6. Sollte es tatsächlich Hindernisse bei grenzüberschreitender Betätigung geben, wären diese durch anderweitige Regelungen zu beseitigen. Der Erlass einer Verordnung über das Statut einer FE ist in keinem Fall erforderlich.
- 7. Der Bundesrat sieht weder den Bedarf noch die Notwendigkeit, die FE als neues Rechtsinstitut zu gründen. Gemeinnützige Stiftungen, die in einem anderen Mitgliedstaat gegründet wurden, werden in Deutschland als rechtsfähig anerkannt. Nach der Rechtsprechung des EuGH werden bereits jetzt ausländischen gemeinnützigen Stiftungen unter den gleichen Voraussetzungen wie inländischen Stiftungen Privilegien gewährt (Spendenabzugsfähigkeit, Anerkennung der Gemeinnützigkeit).
Beispielsweise ist der Bayerischen und der Hamburger Aufsicht kein Fall bekannt, bei dem rechtliche Hindernisse einem Engagement in anderen Mitgliedstaaten entgegenstünden. Für grenzüberschreitende Betätigungen innerhalb der EU bietet das bestehende, nationale Stiftungsrecht der Mitgliedstaaten ausreichende Möglichkeiten.
- 8. Darüber hinaus stünde der aus dem Statut resultierende erhebliche Umsetzungs- und Verwaltungsaufwand in den Mitgliedstaaten in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem damit unter Umständen verbundenen Nutzen.
- 9. Der Bundesrat sieht insbesondere den erheblichen Durchführungsaufwand bei Gründung der FE in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen. Sowohl das in Artikel 12 ff., 21 ff. des Verordnungsvorschlags vorgesehene Verfahren zur Errichtung als auch die Vorschriften zur Aufsicht in Artikel 45 ff. des Vorschlags weichen erheblich von den nationalen Bestimmungen ab und würden zu einer aufwendigen "Parallelverwaltung" von nationalen Stiftungen und FE führen.
- 10. Hinsichtlich der Widersprüche zum deutschen Steuerrecht ist darauf hinzuwirken, dass die Grundsätze des deutschen Steuerrechts nicht durch die Bestimmungen einer zukünftigen europäischen Verordnung aufgehoben werden.
Der Vorschlag für eine Verordnung des Rates führt in den Mitgliedstaaten zu einem Nebeneinander von europäischen und nationalen Gemeinnützigkeitsregelungen sowie zu einem Nebeneinander von europäischen und nationalen Spendenregelungen. Durch das Nebeneinander verkompliziert sich das Steuerrecht. Es werden Sonderregelungen eingeführt; dies ist regelmäßig streit- und missbrauchsanfällig. Reflexionen auf das deutsche Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht sind nicht auszuschließen. Die vorgeschlagene Verordnung ist nicht zwingend notwendig. Stiftungen können grundsätzlich auch nach der aktuellen Rechtslage grenzüberschreitend tätig werden, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.
Zu den einzelnen Bestimmungen:
- 11. Die FE ist in der Ausgestaltung durch den Verordnungsvorschlag unabhängig von der Bezeichnung als "Europäische Stiftung" nicht mit einer Stiftung nach bürgerlichem Recht zu vergleichen. Es handelt sich vielmehr um eine gemeinnützige Einrichtung eigener Art, für die nicht der Stiftungsbegriff verwendet werden sollte. Das Statut einer FE, die diesen Namen verdient, müsste dagegen die nachfolgenden Punkte berücksichtigen:
- - Der Bundesrat ist der Auffassung, dass für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der FE eine dauernde und nachhaltige Verfolgung des Stiftungszweckes gewährleistet sein muss, die auch bei Gründung der FE zu überprüfen ist. Stiftungen bedürfen einer ausreichenden Vermögensausstattung, da sie ihren Stiftungszweck gerade durch Nutzung des Stiftungsvermögens erfüllen. Der konkrete Bedarf variiert dabei stark mit dem verfolgten Zweck. Es erscheint daher unzureichend, ein konkretes Mindeststiftungsvermögen von 25 000 Euro für die FE vorzusehen (Artikel 7 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags). Diese Kapitalausstattung wird bei vielen FE zu einer Unterkapitalisierung führen, die die Lebensfähigkeit der Stiftung schon bei Gründung gefährdet. Es besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl von Kleinststiftungen entsteht, die wenig bewirken, aber in der Summe Ressourcen binden und auf Seiten der Behörden einen übermäßigen Verwaltungsaufwand verursachen. Vorzugswürdig erscheint es, die FE bei der Gründung einer Nachhaltigkeitsprüfung zu unterwerfen, die sich am konkreten Finanzbedarf orientiert. Darüber hinaus ist eine Verpflichtung zum Vermögenserhalt erforderlich.
- - Problematisch erscheint mit Blick auf Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit der Stiftung ferner Artikel 12 Absatz 2 des Verordnungsvorschlages. Demnach ist die Errichtung der FE für eine bestimmte Dauer von mindestens zwei Jahren zulässig. Das Konzept der Stiftung macht es nicht erforderlich, dass eine Stiftung für die Ewigkeit konzipiert wird, die rechtlich verselbständigte Verfolgung des Stiftungszweckes muss aber gewährleistet sein. Daran ist aber zu zweifeln, wenn der Verordnungsvorschlag - losgelöst vom verfolgten Zweck - ausdrücklich eine Gründung der FE für eine kurze Zeitspanne ab zwei Jahren vorsieht.
- 12. Der Bundesrat lehnt die Einrichtung eines Registers für die Eintragung der FE ab. Der Bundesgesetzgeber und die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht hatten bei der Novellierung des Stiftungszivilrechts 2002 Forderungen nach Einführung von Stiftungsregistern mit öffentlichem Glauben aus guten Gründen abgelehnt. Vorteile gegenüber dem in Deutschland seit jeher vorgesehenen Genehmigungs- bzw. Anerkennungsverfahren wären mit einem Systemwechsel nicht verbunden.
- 13. Der Bundesrat lehnt Vorgaben zur Organisation der Aufsichtsbehörden ab und hält die vorgesehenen Aufsichtsregelungen auch im Übrigen nicht für praktikabel. Er ist der Ansicht, dass Aufgaben und Befugnisse der zuständigen Behörden allein durch die Mitgliedstaaten geregelt werden können. Insbesondere sollten keine unterschiedlichen Aufsichtsregime für gemeinnützige Einrichtungen nach nationalem Recht und für Europäische Stiftungen aufgebaut werden.
- 14. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass in die Verordnung des Rates über das Statut der FE ein obligatorischer Gleichlauf von Satzungs- und Verwaltungssitz aufzunehmen ist. Artikel 35 des Verordnungsvorschlags sieht nur vor, dass die FE ihren Satzungssitz und ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der EU haben muss; weitere Vorgaben werden nicht gemacht. Der Verordnungsvorschlag steht damit in Widerspruch zu den bislang eingeführten europäischen Gesellschaftsformen. Die Europäische Gesellschaft (Artikel 7 SE-Verordnung), die Europäische Genossenschaft (Artikel 6 SCE-Verordnung) und die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (Artikel 12 EWIV-Verordnung) erfordern zwingend, dass der Sitz der Gesellschaft innerhalb der EU liegt und sich am Sitz auch die Hauptverwaltung befindet.
Der fehlende Gleichlauf von Satzungs- und Verwaltungssitz würde der FE die freie Sitzwahl - unabhängig vom Ort ihres Tätigwerdens und ihrer Verwaltung - innerhalb der EU ermöglichen. Dies birgt die Gefahr einer Umgehung nationalen Stiftungsrechtes durch Gründung von Briefkastenstiftungen im Ausland.
Mit der Möglichkeit, den Satzungssitz frei zu wählen bzw. beliebig zu verlegen (vgl. Artikel 36 f. des Verordnungsvorschlags), geht auch die Wahl der zuständigen Stiftungsaufsicht einher. Gemäß Artikel 45 des Verordnungsvorschlags nimmt in jedem Mitgliedstaat eine Aufsichtsbehörde die Beaufsichtigung der dort eingetragenen FE wahr. Diese Behörde dürfte eine effektive Beaufsichtigung einer FE nur schwer leisten können, wenn sich sowohl deren Verwaltung als auch der Ort ihrer Tätigkeitsausübung nicht in diesem Staat befinden. Die Mitgliedstaaten, in denen die FE tätig ist oder ihre Hauptverwaltung bzw. Hauptniederlassung unterhält, haben hingegen keine eigenen Befugnisse, sondern können lediglich aufsichtliche Nachforschung im Sitzstaat beantragen (Artikel 47 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags). Die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden dürfte sich dabei als sehr zeitintensiv und - auch angesichts möglicher sprachlicher Barrieren - als aufwendig darstellen.
Eine solch ineffektive Aufsicht bringt Gefahren für den Rechtsverkehr mit sich. Die Stiftungsaufsicht hat zu gewährleisten, dass Stiftungen nicht zu stiftungsfremden Zwecken missbraucht werden. Ohne gewissenhafte Aufsicht besteht das besondere Risiko, dass das Stiftungsvermögen einer FE einem der sehr weit formulierten Zwecke des Artikels 5 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags gewidmet und anschließend zweckwidrig verbraucht wird.
- 15. Der Bundesrat sieht als Folge einer ineffektiven Stiftungsaufsicht ein deutliches Haftungsrisiko auf die Länder zukommen. Die Durchsetzung des Stifterwillens gegen abweichendes Verhalten der Organe ist bei der möglichen Divergenz von Sitz und Tätigkeitsschwerpunkt faktisch nur schwer oder gar nicht möglich. Die damit einhergehende Verletzung von zu erfüllenden Garantie- und Schutzfunktionen durch die Stiftungsaufsicht kann zu einer Ersatzpflicht nach Artikel 34 GG i.V.m. § 839 BGB führen.
- 16. Der Bundesrat hält es für bedenklich, dass nach dem Verordnungsvorschlag, anders als nach nationalem Recht, die Prüfung einer Gemeinwohlgefährdung nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Es besteht die Gefahr, dass Stiftungen entstehen, deren Zwecke nach der deutschen Rechtsordnung nicht zulässig wären.
- 17. Durch die Divergenz zwischen Verwaltungs- und Satzungssitz besteht insbesondere die Gefahr, dass eine Gemeinwohlgefährdung im Tätigkeits- oder Verwaltungssitzstaat aufsichtlich nicht überprüft werden kann. Bereits hinreichend wahrscheinliche Verstöße gegen einfaches Gesetzesrecht - also deren nicht nur entfernt liegende Möglichkeit - rechtfertigen die Annahme der Gemeinwohlgefährdung im deutschen Stiftungsrecht (§ 80 Absatz 2 BGB). Es ist jedoch nach dem Verordnungsvorschlag bereits unklar, ob eine solche Prüfung bei Gründung einer FE zu geschehen hat. Jedenfalls wäre eine Prüfung durch die Aufsichtsbehörde des Sitzmitgliedstaates durchzuführen. Dies ließe befürchten, dass die Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung des Mitgliedstaates, in dem die Tätigkeit künftig schwerpunktmäßig ausgeübt werden soll, welcher aber nicht Sitzstaat ist, nicht effektiv geprüft werden würde.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 18. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.