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IGG NRW - Inklusionsgrundsätzegesetz Nordrhein-Westfalen
- Nordrhein-Westfalen -
Vom 14. Juni 2016
(GV. NRW. Nr. 19 vom 30.06.2016 S. 442; 22.03.2018 S. 172 18; 21.07.2018 S. 414 18a; 25.03.2022 S. 414 22)
Gl.-Nr.: 201
§ 1 Ziele
(1) In Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte der Menschen mit Behinderungen (BGBl. 2008 II S. 1420; UN-Behindertenrechtskonvention) verankert dieses Gesetz Grundsätze für Nordrhein-Westfalen, die den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen fördern, schützen und gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde fördern. Damit werden die Träger öffentlicher Belange gleichzeitig aufgefordert, die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention im Rahmen ihres Zuständigkeits- und Aufgabenbereichs zu verwirklichen. Sie übernehmen damit auch Vorbildfunktion für alle weiteren Bereiche der Gesellschaft.
(2) Ziel dieses Gesetzes ist die Förderung und Stärkung inklusiver Lebensverhältnisse in Nordrhein-Westfalen sowie die Vermeidung der Benachteiligung behinderter Menschen. Von grundlegender Bedeutung für den Inklusionsprozess sind insbesondere
§ 2 Geltungsbereich
Dieses Gesetz gilt für die Träger öffentlicher Belange. Träger öffentlicher Belange im Sinne dieses Gesetzes sind alle Dienststellen und Einrichtungen des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der Beliehenen. Der Landtag, die Gerichte und die Staatsanwaltschaften sind Träger öffentlicher Belange im Sinne dieses Gesetzes, soweit sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Träger öffentlicher Belange sind darüber hinaus Eigenbetriebe und Krankenhäuser des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände, Hochschulen, der Landesrechnungshof sowie die staatlichen Rechnungsprüfungsämter, die oder der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes Nordrhein-Westfalen und die Landesbetriebe im Sinne des § 14a des Landesorganisationsgesetzes vom 10. Juli 1962 (GV. NRW. S. 421), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 (GV. NRW. S. 566) geändert worden ist. Die Träger öffentlicher Belange sollen bei der Förderung und Stärkung inklusiver Lebensverhältnisse auch Vorbildfunktion für alle weiteren Bereiche der Gesellschaft übernehmen. Der Westdeutsche Rundfunk Köln und die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen sind Träger öffentlicher Belange, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen, die der Ausgestaltung des Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes dienen, bestehen.
§ 3 Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen im Sinne dieses Gesetzes sind Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Als langfristig gilt in der Regel ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert.
§ 4 Frauen und Mädchen, Kinder und Jugendliche, Eltern
(1) Zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sind die besonderen Belange von Frauen und Mädchen mit Behinderung zu berücksichtigen, insbesondere ihre volle Entfaltung sowie die Förderung und Stärkung ihrer Autonomie durch geeignete Maßnahmen zu sichern. Dazu werden auch besondere Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ergriffen. Zudem können Frauen, Mädchen, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Eltern mit Behinderungen ihre Rechte in dem Inklusionsbeirat nach § 10 wahrnehmen.
(2) Die Träger öffentlicher Belange berücksichtigen bei allen Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche mit Behinderungen betreffen, das Wohl der Kinder und Jugendlichen vorrangig. Sie wirken darauf hin, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gleichberechtigt neben Kindern und Jugendlichen ohne Behinderungen ihre Rechte wahrnehmen und bei den sie betreffenden Angelegenheiten beteiligt werden. Die Beteiligungsformen sollten entsprechend ihres Alters, Reife und Entwicklungsstand ausgestaltet sein.
(3) Zu Verwirklichung einer selbstbestimmten Elternschaft sind die spezifischen Bedürfnisse von Eltern mit Behinderungen und deren Kindern zu berücksichtigen.
§ 5 Allgemeine Grundsätze für die Träger öffentlicher Belange
(1) Die Herstellung inklusiver Lebensverhältnisse ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Alle Träger öffentlicher Belange wirken als Teil der Gesellschaft an der Gestaltung inklusiver Lebensverhältnisse im Sinne von § 1 Absatz 2 mit und beteiligen sich aktiv an der Bewusstseinsbildung im Sinne von Artikel 8 der UN-Behindertenrechtskonvention.
(2) Sie tragen den spezifischen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen Rechnung. Dabei sind die in Artikel 3 der UN-Behindertenrechtskonvention verankerten Grundsätze von ihnen zu beachten.
(3) Die Träger arbeiten bei der schrittweisen Verwirklichung der Ziele dieses Gesetzes zusammen und unterstützen sich gegenseitig.
(4) Sie wirken darauf hin, dass Einrichtungen, Vereinigungen und juristische Personen des Privatrechts, an denen die Träger öffentlicher Belange unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind, die Ziele dieses Gesetzes verfolgen. Soweit die Träger öffentlicher Belange Aufgaben durch Dritte durchführen lassen, haben sie sicherzustellen, dass die Auftragnehmer die Ziele dieses Gesetzes beachten.
(5) Bei der Gewährung von Zuwendungen und sonstigen Leistungen durch die Träger öffentlicher Belange sind die Ziele dieses Gesetzes in geeigneten Bereichen ebenfalls zu beachten.
(6) Die Landesregierung ist verpflichtet, die in Nordrhein-Westfalen lebenden Menschen auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Herstellung inklusiver Lebensverhältnisse aufmerksam zu machen und sie für die Ziele der Inklusion zu sensibilisieren (Maßnahmen der Bewusstseinsbildung). Insbesondere erfasst die Landesregierung Beispiele gelungener inklusiver Praxis und macht sie bekannt (Inklusionskataster).
§ 6 Anforderungen an die Gesetzgebung
(1) Zur Umsetzung einer den Anforderungen an eine inklusive Gesellschaft genügenden Gesetzgebung sollen besondere gesetzliche Regelungen, die ausschließlich auf Menschen mit Behinderungen Anwendung finden, vermieden und Anforderungen, die sich aus besonderen Belangen von Menschen mit Behinderungen ergeben, unmittelbar in den jeweiligen fachgesetzlichen Regelungen getroffen werden.
(2) Die Landesregierung prüft vor Einbringung eines Gesetzes in den Landtag, dass die Bestimmungen dieses Gesetzes der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechen. Die Auswirkungen eines Gesetzes auf Menschen mit Behinderungen sind jeweils im Gesetz aufzuzeigen.
§ 7 Zugänglichkeit der Dienste und Einrichtungen für die Allgemeinheit
(1) Dienste und Einrichtungen für die Allgemeinheit sollen durch die Träger der öffentlichen Belange schrittweise barrierefrei gestaltet werden und müssen allgemein auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Sondereinrichtungen und -dienste für Menschen mit Behinderungen sollen soweit wie möglich vermieden werden.
(2) Die Träger öffentlicher Belange wirken darauf hin, dass die fachlich und regional erforderlichen Dienste in ausreichender Zahl und Qualität sozialräumlich zur Verfügung stehen.
(3) Die Kompetenz- und Koordinierungsstelle nach § 8 prüft, ob und inwieweit bereits bestehende Dienste und Einrichtungen des Landes für die Allgemeinheit im Sinne des Absatzes 1 angepasst und welche besonderen Dienste und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sukzessive in allgemeine Dienste und Einrichtungen, die bereits den Anforderungen des Absatzes 1 genügen, überführt werden können.
§ 8 Kompetenz- und Koordinierungsstelle
(1) Bei dem für den Bereich der Politik für und mit Menschen mit Behinderungen federführend zuständigen Ministerium wird eine Kompetenz- und Koordinierungsstelle eingerichtet.
(2) Diese koordiniert die Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den verschiedenen Politikfeldern. Zudem achtet die Kompetenz- und Koordinierungsstelle auf die Einhaltung der Beteiligungspflichten nach § 9.
(3) Die oder der Landesbehindertenbeauftragte ist in die Arbeit der Kompetenz- und Koordinierungsstelle einzubinden.
§ 9 Beteiligung von Menschen mit Behinderungen 18a
(1) Die Träger öffentlicher Belange führen mit Verbänden und Organisationen der Menschen mit Behinderungen, einschließlich derer für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, bei der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung der UN-Behindertenrechtskonvention, zur Durchführung dieses Gesetzes sowie bei anderen Entscheidungsprozessen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.
(2) Die Träger öffentlicher Belange gestalten die Regelungen und Verfahren für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie die Einbeziehung von Verbänden und Organisationen derart, dass Menschen mit Behinderungen beziehungsweise deren Verbände und Organisationen ihre Rechte nach Absatz 1 tatsächlich ausüben können.
(3) Die Träger öffentlicher Belange wirken aktiv auf ein Umfeld hin, in dem Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend an der Gestaltung der inklusiven Lebensverhältnisse mitwirken können. Dabei sollen Menschen mit Behinderungen darin unterstützt und ermutigt werden, ihre Vereinigungsfreiheit wahrzunehmen, ihre eigenen Kompetenzen zu stärken, in ihren eigenen Angelegenheiten selbstständig und selbstbestimmt tätig zu werden, sowie ihre Interessen zu vertreten. Wesentlich hierfür sind insbesondere Organisationen von Menschen mit Behinderungen, die sie auf Landesebene und kommunaler Ebene vertreten, sowie geeignete unabhängige Beratungs- und Unterstützungsstrukturen.
(4) Die oder der Landesbehindertenbeauftragte unterstützt die Verbände und Organisationen der Menschen mit Behinderungen bei der Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte. Sie oder er hat die Aufgabe, alle für die Verbände und Organisationen der Menschen mit Behinderungen wesentlichen Informationen und Vorhaben der Landesregierung sowie des Landtages auszuwerten und aufzuarbeiten. Diese Informationen sowie die Auswertungen hierzu sind auf Anfrage bereit zu halten, zu bündeln und zu übermitteln. Auf Wunsch der Verbände und Organisationen kann der oder die Landesbehindertenbeauftragte hierzu beraten. Darüber hinaus hat sie oder er die Aufgabe, auf Anfrage der Landesregierung und des Landtags Ansprechpartner bei den Verbänden und Organisationen der Menschen mit Behinderungen zu vermitteln und die Verbände und Organisationen bei Beteiligungsverfahren zu beraten und zu begleiten. Die Beteiligungsrechte der Verbände und Organisationen der Menschen mit Behinderungen bleiben hiervon unberührt.
(1) Als Schnittstelle zur Zivilgesellschaft nach Artikel 33 der UN-Behindertenrechtskonvention und in Umsetzung des Beteiligungsgebotes aus § 9 wird auf Landesebene ein Inklusionsbeirat eingerichtet.
(2) Der Inklusionsbeirat hat die Aufgabe,
Er wird dabei von der Monitoringstelle (§ 11) unterstützt.
(3) Der Inklusionsbeirat setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern
Die Mitglieder arbeiten gleichberechtigt und vertrauensvoll zusammen. Entscheidungen werden mit der Mehrheit der stimmberechtigen Mitglieder getroffen.
(4) Das für den Bereich der Politik für und mit Menschen mit Behinderungen federführend zuständige Ministerium führt den Vorsitz. Die Verbände und Organisationen sowie die Ministerien der Landesregierung entsenden für jeweils eine Legislaturperiode Vertreterinnen und Vertreter in den Inklusionsbeirat. Bei der Entsendung sollen die Verbände und Organisationen sowie die Ministerien die geschlechterparitätische Besetzung beachten.
(5) Zur Unterstützung der Arbeit des Inklusionsbeirates können Fachbeiräte gebildet werden, die dem Inklusionsbeirat zuarbeiten. Die Ministerien entscheiden eigenständig über deren Einrichtung und Besetzung sowie Fragen der Organisation des jeweiligen Fachbeirats. Darüber hinaus können aus der Mitte des Inklusionsbeirates Vorschläge für die Einrichtung weiterer Fachbeiräte erfolgen.
(6) Das Nähere zu Aufgaben, Struktur und Organisation des Inklusionsbeirates regelt die Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung des Inklusionsbeirates wird nach Beschlussfassung durch den Inklusionsbeirat durch das den Vorsitz führende Ministerium erlassen.
§ 11 Monitoringstelle
Zur Wahrnehmung der Aufgaben im Sinne des Artikels 33 Absatz 2 der UN-Behindertenrechtskonvention (Monitoringstelle) schließt das Land eine vertragliche Vereinbarung mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte e.V.
(1) Die Landesregierung berichtet dem Landtag ein Mal in der Legislaturperiode über die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und den Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
(2) § 14 des Behindertengleichstellungsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2003 (GV. NRW. S. 766), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 18. November 2008 (GV. NRW. S. 738) geändert worden ist, bleibt unberührt.
§ 13 Inkrafttreten, Berichtspflicht
(1) Dieses Gesetz tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft.
(2) Die Landesregierung berichtet dem Landtag zum 31. Dezember 2020 über die Erfahrungen mit diesem Gesetz.
ENDE |