Druck- und LokalversionFür einen individuellen Ausdruck passen Sie bitte die
Einstellungen in der Druckvorschau Ihres Browsers an.
Regelwerk

Änderungstext

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen in Baden-Württemberg
- Baden-Württemberg -

Vom 17. Dezember 2020
(GBl. Nr. 46 vom 30.12.2020 S. 1255)



Der Landtag hat am 16. Dezember 2020 das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Gesetz über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen Baden-Württemberg

- wie eingefügt -

Artikel 2
Änderung des Architektengesetzes

Das Architektengesetz in der Fassung vom 28. März 2011 (GBl. S.152), das zuletzt durch Artikel 38 der Verordnung vom 23. Februar 2017 (GBl. S. 99, 104) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 15 werden die folgenden §§ 15a bis 15f eingefügt:

" § 15a Prüfung der Verhältnismäßigkeit

(1) Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, hat die Kammer eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach den in diesem Gesetz festgelegten Bestimmungen durchzuführen. Der Umfang der Prüfung steht im Verhältnis zu der Art, dem Inhalt und den Auswirkungen der Vorschrift. Satz 1 gilt für in den Geltungsbereich der jeweiligen Fassung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255 vom 30.09.2005 S. 22, zuletzt ber. ABl. L 095 vom 09.04.2016 S. 20), die zuletzt durch Delegierten Beschluss (EU) 2020/548 der Kommission (ABl. L 131 vom 24.04.2020 S.1) geändert worden ist, fallende neue oder geänderte Vorschriften, die die Aufnahme oder Ausübung eines Berufs oder eine bestimmte Art seiner Ausübung beschränken, einschließlich des Führens einer Berufsbezeichnung und der im Rahmen dieser Berufsbezeichnung erlaubten beruflichen Tätigkeiten. Die Anwendung ist ausgeschlossen, sofern Vorschriften der Umsetzung eines gesonderten Rechtsakts der Europäischen Union dienen, in dem spezifische Anforderungen an einen bestimmten Beruf festgelegt sind und dieser Rechtsakt den Mitgliedstaaten keine Wahl der genauen Art und Weise der Umsetzung dieser Anforderungen lässt. Für die Zwecke der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Satz 1 gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2005/36/EG . Ergänzend gelten die Begriffsbestimmungen des Artikels 3 Satz 2 und 3 der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (ABl. L 173 vom 09.07.2018 S. 25) in der jeweils gültigen Fassung.

(2) Jede Vorschrift nach Absatz 1 ist mit einer Erläuterung zu versehen, die ausführlich genug ist, um eine Bewertung der Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermöglichen.

(3) Die Gründe, aus denen sich ergibt, dass eine Vorschrift nach Absatz 1 gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, sind durch qualitative und, soweit möglich und relevant, quantitative Elemente zu substanziieren. Quantitative Elemente sind relevant, wenn sie für eine fundierte Begründung unerlässlich sind.

(4) Vorschriften nach Absatz 1 dürfen gemäß Artikel 5 der Richtlinie (EU) 2018/958 weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes darstellen.

(5) Vorschriften nach Absatz 1 müssen durch Ziele des Allgemeininteresses gemäß Artikel 6 der Richtlinie (EU) 2018/958 gerechtfertigt sein. Sie müssen für die Verwirklichung des angestrebten Ziels geeignet sein und dürfen nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen.

§ 15b Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung

(1) Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind sämtliche in Anlage 1 enthaltenen Elemente durch die Kammer zu berücksichtigen.

(2) Darüber hinaus sind bei der Prüfung durch die Kammer die in Anlage 2 enthaltenen Elemente zu berücksichtigen, wenn sie für die Art und den Inhalt der neu eingeführten oder geänderten Vorschrift nach § 15a Absatz 1 relevant sind. Relevant sind die Elemente, wenn sie einen sachlichen Zusammenhang zum Regelungsgegenstand der Vorschrift aufweisen.

(3) Wird die neue oder geänderte Vorschrift nach § 15a Absatz 1 mit anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, kombiniert, berücksichtigt die Kammer bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der neuen oder geänderten Vorschrift die Wirkungen der neuen oder geänderten Vorschrift und insbesondere, wie die neue oder geänderte Vorschrift kombiniert mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels beiträgt und ob sie hierfür notwendig ist. Für diese Zwecke prüft die Kammer die Auswirkung der neuen oder geänderten Vorschrift, wenn sie mit einer oder mehreren Anforderungen kombiniert wird, und insbesondere die in Anlage 3 enthaltenen Elemente.

(4) Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften nach § 15a Absatz 1 ist zusätzlich dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spezifischer Anforderungen im Zusammenhang mit der vorübergehenden oder gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen gemäß Titel II der Richtlinie 2005/36/EG eingehalten wird, einschließlich der in Anlage 4 enthaltenen Anforderungen. Diese Verpflichtung gilt nicht für Maßnahmen, durch die die Einhaltung geltender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleistet werden soll, die im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union stehen.

§ 15c Überwachung nach Erlass

Nach dem Erlass einer neuen oder geänderten Vorschrift nach § 15a Absatz 1 überwacht die Kammer deren Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt Entwicklungen, die nach dem Erlass der Vorschrift eingetreten sind, gebührend Rechnung.

§ 15d Information und Beteiligung der Öffentlichkeit

(1) Entwürfe von Vorschriften, mit denen neue Vorschriften nach § 15a Absatz 1 eingeführt oder bestehende Vorschriften geändert werden sollen, sind von der Kammer zur Information von betroffenen Interessenträgern, auch solchen, die keine Angehörigen des betroffenen Berufs sind, für die Dauer von in der Regel 21 Tagen auf einer dafür vorgesehenen Internetseite zu veröffentlichen. Allen Betroffenen ist dabei Gelegenheit zu geben, ihren Standpunkt darzulegen.

(2) Soweit dies relevant und angemessen ist, führt die Kammer öffentliche Anhörungen durch. Relevant und angemessen ist eine öffentliche Anhörung, wenn der Regelungsgegenstand der Vorschrift von hohem öffentlichen Interesse ist oder grundlegende Bedeutung entfaltet.

§ 15e Objektivität und Unabhängigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung

Nach dem Erlass einer Vorschrift nach § 15a Absatz 1 leitet die Kammer dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau unverzüglich die Unterlagen zu, aus denen sich die Einhaltung der Vorgaben aus §§ 15a, 15b und 15d ergibt. Das Wirtschaftsministerium prüft, ob die Kammer die Vorgaben aus §§ 15a, 15b und 15d eingehalten hat. Die Prüfung erfolgt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Satzung.

§ 15f Eintragung in die Datenbank für reglementierte Berufe, Stellungnahmen

(1) Die nach diesem Gesetz als gerechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig beurteilten Vorschriften nach § 15a Absatz 1 einschließlich der Beurteilungsgründe nach Artikel 59 Absatz 5 der Richtlinie 2005/36/EG sind zum Zweck der Mitteilung an die Europäische Kommission zu dokumentieren und in die in Artikel 59 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG genannte Datenbank für reglementierte Berufe einzugeben.

(2) Zu den Eintragungen vorgebrachte Stellungnahmen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sonstiger Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz sowie interessierter Kreise sind von der Kammer entgegenzunehmen."

2. Dem Gesetz werden folgende Anlagen angefügt:

".

Elemente der VerhältnismäßigkeitsprüfungAnlage 1
(zu § 15b Absatz 1)

Nach § 15b Absatz 1 zu berücksichtigende Elemente:

  1. die Eigenart der mit den angestrebten Zielen des Allgemeininteresses verbundenen Risiken, insbesondere der Risiken für Dienstleistungsempfängerinnen und Dienstleistungsempfänger, einschließlich Verbraucherinnen und Verbraucher, Berufsangehörige und Dritte;
  2. die Frage, ob bestehende Regelungen spezifischer oder allgemeiner Art, etwa die Regelungen in Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Produktsicherheit oder des Verbraucherschutzes, nicht ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen;
  3. die Eignung der Vorschriften hinsichtlich ihrer Angemessenheit zur Erreichung des angestrebten Ziels, und ob sie diesem Ziel tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise gerecht werden und somit den Risiken entgegenwirken, die bei vergleichbaren Tätigkeiten in ähnlicher Weise identifiziert wurden;
  4. die Auswirkungen auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Union, die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Qualität der bereitgestellten Dienstleistungen;
  5. die Frage, ob zur Erreichung des im Allgemeininteresse liegenden Ziels auch auf mildere Mittel zurückgegriffen werden kann; sind die Vorschriften nur durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt und beschränken sich die identifizierten Risiken auf das Verhältnis zwischen dem Berufsangehörigen und dem Verbraucher und wirken sich deshalb nicht negativ auf Dritte aus, ist insbesondere zu prüfen, ob das Ziel durch Maßnahmen erreicht werden kann, die milder sind als die Maßnahme, die Tätigkeiten vorzubehalten;
  6. die Wirkung der neuen und geänderten Vorschriften, wenn sie mit anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, kombiniert werden, und insbesondere, wie die neuen oder geänderten Vorschriften kombiniert werden mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels, ob sie zu diesem Ziel beitragen und zum Erreichen desselben notwendig sind.

.

Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung
Anlage 2
(zu § 15b Absatz 2)

Nach § 15b Absatz 2 zu berücksichtigende Elemente:

  1. der Zusammenhang zwischen dem Umfang der von einem Beruf erfassten oder einem Beruf vorbehaltenen Tätigkeiten und der erforderlichen Berufsqualifikation;
  2. der Zusammenhang zwischen der Komplexität der betreffenden Aufgaben und der Notwendigkeit, dass diejenigen, die sie wahrnehmen, im Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation sind, insbesondere in Bezug auf Niveau, Eigenart und Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Erfahrung;
  3. die Möglichkeit zum Erlangen der beruflichen Qualifikation auf alternativen Wegen;
  4. die Frage, ob und warum die bestimmten Berufen vorbehaltenen Tätigkeiten mit anderen Berufen geteilt oder nicht geteilt werden können;
  5. der Grad an Autonomie bei der Ausübung eines reglementierten Berufs und die Auswirkungen von Organisations- und Überwachungsmodalitäten auf die Erreichung des angestrebten Ziels, insbesondere wenn die mit einem reglementierten Beruf zusammenhängenden Tätigkeiten unter der Kontrolle und Verantwortung einer ordnungsgemäß qualifizierten Fachkraft stehen;
  6. die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die die Informationsasymmetrie zwischen Berufsangehörigen und Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich abbauen oder verstärken können.

.

Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung
Anlage 3
(zu § 15b Absatz 3)

Nach § 15b Absatz 3 zu berücksichtigende Auswirkungen:

  1. Tätigkeitsvorbehalte, geschützte Berufsbezeichnung oder jede sonstige Form der Reglementierung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG ;
  2. Verpflichtungen zur kontinuierlichen beruflichen Qualifizierung;
  3. Vorschriften in Bezug auf Berufsorganisation, Standesregeln und Überwachung;
  4. Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation, Registrierungs- und Genehmigungsregelungen, insbesondere wenn diese Anforderungen den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation implizieren;
  5. quantitative Beschränkungen, insbesondere Anforderungen, die die Zahl der Zulassungen zur Ausübung eines Berufs begrenzen oder eine Mindest- oder Höchstzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder Vertreterinnen und Vertreter festsetzen, die bestimmte Berufsqualifikationen besitzen
  6. Anforderungen an bestimmte Rechtsformen oder Anforderungen in Bezug auf die Beteiligungsstruktur oder Geschäftsleitung eines Unternehmens, soweit diese Anforderungen unmittelbar mit der Ausübung des reglementierten Berufs zusammenhängen;
  7. geografische Beschränkungen, einschließlich dann, wenn der Beruf in Teilen eines Mitgliedstaates in einer Weise reglementiert ist, die sich von der Reglementierung in anderen Teilen unterscheidet;
  8. Anforderungen, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung eines reglementierten Berufs beschränken, sowie Unvereinbarkeitsregeln;
  9. Anforderungen an den Versicherungsschutz oder andere Mittel des persönlichen oder kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht;
  10. Anforderungen an Sprachkenntnisse, soweit diese für die Ausübung des Berufs erforderlich sind;
  11. festgelegte Mindest- und Höchstpreisanforderungen;
  12. Anforderungen an die Werbung.

.

Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung
Anlage 4
(zu § 15b Absatz 4)

Nach § 15b Absatz 4 zu berücksichtigende Anforderungen:

  1. eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation nach Artikel 6 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG ;
  2. eine vorherige Meldung nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG, die nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2005/36/EG erforderlichen Dokumente oder eine sonstige gleichwertige Anforderung;
  3. die Zahlung einer Gebühr oder von Entgelten, die von der oder dem Dienstleistungserbringenden für die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung gefordert werden."

Artikel 3
Änderung des Ingenieurkammergesetzes

Das Ingenieurkammergesetz in der Fassung vom 28. März 2011 (GBl. S. 145), das zuletzt durch Artikel 33 der Verordnung vom 23. Februar 2017 (GBl. S. 99, 103, ber. S. 273) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 9 werden die folgenden §§ 9a bis 9f eingefügt:

" § 9a Prüfung der Verhältnismäßigkeit

(1) Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, hat die Kammer eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach den in diesem Gesetz festgelegten Bestimmungen durchzuführen. Der Umfang der Prüfung steht im Verhältnis zu der Art, dem Inhalt und den Auswirkungen der Vorschrift. Satz 1 gilt für in den Geltungsbereich der jeweiligen Fassung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255 vom 30.09.2005 S. 22, zuletzt ber. ABl. L 095 vom 09.04.2016 S. 20), die zuletzt durch Delegierten Beschluss (EU) 2020/548 der Kommission (ABl. L 131 vom 24.04.2020 S. 1) geändert worden ist, fallende neue oder geänderte Vorschriften, die die Aufnahme oder Ausübung eines Berufs oder eine bestimmte Art seiner Ausübung beschränken, einschließlich des Führens einer Berufsbezeichnung und der im Rahmen dieser Berufsbezeichnung erlaubten beruflichen Tätigkeiten. Die Anwendung ist ausgeschlossen, sofern Vorschriften der Umsetzung eines gesonderten Rechtsakts der Europäischen Union dienen, in dem spezifische Anforderungen an einen bestimmten Beruf festgelegt sind und dieser Rechtsakt den Mitgliedstaaten keine Wahl der genauen Art und Weise der Umsetzung dieser Anforderungen lässt. Für die Zwecke der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Satz 1 gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2005/36/EG . Ergänzend gelten die Begriffsbestimmungen gemäß Artikel 3 Satz 2 und 3 der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (ABl. L 173 vom 09.07.2018 S. 25) in der jeweils gültigen Fassung.

(2) Jede Vorschrift nach Absatz 1 ist mit einer Erläuterung zu versehen, die ausführlich genug ist, um eine Bewertung der Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermöglichen.

(3) Die Gründe, aus denen sich ergibt, dass eine Vorschrift nach Absatz 1 gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, sind durch qualitative und, soweit möglich und relevant, quantitative Elemente zu substanziieren. Relevant sind quantitative Elemente, wenn sie für eine fundierte Begründung unerlässlich sind.

(4) Vorschriften nach Absatz 1 dürfen gemäß Artikel 5 der Richtlinie (EU) 2018/958 weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes darstellen.

(5) Vorschriften nach Absatz 1 müssen durch Ziele des Allgemeininteresses gemäß Artikel 6 der Richtlinie (EU) 2018/958 gerechtfertigt sein. Sie müssen für die Verwirklichung des angestrebten Ziels geeignet sein und dürfen nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen.

§ 9b Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung

(1) Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind sämtliche in Anlage 1 enthaltenen Elemente durch die Kammer zu berücksichtigen.

(2) Darüber hinaus sind bei der Prüfung durch die Kammer die in Anlage 2 enthaltenen Elemente zu berücksichtigen, wenn sie für die Art und den Inhalt der neuen oder geänderten Vorschrift im Sinne von § 9a Absatz 1 relevant sind. Relevant sind die Elemente, wenn sie einen sachlichen Zusammenhang zum Regelungsgegenstand der Vorschrift aufweisen.

(3) Wird die neue oder geänderte Vorschrift nach § 9a Absatz 1 mit anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, kombiniert, berücksichtigt die Kammer bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der neuen oder geänderten Vorschrift die Wirkungen der neuen oder geänderten Vorschrift und insbesondere, wie die neue oder geänderte Vorschrift kombiniert mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels beiträgt und ob sie hierfür notwendig ist. Für diese Zwecke prüft die Kammer die Auswirkungen der neuen oder geänderten Vorschrift, wenn sie mit einer oder mehreren Anforderungen kombiniert wird, und insbesondere die in Anlage 3 enthaltenen Elemente.

(4) Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften ist zusätzlich dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spezifischer Anforderungen im Zusammenhang mit der vorübergehenden oder gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen gemäß Titel II der Richtlinie 2005/36/EG eingehalten wird, einschließlich der in Anlage 4 enthaltenen Anforderungen. Diese Verpflichtung gilt nicht für Maßnahmen, durch die die Einhaltung geltender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleistet werden soll, die im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union stehen.

§ 9c Überwachung nach Erlass

Nach dem Erlass einer neuen oder geänderten Vorschrift nach § 9a Absatz 1 überwacht die Kammer deren Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt Entwicklungen, die nach dem Erlass der Vorschrift eingetreten sind, gebührend Rechnung.

§ 9d Information und Beteiligung der Öffentlichkeit

(1) Entwürfe von Vorschriften, mit denen neue Vorschriften nach § 9a Absatz 1 eingeführt oder bestehende Vorschriften geändert werden sollen, sind von der Kammer zur Information von betroffenen Interessenträgern, auch solchen, die keine Angehörigen des betroffenen Berufs sind, für die Dauer von in der Regel 21 Tagen auf einer dafür vorgesehenen Internetseite zu veröffentlichen. Allen Betroffenen ist dabei Gelegenheit zu geben, ihren Standpunkt darzulegen.

(2) Soweit dies relevant und angemessen ist, führt die Kammer öffentliche Anhörungen durch. Relevant und angemessen ist eine öffentliche Anhörung, wenn der Regelungsgegenstand der Vorschrift von hohem öffentlichen Interesse ist oder grundlegende Bedeutung entfaltet.

§ 9e Objektivität und Unabhängigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung

Nach dem Erlass einer Vorschrift nach § 9a Absatz 1 leitet die Kammer dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau unverzüglich die Unterlagen zu, aus denen sich die Einhaltung der Vorgaben aus §§ 9a, 9 b und 9 d ergibt. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau prüft, ob die Kammer die Vorgaben aus §§ 9a, 9 b und 9 d eingehalten hat. Die Prüfung erfolgt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Vorschrift.

§ 9f Eintragung in die Datenbank für reglementierte Berufe, Stellungnahmen

(1) Die nach diesem Gesetz als gerechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig beurteilten Vorschriften nach § 9a Absatz 1 sind einschließlich der Beurteilungsgründe nach Artikel 59 Absatz 5 der Richtlinie 2005/36/EG zum Zweck der Mitteilung an die Europäische Kommission zu dokumentieren und in die in Artikel 59 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG genannte Datenbank für reglementierte Berufe einzugeben.

(2) Zu den Eintragungen vorgebrachte Stellungnahmen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sonstiger Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz sowie interessierter Kreise sind von der Kammer entgegenzunehmen."

2. Dem Gesetz werden folgende Anlagen angefügt:

".

Elemente der VerhältnismäßigkeitsprüfungAnlage 1
(zu § 9b Absatz 1)

Nach § 9b Absatz 1 zu berücksichtigende Elemente:

  1. die Eigenart der mit den angestrebten Zielen des Allgemeininteresses verbundenen Risiken, insbesondere der Risiken für Dienstleistungsempfängerinnen und Dienstleistungsempfänger, einschließlich Verbraucherinnen und Verbraucher, Berufsangehörige und Dritte;
  2. die Frage, ob bestehende Regelungen spezifischer oder allgemeiner Art, etwa die Regelungen in Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Produktsicherheit oder des Verbraucherschutzes, nicht ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen;
  3. die Eignung der Vorschriften hinsichtlich ihrer Angemessenheit zur Erreichung des angestrebten Ziels, und ob sie diesem Ziel tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise gerecht werden und somit den Risiken entgegenwirken, die bei vergleichbaren Tätigkeiten in ähnlicher Weise identifiziert wurden;
  4. die Auswirkungen auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Union, die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Qualität der bereitgestellten Dienstleistungen;
  5. die Frage, ob zur Erreichung des im Allgemeininteresse liegenden Ziels auch auf mildere Mittel zurückgegriffen werden kann; sind die Vorschriften nur durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt und beschränken sich die identifizierten Risiken auf das Verhältnis zwischen dem Berufsangehörigen und dem Verbraucher und wirken sich deshalb nicht negativ auf Dritte aus, ist insbesondere zu prüfen, ob das Ziel durch Maßnahmen erreicht werden kann, die milder sind als die Maßnahme, die Tätigkeiten vorzubehalten;
  6. die Wirkung der neuen und geänderten Vorschriften, wenn sie mit anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, kombiniert werden, und insbesondere, wie die neuen oder geänderten Vorschriften kombiniert werden mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels, ob sie zu diesem Ziel beitragen und zum Erreichen desselben notwendig sind.

.

Elemente der VerhältnismäßigkeitsprüfungAnlage 2
(zu § 9b Absatz 2)

Nach § 9b Absatz 2 zu berücksichtigende Elemente:

  1. der Zusammenhang zwischen dem Umfang der von einem Beruf erfassten oder einem Beruf vorbehaltenen Tätigkeiten und der erforderlichen Berufsqualifikation;
  2. der Zusammenhang zwischen der Komplexität der betreffenden Aufgaben und der Notwendigkeit, dass diejenigen, die sie wahrnehmen, im Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation sind, insbesondere in Bezug auf Niveau, Eigenart und Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Erfahrung;
  3. die Möglichkeit zum Erlangen der beruflichen Qualifikation auf alternativen Wegen;
  4. die Frage, ob und warum die bestimmten Berufen vorbehaltenen Tätigkeiten mit anderen Berufen geteilt oder nicht geteilt werden können;
  5. der Grad an Autonomie bei der Ausübung eines reglementierten Berufs und die Auswirkungen von Organisations- und Überwachungsmodalitäten auf die Erreichung des angestrebten Ziels, insbesondere wenn die mit einem reglementierten Beruf zusammenhängenden Tätigkeiten unter der Kontrolle und Verantwortung einer ordnungsgemäß qualifizierten Fachkraft stehen;
  6. die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die die Informationsasymmetrie zwischen Berufsangehörigen und Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich abbauen oder verstärken können.

.

Elemente der VerhältnismäßigkeitsprüfungAnlage 3
(zu § 9b Absatz 3)

Nach § 9b Absatz 3 zu berücksichtigende Auswirkungen:

  1. Tätigkeitsvorbehalte, geschützte Berufsbezeichnung oder jede sonstige Form der Reglementierung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG ;
  2. Verpflichtungen zur kontinuierlichen beruflichen Qualifizierung;
  3. Vorschriften in Bezug auf Berufsorganisation, Standesregeln und Überwachung;
  4. Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation, Registrierungs- und Genehmigungsregelungen, insbesondere wenn diese Anforderungen den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation implizieren;
  5. quantitative Beschränkungen, insbesondere Anforderungen, die die Zahl der Zulassungen zur Ausübung eines Berufs begrenzen oder eine Mindest- oder Höchstzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder Vertreterinnen und Vertreter festsetzen, die bestimmte Berufsqualifikationen besitzen;
  6. Anforderungen an bestimmte Rechtsformen oder Anforderungen in Bezug auf die Beteiligungsstruktur oder Geschäftsleitung eines Unternehmens, soweit diese Anforderungen unmittelbar mit der Ausübung des reglementierten Berufs zusammenhängen;
  7. geografische Beschränkungen, einschließlich dann, wenn der Beruf in Teilen eines Mitgliedstaates in einer Weise reglementiert ist, die sich von der Reglementierung in anderen Teilen unterscheidet;
  8. Anforderungen, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung eines reglementierten Berufs beschränken, sowie Unvereinbarkeitsregeln;
  9. Anforderungen an den Versicherungsschutz oder andere Mittel des persönlichen oder kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht;
  10. Anforderungen an Sprachkenntnisse, soweit diese für die Ausübung des Berufs erforderlich sind;
  11. festgelegte Mindest- und Höchstpreisanforderungen;
  12. Anforderungen an die Werbung.

.

Elemente der VerhältnismäßigkeitsprüfungAnlage 4
(zu § 9b Absatz 4)

Nach § 9b Absatz 4 zu berücksichtigende Anforderungen:

  1. eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation nach Artikel 6 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG ;
  2. eine vorherige Meldung nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG, die nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2005/36/EG erforderlichen Dokumente oder eine sonstige gleichwertige Anforderung;
  3. die Zahlung einer Gebühr oder von Entgelten, die von der oder dem Dienstleistungserbringenden für die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung gefordert werden."

3. In § 12 Nummer 1 werden nach dem Wort "Hauptsatzung," die Wörter "von Vorschriften nach § 9a Absatz 1," eingefügt."

Artikel 4
Änderung des Heilberufe-Kammergesetzes

Das Heilberufe-Kammergesetz in der Fassung vom 16. März 1995 (GBl. S. 314), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 17. Dezember 2020 (GBl. S. 1250, 1252) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 9 werden die folgenden §§ 9a bis 9f eingefügt:

" § 9a Prüfung der Verhältnismäßigkeit

(1) Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, ist eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach den in diesem Gesetz festgelegten Bestimmungen durchzuführen. Der Umfang der Prüfung steht im Verhältnis zu der Art, dem Inhalt und den Auswirkungen der Vorschrift. Satz 1 gilt für in den Geltungsbereich der jeweiligen Fassung der Richtlinie 2005/36/EG (ABl. L 255 vom 30.09.2005 S. 22, zuletzt ber. ABl. L 095 vom 09.04.2016 S. 20), die zuletzt durch Delegierten Beschluss (EU) 2020/548 der Kommission (ABl. L 131 vom 24.04.2020 S. 1) geändert worden ist, fallende neue oder geänderte Vorschriften, die die Aufnahme oder Ausübung eines Berufs oder eine bestimmte Art seiner Ausübung beschränken, einschließlich des Führens einer Berufsbezeichnung und der im Rahmen dieser Berufsbezeichnung erlaubten beruflichen Tätigkeiten. Die Anwendung ist ausgeschlossen, sofern Vorschriften der Umsetzung eines gesonderten Rechtsakts der Europäischen Union dienen, in dem spezifische Anforderungen an einen bestimmten Beruf festgelegt sind und dieser Rechtsakt den Mitgliedstaaten keine Wahl der genauen Art und Weise der Umsetzung dieser Anforderungen lässt. Für die Zwecke der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Satz 1 gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 2005/36/EG . Ergänzend gelten die Begriffsbestimmungen des Artikels 3 Satz 2 und 3 der Richtlinie (EU) 2018/958 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (ABl. L 173 vom 09.07.2018 S. 25).

(2) Jede Vorschrift nach Absatz 1 ist mit einer Erläuterung zu versehen, die ausführlich genug ist, um eine Bewertung der Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermöglichen.

(3) Die Gründe, aus denen sich ergibt, dass eine Vorschrift nach Absatz 1 gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, sind durch qualitative und, soweit möglich und relevant, quantitative Elemente zu substanziieren. Relevant sind quantitative Elemente, wenn sie für eine fundierte Begründung unerlässlich sind.

(4) Vorschriften nach Absatz 1 dürfen gemäß Artikel 5 der Richtlinie (EU) 2018/958 weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes darstellen.

(5) Vorschriften nach Absatz 1 müssen durch Ziele des Allgemeininteresses gemäß Artikel 6 der Richtlinie (EU) 2018/958 gerechtfertigt sein. Sie müssen für die Verwirklichung des angestrebten Ziels geeignet sein und dürfen nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinausgehen.

§ 9b Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung

(1) Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind sämtliche in Anlage 1 enthaltenen Elemente durch die Kammer zu berücksichtigen.

(2) Darüber hinaus sind bei der Prüfung durch die Kammer die in Anlage 2 enthaltenen Elemente zu berücksichtigen, wenn sie für die Art und den Inhalt der neuen oder geänderten Vorschrift nach § 9a Absatz 1 relevant sind. Relevant sind die Elemente, wenn sie einen sachlichen Zusammenhang zum Regelungsgegenstand der Vorschrift aufweisen.

(3) Wird die neue oder geänderte Vorschrift nach § 9a Absatz 1 mit anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, kombiniert, berücksichtigt die Kammer bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der neuen oder geänderten Vorschrift die Wirkung der neuen oder geänderten Vorschrift und insbesondere, wie die neue oder ändernde Vorschrift kombiniert mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels beiträgt und ob sie hierfür notwendig ist. Für diese Zwecke prüft die Kammer die Auswirkungen der neuen oder ändernden Vorschrift, wenn sie mit einer oder mehreren Anforderungen kombiniert wird, und insbesondere die in Anlage 3 enthaltenen Elemente.

(4) Vor der Einführung neuer oder der Änderung bestehender Vorschriften ist zusätzlich dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spezifischer Anforderungen im Zusammenhang mit der vorübergehenden oder gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen gemäß Titel II der Richtlinie 2005/36/EG eingehalten wird, einschließlich der in Anlage 4 enthaltenen Anforderungen. Diese Verpflichtung gilt nicht für Maßnahmen, durch die die Einhaltung geltender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleistet werden soll, die im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union stehen.

(5) Das Ziel der Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus ist stets zu berücksichtigen.

§ 9c Überwachung nach Erlass

Nach dem Erlass einer neuen oder geänderten Vorschrift nach § 9a Absatz 1 überwacht die Kammer deren Übereinstimmung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt Entwicklungen, die nach dem Erlass der Vorschriften eingetreten sind, gebührend Rechnung.

§ 9d Information und Beteiligung der Öffentlichkeit

(1) Entwürfe von Vorschriften, mit denen neue Vorschriften nach § 9a Absatz 1 eingeführt oder bestehende Vorschriften geändert werden sollen, sind von der Kammer zur Information von betroffenen Interessenträgern, auch solchen, die keine Angehörigen des betroffenen Berufs sind, für die Dauer von in der Regel 21 Tagen auf einer dafür vorgesehenen Internetseite zu veröffentlichen. Allen Betroffenen ist dabei Gelegenheit zu geben, ihren Standpunkt darzulegen.

(2) Soweit dies relevant und angemessen ist, führt die Kammer öffentliche Anhörungen durch. Relevant und angemessen ist eine öffentliche Anhörung, wenn der Regelungsgegenstand der Vorschrift von hohem öffentlichen Interesse ist oder grundlegende Bedeutung entfaltet.

§ 9e Objektivität und Unabhängigkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung

Nach dem Erlass einer Vorschrift nach § 9a Absatz 1 leitet die Kammer der Rechtsaufsichtsbehörde unverzüglich die Unterlagen zu, aus denen sich die Einhaltung der Vorgaben aus §§ 9a, 9b und 9d ergibt. Die Rechtsaufsichtsbehörde prüft, ob die Kammer die Vorgaben aus §§ 9a, 9b und 9d eingehalten hat. Die Prüfung erfolgt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Vorschrift.

§ 9f Eintragung in die Datenbank für reglementierte Berufe, Stellungnahmen

(1) Die nach diesem Gesetz als gerechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig beurteilten Vorschriften nach § 9a Absatz 1 sind einschließlich der Beurteilungsgründe nach Artikel 59 Absatz 5 der Richtlinie 2005/36/EG zum Zweck der Mitteilung an die Europäische Kommission zu dokumentieren und in die in Artikel 59 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG genannte Datenbank für reglementierte Berufe einzugeben.

(2) Zu den Eintragungen vorgebrachte Stellungnahmen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sonstiger Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz sowie interessierter Kreise sind von der Kammer entgegenzunehmen."

2. Dem Gesetz werden folgende Anlagen angefügt:

.

Elemente der VerhältnismäßigkeitsprüfungAnlage 1
(zu § 9b Absatz 1)

Nach § 9b Absatz 1 zu berücksichtigende Elemente:

  1. die Eigenart der mit den angestrebten Zielen des Allgemeininteresses verbundenen Risiken, insbesondere der Risiken für Dienstleistungsempfängerinnen und Dienstleistungsempfänger, einschließlich Verbraucherinnen und Verbraucher, Berufsangehörige und Dritte;
  2. die Frage, ob bestehende Regelungen spezifischer oder allgemeiner Art, etwa die Regelungen in Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Produktsicherheit oder des Verbraucherschutzes, nicht ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen;
  3. die Eignung der Vorschriften hinsichtlich ihrer Angemessenheit zur Erreichung des angestrebten Ziels, und ob sie diesem Ziel tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise gerecht werden und somit den Risiken entgegenwirken, die bei vergleichbaren Tätigkeiten in ähnlicher Weise identifiziert wurden;
  4. die Auswirkungen auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Union, die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Qualität der bereitgestellten Dienstleistungen;
  5. die Frage, ob zur Erreichung des im Allgemeininteresse liegenden Ziels auch auf mildere Mittel zurückgegriffen werden kann; sind die Vorschriften nur durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt und beschränken sich die identifizierten Risiken auf das Verhältnis zwischen dem Berufsangehörigen und dem Verbraucher und wirken sich deshalb nicht negativ auf Dritte aus, ist insbesondere zu prüfen, ob das Ziel durch Maßnahmen erreicht werden kann, die milder sind als die Maßnahme, die Tätigkeiten vorzubehalten;
  6. die Wirkung der neuen und geänderten Vorschriften, wenn sie mit anderen Vorschriften, die den Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung beschränken, kombiniert werden, und insbesondere, wie die neuen oder geänderten Vorschriften kombiniert werden mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben im Allgemeininteresse liegenden Ziels, ob sie zu diesem Ziel beitragen und zum Erreichen desselben notwendig sind.

.

Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung
(zu § 9b Absatz 2)
Anlage 2

Nach § 9b Absatz 2 zu berücksichtigende Elemente:

  1. der Zusammenhang zwischen dem Umfang der von einem Beruf erfassten oder einem Beruf vorbehaltenen Tätigkeiten und der erforderlichen Berufsqualifikation;
  2. der Zusammenhang zwischen der Komplexität der betreffenden Aufgaben und der Notwendigkeit, dass diejenigen, die sie wahrnehmen, im Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation sind, insbesondere in Bezug auf Niveau, Eigenart und Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Erfahrung;
  3. die Möglichkeit zum Erlangen der beruflichen Qualifikation auf alternativen Wegen;
  4. die Frage, ob und warum die bestimmten Berufen vorbehaltenen Tätigkeiten mit anderen Berufen geteilt oder nicht geteilt werden können;
  5. der Grad an Autonomie bei der Ausübung eines reglementierten Berufs und die Auswirkungen von Organisations- und Überwachungsmodalitäten auf die Erreichung des angestrebten Ziels, insbesondere wenn die mit einem reglementierten Beruf zusammenhängenden Tätigkeiten unter der Kontrolle und Verantwortung einer ordnungsgemäß qualifizierten Fachkraft stehen;
  6. die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die die Informationsasymmetrie zwischen Berufsangehörigen und Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich abbauen oder verstärken können.

.

Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung
(zu § 9b Absatz 3)
Anlage 3

Nach § 9b Absatz 3 zu berücksichtigende Auswirkungen:

  1. Tätigkeitsvorbehalte, geschützte Berufsbezeichnung oder jede sonstige Form der Reglementierung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG ;
  2. Verpflichtungen zur kontinuierlichen beruflichen Qualifizierung;
  3. Vorschriften in Bezug auf Berufsorganisation, Standesregeln und Überwachung;
  4. Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation, Registrierungs- und Genehmigungsregelungen, insbesondere wenn diese Anforderungen den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation implizieren;
  5. quantitative Beschränkungen, insbesondere Anforderungen, die die Zahl der Zulassungen zur Ausübung eines Berufs begrenzen oder eine Mindest- oder Höchstzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder Vertreterinnen und Vertreter festsetzen, die bestimmte Berufsqualifikationen besitzen;
  6. Anforderungen an bestimmte Rechtsformen oder Anforderungen in Bezug auf die Beteiligungsstruktur oder Geschäftsleitung eines Unternehmens, soweit diese Anforderungen unmittelbar mit der Ausübung des reglementierten Berufs zusammenhängen;
  7. geografische Beschränkungen, einschließlich dann, wenn der Beruf in Teilen eines Mitgliedstaates in einer Weise reglementiert ist, die sich von der Reglementierung in anderen Teilen unterscheidet;
  8. Anforderungen, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung eines reglementierten Berufs beschränken, sowie Unvereinbarkeitsregeln;
  9. Anforderungen an den Versicherungsschutz oder andere Mittel des persönlichen oder kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht;
  10. Anforderungen an Sprachkenntnisse, soweit diese für die Ausübung des Berufs erforderlich sind;
  11. festgelegte Mindest- und Höchstpreisanforderungen;
  12. Anforderungen an die Werbung.

.

Elemente der Verhältnismäßigkeitsprüfung
(zu § 9b Absatz 4)
Anlage 4

Nach § 9b Absatz 4 zu berücksichtigende Anforderungen:

  1. eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation nach Artikel 6 Satz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2005/36/EG ;
  2. eine vorherige Meldung nach Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2005/36/EG, die nach Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2005/36/EG erforderlichen Dokumente oder eine sonstige gleichwertige Anforderung;
  3. die Zahlung einer Gebühr oder von Entgelten, die von der oder dem Dienstleistungserbringenden für die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung gefordert werden."

3. Die Inhaltsübersicht ist entsprechend anzupassen.

Artikel 5
Änderung des Volksabstimmungsgesetzes

Das Volksabstimmungsgesetz in der Fassung vom 20. Juni 2016 (GBl. S. 445), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. Oktober 2020 (GBl. S. 910, 911) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 27 Absatz 3 wird folgender Satz angefügt:

"Enthält der Gesetzentwurf Vorschriften im Sinne von § 1 des Gesetzes über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen Baden-Württemberg, sind dessen §§ 3 und 4 zu beachten; die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in die Gesetzesbegründung aufzunehmen."

2. § 29 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) Satz 1 wird wie folgt gefasst:

altneu
Das Innenministerium hat das Volksbegehren zuzulassen, wenn
  1. der Antrag vorschriftsmäßig gestellt ist und
  2. im Fall des § 27 Absatz 3 die Gesetzesvorlage dem Grundgesetz und der Landesverfassung nicht widerspricht.
"Das Innenministerium hat das Volksbegehren zuzulassen, wenn
  1. der Antrag vorschriftsmäßig gestellt ist,
  2. im Fall des § 27 Absatz 3 die Gesetzesvorlage dem Grundgesetz und der Landesverfassung nicht widerspricht und
  3. im Fall des § 27 Absatz 3 Satz 2 die Gesetzesbegründung die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung enthält."

b) In Satz 2 wird das Wort "drei" durch das Wort "vier" ersetzt.

3. § 42 Absatz 2 wird wie folgt geändert:

a) Nach Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:

"Enthält der Gesetzentwurf Vorschriften im Sinne von § 1 des Gesetzes über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen Baden-Württemberg, sind dessen §§ 3 und 4 zu beachten; die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in die Gesetzesbegründung aufzunehmen."

b) Im neuen Satz 3 werden die Wörter "Im Übrigen" durch die Wörter "Zielt der Volksantrag nicht auf die Einbringung einer Gesetzesvorlage," ersetzt.

4. § 44 Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

altneu
Der Landtag hat den Volksantrag zuzulassen, wenn
  1. der Antrag vorschriftsmäßig gestellt ist und
  2. der Gegenstand des Volksantrags im Zuständigkeitsbereich des Landtags liegt und dem Grundgesetz und der Landesverfassung nicht widerspricht.
"Der Landtag hat den Volksantrag zuzulassen, wenn
  1. der Antrag vorschriftsmäßig gestellt ist,
  2. der Gegenstand des Volksantrags im Zuständigkeitsbereich des Landtags liegt und dem Grundgesetz und der Landesverfassung nicht widerspricht und
  3. im Fall des § 42 Absatz 2 Satz 2 die Gesetzesbegründung die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung enthält."

Artikel 6
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

ID 210043

ENDE