umwelt-online: Wirkung hochfrequenter Felder auf das Genom: Genotoxizität und Genregulation (2)

UWS Umweltmanagement GmbHzurück Frame öffnen

3.1.2 Chromosomenaberrationen, Schwesterchromatidaustausche und Mikrokerne

Chromosomen sind komplexe Strukturen, die hauptsächlich aus DNA und Proteinen (Histone und Nichthiston-Proteine) bestehen. In der G0/G1-Phase des Zellzyklus, also vor Beginn der DNA-Synthesephase (S-Phase), enthalten die Chromosomen jeweils ein durchgehendes DNA-Molekül, das eine wesentliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Chromosomenstruktur ist. Während der S-Phase wird die DNA repliziert und es entsteht ein Chromosom aus zwei Chromatiden, die jeweils ein strukturgleiches DNA-Molekül enthalten. Die beiden Chromatiden werden bis zum Beginn der Anaphase in der Zentromerregion zusammengehalten, bevor sie auf die Zellpole verteilt werden, um als einsträngige Gebilde in die entsprechenden Tochterkerne einzugehen.

Chromosomenaberrationen (CA) sind Veränderungen in der Struktur der Chromosomen, die im Lichtmikroskop analysiert werden.

CA entstehen infolge chemischer Veränderungen in der chromosomalen DNA. Die Analyse von CA ist eine weltweit anerkannte Methode, um festzustellen, ob ein Agens mutagen und somit auch karzinogen ist.

Die nach Einwirkung eines Mutagens auftretenden CA-Typen hängen von der molekularen Struktur der DNA-Läsionen und vom Zellzyklusstadium ab, in dem sie induziert wurden. CA entstehen stets als Ergebnis der Fehlreparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen (DSB 7), bei denen beide DNA-Stränge gebrochen sind, wobei die Einzelstrangbrüche (SSB 8) in den beiden DNA-Strängen wenige Basen voneinander entfernt sein können. "Fehlreparatur" bedeutet, dass "falsche" Enden verknüpft werden, die molekularen Mechanismen sind die gleichen wie bei der "richtigen" Reparatur. DSB werden nur von wenigen Agenzien direkt induziert, hierzu gehören ionisierende Strahlen, Endonucleasen und einige Antibiotika wie Bleomycin. Diese Agenzien induzieren DSB in jedem Stadium des Zellzyklus und führen direkt zu CA. DSB in der G1-Phase führen zu CA vom Chromosomentyp (etwa dizentrische Chromosomen, Translokationen und Chromosomenbrüche). DSB in der S-Phase ergeben, wenn sie in unreplizierten Bereichen des Chromosoms auftreten, CA vom Chromosomentyp. Werden DSB in bereits replizierten Abschnitten des Chromosoms induziert, entstehen CA vom Chromatidentyp (etwa Chromatidentranslokationen und Chromatidenbrüche). Werden DSB in der G2-Phase induziert, entstehen ausschließlich CA vom Chromatidentyp. Agenzien dieses Typs induzieren somit in dem Zellzyklusstadium CA, in dem sie eingewirkt haben. Die entstehenden Aberrationsmuster erlauben eine Aussage darüber, in welchem Zellzyklusstadium die Behandlung erfolgte.

Die weitaus meisten chemischen Mutagene, aber auch UV-Strahlen, induzieren keine DSB, wohl aber andere Läsionen in den einzelnen Strängen der DNA (Single Strand Lesions; SSL). SSL können in der S-Phase dann zu DSB führen, wenn sie die DNA-Replikation in den Replikationsgabeln behindern. Die so entstehenden DSB betreffen einen der replizierenden DNA-Stränge und somit eine Chromatide. Es kommt daher zu CA vom Chromatidentyp, auch wenn die Exposition mit dem Mutagen in der G1-Phase erfolgte. Expositionen in der G2-Phase, also nach der DNA-Synthese, führen in der folgenden Mitose nicht zu CA. Agenzien dieses Typs induzieren CA in Abhängigkeit von der S-Phase. Behandlung von Zellen mit einem CA-induzierenden Mutagen in der G1-Phase und Analyse des Aberrationsmusters in der ersten Mitose nach Exposition erlaubt somit eine Aussage über den Wirkungsmechanismus des getesteten Mutagens. In seltenen Fällen können auch SSL in Cl dann zu CA führen, wenn während der Reparatur DSB entstehen, die zu CA "fehlrepariert" werden. Dieser Effekt kann besonders dann auftreten, wenn die G1-Phase künstlich verlängert wird (Liquid Holding Experimente), oder wenn unter in-vivo-Bedingungen beim Menschen periphere Lymphozyten chronisch exponiert werden. CA dieses Typs sind stets mit CA vom Chromatidentyp assoziiert. CA vom Chromosomentyp können nach Induktion von SSL auch dann auftreten, wenn keine Zellzykluskontrolle erfolgt und bereits zweite oder gar dritte Mitosen nach CA-Induktion untersucht werden. Unter derartigen Bedingungen entstehen CA vom Chromosomentyp aus CA vom Chromatidentyp, allerdings sind meist auch CA vom Chromatidentyp vorhanden.

Die hier beschriebenen Zusammenhänge machen deutlich, dass CA-Analysen unter stringenten experimentellen Bedingungen durchgeführt werden müssen, anderenfalls ist keine sinnvolle Aussage über die erhobenen Ergebnisse möglich. CA müssen in der ersten Mitose nach der Behandlung mit einem Testagens analysiert werden. Die Zellzykluskontrolle kann über den Proliferationsindex nach Einbau von Bromdesoxyuridin (BrdU) erfolgen, das, wenn im Überschuss vorhanden, vorwiegend statt Thymidin (T) in die replizierende DNA eingebaut wird. Nach einem Zellzyklus in Gegenwart von BrdU haben alle Chromosomen die Konstitution TB-TB (M1), nach zwei Zellzyklen TB-BB (M2), nach drei Zellzyklen gibt es in einer Mitose zu gleichen Teilen Chromosomen mit der Konstitution TB-BB und BB-BB (M3). Nach einer speziellen Färbung nach Giemsa können die Chromosomen substitutionstypisch angefärbt werden, wobei in M1-Zellen alle Chromosomen dunkel, in M2-Zellen in allen Chromosomen eine Chromatide dunkel und eine hell (differentielle Färbung) und in M3-Zellen 50 % der Chromosomen differentiell und 50 % durchgehend hell gefärbt sind. CA müssen in M1-Zellen ausgewertet werden, in differentiell gefärbten M2-Zellen können Schwesterchromatidenaustausche (SCE) analysiert werden, die im Mikroskop als Austausche zwischen dunklen und hellen Schwesterchromatidenabschnitten der einzelnen Chromosomen sichtbar sind. SCE entstehen in der S-Phase als Ergebnis eines auf Rekombination beruhenden Reparaturvorgangs.

Soll vermieden werden, dass alle zu untersuchenden Zellen mit BrdU markiert sind, wird jeweils nur eine Kultur mit BrdU exponiert. Wenn nach einer entsprechenden Fixierungszeit nicht mehr als 10% M2-Zellen vorhanden sind, kann man davon ausgehen, dass die in den nicht mit BrdU exponierten Zellen erhobenen Ergebnisse nicht durch Zellzyklusprobleme verfälscht sind. Die Häufigkeiten von Ml, M2 und M3 können auch zur Kalkulation eines Proliferations- oder Replikations-Indexes verwendet werden.

Bei der Bestimmung des Mitoseindexes (MI) wird die Anzahl mitotisch aktiver Zellen in einer Zeltpopulation ausgezählt und zu der Gesamtzahl der ausgewerteten Zellen in Beziehung gesetzt.

Wenn sich Zellen mit CA teilen, können zentromerlose Fragmente nicht aktiv in die Tochterkerne gelangen und bleiben im Zytoplasma zwischen den entstehenden Kernen liegen. Derartige Fragmente umgeben sich wie die Hauptkerne mit einer Membran und sind als kleine Kerne sichtbar, die Mikrokerne (MN) genannt werden. Auch Verteilungsstörungen intakter Chromosomen können dazu führen, dass diese nicht in die Tochterkerne gelangen und sich ebenfalls mit einer eigenen Kernmembran umgeben. MN mit Chromosomenfragmenten können von solchen mit ganzen Chromosomen nur dann unterschieden werden, wenn die Zentromeren angefärbt werden. Zentromer positive MN enthalten mit hoher Wahrscheinlichkeit ganze Chromosomen, es könnte sich aber auch um zentromeshaltige Fragmente handeln. MN sind ein unspezifischer Hinweis darauf, dass CA vorgelegen haben. Bei Tests auf MN muss sichergestellt werden, dass zweite Interphasen nach Induktion der CA erfasst werden (CA entstehen in der ersten Interphase nach Behandlung, MN bilden sich in der darauf folgenden Anaphase und werden in der folgenden Interphase sichtbar). Damit auch tatsächlich das richtige Stadium untersucht wird, werden die Zellen nach dem ersten Zellzyklus nach CA-Induktion mit Cytochalasin B behandelt, das die Zellteilung, nicht aber die Kernteilung, blockiert. Es resultieren zweikernige Zellen, in denen MN leicht analysiert werden können. In Kulturen, die nach diesem Vorgehen präpariert wurden, finden sich ein-, zwei-, drei- und vierkernige Zellen. MN werden nur in zweikernigen Zellen analysiert. Drei- und vierkernige Zellen resultieren aus mitotischen Teilungen zweikerniger Zellen, wobei sich manchmal nur ein Kern teilt. Aus den Häufigkeiten mehrkerniger Zellen wird der "Cytokinesis-Block-Proliferationsindex" bestimmt.

Chromosomenaberrationen, Schwesterchromatidaustausche (SCE) und Mikrokerne sind auch nach Expositionen des Menschen in vivo nachweisbar. Hierzu werden in Blutkulturen exponierter Personen die Lymphozyten zur Zellteilung angeregt (meist mit Phytohämagglutinin). Die mitotischen Chromosomen werden dann im Hinblick auf CA und SCE analysiert, MN werden in zweikernigen Zellen erfasst. Bei Labornagetieren, wie Mäusen und Ratten, können CA, SCE und MN in mitotisch aktiven Zellen des Knochenmarks analysiert werden. Eine weit verbreitete Methode zum Nachweis von MN bei Kleinsäugern beruht auf der Analyse von polychromatischen Erythrozyten (PCE) im Knochenmark. PCE sind Vorstufen roter Blutzellen, die ihren Zellkern bereits verloren haben. Wenn während der mitotischen Teilung der Vorläuferzellen der Erythrozyten (Erythroblasten) MN aufgetreten sind, werden sie nicht wie der Hauptkern aus den Zellen entfernt. Sie sind im Mikroskop ah; kleine Kerne in den sonst kernlosen PCE erkennbar. Neben Giemsabasierten Färbungen können auch fluoreszierende Farbstoffe zum Nachweis dieser MN eingesetzt werden. Eine ausführliche Beschreibung der Methoden zum Nachweis von MN findet sich bei Müller und Streffer (1994).

3.1.3 Mutationstests

Ein weit verbreiteter Test auf Mutagenität wurde schon vol vielen Jahren von Bruce Ames entwickelt. Wegen seiner relativen Einfachheit und Zuverlässigkeit erfreut er sich auch heute noch großer Beliebtheit und ist Bestandteil der meisten vorgeschriebenen Programme zur Untersuchung von genotoxischen Einflüssen [Morelmans und Zeiger, 2000]. Es werden hierbei eine Reihe von Histidinabhängigen Stämmen des Bakteriums Salmonelle typhimurium eingesetzt, welche verschiedene Mutationen in unterschiedlichen Genen des Histidin-Operons aufweisen. In Kulturmedien mit geringem Histidingehalt sind nur solche Zellen in der Lage, Kolonien zu bilden, die auf Grund einer Mutation zur Histidin-Unabhängigkeit revertiert sind. Auf diese Weise können Punktmutationen relativ einfach ermittelt und das mutagene Potenzial von Substanzen oder physikalischen Einflüssen quantitativ bestimmt werden. Ein vor allem in Bezug auf die Übertragbarkeit auf menschliche Systeme schwerwiegender Nachteil besteht darin, dass dieser Test sich in der beschriebenen Form nur mit Bakterien, modifiziert höchstens mit einfachen Eukaryonten, durchführen lässt, nicht aber mit Säugerzellen.

Für sie stehen allerdings andere Verfahren zur Verfügung. Das wichtigste ist der "HPRT-Mutationstest". Hier werden Mutationen an dem Enzym "Hypoxanthin-Phosphoribosyl-Transferase (HPRT)" untersucht. Es katalysiert den Einbau von Purinbasen in die DNA, ist jedoch nicht essenziell, da die Biosynthese normalerweise über andere Stoffwechselwege erfolgt. Im Medium angebotene Bausteine werden bei funktionell intakter HPRT allerdings benutzt. Modifizierte Basen, z.B. 6-Thio-Guanin (6-TG), die ebenfalls inkorporiert werden, führen zum Zelltod, d. h. normalerweise ist 6-TG ein sehr wirkungsvolles Zellgift. Wird die Funktion von HPRT durch eine Mutation ausgeschaltet. so sind die resultierenden Zellen resistent gegen 6-TG. Hierauf lässt sich ein relativ einfacher Test aufbauen, der heute vielfältig eingesetzt wird. Ein Nachteil liegt allerdings darin, dass sowohl größere Deletionen als auch Basenmutationen zu dem beschriebenen Effekt führen können, der Test ist also im Hinblick auf die zugrundeliegenden molekularbiologischen Mechanismen relativ unspezifisch.

Ein anderes Verfahren basiert auf der Giftwirkung von Ouabain (ostafrikanisches Pfeilgift). Es bindet und blockiert in Säugerzellen an die Na-K-ATPase in der Zellmembran, welche für die Aufrechterhaltung des Membranpotenzials und damit für das Leben essenziell ist. Durch eine Mutation kann die Bindungsstelle für Ouabain so modifiziert werden, dass eine Bindung nicht mehr stattfindet und das Gift daher wirkungslos bleibt. Wichtig ist natürlich, dass hierbei die enzymatische Aktivität erhalten bleibt. Dies ist bei größeren Deletionen nicht mehr gewährleistet. Der Test spricht also vor allem auf Punktmutationen an.

Mutationstests spielen in der Toxikologie und der Umweltmedizin eine wichtige Rolle. Schon vor längerer Zeit sind daher allgemeine Kriterien für die Anwendbarkeit und die sach- und fachgerechte Durchführung entwickelt worden [Aaron et al., 1994], die auch heute noch als gültig anzusehen sind.

3.1.4 Nekrose und Apoptose

In einem intakten Organismus besteht ein Gleichgewicht zwischen Zellteilung und Zelltod. Man unterscheidet zwei Arten von Zelltod, Apoptose und Nekrose. Bei der Apoptose handelt es sich um einen physiologischen und kontrollierten, Energie verbrauchenden Prozess, unter Nekrose versteht man einen pathologischen, passiven, nicht kontrollierten Prozess.

Morphologisch läuft Apoptose in einer bestimmten Abfolge von Reaktionsschritten ab. Dabei wird zunächst die DNA der Chromosomen in Fragmente gespalten. Der Zellkern und die Zelle schnüren sich ein, sodass mehrere membranumschlossene Zellfragmente entstehen, die schließlich von phagozytotisch aktiven Zellen aufgenommen werden. Bei der Nekrose kommt es dagegen zur Zerstörung der Zellmembran und dann zum unkontrollierten Austritt von Zellbestandteilen. Im Gegensatz zur Apoptose wird die DNA nicht kontrolliert fragmentiert.

Apoptose kann sowohl durch äußere wie auch durch zytoplasmatische Signale ausgelöst werden. Zellen tragen auf ihrer Oberfläche Rezeptoren für Moleküle wie Fas-Liganden oder Tumor-Nekrose-Faktor α (TNFα), die eine Apoptose auslösen können. Viele Zellen zeigen bereits ohne diese Signale eine hohe Bereitschaft zur Apoptose, sie sind für ihr Überleben auf Wachstumsfaktoren angewiesen. Die ersten Schritte einer rezeptorabhängigen Apoptose führen zur Aktivierung von bestimmten Proteasen (Caspasen). Sie spalten Strukturproteine, DNA-Reparaturenzyme und andere essenzielle Zellbestandteile. Erst nach diesen Schritten kommt es zur Fragmentierung der DNA.

Wichtig bei der Apoptose sind auch die Proteine der Bcl-2-Familie, von denen manche anti-apoptotisch und andere pro-apoptotisch wirken. Anti-apoptotische Bcl-2-Proteine stabilisieren die äußere Membran der Mitochondrien. Werden durch die Caspasen proapoptotische Bcl-2-Proteine aktiviert, so können diese die Mitochondrienmembran zerstören. Das Membranpotenzial der Mitochondrien bricht dabei zusammen. Daher wird ein Abfall des mitochondrialen Membranpotenzials als Indikator für Apoptose angesehen, der mit Fluoreszenzfarbstoffen nachgewiesen werden kann.

Eine wichtige Rolle bei der Auslösung von Apoptose spielt der Tumorsuppressor p53, ein Transkriptionsfaktor. Bei DNA-Schädigung und zellulärem Stress steigt seine Konzentration. Das p53-Protein arretiert den Zellzyklus und erlaubt so die Reparatur von DNA-Schäden. Zusätzlich wird die Expression pro-apoptotischer Bcl-2-Proteine (Bax) erhöht. Dadurch kann die Apoptose bei ungenügender DNA-Reparatur eingeleitet werden. Die zentrale Rolle des p53-Proteins zeigt sich auch darin, dass bei nahezu der Hälfte menschlicher Tumoren Mutationen im p53-Tumorsuppressorgen vorliegen.

Standardverfahren zum Nachweis von Apoptose beruhen auf dem Nachweis der fragmentierten DNA. Kommt es in vielen Zellen eines Gewebes zur Apoptose, dann lässt sich dies mit Hilfe der "DNA-Leiter" nachweisen. Die fragmentierte DNA wird isoliert und auf ein Gel aufgetragen (Kap. 3.2.4 Gelelektrophorese). Die DNA-Fragmente werden nach ihrer Größe aufgetrennt. Die DNA wird bei der Fragmentierung an vorgegebenen Stellen zerschnitten ("Linker" zwischen Nukleosomen), so entstehen Teilstücke definierter Länge aus einem, zwei oder mehr Nukleosomen, entsprechend ergibt sich ein charakteristisches Muster, die sogenannte "DNA-Leiter".

Gehen nur wenige Zellen einer Kultur oder eines Gewebes in Apoptose, so verwendet man die TUNEL-Färbung. Hierbei werden in situ an die freien 3-OH-Enden der DNA-Fragmente markierte Nucleotide angehängt. Die Methode ähnelt den in Kap. 3.2.6 beschriebenen anderen mikroskopischen Nachweisverfahren.

Ein häufig eingesetztes Verfahren ist der Nachweis von Phosphatidylserin auf der Außenseite der Zellmembran; denn dieses wird in apoptotischen Zellen von der Membraninnenseite auf die Außenseite verlagert. Annexin V bindet an Phospatidylserin. Mit fluoreszenzmarkiertem Annexin V kann man apoptotische Zellen mit Durchflusszytometrie nachweisen.

Neben diesen Standardverfahren lassen sich die verschiedenen an der Apoptose beteiligten Proteine mit Hilfe der in Kap. 3.2 beschriebenen Verfahren nachweisen. Besonders wenn diese Proteine stärker exprimiert werden, sind die Verfahren geeignet, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Apoptose nachzuweisen. Die Apoptose selbst wird dadurch nicht bewiesen, dazu ist der Nachweis fragmentierter DNA erforderlich.

3.2 Genexpression (mRNA- und Proteinanalyse)

3.2.1 RT-PCR

Reverse Transkription-Polymerase Kettenreaktion (RT-PCR) ist eine Methode, die zum Nachweis und zur Quantifizierung von ausgewählten Boten-RNAs (mRNA) eingesetzt wird. Aus Gewebeproben oder Zellen extrahierte Gesamt-RNA wird durch reverse Transkription mit Hilfe von Oligonukleotidprimern in komplementäre DNA (cDNA) umgeschrieben. Die cDNA dient dann als Vorlage in Polymerase Kettenreaktionen (PCR), in denen kurze Fragmente interessierender mRNA-Spezies mittels zweier genspezifischer Oligonukleotid-Primer in einem PCR-Gerät amplifiziert (vermehrt) werden. In Parallelansätzen wird in der Regel ein sogenanntes "Housekeeping"-Gen mit analysiert, von dem angenommen wird, dass seine Expression in allen untersuchten Proben konstant ist, und das zur Normalisierung der Daten verwendet wird. Bei der ursprünglichen RT-PCR-Technik basiert die Quantifizierung auf einer Endpunkt-Bestimmung nach einer bestimmten Anzahl an PCR-Zyklen, nach der die resultierenden PCR-Fragmente in Agarosegelen aufgetrennt, angefärbt und durch Densitometrie vermessen werden. In Vorexperimenten muss für jedes nachzuweisende Transkript die optimale Zykluszahl sorgfältig bestimmt werden, da eine korrekte Quantifizierung nur in der exponentiellen Amplifikationsphase der PCR gelingen kann. Der verlässliche Nachweis geringerer Expressionsunterschiede (1,2- bis 2fach) hat sich als schwierig erwiesen, deshalb wird diese Methode meist als semiquantitativ bezeichnet. Bei der neueren "Realtime-PCR"-Technik wird die Akkumulierung des PCR-Produktes in jedem PCR-Zyklus mittels einer fluoreszierenden Sonde gemessen, und daher wird die Bestimmung der optimalen Zykluszahl überflüssig. Mittels "Realtime-PCR" lassen sich geringe Expressionsunterschiede sehr zuverlässig nachweisen; sie gilt daher gegenwärtig als Methode der Wahl. Als Nachteile sind die relativ hohen Kosten der "Realtime-PCR" und des notwendigen Gerätes anzusehen. Der Einsatz von partiell degradierter RNA kann sowohl bei der semiquantitativen als auch bei der "Realtime-PCR"-Analyse zu grob fehlerhaften Messungen führen.

3.2.2 Mikroarray

DNA-Mikroarrays enthalten cDNA-Fragmente oder Oligonukleotide, die auf Nylonfiltern, Glas- oder Plastik-Substraten immobilisiert sind. Mikroarrays ermöglichen die parallele Analyse von bis zu 50.000 verschiedenen Transkripten in einer Probe und erlauben daher genomweite Einblicke in die Mechanismen der Genregulation und in pathologische Prozesse. Bei cDNA-Arrays werden in der Regel durch PCR amplifizierte, längere cDNA-Fragmente als Sonden verwendet, die von Robotern an definierten Stellen auf das Substrat aufgebracht werden. Mit diesem Verfahren können nur relativ geringe Stückzahlen mit gleichbleibender Qualität hergestellt werden. Es ist daher empfehlenswert, die vorgesehenen Experimente eines Projektes mit ein und derselben Charge durchzuführen. Für eine Array-Analyse wird die aus den zu untersuchenden Zellen extrahierte RNA meist mittels reverser Transkription in cDNA umgeschrieben und dann markiert, z.B. durch Einbau eines radioaktiven oder fluoreszenzmarkierten Nukleotids, und auf die Arrays aufgebracht. Die markierten Sequenzen in der Probe können hier an komplementäre Sequenzen auf der Array-Oberfläche binden (Hybridisierung), nicht-hybridisierende Sequenzen werden durch Waschen entfernt. Gebundene RNAs können detektiert werden, wobei die Menge an gebundener Radioaktivität bzw. die emittierte Fluoreszenz ein relatives Maß für die Häufigkeit des Transkripts ist. Variable RNA-Qualität und kleine Abweichungen bei den verschiedenen Schritten von der Herstellung der Arrays bis zur Visualisierung können für unerwünschte Variabilität der Daten sorgen; eine strenge Qualitätskontrolle der isolierten RNA und eine Standardisierung des Versuchsablaufes ist daher eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung von Mikroarray-Projekten. Array-Analysen stellen wegen der ernormen Anzahl der gemessenen Variablen (Transkripte) besondere Anforderungen an die Statistik. So sind etwa bei der Analyse eines Arrays mit 50.000 verschiedenen Sonden und einer Signifikanzgrenze von p=0,05 im T-Test 2.500 falsch positive Transkripte (Type I error) zu erwarten. Eine ausreichend hohe Zahl unabhängiger biologischer Replikate und besondere Verfahren zur Fehlerkorrektur können das Risiko des Auftretens falsch positiver Kandidatengene reduzieren. In jedem Fall ist es ratsam, die in Mikroarray-Experimenten identifizierten, differenziell exprimierten Transkripte mittels einer weiteren Nachweismethode, wie der "Realtime-PCR", in weiteren unabhängigen Proben zu bestätigen.

3.2.3 SAGE (Serial Analysis of Gene Expression)

Bei dieser Methode werden sehr kurze Fragmente (sequence tags) von möglichst vielen cDNAs mit Hilfe spezieller Restriktionsenzyme erzeugt und sequenziert. Die Identität der kurzen, meist 9 - 14 Basenpaare langen cDNA-Fragmente kann dann durch Vergleich mit Sequenz-Datenbanken meist eindeutig geklärt werden. Werden genügend Tags sequenziert, so reflektiert die Anzahl der zu einem Transkript gehörenden "Tags" zuverlässig die Häufigkeit der mRNA im Ausgangsmaterial. Da der Sequenzieraufwand erheblich ist, werden unabhängige Replikatanalysen, die bei Mikroarray-Analysen in der Regel gefordert werden, nur selten durchgeführt, so dass eine Validierung der Ergebnisse stets geboten ist. Für die Identifizierung von differenziell exprimierten Genen in zwei Proben sollten SAGE-Bibliotheken generiert werden, die einen möglichst ähnlichen und großen Umfang haben. Für die Analyse von differenziell exprimierten Transkripten in SAGE-Bibliotheken sind spezifische statistische Verfahren entwickelt worden, da die Analyse von Tags, die nur in geringer Anzahl gefunden werden, ein besonders schwieriges Problem darstellt. Gegenüber der Mikroarray-Analyse hat SAGE den Vorteil, dass auch Transkripte, die noch nicht in öffentlichen Datenbanken erfasst sind, identifiziert und quantifiziert werden können.

3.2.4 2D-Gelelektrophorese

Die 2D-Gelelektrophorese ist ein Verfahren zur Proteomanalyse, bei dem die extrahierten Proteine einer Probe zunächst in der 1. Dimension nach ihrem isoelektrischen Punkt und danach in der 2. Dimension nach ihrer/m Größe/Molekulargewicht aufgetrennt werden. Mit dieser Methode können bis zu 10.000 verschiedene Proteinspezies voneinander getrennt werden, die nach Anfärbung dann densitometrisch mit Hilfe von Laserscannern identifiziert werden können. Einzelne Proteinspots können manuell oder durch Roboter ausgestanzt und die enthaltene Proteinspezies mittels Massenspektrometrie identifiziert werden. Als Färbemethoden zur Quantifizierung werden die Färbung mit Coomassie Blue (blau; Linearitätsbereich 50 - 1.000 ng), die empfindlichere Silberfärbung (Linearitätsbereich 0,5 - 20 ng) und zunehmend auch Fluoreszenzfarbstoffe eingesetzt. Zahlreiche Quellen für Variabilität und der begrenzte dynamische Bereich der Färbemethoden erschweren eine präzise Quantifizierung ganz enorm und machen etliche Wiederholungsexperimente und eine rigorose statistische Analyse erforderlich. Eine Validierung gefundener Expressionsunterschiede mittels einer unabhängigen Methode, wie "Western-Blotting", ist dringend geboten.

3.2.5 "Western-Blotting"

"Western-" oder "Immuno-Blotting" ist eine Methode, die es erlaubt, mit Hilfe eines spezifischen Antikörpers die relative Menge eines bestimmten Proteins in komplexen Proben zu bestimmen. Dazu werden die präparierten Zellen oder Gewebe in einem Probenpuffer mit Natriumdodecylsulfat (SDS) lysiert und die Proteine denaturiert. Das Proteingemisch wird dann auf einem SDS-Polyacrylamidgel nach Molekulargewicht aufgetrennt und danach elektrophoretisch auf eine Membran transferiert. Nach Absättigung der freien Bindestellen auf der Membran, z.B. mit Milchproteinen, wird die Membran mit einem Antikörper inkubiert, der gegen das interessierende Protein gerichtet ist. Mit Hilfe eines sekundären Antikörpers, der mit einem Enzym konjugiert ist, können dann durch eine geeignete enzymatische Reaktion die Stellen (Banden) sichtbar gemacht werden, wo der primäre Antikörper auf der Membran gebunden hat. Durch Nachweis eines geeigneten, nicht regulierten Kontrollproteins unterschiedlicher Größe kann die gleichmäßige Beladung des Gels mit den verschiedenen Proben nachgewiesen werden. Die ursprünglich mehr für den qualitativen Nachweis eingesetzte Methode wird mittlerweile auch sehr häufig für den sehr sensitiven quantitativen Nachweis verwendet. In Verdünnungsreihen muss sichergestellt werden, dass die Menge des interessierenden Proteins und der Beladungskontrolle im linearen Bereich des Nachweisverfahrens liegen, da ansonsten Sättigungseffekte dazu führen, dass bestehende Unterschiede nicht detektiert werden.

3.2.6 Immunzytochemie und Immunhistochemie

Bei der Immunzyto- und Immunhistochemie handelt es sich um mikroskopische Verfahren zum Nachweis von Proteinen in mikroskopischen Präparaten. Mit Hilfe dieser Technik ist die Lokalisation von Proteinen in Zellen oder Geweben möglich. Genau wie beim "Western-Blotting" werden die Proteine durch spezifische Antikörper detektiert, allerdings erfolgt dies hierbei in mikroskopischen Präparaten. Handelt es sich um Gewebsschnitte, spricht man von Immunhistochemie, während man bei Präparaten aus isolierten Zellen oder Zellkulturen von Immunzytochemie spricht. Bei den Präparaten handelt es sich teils um Gefrierschnitte oder Gefrierpräparate von Zellen, häufig werden auch chemisch fixierte Präparate eingesetzt. Die Präparate werden ganz ähnlich wie beim "Western-Blotting" nach Absättigung unspezifischer Bindungsstellen mit einem primären Antikörper inkubiert. Dieser ist entweder selbst mit einem Farbstoff oder einem Enzym konjugiert, so das; er im Lichtmikroskop sichtbar gemacht werden kann, oder er wird durch einen markierten sekundären Antikörper, der an den ersten Antikörper bindet, sichtbar gemacht. Die Methode dient also der Lekalisierung von Proteinen in Zellen und Geweben, wobei sich geringe Proteinmengen sehr genau lokalisieren lassen (< 1 µm). Die Spezifität der Methode hängt von der Qualität der eingesetzten Antikörper ab. Diese Qualität sollte durch entsprechende Kontrollen nachgewiesen werden. Zur Proteinquantifizierung ist die Methode nicht geeignet.

Immunofluoreszenzverfahren werden seit wenigen Jahren auch zum empfindlichen Nachweis von DNA-Veränderungen eingesetzt. Von besonderer Bedeutung ist die Quantifizierung von DNA-Doppelstrangbrüchen (DSB) auf Grund einer Modifizierung des Histons H2a (γH2AX) oder die Bindung von "p53-binding protein". Bei sorgfältiger Durchführung lassen sich weniger als 10 DSB pro Zelle detektieren [Rothkamm und Löbrich, 2003].

3.2.7 Reporter-Gen-Nachweis und "Heat Shock"-Proteine

Genexpression wird durch die Bindung von Transkriptionsfaktoren an die Promotorregionen der betreffenden Gene eingeleitet. Häufig ist das auf dem Gen codierte Protein schwer nachzuweisen, dann bietet es sich an, ein Genkonstrukt herzustellen, welches aus der Promotorregion des zu untersuchenden Gens (Ziel-Gen) und einem Gen (Reporter-Gen), das ein leicht nachweisbares Protein codiert, zusammengesetzt ist. Die leicht nachweisbaren Proteine wie 1-Galactosidase oder "Green Fluorescent Protein" stehen dabei unter der Kontrolle des Promotors aus dem Ziel-Gen. Das Genkonstrukt wird in die gewünschten Zellen hineingebracht (Transfektion). Wenn nun in den transfizierten Zellen Transkriptionsfaktoren aktiviert werden, die das Ziel-Gen einschalten, dann kommt es auch zur Expression des Reporter-Gens, und das leicht nachweisbare Protein wird synthetisiert. Diese Methode, die häufig in Zellkulturen angewendet wird, kann jedoch auch in ganzen Organismen Proteinexpression nachweisen. So wurde Caenorhabditis elegans (Nematode) genetisch so verändert, dass bei Induktion eines "Heat Shock"-Proteins das Enzym beta-Galactosidase synthetisiert wird [Daniells et al., 1998].

Die erwähnten "Heat Shock"-Proteine (hsp) werden von Zellen unter Wärmeeinwirkung oder anderem Stress exprimiert. Zellen reagieren normalerweise auf Wärmeeinwirkung, indem sie Transkription und Translation der meisten Gene einstellen. Es werden jedoch Hitzeschockgene angeschaltet und "Heat Shock"-Proteine synthetisiert. Die "Heat Shock"-Proteine verbessern die Überlebenschancen bei erhöhter Temperatur. Eine der Hauptfunktionen der "Heat Shock"-Proteine ist die Verhinderung unerwünschter Wechselwirkungen innerhalb und zwischen Proteinen, die zur Proteinaggregation und fehlerhafter Faltung führen könnten. "Heat Shock"-Proteine erleichtern die korrekte Faltung von Proteinen. In den letzten Jahren wird zunehmend der potenzielle Einfluss von HF-Feldern auf "Hegt Shock"-Proteine verfolgt. Neben dem beschriebenen Reporter-Gen-Nachweis lassen sich die "Heat Shock"-Proteine, wie andere Proteine auch, mittels "Western-Blotting" oder in mikroskopischen Präparaten mittels Immunhisto- und Immunzytochemie nachweisen.

3.3 Zellzyklusveränderungen

3.3.1 Proliferationsindex

Die Untersuchung von Zellzyklusveränderungen mittels des Proliferationsindexes ist im Kap. 3.1.2 bereits beschrieben.

3.3.2 Durchflusszytometrie

Mit Hilfe der Durchflusszytometrie ist es möglich, den Gehalt von bestimmten Zellinhaltsstoffen in einer sehr großen Zahl von Zellen zu untersuchen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist, dass die zu untersuchenden Substanzen quantitativ mit einem spezifischen Fluoreszenzfarbstoff angefärbt werden können. Ein wichtiges Anwendungsgebiet bildet die Untersuchung des Zellzyklus und etwaiger Veränderungen durch äußere Einflüsse. Hier wird die DNA mit Propidiumjodid markiert, dessen Fluoreszenzsignal der DNA-Menge proportional ist. Auf diese Weise kann der Anteil von Zellen in den verschiedenen Zellzykfusphasen ermittelt werden. Eine selektive Bestimmung von S-Phase-Zellen gelingt nach Einbau des Thymidinanalogs Bromdesoxyuridin (BrdU) mit Hilfe fluoreszierender Antikörper gegen diese Substanz.

Auch Mikrokerne können mit Hilfe der Durchflusszytometrie bestimmt werden. Die Anfärbung erfolgt auch hier in der Regel mit Propidiumjodid. Mikrokerne lassen sich wegen ihres niedrigen DNA-Gehalts von Kernen der Zellen in der G1-Phase unterscheiden. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Empfindlichkeit bei kleinen Signalen deutlich geringer ist, so dass hohe Anforderungen an die Apparatur und die technische Durchführung zu stellen sind. Weiterhin ist hier die Gefahr von Fehlmessungen auf Grund von Verunreinigungen besonders hoch.

Die Durchflusszytometrie ist eine Einzelzellmessung, bei der die Zellen in Suspension in einer Glaskapillare an dem Objektiv eines Mikroskops vorbeigeführt werden. Durch Bestrahlung mit Licht geeigneter Wellenlänge werden die inkorporierten Farbstoffe angeregt. Die hierdurch ausgelösten Fluoreszenzsignale werden gespeichert, und ihre Größenverteilung wird mit Hilfe geeigneter Computer ermittelt.

Weiterentwicklungen der Technik erlauben auch die gleichzeitige Bestimmung verschiedener Zellinhaltstoffe sowie die Auftrennung vitaler Zollen nach unterschiedlichen intrazellulären Stoffkonzentrationen.

4 Auswertung und Statistik

Geeignete statistische Methoden zur Beurteilung zytogenetischer Befunde werden in den "IPSC guidelines for the monitoring of genotoxic effects of carcinogens in humans" [Albertini et al., 2000] diskutiert und sollen hier nicht näher beschrieben werden. Die Besonderheiten bei der statistischen Auswertung von SAGE und Mikroarray-Experimenten sind in Kap. 3.2.2 und 3.2.3 behandelt.

5 Genotoxizität

5.1 Bewertung der Literatur bis 2003

Die umfangreiche Literatur zur genotoxischen Wirkung von HF-Feldern ist in den letzten Jahren in mehreren Übersichtsartikeln und einer Empfehlung der SSK [SSK, 2001] zusammengefasst worden, daher wird die dort behandelte Originalliteratur hier nicht mehr im Einzelnen besprochen, sondern es werden nur die Schlussfolgerungen referiert. Bei einigen Übersichtsartikeln steht die Frage der Kanzerogenität der HF-Felder im Vordergrund [Dasenbrock 2005; Moulder et al., 2005], andere behandeln ausschließlich die Frage der Genotoxizität [Vijayalaxmi und Obe, 2004; Verschaeve, 2005], während Heynick et al. (2003) und Meltz (2003) beide Aspekte besprechen. Die Studien kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass schwache HF-Felder weder karzinogen sind, noch die Wirkung von karzinogenen Substanzen verstärken [Heynick ct al., 2003; Meltz, 2003; Dasenbrock 2005; Moulder et al., 2005]. Die einzige Originalarbeit, die nach Interpretation der Autoren auf eine cokarzinogene Wirkung hindeutet, ist eine tierexperimentelle Studie von Repacholi et al. (1997), in der die Wirkung von HF-Feldern auf einen genetisch veränderten Mausstamm, der spontan häufig Leukämie entwickelt, getestet wurde. Die Tiere, die für 18 Monate täglich zweimal 30 Minuten lang dem Feld eines Mobiltelefons ausgesetzt waren, zeigten eine doppelt so hohe Leukämiehäufigkeit wie die Tiere, die keinem Feld ausgesetzt waren. Utteridge et al. (2002) konnten diese Ergebnisse mit größeren Tierzahlen desselben Stammes sowie zusätzlich mit Wildtyp-Mäusen nicht bestätigen. Um besser definierte Expositionsbedingungen zu erzielen, wurden die Tiere bei Utteridge im Gegensatz zur Studie von Repacholi in ihrer Bewegung eingeschränkt. Auch Sommer et al. (2004) konnten an einem anderen genetisch veränderten Mausstamm AKR/J, der ebenfalls spontan Leukämien entwickelt, nicht die Ergebnisse von Repacholi et al. (1997) bestätigen. Allerdings bestanden zwischen der Studie von Sommer et al. (2004) und der von Repacholi et al. (1997) neben den Unterschieden im Mausstamm auch Unterschiede in der Exposition (vgl. Kap. 6.2).

Bezüglich genotoxischer Wirkungen kommt Meltz (2003) zu dem Schluss, dass die überwiegende Mehrheit der Studien keine Hinweise dafür liefert, dass HF-Felder DNA-Strangbrüche, CA, SCE oder Veränderungen der DNA-Reparatur induzieren. Auch wenn einige wenige Arbeiten eine mögliche Induktion von MN durch HF-Felder vermuten lassen, bestätigt die überwiegende Mehrheit der Studien dies nicht. Verschaeve (2005) schätzt die Situation ähnlich ein. Die Hypothese, dass HF-Felder die Wirkung karzinogener Chemikalien verstärken, wird seiner Meinung nach in der Mehrheit der Studien ebenfalls nicht bestätigt. Trotzdem ist Verschaeve (2005) der Meinung, dass die Literatur noch kontrovers ist, und nur groß angelegte Studien unter gut kontrollierten Bedingungen mit hoher statistischer "Power" zu einer besseren Risikoabschätzung führen können.

Vijayalaxmi und Obe (2004) versuchen, die zytogenetischen Studien in einer tabellarischen Gesamtschau zu bewerten und kommen zu dem Schluss, dass 58% der Studien keinen Hinweis für erhöhte Häufigkeit von Schäden im Genom durch die Einwirkung von HF-Feldern zeigen konnten. 19% der Untersuchungen waren nicht schlüssig und 23% zeigten eine erhöhte Häufigkeit von Schäden an der DNA nach der Einwirkung von HF-Feldern. Die widersprüchlichen Ergebnisse, die sich in einer derartigen vergleichenden Analyse zeigen, sind nach Meinung der Autoren im Wesentlichen durch Unterschiede in den HF-Feldern und den Versuchsdurch-Führungen bedingt. Allein diese Unterschiede machen einen direkten Vergleich nahezu unmöglich. Hinzu kommen mögliche Unterschiede bezüglich der Temperatur-Kontrolle sowie Veränderungen in der Osmolarität und im pH-Wert während der Experimente. Bei der statistischen Auswertung der Ergebnisse werden häufig ungeeignete Methoden eingesetzt, auch dies kann zu den widersprüchlichen Ergebnissen beitragen. Bemerkenswert ist, dass in keinem der Übersichtsartikel von einem Nachweis einer genotoxischen Wirkung der HF-Felder ausgegangen wird.

5.2 Bewertung neuerer Literatur

Die ausgewerteten Arbeiten wurden nach den eingesetzten Zelltypen geordnet, um eine bessere Vergleichbarkeit zu ermöglichen.

5.2.1 Mikrobielle Systeme

Obwohl Mutationsstudien mit Einzellern zum Standardrepertoire bei der Untersuchung auf mögliche genotoxische Wirkungen gehören und sich durch relativ geringen experimentellen Aufwand auszeichnen, gibt es nur zwei Arbeiten aus diesem Forschungskreis, welche sich mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern beschäftigen. Chang et al. (2005) benutzten den klassischen "Ames-Test", um die mutagene Wirkung von 835 MHz-HF-Feldern zu ermitteln. Die Exposition (CW-Modus) erfolgte über 48 Stunden mit einem SAR-Wert von 4 W/kg. Eine mutagene Wirkung konnte nicht festgestellt werden.

Gos et al. (2000) benutzten Hefezellen (Saccharomyces cerevisiae), um Einflüsse von 900 MHz-Feldern (GSM-Modus) bei SAR-Werten von 0,13 und 1,3 W/kg auf Vorwärtsmutationen und Rekombinationsvorgänge zu erfassen. Auch in Bezug auf diese experimentellen Parameter konnte keine Wirkung der Hochfrequenzfelder festgestellt werden.

5.2.2 In-vitro-Exposition: Blutzellen

5.2.2.1 Primäre Lymphozyten

In der Studie von Baohong et al. (2005) wurden isolierte, periphere menschliche Lymphozyten eines männlichen Spenders auf synergistische Wirkungen voll genotoxischen Chemikalien und HF-Feldern untersucht. Exponiert wurde in einem Wellenleiter-Resonator, der von Kuster und Mitarbeitern entwickelt worden ist, bei 1,8 GHz und einer SAR von 3 W/kg bei 37 °C für 2 Stunden [Schuderer et al., 2004b]. Genotoxische Effekte wurden mit dem alkalischen "Comet-Assay" untersucht. Die Auswertung erfolgte mit Hilfe computergesteuerter Bilderfassung in Form von "Tail Moments" sowie der "Tail Length". Die HF-Felder allein führten nicht zu Veränderungen. Als genotoxische Substanzen wurden eingesetzt: Bleomycin (BLM), Mitomycin C (MMC), Methylmethansulfonat (MMS) sowie 4-Nitrochinolin-loxid (4NQO), denen die Zellen für drei Stunden bei 37 °C ausgesetzt waren. Diese Substanzen wurden in vier Konzentrationen allein und in Kombination mit den HF-Feldern getestet. Dabei wurden die Mutagene alternativ vor, während oder nach der HF-Feld-Exposition angewendet. Alle Mutagene allein verursachten im "Comet-Assay" konzentrationsabhängige Veränderungen. Die mutagene Wirkung von MMC und 4NQO wurde durch die Feldeinwirkung signifikant erhöht, unabhängig davon, ob das Mutagen vor, nach oder während der HF-Exposition gegeben wurde.

In zwei Arbeiten aus der Arbeitsgruppe von Harms-Ringdahl wurden isolierte Lymphozyten von gesunden Spendern und von solchen, die sich als hypersensitiv bezeichnen, verglichen [Belyaev et al., 2005; Markova et al., 2005]. Die Lymphozyten wurden alternativ einem HF-Feld oder einem 50 Hz-Magnetfeld ausgesetzt. Als HF-Feld wurde das Feld eines normalen Mobiltelefons in einer TEM-Zelle (GSM-Basic) bei einer SAR von 0,037 W/kg für eine und zwei Stunden angewendet, allerdings ergaben sich vergleichsweise hohe Inhomogenitäten in der SAR-Verteilung. Als ein biologischer Endpunkt wurde die Chromatinstruktur mit Hilfe von Viskositätsmessungen untersucht, zusätzlich wurde "p53-binding protein (53BP1)" als Indikator für Doppelstrangbrüche in immunocytochemischen Untersuchungen mikroskopisch dargestellt. Auch Apoptose wurde mikroskopisch und anhand von DNA-Fragmentierungsmessungen verfolgt (vgl. Kap. 3.1.4). Als Positivkontrollen dienten eine Temperaturerhöhung auf 41 °C und eine Röntgenstrahlendosis von 3 Gy. Die Autoren fanden nach der Anwendung der HF-Felder Veränderungen in der Chromatinstrukhur. Die Häufigkeit von γH2AX und 53BP1 "Foci" war nach Exposition im Vergleich zu scheinexponierten Kontrollen vermindert. Auch wenn die Interpretation der Ergebnisse in ihrer Gesamtheit schwierig ist, zeigen sie jedoch klar, dass keine Induktion von DNA-Doppelstrangbrüchen gemessen werden konnte. Apoptose ließ sich ebenfalls nicht nachweisen, ebenso wenig wie Unterschiede zwischen gesunden und hypersensitiven Personen. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse als einem "Heat Shock" vergleichbar.

Die Arbeitsgruppe um Scarfi hat in mehreren Studien unter dem Einsatz klassischer zytogenetischer Techniken isolierte menschliche Lymphozyten untersucht [Scarfi et al., 2006; Zeni et al., 2003; Zeni et al., 2005]. In der Studie von 2003 wurden CW- und GSM-Felder (900 MHz) in einer TEM-Zelle bei einer SAR von 1,6 W/kg in einem Expositionsschema von 6 min Feld/3 Std. Pause für bis zu 44 Stunden angewendet. Zusätzlich wurden Zellen 1 Stunde täglich bei 0,2 W/kg für drei Tage einem Feld ausgesetzt. Der "Cytokinesis-Block Proliferationsindex" (vgl. Kap. 3.1.2) wurde bestimmt und unter diesen Bedingungen wurden auch die MN ausgewertet. In keinem Fall konnte ein signifikanter Unterschied zwischen exponierten und nicht exponierten Zellen festgestellt werden. Diese Ergebnisse werden durch einen Interlaborvergleich bekräftigt [Scarfi et al., 2006]. Nach Exposition des Blutes von 10 Spendern (900 MHz, 0 - 10 W/kg, 24 Stunden) wurden Mikronuklei in zwei italienischen Labors zunächst unabhängig ausgewertet, und anschließend wurden außerdem die Proben des jeweiligen Partners evaluiert. In keiner der genannten Auswertungen ergaben sich Anzeichen für einen genotoxischen Effekt.

In einer weiteren Studie [Zeni et al., 2005] hat die Gruppe als Expositionseinrichtung einen rechteckigen Wellenleiter eingesetzt, in dem die Zellen bei 900 MHz und SARs von 0,3 oder 1 W/kg für 2 Stunden exponiert wurden. Die Endpunkte waren CA (48 Std.-Kultur), SCE (72 Std.-Kultur), Proliferations- (48 Std.-Kultur) und Mitoseindex (72 Std.-Kultur) sowie alkalischer "Comet-Assay". Als Positivkontrollen dienten Mitomycin C für CA und Methylmethansulfonat für die Kometen. Die Ergebnisse dieser Studie waren negativ.

Zotti-Martelli et al. (2005) widmeten sich vor allem der Frage der Variabilität der gemessenen Effekte. Sie exponierten Lymphozyten von neun Spendern (1800 MHz, 5 - 20 mW/cm2, 1, 2 und 3 Stunden) und wiederholten den Versuch drei Monate später. In jedem Fall wurden Mikrokerne bestimmt. Es zeigte sich eine beträchtliche Variabilität sowohl zwischen den Spendern als auch zwischen den Wiederholungsexperimenten bei identischen Spendern. Dies relativiert auch die im Ganzen festgestellte leichte Erhöhung der Mikrokernhäufigkeit nach Exposition.

In einer Studie an stimulierten Lymphozyten wurde die Verteilung von Chromosom 17 mit Hilfe von spezifischen FISH-Sonden für die Zentromere verfolgt [Mashevich et al., 2003]. Die Zellen wurden für 72 h in einem Parallelplattenresonator bei 830 MHz CW bei 1,6-8,8 W/kg exponiert. Es wurde eine deutliche Zunahme der Aneuploidiehäufigkeit für Chromosom 17 gefunden. Extrapoliert man diese Ergebnisse auf das Gesamtgenom, würde eine erhebliche Zunahme der Häufigkeit von Aneuploidien und in deren Folge der von Mikrokernen zu erwarten sein, die nie gezeigt wurde.

Der Frage der "Co-Karzinogenität" von HF-Feldern wurde schon vor dem Jahr 2000 durch die Gruppe von Verschaeve nachgegangen. In einer ersten Arbeit [Maes et al., 1996] zeigten die Autoren, dass die Zahl der von Mitomycin C ausgelösten DNA-Strangbrüche und Chromosomenaberrationen durch eine Exposition in HF-Feldern signifikant erhöht wurde, das HF-Feld allein hatte keine signifikanten Wirkungen. In weiteren Arbeiten derselben Arbeitsgruppe zeigte sich im Folgenden eine kontinuierliche Verringerung des zunächst beobachteten Effekts: Maes et al. (1997) beschrieben eine nur noch schwach signifikante Wechselwirkung, Maus et al. (2000) Inkonsistenz und schließlich Maes et al. (2001) das Fehlen einer Interaktion zwischen den beiden Agenzien. Im Rahmen des PERFORM B-Projekts initiierte die EU eine Wiederholungsstudie, an der eine britische und eine italienische Arbeitsgruppe beteiligt waren [European Union, 2004b]. Die Ergebnisse liegen nun vor [Stronati at al. 2006]. In der äußerst genau beschriebenen und sorgfältig durchgeführten Arbeit wurden in den beiden Labors unabhängig voneinander menschliche Lymphozyten GSM-Basis-Signalen mit 935 MHz bei einem SAR-Wert von 1 und 2 W/kg 24 Stunden lang ausgesetzt. Unmittelbar vorher oder nachher erfolgte außerdem eine Bestrahlung mit 1 Gy durch eine 250 kV-Röntgenröhre, um mögliche Synergismen zu testen. Beide Labors untersuchten die Entstehung von Mikrokernen und Chromosomenaberrationen, in jeweils einem wurden auch Schwesterchromatidaustausche (SCE) bestimmt bzw. DNA-Veränderungen mit Hilfe des alkalischen Comet-Assays gemessen. Die umfangreich dokumentierten Ergebnisse stellen klar, dass eine Exposition durch HF-Felder allein keine genotoxischen Wirkungen auszulösen in der Lage ist, ebenfalls konnte keine synergistische Interaktion mit Röntgenstrahlen festgestellt werden. Proben, welche nur mit Röntgenstrahlen bestrahlt wurden, dienten gleichzeitig als Positivkontrollen.

In einer Studie von Vijayalaxmi (2006) wurden unstimulierte und stimulierte Lymphozyten verglichen. Exponiert wurden urstimulierte Lymphozyten mittels einer Hornantenne in einer Absorberkammer bei 2,45 GHz gepulst und einer SAR von 2 W/kg für 2 h. In einer zweiten Serie wurden unstimulierte und stimulierte Lymphozyten in gleicher Weise mit 8,2 GHz bei 21 W/kg unter kontrollierten Temperaturbedingungen exponiert. Untersucht wurden der Mitoseindex, Chromosomenaberrationen und Mikrokerne. Alle Ergebnisse mit Ausnahme der Positivkontrollen waren negativ.

UWS Umweltmanagement GmbHweiter .Frame öffnen