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Entschließung A.1075(28)
Richtlinien zur Unterstützung von Untersuchern bei der Umsetzung des Unfall-Untersuchungs-Codes (Entschließung MSC.255(84))
Vom 7. November 2017
(VkBl. Nr. 23 vom 15.12.2017 S. 1067)
(angenommen am 4. Dezember 2013)
WS 22/6225.2/7
Siehe Fn. *
Die Versammlung -
gestützt auf Artikel 15 Buchstabe j des Übereinkommens über die Internationale Seeschifffahrts-Organisation hinsichtlich der Aufgaben der Versammlung in Bezug auf Vorschriften und Richtlinien für die Sicherheit auf See und die Verhütung und Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Schiffe;
besorgt darüber, dass sich trotz aller diesbezüglichen Bemühungen der Organisation weiterhin Unfälle und Vorkommnisse ereignen, bei denen es zu Todesfällen, zum Verlust von Schiffen und zur Verschmutzung der Meeresumwelt kommt;
unter Hinweis darauf, dass durch zeitnahe und sorgfältige Berichte mit einer Darstellung der näheren Umstände und Ursachen von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See die Sicherheit von Seeleuten und Fahrgästen sowie der Schutz der Meeresumwelt verbessert werden kann;
sowie unter Hinweis auf die Rechte und Pflichten der Küsten- und Flaggenstaaten nach den Artikeln 2 und 94 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (UN-CLOS);
ferner unter Hinweis auf die Verantwortung der Flaggenstaaten nach dem Internationalen Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) (Regel I/21), dem Internationalen Freibord-Übereinkommen von 1966 (Artikel 23) und dem Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) (Artikel 12) für die Durchführung von Unfalluntersuchungen und die Übermittlung der entsprechenden Ergebnisse an die Organisation;
in Anbetracht der Tatsache, dass jede Verwaltung Untersuchungen von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See im Einklang mit SOLAS-Regel XI-1/6, ergänzt durch den mit Entschließung MSC.255(84) angenommenen Code über internationale Normen und empfohlene Verfahrensweisen für die Sicherheitsuntersuchung eines Seeunfalls oder eines Vorkommnisses auf See (Unfall-Untersuchungs-Code), durchführt;
in der Erkenntnis, dass die Untersuchung und sachbezogene Analyse von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See zu einem besseren Verständnis der Unfallursachen und zu entsprechenden Abhilfemaßnahmen, einschließlich der Verbesserung der Ausbildung, führen können, deren Zweck die Erhöhung der Sicherheit des menschlichen Lebens auf See und ein besserer Meeresumweltschutz sind;
in Anerkennung der Notwendigkeit von Richtlinien zur Unterstützung von Untersuchern bei der Umsetzung des Unfall-Untersuchungs-Codes (Entschließung MSC.255(84)), die den Staaten, im Rahmen des nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften Zulässigen, ein einheitliches Verfahren bei der Durchführung von Sicherheitsuntersuchungen von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See an die Hand geben;
sowie in Anerkennung des internationalen Charakters der Seeschifffahrt und der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Regierungen, die ein begründetes Interesse an einem Seeunfall oder einem Vorkommnis auf See haben, zum Zwecke der Ermittlung seiner Umstände und Ursachen;
nach Prüfung der vom Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt auf seiner fünfundsechzigsten Tagung sowie der vom Schiffssicherheitsausschuss auf seiner zweiundneunzigsten Tagung ausgesprochenen Empfehlungen -
wie möglich wirksam werden zu lassen, damit bei der Durchführung einer Sicherheitsuntersuchung eine effektive Analyse erfolgen kann und damit Präventivmaßnahmen ergriffen werden können;
3 hebt die Entschließungen A.849(20) und A.884(21) auf.
Richtlinien zur Unterstützung von Untersuchern bei der Umsetzung des Unfall-Untersuchungs-Codes - Entschließung MSC.255(84)
1 Einführung
1.1 Zweck dieser Richtlinien ist es, praktischen Rat für die systematische Untersuchung von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See zur Verfügung zu stellen und die Entwicklung einer effektiven Analyse sowie von Präventivmaßnahmen zu ermöglichen. Das übergreifende Ziel besteht darin, ähnliche Unfälle und Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern.
1.2 Der letztendliche Zweck einer Sicherheitsuntersuchung besteht in der Verbesserung der Sicherheit auf See und des Schutzes der Meeresumwelt. Im Rahmen dieser Richtlinien wird dieses Ziel durch die Ermittlung von Sicherheitsmängeln im Wege einer systematischen Sicherheitsuntersuchung von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See und die anschließende Empfehlung beziehungsweise Herbeiführung von Änderungen im Seeverkehrssystem zur Beseitigung dieser Mängel erreicht. Sicherheitsuntersuchungen haben nicht den Zweck, Haftungsfragen zu klären oder Schuldzuweisungen zu treffen.
1.3 Diese Richtlinien sollen bei allen Beteiligten der Schifffahrtsindustrie eine Schärfung des Bewusstseins bezüglich der menschlichen, organisatorischen, umweltbezogenen, technischen und externen Einflussfaktoren bewirken, die im Falle von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See eine Rolle spielen können. Dieses Bewusstsein soll zu proaktiven Maßnahmen seitens der Seeschifffahrtsgemeinschaft führen, die wiederum zur Rettung von Menschenleben, Schiffen, Ladung und dem Schutz der Meeresumwelt sowie zu einer Verbesserung der Lebensumstände von in der Seeschifffahrt tätigen Personen und zu einem sichereren Schiffsbetrieb führen sollen.
1.4 Diese Richtlinien finden, im Rahmen des nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften Zulässigen, auf die Untersuchung von Seeunfällen oder Vorkommnissen auf See Anwendung, an denen ein oder mehrere Staaten ein begründetes Interesse haben, da an dem Unfall beziehungsweise Vorkommnis ein Schiff beteiligt war, das ihrer Hoheitsgewalt unterlag.
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Tabelle mit Begriffsbestimmungen
Für in diesen Richtlinien nicht bestimmte Begriffe siehe Kapitel 2 des Unfall-Untersuchungs-Codes (Entschließung MSC.255(84)).
Ereignis | Eine Handlung, ein Unterlassen oder ein sonstiger Vorfall. |
Unfallereignis | Der Seeunfall oder das Vorkommnis auf See oder einer von mehreren zusammenhängenden Seeunfällen und/oder Vorkommnissen auf See, die das Gesamtgeschehen bilden (z.B. ein Feuer, das zum Verlust des Antriebs führt, wodurch das Schiff dann auf Grund läuft). |
Zwischenfall | Ein Ereignis, das als unsachgerecht und im Rahmen der Ereignisabfolge, die zu dem Seeunfall oder Vorkommnis auf See geführt hat, als erheblich bewertet wird (z.B. menschliches Versagen, Ausrüstungsdefekte). |
Mitursächlicher Faktor | Ein Umstand, der möglicherweise für einen Zwischenfall mitursächlich war oder dessen Auswirkungen verschlimmert hat (z.B. Interaktion zwischen Mensch und Maschine, unzureichende Beleuchtung). |
Sicherheitsproblem | Ein Problem, das einen oder mehrere mitursächliche Faktoren und/oder sonstige unsichere Umstände umfasst. |
Sicherheitsmangel | Ein mit Risiken behaftetes Sicherheitsproblem, bei dem die bestehenden Schutzmaßnahmen zur Verhütung eines Zwischenfalls und/oder solche zur Beseitigung oder Verminderung seiner Auswirkungen entweder als unzureichend oder nicht vorhanden bewertet werden. |
2.2 Das folgende Schaubild zeigt, wie eine Ereignisabfolge, die zu einem Unfall führt, unter Verwendung der vorstehenden Begriffe eingestuft würde.
3 Qualifikation und Ausbildung von Untersuchern
3.1 Um das Ziel einer systematischen und effektiven Sicherheitsuntersuchung zu erreichen, müssen die ernannten Untersucher über Fachkenntnisse im Bereich der Seeunfalluntersuchung und über fundierte Kenntnisse in mit dem Seeunfall oder Vorkommnis auf See in Zusammenhang stehenden Belangen verfügen. Die Fachgebiete müssen Techniken zur Sammlung von Beweismitteln, Befragungstechniken, Analysetechniken sowie die Ermittlung menschlicher und organisatorischer Einflussfaktoren bei Seeunfällen und Vorkommnissen auf See umfassen.
3.2 Alle Untersucher, die den Schauplatz eines Seeunfalls aufsuchen, sollen über hinreichende Kenntnisse im Bereich der persönlichen Sicherheit verfügen und insbesondere davon Kenntnis nehmen, dass die am Unfallort bestehenden Gefahren möglicherweise deutlich über die Gefahren des regulären Schiffsbetriebs hinausgehen.
3.3 Eine Seeunfalluntersuchungsbehörde soll in Betracht ziehen, ein formelles Ausbildungsprogramm zu entwickeln, um sicherzustellen, dass ihre Untersucher die erforderlichen Kenntnisse, Einsichten und Fähigkeiten zur Durchführung von Sicherheitsuntersuchungen erwerben.
4 Unterrichtung und Zusammenarbeit
4.1 Über einen Seeunfall oder ein Vorkommnis auf See sind alle betroffenen Parteien so schnell wie dies unter den gegebenen Bedingungen möglich ist zu unterrichten. Die Unterrichtung umfasst die Inkenntnissetzung der an dem Unfall oder Vorkommnis beteiligten Parteien nach Kapitel 20 des Codes sowie aller Staaten mit einem begründeten Interesse nach Kapitel 5 des Codes. Die Unterrichtung soll vorzugsweise in einem Format erfolgen, das eine umgehende Bestätigung durch den Empfänger gewährleistet.
4.2 Betrifft der Unfall oder das Vorkommnis die begründeten Interessen mehr als eines Staates, so sollen die Staaten zügig eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit nach Kapitel 7 des Codes treffen. Diese Vereinbarung kann unter anderem Folgendes umfassen:
4.3 Kann keine Vereinbarung nach Kapitel 7 des Codes erzielt werden, sollen sich die beteiligten Staaten bemühen, im größtmöglichen Umfang Sachinformationen auszutauschen und sich dabei von den im Code empfohlenen Verfahrensweisen leiten lassen.
5 Untersuchung
5.1 Umfang der Untersuchung
5.1.1 Seeunfälle und Vorkommnisse auf See können eine Vielzahl ursächlicher Faktoren haben und die ihnen zugrunde liegenden Sicherheitsprobleme liegen oftmals fernab des Unfallorts. Eine ordnungsgemäße Ermittlung dieser Faktoren erfordert eine rechtzeitige und methodische Untersuchung, die in ihrer Suche nach Umständen, die künftige Vorfälle verursachen könnten, weit über die unmittelbaren Beweismittel hinausgeht. Untersuchungen von Seeunfällen und Vorkommnissen auf See sollen dementsprechend als Mittel dazu gesehen werden, nicht nur die Zwischenfälle aufzuklären, sondern auch Sicherheitsmängel im Management des Schiffsbetriebs insgesamt - von der Betriebspolitik bis hin zu deren Umsetzung - sowie in den Bereichen Regulierung, Besichtigung und Überprüfung zu ermitteln. Deshalb sollen Sicherheitsuntersuchungen breit genug angelegt sein, um diesen vorrangigen Kriterien gerecht zu werden.
5.1.2 Eine Sicherheitsuntersuchung lässt sich in fünf Bereiche gliedern:
5.2 Erstmaßnahmen
Eine Untersuchung soll sobald wie möglich im Anschluss an einen Vorfall durchgeführt werden, um den Verlust kurzlebiger Beweismittel, einschließlich des nachlassenden Erinnerungsvermögens von Zeugen, zu begrenzen. Um zügig mit der Untersuchung beginnen zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass der untersuchende Staat über einen Bereitschaftsplan verfügt, der unter anderem Folgendes ermöglicht:
5.3 Maßnahmen am Unfallort
5.3.1 Maßnahmen am Unfallort beginnen im Allgemeinen sogar noch vor dem Eintreffen des Untersuchers am Unfallort. Die Vorplanung umfasst häufig Folgendes:
5.3.2 Im Anschluss an einen Seeunfall oder ein Vorkommnis auf See kann es eine Vielzahl verschiedener Beteiligter mit jeweils eigenen begründeten Interessen und Verantwortlichkeiten geben. Eine Abstimmung am Unfallort ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Sammlung von Beweismitteln erfolgreich verläuft.
5.3.3 Bei Ankunft am Unfallort soll die Gefahren- und Risikobewertung überprüft werden, um etwaige zusätzliche Risiken für das Team zu ermitteln und möglicherweise erforderliche Abhilfemaßnahmen zu treffen, bevor das Team die Arbeit aufnimmt.
5.4 Auftaktsitzung
Bei Sicherheitsuntersuchungen, die mehr als einen Staat betreffen, ist es im Allgemeinen sinnvoll, frühzeitig eine Sitzung mit Vertretern des anderen Staates bzw. der anderen Staaten mit begründetem Interesse anzuberaumen. Der Zweck der Auftaktsitzung besteht unter anderem darin, Folgendes zu erleichtern:
5.5 Sammlung von Beweismitteln
5.5.1 Die Untersucher sollen während der Sicherheitsuntersuchung bestrebt sein, alle Beweismittel und Tatsacheninformationen zusammenzutragen und zu erfassen, die im Rahmen der Untersuchung von Bedeutung sein könnten. Materielle und schriftliche Beweismittel sowie Zeugenaussagen sollen nicht nur am Unfallort selbst, sondern auch unter Rückgriff auf alle zur vollständigen Klärung der Zwischenfälle und ihrer mitursächlichen Faktoren (z.B. Betrieb, Management, Überprüfung und Regulierung) erforderlichen Quellen gesammelt werden.
5.5.2 Die Sammlung von Beweismitteln muss zudem hinreichend breit angelegt sein, um die menschlichen, organisatorischen und umweltbezogenen Einflussfaktoren, die mit dem Unfall oder Vorkommnis im Zusammenhang stehen, abzudecken. Wird ein Spezialist für menschliche und organisatorische Einflussfaktoren benötigt, so ist es von entscheidender Bedeutung, diesen Sachverständigen so früh wie möglich in das Untersucherteam aufzunehmen.
5.5.3 Um eine umfassende Sammlung von Beweismitteln zu erleichtern, ist es häufig sinnvoll
5.5.4 Es wird empfohlen, das Stadium der Tatsachenerhebung innerhalb des Untersuchungsvorgangs getrennt von dem Stadium zu halten, in dem die gesammelten Beweismittel vollständig analysiert werden, um so zu Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu gelangen. Die Tatsachenerhebung umfasst üblicherweise die in den Abschnitten 5.6 bis 5.10 behandelten Bereiche, ist allerdings nicht notwendigerweise auf diese beschränkt.
5.6 Untersuchung des Unfallorts
5.6.1 Die Untersuchung und die dokumentarische Erfassung des Unfallorts und von Orten, die für die Untersuchung von Interesse sind, können die Überprüfung des bzw. der beteiligten Schiffe, des Fahrwassers, in dem sich der Unfall oder das Vorkommnis ereignet hat, sowie Unterwasseruntersuchungen und das Filmen eines Schiffswracks umfassen.
5.6.2 Die Sammlung von Beweismitteln, deren Zustand sich mit der Zeit verschlechtern kann oder die verschwinden können, hat bei der Sammlung von Beweismitteln immer die höchste Priorität, wenn der bzw. die Untersucher am Unfallort eintreffen. Die Foto- und Videodokumentation des Unfallorts im Ganzen und im Einzelnen sowie vor der Entfernung von Beweismitteln vom Fundort hat im Allgemeinen auch eine hohe Priorität.
5.6.3 Liegen kurzlebige Beweismittel vor und ist es möglich, dass der bzw. die Untersucher verspätet am Unfallort eintreffen, kann es erforderlich sein, Anweisungen zur Erhaltung der Beweismittel zu erteilen.
5.7 Zusammentragen oder Erfassen materieller Beweismittel
5.7.1 Zu den materiellen Beweismitteln können Daten aus dem Schiffsdatenschreiber (VDR) und sonstigen elektronischen Geräten an Bord, wie elektronische Seekartendarstellungssysteme und Brandmeldezentralen, sowie nautische Karten, an Bord erhaltene Wettervorhersagen und Logbücher zählen. Die Beweismittel können auch technische Proben von Öl-, Farb- oder Brandrückständen sowie Teile defekter Maschinen und andere defekte Teile umfassen.
5.7.2 Zur Vermeidung einer Kontaminierung, einer weiteren Verschlechterung oder eines Verlusts von Beweismitteln ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Person, die elektronische, schriftliche oder materielle Beweismittel sammelt, über fundierte Kenntnisse in den einschlägigen Techniken für die Sammlung und die Lagerung dieser Beweismittelarten verfügt.
5.7.3 Einige wertvolle Informationen können auch aus externen Quellen beschafft werden, wie CCTV- Videoüberwachungssysteme, landgestützte Radar- und Funküberwachungssysteme und Leitstellen zur Koordinierung der Seenotrettung. Auch die Verkehrszentralen können möglicherweise wertvolle Informationen zur Verfügung stellen, einschließlich Funkverkehrsaufzeichnungen und AIS-Daten.
5.8 Angaben von Zeugen
5.8.1 Zeugenbefragungen sollen von Personen durchgeführt werden, die über Fachkenntnisse in Befragungstechniken verfügen, sodass Informationen offengelegt werden können, die der Zeuge möglicherweise zur Verfügung stellen kann. Die Planung der Befragung ist für deren Erfolg von entscheidender Bedeutung. Es sind unter anderem folgende Aspekte zu berücksichtigen:
dem Zeugen zu behandeln gilt.
5.8.2 Die zu befragende Person soll vor Beginn der Befragung über den Zweck der Untersuchung und die Umstände, unter denen sie ihre Angaben macht, informiert werden. Der Zeuge soll im Allgemeinen alleine oder im Beisein einer von ihm benannten Person befragt werden. Allerdings soll es der benannten Person nicht gestattet sein, in die Befragung einzugreifen. Dem Zeugen soll auf seinen Wunsch hin auf jeden Fall der Zugang zu rechtlicher Beratung gewährt werden (siehe Kapitel 12 des Codes).
5.8.3 Die Befragung kann aufgezeichnet oder schriftlich protokolliert werden. Das schriftliche Protokoll soll mit dem Zeugen besprochen werden, um etwaige Unregelmäßigkeiten zu klären. Zeugenaussagen sollen, wann immer dies möglich ist, verifiziert werden. Die Aussagen verschiedener Zeugen können im Widerspruch zueinander stehen und weitere stützende Beweise können erforderlich sein.
5.9 Prüfung von Unterlagen, Verfahren und Aufzeichnungen
5.9.1 Zu den zu prüfenden Unterlagen zählen personen- und schiffsbezogene Bescheinigungen, Berichte der Klassifikationsgesellschaft des Schiffes, Instandhaltungsaufzeichnungen, die stehenden Anweisungen des Kapitäns usw. Zudem kann eine Bewertung des Sicherheitsmanagementsystems der Reederei vorgenommen werden - von deren Sicherheitspolitik bis hin zu ihrer Umsetzung innerhalb der Organisation.
5.9.2 Staatliche Dienststellen, wie die Zollverwaltung, die Gesundheitsämter oder sonstige staatliche Verwaltungsstellen können möglicherweise zweckdienliche Angaben bezüglich Besatzungslisten, des allgemeinen Zustands des Schiffes, der Schiffspapiere usw. bereitstellen. Gerichtsmediziner bzw. mit Todesfällen befasste Untersuchungsrichter und medizinische Aufzeichnungen können ebenfalls wertvolle Informationen liefern. Darüber hinaus können unter Umständen Hafenbehörden und unabhängige Besichtiger über Informationen verfügen, die für eine Untersuchung von Nutzen sein können. Auch die geltenden Vorschriften müssen ggf. untersucht werden.
5.9.3 Eine gut geführte Untersuchung prüft den Grad der Übereinstimmung zwischen den Unterlagen und den wirklichen Gegebenheiten auf allen erheblichen Ebenen; hierzu ist im Allgemeinen ein gewisses Maß an Fachkenntnissen erforderlich.
5.10 Durchführung von Sonderuntersuchungen (im Bedarfsfall)
5.10.1 In manchen Fällen kann es erforderlich sein, Sonderuntersuchungen durchzuführen, um zu ermitteln, wie es zu einem Unfall oder Vorkommnis gekommen ist. Diese können beispielsweise Folgendes umfassen: metallurgische Untersuchungen defekter Maschinenteile durch Spezialisten, Analyse von Öl- oder Farbrückständen, Berechnung und Rekonstruktion der Stabilitätseigenschaften eines Schiffes, Berechnungen im Zusammenhang mit der Ladungssicherung, Analyse der Wetter- und Seegangsverhältnisse zur Zeit und am Ort des Unfalls oder Vorkommnisses durch Spezialisten sowie die Verwendung von Simulatoren zur Rekonstruktion und Analyse von Ereignisabfolgen.
5.10.2 Führt die vorgeschlagene Prüfung eines materiellen Beweismittels aller Voraussicht nach dazu, dass sich dessen Zustand verändert, sollen andere interessierte Parteien, die möglicherweise auf dieses Beweismittel angewiesen sind, konsultiert werden.
5.11 Rekonstruktion und Analyse
5.11.1 Es gibt mehrere verschiedene Verfahren zur Organisation von Beweismitteln, die die Rekonstruktion und Analyse im Rahmen von Sicherheitsuntersuchungen erleichtern, wobei jedes seine eigenen Vor- und Nachteile hat. Um sicherzustellen, dass ein Unfall oder Vorkommnis aus sicherheitstechnischer Sicht gründlich untersucht wird, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Untersuchung aus einer systemischen Perspektive heraus erfolgt. Eine systemische Perspektive geht über die Beantwortung der Frage "Wer hat was getan?" hinaus und forscht nach den Umständen, welche die verschiedenen erheblichen Ereignisse beeinflusst haben - selbst wenn diese Umstände fernab des Unfallorts zu finden sind. Eine systemische Perspektive betrachtet die menschlichen Einflussfaktoren auch im Zusammenhang und schließt das Zusammenwirken von Mensch, Maschine und der Organisation ein.
5.11.2 Die eingesetzten Analyseverfahren helfen dem Untersucher dabei, strukturiert zu denken, haben aber ebenso einen Einfluss darauf, wo der Untersucher seine Schwerpunkte setzt. Bei manchen Verfahren liegt der Schwerpunkt auf den menschlichen Einflussfaktoren; einige zielen auf ein besseres Verständnis der Ereignisabfolge ab; andere sind bei komplexen Sicherheitsanalysen hilfreicher oder richten sich auf ein besseres Verständnis technischer Fehler. Analyseverfahren sollen dementsprechend eher als "Werkzeuge in einem Werkzeugkasten" verstanden werden. Eine gut geführte Untersuchung wählt den Satz an Analysewerkzeugen, der optimal zu den Charakteristika des konkreten Unfalls oder Vorkommnisses passt. Als Mindestanforderung soll das Verfahren bzw. die Kombination von Verfahren, das bzw. die in der jeweiligen Untersuchung angewendet wird bzw. werden, Folgendes ermöglichen:
5.12 Rekonstruktion der Unfallereignisse und der ihnen zugrunde liegenden Umstände
5.12.1 Der erste Schritt der Analyse besteht in der Prüfung der Tatsacheninformationen, um zu klären, was von Bedeutung ist und was nicht, und um sicherzustellen, dass die Informationen so vollständig wie möglich sind. Dieses Stadium der Analyse soll zum Ziel haben, festzustellen, wie der Seeunfall oder das Vorkommnis auf See zustande gekommen ist. Die Rekonstruktion ist vorzugsweise unter Verwendung eines Verfahrens durchzuführen, das eine grafische Darstellung der Ereignisabfolge ermöglicht. Dies ist von Vorteil, da es dem Untersucher die Möglichkeit gibt, den Fall zu erörtern und vorzustellen sowie, insbesondere,
5.12.2 Bei der Untersuchung von Seeunfällen oder Vorkommnissen auf See handelt es sich um einen iterativen Vorgang und im Rahmen der Rekonstruktionsphase wird im Allgemeinen festgestellt, dass der Beweismittelsammelplan überarbeitet werden muss.
5.13 Sicherheitsanalyse
Der Zweck der Sicherheitsanalyse besteht darin, einen tieferen Einblick in die zugrunde liegenden Sicherheitsprobleme zu gewinnen, die einen Unfall oder ein Vorkommnis verursachen oder zu diesem beitragen können. Manche Analyseverfahren für Untersuchungen fassen Unfallrekonstruktion und Sicherheitsanalyse zusammen. Einige grundlegende Analyseverfahren können direkt mit der Rekonstruktion von Ereignissen verbunden sein, während andere Sicherheitsanalysewerkzeuge von anderen Modellen zur Bestimmung der Unfallursache abgeleitet sein können und sich besser zur Nutzung als eigenständige Verfahren eignen. Effiziente Sicherheitsanalysewerkzeuge
6 Berichterstattung
6.1 Berichtspflichten
6.1.1 MSC-MEPC.3/Circ.4 schreibt die Eingabe bestimmter Seeunfalldaten in das GISIS-Modul für Seeunfälle und Vorkommnisse auf See vor, zusammen mit der endgültigen Fassung eines Untersuchungsberichts.
6.2 Abschlussbericht
6.2.1 Zur Förderung des Informationsflusses soll der Abschlussbericht der Sicherheitsuntersuchung gut strukturiert sein und die in Absatz 2.12 des Codes aufgeführten Punkte umfassen. Der Bericht soll in seinen verschiedenen Teilen klar zwischen Tatsachen und Analyse unterscheiden.
6.2.2 Der Bericht soll in nicht wertender Sprache verfasst werden, um den Berichtszweck widerzuspiegeln, der darin besteht, die Sicherheit auf See und den Schutz der Meeresumwelt zu verbessern. Die Namen der Zeugen und ihre persönlichen Daten, anhand derer sie möglicherweise identifiziert werden könnten, sollen vertraulich bleiben.
6.2.3 Bei Untersuchungen ist es in der Praxis üblich, Informationslücken, die sich nicht aufklären lassen, mithilfe logischer Extrapolation und begründeter Annahmen zu schließen. Solche Extrapolationen und Annahmen sollen als solche gekennzeichnet und mit einem Hinweis zum Grad ihrer Verlässlichkeit versehen werden. Trotz besten Bemühens führt die Analyse möglicherweise nicht zu eindeutigen Schlussfolgerungen. In solchen Fällen sollen die wahrscheinlicheren Hypothesen dargestellt werden.
6.2.4 Werden Sicherheitsempfehlungen ausgesprochen, so sollen sie an diejenigen gerichtet werden, die am ehesten in der Lage sind, sie umzusetzen, wie Schiffseigner, Manager, anerkannte Organisationen, Seeschifffahrtsbehörden, Verkehrszentralen, Notfalldienste und internationale sowie regionale Seeschifffahrtsorganisationen und -institutionen. Sicherheitsempfehlungen sollen immer durch die Tatsachen und die Analyse der Sicherheitsuntersuchung gestützt werden. Damit sie Akzeptanz finden, müssen Empfehlungen praktikabel, notwendig und mit hoher Wahrscheinlichkeit wirkungsvoll sein.
6.2.5 Wird während einer Untersuchung ersichtlich, dass ein Sicherheitsmangel besteht, der ein ernstes Gefährdungspotenzial für Menschenleben, Schiffe oder die Umwelt bedeutet, sollen Schritte ergriffen werden, um die für den Umgang mit diesem Risiko verantwortlichen Personen bzw. die verantwortliche Organisation entsprechend zu informieren. Dies kann in Form einer vorläufigen Sicherheitsempfehlung oder im Wege anderweitiger Korrespondenz geschehen. Es ist wichtig, Maßnahmen zur Bewältigung solcher Sicherheitsrisiken nicht bis zum Abschluss der Untersuchung hinauszuzögern.
6.3 Konsultationen
6.3.1 Nach den Absätzen 25.2 und 25.3 des Codes soll der Untersucher den interessierten Parteien im Sinne des Absatzes 2.7 des Codes, sofern dies durchführbar ist, eine Abschrift des Untersuchungsberichtsentwurfs übermitteln, um ihre Stellungnahmen zu diesem einzuholen. So steht ein Verfahren für die Berichtigung der in einem Bericht enthaltenen Tatsachenangaben zur Verfügung und es besteht die Möglichkeit, alternative Hypothesen oder Meinungen im Hinblick auf die Analyse zu berücksichtigen. Zudem erlaubt dies es den verantwortlichen Parteien, z.B. dem Betreiber des Schiffes, darzulegen, welche Sicherheitsmaßnahmen möglicherweise im Hinblick auf ein Sicherheitsproblem ergriffen worden sind. Alle derartigen Maßnahmen sollen in den Abschlussbericht aufgenommen werden.
6.3.2 Der Untersucher soll die Stellungnahmen vor Fertigung des Abschlussberichts unter Beachtung des Absatzes 25.3 des Codes prüfen.
6.4 Veröffentlichung
6.4.1 Der Abschlussbericht soll der Öffentlichkeit und der Schifffahrtsindustrie in Übereinstimmung mit Absatz 14.4 des Codes zur Verfügung gestellt werden. Das Internet ist ein wertvolles Medium, um der Öffentlichkeit einen Bericht zugänglich zu machen.
6.4.2 Eine in die englische und/oder andere wichtige Sprachen übersetzte Zusammenfassung des Untersuchungsberichts und etwaiger Sicherheitsempfehlungen ermöglicht der Weltöffentlichkeit den Zugang zu wichtigen Sicherheitsinformationen aus der Untersuchung.
6.5 Nachprüfung der Umsetzung von Sicherheitsempfehlungen
6.5.1 Zur Förderung von Sicherheitsmaßnahmen soll die Umsetzung jeder an eine Person oder eine bestimmte Organisation gerichteten Empfehlung unter Einhaltung eines angemessenen Zeitabstands nach Freigabe eines endgültigen Untersuchungsberichts überprüft werden. Es hat sich weiterhin bewährt, sicherheitsfördernde Maßnahmen, die zur Umsetzung einer Empfehlung ergriffen wurden, durch Veröffentlichung zu verstärken.
Bereiche bei der Untersuchung menschlicher und organisatorischer Einflussfaktoren | Anhang |
Die in diesem Anhang aufgeführten Untersuchungsbereiche können für die Planung der Untersuchung menschlicher und organisatorischer Faktoren im Zuge einer Sicherheitsuntersuchung verwendet werden. Manche Untersuchungsbereiche überschneiden sich oder sie erstrecken sich auf eine Vielzahl von Wechselbeziehungen. Die Leitlinien erheben weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch sind sie als Prüfliste gedacht, deren einzelne Punkte immer alle untersucht werden müssen. Einige Bereiche sind bei der Untersuchung eines bestimmten Vorfalls möglicherweise unerheblich, während in anderen Bereichen eine tiefer gehende Untersuchung erforderlich sein kann. Treten neue menschliche und organisatorische Einflussfaktoren bzw. Probleme zutage, müssen die Untersucher sich mit neuen Untersuchungsbereichen befassen.
Durch geschicktes Befragen kann ein Untersucher leichter herausfinden, in welcher Richtung die Untersuchung wenig ergiebig ist und sich auf Bereiche von potenziell größerer Bedeutung konzentrieren. Die Reihenfolge der Fragen und die Art und Weise, wie sie gefragt werden, hängt davon ab, wer befragt wird sowie von der Bereitschaft und Fähigkeit dieser Person, sich an ihr persönliches Verhalten und ihre persönlichen Eindrücke zu erinnern und dieses bzw. diese zu schildern. Eine Ausbildung in kognitiven Befragungstechniken erleichtert es Untersuchern, von den befragten Personen genaue Informationen zu erlangen und wird dringend empfohlen. Darüber hinaus ergibt sich in Anbetracht des Umstands, dass es bei der Interaktion zwischen Menschen, und so auch bei Befragungen, zu Missverständnissen kommen kann, in aller Regel die Notwendigkeit, die von einer Person gelieferten Informationen im Wege der Befragung anderer Personen zu der gleichen Angelegenheit bzw. den gleichen Angelegenheiten zu verifizieren, nachzuprüfen oder zu ergänzen.
Zwar können Untersucher durch Befragungen wichtige menschliche und organisatorische Einflussfaktoren bzw. diesbezügliche Informationen in Erfahrung bringen, gleichzeitig aber müssen sie sicherstellen, dass sie sich auch auf andere Weise um zusätzliche Informationen bemühen. Die Untersuchung von Dienstplänen, Verfahrensweisen, Personalakten, Aufzeichnungen über die Meldung sicherheitsrelevanter Vorfälle sowie von Risikobewertungsprotokollen (beispielsweise) kann entscheidende Einblicke in Praktiken, Normen und Haltungen geben, die möglicherweise einen Einfluss auf die Sicherheit haben.
Schiffsbezogene Angelegenheiten
1 Ausbildung und Erfahrung
2 Organisationsstruktur und Abläufe an Bord
3 Art der Aufgaben
4 Tätigkeiten vor dem Vorfall
5 Arbeitszeiten/Ruhezeiten/Freizeitschema
6 Lebensbedingungen und persönliches Umfeld an Bord
7 Körperliche Gesundheit
8 Geistige Gesundheit
9 Beziehungen am Arbeitsplatz
10 Beschäftigungsbedingungen
11 Sicherheitspolitik
12 Personalbestand
13 Stehende Anweisungen
14 Grad der Automatisierung und Zuverlässigkeit der Ausrüstung
15 Bauweise des Schiffes, Schiffsbewegungen/Eigenschaften der Ladung
Managementbezogene Angelegenheiten des Landbetriebs
16 Managementgrundsätze und -verfahren
17 Einteilung der Arbeits- und Ruhezeiten
18 Personalbestand
19 Zuweisung von Aufgaben
21 Planung von Seereisen und Anlaufhäfen
22 Freizeiteinrichtungen
23 Vertragliche bzw. Tarifabsprachen und -vereinbarungen
24 Nationale/Internationale Vorschriften
*) Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) hat durch die Entschließung A.1075(28) Richtlinien zur Unterstützung von Untersuchern bei der Umsetzung des Unfall-Untersuchungs-Codes (Entschließung MSC.255(84) vom 16. Mai 2008 (VkBl. 2010 S. 632)) verabschiedet. Diese Richtlinien werden nachstehend bekannt gegeben.
ENDE |