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UVollzG - Untersuchungshaftvollzugsgesetz
Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft in Schleswig-Holstein
- Schleswig-Holstein -
Vom 23. September 2021
(GVOBl. Schl.-H. Nr. 14 vom 28.10.2021 S. 1170)
Gl.-Nr.: 312-21
Archiv: 2011
Abschnitt 1
Allgemeine Bestimmungen
§ 1 Anwendungsbereich
(1) Dieses Gesetz regelt den Vollzug der Untersuchungshaft.
(2) Es gilt entsprechend für den Vollzug der Haft nach § 127b Absatz 2, § 230 Absatz 2, §§ 236, 329 Absatz 3, § 412 Satz 1 und § 453c der Strafprozessordnung sowie der einstweiligen Unterbringung nach § 275a Absatz 6 der Strafprozessordnung.
§ 2 Aufgabe des Untersuchungshaftvollzuges
Der Vollzug der Untersuchungshaft hat die Aufgabe, durch sichere Unterbringung der Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und in den Fällen des § 112a Strafprozessordnung der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen.
§ 3 Zuständigkeit und Zusammenarbeit
(1) Entscheidungen nach diesem Gesetz trifft die Justizvollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird (Anstalt). Sie arbeitet eng mit Gericht und Staatsanwaltschaft zusammen, um die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzuges zu erfüllen und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt zu gewährleisten.
(2) Die Anstalt hat Anordnungen nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr zu beachten und umzusetzen.
§ 4 Grundsätze der Vollzugsgestaltung
(1) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen, soweit die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzuges und die Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens in der Anstalt dies zulassen. Selbständigkeit in der Lebensgestaltung ist zu fördern.
(2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.
(3) Die unterschiedlichen individuellen Erfordernisse und Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, Sprache, Religion, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität, werden bei der Vollzugsgestaltung im Allgemeinen und im Einzelfall berücksichtigt. Kein Mensch darf im Rahmen des Untersuchungshaftvollzuges aufgrund dieser Merkmale, einer rassistischen oder antisemitischen Zuschreibung oder des sozialen Status diskriminiert werden.
(4) Die Belange der Familienangehörigen der Untersuchungsgefangenen sind bei der Vollzugsgestaltung zu berücksichtigen. Der Erhalt familiärer und sozialer Bindungen des Untersuchungsgefangenen soll gefördert werden.
(5) Personen und Einrichtungen außerhalb des Vollzuges sollen in den Vollzugsalltag einbezogen werden. Therapien und Beratungen werden auch durch externe Fachkräfte durchgeführt.
(6) Alle in der Anstalt Tätigen arbeiten zusammen und wirken daran mit, die Aufgaben der Untersuchungshaft und die Grundsätze der Vollzugsgestaltung umzusetzen.
§ 5 Stellung der Untersuchungsgefangenen
(1) Die Untersuchungsgefangenen gelten als unschuldig. Sie sind so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten. Dies ist auch bei der Ausgestaltung der vollzuglichen Angebote zu berücksichtigen.
(2) Die Persönlichkeit der Untersuchungsgefangenen ist zu achten. Ihre Selbständigkeit im Vollzugsalltag ist soweit wie möglich zu erhalten und zu fördern.
(3) Die Untersuchungsgefangenen werden an der Gestaltung des Vollzugsalltags beteiligt. Vollzugliche Maßnahmen sollen ihnen erläutert werden.
(4) Die Untersuchungsgefangenen unterliegen den in diesem Gesetz vorgesehenen Beschränkungen ihrer Freiheit. Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen ihnen nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung unerlässlich sind. Sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Anordnung stehen und dürfen die Untersuchungsgefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.
§ 6 Sicherheit
(1) Die Sicherheit der Bevölkerung, der Bediensteten und der übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Untersuchungsgefangenen wird erreicht durch
Die Sicherheitsmaßnahmen haben sich an den jeweiligen Aufgaben der Anstalten zu orientieren.
(2) Die Sicherheit in der Anstalt soll ein gewaltfreies Klima fördern und die Untersuchungsgefangenen vor Übergriffen Mitgefangener schützen. Den Untersuchungsgefangenen sollen Angebote zur Entwicklung und Stärkung ihrer Fähigkeiten zu gewaltfreier Konfliktlösung gemacht werden.
Abschnitt 2
Vollzugsverlauf
§ 7 Aufnahmeverfahren
(1) Mit den Untersuchungsgefangenen wird unmittelbar nach dem Eintreffen in der Anstalt im Rahmen der Erstaufnahme ein Gespräch geführt, in dem Feststellungen über Sofortmaßnahmen getroffen werden (Sofortgespräch). Mit jeder Untersuchungsgefangenen und jedem Untersuchungsgefangenen soll spätestens drei Tage nach dem Zugang ein Gespräch geführt werden, in dem ihre oder seine gegenwärtige Lebenssituation erörtert wird und sie oder er über ihre oder seine Rechte und Pflichten informiert wird (Zugangsgespräch). Ihnen wird ein Exemplar der Hausordnung ausgehändigt. Dieses Gesetz, die von ihm in Bezug genommenen Gesetze sowie die zu seiner Ausführung erlassenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sind den Untersuchungsgefangenen auf Verlangen zugänglich zu machen.
(2) Während des Aufnahmeverfahrens dürfen andere Untersuchungsgefangene nicht zugegen sein. Bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten, die nicht kurzfristig durch Hinzuziehung anderer Personen überwunden werden können, darf jedoch ausnahmsweise mit Einwilligung der oder des Untersuchungsgefangenen eine zuverlässige Untersuchungsgefangene oder ein zuverlässiger Untersuchungsgefangener hinzugezogen werden.
(3) Die Untersuchungsgefangenen werden alsbald ärztlich untersucht.
(4) Den Untersuchungsgefangenen ist Gelegenheit zu geben, eine Angehörige oder einen Angehörigen oder eine Vertrauensperson von der Aufnahme in die Anstalt zu benachrichtigen, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung nicht entgegensteht.
(5) Die Untersuchungsgefangenen werden dabei unterstützt, notwendige Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige, zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und der Wohnung und zur Sicherung ihrer Habe außerhalb der Anstalt zu veranlassen.
§ 8 Verlegung und Überstellung
(1) Untersuchungsgefangene können abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere Anstalt verlegt oder überstellt werden, wenn es
Zuvor ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(2) § 7 Absatz 4 gilt entsprechend.
§ 9 Vorführung, Ausführung und Ausantwortung
(1) Auf Ersuchen eines Gerichts oder einer Staatsanwaltschaft werden Untersuchungsgefangene vorgeführt. Über Vorführungsersuchen in anderen als dem der Inhaftierung zugrundeliegenden Verfahren sind das Gericht und die Staatsanwaltschaft unverzüglich zu unterrichten.
(2) Aus besonderen Gründen können Untersuchungsgefangene ausgeführt werden. Ausführungen zur Befolgung einer gerichtlichen Ladung sind zu ermöglichen, soweit darin das persönliche Erscheinen angeordnet ist oder dies aus sonstigen prozessualen Gründen erforderlich ist und eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung nicht entgegensteht. Vor der Entscheidung ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Liegt die Ausführung ausschließlich im Interesse der Untersuchungsgefangenen, können ihnen die Kosten auferlegt werden.
(3) Untersuchungsgefangene dürfen befristet dem Gewahrsam eines Gerichts, einer Staatsanwaltschaft oder einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde oder dem Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge auf Antrag überlassen werden (Ausantwortung). Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.
§ 10 Entlassung
(1) Auf Anordnung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft entlässt die Anstalt die Untersuchungsgefangenen unverzüglich aus der Haft, es sei denn, es ist in anderer Sache eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung zu vollziehen.
(2) Aus fürsorgerischen Gründen kann Untersuchungsgefangenen der freiwillige Verbleib in der Anstalt bis zum Vormittag des zweiten auf den Eingang der Entlassungsanordnung folgenden Werktags gestattet werden. Der freiwillige Verbleib setzt das schriftliche Einverständnis der Untersuchungsgefangenen voraus, dass die bisher bestehenden Beschränkungen aufrechterhalten bleiben.
(3) Bedürftigen Untersuchungsgefangenen kann eine Entlassungsbeihilfe in Form eines Reisekostenzuschusses, angemessener Kleidung oder einer sonstigen notwendigen Unterstützung gewährt werden.
Abschnitt 3
Unterbringung
§ 11 Trennungsgrundsätze
(1) Untersuchungsgefangene werden von Gefangenen anderer Haftarten, namentlich von Strafgefangenen, getrennt untergebracht. Ausnahmen sind zulässig
Darüber hinaus können Untersuchungsgefangene ausnahmsweise mit Gefangenen anderer Haftarten untergebracht werden, wenn die geringe Anzahl der Untersuchungsgefangenen eine getrennte Unterbringung nicht zulässt.
(2) Untersuchungsgefangene unterschiedlichen Geschlechts werden getrennt untergebracht. Von dem Grundsatz der getrennten Unterbringung kann im Einzelfall unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der Gefangenen, insbesondere aufgrund ihrer Persönlichkeit und besonderen Bedürfnisse, abgewichen werden, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht gefährdet sind.
(3) Gemeinsame Maßnahmen, insbesondere zur schulischen und beruflichen Qualifizierung, sind zulässig, wenn Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht gefährdet oder schädliche Einflüsse nicht zu befürchten sind.
§ 12 Unterbringung
(1) Die Untersuchungsgefangenen werden in ihren Hafträumen einzeln untergebracht. Auf ihren Antrag können Untersuchungsgefangene gemeinsam untergebracht werden, wenn schädliche Einflüsse nicht zu befürchten sind. Der Antrag kann jederzeit widerrufen werden.
(4) Ohne Zustimmung ist eine gemeinsame Unterbringung nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig.
§ 13 Einschluss und Aufenthalt außerhalb der Nachtzeit
(1) Während der Nachtzeit werden die Untersuchungsgefangenen eingeschlossen; außerhalb der Nachtzeit können sie sich in Gemeinschaft aufhalten. Die Dauer der Nachtzeit wird durch die Aufsichtsbehörde durch Erlass bestimmt.
(2) Der gemeinschaftliche Aufenthalt kann eingeschränkt werden, wenn es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung erforderlich ist.
(3) Darüber hinaus dürfen die Untersuchungsgefangenen eingeschlossen werden
§ 14 Abteilungsvollzug
(1) Untersuchungsgefangene werden grundsätzlich in Abteilungen der Anstalt untergebracht. Diese sollen überschaubare Gruppen und räumliche Einheiten bilden.
(2) Die Gruppen werden in der Regel von fest zugeordneten Bediensteten betreut, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen mit abgestimmten Vollzugsmaßnahmen eingehen können.
Abschnitt 4
Soziale Hilfen und Beratung
§ 15 Soziale Hilfen
(1) Die Untersuchungsgefangenen werden darin unterstützt, ihre persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu beheben. Sie sollen dazu angeregt und in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.
(2) Die Anstalt arbeitet mit außervollzuglichen Einrichtungen und Organisationen sowie mit Personen und Vereinen eng zusammen, die soziale Hilfestellung leisten können, die sich um eine Haftvermeidung oder einen Ausgleich mit den Verletzten der Straftat bemühen. Die Untersuchungsgefangenen sind zu beraten. Insbesondere sind ihnen Stellen und Einrichtungen außerhalb der Anstalt zu benennen.
(3) Die Untersuchungsgefangenen sind, soweit erforderlich, über die notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche zu beraten.
§ 16 Ausgleich von Tatfolgen
(1) Im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts vermittelt die Anstalt tatfolgenausgleichende Maßnahmen zum Zweck des Täter-Opfer-Ausgleichs oder der Schadenswiedergutmachung nach §§ 155a, 155b Absatz 1 der Strafprozessordnung.
(2) Außerhalb des Ermittlungsverfahrens weist die Anstalt die Untersuchungsgefangenen auf tatfolgenausgleichende Angebote hin und stellt die Vermittlung an die Mediationsstellen sicher.
(3) Die Teilnahme an tatfolgenausgleichenden Maßnahmen bedarf der Zustimmung aller Beteiligten. Sie kann jederzeit widerrufen werden. Nach Beendigung teilt die durchführende Stelle dem Vollzug das Ergebnis der Maßnahme und gegebenenfalls getroffene Wiedergutmachungsvereinbarungen schriftlich mit.
(4) Zur Ermöglichung tatfolgenausgleichender Maßnahmen ist den beteiligten Verletzten und Angehörigen auf Antrag die Erstattung von angemessenen Fahrtkosten und Aufwandsentschädigungen zu gewähren. Hierauf sind die Betroffenen hinzuweisen. Die Prüfung der Angemessenheit der Kosten obliegt im Einzelfall der Anstalt.
§ 17 Schuldenregulierung
Die Anstalt hält Angebote zur Beratung der Untersuchungsgefangenen bei der Regulierung ihrer Schulden und zur Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Verpflichtungen, insbesondere Unterhaltspflichten, vor, um die Untersuchungsgefangenen in die Lage zu versetzen, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu ordnen, ihren Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, den durch ihre Taten verursachten Schaden auszugleichen sowie ihre Schulden im Rahmen ihrer Möglichkeiten abzutragen.
§ 18 Suchtmittelberatung
Die Anstalt bietet Angebote zur Beratung von Suchtmittelabhängigen und Suchtgefährdeten an, um den Missbrauch von Suchtmitteln zu vermeiden, Therapiemotivation zu wecken und die Untersuchungsgefangenen bei der Anbahnung einer Therapie außerhalb des Vollzuges zu unterstützen. Die medizinische Behandlung und psychosoziale Begleitung von sucht- mittelabhängigen Untersuchungsgefangenen werden vorgehalten.
§ 19 Familienunterstützende Angebote
Familienunterstützende Angebote bieten den Untersuchungsgefangenen Hilfe bei der Bewältigung ihrer familiären Situation, zur Aufrechterhaltung und Pflege ihrer familiären Beziehungen sowie Unterstützung in der Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwortung an, unter anderem im Rahmen von Familien- und Paarberatung sowie von Väter- oder Müttertraining. Kinder und Partnerinnen und Partner der Untersuchungsgefangenen können in die Gestaltung einbezogen werden. Für Besuche und Kontakte im Rahmen dieser Angebote sind geeignete Räumlichkeiten vorzuhalten. In geeigneten Fällen nimmt die Anstalt Kontakt zu den zuständigen Sozialleistungsträgern auf.
§ 20 Soziales Training
Auf der Grundlage gruppenpädagogischer Konzepte können soziale Trainings zur Förderung sozial angemessener Verhaltensweisen, zur Überwindung von Verhaltensproblemen, zur Einübung gewaltfreier Konfliktlösungskompetenzen und zur Ermöglichung sozialen Lernens angeboten werden.
Abschnitt 5
Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeit, Vergütung
§ 21 Qualifizierung und Arbeit
(1) Die Untersuchungsgefangenen sind nicht zur Arbeit verpflichtet.
(2) Den Untersuchungsgefangenen soll entsprechend ihren Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen Arbeit, die Teilnahme an Arbeitstraining oder Arbeitstherapie angeboten werden.
(3) Geeigneten Untersuchungsgefangenen soll Gelegenheit zum Erwerb oder zur Verbesserung schulischer und beruflicher Kenntnisse gegeben werden, soweit es die besonderen Bedingungen der Untersuchungshaft zulassen. Zur Vorbereitung und Durchführung dieser Maßnahmen soll Untersuchungsgefangenen, die nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, die Teilnahme an Deutschkursen ermöglicht werden.
(4) Nehmen die Untersuchungsgefangenen eine Arbeit oder sonstige Beschäftigung nach den Absätzen 2 oder 3 auf, gelten die von der Anstalt festgelegten Beschäftigungsbedingungen. Für schwangere und stillende Untersuchungsgefangene sind die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes vom 23. Mai 2017 (BGBl. I S. 1228), geändert durch Gesetz vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S.2652), über die Beschäftigungsverbote und die Gestaltung des Arbeitsplatzes entsprechend anzuwenden. Die Untersuchungsgefangenen können von ihrer Tätigkeit nach Satz 1 abgelöst werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist.
(5) Nachweise über schulische und berufliche Bildungsmaßnahmen dürfen keinen Hinweis auf die Inhaftierung enthalten.
§ 22 Selbstbeschäftigung
(1) Untersuchungsgefangenen soll gestattet werden, sich innerhalb der Anstalt selbst zu beschäftigen, wenn die Beschäftigung geeignet ist und nicht die Aufgaben der Untersuchungshaft, eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder Gründe der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt entgegenstehen.
(2) Das Entgelt ist der Anstalt zur Gutschrift für die Untersuchungsgefangenen zu überweisen.
§ 23 Vergütung
(1) Die Untersuchungsgefangenen erhalten eine Vergütung in Form von
(2) Der Bemessung der Vergütung sind neun Prozent der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zugrunde zu legen (Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der 250. Teil der Eckvergütung; die Vergütung kann nach einem Stundensatz bemessen werden.
(3) Die Vergütung kann je nach Art der Maßnahme und Leistung der Untersuchungsgefangenen gestuft werden. Sie beträgt mindestens 60 Prozent der Eckvergütung und kann nach einem Stundensatz bemessen werden. Das für Justiz zuständige Ministerium wird ermächtigt, in einer Rechtsverordnung Vergütungsstufen zu bestimmen.
(4) Soweit Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit zu entrichten sind, kann vom Arbeitsentgelt oder der Ausbildungsbeihilfe ein Betrag einbehalten werden, der dem Anteil der Untersuchungsgefangenen am Beitrag entsprechen würde, wenn sie diese Vergütung als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer erhielten.
(5) Die Höhe der Vergütung ist den Untersuchungsgefangenen schriftlich bekannt zu geben.
(6) Die Untersuchungsgefangenen, die an einer schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahme teilnehmen, erhalten hierfür nur eine Ausbildungsbeihilfe, soweit kein Anspruch auf Leistungen zum Lebens unterhalt besteht, die außerhalb des Vollzuges aus solchem Anlass gewährt werden.
Abschnitt 6
Außenkontakte
§ 24 Grundsatz
(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, mit Personen außerhalb der Anstalt im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes zu verkehren, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung nicht entgegensteht. Der Verkehr mit der Außenwelt ist zu fördern.
(2) Sind Anhaltspunkte vorhanden, dass Entscheidungen der Anstaltsleitung zur Gewährung, Überwachung oder Untersagung der Außenkontakte der Untersuchungsgefangenen den der Untersuchungshaft zugrundeliegenden Haftgrund oder verfahrenssichernde Anordnungen nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung berühren können, hat die Anstaltsleitung zuvor die Zustimmung des zuständigen Gerichts einzuholen. § 3 Absatz 2 gilt entsprechend.
§ 25 Besuch
(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens zwei Stunden im Monat.
(2) Besuche von Angehörigen im Sinne von § 11 Absatz 1 Nummer 1 Strafgesetzbuch werden besonders unterstützt; die Gesamtdauer erhöht sich hierfür um weitere zwei Stunden. Bei Besuchen von minderjährigen Kindern der Untersuchungsgefangenen erhöht sich die Gesamtdauer um weitere zwei Stunden.
(3) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die nicht von den Untersuchungsgefangenen schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur voraussichtlichen Entlassung aufgeschoben werden können.
(4) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann über Absatz 1 und 2 hinausgehend mehrstündige, unüberwachte Besuche (Langzeitbesuche) zulassen, wenn dies zur Pflege der familiären, partnerschaftlichen oder ihnen gleichzusetzender Kontakte der Untersuchungsgefangenen förderlich erscheint und die Untersuchungsgefangenen hierfür geeignet sind.
(5) Die Anstaltsleitung kann den Untersuchungsgefangenen gestatten, Besuche mittels einer audiovisuellen Verbindung (Videobesuch) durchzuführen.
§ 26 Untersagung der Besuche
(1) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann Besuche untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde.
(2) Bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass durch Besuch bei der oder dem Untersuchungsgefangenen das Wohl eines Kindes oder einer oder eines Jugendlichen gefährdet wird, insbesondere wenn der Verdacht besteht, dass das Kind oder die oder der Jugendliche Geschädigte oder Geschädigter einer Straftat der oder des Untersuchungsgefangenen war, informiert die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter das zuständige Jugendamt gemäß § 8a Absatz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch und regt an, über das Familiengericht ein Kontaktverbot zu erwirken. Kann eine Entscheidung nicht rechtzeitig erlangt werden, kann die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter vorläufig Besuche untersagen.
§ 27 Durchführung der Besuche
(1) Besuchende Personen und die von ihnen mitgeführten Sachen werden mit technischen Mitteln oder sonstigen Mitteln kontrolliert (Absuchung). Aus Gründen der Sicherheit können Besuche davon abhängig gemacht werden, dass die besuchenden Personen und die von ihnen mitgeführten Sachen durchsucht werden.
(2) Die Durchsuchung der Besucherinnen darf nur durch weibliche Bedienstete, die Durchsuchung der Besucher nur durch männliche Bedienstete erfolgen. Sonstige besuchende Personen haben die Wahlmöglichkeit einer Durchsuchung durch männliche oder weibliche Bedienstete. Die betroffene Person ist auf ihr Wahlrecht hinzuweisen; der Hinweis und die Entscheidung der betroffenen Person sind zu dokumentieren. Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt, entscheidet die Anstalt nach billigem Ermessen.
(3) Bei Darlegung eines berechtigten Interesses steht das Wahlrecht auch weiblichen und männlichen Besuchern zu, so dass die Durchsuchung Bediensteten des jeweils anderen Geschlechts übertragen wird. Die betroffene Person ist auf die Regelung des Satzes 1 hinzuweisen; Absatz 2 Satz 3 2. Halbsatz gilt entsprechend.
(4) Bei jeder Durchsuchung ist das Schamgefühl zu schonen.
(5) Besuche werden in der Regel durch Bedienstete überwacht. Eine akustische Überwachung ist nur zulässig, soweit es im Einzelfall wegen einer Gefährdung der Aufgaben der Untersuchungshaft oder aus Gründen der Sicherheit erforderlich ist.
(6) Besuche dürfen abgebrochen werden, wenn Besucherinnen oder Besucher oder Untersuchungsgefangene gegen dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes getroffene Anordnungen trotz Abmahnung verstoßen. Dies gilt auch bei einem Verstoß gegen verfahrenssichernde Anordnungen nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung. Die Abmahnung unterbleibt, wenn es unerlässlich ist, den Besuch sofort abzubrechen.
(7) Soweit nicht das Gericht im Rahmen einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 der Strafprozessordnung die Übergabe von Gegenständen untersagt hat, bedarf diese der vorherigen Genehmigung der Anstalt. Besucherinnen und Besucher dürfen jedoch Gegenstände, die sie innerhalb der Anstalt an dafür zugelassenen Einrichtungen zum Einkauf für die Untersuchungsgefangenen erworben haben, übergeben.
(8) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann im Einzelfall anordnen,
§ 28 Besuche von Verteidigern, Rechtsanwälten und Notaren
(1) Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern sowie von sonstigen Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern im Sinne von § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 der Strafprozessordnung sind zu gestatten. Ebenfalls zu gestatten sind Besuche von Vertreterinnen und Vertretern der Bewährungshilfe, der Gerichts- und Jugendgerichtshilfe. § 27 Absatz 1 gilt entsprechend.
(2) Im Rahmen der Kontrolle gemäß § 27 Absatz 1 ist eine inhaltliche Überprüfung der von Verteidigerinnen und Verteidigern, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Notarinnen und Notaren mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen nicht zulässig.
(3) Besuche von Verteidigerinnen und Verteidigern sowie von Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten und von Notarinnen oder Notaren in einer die Untersuchungsgefangene oder den Untersuchungsgefangenen betreffenden Rechtssache werden nicht überwacht.
(4) Abweichend von § 27 Absatz 7 dürfen bei Besuchen von Verteidigerinnen und Verteidigern und von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und Notarinnen und Notaren zur Erledigung einer die Gefangenen betreffenden Rechtssache Schriftstücke und sonstigen Unterlagen übergeben werden. Bei dem Besuch von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und Notarinnen und Notaren kann die Übergabe aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt von der Erlaubnis der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters abhängig gemacht werden.
(5) Die Anordnung einer Trennvorrichtung gemäß § 27 Absatz 8 Nummer 1 ist nur zulässig, wenn dies zum Schutz von Personen unerlässlich ist.
§ 29 Telefongespräche
(1) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, Telefongespräche zu führen. Die Bestimmungen über den Besuch gelten entsprechend. Eine beabsichtigte Überwachung teilt die Anstalt den Untersuchungsgefangenen rechtzeitig vor Beginn des Telefongesprächs und den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern der Untersuchungsgefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mit.
(2) Die Kosten der Telefongespräche tragen die Untersuchungsgefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
§ 30 Schriftwechsel
(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, Schreiben abzusenden und zu empfangen.
(2) Die Kosten des Schriftwechsels tragen die Untersuchungsgefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
§ 31 Untersagung des Schriftwechsels
(1) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann den Schriftwechsel mit bestimmten Personen untersagen, wenn
(2) § 26 Absatz 2 gilt entsprechend.
§ 32 Sichtkontrolle, Weiterleitung und Aufbewahrung von Schreiben
(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Absenden und den Empfang von Schreiben durch die Anstalt vermitteln zu lassen, soweit nichts anderes gestattet ist. Ein- und ausgehende Schreiben sind unverzüglich weiterzuleiten.
(2) Ein- und ausgehende Schreiben werden durch Sichtkontrolle auf verbotene Gegenstände kontrolliert. Bei der Sichtkontrolle des Schriftwechsels der Untersuchungsgefangenen mit ihren Verteidigerinnen oder Verteidigern dürfen die ein- und ausgehenden Schreiben nur ungeöffnet auf verbotene Gegenstände untersucht werden.
(3) Die Untersuchungsgefangenen haben eingehende Schreiben unverschlossen zu verwahren, sofern nichts anderes gestattet wird. Sie können sie verschlossen zu ihrer Habe geben.
§ 33 Inhaltliche Kontrolle des Schriftwechsels
(1) Der Schriftwechsel darf nur inhaltlich kontrolliert werden, soweit es im Einzelfall wegen einer Gefährdung der Aufgaben des Vollzuges der Untersuchungshaft oder aus Gründen der Sicherheit erforderlich ist.
(2) Der Schriftwechsel der Untersuchungsgefangenen mit ihren Verteidigerinnen oder Verteidigern wird nicht inhaltlich kontrolliert.
(3) Nicht inhaltlich kontrolliert werden ferner Schreiben der Untersuchungsgefangenen an
Schreiben der in Satz 1 Nummer 2 bis 15 genannten Stellen, die an die Untersuchungsgefangenen gerichtet sind, werden nicht überwacht, sofern die Identität der Absender zweifelsfrei feststeht. Schreiben an nicht in der Justizvollzugsanstalt tätige Ärztinnen und Ärzte, die mit der Untersuchung oder Behandlung der Untersuchungsgefangenen befasst sind, werden über die Anstaltsärztin oder den Anstaltsarzt vermittelt und kontrolliert.
§ 34 Anhalten von Schreiben
(1) Die Anstalt kann Schreiben anhalten, wenn
(2) Ausgehenden Schreiben, die unrichtige Darstellungen enthalten, kann ein Begleitschreiben beigefügt werden, wenn die Untersuchungsgefangenen auf dem Absenden bestehen.
(3) Sind Schreiben angehalten worden, wird das den Untersuchungsgefangenen mitgeteilt. Hiervon kann abgesehen werden, wenn und solange es die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzuges erfordert. Soweit angehaltene Schreiben nicht als Beweismittel nach strafprozessualen Vorschriften sichergestellt werden, werden sie an die Absenderin oder den Absender zurückgegeben oder, sofern dies unmöglich oder aus besonderen Gründen nicht angezeigt oder untunlich ist, verwahrt.
(4) Schreiben, deren Überwachung ausgeschlossen ist, dürfen nicht angehalten werden.
§ 35 Andere Formen der Telekommunikation
(1) Die Anstalten richten Möglichkeiten zur Nutzung anderer Formen der Telekommunikation ein.
(2) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, andere Formen der Telekommunikation zu nutzen. Die Bestimmungen über den Besuch gelten entsprechend. Eine beabsichtigte Überwachung teilt die Anstalt den Untersuchungsgefangenen rechtzeitig vor Beginn der Nutzung und den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mit.
(3) Die Kosten tragen die Untersuchungsgefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
§ 36 Pakete
(1) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, Pakete zu empfangen. Der Empfang von Paketen mit Nahrungs- und Genussmitteln ist untersagt. Die Anstalt kann Anzahl, Gewicht und Größe von Sendungen und einzelnen Gegenständen festsetzen. Über § 37 Absatz 1 Satz 2 hinaus kann sie Gegenstände und Verpackungsformen ausschließen, die einen unverhältnismäßigen Kontrollaufwand bedingen.
(2) Die Anstalt kann die Annahme von Paketen, deren Einbringung nicht gestattet ist oder die die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllen, ablehnen oder solche Pakete an die Absenderin oder den Absender zurücksenden.
(3) Pakete sind in Gegenwart der Untersuchungsgefangenen zu öffnen, an die sie adressiert sind. Mit nicht zugelassenen oder ausgeschlossenen Gegenständen ist gemäß § 40 Absatz 3 zu verfahren. Sie können auch auf Kosten der Untersuchungsgefangenen zurückgesandt werden.
(4) Der Empfang von Paketen kann vorübergehend versagt werden, wenn dies wegen der Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung unerlässlich ist.
(5) Den Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, Pakete zu versenden. Der Inhalt kann aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung überprüft werden.
(6) Die Kosten des Paketversandes tragen die Untersuchungsgefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Anstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
Abschnitt 7
Grundversorgung und Freizeit
§ 37 Einbringen von Gegenständen
(1) Gegenstände dürfen durch oder für die Untersuchungsgefangenen nur mit Zustimmung der Anstalt eingebracht werden. Die Anstalt kann die Zustimmung verweigern, wenn die Gegenstände geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder den Zweck der Untersuchungshaft zu gefährden oder ihre Aufbewahrung nach Art oder Umfang offensichtlich nicht möglich ist.
(2) Das Einbringen von Nahrungs- und Genussmitteln ist nicht gestattet. Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann eine abweichende Regelung treffen.
§ 38 Gewahrsam an Gegenständen
(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen Gegenstände nur mit Zustimmung der Anstalt in Gewahrsam haben, annehmen oder abgeben.
(2) Ohne Zustimmung dürfen sie Gegenstände von geringem Wert an andere Gefangene weitergeben und von anderen Gefangenen annehmen; die Abgabe und Annahme dieser Gegenstände und der Gewahrsam daran können von der Zustimmung der Anstalt abhängig gemacht werden.
(3) Die Zustimmung nach Absatz 1 kann widerrufen werden, wenn es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer erheblichen Störung der Ordnung der Anstalt erforderlich ist.
§ 39 Ausstattung des Haftraums
Die Untersuchungsgefangenen dürfen ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Gegenständen ausstatten oder diese dort aufbewahren. Gegenstände, die geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt, insbesondere die Übersichtlichkeit des Haftraumes, zu gefährden, oder Sachen, deren Überlassung eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung entgegensteht, dürfen nicht in den Haftraum eingebracht werden oder werden daraus entfernt.
§ 40 Aufbewahrung und Vernichtung von Gegenständen
(1) Gegenstände, die die Untersuchungsgefangenen nicht im Haftraum aufbewahren dürfen oder wollen, werden von der Anstalt aufbewahrt, soweit dies nach Art und Umfang möglich ist.
(2) Den Untersuchungsgefangenen wird Gelegenheit gegeben, ihre Gegenstände, die sie während des Vollzuges und für ihre Entlassung nicht benötigen, zu versenden. § 36 Absatz 6 gilt entsprechend.
(3) Werden Gegenstände, deren Aufbewahrung nach Art oder Umfang nicht möglich ist, von den Untersuchungsgefangenen trotz Aufforderung nicht aus der Anstalt verbracht, darf die Anstalt diese Gegenstände auf Kosten der Untersuchungsgefangenen aus der Anstalt entfernen lassen.
(4) Aufzeichnungen und andere Gegenstände, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen der Anstalt vermitteln oder Schlussfolgerungen auf diese zulassen, dürfen vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden.
§ 41 Zeitungen und Zeitschriften, religiöse Schriften und Gegenstände
(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen auf eigene Kosten Zeitungen und Zeitschriften in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt beziehen. Ausgeschlossen sind lediglich Zeitungen und Zeitschriften, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist.
(2) Zeitungen oder Zeitschriften können den Untersuchungsgefangenen vorenthalten werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung erforderlich ist. Für einzelne Ausgaben gilt dies auch dann, wenn deren Inhalte die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erheblich gefährden würden. Die Untersuchungsgefangenen dürfen grundlegende religiöse Schriften sowie in angemessenem Umfang Gegenstände des religiösen Gebrauchs besitzen. Diese dürfen den Untersuchungsgefangenen nur bei grobem Missbrauch entzogen werden. Die Seelsorgerin oder der Seelsorger soll vorher gehört werden.
§ 42 Rundfunk, Informations- und Unterhaltungselektronik
(1) Der Zugang zum Rundfunk ist zu ermöglichen.
(2) Eigene Hörfunk- und Fernsehgeräte werden zugelassen, wenn nicht Gründe des § 39 Satz 2 entgegenstehen. Andere Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik können unter diesen Voraussetzungen zugelassen werden. Die Untersuchungsgefangenen können auf Mietgeräte oder auf ein Haftraummediensystem verwiesen werden. § 35 bleibt unberührt.
(3) Der Rundfunkempfang kann vorübergehend ausgesetzt oder einzelnen Untersuchungsgefangenen untersagt werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt unerlässlich ist.
§ 43 Kleidung
(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen eigene Kleidung tragen, soweit sie für Reinigung, Instandhaltung und regelmäßigen Wechsel sorgen. Die Anstaltsleitung kann anordnen, dass Reinigung und Instandhaltung nur durch Vermittlung der Anstalt erfolgen dürfen.
(2) Soweit es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder zur Gewährleistung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist, kann das in Absatz 1 genannte Recht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
§ 44 Verpflegung und Einkauf
(1) Zusammensetzung und Nährwert der Anstaltsverpflegung entsprechen den Anforderungen an eine gesunde Ernährung und werden ärztlich überwacht. Auf ärztliche Anordnung wird besondere Verpflegung gewährt. Den Untersuchungsgefangenen ist zu ermöglichen, Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu befolgen.
(2) Den Untersuchungsgefangenen wird ermöglicht einzukaufen. Die Anstalt wirkt auf ein Angebot hin, das auf Wünsche und Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen Rücksicht nimmt. Das Verfahren des Einkaufs regelt die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter.
(3) Gegenstände, deren Überlassung eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung entgegensteht, oder die geeignet sind, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden, sind vom Einkauf ausgeschlossen.
§ 45 Annehmlichkeiten
Von den §§ 39, 43 und 44 nicht umfasste Annehmlichkeiten dürfen sich die Untersuchungsgefangenen auf ihre Kosten verschaffen, soweit und solange weder eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung entgegensteht noch die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet wird.
§ 46 Freizeit
Zur Ausgestaltung der Freizeit hat die Anstalt insbesondere Angebote zur sportlichen und kulturellen Betätigung und Bildungsangebote vorzuhalten. Die Anstalt stellt eine angemessen ausgestattete Bücherei zur Verfügung.
Abschnitt 8
Gelder der Untersuchungsgefangenen und Kostenbeteiligung
§ 47 Taschengeld
(1) Kann Untersuchungsgefangenen weder Arbeit noch die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme angeboten werden, wird ihnen zur Überbrückung einer unverschuldeten Bedürftigkeit auf Antrag ein Taschengeld gewährt. Bedürftig sind Untersuchungsgefangene, soweit ihnen im laufenden Monat nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes aus eigenen Mitteln zur Verfügung steht.
(2) Das Taschengeld beträgt 14 Prozent der Eckvergütung nach § 23 Absatz 2. Es wird zu Beginn des Monats im Voraus gewährt. Gehen Untersuchungsgefangenen im Laufe des Monats Gelder zu, wird zum Ausgleich ein Betrag bis zur Höhe des gewährten Taschengeldes einbehalten.
(3) Untersuchungsgefangene dürfen über das Taschengeld im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes verfügen.
§ 48 Konten, zweckgebundene Einzahlungen, Bargeld
(1) Gelder der Untersuchungsgefangenen werden auf einem Eigengeldkonto in der Anstalt geführt.
(2) Für einzelne Maßnahmen, insbesondere Kosten der Gesundheitsfürsorge und der Aus- und Fortbildung, und für Maßnahmen der Pflege sozialer Beziehungen, insbesondere Telefonkosten, kann zweckgebunden Geld eingezahlt werden. Das Geld darf nur für diese Zwecke verwendet werden. Der Anspruch auf Auszahlung ist nicht übertragbar. (3) Der Besitz von Bargeld in der Anstalt ist den Untersuchungsgefangenen nicht gestattet. Über Ausnahmen entscheidet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter.
§ 49 Kostenbeteiligung
Die Untersuchungsgefangenen können an den Betriebskosten der in ihrem Gewahrsam befindlichen Geräte beteiligt werden.
Abschnitt 9
Gesundheitsfürsorge
§ 50 Art und Umfang der medizinischen Leistungen, Kostenbeteiligung
(1) Für Art und Umfang der medizinischen Leistungen gelten die für gesetzlich Versicherte maßgeblichen Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und die auf Grund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen entsprechend. Der Anspruch umfasst auch Vorsorgeleistungen, ferner die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln, soweit diese mit Rücksicht auf die Dauer des Freiheitsentzugs nicht ungerechtfertigt sind und die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.
(2) An den Kosten für Leistungen nach Absatz 1 können die volljährigen Untersuchungsgefangenen in angemessenem Umfang beteiligt werden, höchstens jedoch bis zum Umfang der Beteiligung vergleichbarer gesetzlich Versicherter. Für Leistungen, die über Absatz 1 hinausgehen, können den Untersuchungsgefangenen die gesamten Kosten auferlegt werden.
(3) Erhalten Untersuchungsgefangene Leistungen nach Absatz 1 infolge einer mutwilligen Selbstverletzung, sind sie in angemessenem Umfang an den Kosten zu beteiligen.
(4) Die Anstaltsleitung soll nach Anhörung des ärztlichen Dienstes der Anstalt den Untersuchungsgefangenen auf ihren Antrag hin gestatten, auf ihre Kosten externen ärztlichen Rat einzuholen. Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn die Untersuchungsgefangenen die gewählte ärztliche Vertrauensperson und den ärztlichen Dienst der Anstalt nicht wechselseitig von der Schweigepflicht entbinden oder wenn es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist. Die Konsultation soll in der Anstalt stattfinden.
§ 51 Durchführung der medizinischen Leistungen, Forderungsübergang, Kostentragung
(1) Kranke oder hilfsbedürftige Untersuchungsgefangene können in ein Anstaltskrankenhaus oder in eine für ihre Untersuchung, Behandlung oder Versorgung besser geeignete Vollzugsanstalt überstellt oder verlegt werden. Kann die Untersuchung, Behandlung oder Versorgung in einer Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht gewährleistet werden oder ist es nicht möglich, die Untersuchungsgefangenen rechtzeitig in ein Anstaltskrankenhaus zu überstellen oder zu verlegen, sind sie in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen.
(2) Zuvor ist dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nach Möglichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bei Verlegungen und Überstellungen gilt § 7 Absatz 4 entsprechend.
(3) Gesetzliche Schadensersatzansprüche, die Untersuchungsgefangenen infolge einer Körperverletzung gegen Dritte zustehen, gehen insoweit auf das Land über, als den Untersuchungsgefangenen Leistungen nach § 50 Absatz 1 zu gewähren sind.
(4) Werden Untersuchungsgefangene während einer Behandlung aus der Haft entlassen, hat das Land nur diejenigen Kosten zu tragen, die bis zur Entlassung angefallen sind.
§ 52 Ruhen der Ansprüche
Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange die Untersuchungsgefangenen aufgrund Selbstbeschäftigung krankenversichert sind.
§ 53 Gesundheitsschutz und Hygiene
Die Anstalt unterstützt die Untersuchungsgefangenen bei der Wiederherstellung und Erhaltung ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheit. Sie fördert das Bewusstsein für gesunde Ernährung und Lebensführung. Die Untersuchungsgefangenen haben die notwendigen Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene zu befolgen.
§ 54 Freistunde
Den Untersuchungsgefangenen wird ermöglicht, sich täglich mindestens eine Stunde im Freien aufzuhalten (Freistunde), wenn die Witterung dies zu der festgesetzten Zeit zulässt.
§ 55 Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge
(1) Medizinische Untersuchungen und Behandlungen sind unbeschadet der Rechte Personensorgeberechtigter zwangsweise gegen den natürlichen Willen der oder des Untersuchungsgefangenen nur zulässig, soweit die oder der Untersuchungsgefangene krankheitsbedingt die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann und die Maßnahme erforderlich ist,
(2) Bei Maßnahmen nach Absatz 1 Nummer 1 ist eine wirksame Patientenverfügung zu berücksichtigen.
(3) Eine medizinische Zwangsmaßnahme nach Absatz 1 ist nur zulässig, wenn
Untersuchung und Behandlung müssen von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt oder überwacht werden. Die Anordnung trifft die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter im Einvernehmen mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt. Die Anordnungsgründe, die Aufklärung der oder des Betroffenen, die Art und Weise der Durchführung sowie die Wirkung der Behandlung sind von der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt zu dokumentieren.
(4) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme setzt weiterhin voraus, dass
(5) Ist unverzügliches Handeln geboten, kann von den Voraussetzungen gemäß Absatz 4 Nummer 3 abgesehen werden, soweit die dadurch eintretende zeitliche Verzögerung die Abwendung der Gefahr gefährden würde. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unverzüglich nach Beginn der Maßnahme nachzuholen. Die Untersuchungsgefangenen sind darüber zu belehren, dass sie bei dem nach Absatz 4 Nummer 3 zuständigen Gericht auch nach Beendigung der Maßnahme die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzuges beantragen können. Die Belehrung ist aktenkundig zu machen.
(6) Die zwangsweise körperliche Untersuchung der Untersuchungsgefangenen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene ist zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Sie bedarf der Anordnung einer Ärztin oder eines Arztes und ist unter deren oder dessen Leitung durchzuführen.
§ 56 Benachrichtigungspflicht
(1) Erkranken Untersuchungsgefangene schwer oder versterben sie, werden die Angehörigen, bei Minderjährigen insbesondere die Personensorgeberechtigten, benachrichtigt. Dem Wunsch der Untersuchungsgefangenen, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll nach Möglichkeit entsprochen werden.
(2) Versterben Untersuchungsgefangene, gilt für die Unterrichtung von Verletzten von Straftaten § 406d Absatz 2 und 3 der Strafprozessordnung entsprechend.
Abschnitt 10
Religionsausübung
§ 57 Seelsorge
Den Untersuchungsgefangenen darf religiöse Betreuung durch Seelsorgerinnen oder Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Auf Wunsch ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger in Verbindung zu treten.
§ 58 Religiöse Veranstaltungen
(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres Bekenntnisses teilzunehmen.
(2) Die Zulassung zu Gottesdiensten oder religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft bedarf der Zustimmung der Seelsorgerin oder des Seelsorgers der Religionsgemeinschaft.
(3) Untersuchungsgefangene können von der Teilnahme am Gottesdienst oder an anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung geboten ist; die Seelsorgerin oder der Seelsorger soll vorher gehört werden.
§ 59 Weltanschauungsgemeinschaften
Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten § 41 Absatz 3, §§ 57 und 58 entsprechend.
Abschnitt 11
Besondere Vorschriften für weibliche Untersuchungsgefangene
§ 60 Unterbringung und Vollzugsgestaltung
(1) Weibliche Untersuchungsgefangene werden in Einrichtungen des Frauenvollzuges untergebracht. Die Sicherheitsmaßnahmen (§ 6 Absatz 2) sind auf den Sicherungsbedarf der Abteilung auszurichten.
(4) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vollzuges der Untersuchungshaft an weiblichen Untersuchungsgefangenen müssen entsprechend befähigt und qualifiziert sein und sind der Einrichtung fest zugeordnet.
§ 61 Unterbringung von weiblichen Untersuchungsgefangenen mit ihren Kindern
(1) Bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres können Kinder von weiblichen Untersuchungsgefangenen mit Zustimmung der oder des Aufenthaltsbestimmungsberechtigten mit ihrer Mutter gemeinsam in der Anstalt untergebracht werden, wenn die baulichen Gegebenheiten dies zulassen und Sicherheitsgründe nicht entgegenstehen. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören.
(2) Die Unterbringung erfolgt auf Kosten der für das Kind Unterhaltspflichtigen. Von der Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn hierdurch die gemeinsame Unterbringung gefährdet würde.
§ 62 Schwangerschaft und Entbindung
(1) Schwangeren Untersuchungsgefangenen soll die Möglichkeit einer Teilnahme an Geburtsvorbereitungskursen eröffnet werden. Die Anstalt vermittelt den Kontakt zu einer Hebamme.
(2) Auf den Zustand einer Untersuchungsgefangenen, die schwanger ist oder unlängst entbunden hat, ist Rücksicht zu nehmen; die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes gelten entsprechend.
(3) Zur Entbindung ist die Schwangere in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzuges zu bringen.
(4) Entbindet die Untersuchungsgefangene in einer Anstalt, dürfen in der Anzeige der Geburt an das Standesamt die Anstalt als Geburtsstätte des Kindes, das Verhältnis der anzeigenden Person zur Anstalt und die Inhaftierung der Mutter nicht vermerkt sein.
Abschnitt 12
Sicherheit und Ordnung
§ 63 Grundsatz
(1) Sicherheit und Ordnung der Anstalt bilden die Grundlage des Anstaltslebens und tragen dazu bei, dass in der Anstalt ein gewaltfreies Klima herrscht.
(2) Die Pflichten und Beschränkungen, die den Untersuchungsgefangenen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt auferlegt werden, sind so zu wählen, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und die Untersuchungsgefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.
§ 64 Allgemeine Verhaltenspflichten
(1) Die Untersuchungsgefangenen sind für das geordnete Zusammenleben in der Anstalt mitverantwortlich und müssen mit ihrem Verhalten dazu beitragen. Ihr Bewusstsein hierfür ist zu entwickeln und zu stärken.
(2) Die Untersuchungsgefangenen haben die Anordnungen der Bediensteten zu befolgen, auch wenn sie sich durch diese beschwert fühlen. Einen ihnen zugewiesenen Bereich dürfen sie nicht ohne Erlaubnis verlassen.
(3) Die Untersuchungsgefangenen haben ihren Haftraum und die ihnen von der Anstalt überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.
(4) Die Untersuchungsgefangenen haben Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.
§ 65 Absuchung, Durchsuchung
(1) Die Untersuchungsgefangenen, ihre Sachen und die Hafträume dürfen abgesucht und durchsucht werden. Das Schamgefühl ist zu schonen. Die Durchsuchung von weiblichen Untersuchungsgefangenen darf nur durch weibliche Bedienstete, die Durchsuchung männlicher Untersuchungsgefangener nur durch männliche Bedienstete erfolgen. Bei Darlegung eines berechtigten Interesses soll dem Wunsch, die Durchsuchung einer Person des jeweils anderen Geschlechts zu übertragen, entsprochen werden. Die Untersuchungsgefangenen sind auf die Regelung des Satzes 3 hinzuweisen; der Hinweis und die Entscheidung sind zu dokumentieren und zu beachten. Sonstige Untersuchungsgefangene haben die Wahlmöglichkeit der Durchsuchung durch männliche oder weibliche Bedienstete. Die betroffenen Untersuchungsgefangenen sind auf ihr Wahlrecht hinzuweisen; Satz 4 2. Halbsatz gilt entsprechend. Wird das Wahlrecht nicht ausgeübt, entscheidet die Anstalt nach billigem Ermessen.
(2) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, dass die Untersuchungsgefangenen in der Regel bei der Aufnahme, vor und nach Kontakten mit Besucherinnen und Besuchern sowie vor und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt mit Entkleidung zu durchsuchen sind, es sei denn im Einzelfall ist davon auszugehen, dass die oder der Untersuchungsgefangene nicht unerlaubt Gegenstände in die Anstalt oder aus der Anstalt schmuggelt.
(3) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann im Einzelfall eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung sowie eine Untersuchung der Körperöffnungen anordnen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die oder der Untersuchungsgefangene unter der Kleidung, an oder im Körper verbotene Gegenstände verbirgt. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete diese Maßnahmen vorläufig anordnen; die Entscheidung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters ist unverzüglich einzuholen. Absatz 1 gilt entsprechend. Eine Untersuchung intimer Körperöffnungen darf nur durch eine Ärztin oder einen Arzt vorgenommen werden, bei Gefahr im Verzug auch durch Sanitätsbedienstete.
§ 66 Sichere Unterbringung
(1) Untersuchungsgefangene können in eine Anstalt verlegt werden, die zu ihrer sicheren Unterbringung besser geeignet ist, wenn in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung oder Befreiung gegeben ist oder sonst ihr Verhalten oder ihr Zustand eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt darstellt.
(2) § 7 Absatz 4 gilt entsprechend.
§ 67 Störung und Unterbindung des Mobilfunkverkehrs
Die Anstalt darf technische Geräte betreiben, die unerlaubte Mobilfunkverbindungen auf dem Anstaltsgelände unterbinden oder stören. Sie hat hierbei die von der Bundesnetzagentur gemäß § 55 Absatz 1 Satz 5 des Telekommunikationsgesetzes festgelegten Rahmenbedingungen zu beachten. Der Mobilfunkverkehr außerhalb des Geländes der Anstalt darf nicht beeinträchtigt werden.
§ 68 Maßnahmen zur Feststellung von Suchtmittelgebrauch
(1) Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt kann die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter allgemein oder im Einzelfall Maßnahmen anordnen, die geeignet sind, den Gebrauch von Suchtmitteln festzustellen. Diese Maßnahmen dürfen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein.
(2) Verweigern Untersuchungsgefangene die Mitwirkung an Maßnahmen nach Absatz 1 ohne hinreichenden Grund, ist davon auszugehen, dass Suchtmittelfreiheit nicht gegeben ist.
(3) Wird verbotener Suchtmittelgebrauch festgestellt, können die Kosten der Maßnahmen den Untersuchungsgefangenen auferlegt werden.
§ 69 Festnahmerecht
Untersuchungsgefangene, die entwichen sind oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Anstalt aufhalten, können durch die Anstalt oder auf deren Veranlassung festgenommen und zurückgebracht werden.
§ 70 Besondere Sicherungsmaßnahmen
(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder aufgrund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht und die besondere Sicherungsmaßnahme zur Abwendung der Gefahr verhältnismäßig ist.
(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig:
(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nummer 1, 3 und 4 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder eine erhebliche Störung der Ordnung der Anstalt anders nicht vermieden oder behoben werden kann.
(4) Im Rahmen einer Absonderung oder Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum kann der Aufenthalt der oder des Untersuchungsgefangenen im Freien entzogen werden, wenn dies unerlässlich ist, um das Ziel der Maßnahme zu erreichen.
(5) Eine Absonderung von mehr als vierundzwanzig Stunden Dauer (Einzelhaft) ist nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer von der Person des Untersuchungsgefangenen ausgehenden Gefahr unerlässlich ist.
(6) In der Regel dürfen Fesseln nur an den Händen oder an den Füßen angelegt werden. Im Interesse der Untersuchungsgefangenen kann die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter eine andere Art der Fesselung anordnen. Die Fesselung wird zeitweise gelockert, soweit dies notwendig ist.
(7) Die Fixierung ist nur im Rahmen einer Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum gemäß Absatz 2 Nummer 4 zulässig, wenn eine von einer oder einem Untersuchungsgefangenen ausgehende gegenwärtige Gefahr erheblicher Gesundheitsschädigungen an sich oder anderen trotz der Unterbringung nicht anders abgewendet werden kann. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist regelmäßig zu überprüfen. Die Fixierung ist unverzüglich zu beenden, sobald die Gefahr nicht mehr besteht.
(8) Während der Absonderung oder Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum sind die Untersuchungsgefangenen in besonderem Maße zu betreuen. Sind die Untersuchungsgefangenen darüber hinaus gefesselt oder fixiert, sind sie durch geschulte Bedienstete ständig und in unmittelbarem Sichtkontakt zu beobachten, bei einer Fixierung in unmittelbarer räumlicher Anwesenheit.
(9) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Absatzes 1 in erhöhtem Maße die Gefahr der Entweichung besteht. Für Fixierungen beim Transport gelten die Absätze 6 und 7 entsprechend.
§ 71 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen, Verfahren
(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter an, sofern nicht ein Fall des Absatzes 4 vorliegt. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete diese Maßnahmen vorläufig anordnen; die Entscheidung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters ist unverzüglich einzuholen.
(2) Die Entscheidung wird den Untersuchungsgefangenen von der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.
(3) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, als es ihr Zweck erfordert.
(4) Eine nicht nur kurzfristige Fixierung bedarf der vorherigen ärztlichen Stellungnahme und der Anordnung durch das Gericht. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung der Fixierung auch durch die Anstaltsleitung oder andere zuständige Bedienstete der Anstalt getroffen werden; die ärztliche Stellungnahme ist unverzüglich nachträglich einzuholen. Ist die gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeizuführen, ist der Antrag unverzüglich nach Fixierungsbeginn zu stellen. Ist eine richterliche Entscheidung beantragt und die Fixierung vor deren Erlangung beendet worden, ist dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen. Die Anordnung, die maßgeblichen Gründe hierfür, ihre Durchsetzung, ihre Dauer und die Art der Überwachung sind durch die Anstalt zu dokumentieren. Nach Beendigung einer Fixierung, die nicht gerichtlich angeordnet wurde, sind die Untersuchungsgefangenen auf ihr Recht hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Maßnahme bei dem zuständigen Gericht überprüfen zu lassen. Der Hinweis ist aktenkundig zumachen.
§ 72 Berichtspflichten, Zustimmung der Aufsichtsbehörde
(1) Fesselungen und Fixierung sind der Aufsichtsbehörde, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft unverzüglich mitzuteilen, wenn sie länger als 24 Stunden aufrechterhalten werden, Einzelhaft und die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum, wenn sie länger als drei Tage aufrechterhalten werden.
(2) Bei mehr als 30 Tagen Einzelhaft innerhalb von zwölf Monaten ist die Zustimmung der Aufsichtsbehörde erforderlich.
(3) Bei mehr als 15 Tagen Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum innerhalb von zwölf Monaten ist die Zustimmung der Aufsichtsbehörde erforderlich.
§ 73 Ärztliche Beteiligung
(1) Werden die Untersuchungsgefangenen ärztlich behandelt oder beobachtet oder bildet ihr seelischer Zustand den Anlass der besonderen Sicherungsmaßnahme, ist vorher eine ärztliche Stellungnahme einzuholen. Ist dies wegen Gefahr im Verzug nicht möglich, wird die Stellungnahme unverzüglich nachträglich eingeholt.
(2) Sind die Untersuchungsgefangenen in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht und gefesselt oder fixiert, sucht sie die Ärztin oder der Arzt unverzüglich und in der Folge täglich auf. Im Bedarfsfall werden die Untersuchungsgefangenen alsbald von einer Psychologin oder einem Psychologen aufgesucht. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transportes sowie bei Bewegungen innerhalb der Anstalt.
(3) In den übrigen Fällen der Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum sucht die Ärztin oder der Arzt die Untersuchungsgefangenen alsbald und in der Folge täglich auf.
(4) Die Ärztin oder der Arzt ist regelmäßig zu hören, solange die Untersuchungsgefangenen länger als vierundzwanzig Stunden abgesondert sind.
Abschnitt 13
Unmittelbarer Zwang
§ 74 Begriffsbestimmungen
(1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel oder durch Waffen.
(2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.
(3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln und Reizstoffe.
(4) Waffen sind Hieb- und Schusswaffen. Es dürfen nur dienstlich zugelassene Hilfsmittel und Waffen verwendet werden.
§ 75 Allgemeine Voraussetzungen
(1) Bedienstete dürfen unmittelbaren Zwang anwenden, wenn sie Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen rechtmäßig durchführen und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann.
(2) Gegen andere Personen als Untersuchungsgefangene darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es unternehmen, Gefangene zu befreien oder widerrechtlich in die Anstalt einzudringen, oder wenn sie sich unbefugt darin aufhalten.
(3) Das Recht zu unmittelbarem Zwang aufgrund anderer Regelungen bleibt unberührt.
§ 76 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs sind diejenigen zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.
(2) Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.
§ 77 Androhung
Unmittelbarer Zwang ist vorher anzudrohen. Die Androhung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder unmittelbarer Zwang sofort angewendet werden muss, um eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, zu verhindern oder eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden.
§ 78 Schusswaffengebrauch
(1) Innerhalb der Anstalt dürfen Bedienstete Schusswaffen auf Anordnung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters nur während des Nachtdienstes oder zur unmittelbaren Vorbereitung einer Maßnahme nach Absatz 2 führen. Der Gebrauch ist nach Maßgabe der Absätze 3 und 4 nur zulässig, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Das Recht zum Schusswaffengebrauch aufgrund anderer Vorschriften durch Polizeivollzugsbedienstete bleibt davon unberührt.
(2) Außerhalb der Anstalt dürfen Schusswaffen nur bei Gefangenentransporten sowie Aus- und Vorführungen von den dazu bestimmten Bediensteten nach Maßgabe der folgenden Absätze gebraucht werden.
(3) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs bereits erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann. Ihr Gebrauch unterbleibt, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden.
(4) Der Gebrauch von Schusswaffen ist vorher anzudrohen. Als Androhung gilt auch ein Warnschuss. Ohne Androhung dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.
(5) Gegen Untersuchungsgefangene dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden,
und nur, um sie angriffs- oder fluchtunfähig zu machen.
(6) Gegen andere Personen dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden, wenn sie es unternehmen, Untersuchungsgefangene gewaltsam zu befreien und nur, um sie angriffsunfähig zu machen.
Abschnitt 14
Disziplinarverfahren
§ 79 Disziplinarmaßnahmen
(1) Disziplinarmaßnahmen können angeordnet werden, wenn die Untersuchungsgefangenen rechtswidrig und schuldhaft
und eine einvernehmliche Streitbeilegung gemäß § 82 Absatz 2 nicht in Betracht kommt oder nicht erfolgreich war.
(2) Zulässige Disziplinarmaßnahmen sind
(3) Arrest darf nur wegen schwerer oder wiederholter Verfehlungen verhängt werden.
(4) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.
(5) Disziplinarmaßnahmen sind auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.
(6) Bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahmen sind Grund und Zweck der Haft sowie die psychischen Auswirkungen der Untersuchungshaft und des Strafverfahrens auf die Untersuchungsgefangenen zu berücksichtigen. Durch die Anordnung und den Vollzug einer Disziplinarmaßnahme dürfen die Verteidigung, die Verhandlungsfähigkeit und die Verfügbarkeit der Untersuchungsgefangenen für die Verhandlung nicht beeinträchtigt werden.
§ 80 Vollstreckung der Disziplinarmaßnahmen, Aussetzung zur Bewährung
(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt. Die Vollstreckung ist auszusetzen, soweit es zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist.
(2) Disziplinarmaßnahmen können ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Aussetzung zur Bewährung kann ganz oder teilweise widerrufen werden, wenn die Untersuchungsgefangenen die ihr zugrundeliegenden Erwartungen nicht erfüllen.
§ 81 Disziplinarbefugnis
(1) Disziplinarmaßnahmen ordnet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Anstalt zum Zweck der Verlegung ist die Leiterin oder der Leiter der Bestimmungsanstalt zuständig.
(2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung gegen die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter richtet.
(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen die Untersuchungsgefangenen in einer anderen Anstalt angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 80 Absatz 2 bleibt unberührt.
§ 82 Verfahren
(1) Der Sachverhalt ist zu klären. Hierbei sind sowohl belastende als auch entlastende Umstände zu ermitteln. Die betroffenen Untersuchungsgefangenen werden in einer ihnen verständlichen Sprache darüber unterrichtet, welche Verfehlungen ihnen zur Last gelegt werden. Sie sind darauf hinzuweisen, dass es ihnen freisteht sich zu äußern, sich von einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen sowie Zeugen oder andere Beweismittel zu benennen oder eine einvernehmliche Streitbeilegung gemäß Absatz 2 anzustreben. Bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten ist eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher zu bestellen. Die Erhebungen werden in einer Niederschrift festgelegt; die Einlassung der Untersuchungsgefangenen wird vermerkt.
(2) In geeigneten Fällen können zur Abwendung von Disziplinarmaßnahmen im Wege einvernehmlicher Streitbeilegung Vereinbarungen getroffen werden. Insbesondere kommen die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Verletzten, die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft und der vorübergehende Verbleib auf dem Haftraum in Betracht. Erfüllen die Untersuchungsgefangenen die Vereinbarung, ist die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme aufgrund dieser Verfehlung unzulässig.
(3) Mehrere Verfehlungen, die gleichzeitig zu beurteilen sind, werden durch eine Entscheidung geahndet.
(4) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter soll sich vor der Entscheidung mit Personen besprechen, die maßgeblich an der Vollzugsgestaltung mitwirken. Bei Schwangeren, stillenden Müttern oder bei Untersuchungsgefangenen, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, ist eine Ärztin oder ein Arzt zu hören. Hiervon kann abgesehen werden, wenn nur ein Verweis ausgesprochen werden soll.
(5) Vor der Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme erhalten die Untersuchungsgefangenen Gelegenheit, sich zu dem Ergebnis der Ermittlungen zu äußern. Die Entscheidung wird den Untersuchungsgefangenen von der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.
§ 83 Vollzug des Arrestes
(1) Für die Dauer des Arrestes werden die Untersuchungsgefangenen getrennt von anderen Gefangenen untergebracht. Sie können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse der Untersuchungsgefangenen zur Teilnahme an Maßnahmen außerhalb des Raumes, in dem Arrest vollstreckt wird, sowie die Befugnisse der Untersuchungsgefangenen aus den §§ 39, 42, 43, 44, 45 und 46. Gegenstände für die Freizeitbeschäftigung mit Ausnahme des Lesestoffs sind nicht zugelassen. Die Rechte zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen (§ 58) und auf Aufenthalt im Freien (§ 54) bleiben unberührt.
(2) Bevor Arrest vollzogen wird, ist eine Ärztin oder ein Arzt zu hören. Während des Arrestes stehen die Untersuchungsgefangenen unter ärztlicher Aufsicht.
(3) Der Vollzug des Arrestes unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn die Gesundheit der Untersuchungsgefangenen oder der Fortgang des Strafverfahrens gefährdet würde.
Abschnitt 15
Aufhebung von Maßnahmen, Beschwerde, gerichtlicher Rechtsschutz
§ 84 Aufhebung von Maßnahmen
(1) Die Aufhebung von Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzuges richtet sich nach den nachfolgenden Absätzen, soweit dieses Gesetz keine abweichenden Bestimmungen enthält.
(2) Rechtswidrige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft zurückgenommen werden.
(3) Rechtmäßige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn
(4) Begünstigende Maßnahmen dürfen nach den Absätzen 2 oder 3 nur aufgehoben werden, wenn die vollzuglichen Interessen an der Aufhebung in Abwägung mit dem schutzwürdigen Vertrauen der Betroffenen auf den Bestand der Maßnahmen überwiegen. Davon ist auszugehen, wenn eine Maßnahme unerlässlich ist, um die Sicherheit der Anstalt zu gewährleisten.
(5) Der gerichtliche Rechtsschutz bleibt unberührt.
§ 85 Beschwerderecht
(1) Die Untersuchungsgefangenen erhalten Gelegenheit, sich in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden an die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter zu wenden.
(2) Besichtigen Vertreterinnen oder Vertreter der Aufsichtsbehörde die Anstalt, ist zu gewährleisten, dass die Untersuchungsgefangenen sich in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an diese wenden können.
(3) Die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt unberührt.
§ 86 Gerichtlicher Rechtsschutz
Der gerichtliche Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Maßnahmen im Vollzug der Untersuchungshaft (§§ 119a, 126 Absatz 5 der Strafprozessordnung) bleibt unberührt.
Abschnitt 16
Ergänzende Bestimmungen für junge Untersuchungsgefangene
§ 87 Anwendungsbereich
(1) Auf Untersuchungsgefangene, die zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (junge Untersuchungsgefangene), findet dieses Gesetz nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts Anwendung.
(2) Von einer Anwendung der Bestimmungen dieses Abschnitts auf volljährige junge Untersuchungsgefangene kann abgesehen werden, wenn die erzieherische Ausgestaltung des Vollzuges für diese nicht oder nicht mehr angezeigt ist. Die Bestimmungen dieses Abschnitts können ausnahmsweise auch über die Vollendung des 24. Lebensjahres hinaus angewendet werden, wenn dies im Hinblick auf die voraussichtlich nur noch geringe Dauer der Untersuchungshaft zweckmäßig erscheint.
§ 88 Gestaltung des Vollzuges
(1) Der Vollzug ist erzieherisch zu gestalten. Die Fähigkeiten der jungen Untersuchungsgefangenen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebensführung in Achtung der Rechte Anderer sind zu fördern.
(2) Den jungen Untersuchungsgefangenen sollen neben altersgemäßen Bildungs-, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten auch sonstige entwicklungsfördernde Hilfestellungen angeboten werden. Die Bereitschaft zur Annahme der Angebote ist zu wecken und zu fördern.
(3) In diesem Gesetz vorgesehene Beschränkungen können minderjährigen Untersuchungsgefangenen auch auferlegt werden, soweit es dringend geboten ist, um sie vor einer Gefährdung ihrer Entwicklung zu bewahren.
§ 89 Zusammenarbeit und Einbeziehung Dritter
(1) Die Zusammenarbeit der Anstalt mit staatlichen und privaten Institutionen erstreckt sich insbesondere auf Jugendgerichtshilfe, Jugendamt, Schulen, berufliche Bildungsträger und Träger der freien Wohlfahrtsverbände.
(2) Die Personensorgeberechtigten sind, soweit dies möglich ist und eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung nicht entgegensteht, in die Gestaltung des Vollzuges einzubeziehen.
(3) Die Personensorgeberechtigten und das Jugendamt werden von der Aufnahme, von einer Verlegung und der Entlassung unverzüglich unterrichtet, soweit eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung nicht entgegensteht.
§ 90 Ermittlung des Förder- und Erziehungsbedarfs, Maßnahmen
(1) Nach der Aufnahme wird der Förder- und Erziehungsbedarf der jungen Untersuchungsgefangenen unter Berücksichtigung ihrer Persönlichkeit und ihrer Lebensverhältnisse ermittelt.
(2) In einer Konferenz mit an der Erziehung maßgeblich beteiligten Bediensteten werden der Förder- und Erziehungsbedarf erörtert und die sich daraus ergebenden Maßnahmen festgelegt. Diese werden mit den jungen Untersuchungsgefangenen besprochen und den Personensorgeberechtigten auf Verlangen mitgeteilt.
§ 91 Unterbringung
(1) Junge Untersuchungsgefangene können mit Jugendstrafgefangenen oder Gefangenen, die im Anschluss an eine Jugendstrafe in Abschiebungshaft sind, gemeinsam untergebracht werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen angezeigt ist und eine schädliche Einflussnahme nicht zu befürchten ist. In den ersten zwei Wochen nach der Aufnahme kann die gemeinsame Unterbringung eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Von einer gemeinsamen Unterbringung ist abzusehen, wenn eine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder Gründe der Sicherheit oder Ordnung entgegenstehen.
(2) Von Gefangenen im Erwachsenenvollzug werden junge Untersuchungsgefangene getrennt untergebracht. Gleiches gilt für Gefangene von Haftarten, die nicht in Absatz 1 erwähnt sind. Hiervon kann aus den in § 11 Absatz 1 Satz 2 und 3 genannten Gründen abgewichen werden, wenn eine Vollzugsgestaltung nach § 88 gewährleistet ist und schädliche Einflüsse auf die jungen Untersuchungsgefangenen nicht zu befürchten sind.
(3) Junge Untersuchungsgefangene können mit Gefangenen im Erwachsenenvollzug gemeinsam an Freizeit- und Bildungsmaßnahmen teilnehmen sowie gemeinsam arbeiten, wenn dies aus erzieherischen Gründen angezeigt ist und keine schädlichen Einflüsse auf die jungen Untersuchungsgefangenen zu befürchten sind und wenn keine verfahrenssichernde Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung oder Gründe der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt entgegenstehen.
(4) Während der Nachtzeit werden die jungen Untersuchungsgefangenen in ihren Hafträumen einzeln untergebracht. Mit ihrer Zustimmung können sie mit einer oder einem anderen jungen Untersuchungsgefangenen oder einer oder einem anderen Jugendstrafgefangenen gemeinsam untergebracht werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen angezeigt ist und schädliche Einflüsse nicht zu befürchten sind; dies gilt auch dann, wenn Gefangene hilfebedürftig sind oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht oder wenn eine gemeinsame Unterbringung nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen erfolgt. Es dürfen nicht mehr als zwei Gefangene in einem Haftraum untergebracht werden.
§ 92 Schulische und berufliche Aus- und Weiterbildung, Arbeit
(1) Schulpflichtige Untersuchungsgefangene nehmen in der Anstalt am allgemein- oder berufsbildenden Unterricht in Anlehnung an die für öffentliche Schulen geltenden Bestimmungen teil.
(2) Minderjährige Untersuchungsgefangene können zur Teilnahme an schulischen und beruflichen Orientierungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen oder speziellen Maßnahmen zur Förderung ihrer schulischen, beruflichen oder persönlichen Entwicklung verpflichtet werden.
(3) Den übrigen jungen Untersuchungsgefangenen soll nach Möglichkeit die Teilnahme an den in Absatz 2 genannten Maßnahmen angeboten werden.
(4) Im Übrigen bleibt § 21 Absatz 2 unberührt.
§ 93 Besuche, Schriftwechsel, Telefongespräche
(1) Abweichend von § 25 Absatz 1 Satz 2 beträgt die Gesamtdauer des Besuchs für junge Untersuchungsgefangene mindestens vier Stunden im Monat. Über § 25 Absatz 3 hinaus sollen Besuche auch dann zugelassen werden, wenn sie die Erziehung fördern.
(2) Bei minderjährigen Untersuchungsgefangenen können Besuche, Schriftwechsel und Telefongespräche auch untersagt werden, wenn Personensorgeberechtigte nicht einverstanden sind.
(3) Besuche dürfen über § 27 Absatz 6 hinaus auch abgebrochen werden, wenn von Besucherinnen oder Besuchern ein schädlicher Einfluss ausgeht. Der Schriftwechsel kann über § 31 Absatz 1 Nummer 1 hinaus bei Personen, die nicht Angehörige der jungen Untersuchungsgefangenen im Sinne von § 11 Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches sind, auch untersagt werden, wenn zu befürchten ist, dass der Schriftwechsel einen schädlichen Einfluss auf die jungen Untersuchungsgefangenen hat.
(4) Für Besuche, Schriftwechsel und Telefongespräche mit Beiständen nach § 69 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 2146), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Dezember 2019 (BGBl. I S. 840), gelten die §§ 28, 29 und 33 Absatz 2 entsprechend.
§ 94 Freizeit und Sport
(1) Zur Ausgestaltung der Freizeit sind geeignete Angebote vorzuhalten. Die jungen Untersuchungsgefangenen sind zur Teilnahme und Mitwirkung an Freizeitangeboten zu motivieren.
(2) Über § 39 Satz 2 hinaus ist der Besitz eigener Fernsehgeräte und elektronischer Medien ausgeschlossen, wenn erzieherische Gründe entgegenstehen.
(3) Dem Sport kommt bei der Gestaltung des Vollzuges an jungen Untersuchungsgefangenen besondere Bedeutung zu. Es sind ausreichende und geeignete Angebote vorzuhalten, um den jungen Untersuchungsgefangenen eine sportliche Betätigung von mindestens zwei Stunden wöchentlich zu ermöglichen.
§ 95 Einvernehmliche Konfliktregelung, Erzieherische Maßnahmen, Disziplinarmaßnahmen
(1) Verstöße der jungen Untersuchungsgefangenen gegen Pflichten, die ihnen durch oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, sind unverzüglich erzieherisch aufzuarbeiten. Dabei können vorrangig gegenüber den Disziplinarmaßnahmen nach Absatz 5 Maßnahmen der einvernehmlichen Konfliktregelung nach Absatz 2 oder erzieherische Maßnahmen nach Absatz 3 ergriffen werden, sofern diese geeignet sind, den jungen Untersuchungsgefangenen ihr Fehlverhalten und die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung bewusst zu machen. Einvernehmliche Konfliktregelungen nach Absatz 2 gehen erzieherischen Maßnahmen nach Absatz 3 vor.
(2) Im Rahmen der einvernehmlichen Konfliktregelung werden mit den jungen Untersuchungsgefangenen Vereinbarungen getroffen. Zur Konfliktregelung kommen insbesondere die Wiedergutmachung des Schadens, die Entschuldigung bei Geschädigten, die Erbringung von Leistungen für die Gemeinschaft, die Teilnahme an einer Mediation und der vorübergehende Verbleib auf dem Haftraum in Betracht. Erfüllen die Jugendstrafgefangenen die Vereinbarung, sind die Anordnung einer erzieherischen Maßnahme nach Absatz 3 sowie die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme nach Absatz 5 aufgrund dieser Verfehlung ausgeschlossen.
(3) Als erzieherische Maßnahmen für die Dauer von jeweils bis zu einer Woche kommen in Betracht
Es sollen möglichst solche erzieherischen Maßnahmen angeordnet werden, die mit der Verfehlung in Zusammenhang stehen.
(4) Die Anstaltsleitung legt fest, welche Bediensteten befugt sind, eine einvernehmliche Konfliktregelung nach Absatz 2 oder erzieherische Maßnahmen nach Absatz 3 anzuordnen.
(5) Disziplinarmaßnahmen dürfen nur angeordnet werden, wenn eine einvernehmliche Konfliktregelung nach Absatz 2 oder erzieherische Maßnahmen nach Absatz 3 nicht ausreichen, um den jungen Untersuchungsgefangenen das Unrecht ihrer Handlung zu verdeutlichen. Ferner ist sowohl bei der Entscheidung, ob eine Disziplinarmaßnahme anzuordnen ist, als auch bei Auswahl der nach Absatz 3 zulässigen Maßnahmen eine aus demselben Anlass bereits angeordnete besondere Sicherungsmaßnahme zu berücksichtigen.
(6) Gegen junge Untersuchungsgefangene dürfen Disziplinarmaßnahmen nach § 79 Absatz 2 Nummer 1 und 8 nicht verhängt werden. Maßnahmen nach § 79 Absatz 2 Nummer 2, Nummer 3 Halbsatz 1, Nummer 4 sowie Nummer 6 sind nur bis zu zwei Monaten, Arrest ist nur bis zu zwei Wochen zulässig und erzieherisch auszugestalten.
Abschnitt 17
Kriminologische Forschung
§ 96 Evaluation, kriminologische Forschung
Der Vollzug der Untersuchungshaft, insbesondere seine Aufgabenerfüllung und Gestaltung, die Umsetzung seiner Leitlinien sowie die Angebote der Vollzugsgestaltung, soll regelmäßig durch eine Hochschule oder durch eine andere Stelle wissenschaftlich begleitet und erforscht werden.
Abschnitt 18
Organisation, Ausstattung und Aufbau der Anstalten
§ 97 Anstalten
Die Untersuchungshaft wird in Landesjustizvollzugsanstalten vollzogen. Der Vollzug von Untersuchungshaft und Strafhaft in einer Anstalt ist unter den Voraussetzungen des § 11 Absatz 1 zulässig.
§ 98 Ausstattung
(1) Anstalten, Einrichtungen und Abteilungen sind so auszustatten, dass sie ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen können. Es ist eine bedarfsgerechte Anzahl und Ausstattung von Plätzen, insbesondere für schulische und berufliche Qualifizierung, Arbeitstraining und Arbeitstherapie sowie zur Ausübung von Arbeit, vorzusehen. Entsprechendes gilt für Besuche, Freizeit, Sport und Seelsorge.
(2) Haft-, Freizeit-, Gemeinschafts- und Besuchsräume sind wohnlich oder sonst ihrem Zweck entsprechend auszugestalten. Sie müssen hinreichend Luftinhalt und ausreichenden Lichteinfall haben und für eine gesunde Lebensführung ausreichend mit Heizung und Lüftung, Boden- und Fensterfläche ausgestattet sein.
§ 99 Festsetzung der Belegungsfähigkeit, Verbot der Überbelegung
(1) Die Aufsichtsbehörde setzt die Belegungsfähigkeit der Anstalt so fest, dass eine angemessene Unterbringung der Untersuchungsgefangenen gewährleistet ist. § 98 Absatz 1 Satz 2 ist zu berücksichtigen.
(2) Hafträume dürfen nicht mit mehr Untersuchungsgefangenen als zugelassen belegt werden.
(3) Ausnahmen von Absatz 2 sind nur vorübergehend und nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zulässig.
§ 100 Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung, Arbeitsbetriebe
(1) In den Anstalten sind Einrichtungen zur schulischen und beruflichen Bildung und zur arbeitstherapeutischen Beschäftigung sowie Arbeitsbetriebe in ausreichendem Umfang vorzusehen.
(2) Berufliche Qualifizierung und Arbeit können auch durch externe Bildungsträger oder private Unternehmen erfolgen. In den von Externen in der Anstalt betriebenen Einrichtungen kann die technische und fachliche Leitung Angehörigen dieser Träger und Unternehmen übertragen werden.
Abschnitt 19
Innerer Aufbau, Personal
§ 101 Zusammenarbeit
Alle im Vollzug Tätigen arbeiten zusammen und wirken daran mit, die Aufgaben des Vollzuges zu erfüllen.
§ 102 Bedienstete
(1) Die Aufgaben der Anstalten werden von Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamten wahrgenommen. Sie können aus besonderen Gründen auch anderen Bediensteten der Anstalten übertragen werden.
(2) Für Bedienstete, die nicht Beamte sind, gelten die für Vollzugsbeamtinnen und -beamte geltenden Vorschriften entsprechend, soweit nicht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes etwas anderes bestimmt wird. Anstelle des Diensteides ist eine Verpflichtungserklärung nach dem Verpflichtungsgesetz vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469), geändert durch § 1 des Gesetzes vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1942), abzugeben.
(3) Alle Bediensteten sind berufen, in ihren besonderen Aufgaben daran mitzuwirken, die Aufgaben des Vollzuges zu verwirklichen. Sie sollen durch ihr Verhalten vorbildlich wirken und so die Untersuchungsgefangenen nicht nur durch Anordnung, sondern durch eigenes Beispiel zur Mitarbeit im Vollzug hinführen.
(4) Die Anstalt wird mit dem für den Vollzug der Untersuchungshaft und die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Personal ausgestattet. Fortbildung sowie Praxisberatung und -begleitung für die Bediensteten sind zu gewährleisten.
§ 103 Erfüllung nichthoheitsrechtlicher Aufgaben
(1) Die Erfüllung nichthoheitsrechtlicher Aufgaben kann externen Trägern oder Personen vertraglich übertragen werden.
(2) Die gemäß Absatz 1 tätig werdenden Personen sind gemäß dem Verpflichtungsgesetz zu verpflichten.
(3) Die Anstalt trägt dafür Sorge, dass § 102 Absatz 3 und 4 Satz 2 im Rahmen der Vertragsgestaltung entsprechende Anwendung findet.
§ 104 Anstaltsleitung
(1) Für jede Justizvollzugsanstalt ist eine Leiterin oder ein Leiter zu bestellen.
(2) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug und vertritt die Anstalt nach außen. Sie oder er kann einzelne Aufgabenbereiche auf andere Bedienstete übertragen. Die Aufsichtsbehörde kann sich die Zustimmung zur Übertragung vorbehalten.
§ 105 Seelsorgerinnen und Seelsorger
(1) Den Religionsgemeinschaften wird im Einvernehmen mit den Anstalten die Wahrnehmung der Seelsorge ermöglicht. Seelsorgerinnen und Seelsorger werden im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder von der Religionsgemeinschaft entsandt.
(2) Wenn die geringe Anzahl der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft eine Seelsorge nach Absatz 1 nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen.
(3) Mit Zustimmung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters darf die Anstaltsseelsorgerin oder der Anstaltsseelsorger sich freier Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer bedienen und diese für Gottesdienste sowie für andere religiöse Veranstaltungen von außen zuziehen.
§ 106 Medizinische Versorgung
(1) Die ärztliche Versorgung ist durch hauptamtliche Ärztinnen oder Ärzte sicherzustellen. Sie kann aus besonderen Gründen nebenamtlichen oder vertraglich verpflichteten Ärztinnen oder Ärzten übertragen werden.
(2) Die Pflege der Kranken soll von Bediensteten ausgeführt werden, die eine Erlaubnis nach dem Pflegeberufegesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2581), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018), besitzen. Solange diese nicht zur Verfügung stehen, können auch Bedienstete oder externe Kräfte eingesetzt werden, die eine sonstige Qualifikation in der Krankenpflege erfahren haben.
§ 107 Mitverantwortung der Untersuchungsgefangenen
Den Untersuchungsgefangenen soll ermöglicht werden, an der Verantwortung für Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse teilzunehmen, die sich ihrer Eigenart und der Aufgabe der Anstalt nach für ihre Mitwirkung eignen. Sie können der Anstaltsleitung insoweit Vorschläge und Anregungen unterbreiten.
§ 108 Hausordnung
Die Anstaltsleitung erlässt eine Hausordnung. Diese informiert in verständlicher Form namentlich über die Rechte und Pflichten der Gefangenen und enthält Erläuterungen zur Organisation des Besuchs, zur Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit sowie Hinweise zu den Möglichkeiten, Anträge und Beschwerden anzubringen. Die Aufsichtsbehörde kann sich die Genehmigung vorbehalten.
Abschnitt 20
Aufsicht, Beiräte
§ 109 Aufsichtsbehörde
(1) Das für Justiz zuständige Ministerium führt die Aufsicht über die Anstalten (Aufsichtsbehörde) und sichert gemeinsam mit ihnen die Qualität des Vollzuges. Der Umfang und die Mittel der Aufsicht richten sich nach § 15 und § 16 des Landesverwaltungsgesetzes. Das für Justiz zuständige Ministerium kann in Ausübung der Aufsicht übergeordnete Maßnahmen im Rahmen der Gefahrenabwehr sowie zur Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Justiz- und Sicherheitsbehörden anordnen, steuern und prüfen.
(2) Die Aufsichtsbehörde kann sich Entscheidungen über Verlegungen und Überstellungen vorbehalten.
§ 110 Vollstreckungsplan, Vollzugsgemeinschaften
(1) Die Aufsichtsbehörde regelt nach allgemeinen Merkmalen durch Erlass die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Anstalten in einem Vollstreckungsplan.
(2) Im Rahmen von Vollzugsgemeinschaften kann der Vollzug auch in Vollzugseinrichtungen anderer Länder vorgesehen werden.
§ 111 Anstaltsbeiräte
(1) Bei jeder Anstalt ist ein Beirat zu bilden. Bei der Besetzung des Anstaltsbeirats soll auf ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern hingewirkt werden. Die im Vollzug Tätigen dürfen nicht Mitglieder des Beirats sein.
(2) Die Mitglieder des Beirats wirken beratend bei der Gestaltung des Vollzuges und bei der Betreuung der Untersuchungsgefangenen mit. Sie fördern das Verständnis für den Vollzug und seine gesellschaftliche Akzeptanz und vermitteln Kontakte zu öffentlichen und privaten Einrichtungen.
(3) Der Beirat steht der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter, den im Vollzug Tätigen und den Untersuchungsgefangenen als Ansprechpartner zur Verfügung.
(4) Die Mitglieder des Beirats können sich über die Unterbringung der Untersuchungsgefangenen und die Gestaltung des Vollzuges unterrichten und die Anstalt besichtigen. Sie können die Untersuchungsgefangenen in ihren Räumen aufsuchen. Unterhaltung und Schriftwechsel werden vorbehaltlich einer verfahrenssichernden Anordnung nach § 119 Absatz 1 der Strafprozessordnung nicht überwacht.
(5) Die Mitglieder des Beirats sind verpflichtet, außerhalb ihres Amtes über alle Angelegenheiten, die ihrer Natur nach vertraulich sind, besonders über Namen und Persönlichkeit der Untersuchungsgefangenen, Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch nach Beendigung ihres Amtes.
Abschnitt 21
Schlussbestimmungen
§ 112 Einschränkung von Grundrechten
Durch dieses Gesetz werden die Rechte
eingeschränkt.
ENDE |