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UZwG Bln - Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin
- Berlin -

Vom 22. Juni 1970
(GVBl. 1970 S. 921; 26.11.1974 S. 2746; 08.03.1985 S. 586; 25.02.1992 S. 61; 19.07.2002 S. 199; 23.07.2001 S. 286; 10.02.2003 S. 67; 24.06.2004 S. 253; 15.12.2007, GVBl. S. 653; 19.03.2009 S. 70 ; 21.04.2016 S. 218 16; 22.01.2021 S. 75 21; 22.03.2021 S. 318 21a; 20.12.2023 S. 459 23)
Gl.-Nr.: 2011-3



Erster Abschnitt
Allgemeine Vorschriften

§ 1 Zulässigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges 16

(1) Die Vollzugsbeamten des Landes Berlin dürfen in rechtmäßiger Ausübung ihres Dienstes unmittelbaren Zwang anwenden, soweit die Anwendung gesetzlich, insbesondere durch § 8 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung vom 21. April 2016 (GVBl. S. 218) in der jeweils geltenden Fassung zugelassen ist.

(2) Die Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwanges richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.

(3) Soweit andere Gesetze Vorschriften über die Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwanges enthalten, bleiben sie unberührt.

§ 2 Begriffsbestimmungen 23

(1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch Hilfsmittel der körperlichen Gewalt und durch Waffen.

(2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.

(3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Reiz- und Betäubungsstoffe, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Wasserwerfer und technische Sperren sowie zum Sprengen bestimmte explosionsfähige Stoffe (Sprengmittel).

(4) Waffen sind dienstlich zugelassene Schusswaffen (Pistolen, Revolver, Gewehre, Maschinenpistolen), Hiebwaffen (Schlagstöcke) und Distanzelektroimpulsgeräte.

§ 3 Vollzugsbeamte des Landes Berlin 21

Vollzugsbeamte des Landes Berlin im Sinne dieses Gesetzes sind

  1. die Polizeivollzugsbeamten,
  2. die Bediensteten im Justizvollzugsdienst mit Ausnahme der im Jugendstrafvollzug tätigen Bediensteten,
  3. Beamte des Justizwachtmeisterdienstes sowie des allgemeinen Justizdienstes, soweit diese mit Sicherheitsaufgaben betraut sind,
  4. die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, soweit nicht für sie das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes gilt,
  5. die Bediensteten oder Gruppen von Bediensteten anderer Berliner Behörden, die der Senat mit bestimmten Befugnissen der Polizeibehörde ausgestattet hat,
  6. die sonstigen Bediensteten, insbesondere die Dienstkräfte im Rahmen des allgemeinen Ordnungs- und Verkehrsüberwachungsdienstes der bezirklichen Ordnungsämter, die mit der Anwendung des Verwaltungszwanges beauftragt sind.

§ 4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

(1) Bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges sind von den möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen. Jede Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert.

(2) Eine Maßnahme des unmittelbaren Zwanges darf nicht durchgeführt werden, wenn der durch sie zu erwartende Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.

§ 5 Hilfeleistung für Verletzte

Den bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges Verletzten ist Beistand zu leisten und ärztliche Hilfe zu verschaffen, sobald es die Lage zuläßt.

§ 6 Handeln auf Anordnung

(1) Die Vollzugsbeamten sind verpflichtet, unmittelbaren Zwang so anzuwenden, wie er im Vollzugsdienst von den Vorgesetzten oder von sonst dazu befugten Personen angeordnet wird. Dies gilt nicht, wenn die Anordnung die Menschenwürde verletzt oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist.

(2) Eine Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen werden würde. Hat der Vollzugsbeamte eine solche Anordnung trotzdem befolgt, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkannt hat oder wenn es nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich gewesen ist, daß er durch die Befolgung eine Straftat begehen werde.

(3) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung hat der Vollzugsbeamte den Anordnenden gegenüber vorzubringen, soweit ihm dies nach den Umständen möglich ist.

(4) § 36 Absatz 2 und 3 des Beamtenstatusgesetzes ist nicht anzuwenden.

§ 7 Einschränkung von Grundrechten

Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes, Artikel 8 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung von Berlin), der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes, Artikel 8 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung von Berlin) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes, Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung von Berlin) eingeschränkt.

Zweiter Abschnitt
Vorschriften über den Gebrauch der Schußwaffen

§ 8 Befugnis zum Gebrauch der Schußwaffen

(1) Der Gebrauch der Schußwaffen ist nur den Vollzugsbeamten gestattet, die dienstlich damit ausgerüstet sind.

(2) Der Gebrauch der Schußwaffen ist nur unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 9 bis 16 zulässig.

(3) Das Recht zum Gebrauch von Schußwaffen auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften bleibt unberührt.

§ 9 Allgemeine Vorschriften für den Schußwaffengebrauch 21a

(1) Schußwaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffeneinwirkung auf Sachen erreicht wird.

(2) Zweck des Schußwaffengebrauchs darf nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Der Schußwaffengebrauch ist unzulässig, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden; dies gilt nicht, wenn sich deren Gefährdung beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (§ 16) oder eine bewaffnete Gruppe nicht vermeiden läßt.

(3) Gegen Personen, die sich dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter befinden, dürfen Schußwaffen nicht gebraucht werden.

(4) Das Recht zum Gebrauch von Schusswaffen durch einzelne Polizeivollzugsbeamte in den Fällen der Notwehr und des Notstands bleibt unberührt. Verletzt ein Polizeivollzugsbeamter in diesen Fällen die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit nach den Vorschriften der Amtshaftung das Land Berlin. Das Land Berlin gewährleistet in Fällen des Satzes 1 als Teil der staatlichen Fürsorgepflicht angemessenen Rechtsschutz in Ermittlungs- und Strafverfahren, die gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte geführt werden; Näheres hierzu wird in Ausführungsvorschriften der für das Dienstrecht zuständigen Senatsverwaltung geregelt. Die Gewährung von Rechtsschutz in anderen Fällen bleibt unberührt.

§ 10 Androhung

Der Gebrauch von Schußwaffen ist anzudrohen. Als Androhung gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.

§ 11 Schußwaffengebrauch zur Verhinderung rechtswidriger Taten

Ein Vollzugsbeamter darf auf einzelne Personen schießen, um sie an der unmittelbar bevorstehenden Ausführung oder der Fortsetzung einer rechtswidrigen Tat zu hindern, die sich den Umständen nach als

  1. ein Verbrechen oder
  2. ein Vergehen unter Anwendung oder Mitführung von Schußwaffen oder Explosivmitteln

darstellt.

§ 12 Schußwaffengebrauch zum Anhalten flüchtender Verdächtiger

Ein Vollzugsbeamter darf auf einzelne Personen schießen, um sie anzuhalten, wenn sie sich ihrer Festnahme oder Feststellung durch die Flucht zu entziehen versuchen und sie dringend verdächtigt sind

  1. eines Verbrechens oder
  2. eines Vergehens und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß sie auf der Flucht Schußwaffen oder Explosivmittel mit sich führen.

§ 13 Schußwaffengebrauch zum Anhalten flüchtender Straftäter

Ein Vollzugsbeamter darf auf einzelne Personen schießen, die zu Freiheitsstrafe verurteilt sind oder deren Sicherungsverwahrung angeordnet ist und gegen die ein Vorführungs- oder Haftbefehl oder ein Steckbrief zur Vollstrekkung der verhängten Freiheitsstrafe oder zum Vollzug der Sicherungsverwahrung erlassen worden ist, wenn sie sich ihrer Festnahme durch die Flucht zu entziehen versuchen.

§ 14 Schußwaffengebrauch gegen Ausbrecher

Ein Vollzugsbeamter darf auf einzelne Personen schießen, um ihre Flucht zu vereiteln oder sie wiederzuergreifen, wenn sie sich in amtlichem Gewahrsam befinden oder befanden

  1. zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe,
  2. zum Vollzug der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt oder der Sicherungsverwahrung,
  3. auf Grund eines strafrichterlichen Haftbefehls oder eines Steckbriefes,
  4. wegen des dringenden Verdachts eines Verbrechens oder
  5. wegen des dringenden Verdachts eines Vergehens, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß sie Schußwaffen oder Explosivmittel mit sich führen.

§ 15 Schußwaffengebrauch bei Befreiungsversuchen

Ein Vollzugsbeamter darf auf einzelne Personen schießen, die gewaltsam einen Gefangenen oder jemanden,

  1. dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 63, 71 des Strafgesetzbuches, § 126a der Strafprozeßordnung),
  2. dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§§ 64, 71 des Strafgesetzbuches, § 126a der Strafprozeßordnung) oder
  3. dessen Sicherungsverwahrung (§ 66 des Strafgesetzbuches) angeordnet ist, aus dem amtlichen Gewahrsam zu befreien versuchen.

§ 16 Schußwaffengebrauch gegen eine Menschenmenge

(1) Schußwaffen dürfen gegen eine Menschenmenge nur dann gebraucht werden, wenn von ihr oder aus ihrer Mitte Gewalttaten begangen werden oder unmittelbar bevorstehen und andere Maßnahmen gegen sie oder einzelne nicht zum Ziele führen.

(2) Die Androhung des Schußwaffengebrauchs (§ 10) ist gegenüber einer Menschenmenge zu wiederholen.

§ 17 Schußwaffengebrauch im Bereich der Demarkationslinie

§ 18 Gebrauch der besonderen Waffen

Dritter Abschnitt 23
Vorschriften über den Gebrauch von Hiebwaffen, Distanzelektroimpulsgeräten und Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt

§ 19 Allgemeine Vorschriften 23

Der Gebrauch von Hiebwaffen, Distanzelektroimpulsgeräten und der in § 2 Abs. 3 einzeln genannten Hilfsmittel der körperlichen Gewalt ist nur den Vollzugsbeamten gestattet, die dienstlich damit ausgerüstet sind.

§ 19a Distanzelektroimpulsgeräte 23

(1) Distanzelektroimpulsgeräte dürfen nur gebraucht werden,

  1. wenn dadurch ein zulässiger Gebrauch
    1. von Schusswaffen oder
    2. von Hiebwaffen, bei dem eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung zu besorgen ist,
  2. vermieden werden kann oder
  3. wenn dies zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Selbsttötung oder erheblichen Selbstbeschädigung der betroffenen Person erforderlich ist.

(2) Distanzelektroimpulsgeräte dürfen nicht gebraucht werden

  1. gegen Personen, die dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt sind, erkennbar Schwangere und Personen mit bekannten oder dem äußeren Anschein nach vorhandenen Vorerkrankungen des Herzkreislaufsystems, sofern der Gebrauch des Distanzelektroimpulsgerätes nicht zur Abwehr einer von der betroffenen Person ausgehenden gegenwärtigen Lebensgefahr erforderlich ist, oder
  2. in sonstigen Fällen, in denen ihr Gebrauch Leib oder Leben von Personen unverhältnismäßig gefährden würde.

(3) Der Gebrauch von Distanzelektroimpulsgeräten ist anzudrohen. Von der Androhung kann abgesehen werden, wenn die Umstände es nicht zulassen, insbesondere wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.

§ 20 Fesselung von Personen

(1) Personen, die im Gewahrsam von Vollzugsbeamten sind, dürfen gefesselt werden, wenn

  1. die Gefahr besteht, daß sie Personen angreifen, Sachen beschädigen oder tätlichen Widerstand leisten;
  2. sie zu fliehen versuchen oder besondere Umstände die Besorgnis begründen, daß sie sich aus dem Gewahrsam befreien werden oder von anderen Personen befreit werden sollen;
  3. die Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstbeschädigung besteht.

(2) Bei berführungen, Vorführungen und Ausführungen von Gefangenen, die wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von 1 Jahr oder darüber verurteilt sind, und von Sicherungsverwahrten gelten die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchst. b als erfüllt.

§ 21 Androhung gegenüber einer Menschenmenge

Der Gebrauch von Hiebwaffen und Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt mit Ausnahme der technischen Sperren gegen eine Menschenmenge ist wiederholt anzudrohen.

§ 21a Sprengmittel

Sprengmittel dürfen nicht gegen Personen angewendet werden.

§ 21b Reizstoffe

Als Reizstoffe werden Capsaicin und verwandte Stoffe (Pfefferspray) eingesetzt, sofern nicht der Einsatz herkömmlicher Reizstoffe (Tränengas) zwingend erforderlich ist.

Vierter Abschnitt
Zwangsuntesuchung, Zwangsbehandlung und Zwangsernährung

§ 22 Zwangsuntersuchung und Zwangsbehandlung

(1) Gefangene dürfen auch gegen ihren Willen durch einen Arzt untersucht werden.

(2) Sie dürfen gegen ihren Willen medizinisch nur behandelt werden, wenn für sie selbst oder ihre Umgebung Gefahr für Leib oder Leben besteht. ...

(3) Die erforderlichen Maßnahmen dürfen nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes getroffen werden. Ist ein Arzt nicht erreichbar und ein Aufschub mit Lebensgefahr verbunden, so dürfen Maßnahmen nur durchgeführt werden, wenn sie zumutbar und nicht mit Lebensgefahr verbunden sind.

§ 23 Zwangsernährung

(1) Die in § 22 Abs. 1 genannten Personen dürfen gegen ihren Willen nur ernährt werden, wenn für sie Gefahr für Leib oder Leben besteht.

(2) Für die erforderlichen Maßnahmen gilt § 22 Abs. 3 entsprechend.

Fünfter Abschnitt
Schlußvorschriften

§ 24 Verwaltungsvorschriften

Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes erläßt für die Polizeivollzugsbeamten das nach § 9 Abs. 2 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes zuständige Mitglied des Senats. Im übrigen erläßt das jeweils zuständige Mitglied des Senats die Verwaltungsvorschriften im Einvernehmen mit dem nach Satz 1 zuständigen Senatsmitglied.

§ 25 Übergangsfassung der §§ 13, 14 und 15

§ 26 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am 1. September 1970 in Kraft.

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