umwelt-online: VV zum Bundes-Immissionsschutzgesetz Schleswig-Holstein (4)
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11.3 Unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Satz 2 ist ein Genehmigungsverfahren nicht durchzuführen; die Anzeigepflicht bleibt davon jedoch unberührt. § 16 Abs. 1 Satz 2 setzt voraus, daß die zu erwartenden nachteiligen Auswirkungen im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 offensichtlich gering sind und die Erfüllung der Betreibergrundpflichten sichergestellt ist.
11.4 Bei der Beurteilung, ob nachteilige Auswirkungen "offensichtlich gering" sind, ist ein strenger Maßstab anzulegen. "Offensichtlich" geringfügig sind nachteilige Auswirkungen, von denen ohne nähere Prüfung einsichtig ist, daß sie im Hinblick auf die Erfüllung der Betreibergrundpflichten unbedeutend sind. Auszugehen ist von dem bisherigen genehmigungskonformen Betriebszustand. Bereits vorhandene nachteilige Auswirkungen dürfen sich - soll § 16 Abs. 1 Satz 2 herangezogen werden nur in geringfügigem Umfang erhöhen, so daß sie praktisch nicht ins Gewicht fallen. Ohne nähere Prüfung muß auf der Hand liegen und dem sachverständigen Beurteiler unmittelbar einleuchten, daß die Betreiberpflichten nach wie vor eindeutig erfüllt ("sichergestellt") sind.
11.5.1 Kann nicht ausgeschlossen werden, daß die nachteiligen Auswirkungen infolge einer Änderung zwar offensichtlich gering sind, die Auswirkungen insgesamt (z.B. durch höhere Lärmemissionen) aber relevant erhöht werden können, ist dies kein Fall des § 16 Abs. 1 Satz 2.
11.5.2 Bestehen im Hinblick auf sonstige Gefahren Zweifel, ob die Erfüllung der Anforderungen aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 gewährleistet ist, handelt es sich um eine wesentliche Änderung. Können Zweifel hinsichtlich der erforderlichen Abwehr sonstiger Gefahren nicht sicher ausgeschlossen werden, liegen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Satz 1 ("können") vor, die Erfüllung der Anforderungen ist dann nicht i.S. des § 16 Abs. 1 Satz 2 sichergestellt. Trägt eine der Anzeige beigefügte Sicherheitsbetrachtung die Tatbestandsmerkmale des § 16 Abs. 1 Satz 2 nicht eindeutig, ist die beabsichtigte Änderung als wesentlich anzusehen.
11.6 Soweit die Änderungsgenehmigung im förmlichen Verfahren zu ergehen hat, soll die Behörde von einer Öffentlichkeitsbeteiligung absehen, wenn dies ausdrücklich beantragt wird und durch die Änderung "erhebliche nachteilige Auswirkungen auf in § 1 genannte Schutzgüter" nicht zu besorgen sind. Über einen Antrag nach § 16 Abs. 2 wird nicht gesondert entschieden. Seine Behandlung wird in der abschließenden Genehmigungsentscheidung dargestellt und begründet (vgl. § 44a VwGO).
Im Rahmen der Beratungspflicht soll auf die Möglichkeit, einen derartigen Antrag zu stellen, hingewiesen Werden, sofern eine derartige Möglichkeit nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Wird für eine UVP-pflichtige Änderung ein begründeter Antrag nach § 16 Abs. 2 gestellt, entfällt die UVP-Pflicht; wird beantragt, gleichwohl ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, besteht keine Verpflichtung, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 der 9. BImSchV). Für den Verzicht auf Beteiligung der Öffentlichkeit ist nunmehr darauf abzustellen, ob im konkreten Fall die Änderung erhebliche nachteilige Auswirkungen haben kann. Dabei ist von der Möglichkeit der Beeinträchtigung auszugehen, wie sich aus den Worten "zu besorgen" ergibt.
Hinsichtlich Grad und Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung kommt es auf die Größe und den Umfang der möglichen Risiken an. Je schwerwiegender Schadensart und -folgen sind, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit zu stellen.
Es kommt in § 16 Abs. 2 Satz 1 BImSchG auf erhebliche nachteilige Auswirkungen an. Der Wortlaut macht deutlich, daß die Verursachung nachteiliger Auswirkungen nur dann relevant ist, wenn sie erheblich nachteilig sein können. Das Wort "erhebliche" ist daher in Absatz 2 anders als in Absatz 1 nicht wie "einschlägig" auszulegen, sondern gleichsam wie eine Steigerung im Verhältnis zu dem für die Erfüllung des Merkmals "wesentlich" maßgeblichen Standard anzusehen.
Zur Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle spielen alle von der bisherigen Anlage ausgehenden Auswirkungen oder Gefährdungen keine Rolle, da es lediglich auf die durch die Änderung sich ergebenden Auswirkungen ankommt. Als besondere Regelbeispiele werden in Absatz 2 Satz 2 zwei Sonderfälle (Schutzvorkehrungen und Saldierung) genannt, die aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 alter Fassung hergeleitet wurden. Diese Regelbeispiele des Satzes 2 stellen keine abschließende Auslegungsregel des Satzes 1 dar ("insbesondere").
11.7.1 Ist aus einer Eingabe nicht klar ersichtlich, ob der Antragsteller eine beabsichtigte Änderung lediglich anzeigen oder ob er nach § 16 Abs. 4 eine Genehmigung beantragen will, hat die Immissionsschutzbehörde den Sachverhalt aufzuklären, den Antragsteller zu beraten und auf eine sachgerechte Präzisierung des Antrags hinzuwirken.
11.7.2 Für das Genehmigungsverfahren und die Genehmigungsentscheidung gelten auch im nach § 16 Abs. 4 eingeleiteten Verfahren die allgemeinen Bestimmungen, insbesondere der 9. BImSchV.
11.7.3 Die Wirkung des § 14 tritt für durch Antrag nach § 16 Abs. 4 veranlaßte Änderungsgenehmigungen ein, sofern nach § 16 Abs. 2 verfahren wird, § 19 Abs. 2.
11.8 § 16 Abs. 5 gilt für alle in § 15 und § 16 erfaßten Fälle. § 16 Abs. 5 hat klarstellende Bedeutung. Wird eine Anlage oder ein Anlagenteil durch eine baugleiche Anlage oder ein baugleiches Anlagenteil oder ein entsprechendes Anlagenteil vergleichbarer Art und Güte ersetzt oder ausgetauscht, so handelt es sich von vornherein nicht um eine Änderung, wenn der Rahmen der erteilten Genehmigung nicht überschritten wird. § 16 Abs. 5 findet auch auf angezeigte Anlagen (§ 67 Abs. 2, § 67 a, § 16 Abs. 4 GewO) Anwendung, soweit es lediglich um den Ersatz von Anlagenteilen, nicht um die Neuerrichtung einer zerstörten Anlage geht.
In solchen Fällen kommt es daher nicht einmal zu einer Anzeige nach § 15. Es ist Aufgabe der Überwachungsbehörde, sicherzustellen, daß der Rahmen zulässigen Austauschs von Anlagenteilen nicht überschritten wird.
12 Zu § 17 (nachträgliche Anordnungen):
12.1 Auch nach Unanfechtbarkeit einer Genehmigung können Anordnungen zur Erfüllung der Betreiberpflichten nach § 5 gegenüber dem jeweiligen Anlagenbetreiber getroffen werden.
12.1.1 Nachträgliche Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 setzen voraus, daß sie zur Erfüllung der Pflichten erforderlich sind, die sich aus dem
BImSchG (§ 5) oder den auf das BImSchG gestützten Rechtsverordnungen (§ 7) ergeben. Dieses Erfordernis kann bereits daraus herzuleiten sein, daß bei Fortentwicklung des Standes der Technik weitergehende Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung geboten sind.
Zur Durchsetzung der Pflichten aus anderen Gesetzen können selbständige Anordnungen nur aufgrund der in diesen Gesetzen enthaltenen Ermächtigungen (z.B. § 120d Gewerbeordnung) getroffen werden. Auflagen zu einem Genehmigungsbescheid können jedoch in jedem Fall durch die immissionsschutzrechtlichen Überwachungsbehörden durchgesetzt werden.
12.1.2 Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 vor, wird das Ermessen der Behörde eingeschränkt. Von einer Anordnung darf nur in besonderen Ausnahmefällen abgesehen werden. Für die Frage, wann ein ausreichender Schutz nicht gesichert ist, sind grundsätzlich dieselben Gesichtspunkte maßgebend wie bei der Prüfung im Genehmigungsverfahren. Können Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung nicht ausgeschlossen werden, sollen die örtlich zuständigen Gesundheitsämter beteiligt werden. Bei Lebens- oder Gesundheitsgefahren haben die Nachbarn in der Regel einen Anspruch auf Einschreiten der Behörde.
12.1.3 Mit der nachträglichen Anordnung können dem Betreiber alle Verpflichtungen auferlegt werden, die Gegenstand von Auflagen nach § 12 Abs. 1 sein können. Die Behörde kann Anforderungen an die Beschaffenheit der Anlage, an den Betriebsablauf und an die Einhaltung bestimmter Emissions- oder Immissionsbegrenzungen stellen. Sie kann sich damit begnügen, bestimmte Ziele der vorzunehmenden Verbesserungsmaßnahmen vorzuschreiben und dem Unternehmer die Durchführung im einzelnen überlassen; in diesem Fall kann auch die Vorlage eines Gutachtens zur Ermittlung und zum Nachweis der Maßnahmen verlangt werden, die zur Einhaltung der Zielanforderungen erforderlich sind. Enthält eine aufgrund des § 7 erlassene Rechtsverordnung eine entsprechende Verpflichtung, kann unter Umständen auch die Ermittlung von Emissionen oder Immissionen vom Betreiber gefordert werden; im übrigen sind Meßanordnungen auf die besonderen Vorschriften der §§ 26 bis 31 zu stützen.
12.1.4 Hinsichtlich der Bestimmtheit, der rechtlichen und tatsächlichen Erfüllbarkeit und der Geeignetheit der anzuordnenden Maßnahmen gilt Nummer 7.3 entsprechend.
12.1.5 Ist in einer Anlage, deren Genehmigungsbescheid keine Auflage enthält, jede bedeutsam Störung des bestimmungsgemäßen Betriebes der Anlage mitzuteilen, eine derartige Störung aufgetreten, die ein Eingreifen der zuständigen Behörde erfordert, so ist in der Regel durch nachträgliche Anordnung eine Mitteilungspflicht des Betreibers festzulegen (s. auch Nr. 8.7).
12.1.6 Sollen Maßnahmen angeordnet werden, die als wesentliche Änderungen im Sinne des § 16 anzusehen sind oder die nach baurechtlichen Vorschriften genehmigungspflichtig sind, ist die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde vor der Anordnung zu beteiligen, soweit aufgrund der Bedeutung der Änderung eine vorherige Beteiligung erforderlich ist, oder die nachträgliche Anordnung gemäß § 17 Abs. 4 abschließend bestimmt ist und baurechtlich relevant ist. Den beteiligten Behörden ist ggf. nach der Anordnung eine Ausfertigung der Verfügung zu übersenden. Die beteiligten Behörden haben die Genehmigungsfähigkeit der anzuordnenden Maßnahmen zu prüfen. Ist die Genehmigungsfähigkeit gegeben, kann die Anordnung auch getroffen werden, bevor die erforderlichen Genehmigungen erteilt sind; diese hat der Anlagenbetreiber dann auch einzuholen.
12.1.7 Verstößt ein Anlagenbetreiber sowohl gegen immissionsschutzrechtliche wie auch gegen Anforderungen aus anderen Rechtsgebieten (z.B. aus dem Abfallrecht, dem Bauordnungsrecht und dem Wasserrecht), so können Anordnungen aufgrund unterschiedlicher Ermächtigungsgrundlagen zulässig sein. Um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden, sollen die zuständigen Behörden sich dann - außer bei Gefahr im Verzuge - zunächst untereinander abstimmen. In der Regel soll die jeweils sachnähere Behörde die notwendige Anordnung treffen.
12.1.8 Duldet die Erfüllung der Anordnung keinen Aufschub, so ist sie gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar zu erklären. Dabei ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes unter substantiierter Darlegung der wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen schriftlich zu begründen. Zur Begründung des besonderen Vollziehungsinteresses müssen insbesondere andere Gründe angeführt werden, als sie zur Rechtfertigung der nachträglichen Anordnung selbst herangezogen wurden.
Sofern eine nachträgliche Anordnung für sofort vollziehbar erklärt wird, sollte die Behörde auch angeben, mit weichen Zwangsmitteln gemäß § 235 Landesverwaltungsgesetz sie die nachträgliche Anordnung durchsetzen will. In der Regel wird es sich empfehlen, ein Zwangsgeld gemäß § 236 Landesverwaltungsgesetz anzudrohen. Es wird darauf hingewiesen, daß auch in diesen Fällen dem Beteiligten gemäß § 87 Landesverwaltungsgesetz Gelegenheit zu geben ist, sich zu den beabsichtigten Maßnahmen zu äußern. Nur in Ausnahmefällen kann von einer Anhörung abgesehen werden (§ 87 Abs. 2 Landesverwaltungsgesetz).
12.1.9 Der in § 17 Abs. 1 enthaltene Hinweis auf die Anzeige nach § 15 Abs. 1 hat lediglich klarstellende Bedeutung. Anordnungen können für genehmigungsbedürftige Anlagen auch dann ergehen, wenn eine anzeigepflichtige Änderung nicht angezeigt wurde.
12.2 In Absatz 2 Satz 1 wird ausdrücklich klargestellt, daß nachträgliche Anordnungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen und daß dabei bestimmte Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten bei der Entscheidung,
Inhaltlich verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, daß
12.2.1.1 Sind die behördlich durchzusetzenden Anforderungen durch Rechts- oder Verwaltungsvorschrift konkretisiert, ist nur eine eingeschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.
Werden in einer BImSchG-Durchführungsverordnung konkrete Maßnahmen gefordert, ist davon auszugehen, daß der Normgeber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bereits umfassend berücksichtigt hat. Läßt die Rechtsnorm Ausnahmen oder Alternativen zu, darf nur unter den dafür geltenden Voraussetzungen von den generellen Anforderungen abgewichen werden.
Enthält eine Rechtsnorm lediglich eine konkrete Zielanforderung, so gelten die Hinweise des vorstehenden Absatzes entsprechend.
Will die zuständige Behörde nicht nur die Einhaltung der Zielanforderungen, sondern auch die Anwendung eines bestimmten Mittels vorschreiben, so verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, daß die den Anlagenbetreiber am wenigsten belastende Maßnahme angeordnet wird, sofern mit dieser der angestrebte Erfolg sicher zu erreichen ist. Ggf. ist ein nachträglicher Austausch der Mittel zuzulassen; allerdings soll dies nicht zu einer zeitlichen Verzögerung bei der Erfüllung der Anforderungen führen. Werden allgemeine gesetzliche Pflichten durch eine Verwaltungsvorschrift (z.B. Nr. 3 der TA Luft) konkretisiert, kann davon ausgegangen werden, daß der Vorschriftengeber im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden und von ihm wahrgenommenen Regelungsspielraumes für die Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgebende Gesichtspunkte beachtet hat. Dies gilt auch für ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften. So kann z.B. gegenüber Anordnungen entsprechend Nummer 4.2 TA Luft nicht allgemein angewandt werden, sie seien unverhältnismäßig.
Bei atypischen Sachverhalten haben allgemeine Verwaltungsvorschriften keine umfassende Bindungswirkung. Vielmehr hängt es vom Aussagegehalt der einzelnen Bestimmungen ab, welche Sachverhalte noch von der Verwaltungsvorschrift erfaßt werden. Liegt ein atypischer Sachverhalt vor, auf den die Verwaltungsvorschrift insgesamt nicht anwendbar ist, muß von der anordnenden Behörde selbständig geprüft werden, welche Maßnahmen im Einzelfall zur Erfüllung der allgemeinen gesetzlichen Pflicht geeignet, erforderlich und angemessen sind.
Auch wenn ein Sachverhalt in einer Verwaltungsvorschrift grundsätzlich geregelt ist, nimmt der Vorschriftengeber nur eine generelle Betrachtung der für die Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgebenden Gesichtspunkte vor. Hat er bestimmte Umstände des Einzelfalls, die für die Beurteilung der Auswirkungen einer Maßnahme von Bedeutung sind (z.B. Platzverhältnisse am Standort, Umgebung), nicht in seine Betrachtung einbezogen oder wegen der Vielfältigkeit der Lebensverhältnisse gar nicht einbeziehen können, so muß die anordnende Behörde diese bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Sie hat zu prüfen, ob sich wegen der Besonderheit des Einzelfalls für den Betroffenen wesentliche höhere Belastungen ergeben, als sie der Vorschriftengeber bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung für zumutbar gehalten hat.
In jedem Fall hat die Behörde im Rahmen der nachträglichen Anordnung zu prüfen und zu begründen, daß eine nachträgliche Anordnung gemäß § 17 Abs. 2 nicht unverhältnismäßig ist.
12.2.1.2 Soll eine nachträgliche Anordnung zur Erfüllung allgemein formulierter gesetzlicher Pflichten dienen, für die keine konkretisierenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften bestehen, so hat die zuständige Behörde die Verhältnismäßigkeit ihres Einschreitens umfassend zu prüfen. Zu diesem Zweck muß sie ermitteln,
Können mehrere Anlagenbetreiber zur Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes in Anspruch genommen werden, ist auch zu berücksichtigen, daß die Auswahl nicht willkürlich vorgenommen werden darf. Es ist dann aber nicht in jedem Fall erforderlich, eine Anordnung nur gegenüber demjenigen zu erlassen, den die Maßnahme am wenigsten belastet. Hier können auch Gründe der Praktikabilität und der Beschleunigung der Zweckerreichung den Ausschlag geben.
12.2.2 Hat die zuständige Behörde im Einzelfall zu prüfen, ob eine Anordnung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 unverhältnismäßig ist, sind zunächst alle zu erwartenden positiven und negativen Auswirkungen für den Anlagenbetreiber, für die Nachbarn und für unbeteiligte Dritte sowie das öffentliche Interesse an der Durchführung der Maßnahme oder ihrem Unterbleiben zu ermitteln und zu bewerten. Der betroffene Anlagenbetreiber soll bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken (§ 84 Abs. 2 Satz 2 Landesverwaltungsgesetz, § 52 Abs. 2). Verweigert er die Mitwirkung bei der Ermittlung von Tatsachen, die in seinem Kenntnisbereich liegen, kann die zuständige Behörde hieraus Schlüsse ziehen, wenn nähere Anhaltspunkte fehlen, die für das Gegenteil sprechen.
12.2.2.1 Auf der Seite des betroffenen Anlagenbetreibers fällt insbesondere der voraussichtliche Aufwand für die Erfüllung der Anordnung ins Gewicht.
Als Aufwand kommen nicht nur die Kosten für evtl. erforderliche Investitionen, sondern auch wirtschaftliche Nachteile durch Produktionsausfälle bei der Anlagenumstellung, der Arbeitsaufwand für die durchzuführenden Änderungen, erhöhte Betriebskosten und ähnliches in Betracht.
Der Aufwand ist in Bezug auf den Wert der Gesamtanlage und deren voraussehbare Restnutzung zu bewerten. Für die Ermittlung und Bewertung des Aufwandes spielt auch eine Rolle, welche Produkte mit der Anlage erzeugt und welche wirtschaftlichen Vorteile mit ihr erreicht werden. Die Anlage muß stets in ihrem technischen und wirtschaftlichen Zusammenhang gesehen werden. Ferner kann von Bedeutung sein, in welcher Wettbewerbssituation sich der Anlagenbetreiber befindet und ob seine Wettbewerbsfähigkeit durch die Erfüllung der Anordnung schwerwiegend und nachhaltig beeinträchtigt werden kann.
12.2.2.2 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert auch die Ermittlung und Bewertung des mit der Anordnung erstrebten Erfolges.
Als positive Auswirkungen im Hinblick auf den angestrebten Erfolg sind bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur die Verminderung von Emissionen und Immissionen, sondern auch andere vom Gesetzgeber angestrebte Zwecke zu berücksichtigen. Es geht deshalb auch um den allgemeinen Gefahrenschutz, die Abfallvermeidung und -verwertung, die Abwärmenutzung und die mittelbar dem Zweck des BImSchG dienenden Maßnahmen. In vielen Fällen kann der Erfolg einer Maßnahme nur eintreten, wenn alle Anlagenbetreiber in vergleichbarer Lage gleichmäßig in Anspruch genommen werden. Das Absehen von Anordnungen gegenüber einzelnen Anlagenbetreibern könnte dann zu einem Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Maßnahmen gegenüber den anderen Anlagenbetreibern führen.
Die erstrebte Verminderung von Emissionen, Immissionen und sonstigen Gefahren fällt um so stärker ins Gewicht, je größer der Beitrag des Anlagenbetreibers zu den zu beseitigenden oder zu verringernden Belastungen ist. In § 17 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz wird insbesondere auf die Art, die Menge und die Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen hingewiesen. Soweit von einer Anlage Belästigungen oder Beeinträchtigungen für Vermögenswerte Dritter ausgehen, können auch die Zahl der Betroffenen und das Ausmaß der Schäden für die Volkswirtschaft eine Rolle spielen.
12.2.3 Die zu erwartenden Nachteile einer beabsichtigten Anordnung und der mit ihr erstrebte Erfolg sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung abwägend miteinander zu vergleichen.
Da nach § 17 Abs. 1 Satz 2 nachträgliche Anordnungen getroffen werden sollen, wenn die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend geschätzt sind, ist grundsätzlich vom Vorrang des Schutzes nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 auszugehen. Konkrete Gefahren für das Leben und die Gesundheit bestimmter Menschen dürfen in keinem Fall hingenommen werden. Eine nachträgliche Anordnung ist sogar dann zulässig, wenn sie wegen der mit der Durchführung verbundenen Aufwendungen tatsächlich zur Einstellung des Betriebs führen kann. Auch wenn die Anordnung zu anderen geringfügigeren schädlichen Umwelteinwirkungen führt, kann sie in der Regel nicht unterbleiben. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann immer die Auswahl unter verschiedenen Verursachern oder verschiedenen geeigneten Abhilfemaßnahmen beeinflussen.
Auch bei Maßnahmen zur Durchsetzung anderer Pflichten aus dem BImSchG und den hieraus gestützten Rechtsverordnungen ist von einer Anordnung nicht schon dann abzusehen, wenn die Nachteile die Vorteile überwiegen können. Unverhältnismäßig ist eine Maßnahme nur dann, wenn die Nachteile schwerwiegend und die Vorteile erkennbar übersteigen. Dabei ist auf die Erkennbarkeit im Zeitpunkt der Anordnung abzustellen. Sind in diesem Zeitpunkt die nachteiligen Wirkungen eines pflichtwidrigen Anlagenbetriebs nicht voll überschaubar, obwohl die Behörde die ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten genutzt hat, so kann eine Anordnung nicht wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig sein. Das gilt selbst dann, wenn die Folgen nachträglich schwerwiegender erscheinen als der erreichte Erfolg; die zuständige Behörde kann dann aber zur Änderung ihrer Anordnung verpflichtet sein.
12.2.4 Erweist sich eine beabsichtigte Maßnahme als unverhältnismäßig, so ist zu prüfen, mit welchen verhältnismäßigen Mitteln der angestrebte Zweck am ehesten erreicht werden kann.
Kommt eine weniger belastende Maßnahme in Betracht, so soll diese auch dann angeordnet werden, wenn damit eine volle Erfüllung der immissionsschutzrechtlichen Pflichten nicht erreicht werden kann. Eine Verbesserung ist der Beibehaltung eines unzulänglichen Zustandes vorzuziehen (vgl. auch Nr. 2.2.3.2 Satz 3 TA Luft). Die Anordnung darf allerdings nicht die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes unmöglich machen, und sie darf außerdem nicht zur Fortdauer einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben führen.
Bei Unverhältnismäßigkeit kann es insbesondere erforderlich sein, dem Anlagenbetreiber eine Frist zur Durchführung der erforderlichen Vorkehrungen einzuräumen. Es muß dann jedoch zu erwarten sein, daß die Maßnahme nach Ablauf der Frist mit einem verhältnismäßigen Aufwand durchgeführt werden kann.
Kann ohne Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weder eine weniger weitreichende noch eine Anordnung mit Fristeinräumung getroffen werden, so soll die Genehmigung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 ganz oder teilweise widerrufen werden.
§ 17 Abs. 2 Satz 2 enthält keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf, sondern schränkt nur das Ermessen nach § 21 Abs. 1 ein. Deshalb ist stets zu prüfen, ob im Einzelfall die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 vorliegen. Ist das nicht der Fall, kann die Behörde nicht einschreiten. Liegen die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 vor, darf die zuständige Behörde nur bei einer atypischen Fallgestaltung von einem Widerruf absehen. Dabei kann der Anlagenbetreiber sich nicht darauf berufen, daß der Widerruf erst recht unverhältnismäßig sei, wenn dies schon für die an sich gebotene nachträgliche Anordnung zutreffe. § 1 Abs. 2 Satz 2 verlöre bei einer derartigen Auslegung seine Bedeutung. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß der Betroffene unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 zu entschädigen ist.
12.2.5 Kann eine zur Erfüllung der immissionsschutzrechtlichen Pflichten an sich gebotene nachträgliche Anordnung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang getroffen werden, so soll die zuständige Behörde von Zeit zu Zeit prüfen, ob die die Unverhältnismäßigkeit begründenden Umstände noch vorliegen. Das Ergebnis der Prüfung ist in einem Aktenvermerk festzuhalten.
12.3 Besteht eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen, die durch nachträgliche Anordnungen gegenüber dem Betreiber der Anlag oder durch den Widerruf der Genehmigung nicht oder nicht rechtzeitig beseitigt werden kann, so sind auch Maßnahmen gegenüber den zu schützenden Personen gemäß § 220 Landesverwaltungsgesetz zulässig. Zuständig für derartige Maßnahmen sind in erster Linie die örtlichen Ordnungsbehörden, bei Gefahr im Verzuge jedoch auch die Staatlichen Umweltämter als Sonderordnungsbehörden.
12.4 Eine Einschränkung der Anordnungsbefugnis ergibt sich aus Absatz 3. Danach darf eine nachträgliche Anordnung zur Durchsetzung von weitergehenden Vorsorgeanforderungen nicht getroffen werden, wenn in einer Rechtsverordnung eine abschließende Regelung getroffen ist. Daß ein Festlegung abschließend ist, darf nur angenommen werden, wenn der Wortlaut der Verordnung ein derartige Annahme eindeutig stützt. Läßt hingegen die Rechtsverordnung zur Konkretisierung der Vorsorgepflicht weitergehende Anforderungen zu, greift die Einschränkung des Absatzes 3 nicht.
12.5 Absatz 4 gilt nur für Änderungen aufgrund von Anordnungen, in denen die Art und Weise ihrer Erfüllung nicht abschließend geregelt ist. Ist in eine nachträglichen Anordnung dagegen abschließend bestimmt, in welcher Weise sie zu erfüllen ist, so ist die wesentliche Änderung der Anlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht genehmigungsbedürftig. Die Verpflichtung, ggf. andere Genehmigungen - z.B. nach baurechtlichen Vorschriften - einzuholen, sowie im Rahmen des § 16 die Veränderung mitzuteilen, bleibt unberührt.
12.6 Eine noch nicht vollzogene und durchgesetzte Anordnung wird mit dem Wegfall der Genehmigungspflicht (durch Streichen aus dem Katalog des Anhangs zur 4. BImSchV) nicht automatisch hinfällig, jedoch muß die Behörde im Hinblick auf den Rechtscharakter der Anordnung als Dauerverwaltungsakt prüfen, ob diese auf einer anderen Rechtsgrundlage (§ 24) aufrechterhalten werden kann. Wenn nicht, ist ihre Aufhebung nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über den Widerruf eines nicht begünstigten Verwaltungsaktes in Betracht zu ziehen.
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