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BGI/GUV-I 5165 / DGUV Information 206-015 - Alles für den Kunden? Arbeitsbelastungen und Bedrohungen an Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt
Gute Beispiele für mehr Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit
Berufsgenossenschaftliche Information für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BGI/GUV-I)
Katrin Päßler; Melanie Spiegelberg; Sabine Laskus; Jan Hetmeier; Christian Pangert
(Ausgabe 04/2012)
Die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland beschäftigt sich seit ihrem Bestehen mit zwei elementaren Fragen:
Diese Fragestellungen treten stets unter sich verändernden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Bedingungen auf und erheben den berechtigten Anspruch, passende Antworten zu finden.
In jüngster Zeit erfahren psychische Belastungen bei der Arbeit erhöhte Aufmerksamkeit. Insbesondere die Folgen der daraus entstehenden psychischen Fehlbeanspruchung, wie Stress, emotionale Erschöpfung, Depression oder andere psychische Störungen stehen im Mittelpunkt. Sie erzeugen einerseits großes Leid bei den Betroffenen, sind aber andererseits ebenfalls eine erhebliche Belastung für die Unternehmen und letztlich für die gesamte Volkswirtschaft.
Aktuellen Studien zufolge, werden von Beschäftigten in Deutschland als auslösende Faktoren der genannten Folgen am häufigsten eine große Arbeitsmenge, unvorhersehbare Unterbrechungen, hohe Verantwortung, hoher Zeitdruck, fehlende Wertschätzung oder geringer Handlungsspielraum angeführt.
An Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt kommen neben den beschriebenen Einflüssen, einige weitere Belastungsfaktoren hinzu: Emotionsarbeit und Gewalt am Arbeitsplatz. Letzteres kann sowohl zwischen Kunden/ Klienten/Patienten und Beschäftigten als auch zwischen Beschäftigten auftreten. Die Auswertungen von Statistiken der Unfallversicherungsträger zeigen: Banken und Sparkassen, Bahnbetriebe, öffentliche Verwaltungen und Einrichtungen des Gesundheitswesens haben im Vergleich zu anderen Branchen bis zu einem Viertel häufiger Gewalt oder psychisch belastende Ereignisse als Unfallursache.
Mit dem Projekt "abba - Arbeitsbelastungen und Bedrohungen in Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV" widmete sich die gesetzliche Unfallversicherung in den Jahren 2008 bis 2010 den besonderen Arbeitsbedingungen in den Jobcentern. Ziel des Projektes war es, geeignete Präventionsmaßnahmen zu ermitteln und zu erproben, die die Arbeitsbelastungen der Beschäftigten verringern können. Das heißt: gesündere Arbeitsbedingungen und mehr Sicherheit vor Übergriffen für die Beschäftigten zu schaffen.
Im Ergebnis sind vielfältige Beispiele guter Praxis entstanden, die zu mehr Sicherheit und Gesundheit in den Jobcentern beigetragen haben. Mit dieser Broschüre wollen wir einige Maßnahmen des abba-Projektes vorstellen und mögliche Schritte aufzeigen, wie Unternehmen Veränderungsprozesse begleiten und gestalten können.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Broschüre die männliche Schreibweise verwendet. Wir weisen an dieser Stelle daraufhin, dass die männliche Form explizit als geschlechtsunabhängig verstanden wird.
1 Sicher und gesund arbeiten an Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt
Ob im Jobcenter, im Supermarkt an der Kasse oder im Finanzamt: Der Kontakt zu Kunden ist eine besondere Arbeitstätigkeit. Sie birgt einiges an Stresspotenzial. Die eigenen Gefühle im Griff zu haben ("Bitte lächeln!", "Der Kunde hat immer Recht!") oder mit Mängeln in der Führung zurechtzukommen, reicht nicht. Manchmal wird es sogar richtig heikel und es kommt zu Übergriffen. Das belastet die Mitarbeiter sehr und macht sie krank. Doch ohne Kunden geht es nicht. Da ist es gut zu wissen, dass man etwas gegen die Überlastung im Job und auch gegen Gewalt durch Kunden tun kann. Diese Erfahrung haben wir in einem Projekt mit Jobcentern gemacht.
Ob Emotionsarbeit, Mängel in der Führung oder Verbesserung der Kundensteuerung: Die vorliegende Broschüre zeigt anhand von vielfältigen Beispielen aus dem Projekt "abba - Arbeitsbelastungen und Bedrohungen in Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV", was Arbeitgeber und Beschäftigte gegen zu hohe Arbeitsbelastungen und Gewalt durch Kunden tun können.
2 Die Grundlage: Arbeits- und Gesundheitsschutz organisieren
Arbeitsschutz ist Chefsache. Die Arbeitsschutzvorschriften richten sich vor allem an den Unternehmer. Er muss Arbeitsstätten, Maschinen, Geräte, Anlagen usw. so einrichten und unterhalten, dass die Beschäftigten gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind. Um seiner Verantwortung im Arbeits- und Gesundheitsschutz nachzukommen, muss der Arbeitgeber für eine angemessene Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sorgen. Dazu ist die Übertragung der Aufgaben auf verantwortliche Führungskräfte ebenso notwendig, wie die Bestellung der beratenden Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte, der Sicherheitsbeauftragten und der Ersthelfer sowie die Gründung eines Arbeitsschutzausschusses. Mit anderen Worten: Um gute, gesunde und sichere Arbeitsplätze zu bekommen, müssen die strukturellen Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen, in Betrieben und Behörde geschaffen werden.
Eine wirksame und moderne Organisation von Arbeits- und Gesundheitsschutz zielt auf drei wesentliche Bereiche:
Die Aufbauorganisation
schafft Strukturen und legt Aufgaben sowie Kompetenzen der Verantwortlichen und Beauftragten für die einzelnen Organisationseinheiten eines Unternehmens fest.
Die Ablauforganisation
legt fest, nach welchen verbindlichen (und bekannt gemachten!) Regeln die zugewiesenen Aufgaben durch Arbeits- und Informationsprozesse erfüllt werden.
Das Gesundheitsmanagement
umfasst Zielsetzungen, Strukturen und Prozesse zur gesundheitsförderlichen Gestaltung von Arbeit und Organisation sowie die Befähigung der Beschäftigten zum gesundheitsförderlichen Verhalten.
Ziel einer sicheren und gesunden Organisation muss es sein, den Arbeits- und Gesundheitsschutz in alle betrieblichen Prozesse und Aktivitäten zu integrieren, so dass er nicht als lästige Pflichterfüllung, sondern vielmehr als Mittel zur Erbringung guter Arbeitsergebnisse verstanden wird.
In allen öffentlichen Einrichtungen finden sich vielfältige Muster zur Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
Es gibt jedoch große Unterschiede in der Qualität, der Ausprägung und auch der einfachen Frage, ob lediglich gesetzlich geforderte oder auch freiwillige Maßnahmen umgesetzt werden.
Die Spanne reicht von einer ansatzweisen Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, in der vereinzelt Regelungen ohne Umsetzungsvorgaben existieren, bis hin zu umfassenden Arbeitsschutzmanagementsystemen, die ständige Ergebnis- und Prozessverbesserungen anstreben.
Im abba-Projekt fanden in den beteiligten Jobcentern Betriebsbegehungen statt, um vor Ort die Arbeitsbedingungen beurteilen zu können.
Dabei wurden auch die betrieblichen Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Arbeitsschutzorganisation hinterfragt.
Die Fragestellungen dazu zielten vor allem auf die Erfüllung von Mindestanforderungen in der Organisation zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in Verwaltungsbetrieben ab.
Nachfolgend ist diese Checkliste zur Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für Verwaltungs- und Bürobetriebe abgebildet. Sie stellt eine gute Orientierungshilfe für Ihr eigenes Haus dar. Am besten, Sie füllen die Checkliste gleich mal aus!
Checkliste für Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, Stand 11 / 2011
Datum: | Einrichtung / Organisationseinheit: |
Beschäftige/ Bereiche/ Tätigkeiten | Beschäftigtenzahl: |
Bereiche: | |
Tätigkeiten: |
Arbeitsschutz- organisation: | 1 | Wurden Führungskräften die Unternehmerpflichten schriftlich übertragen? | § 13 Abs. 2 ArbSchG § 13 BGV/GUV-V A1 | [ ] ja | [ ] nein |
2 | Wird der Bereich von einer Fachkraft für Arbeitssicherheit betreut? | § 19 BGV/GUV-V A1 §§ 3, 6, 10, 11 ASiG | [ ] ja | [ ] nein | |
3 | Wird der Bereich betriebsärztlich betreut? | § 19 BGV/GUV-V A1 §§ 3, 6, 10, 11 ASiG | [ ] ja | [ ] nein | |
4 | Sind die Einsatzzeiten für die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt schriftlich festgelegt? | § 2 DGUV Vorschrift 2 | [ ] ja | [ ] nein | |
5 | Wie viele Sicherheitsbeauftragte wurden für den Bereich bestellt? | Anzahl Sibe gem. Anlage 2 BGV/GUV-V A1 | [ ] ja | [ ] nein | |
6 | Wurden die Sicherheitsbeauftragten beim UV-Trägerausgebildet? | § 20 Abs. 6 BGV/GUV-V A1 | [ ] ja | [ ] nein | |
7 | Wird der Personalrat bei Fragen des AGS regelmäßig beteiligt? | § 81 BPerSVG | [ ] ja | [ ] nein | |
8 | Finden regelmäßig Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses statt? | § 11 ASiG beim mehr als 20 AN | [ ] ja | [ ] nein | |
9 | Liegen für alle Arbeitsplätze aktuelle Gefährdungsbeurteilungen vor? | § 3 Abs.1 BGV/GUV-V A1 § 5, 6 ArbSchG | [ ] ja | [ ] nein | |
10 | Werden die Beschäftigen regelmäßig (mind.1 mal im Jahr) im Arbeits- und Gesundheitsschutz unterwiesen? | § 4 BGV/GUV-V A1 § 12 Abs.1 ArbSchG | [ ] ja | [ ] nein | |
11 | Wird die Unterweisung dokumentiert? | § 4 BGV/GUV-V A1 § 12 Abs. 1 ArbSchG | [ ] ja | [ ] nein | |
12 | Werden Beschäftigten regelmäßig arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen angeboten? | Angebots- bzw. Pflichtuntersuchungen z.B. G 37 Bildschirmtätigkeit | [ ] ja | [ ] nein | |
Notfall- management | 13 | Wurden Ersthelfer für den Bereich benannt? | § 26 BGV/GUV-V A1 | [ ] ja | [ ] nein |
14 | Erfolgt eine regelmäßige Fortbildung der Ersthelfer? | alle 2 Jahre | [ ] ja | [ ] nein | |
15 | Sind Verbandkästen vorhanden, voll- ständig und gekennzeichnet? | DIN 13157 | [ ] ja | [ ] nein | |
16 | Werden Arbeits- und Wegeunfälle dokumentiert? | Verbandbuch Unfallanzeige Unfallstatistik | [ ] ja | [ ] nein | |
17 | Existieren für den Bereich Notfall- und Evakuierungskonzepte? | z.B. Notfallpläne, Alarmierungs- möglichkeiten, regelmäßige Übungen | [ ] ja | [ ] nein | |
18 | Sind Flucht- und Rettungswege bzw. Sammelplätze eingerichtet? | § 10 ArbSchG | [ ] ja | [ ] nein | |
Prüfung | 19 | Werden die elektrischen Betriebsmittel regelmäßig geprüft? | Fristen nach BetrSichV | [ ] ja | [ ] nein |
20 | Existieren Regelungen zum Gebrauch privater elektrischer Geräte? | z.B. Dienstvereinbarung | [ ] ja | [ ] nein | |
21 | Werden die Sicherheitseinrichtungen und Arbeitsmittel regelmäßig überprüft? | z.B. Feuerlöscher, Brandmeldeanlagen, Leitern und Tritte | [ ] ja | [ ] nein |
3 Gute Beispiele für mehr Gesundheit
Beispiel 1
3.1 Gefühlssache - Ärger und Frust im Umgang mit Kunden
Das Problem:
Emotionsarbeit
Die Arbeit mit Kunden erfordert weit mehr als die Anwendung reinen Sachwissens. Natürlich wird vorausgesetzt, dass Sachbearbeiter über die notwendigen Kenntnisse und Informationen zur Erledigung einer Anfrage verfügen. Darüber hinaus haben sie es jedoch mit Menschen zu tun. Diese Menschen erwarten, dass man sie höflich und zuvorkommend behandelt und auch freundlich Auskunft gibt. Diese Anforderungen an die Arbeit werden gemeinhin als selbstverständlich wahrgenommen. Doch der "Einsatz" von Gefühlen bei der Arbeit (Emotionsarbeit) ist mit erheblichen Anforderungen an die Beschäftigten verbunden. Das stete freundliche Lächeln von Servicepersonal wird zwar von den Kunden als angenehm empfunden, betroffene Mitarbeiter müssen hierfür jedoch sehr häufig ihre wahren Gefühle verbergen. Dafür müssen z.B. Ärger, Wut und Abneigung unterdrückt werden. Aber es gibt auch Situationen, in denen Mitgefühl erwartet wird oder man sich mit einem Kunden freuen kann. Die Beschäftigten an Arbeitsplätzen im Publikumsverkehr sind stetig gefordert, die Kundenerwartungen, die Erwartungen der Behörde und ihre eigenen Bedürfnisse in Einklang zu bekommen. Eine echte Herausforderung! Besondere Bedeutung hat die Emotionsarbeit auch im Zusammenhang mit unangemessenem Benehmen von Kunden. Wer kann bei verbalen Sticheleien bis hin zu sexuellen Anzüglichkeiten, Beschimpfungen, Beleidigungen und tätlichen Übergriffen noch lächeln?
Doch was tun? An erster Stelle steht ein Leitbild zum Umgang mit Kunden, welches beschreibt, was von den Beschäftigten im Kontakt mit Kunden erwartet wird. Es beschreibt aber auch, wo Grenzen gesetzt werden können: unter welchen Umständen darf ein Mitarbeiter den Kundenkontakt abbrechen oder verweigern? Wann darf ein Hausverbot erteilt werden? Welche Unterstützung können oder müssen Führungskräfte geben? Sofern Dienstleistung nur als Sacharbeit verstanden wird, besteht keine Veranlassung, sich mit dieser wichtigen Dimension der Arbeit mit Kunden konstruktiv auseinander zu setzen. Entscheidend hierfür sind eine Grundsatzdiskussion und die Einigung auf Werte und Normen zur Verrichtung der Dienstleistungsarbeit, mit dem Ziel, die emotionalen Anforderungen festzulegen, die das Personal dauerhaft unbeschadet leisten kann. Auf keinen Fall sollte es den Beschäftigten allein überlassen bleiben, wie sie sich im Kundenkontakt richtig verhalten, um den betrieblichen Anforderungen zu genügen. Das Klima von Serviceinstitutionen wird ganz nachhaltig von Werten und Normen geprägt, die den Umgang mit Kunden bestimmen.
Die Maßnahme:
Supervision
Die Leitlinie zum Kundenkontakt bietet den Beschäftigten Orientierung bei ihrer Arbeit. Bei der konkreten Belastungssituation hilft sie wenig. Hier können nur konkrete Maßnahmen für Entlastung sorgen. Eine dieser Maßnahmen ist die Supervision; eine im sozialen Bereich häufig genutzte Methode zur Unterstützung im Umgang mit schwierigen Beratungssituationen. Supervision wurde als Lösungsidee in den Gesundheitszirkeln des abba-Projektes oft genannt. In drei Standorten verschiedener Jobcenter wurden deshalb im Rahmen eines Pilotvorhabens die Durchführung von jeweils fünf zweistündigen Supervisionssitzungen in einer festen Gruppe mit der Unterstützung eines professionellen externen Supervisors gefördert. Die Sitzungen fanden im Zeitraum von sechs Monaten statt. Die Terminvereinbarung erfolgte individuell zwischen Supervisor und den Gruppen.
Supervision versteht sich in diesem Kontext als Form der Beratung, die Gruppen und Organisationen bei der Reflexion und Verbesserung ihres personalen und beruflichen Handelns unterstützt. Gegenstand von Supervisionsgesprächen können die Arbeitspraxis, die Rollen- und Beziehungsdynamik zwischen Kunden und Mitarbeitern, aber auch Team- und Führungsfragen sein. Ziel ist einerseits die Entlastung, aber natürlich auch das Lernen und das Übertragen von neu gewonnenem Wissen in die Alltagspraxis.
Die Teilnahme an den Supervisionssitzungen im Zuge des abba-Projekts war in allen Standorten freiwillig, die Zusammensetzung der Gruppen sehr unterschiedlich. In einem Fall waren nur Fallmanager als Zielgruppe angesprochen, ein anderes Mal kam eine gemischte Mitarbeitergruppe zusammen. Eine Gruppe traf sich auch unter Beteiligung der Führungskraft.
Der Erfolg:
Bewusste Auseinandersetzung
In allen Gruppen wurde deutlich, dass es bereits als sehr unterstützend empfunden wurde, den Raum und die Zeit zu haben, die emotional belastenden Arbeitskontakte und -inhalte thematisieren zu können.
Ein Effekt, der auch in den Gesundheitszirkeln schon zum Tragen gekommen war. Grundsätzlich wurde die Arbeit in den Supervisionsgruppen vom größten Teil der Mitarbeiter als große Unterstützung angesehen.
Als großer Gewinn wurde von den Teilnehmern die Leitung der Gruppen durch eine externe professionelle und trotzdem jobcentererfahrene Supervisorin gewertet.
Insgesamt kann man von einem sehr positiven Verlauf dieses Pilotangebotes sprechen. Viele Teilnehmer bewerteten das Angebot als sehr hilfreich; sowohl für ihre Arbeitstätigkeit als auch für ihr persönliches Befinden.
Beispiel 2
3.2 "Ich dachte, dafür bist Du zuständig": Rollenkonflikte lösen, Schnittstellen klären
Das Problem:
Rollenkonflikte / Schnittstellen
Die hohen empfundenen Belastungen der Mitarbeiter im Jobcenter lassen sich z.T. mit der großen Arbeitsmenge erklären. Oft verbergen sich dahinter jedoch ungenaue Absprachen über Zuständigkeiten einzelner Mitarbeiter, unklare Stellen- und Arbeitsplatzbeschreibungen oder undeutliche Absprachen zwischen Abteilungen (Doppelzuständigkeiten). Diese Punkte können als Rollenunklarheiten zusammengefasst werden, die zu Konflikten bei einzelnen Beschäftigten, zwischen Mitarbeitern und auch zwischen ganzen Abteilungen führen können.
Ungeklärte Kompetenzen und undurchsichtige Verfahrensabläufe führen besonders bei vielfältigen oder komplexen Arbeitsprozessen zu Problemen an den Schnittstellen unterschiedlicher Funktionsbereiche. Die größten Optimierungspotenziale liegen in den meisten Verwaltungen nicht (mehr) innerhalb von Abteilungen, sondern im "Niemandsland" dazwischen. Hier spielen sich die klassischen "Grenzkriege" und Kompetenzstreitigkeiten ab. Allerdings auch ihr genaues Gegenteil: die solidarische Verweigerung der Zuständigkeit. Doch nicht erst Konflikte machen Schnittstellen zum Problem, sondern bereits die Tatsache, dass Arbeitsvorgänge von einer Hand in die andere übergeben werden. Fehler bei diesen Übergaben führen zwangsläufig zu Problemen. Sei es, weil Aufträge nicht oder nur unvollständig ankommen oder wichtige Informationen zur Weiterbearbeitung fehlen. Sei es, weil sich niemand zur Aufgabenerledigung zuständig fühlt oder die Befugnisse einzelner Bearbeiter nicht geklärt sind. Jeder Wechsel in der Bearbeitung ist mit der Gefahr des Verlustes von Informationen und dem "Blick für das Ganze" verbunden.
Es handelt sich somit vorwiegend um organisatorische Probleme. Angefangen bei der Zuständigkeit einzelner Beschäftigter, bis hin zur Einarbeitung und Schulung neuer Mitarbeiter. Trotzdem muss bei Schnittstellenproblemen auch immer die Frage gestellt und beantwortet werden, ob hier nur ein organisatorisches Problem vorliegt oder ob die Ursache nicht auch bei den beteiligten Personen zu finden ist.
Um Rollen und Schnittstellen optimal zu gestalten, sind durchdachte Standards für alle wichtigen Prozesse im Sinne von Organisationsvorgaben notwendig. Ideale Schnittstellen sollten daher wie folgt aussehen:
Die Maßnahme 1: Aufgabenklärung an der Infotheke
In einigen Jobcentern stellte sich im Zuge der Problem- und Ursachenanalyse heraus, dass die Infotheke / das Kundenbüro ein zentraler Punkt mit hohem Optimierungspotential hinsichtlich der Schnittstellengestaltung ist. Die Infotheke ist die erste Anlaufstation für den Kunden. Häufig werden dort notwendige Informationen nicht vollständig an Kunden weitergegeben. Diese Informationen fehlen dann im weiteren Verlauf der Sachbearbeitung, was zu Verzögerungen bei der Bearbeitung führt. Viele Kunden könnten ihr Anliegen auch bereits an der Infotheke klären, wenn z.B. der Zugang zu bestimmten Informationen (PC-Programmen) möglich wäre.
Zudem liegen an vielen Infotheken die Angaben zu internen Zuständigkeiten oder Vertretungsregelungen nicht immer vor. Unzufriedenheit, längere Wartezeiten, Verärgerung und Aggressionen seitens der Kunden sind mögliche Folgen. Viele organisatorische Maßnahmen ließen sich für den Arbeitsbereich Infotheke / Kundenbüro umsetzen. So wurde z.B. festgelegt, welche Informationen Kunden für ein bestimmtes Anliegen (z.B. Neuantrag) unbedingt benötigen. Organigramme mit Zuständigkeiten wurden überarbeitet und Vertretungsregelungen neu festgelegt. Weiterhin wurden die Beschäftigten der Infotheke in der Nutzung von bestimmten PC-Programmen und z.T. in der Bearbeitung nachfolgender Arbeitsprozesse geschult, um mögliche Anfragen bereits im ersten Kundenkontakt zu klären. Gemeinsam mit den nachfolgenden Bereichen wurde geklärt, welche Aufgaben an der Infotheke unbedingt erledigt werden müssen und welche "Spielregeln" bei der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen gelten.
Der Erfolg:
Mehr Handlungsmöglichkeiten, mehr Effizienz
Durch den Klärungsprozess wurden für die anfallenden Arbeitsaufgaben Zustände definiert, ab wann und wie die Aufgabe entweder fertig bearbeitet ist oder an anderer Stelle weiter bearbeitet werden muss. Außerdem wurde die "andere Stelle" eindeutig beschrieben. Dadurch wird weniger Zeit bei der Einarbeitung in einen Vorgang benötigt und auch Doppelarbeit wird vermieden. Außerdem wurden Aufgaben gefunden, die direkt an der Infotheke abschließend bearbeitet werden können. Das erspart den Kunden lange Wartezeiten und entlastet die anderen Mitarbeiter.
Die Maßnahme 2: Aufbereitung für die Übergabe - am Beispiel Wiedereingliederung
Bei der Übergabe eines nicht abgeschlossenen Vorgangs ist die leicht nachvollziehbare Aufbereitung des erreichten Zwischenzustands und etwaiger Besonderheiten wesentlich. Dies ist in erster Linie eine "Bringschuld" und keine "Holschuld", denn wer mit einem Vorgang noch nicht vertraut ist, kann keine gezielten Fragen stellen.
In den Jobcentern gibt es komplexe Vorgänge, die eine geordnete Übergabe von Informationen an die nächsten Bearbeiter zwingend erfordern. Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang häufig die Informationsweitergabe zur Widerspruchsstelle und die Planung bzw. Umsetzung von Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen. Diese Wiedereingliederungsmaßnahmen werden in den Jobcentern meist von Spezialisten geplant und von Fallmanagern umgesetzt. In der Praxis fehlen den Fallmanagern häufig notwenige Informationen zu den geplanten Maßnahmen, die eine optimale Umsetzung erschweren.
Mit den beteiligten Abteilungen (Fallmanagement und Maßnahmenplanung) wurde ein Verfahren zur Informationsweitergabe mit (teil)standardisierten Formularen und Checklisten entwickelt, so dass alle notwendigen Informationen zur weiteren Bearbeitung vorliegen. Regelmäßige Treffen zur Rückmeldung, zum Erfahrungsaustausch und weiteren Prozessoptimierung sind außerdem Bestandteil des erarbeiteten Verfahrens.
Der Erfolg:
Mehr Handlungssicherheit, mehr Effektivität
Durch die Einführung des beschriebenen Verfahrens zum gesicherten Informationsfluss, ist eine zielgruppengenaue Kundenansprache möglich. Außerdem kann die Bearbeitung zügig erfolgen, weil ständige Rückfragen oder Zusatzarbeiten, z.B. durch Eigenrecherche, entfallen.
Die Maßnahme 3: Bereichsübergreifende Hospitationen und Besprechungen
Eine reibungslose Übergabe an Schnittstellen, die nicht technisch vorgegeben sind, kann nur gelingen, wenn beide Seiten in einer Prozesskette aktiv dazu beitragen. Daher ist die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen für das Funktionieren von Schnittstellen in Verwaltungen sehr viel wichtiger, als z.B. am Fließband in der Produktion: Wer einen Prozessschritt übergibt und sich mit der Übergabe nur wenig Mühe macht, erhöht die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und erzeugt unnötig zusätzlichen Arbeitsaufwand. So wird der Empfänger unnötig viel Einarbeitungszeit benötigen und eventuell Fehler machen, die vermeidbar gewesen wären. Natürlich sollte sich auch der Empfänger eigeninitiativ in die geleistete Vorarbeit hineindenken. Deshalb gilt bei dieser Art von Schnittstellen grundsätzlich, dass beide Seiten für eine optimale Übergabe verantwortlich sind und sich auch gemeinsam in dieser Verantwortung sehen müssen.
Die geschilderte Problematik findet sich in den Jobcentern an vielen Schnittstellen wieder. Um eine gemeinsame Prozessverantwortung zu erreichen, wurden z.B. gegenseitige Hospitationen im Leistungs- und Vermittlungsbereich, im Beschwerdemanagement und an den Infotheken / Kundenbüros vereinbart. Regelmäßig durchgeführte Besprechungen zu bereichsübergreifenden Themen (z.B. Gesetzesänderungen, besondere Fallbesprechungen, Wiedereingliederungsmaßnahmen) haben gezeigt, dass sie sinnvoll und notwendig sind. Außerdem wird bei Fortbildungsveranstaltung zu übergreifenden Themen darauf geachtet, Beschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen und Standorten einzuladen, um den persönlichen Kontakt und Austausch auch auf diesem Weg zu fördern.
Der Erfolg:
Mehr Transparenz, mehr Verantwortungsbewusstsein
Der bereichsübergreifende Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen ist sehr gut geeignet, um auf Besonderheiten und Unterschiede hinzuweisen. Erst dadurch kann ein Verständnis für unterschiedliche Herangehensweisen entstehen, welches dann bei der Arbeit berücksichtigt werden kann. Es wird also nicht nur die Kommunikation zwischen den Abteilungen und den Beschäftigten gefördert, sondern ihnen auch die Möglichkeit gegeben, "den Anderen" bereits bei der eigenen Arbeit zu berücksichtigen. Dies führt im Ergebnis zu einer schnelleren und fehlerreduzierteren Bearbeitung.
Beispiel 3
3.3 Gesunde Führung - Führungskräfte als Vorbild und Einflussfaktor
Das Problem:
Führung
Durch ihr tägliches Handeln nehmen Führungskräfte sowohl direkt als auch indirekt Einfluss auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Motivation ihrer Mitarbeiter. Gleichzeitig hat ihr Handeln auch Auswirkungen auf ihr eigenes Befinden, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Bei besonders konfliktreichen Fällen mit Kunden werden sie meist dazu gerufen. Dort stehen sie vor der Aufgabe einen schwierigen Sachverhalt aufzuklären und einen Konflikt zu lösen. Am Ende soll der Kunde zufrieden gestellt sein und gleichzeitig erwartet der Beschäftigte Rückendeckung.
Die Führungskräfte sollen die Beschäftigten in schwierigen Fällen unterstützen und belastende Gesprächssituationen gemeinsam aufarbeiten. Außerdem haben Sie die Aufgabe, Überlastungssituationen zu erkennen und zum Gespräch zu machen sowie psychische Erkrankungen, wie z.B. Burnout, rechtzeitig zu erkennen und anzusprechen.
In ihrer Rolle als Führungskraft sind viele mit diesen speziellen Anforderungen häufig überfordert und durch ihre Ausbildung nicht gut vorbereitet. Dies wirkt sich u.a. auf den Umgang mit den geschilderten Anforderungen und damit auch auf das eigene Befinden aus.
Untersuchungen zeigen, dass das Führungsverhalten einer der wichtigsten Faktoren für die Arbeitszufriedenheit ist. Die Arbeitszufriedenheit wiederum hat massiven Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten.
Dabei stellt gesunde Führung keine umfassend neuen Anforderungen an die Führungskräfte. Vereinfacht könnte man sagen: "Gute Führung ist gesunde Führung!" Es ist daher eine wichtige Aufgabe, sich den Einflussfaktoren bewusst zu werden, die man als Führungskraft auf die Gesundheit der Beschäftigten hat.
Eine Führungskraft sollte z.B. wissen, dass sie nur eine gute Führungskraft sein kann, wenn sie gesund ist. Das bedeutet, mit den eigenen Ressourcen haushalten können, die eigenen Belastungs- und Stressfaktoren kennen und wissen, wie für Entlastung und Entspannung gesorgt werden kann. Eine solche Führungskraft kann ein Vorbild sein und gesund führen, indem auch die Belastungen und Ressourcen der Beschäftigten beachtet werden.
Wichtige Basis für "gesunde Führung" ist eine solide Führungskräfteausbildung, die gezielt auf die Auseinandersetzung mit dem Thema "gesunde Führungskraft - gesunde Führung von Mitarbeitern" abzielt und damit der Reflexion des eigenen Verhaltens und der eigenen Einflussmöglichkeiten dient. Darüber hinaus sind kollegialer Austausch, kollegiale Fallberatung, Supervision und Coaching als hochwirksame Instrumente bekannt, aber insbesondere auf der unteren und mittleren Führungsebene leider noch immer selten genutzt. Der Einsatz dieser Instrumente kommt dabei nicht nur den Führungskräften selbst zu Gute, sondern hilft auch neue Handlungsmöglichkeiten im Alltag zu finden oder Probleme zu lösen.
Das heißt, Führungskräfte in ihrer Handlungskompetenz zu stärken und ihre eigene Belastungssituation zu reflektieren, ist eine wichtige Investition in die Gesundheit von Beschäftigten und Führungskräften.
Dabei spielt nicht zuletzt die Tatsache eine große Rolle, dass das Angebot von Qualifizierung und Führungskräfteentwicklung ein Teil von Wertschätzung ist. Genau die brauchen auch Führungskräfte für ihre Arbeitszufriedenheit, weil Wertschätzung an sich eine der wichtigsten Ressourcen für gesundes Arbeiten darstellt.
Die Maßnahme:
Führungskräftezirkel
Bei Projekten zur Verbesserung der Arbeitssituation wird in der Regel sehr stark auf die Mitarbeitersituation und -einschätzung fokussiert. Es werden häufig Befragungen und Mitarbeiterzirkel durchgeführt. Dieses Vorgehen hat seine Berechtigung und bringt oft viele gute Ergebnisse hervor. Vergessen wird jedoch oft die Situation der unteren und mittleren Führungskräfte. Hier finden sich vielfältige Belastungen, die sich einerseits negativ auf Zufriedenheit, Arbeitsmotivation und die Gesundheit der Führungskräfte auswirken, aber auch mittelbar die Beschäftigten treffen.
Ziel war es deshalb, nach Art der Mitarbeiterzirkel auch Führungskräftezirkel durchzuführen und damit den Führungskräften Wertschätzung ihrer Arbeit und auch ihrer Erfahrungswerte sowie ihrer Lösungskompetenz entgegenzubringen.
Beispiel für den Aufbau und den Ablauf eines Führungskräftezirkels
Ziele des Workshops
Ablaufplan
Zeit | Inhalt | Methode |
09:00 05´ | Begrüßung des Gesundheitszirkels - kurzer Zusammenhang Projekt abba, warum wir hier sind. Stand des Projektes | Präsentation |
09:05 20´ | Einstiegsrunde mit thematischem Einstieg Ich heiße Ich arbeite im Jobcenter als ... und komme ursprünglich von Was ich an meiner Arbeit gar nicht schätze ... Was ich an meiner Arbeit besonders mag ... | Flipchart mit den Fragen |
09:25 10´ | Vorstellung des Tagesplans Spielregeln für den Gesundheitszirkel | Flip |
09:35 25´ | Wichtigste Ergebnisse der Befragung (Auswertung über alle Standorte hinweg) | Folien bzw. Handout Flip mit den Kernthemen, die weiter bearbeitet werden sollen. |
10:00 30´ | Blitzlicht Spiegeln die Ergebnisse ihre persönlichen Eindrücke wider? Was wäre wichtig noch zu sagen, was fehlt? Welche Themen sollen hier bearbeitet werden? | Flip |
15´ | PAUSE | |
10:45 80´ | Bearbeitung eines Themas im Plenum Fragestellungen: Welche Stärken haben wir bezogen auf diesen Punkt? An welchen Stellschrauben könnte man drehen? Was genau macht diesen Punkt aus? Welche Schwierigkeiten verbergen sich dahinter? Welche Ideen für (ungewöhnliche) Maßnahmen haben wir? | Gesamtgruppe mit Moderation |
12:05 25´ | Präsentation der ersten Ergebnisse | Metaplan |
45´ | Mittagspause | |
13.15 80´ | Bearbeitung der weiteren Themen in 2-4 Arbeitsgruppen | Einteilung in 2-4 Gruppen |
15´ | PAUSE | |
14.50 25´ | Präsentation der Ergebnisse | Metaplan |
15.15 15´ | Weiteres Vorgehen und Abschluss Wer präsentiert unsere Ergebnisse im Maßnahmenworkshop mit der GF? Kurze Abschlussrunde | |
15.30 | ENDE |
Anhand der Befragungsergebnisse und der Themenergänzungen durch die Führungskräfte wurde eine Themenliste für den Workshop erstellt und anschließend mit Prioritäten versehen.
Teilweise wurden die Themen im Plenum diskutiert und Lösungsvorschläge gesammelt, einige Themen wurden noch in Kleingruppen weiter bearbeitet. Die Bearbeitung der Themen fand immer nach dem folgenden Schema statt:
Der Erfolg: gemeinsame Lösungen
In einigen Gruppen wurden die Lösungsvorschläge zunächst im Workshop priorisiert, dann durchgeführt und schließlich kontrolliert. Andere Gruppen stellten ihre Themen in einem weiteren Workshop der Geschäftsführung vor. Die Themen wurden dort teilweise direkt geklärt oder auch zu gemeinsam vereinbarten Maßnahmen weiterentwickelt. Die Überprüfung der Maßnahmen wurde in der Führungsrunde weiterverfolgt.
Besonders das Vorgehen, die Belastungsfaktoren und Ideen zur Lösung der Führungskräfte in einem weiteren Workshop mit der Geschäftsführung zu thematisieren, wurde von den Beteiligten im Anschluss an die Projektphase als sehr positiv bewertet. Sich abseits vom Alltagsgeschäft über grundlegendere Führungsthemen auszutauschen, wurde als bereichernd empfunden und mündete in der Idee einer jährlichen Klausurtagung.
Beispielthemen Führungskräfte-Workshop:
Beispiel: Stärken, Schwächen, Stellschrauben, Lösungen im Führungskräfte-Workshop
4 Gute Beispiele für mehr Sicherheit
Orientiert man sich eng am Strafgesetzbuch (§ 241 StGB), so gilt als Bedrohung jede ernsthafte Drohung mit einer schwerwiegenden Tat gegenüber dem Opfer. Gemeint sind schwere Verbrechen im juristischen Sinn, wie Körperverletzung, Tötungsdelikte, Sexualdelikte oder auch Raubüberfälle. Im alltäglichen Sprachgebrauch verbergen sich jedoch eine Vielzahl weiterer Bedeutungen hinter dem Begriff der Bedrohung. Vorfälle wie Beschimpfungen, sogenannte verbale Aggressionen, Randale oder schwere körperliche Übergriffe werden häufig mit dem Gefühl der Bedrohung in Verbindung gebracht. Was aber kann getan werden, wenn ein Notfall eintritt, wenn ein Beschäftigter Opfer von Bedrohungen wird? Hier gilt es im Ernstfall schnell und strukturiert zu reagieren. Wer ist bei welchem Vorfall in welcher Reihenfolge zu benachrichtigen? Was geschieht mit dem betroffenen Mitarbeiter? Gibt es ein Nachsorgekonzept?
Mindestens genauso wichtig zu wissen, wie im Ernstfall zu handeln ist, ist die Prävention, also der Schutz vor Übergriffen. Welche Strategien und Handlungsoptionen haben Sie als Unternehmer?
Die folgenden Ausführungen werden Ihnen verschiedene Maßnahmen vorstellen, die Ihnen helfen können, das Risiko von Bedrohungen zu minimieren und die Sicherheitslage in Ihrem Unternehmen zu optimieren sowie das Sicherheitsgefühl Ihrer Mitarbeiter zu verbessern. Um einen optimalen Überblick über mögliche Handlungsfelder zu gewährleisten, sind die Maßnahmen nach dem TOP-Modell (Technik, Organisation, Person) strukturiert.
Die Ergebnisse aus dem abba-Projekt haben gezeigt, dass es je nach Unternehmen verschiedene Umsetzungsstrategien gibt. Jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, welche Maßnahmen für die eigene Einrichtung sinnvoll und notwendig sind. So haben beispielsweise einige Jobcenter die Frage des Einsatzes eines Sicherheitsdienstes heftig diskutiert. Haupterkenntnis war, dass es die einen aufgrund der strukturellen Gegebenheiten im Haus für notwendig und sinnvoll erachtet haben und andere wiederum nicht. Zu beachten ist allerdings, dass grundlegende Elemente des Arbeitsschutzes und der Prävention auch bei aller Handlungsfreiheit notwendigerweise umgesetzt werden müssen. So ist es unter anderem unabdingbar, ein Notfallkonzept vorliegen zu haben, welches für den Notfall regelt, wer wie zu handeln hat.
Situationsbeschreibung: Übergriff in einem Jobcenter
Die Polizei wird informiert. Nach einigen Minuten klingelt in dem Jobcenter das Telefon. Die Polizei meldet sich, weil sie das Jobcenter leider nicht finden kann.
Die Bewertung der Bedrohungssituation sollte natürlich auch nicht aus einem "Bauchgefühl" heraus erfolgen. Im optimalen Fall erfolgen eine fundierte Bewertung der Situation mittels Befragung der Mitarbeiter, eine Begehung der Arbeitsplätze und eine Analyse der Kranken- und Unfallstatistik. Um eine adäquate Bewertung der Situation und die angemessene Ableitung der Maßnahmen zu gewährleisten, ist es sinnvoll, Strukturen innerhalb des Unternehmens zu etablieren (Steuerkreise, Arbeitskreise), welche die Kontinuität der Situationsanalyse und der Maßnahmenumsetzung sicherstellen können.
Im Folgenden sind einige technische und organisatorische Maßnahmen zur Gewaltprävention aufgeführt, die sich als Beispiele guter Praxis erwiesen haben:
4.1 Hereinspaziert! Umbau der Eingangszone
Das Problem:
Die Eingangszone
In vielen Verwaltungsgebäuden ist es für die Kunden ein normales Bild, in ein Foyer zu treten und an einer Infotheke empfangen zu werden. Dort findet normalerweise der erste Kontakt statt. Die Kunden tragen ihr Anliegen kurz vor und werden meistens im Anschluss an die zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet. In großen Verwaltungen, die viele Mitarbeiter und somit oftmals viel Kundenkontakt haben, sind solche Infotheken der Regelfall. Sie haben unterschiedliche Funktionen: Neben der zentralen Anlaufstelle dienen sie auch der Zugangskontrolle, da jeder Besucher sie passieren muss.
Kleinere Geschäftsstellen haben häufig keine Infotheke und bieten dem Besucher daher den freien Zugang zum Gebäude und den Büros der Sachbearbeiter. Dieser Umstand bot einer aufgebrachten Kundin eines Jobcenters die Möglichkeit, ungehindert in das Büro ihrer Sachbearbeiterin zu stürmen und diese massiv zu bedrohen. Die Sachbearbeiterin hatte in diesem Fall das Glück, in einem Büro mit Zwischentür zu sitzen und konnte so vor der Angreiferin flüchten.
Eine umfangreiche Mitarbeiterbefragung sowie eine Begehung der Geschäftsstelle durch Arbeitsschutzexperten zeigte deutlich die Notwendigkeit auf, eine Zugangskontrolle zu installieren und so für die erhöhte Sicherheit der Mitarbeiter zu sorgen.
Die Maßnahme:
Trennung des Eingangs- und Bürobereichs
In diesem oben beschriebenen Jobcenter war eine grundlegende Baumaßnahme die Lösung: So wurde eine Tür zwischen eingebaut, um den Eingangs- vom Bürobereich zu trennen. Letzterer war bislang für jeden frei zugänglich gewesen. Der Zugang zum Bürobereich kann nun zentral von der ebenfalls neu eingerichteten Infotheke oder von einem Sachbearbeiter direkt aus seinem Büro heraus gewährt werden. Im Eingangsbereich wurde eine Kamera installiert, auf die jeder Mitarbeiter an seinem PC-Monitor Einblick hat. Jedes Telefon an einem Arbeitsplatz kann seit den Neuerungen als eine Gegensprechanlage genutzt werden. Dieses hat den Vorteil, dass ein Kunde immer einen Ansprechpartner hat, auch wenn die Infotheke einmal nicht besetzt sein sollte. Über die Tastatur des PC hat der Mitarbeiter nun die Möglichkeit, die Tür vom Eingangsbereich zu öffnen und einem Kunden Zutritt zu den Büroräumen zu gewähren.
"Es ist schön zu sehen, wie man ohne wirklich großen Aufwand für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle eine bedeutsame und einschneidende Veränderung zum Positiven bewirken konnte."
Zitat eines Geschäftsführers nach Abschluss der Maßnahmen
Diese neue Art der Zugangskontrolle ist besonders für kleine Geschäftsstellen von Vorteil, da es dort durch spontane Ausfälle (z.B. Krankheit eines Kollegen) zu Unterbesetzung, bzw. Alleinarbeit kommen kann. Mit der Vorsprache vor der Kamera und dem kontrollierten Zugang kann die Sicherheit für den Mitarbeiter, der alleine arbeitet, deutlich erhöht werden.
Als optimale Ergänzung zu den Umbaumaßnahmen der technisch begründeten Zugangskontrolle wurde gleichzeitig eine Infotheke eingerichtet, die dem Kunden als zentrale Anlaufstelle dienen soll. Dafür wurde das Büro, welches unmittelbar an den Eingangsbereich grenzt, so umgebaut, dass es nun durch eine Öffnung in der Wand als Infotheke fungiert.
Ein weiteres Detail dieser Baumaßnahme ist die Errichtung eines Podestes, auf dem der Mitarbeiter der Infotheke sitzt, so dass man mit dem Kunden, der vor der Theke steht, auf Augenhöhe ist.
Der Erfolg:
Optimierte Kundensteuerung, stärkeres Sicherheitsgefühl
Der Umbau der Eingangszone in diesem Jobcenter hatte die Trennung von Wartezone und den Büros zur Folge. Dieser Umstand hatte wiederum Auswirkungen auf organisatorische Abläufe in der Einrichtung. Die Optimierung der Zugangssteuerung durch eben jene Trennung der beiden Bereiche wird in dieser Broschüre ebenfalls exemplarisch beschrieben.
Jobcenter Geschäftsstelle - Nach dem Umbau
Die Kombination der Maßnahmen:
ist immer zu empfehlen, um die bestmögliche Prävention vor Bedrohungssituationen zu gewährleisten.
4.2 Wohl und sicher fühlen: Gefahrenbewusste Büroeinrichtung
Das Problem:
Bürogestaltung
Die im Rahmen des abba-Projektes durchgeführten Begehungen haben gezeigt, dass nicht jedes Büro für die Arbeit mit Publikum geeignet ist. Teilweise waren Räume zu klein, so dass beispielsweise eine Mutter mit Kind und Kinderwagen nicht genügend Raum im Büro hatten. In manchen Räumen konnte aufgrund der räumlichen Enge die Büroeinrichtung - also Tisch, Stühle und Aktenschränke - nur so aufgestellt werden, dass die Fluchtmöglichkeiten für den Mitarbeiter verstellt blieben.
Der Handlungsspielraum für große Veränderungen ist speziell in diesem Bereich aufgrund der Rahmenbedingungen eng gesteckt. Langfristig streben die Jobcenter eine Optimierung der Räumlichkeiten an. So sollen Immobilien angemietet werden, die für die Arbeit mit Kunden geeignet sind, sprich, die ausreichend Arbeitsfläche für die zu erledigenden Aufgaben bieten. Dies gilt sowohl für Büroräume, Sozialräume und Archivmöglichkeiten, als auch für den "offenen Raum" im Bereich der Eingangszonen mit Infotheke und Wartezonen.
Die Relevanz des "offenen Raumes" - also auch Flure und Wartebereiche - wird zum einen in den weiteren Ausführungen zu "Einrichtung einer Infotheke" deutlich, aber auch die jeweiligen Geschäftsführer sind sich der Außenwirkung der jeweiligen Häuser bewusst. "Eine ansprechende Umgebung erhöht die Schwelle für ausfallendes Verhalten. Die Kunden sehen sich einer gewissen Wertschätzung gegenüber.", so eine Geschäftsführerin eines Jobcenters im Interview.
Aber auch Beschäftigte können durch einfache Vorsichtsmaßnahmen und durch ihr Verhalten selbst einen großen Beitrag für den Arbeits- und Gesundheitsschutz und die Sicherheit im Betrieb leisten. Einen Ansatzpunkt bietet die sichere und gefahrenbewusste Büroeinrichtung.
Die Maßnahme:
Gefahrenbewusste Büroeinrichtung
Neben langfristigen Veränderungen der Räumlichkeiten kann aber auch kurzfristig einiges getan werden. Sei es der Einbau von Verbindungstüren zwischen den Büros, um eine zweite Fluchtmöglichkeit zu schaffen, die veränderte Aufstellung der Büromöbel, oder die Überzeugungsarbeit bei den Beschäftigten für eine gefahrenbewusste Büroeinrichtung.
Die Räume sollten einer sensiblen Kontrolle bezüglich der wichtigsten Sicherheitsaspekte unterzogen werden. So sollten beispielsweise keine Tacker, Locher, Topfpflanzen oder ähnliche Gegenstände, die als Wurfgeschosse dienen könnten, in Reichweite des
Kunden auf dem Schreibtisch stehen. Auch von privaten Bildern ist abzusehen, da diese als Anhaltspunkt für Drohungen herangezogen werden könnten ("Ich bekomme heraus, wo deine Kinder zur Schule gehen."). Im Rahmen eines Seminars wurde in den Räumen eines Jobcenters ein Situationstraining mit Präventionsexperten durchgeführt. In realistischen Szenarien wurden mögliche Wurf-/ Schlagwerkzeuge aus dem Büroalltag spontan in die Situation eingebaut. Die "Schlagkraft" eines Lochers hat anschaulich die Relevanz der vorab besprochenen Aspekte unterstrichen.
Bei der Büroeinrichtung sollte darauf geachtet werden, dass die Stühle und Tische so aufgestellt werden, dass Besucher auf Stühlen gegenüber den Beschäftigten platziert werden, um möglichst im direkten Blickfeld zu sein. So können plötzliche, abrupte Bewegungen besser wahrgenommen und schneller reagiert werden.
Grundsätzlich gilt es, eine freundliche und wertschätzende Atmosphäre im Haus und in den Büroräumen zu schaffen. Dennoch muss man den Aspekt der Eigensicherung, zum Beispiel bei der Einrichtung der Büros mit in Betracht ziehen. Farbgestaltungskonzepte und professionelle Gestaltungs- und Einrichtungshinweise können bei Bedarf ebenfalls herangezogen werden.
Der Erfolg:
Weniger Angriffsfläche
Die Umsetzung dieser Maßnahme ist sehr schnell und ohne großen (finanziellen) Aufwand möglich. Sie bietet außerdem die Chance, dass sich die Beschäftigten mit ihrer Arbeitsumgebung aktiv auseinandersetzen und Gefahrenquellen erkennen bzw. beseitigen können.
4.3 Souverän im SOS - Erarbeitung eines Notfallkonzepts
Das Problem:
Ein Notfall
Was passiert, wenn Sie in einem Notfall die Notfallrufnummer wählen? Im ungünstigsten Fall meldet sich der ehemalige Hausmeister, der seit einem Jahr im Ruhestand ist, auf seiner Mobilnummer. Ist übertrieben finden Sie? Leider nicht, denn genau so hat es sich bei einem Feldversuch eines Jobcenter-Geschäftsführers zugetragen. Er wollte wissen, was in einem Notfall in seinem Haus passiert und wer alarmiert wird. Seitdem steht er als Verantwortlicher auf der Notrufliste ganz oben, doch ohne ein richtiges Konzept für den Notfall ist auch das keine ausreichende Lösung. Das abba-Projekt brachte zudem die Erkenntnis, dass nur die Hälfte der Beschäftigten in den Jobcentern in einer Notsituation wissen, wie sie sich angemessen verhalten sollen. Ein Notfallkonzept ist also keine Kür, sondern gehört zum Pflichtprogramm einer Verwaltung. Die Verantwortlichkeiten und die Abläufe in einer eskalierten Lage müssen klar definiert sein. Das erhält die Handlungsfähigkeit und minimiert das Schadensausmaß.
Die Maßnahme:
Das Notfallkonzept
Schwerwiegende Übergriffe passieren sehr selten, aber wenn, dann geschehen sie unvermittelt. In diesem Moment, sollte man sich blind auf die vorab festgelegten und geübten Abläufe verlassen können. Auch dann können Fehler passieren; sie fallen jedoch wesentlich weniger ins Gewicht. Der Schwerpunkt dieser Maßnahme liegt eindeutig in einer sorgfältigen Präventionsarbeit.
Diese lässt sich grob vereinfacht in drei Schritte untergliedern:
Der Erfolg:
Handlungssicherheit
Ein aktuelles Notfallkonzept hilft, mit einer Notfallsituation geordnet umgehen zu können. Das betrifft nicht nur das Handeln von externen Einsatzkräften wie z.B. der Polizei. Gerade den eigenen Beschäftigten nützt ein Notfallkonzept, denn es gibt klar vor, was zu tun ist und wie es ablaufen soll.
4.4 "Der Nächste bitte!" - Optimierung der Kundensteuerung
Das Problem:
Die Kundensteuerung
Ein offener Gebäudezugang ohne jegliche Kontrolle kann zu einer Gefahr für die Sachbearbeiter werden, denn es bleibt unklar wer das Haus betritt und mit welchem Anliegen. Ein wütender Kunde wird in einem solchen Gebäude nicht empfangen und begrüßt, sondern kann ungehindert das Büro seines Sachbearbeiters aufsuchen und ungebremst seinen Frust loswerden.
Die Maßnahme:
Umbau des Eingangsbereichs
Ist die Wartezone vom Bürobereich getrennt, so muss der Sachbearbeiter den nächsten Gesprächspartner selber aufrufen und in sein Büro bitten. Dieser Ablauf hat mehrere positive Aspekte. Nach einem emotional aufwühlenden Gespräch hat der Sachbearbeiter so die Möglichkeit, sich eine kurze Auszeit zu nehmen und sich auf den neuen Gesprächspartner einzustellen. Wartet der nächste Kunde bereits vor der Bürotür, entfällt diese nützliche Möglichkeit komplett, da sich ein Kunde dem nächsten häufig "die Klinke in die Hand gibt".
Das Abholen des nächsten Gesprächspartners in einer zentralen Wartezone hat den weiteren Vorteil, dass der Kunde einen wertschätzenden Empfang erfährt. Im anderen Fall müsste der Sachbearbeiter nicht einmal aufstehen, da der Kunde einfach ins Büro kommt.
Diese Maßnahme zur Verbesserung der Sicherheit der Mitarbeiter durch die Optimierung der Kundensteuerung kann mit wenigen finanziellen Mitteln durchgeführt werden. Wichtiger ist es, die internen Abläufe zu kennen und diese dann anzupassen. Die Offenheit gegenüber den Beschäftigten ist entscheidend, denn nur ihre Akzeptanz führt dazu, diese neue Art der Kundenfreundlichkeit lebendig werden zu lassen. Daher sollten die Vorteile der neuen Verfahrensweise für die Beschäftigten deutlich kommuniziert und hervorgehoben werden.
Der Erfolg:
Bessere Übersicht, bessere Kontrolle
Die Einrichtung einer Infotheke und einer zentralen Wartezone getrennt vom Bürobereich empfiehlt sich vor allem, um den ungehinderten Zutritt von Besuchern einer Behörde zu verhindern. Damit kann einer möglichen Bedrohung der Beschäftigten entgegengewirkt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Möglichkeit der präventiven Deeskalation durch eine optimierte Kundensteuerung. Das Begleiten des Kunden durch das Gebäude wirkt im Hinblick auf eine mögliche Bedrohung durch unkontrollierten Personenverkehr ebenfalls präventiv. Zudem haben die Beschäftigten so die Möglichkeit, kleine Zeitpuffer in den Arbeitsablauf einzubauen.
4.5 Kompetenzen stärken: Mitarbeiter qualifizieren
Das Problem:
Die Fort- und Weiterbildung
Neben Maßnahmen, die man dem Technik- oder Organisationsbereich zuordnen kann, ist es notwendig bei den Personen anzusetzen. Neben einer qualitativ hochwertigen Mitarbeiterauswahl sowie der Supervision kommt den Schulungen eine Sonderstellung zu.
Grundsätzlich kann man, je nach Inhalt der Seminare, zwischen Mitarbeiter- und Führungskräfteschulungen unterscheiden. So ist das Thema "Erkennen, Bewerten und der Umgang mit psychischen Belastungen bei Mitarbeitern" ein wichtiger Baustein einer Führungskräfteschulung. Oftmals bestehen diesbezüglich Unsicherheiten auf Seiten der Führungsebene. In einem Seminar können geschulte Kräfte für Auffälligkeiten sensibilisieren und Ängste vor diesem Thema nehmen. Interessant für Mitarbeiter und Führungskräfte sind Themen wie Strafrecht oder Selbsthilferechte/Notwehr. Auch hier, so die Erkenntnis aus dem abba-Projekt, gibt es häufig Unsicherheiten. Nicht zu vernachlässigen sind Seminare mit Inhalten wie Kommunikation mit schwierigen Kunden, Deeskalation sowie Selbstbehauptung. Diese Angebote sollen den Beschäftigten eine optimale Gesprächsführung nahebringen und sie für den Ernstfall vorbereiten.
Wichtig ist hier die Regelmäßigkeit solcher Maßnahmen. So wird empfohlen, Schulungen in gleichmäßigen Abständen anzubieten bzw. durchzuführen. Für größere Unternehmen haben sich eigene Schulungskataloge bewährt. Außerdem können dort Multiplikatoren ausgebildet werden, die grundlegende Inhalte an die Mitarbeiter weitertragen.
Bei allen Überlegungen zu Schulungsoptionen, insbesondere im Zusammenhang mit Deeskalation, ist die Definition der Seminarziele sehr wichtig. Der Begriff "Kundenkontakttraining" beispielsweise ist sehr breit gefächert und kann verschiedene Erwartungshaltungen der Teilnehmer wecken, die ohne klare Zielformulierung enttäuscht werden können.
Daher:
Die Maßnahme:
Kundenkontaktseminar
In den Jobcentern ist klar, dass die Zahl der täglichen Kundenkontakte hoch und die Klientel zum Teil schwierig ist. Außerdem wissen die Beteiligten, dass es trotz aller Service- und Kundenorientiertheit zu Situationen kommen kann, die im Gespräch nicht mehr zu lösen sind. Insbesondere dann, wenn Personen randalieren oder stark angetrunkene und gewaltbereite Personen beteiligt sind, kann es zu körperlichen Übergriffen auf Mitarbeiter kommen.
In einer solchen Gefahrensituation ist es wichtig, angemessen zu reagieren und sich gegen körperlich überlegene, gewaltorientierte Personen verteidigen zu können. Neben dem Verteidigungswillen und dem Training effektiver Techniken ist dazu auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Ausstrahlung auf das gewaltbereite Gegenüber erforderlich.
Im Kundenkontaktseminar geht es um selbstbewusstes Auftreten, die Kompetenz der Situationsanalyse sowie die Fähigkeit, frühzeitig Grenzen zu setzen. Die theoretischen Grundlagen von Konfliktentstehung und Gefahrenbewertung werden anhand von praxisnahen Beispielen verdeutlicht. Außerdem steht die Vermittlung von Gesprächstechniken und physischen Techniken der Deeskalation auf dem Programm. Mit den maximal zwölf Teilnehmern pro Seminar werden auch rechtliche Grundlagen diskutiert, die für die Beschäftigten relevant sein können. Neben dem Strafrecht trifft das besonders auf das Notwehrrecht zu.
Bei körperlichen Übergriffen kommt dem Distanzverhalten eine tragende Rolle zu. Oftmals ist es eine Gratwanderung zwischen kundenfreundlicher Nähe und Eigensicherung im Notfall. Wichtig ist, dass frühzeitig Grenzen aufgezeigt werden, sowohl verbal als auch körperlich. Die Notwendigkeit des angemessenen Abstands wird spätestens am Beispiel Messerangriffe oder dem möglichen Einsatz von Pfefferspray deutlich. Die genannten Themen werden in einer ausgewogenen Mischung aus Einzel- und Gruppenarbeit besprochen. Bedeutsam ist die Übertragung auf den jeweiligen Arbeitsbereich.
Die Teilnehmer haben zum Abschluss die Möglichkeit, das Gelernte in einem Videosituationstraining praktisch zu üben. Von den Teilnehmern wurde dieses Training als besonders effektiv bewertet, da u. a. Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung aufgedeckt werden konnten.
Empfehlung: "Exemplarische Präventionshilfen der Polizei"
Suchen Sie den Kontakt mit Ihrer örtlichen Polizei und regen Sie an, Ihre Einrichtung in den regulären Bestreifungsplan mit aufzunehmen! Es spricht sich herum, dass die Polizei in Ihrer Einrichtung immer mal präsent ist. Ein weiterer Vorteil für die Sachbearbeiter ist, dass potenziell schwierige Gespräche auf den Tag der regulären Bestreifung terminiert werden können. So ist während dem Termin ein Polizist im Haus und kann gegebenenfalls schnell hinzugezogen werden.
Bei einer guten Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei kann die Präventionsmaßnahme "Gefährdungsansprache" gezielt abgerufen und eingesetzt werden. Sollte ein Kunde die Grenze hinsichtlich einer Drohung deutlich überschreiten, so kann die Polizei darüber informiert werden und unmittelbar aktiv werden. Nach der Information der Verwaltung (z.B.: "Ein Kunde hat gedroht unser Haus ordentlich aufzumischen!") rückt die Polizei mit einem bis drei Streifenwagen aus, sucht die Person Zuhause auf und konfrontiert sie mit ihrer Aussage. Diese Maßnahme lebt von dem Schockmoment, wenn die betreffende Person mit großem Polizeiaufgebot und von den Nachbarn beobachtet, deutlich auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht wird.
5 In 6 Schritten zum Erfolg: Veränderungsprozesse managen
Die in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Maßnahmen sind teilweise bedeutende Veränderungen. Diese Veränderungen geschehen nicht von alleine. Sie müssen eingeleitet, gesteuert, verwaltet und gestaltet werden. Häufig scheitern Veränderungsprojekte: Unklare Zuständigkeiten im Team, eine fehlende Anbindung an die oberste Führungsebene und eine mangelnde Ausstattung des Projektes mit Geld und Personal sind die häufigsten Gründe. Tragfähige innerbetriebliche Strukturen und Ressourcen sind das A&O eines jeden Veränderungsprozesses - auch im Bereich Belastungen und Bedrohungen. Wir zeigen Ihnen die wichtigsten Elemente des Veränderungsprozesses, um den für Sie und Ihre Dienststelle richtigen Weg zu mehr Gesundheit und weniger Bedrohungen zu finden.
In 6 Schritten zum Erfolg
Schritt 1: Ziele & Strategien
Am Anfang jeden Weges steht das Ziel - legen Sie fest, warum Sie die Veränderungen einführen wollen. Welche Ziele verfolgen Sie? Seien Sie dabei möglichst konkret. Beispiele für Ziele im Projekt sind:
Abb. 1: Der Steuerkreis abba der Jobcenter Region Hannover
Schritt 2: Strukturen schaffen
Für den Erfolg des Veränderungsprozesses ist es entscheidend, dass Sie genau die innerbetrieblichen Akteure zusammenführen, die Einfluss auf die Gestaltung der Arbeit haben.
Gründen Sie hierzu ein Steuerungsgremium mit einer für den Prozess verantwortlichen Person.
Schritt 3: Situation analysieren
Bestimmen Sie mit einer gesicherten Analyse, wo Ihr Betrieb, unter Berücksichtigung Ihrer Ziele, aktuell steht. Decken Sie Ihre Stärken und Potentiale auf. Nur so können Sie den Handlungsbedarf festlegen, der Sie zielgerichtet und effizient auf den richtigen Weg bringt. Typische Analysemethoden sind: Unfallstatistiken/-analysen, Gefährdungsbeurteilungen, Arbeitsplatzanalysen, Mitarbeiterbefragungen, Gesundheitszirkel mit Mitarbeitern und Führungskräften.
Schritt 4: Feinziele festlegen
Lassen Sie nach der Analyse Ihre Ziele nicht aus den Augen. Bewerten und priorisieren Sie unter Berücksichtigung Ihrer Ziele den Handlungsbedarf, der sich aus der Analyse ergeben hat. Bevor Sie Maßnahmen planen und durchführen, sollten Sie Feinziele festlegen. Wichtig ist, dass Ihre Ziele messbar sind. Nur dann können Sie feststellen, wann Sie sie erreicht haben. Entscheiden Sie also erst, wohin Sie wollen, und überlegen dann, auf welchen Wegen Sie Ihre Ziele erreichen können.
Beispiele für Feinziele:
Schritt 5: Maßnahmen entwickeln und umsetzen
Leiten Sie Ihre Maßnahmen auf der Grundlage Ihrer gesicherten Analyseergebnisse und Ihrer Ziele ab. Typische Maßnahmen zum Thema Belastungen und Bedrohungen finden Sie in Kapitel 3.
Schritt 6: Evaluation & kontinuierliche Verbesserung
Was bringt uns das eigentlich? Sind wir auf dem richtigen Weg? Sind unsere Maßnahmen effektiv? Wo können wir uns verbessern? Ohne regelmäßige Evaluation tappen Sie im Dunkeln und können sich nur auf die zwei großen B's verlassen: Buschfunk und Bauchgefühl. Diese rechtfertigen aber nur selten den notwendigen Ressourceneinsatz. Eine systematische kontinuierliche Weiterentwicklung ist somit ohne Evaluation nicht möglich.
Evaluieren Sie Ihre Aktivitäten möglichst auf drei Ebenen:
6 Literatur
abba - "Arbeitsbelastungen und Bedrohungen in Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV".
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (Hrsg.) (2011). Abschlussbericht zum Projekt.
München:
DGUV.
abrufbar unter: www.dguv.de (Webcode: d32282)
Gewaltprävention - ein Thema für öffentliche Verwaltungen?! "Das Aachener Modell". Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen an Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr.
Unfallkasse Nordrhein-Westfalen (Hrsg.)
In: Prävention in NRW 25, 2009.
abrufbar unter: www.unfallkassenrw.de (Webcode: 200)
Betriebliches Gesundheitsmanagement - in 6 Schritten zum Erfolg.
Unfallkasse des Bundes (2009).
Abrufbar unter:
http://www.ukbund.de/downloads/Fachinfornationen%20AP/Leitfaden_BGM1_pdf_Datei.pdf
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